Einundzwanzigstes Kapitel

Und findet ihr dort einen Mann,
so stirbt Er eines Flohes Tod.
Die lustigen Weiber von Windsor.

Die Wanderer hatten an der Gränze eines Landstrichs gelandet, der bis auf den heutigen Tag den Bewohnern der vereinigten Staaten weniger bekannt ist, als die Wüsten Arabiens oder die Steppen der Tatarei. Es war das unfruchtbare und rauhe Land, das die dem Champlain zinsbaren Flüsse von denen des Hudson, des Mohawk und des St. Lorenz trennt. Seit der Periode unserer Erzählung hat der Unternehmungsgeist des Landes dasselbe mit einem Gürtel reicher, blühender Niederlassungen umgeben, obgleich auch bis jetzt nur der Jäger oder der Indianer in seine wilden Gebiete eingedrungen ist.

Da jedoch Hawk-eye und die Mohikaner die Berge und Thäler dieser endlosen Wildniß oft durchstreift hatten, so bedachten sie sich nicht lange, in ihre Tiefen zu dringen, mit der Zuversicht von Männern, die an Entbehrungen und Anstrengungen gewöhnt sind. Mehrere Stunden lang hatten die Reisenden, von einem Sterne geleitet, oder dem Lauf eines Waldbaches folgend, ihren mühsamen Weg fortgesetzt, da rief der Kundschafter Halt: nach einer kurzen Berathung mit den Indianern wurde ein Feuer angezündet und die gewöhnlichen Vorkehrungen getroffen, den Rest der Nacht an diesem Orte zuzubringen.

Dem ermunternden Beispiele ihrer erfahreneren und zuversichtlicheren Gefährten folgend, überließen sich Munro und Duncan ohne Furcht, wenn auch nicht mit Behaglichkeit der Ruhe. Der Thau war verdunstet, die Sonne hatte die Nebel zerstreut, und goß ein starkes und helles Licht in den Wald, als die Reisenden ihre Wanderung wieder begannen.

Nachdem sie einige Meilen zurückgelegt hatten, fing Hawk-eye, welcher voranging, an, bedächtlicher und wachsamer vorwärts zu schreiten. Er blieb oft stehen, die Bäume zu untersuchen, und ging über keinen Bach, ohne die Tiefe, Schnelligkeit und Farbe seines Wassers zu beobachten. Seinem eigenen Urtheile mißtrauend, holte er häufig und angelegentlich die Meinung Chingachgook’s ein. Während dieser Besprechungen bemerkte Heyward, daß Uncas stets ein ruhiger und stillschweigender, obgleich wie es schien, theilnahmvoller Zuhörer war. Er fühlte sich stark versucht, den jungen Häuptling anzureden und ihn über seine Ansicht von ihren Fortschritten zu befragen; aber die ruhige, würdevolle Haltung des Eingebornen ließ ihn glauben, daß auch der Andere dem Scharfsinne und der Einsicht der Aelteren unbedingt vertraue. Zuletzt sprach der Kundschafter englisch und erklärte mit einem Mal die Verlegenheit ihrer Lage.

»Als ich fand, daß die Spuren des Heimwegs der Huronen nordwärts gingen,« sprach er, »da brauchte es kein gereiftes Urtheil, um zu schließen, daß sie den Thälern nachgehen und sich zwischen den Wassern des Hudson und des Horican halten würden, bis sie zu den Quellen der Flüsse Canadas kämen, die sie in das Herz des Franzosenlandes führen müßten. Jetzt sind wir hier nicht weit von dem Scaroon, und keine Spur einer Fährte haben wir getroffen! Es irrt der Mensch, und möglich ist, daß wir nicht den rechten Weg eingeschlagen haben!« »Der Himmel bewahre uns vor solch einem Irrthum!« rief Duncan. »Wir wollen zurück und mit schärferen Blicken suchen. Hat Uncas in solcher Noth keinen Rath zu ertheilen?«

Der junge Mohikaner warf einen Blick auf seinen Vater, schwieg aber mit der vorigen Miene der Ruhe und Zurückhaltung still. Chingachgook hatte dieß bemerkt und winkte ihm mit der Hand, zu sprechen. Kaum war die Erlaubnis, ertheilt, so ging die ernste Ruhe des Jünglings in einen Ausdruck der Freude und des Scharfsinns über. Mit der Geschwindigkeit eines Wildes lief er eine kleine Anhöhe hinan, die sich kaum vor ihnen erhob, und blieb frohlockend über einer Spur frisch aufgewühlter Erde stehen, die von dem Tritt eines beschwerten Thiers herzurühren schien. Aller Augen folgten der unerwarteten Bewegung und lasen in der triumphirenden Miene des Jünglings den glücklichen Erfolg seiner Forschung.

»Das ist ’ne Spur!« rief der Kundschafter, auf den Ort vortretend; »der Junge ist schnell von Blick und kühn für sein Alter!« »Es ist sonderbar,« murmelte Duncan zur Seite, »daß er mit seiner Entdeckung so lange an sich gehalten hat.«

»Es wäre noch mehr zu verwundern gewesen, wenn er unaufgefordert gesprochen hätte. Nein, nein; ein Junge bei euch Weißen, der seine Weisheit aus den Büchern schöpft, und sein Wissen nach den Seiten eines Buches mißt, mag sich einbilden, daß er mit dem Kopfe, wie mit den Beinen seinen Vater überhole: aber hier, wo es auf Erfahrung ankommt, lernt der Schüler den Werth der Jahre schätzen und achtet sie demgemäß.«

»Seht!« sprach Uncas, nach Norden und Süden auf die deutlichen Zeichen einer starken Fährte zu beiden Seiten deutend; »das schwarze Haar ist hier dem Froste zu gegangen.«

»Kein Spürhund hat je eine schönere Fährte gefunden,« versetzte der Kundschafter, plötzlich auf dem angedeuteten Wege vorwärts eilend; »der Himmel ist uns günstig, sehr günstig, und wir brauchen jetzt die Nase nicht mehr auf die Erde zu halten. Ja, hier sind wieder die zwei einseitigen Pferdchen: der Hurone marschirt wie ein General der Weisen. Er ist nicht recht bei Trost, er ist toll! Sieh, Sagamore, ob du sein Radgeleise findest,« fuhr er fort, indem er mit neuerwachter Befriedigung lachend rückwärts blickte; »bald wird der Thor noch in der Kutsche fahren, indeß ihm sechs der besten Augen auf der Gränze dicht auf der Ferse folgen.«

Die Aufgeräumtheit des Kundschafters und der unerwartet glückliche Erfolg, der ihren über mehr denn vierzig Meilen ausgedehnten Weg nun gekrönt hatte, verfehlte nicht, auch den Andern neue Hoffnung mitzutheilen. Ihr Vordringen geschah überaus schnell und mit einer Zuversichtlichkeit, die ein Reisender auf der Landstraße hätte haben können. Wenn ein Felsen, ein Bach, oder etwas härterer Boden den Faden des Knäuels, dem sie folgten, unterbrach, so fand ihn das untrügliche Auge des Kundschafters in einiger Entfernung wieder auf, und selten war es nöthig, auch mir einen Augenblick stehen zu bleiben. Sehr erleichtert wurde ihre Reise durch die Gewißheit, daß Magua es nothwendig gefunden, seinen Weg durch die Thäler zu nehmen: ein Umstand, der die Hauptrichtung ihrer Straße unbezweifelt sicher machte. Der Hurone hatte übrigens die gewöhnlichen Kunstgriffe der Eingebornen, wenn sie sich vor einem Feinde zurückziehen, nicht gänzlich verabsäumt. Falsche Spuren und plötzliche Wendungen waren häufig, so oft ein Bach oder die Bildung des Bodens es thunlich machte; aber die Verfolger ließen sich nur selten täuschen, oder verfehlten wenigstens nicht, ihren Irrthum zu entdecken, ehe sie Zeit oder Richtung auf der trügerischen Spur verloren hatten.

Gegen die Mitte des Nachmittags waren sie über den Scaroon gegangen und folgten nun der Richtung der untergehenden Sonne. Nachdem sie von einer Anhöhe herab in eine Niederung herabgestiegen waren, durch welche ein kleiner Bach dahin eilte, kamen sie unerwartet an eine Stelle, wo Le Renard’s Zug offenbar Halt gemacht hatte. Halbverzehrte Feuerbrände lagen um eine Quelle: Ueberreste eines Damhirsches waren umher zerstreut, und die Bäume trugen unverkennbare Spuren einer Abweidung durch die Pferde. In einiger Entfernung entdeckte Heyward ein kleines Laubdach, das er mit zärtlicher Rührung betrachtete, in dem Gedanken, daß Cora und Alice darunter geruht hatten. Während aber die Erde rundum zertreten war und Fußtapfen von Männern und Thieren im ganzen Umkreis des Platzes deutlich hervortraten, schien hier mit einem Male alle Spur zu verschwinden.

Leicht konnte man die Fährte der Narragansets verfolgen, sie schienen aber ohne Führer umhergelaufen und nur ihrem Futter nachgegangen zu seyn. Endlich fand Uncas, der mit seinem Vater der Spur der Pferde gefolgt war, ein Zeichen, das ihre Nähe unwiderleglich verkündete. Ehe er aber den Tritten nachging, theilte er die Entdeckung seinen Begleitern mit, und während die letzteren sich über diesen Umstand beriethen, erschien der junge Indianer wieder, die beiden Pferdchen herbeiführend mit zerbrochenen Sätteln und beschmutzten Decken, als wären sie mehrere Tage sich selbst überlassen umhergelaufen,

»Worauf deutet dies?« – fragte Duncan erbleichend, und besorgt um sich her blickend, als ob die Busche und Blätter ein entsetzliches Geheimnis entdecken könnten.

»Daß wir mit unsrer Reise zu einem schnellen Ende gekommen sind und uns in Feindesland befinden,« versetzte der Kundschafter. »Wäre der Schurke gedrängt worden und hätten die Mädchen keine Pferde gehabt, um mit den Uebrigen Schritt halten zu können, so hätte er ihnen vielleicht die Skalpe abgezogen; aber ohne einen Feind auf den Fersen, und mit solchen Thieren, hat er ihnen kein Haar auf dem Haupte gekrümmt. Ich weiß, was Ihr denket; und Schande ist’s für unsere Farbe, daß Ihr Grund dazu habt; wer aber glaubt, ein Mingo mißhandle eine Frau, es sey denn, um sie dann zu erschlagen, der kennt die Indianer und das Leben in den Wäldern nicht. Nein, nein, ich habe gehört, daß die französischen Indianer in diese Berge gekommen sind, um das Mußthier zu jagen, und wir sind in die Nähe ihres Lagers gekommen. Warum sollten sie auch nicht? Jeden Tag kann man Morgens und Abends die Kanonen von Ty in diesen Bergen hören: denn die Franzosen führen eine neue Vertheidigungslinie zwischen den Provinzen des Königs und Canada auf. Es ist wahr, die Pferde sind hier, aber die Huronen sind fort. Wir müssen jetzt den Pfad aufspüren, auf dem sie sich davon gemacht haben.«

Hawk-eye und die Mohikaner gingen alsbald ernstlich an’s Werk. Ein Kreis von einigen hundert Fußen ward um den Platz gezogen, und Jeder nahm sich seinen Theil davon. Die Forschung führte jedoch zu keinem Resultate. Häufige Spuren von Fußtritten waren vorhanden; allein die Leute schienen nur umhergelaufen zu seyn, ohne die Absicht, den Ort zu verlassen. Der Kundschafter und seine Gefährten machten noch einmal die Runde um den Ruheplatz, indem Einer dem Andern langsam folgte, bis sie in der Mitte zusammentrafen, ohne inzwischen klüger geworden zu seyn.

»Solche Arglist deutet auf den Satan!« rief Hawk-eye, als er den ängstlichen Blicken seiner Gefährten begegnete. »Wir müssen wieder hinab, Sagamore, und von der Quelle an den Boden Zoll für Zoll untersuchen. Der Hurone soll sich bei seinem Stamm nicht rühmen, daß sein Fuß keine Spur hinterlasse.«

Mit gutem Beispiel vorangehend, begann der Kundschafter die Untersuchung mit erneutem Eifer. Jedes Laub wurde umgekehrt, jedes dürre Reis weggeräumt, jeder Stein aufgehoben – denn es war eine bekannte List der Indianer, sich solcher Mittel zu bedienen, um jeden Tritt mit der größten Geduld und Sorgfalt zu verdecken. Noch immer blieb die Untersuchung ohne Erfolg. Endlich überdämmte Uncas, den eine gewohnte Lebhaftigkeit am ersten zur Vollendung seiner Aufgabe geführt hatte, den kleinen Bach, der jener Quelle entsprang, mit Erde und lenkte so seinen Lauf in ein anderes Bett. Sobald sein schmaler Grund hinter dem Damme trocken lag, bückte er sich mit scharfem, neugierigem Blicke darüber nieder. Ein Ruf ausgelassener Freude kündigte sogleich den Erfolg des jungen Kriegers an. Alle umstanden die Stelle, wo Uncas in der feuchten Anschwemmumg auf die Spur eines Moccasins deutete.

»Der Junge wird seinem Volke Ehre machen,« sprach Hawk-eye, die Fährte mit so vieler Bewunderung betrachtend, als der Naturforscher dem Hauzahn eines Mammuths oder der Rippe eines Mastoden schenken würde; »ja, und den Huronen ein Dorn im Auge seyn. Das ist aber kein Fußtritt eines Indianers! Das Gewicht ruht zu sehr auf der Ferse, und die Zehen sind viereckig, als wäre einer der französischen Tänzer hier gewesen und hätte seinen Leuten Kunststücke vorgemacht! Geh zurück, Uncas, und bring mir das Maß von des Singmeisters Fuß. Dort dem Felsen gegenüber an dem Abhang des Hügels findest du einen herrlichen Abdruck davon.«

Während der Jüngling mit diesem Auftrag beschäftigt war, betrachteten der Kundschafter und Chingachgook die Spuren mit großer Aufmerksamkeit. Das Maß traf zu, und der Erstere that unbedenklich den Ausspruch, daß es Davids Fußtritt sey, der seine Schuhe wieder mit Moccasins hatte vertauschen müssen.

»Jetzt ist mir Alles so klar und deutlich, als ob ich Le Subtil’s Künsten zugesehen hätte,« fuhr er fort: »da der Singmeister ein Mensch ist, dessen Hauptkraft in seiner Kehle und in seinen Füßen liegt, so mußte er vorausgehen, und die Andern sind in seine Fußstapfen getreten.«

»Aber,« rief Duncan, »ich sehe keine Spuren von –«

»Den Mädchen!« unterbrach der Kundschafter: »der Schelm muß ein Mittel gefunden haben, sie so weit zu tragen, bis er glaubte, er habe allen Verfolgungen die Spur entzogen. Mein Leben daran – ehe wir eine große Strecke hinter uns haben, treffen wir wieder die Spur ihrer niedlichen Füßchen!« Der ganze Zug brach jetzt auf und verfolgte den Lauf des Bachs, mit aufmerksamen Augen die regelmäßigen Spuren verfolgend. Das Wasser floß bald wieder in sein altes Bett, aber sie behielten den Boden auf beiden Seiten stets im Auge, überzeugt, daß unten im Wasser die Fährte fortgehe. Mehr als eine halbe Meile waren sie gegangen, bis der Bach um den Fuß eines großen und kahlen Felsen rieselte. Hier hielten sie, um sich zu vergewissern, daß die Huronen an dieser Stelle das Wasser nicht verlassen hätten.

Und wohl ihnen, daß sie dies nicht unterließen. Das lebhafte, scharfe Auge des jungen Kriegers fand bald die Spur eines Indianerfusses auf einem Büschel Moos, auf den jener aus Unachtsamkeit getreten war. Diese Entdeckung verfolgend, trat er in das nahe Dickicht und fand eine Spur, so frisch und deutlich, als jene, die sie vor der Quelle gefunden hatten. Ein zweiter Ruf verkündete das gute Glück des Jünglings seinen Begleitern und alles Suchen hatte nun ein Ende.

»Ja, ja, indianische Schlauheit war es,« sagte der Kundschafter, als sich alle um die Stelle versammelt hatten; »und sie hätte weise Augen sicherlich irre geführt.«

»Gehen wir weiter?« fragte Heyward,

»Gemach! gemach! Wir kennen jetzt unsern Weg, es wird aber gut seyn, wenn wir Alles genau untersuchen. Das ist mein Grundsatz, Major: und wenn Einer in dem Buche der Natur zu lesen verabsäumt, so erfährt er nicht, was ihm offen vor Augen liegt. Alles ist jetzt klar am Tage, nur nicht, wie er die Mädchen über die nasse Fährte gebracht hat. Selbst ein Hurone wäre zu stolz, die zarten Füße das Wasser berühren zu lassen.«

»Erklärt uns dies vielleicht das schwere Räthsel?« fragte Heyward, auf die Bruchstücke einer Art von Tragbahre deutend, die, aus rohen Aesten verfertigt und mit Weiden zusammengebunden, als unnütz jetzt nachlässig bei Seite geworfen schien.

»Jetzt haben wir’s!« rief der entzückte Hawk-eye. »Wenn die Schelme den Weg in einer Minute zurückgelegt haben, so waren Stunden nöthig, ihrer Fährte ein Lügen-Ende zu zimmern. Nun ich weiß, daß sie mit so geringfügiger Arbeit schon Tage zugebracht haben. Hier haben wir drei Paar Moccasins, und zwei von kleinen Füßen. Es ist erstaunlich, daß menschliche Wesen auf so kleinen Gliedern gehen können! Uncas, gib mir den bockledernen Riemen, daß ich die Länge dieses Fußes messe. Bei Gott, ’s ist der eines Kindes, und doch sind die Mädchen schlank und stattlich. Der Himmel ist parteiisch mit seinen Gaben, wiewohl er seine weisen Gründe dazu haben mag: das müssen die Besten und Zufriedensten von uns zugeben.«

»Die zarten Glieder meiner Töchter sind diesen Mühseligkeiten nicht gewachsen,« sagte Munro, die leichten Fußtritte seiner Kinder mit väterlicher Zärtlichkeit betrachtend; »wir werden ihre verschmachteten Gestalten in dieser Wüste finden.«

»Das habt ihr eigentlich nicht zu besorgen,« versetzte der Kundschafter langsam den Kopf schüttelnd! »das ist ein fester und gerader Schritt, wenn auch kurz und leicht. Seht, die Ferse berührte kaum den Boden, und hier hat die mit dem dunkeln Haar einen kleinen Sprung über Wurzeln gemacht. Nein, nein; wie ich die Sache verstehe, so war hier keine von ihnen dem Verschmachten nahe. Der Sänger fängt aber nun an wunde Füße und müde Beine zu kriegen, das sieht man an der Fährte da. Hier, seht ihr, ist er ausgegleitet. Er hat ein weites und sicheres Geleise; da ist es, wie wenn er auf Schneeschuhen gegangen wäre. Ja, ja. Einer, der immer nur seine Kehle schult, kann seine Beine nicht recht ziehen.«

Durch solch untrügliche Zeugnisse errieth der geübte Waidmann die Wahrheit so sicher und treffend, als ob er bei allen den Vorfällen, die sein Scharfsinn so leicht erklärte, gegenwärtig gewesen wäre. Erfreut über diese Resultate, und beruhigt durch seine so schlagende, einfache Schlußfolge, setzte die Gesellschaft ihren Marsch fort, nachdem sie eine Weile gehalten, um ein eiliges Mal einzunehmen.

Nach beendigtem Essen, warf der Kundschafter einen Blick auf die untergehende Sonne und eilte mit einer Schnelligkeit dahin, daß Heyward und der immer noch kräftige Munro alle Muskeln anstrengen mußten, um gleichen Schritt zu halten. Ihr Weg ging immer längs der schon erwähnten Niederung. Da die Huronen keine weitere Vorsicht gebraucht hatten, ihre Fährte zu verbergen, so hielt keine Ungewißheit die Verfolger mehr auf. Ehe jedoch eine Stunde verging, ließ die Eile Hawk-eye’s merklich nach, und sein Haupt wandte sich, statt die frühere gerade Richtung nach vorne beizubehalten, vorsichtig bald auf diese, bald auf jene Seite, als ob er eine nahende Gefahr ahne. Endlich hielt er an und wartete, bis die ganze Gesellschaft zu ihm herangekommen war. »Ich wittere die Huronen,« sagte er zu den Mohikanern: »dort zwischen den Baumgipfeln wird es Licht, wir kommen am Ende ihrem Lager zu nahe. Sagamore, nimm du den Hügel hier zur Rechten und Uncas geht links den Bach entlang, indeß ich die Spur Verfolge. Wenn es was gibt, so wird dreimal wie ’ne Krähe gekrächzt. Ich sah so eben einen dieser Vögel durch die Luft streichen, gerade über jener abgestorbenen Eiche – auch ein Zeichen, daß wir an ein Lager kommen,«

Die Indianer entfernten sich, ohne ein Wort zu erwiedern, Jeder nach seiner Seite hin, während Hawk-eye mit den beiden Offizieren weiter vorschritt. Heyward drängte sich bald an die Seite ihres Führers heran, begierig, der Feinde, die er mit solcher Mühe und Angst verfolgte, ansichtig zu werden. Sein Begleiter wies ihn an, nach dem Rande des Waldes zu schleichen, der wie gewöhnlich mit einem Dickicht umgeben war, und zu warten bis er komme: denn er wollte einige verdächtige Zeichen, die sich zur Seite darboten, untersuchen. Duncan gehorchte, und fand sich bald an einem Punkte, wo er eine Aussicht beherrschte, die ihm so außerordentlich, als neu erschien.

Die Bäume waren viele Morgen weit gefällt und die Glut eines milden Sommerabends lag auf der Lichtung, in schönem Kontrast mit der dunkleren Färbung der Wälder. In geringer Entfernung von der Stelle, wo Duncan stand, hatte sich der Bach in einen kleinen See erweitert, der den größten Theil der Niederung zwischen den Bergen einnahm und aus diesem weiten Becken in einem so regelmäßigen und sanften Wasserfalle abfloß, daß man mehr das Werk von Menschenhänden, als ein Gebilde der Natur zu erblicken glaubte. Hunderte von Wohnungen aus Erde standen an dem Rande des Sees und selbst noch in dem Wasser, als ob die Flut über ihr gewöhnliches Ufer getreten wäre. Die eigenthümlichen Dächer, zum Schutze gegen das Unwetter wundersam gerundet, zeugten von mehr Sorgfalt und Umsicht, als die Eingebornen ihren gewöhnlichen Hütten zu widmen pflegten, und waren denen am wenigsten zu vergleichen, die nur zu zeitigem Gebrauche während der Jagd und des Kriegs dienten. Kurz das ganze Dorf oder die kleine Stadt, wie man es nennen konnte, war niedlicher und mit mehr Kunstaufwand gebaut, als die Weißen bei den Indianern gewöhnlich vorauszusetzen pflegten. Der Ort schien jedoch verlassen; wenigstens war Duncan eine Weile dieser Meinung: endlich aber glaubte er mehrere menschliche Gestalten zu erblicken, die auf allen Vieren herankamen, und etwas Schweres, wie er schließen wollte, vielleicht eine furchtbare Kriegsmaschine, hinter sich schleppten. Eben jetzt schauten mehrere schwarze Köpfe aus den Wohnungen hervor und der Platz schien plötzlich von Wesen belebt, die so schnell von Versteck zu Versteck eilten, das es ihm unmöglich war ihre Stimmung oder Absicht zu unterscheiden. Beunruhigt durch diese verdächtigen und unerklärlichen Bewegungen, war er im Begriff, das Krähensignal zu geben, als ein nahes Rauschen der Blätter seine Augen nach einer andern Seite zog.

Der junge Mann fuhr auf und prallte einige Schritte instinktmäßig zurück, als er einige hundert Schritte vor sich einen fremden Indianer erblickte. Er ermannte sich jedoch augenblicklich wieder, und blieb, statt Lärm zu machen, der ihm selbst hätte verderblich werden können, unbeweglich stehen, ein aufmerksamer Beobachter des neuen Ankömmlings.

Ein Augenblick ruhiger Betrachtung überzeugte Duncan, daß er noch unentdeckt sey. Der Eingeborne schien, wie er, beschäftigt, die niedrigen Hütten des Dorfes und die eiligen Bewegungen seiner Bewohner zu beschauen. Unter der Maske einer grotesken Malerei waren seine Gesichtszüge unmöglich zu erkennen: doch war es Duncan, als ob sie eher Schwermuth als Wildheit ausdrückten. Sein Kopf war, wie gewöhnlich, geschoren bis auf den Scheitel, von dessen Schopf drei oder vier verwitterte Falkenfedern lose herabwehten. Ein zerrissener Calicomantel umgab seinen Leib zur Hälfte, während der untere Theil seiner Bekleidung aus einem schlichten Hemde bestand, dessen Aermel einen Dienst versahen, der sonst durch eine weit bequemere Vorrichtung geleistet wird. Seine Beine waren nackt und von Dornen kläglich zerrissen, seine Füße aber trugen ein paar Moccasins von gutem Hirschleder. Kurz das Aussehen des Individuums war verwahrlost und elend.

Duncan war immer noch mit neugieriger Betrachtung seines Nachbars beschäftigt, als der Kundschafter still und vorsichtig an seine Seite schlich.

»Ihr seht, wir haben eine ihrer Niederlassungen oder ein Lager erreicht,« flüsterte ihm der junge Mann zu, »und hier ist einer der Wilden selbst, der unsere ferneren Bewegungen sehr störend hemmt.«

Hawk-eye fuhr auf und ließ seine Büchse sinken, als er, dem Finger seines Begleiters folgend, den Fremden gewahrte. Doch senkte er die gefährliche Mündung wieder und streckte seinen langen Nacken vor, als sollte dieser eine so mißliche Untersuchung noch weiter unterstützen.

»Der Schelm ist kein Hurone« sprach er, »auch keiner aus den Canadastämmen, und doch seht Ihr an seinen Kleidern, daß er einen Weißen geplündert hat. Ja, Montcalm hat die Wälder für seinen Einfall gebrandschatzt und eine lärmende, mörderische Rotte um sich versammelt. Könnt Ihr sehen, wo er seine Büchse oder seinen Bogen abgelegt hat?«

»Er scheint unbewaffnet, und überhaupt keine schlimmen Absichten zu hegen. Wenn er nicht seine Gefährten, die dort unten am Wasser sich ducken, in Allarm bringt, so haben wir nur wenig von ihm zu fürchten.«

Der Kundschafter wandte sich gegen Heyward und sah ihn einen Augenblick mit unverholenem Erstaunen an: dann öffnete er den Mund weit und brach in ein volles und herzliches Lachen aus, aber immer in jener schweigsamen Weise, die ihn häufige Gefahr gelehrt hatte.

»Gefährten, die am Wasser herumschleichen!« wiederholte er: »das hat man davon, daß man seine Jugend in der Schule und innerhalb der Niederlassungen verbringt! Der Schelm hat jedoch lange Beine und wir dürfen ihm nicht ganz trauen. Haltet ihn mit eurer Büchse im Respekt, bis ich durch das Gebüsch von hinten heranschleiche und ihn lebendig fange. Schießt aber auf keinen Fall!«

Schon war sein Gefährte halb in dem Dickicht verschwunden, als Heyward seinen Arm vorstreckte, und ihn mit der Frage noch einmal anhielt:

»Wenn ich euch in Gefahr weiß, soll ich da nicht einen Schuß wagen?«

Hawk-eye sah ihn einen Augenblick an, wie einer, der nicht recht wußte, wie er die Frage nehmen sollte; dann nickte er mit dem Kopfe und antwortete lachend, obgleich kaum hörbar:

»Ein ganzes Pelotonfeuer, Major!«

Im nächsten Augenblick verbargen ihn die Blätter. Duncan wartete einige Minuten in fieberhafter Ungeduld, bis er den Kundschafter wieder gewahrte. Jetzt kam dieser von neuem zum Vorschein, auf der Erde liegend, von der ihn sein Anzug schwer unterscheiden ließ, und gerade auf seinen beabsichtigten Gefangenen zukriechend. Als er noch einige Schritte von ihm entfernt war, richtete er sich still und langsam auf. In diesem Augenblick fielen mehrere laute Schläge in das Wasser und Duncan wandte seine Augen gerade noch zur Zeit, um hundert schwarze Gestalten zusammen in das kleine in Aufruhr gebrachte Gewässer plumpen zu sehen. Er griff nach seiner Büchse; und seine Blicke richteten sich wieder auf den nahen Indianer. Statt über den Lärm zu stutzen, streckte der Wilde unwillkührlich den Hals vor, als ob auch er die Bewegungen um den düstern See mit einer Art einfältiger Neugierde bewachen wollte. Mittler Weile schwebte Hawk-eye’s Hand über ihm, sank aber wieder ohne sichtbaren Grund, und ihr Eigenthümer überließ sich von neuem einem langen, obgleich immer noch verborgenen Ausbruch von Heiterkeit. Endlich nachdem sein herzliches Gelächter zu Ende war, gab er, statt sein Schlachtopfer an der Kehle zu fassen, ihm einen leichten Schlag auf die Schulter und rief laut:

»Wie, Freund, habt ihr vor, die Biber singen zu lehren?«

»Gewiß,« war die schnelle Antwort. »Das Wesen, das ihnen möglich machte, seine Gaben so gut anzuwenden, wird ihnen nicht die Stimme versagen, sein Lob zu singen.«