Dreizehntes Kapitel.

Ich suche einen nähern Weg.
Parnell.

Der Weg, welchen Hawk-eye einschlug, führte quer über die sandigen, hier und da von Thälern und Wellungen der Hügel durchschnittenen Ebenen, über welche sie am Morgen desselben Tages unter Magua’s Führung gekommen waren. Die Sonne war jetzt tief gegen die entfernten Berge gefallen, und da ihr Weg durch die endlosen Waldräume ging, so war die Hitze jetzt nicht mehr so drückend. Ihre Reise ging also rascher von Statten, und lange vor Einbruch der Dämmerung hatten sie eine gute, obwohl beschwerliche Strecke ihres Heimweges zurückgelegt. Der Jäger schien, wie der Wilde, dessen Stelle er eingenommen hatte, auf geheime Merkzeichen in der Wildniß mit einer Art von Instinkt zu achten, ließ selten von seiner Eile nach und hielt niemals an, um mit sich zu Rathe zu gehen. Ein schneller Blick im Vorübergehen auf das Moos an den Bäumen, auf die niedergehende Sonne, auf den Lauf der zahlreichen Gewässer, reichte hin, ihm Gewißheit zu geben, daß er auf dem rechten Wege sey, ohne ihm irgend einen Zweifel darüber zu lassen. Mittlerweile begann der Wald seine Farbe zu wechseln, und das lebhafte Grün, das seine Laubgewölbe verschönert hatte, verlor sich in das dunklere Licht, welches den Einbruch der Nacht zu verkündigen pflegt.

Während die Augen der Schwestern zwischen den Bäumen durch in die goldene Strahlenflut blickten, die einen glänzenden Hof um die Sonne bildete und eine längs den Hügeln im Westen aufgethürmte Wolkenmasse bald hier und dort mit Purpurstreifen durchzog, bald mit einem schmalen Saume des glänzendsten Goldgelb begränzte, wandte sich Hawk-eye plötzlich und sprach, indem er auf den prachtvollen Himmel wies:

»Dies ist das Zeichen für den Menschen, die Nahrung und Ruhe zu suchen, deren er bedarf. Besser und weiser wäre es, wenn er auf diese Zeichen der Natur merken und sich von den Vögeln in der Luft und den Thieren auf dem Felde eine Lehre nehmen wollte. Unsere Nachtruhe wird jedoch bald vorüber seyn: mit dem Monde müssen wir wieder aufbrechen und weiterziehen. Ich erinnere mich noch, hier mit den Magua’s gekämpft zu haben, in dem ersten Kriege, in dem ich Menschenblut vergoß. Wir errichteten ein Blockhaus, um dieses Rabengezüchte von unsern Skalpen fern zu halten. Wenn meine Merkzeichen mich nicht täuschen, so finden wir’s ein paar Ruthen weiter zur Linken.«

Ohne eine zustimmende Aeußerung oder auch nur eine Antwort abzuwarten, trat der rüstige Kundschafter unbedenklich in ein dichtes Gehölz von jungen Kastanienbäumen, indem er die Zweige der üppigen, auf dem Boden empor wuchernden Schößlinge bei Seite schob, als erwartete er mit jedem Schritte eines früher bekannten Gegenstandes wieder ansichtig zu werden. Seine Erinnerungen täuschten ihn nicht. Nachdem er sich einige hundert Schritte weit durch das mit Brombeersträuchen verwachsene Unterholz durchgearbeitet hatte, gelangte er auf eine offene Stelle, die ein niedriger, kleiner Rasenhügel umgab, auf welchem das verfallene Blockhaus stand. Dieses rohe, vernachläßigte Gebäude war eines jener verlassenen Werke, zu augenblicklichem Gebrauche aufgebaut, und, wenn die Gefahr verschwunden war, wieder aufgegeben; es lag jetzt in der Einsamkeit des Waldes, verfallen, vernachläßigt und beinahe vergessen, wie die Umstände, die seine Errichtung herbeigeführt hatten. Solche Denkmale früherer Kämpfe findet man noch häufig auf der breiten Gränze der Wildniß, welche einst die feindlichen Provinzen trennte: sie bilden eine Art Ruinen, die mit den Erinnerungen der Kolonialgeschichte im engsten Verbande stehen und dem düstern Charakter der umgebenden Schauplätze vollkommen entsprechen.

Das Rindendach war längst zerfallen und hatte sich mit dem Erdreich vermischt; die mächtigen Fichtenblöcke aber, die eilig über einander geschoben wurden, ruhten noch an ihrer Stelle; doch war eine Ecke des Gebäudes gewichen und drohte den baldigen Einsturz des Ganzen. Während Heyward und seine Begleiter zögerten, das zerfallene Gebäude zu betreten, beschritten Hawk-eye und die Indianer nicht allein ohne Furcht, sondern selbst mit sichtbarem Interesse die niederen Wände. Indeß der Erstere die Ruinen innen und außen mit der Neugierde eines Mannes, dessen Erinnerungen mit jedem Augenblicke wieder lebendiger werden, betrachtete, erzählte Chingachgook seinem Sohne in delawarischer Sprache und mit dem Stolze des Siegers die kurze Geschichte des Scharmützels, das in seiner Jugend auf diesem abgeschiedenen Punkte Statt gesunden hatte. Ein Zug der Schwermuth mischte sich jedoch in seinen Triumph und gab seiner Stimme, wie so oft, etwas eigenthümlich Sanftes und Musikalisches.

Mittlerweile waren die Schwestern munter vom Pferde gestiegen und schickten sich an, in der Abendkühle an einem Orte, dessen Sicherheit, wie sie glaubten, nur durch die Thiere des Waldes gestört werden konnte, auszuruhen.

»Wäre es nicht besser gewesen, mein würdiger Freund,« fragte der wachsamere Duncan, als er sah, daß der Kundschafter seine kurze Untersuchung beendigt hatte, »wenn wir unsern Abstand an einem weniger bekannten und seltener besuchten Orte genommen hätten?«

»Wenige sind am Leben, welche von der Errichtung dieses Blockhauses etwas wissen,« antwortete dieser langsam und nachdenklich, »es geschieht nicht oft, daß Bücher gemacht und Erzählungen geschrieben werden über ein solches Scharmützel, wie hier in einem Krieg zwischen den Mohikanern und den Mohawks Statt gefunden hat. Ich war damals noch ein junger Bursche und zog mit den Delawaren aus, weil ich wußte, daß sie ungerechter Weise verleumdet waren. Vierzig Tage und vierzig Nächte lagen die Schufte, nach unserem Blute dürstend, um dieses Blockgebäude, dessen Plan ich selbst entworfen, und das ich zum Theil selbst mit aufgeführt habe, obgleich ich, wie Ihr wißt, kein Indianer, sondern ein Weißer von unverfälschtem Blute bin. Die Delawaren halfen mir’s aufführen und wir hielten’s zehen gegen zwanzig, bis unsere Zahl beinahe gleich war: dann machten wir einen Ausfall auf die Hunde, und Keiner entkam, das Schicksal der Seinigen zu verkünden. Ja, ja, ich war damals noch jung und der Anblick des Blutes war mir neu, ich konnte den Gedanken nicht ertragen, daß beseelte Geschöpfe, wie ich, auf der nackten Erde von den Thieren zerrissen oder im Regen gebleicht werden sollten. Deshalb begrub ich die Todten mit eigenen Händen unter eben dem Hügel, auf dem Ihr Platz genommen habt, und angenehm sitzt sich’s darauf, obgleich er aus menschlichen Gebeinen besteht.«

Heyward und die beiden Schwestern fuhren augenblicklich von dem Rasengrabmahl auf, und Letztere überlief unwillkürlich ein Grauen, obgleich sie selbst erst so schreckliche Scenen erlebt hatten, als sie sich in so unmittelbarer Berührung mit dem Grabe der gefallenen Mohawks fanden. Das Dämmerlicht, das düstere Dickicht, hinter welchem sich die Fichten in athemlosem Schweigen bis in die Wolken erhoben, und die Todtenstille in dem weiten Walde umher – Alles vereinigte sich, ein solches Gefühl noch zu steigern.

»Sie sind dahin und thun Niemand mehr etwas zu Leide,« fuhr Hawk-eye fort, indem er, melancholisch lächelnd über ihrer sichtbaren Unruhe, die Hand bewegte: »die erheben kein Schlachtgeheul mehr, können keinen Streich mit dem Tomahawk mehr führen! Und von allen denen, die sie bestatten halfen, sind Chingachgook und ich noch allein am Leben! Die Brüder und die Familie Chingachgook’s bildeten unsere ganze Kriegspartei, und Ihr seht hier Alles beisammen, was noch von seinem Geschlechte übrig ist.«

Die Augen der Zuhörer suchten unwillkürlich die Gestalten der Indianer in mitleidiger Theilnahme an ihrem trostlosen Schicksale. In dem Schatten des Blockhauses gewahrte man ihre dunkeln Umrisse: der Sohn lauschte der Erzählung des Vaters mit der gespanntesten Aufmerksamkeit, wie sie ein Bericht zur Folge haben mußte, der so sehr den Ruhm von Männern pries, die er schon lange um ihres Muthes und ihrer wilden Tugenden willen verehrt hatte.

»Ich hatte geglaubt, die Delawaren seyen ein friedfertiges Volk,« sagte Duncan; »hätten nie persönlich Krieg geführt, und die Vertheidigung ihres Landes eben den Mohawks anvertraut, die Ihr erschlagen habt.«

»Das ist zum Theil wahr,« antwortete der Kundschafter, »und doch im Grunde eine heillose Lüge. Ein solcher Vertrag ward in früheren Zeiten durch die teuflischen Kniffe der Holländer geschlossen. Sie wollten dadurch die Eingebornen entwaffnen, die das meiste Recht auf ein Land besaßen, in dem Jene sich niedergelassen hatten. Die Mohikaner, obgleich zu demselben Stamme gehörig, achteten in ihrem Verkehre mit den Engländern nie auf diesen thörichten Vertrag, sondern vertrauten ihrer Tapferkeit, und so thaten auch die Delawaren, als ihnen die Augen über ihre Thorheit geöffnet wurden. Ihr seht den Häuptling der großen Mohikaner-Sagamoren vor Euch! Seine Familie konnte einst den Damhirsch über Länderstrecken jagen, größer als die von Albany Patteroon, ohne über einen Bach oder Hügel zu kommen, der ihr nicht zugehörte. Aber was ist ihrem Abkömmling geblieben? Er findet, so’s Gott gefällt, seine sechs Fuß Erde und ruht hier vielleicht im Frieden, wenn er einen Freund hat, der sich die Mühe nimmt, sein Haupt so tief in die Grube zu legen, daß die Pflugschaar es nicht erreichen kann.«

»Genug!« fiel Heyward ein, welcher besorgte, der Gegenstand möchte auf eine Erörterung führen, welche die zur Rettung seiner schönen Schutzbefohlenen so unumgänglich nothwendige Eintracht stören könnte.

»Wir sind weit gereist, und Wenige unter uns besitzen eine Körperkraft wie die Eurige, die keine Ermüdung, keine Schwäche zu kennen scheint.«

»Meine Sehnen und Knochen helfen mir allerdings überall durch,« sagte der Jäger, indem er seine muskulösen Glieder mit einer Schlichtheit des Ausdrucks überschaute, die verrieth, mit welch aufrichtigem Behagen er diesen Lobspruch aufnahm; »es gibt größere und stärkere Leute in den Niederlassungen, Ihr könnt aber viele Tage in einer Stadt umgehen, bis Ihr einen findet, der im Stande ist, seine fünfzig Meilen zu gehen, ohne zu halten, um Athem zu schöpfen, oder der den Hunden auf der Jagd mehrere Stunden nicht aus der Hörweite kommt. Da aber Fleisch und Blut nicht immer dieselben sind, so ist es nach alle dem, was die Frauenzimmer heute erlebt und durchgemacht haben, nicht mehr als billig, anzunehmen, daß sie zu ruhen wünschen. Uncas, reinige die Quelle, während Dein Vater und ich über ihre zarten Häupter von diesen Kastanienschößlingen ein Obdach und aus Gras und Blättern eine Lagerstätte bereiten.«

Das Gespräch verstummte, während der Jäger und seine Gefährten beschäftigt waren, für die Bequemlichkeit und den Schutz der ihrer Führung Anvertrauten zu sorgen. Eine Quelle, welche vor vielen Jahren die Eingebornen veranlaßt hatte, diesen Platz für ihre zeitigen Verschanzungen zu wählen, war bald von den Blättern gereinigt und goß nun ihren reinen Krystall über den grünenden Hügel herab. Eine Ecke des Gebäudes ward jetzt in so weit mit einem Obdache versehen, daß der in diesem Himmelsstriche stark fallende Nachtthau eine Abhaltung fand, und Schichten von weichen Zweigen und dürrem Laub wurden darunter zum Ruhelager für sie ausgebreitet.

Während die emsigen Waidmänner in dieser Weise beschäftigt waren, genossen Cora und Alice Erfrischungen, die mehr Bedürfniß als Geschmack sie annehmen hieß. Bald darauf zogen sie sich in das Blockhaus zurück, dankten erst dem Himmel für die Gnade, die ihnen bisher zu Theil geworden war, und flehten um Fortdauer der göttlichen Huld auch für die künftige Nacht; dann legten sie ihre zarten Glieder auf das duftende Lager, und trotz aller peinlichen Erinnerungen und Besorgnisse sanken sie bald in jenen Schlummer, den die Natur so gebieterisch forderte und mit Hoffnungen auf den kommenden Morgen versüßte.

Duncan hatte sich angeschickt, die Nacht gerade vor der Ruine zu durchwachen; aber der Kundschafter, welcher seine Absicht bemerkte, deutete auf Chingachgook, während er sich unbekümmert auf das Gras niederstreckte, und sagte:

»Die Augen des weißen Mannes sind zu schwerfällig und zu blind für eine solche Wache! Der Mohikaner wird unsere Schildwache seyn; wir dürfen ruhig schlafen.«

»Ich bin vorige Nacht auf meinem Posten eingeschlummert,« entgegnete Heyward, »und habe weniger Ruhe nöthig, denn Ihr, die Ihr dem Charakter eines Soldaten mehr Ehre gemacht habt! Laßt darum Alle schlafen, ich allein will Wache halten.« »Wenn wir unter den weißen Zelten des sechzigsten Regiments und vor einem Feinde, wie die Franzosen lägen, wünschte ich mir keinen bessern Wächter,« versetzte der Kundschafter, »aber in der Finsterniß und mitten in der Wildniß würdet Ihr nicht viel schärfer beobachten können, als ein Kind, und Eure Wachsamkeit wäre umsonst. Macht es denn wie ich und Uncas und schlafet: schlafet unbesorgt!«

Heyward gewahrte wirklich, daß der jüngere Indianer, während sie noch sprachen, sich an dem kleinen Hügel niedergelegt hatte, wie einer, der die zur Ruhe vergönnte Zeit sich bestmöglich zu Nutze machen will; seinem Beispiel war auch David gefolgt, dessen Stimme buchstäblich »an seinem Schlunde klebte«, während das Fieber seiner Wunde durch die Anstrengungen der Reise nur gesteigert worden war. Nicht gemeint, eine nutzlose Erörterung fortzuspinnen, that der junge Mann, als ob er willfahren wollte, lehnte seinen Rücken, halb zurückliegend, an die Stämme des Blockhauses, war aber fest entschlossen, kein Auge zu schließen, bis er sein ihm anvertrautes kostbares Gut in Munro’s Hände überantwortet hätte. Hawk-eye, in der Meinung, seinen Gefährten überredet zu haben, schlief seinerseits alsbald ein, und eine Stille, so tief als die Einsamkeit, die sie umgab, herrschte durch diese abgeschiedenen Räume.

Eine Zeit lang hielt Duncan wirklich seine Sinne munter und aufmerksam auf jeden Laut, der sich in dem Walde hören ließ. Sein Gesicht ward schärfer, während die Schatten der Nacht über seine Umgebung sich lagerten, und selbst, als die Sterne über seinem Haupte funkelten, konnte er noch die rückgelehnten Gestalten seiner Begleiter, wie sie auf dem Grase hingestreckt lagen, selbst die Gestalt Chingachgook’s, unterscheiden, der aufrecht und bewegungslos da saß, einem der Bäume ähnlich, welche die dunkle Gränzlinie auf jeder Seite von ihnen bildeten. Noch hörte er die leisen Athemzüge der Schwestern, welche wenige Schritte entfernt von ihm lagen, und der Luftzug bewegte kein Blättchen, dessen flüsternden Laut sein Ohr nicht vernommen hätte. Endlich mischten sich die melancholischen Töne eines Waldvogels mit dem klagenden Geschrei der Eule; seine müden Augen suchten noch hin und wieder das funkelnde Licht der Sterne, und dann war ihm, als sähe er sie noch durch seine geschlossenen Augenlieder. In Augenblicken flüchtigen Erwachens hielt er einen Busch für seinen Mitwächter; sein Kopf sank aber bald wieder auf die Schulter und diese suchte ihrerseits auf der Erde eine Stütze; endlich erschlaffte seine ganze Gestalt und der junge Mann verfiel in einen tiefen Schlaf; er träumte, er sey ein Ritter alter Zeit, der seine mitternächtliche Wache vor dem Zelte einer befreiten Prinzessin halte, deren Gunst er durch einen solchen Beweis der Aufopferung und Wachsamkeit zu gewinnen hoffe.

Wie lange der erschöpfte Duncan in diesem Zustande der Bewußtlosigkeit lag, wußte er selbst nicht zu sagen. Seine Schlummergesichte waren aber lange schon vorüber, als ihn ein leichter Schlag auf die Schulter weckte. Aufgeschreckt durch diese Mahnung, sprang er empor mit der verworrenen Erinnerung an die Pflicht, die er sich zu Anfang der Nacht auferlegt hatte.

»Wer da?« fragte er, nach der Stelle greifend, wo sonst sein Degen hing. »Sprich! Freund oder Feind?«

»Freund,« erwiederte die leise Stimme Chingachgook’s, welcher auf den Lichtkörper deutete, der seinen milden Schimmer durch die Oeffnung der Bäume gerade auf ihren Bivouac ergoß, und in seinem gebrochenen Englisch fortfuhr: »Mond kommt und weißen Mannes Fort weit – weit entfernt. Zeit zum Aufbruch, wenn Schlaf beide Augen des Franzmanns schließt!«

»Du hast Recht, rufe Deine Freunde auf und sattelt die Pferde, während ich meine Begleiterinnen für den Marsch vorbereite.«

»Wir wachen, Duncan,« sprach Alice mit ihrer sanften Silberstimme, innerhalb des Gebäudes, »und fühlen uns nach einem so erquickenden Schlafe zu der eiligsten Reise gestärkt. Aber Sie haben die ganze Nacht hindurch für uns gewacht, nach den langen und großen Anstrengungen des gestrigen Tages!«

»Sagen Sie vielmehr, daß ich wachen wollte; aber meine treulosen Augen haben mir einen Spuck gemacht; zum zweiten Mal habe ich mich des anvertrauten Gutes unwürdig gezeigt.«

»Nein, Duncan, läugnen Sie nicht,« unterbrach ihn lächelnd Alice, indem sie in aller Lieblichkeit ihrer frisch erblühten Reize aus dem Schatten des Gebäudes in das Licht des Mondes trat, »ich weiß, sorglos sind Sie, wenn Sie an sich selbst zu denken haben, und nur zu wachsam für das Wohl Anderer. Können wir hier nicht noch ein wenig verweilen, bis Sie die Ruhe gefunden, deren Sie bedürftig sind? Mit Freude, mit der größten Freude werden Cora und ich Wache halten, während Sie und diese wackern Männer einigen Schlafes genießen.«

»Wenn Scham mich von meiner Schläfrigkeit heilen könnte, so sollte sich mein Auge nie mehr schließen,« sprach der unzufriedene Jüngling, Alice in ihr offenes Antlitz blickend, in dessen zarter Besorgniß er jedoch nichts las, was seinen halb erwachten Argwohn hätte bestätigen können. »Aber es ist nur zu wahr, nachdem ich Sie durch meine Unbesonnenheit in diese Gefahr gebracht habe, bleibt mir nicht einmal das Verdienst, Ihre Ruhe so überwacht zu haben, wie es die Pflicht des Soldaten ist.«

»Niemand außer Duncan kann sich selbst einer solchen Schwäche anklagen. Gehen Sie denn zur Ruhe, glauben Sie mir, keine von uns beiden, so schwache Mädchen wir auch sind, wird sich als läßige Wache erweisen.«

Der junge Mann sah sich der Verlegenheit, seine Schuld auf’s Neue zu betheuern, durch einen Ausruf Chingachgook’s und die Stellung gespannter Aufmerksamkeit, die dessen Sohn einnahm, überhoben,

»Die Mohikaner hören einen Feind!« flüsterte Hawk-eye, der indessen mit den Uebrigen wach und munter geworden war. »Der Wind läßt sie Gefahr wittern.«

»Das wolle Gott verhüten!« rief Heyward. »Wir haben genug Blutvergießen gehabt.«

Mit diesen Worten jedoch griff der junge Kriegsmann nach seiner Büchse und trat in den Vordergrund, bereit, seine unverzeihliche Nachläßigkeit abzubüßen, indem er sein Leben für die Vertheidigung seiner Schutzbefohlenen unbekümmert aussetzte.

»Es ist das Knistern eines Waldthiers, das um uns herum Futter sucht,« flüsterte er, sobald die leisen und anscheinend entfernten Laute, welche die Mohikaner aufgeschreckt hatten, sein eigenes Ohr erreichten. »St!« entgegnete der aufmerksame Kundschafter, »’s ist ein Mensch; ich selbst erkenne jetzt seinen Tritt, so unvollkommen auch meine Sinne im Vergleich mit denen eines Indianers sind. Der entwischte Hurone ist wahrscheinlich auf eine Streifpartie Montcalm’s gestoßen und hat jetzt unsere Fährte. Es sollte mir Leid thun, wenn ich an diesem Orte noch mehr Blut vergießen sollte,« fuhr er mit einem unruhigen Blick auf seine düstere Umgebung fort, »aber wenn es seyn muß, muß es seyn! Führe die Pferde in das Blockhaus, Uncas, und Ihr, Freunde, folgt ihnen nach. So alt und dürftig das Gebäude ist, so gewährt es immerhin einigen Schutz, und hat manchesmal schon von Büchsenknall wiedergetönt!«

Er fand keine Widerrede, und die Mohikaner führten die Narragansets in die Ruine, wohin sich auch die übrige Gesellschaft in größter Stille begab.

Das Geräusch nahender Fußtritte ließ sich jetzt zu deutlich vernehmen, als daß man noch über die Art der Unterbrechung hätte ungewiß seyn können. Bald mischten sich Menschenstimmen darein, sie riefen sich einander in einer Mundart zu, die, wie der Jäger Heyward zuflüsterte, die Sprache der Huronen war. Als sie an die Stelle kamen, wo die Pferde das Dickicht in der Umgebung des Blockhauses betreten hatten, verloren sie offenbar die Spur, weil ihnen die bisherigen Kennzeichen mangelten.

Nach den Stimmen zu schließen, waren bald ihrer zwanzig an jenem Orte versammelt, und gaben lärmend ihre verschiedenen Meinungen und Rathschläge.

»Die Schelme kennen unsere Schwäche,« flüsterte Hawk-eye, welcher neben Heyward in tiefem Schatten stand und durch eine kleine Oeffnung zwischen den Stämmen blickte, »sonst würden sie kein so müßiges Squawgeschwätz führen. Da hört ‚mal das Gewürm, jeder von ihnen scheint zwei Zungen und nur ein Bein zu haben.«

So tapfer Duncan im Kampfe war, so vermochte er doch auf diese kaltblütige und charakteristische Bemerkung des Kundschafters nicht zu antworten. Er faßte nur seine Büchse fester und heftete mit steigender Unruhe seinen Blick durch die enge Oeffnung auf die mondbeleuchtete Umgebung. Die tieferen Töne eines Wilden, der mit gebieterischem Nachdruck zu sprechen schien, ließen sich vernehmen, und die Stille, mit welcher sein Befehl, oder vielmehr sein Rath aufgenommen wurde, bewies die Achtung, in der er stehen mußte. Aus dem Rauschen der Blätter und dem Brechen der dürren Zweige ging jetzt hervor, daß sich die Wilden trennten, um die verlorene Spur wieder aufzufinden. Zum Glück für die Verfolgten war das Mondlicht, welches einen milden Schimmer über die kleine Lichtung vor der Ruine verbreitete, nicht stark genug, um die dichten Waldgewölbe zu durchdringen, wo alle Gegenstände noch in trügerischem Schatten lagen. Die Nachforschung blieb erfolglos; denn so kurz und plötzlich war der Uebergang von dem schwachen Pfadstrich der Reisenden in das Dickicht gewesen, daß jede Spur ihrer Fußtritte in der Dunkelheit der Wälder sich verloren hatte.

Nicht lange jedoch währte es, so hörte man die rastlosen Wilden durch das Gestrüpp brechen und sich allmählich dem innern Rande des dichten Kreises von jungen Kastanienbäumen nähern, welche die kleine Fläche umgaben.

»Sie kommen,« murmelte Heyward, indem er seine Büchse zwischen zwei Bäumen durchzustecken suchte; »wir wollen bei ihrer Annäherung Feuer geben.«

»Haltet Alles im Schatten,« sprach der Kundschafter; »das Schnappen des Feuersteins, oder selbst der Geruch eines einzigen Pulverkorns auf der Zündpfanne würde sie uns wie hungrige Wölfe über’n Hals bringen. Sollte es Gott gefallen, daß wir für unsere Skalpe kämpfen müßten, so vertraut auf die Erfahrung von Männern, welche die Wege der Wilden kennen und selten dahinten bleiben, wenn das Kriegsgeschrei ertönt.«

Duncan blickte zurück und sah, wie die zitternden Schwestern sich in einem fernen Winkel des Gebäudes an einander schmiegten, indeß die Mohikaner gleich zwei aufrechten Posten im Schatten standen, bereit loszufeuern, sobald es nöthig seyn würde. Seine Ungeduld bekämpfend, blickte er wieder durch die Oeffnung auf die lichte Fläche und erwartete schweigend den Ausgang. Alsbald öffnete sich das Dickicht und ein hoher bewaffneter Hurone trat einige Schritte auf die offene Fläche vor. Während er das stille Blockhaus betrachtete, fiel das volle Mondlicht auf seine schwärzlichen Züge und verrieth sein Erstaunen und seine Neugierde. Er stieß jenen Ausruf aus, der die erstere Empfindung bei dem Indianer stets zu begleiten pflegt und ein leichter Ruf führte einen Begleiter an seine Seite.

Diese Kinder der Wälder standen einige Augenblicke stille, indem sie auf das verfallene Gebäude deuteten, und in der unverständlichen Sprache ihres Stammes sich mit einander unterhielten. Jetzt näherten sie sich mit langsamen, vorsichtigen Schritten, indem sie jede Minute inne hielten, das Gebäude anzustarren, gleich verscheuchten Damhirschen, deren Neugierde mächtig mit Besorgnissen um die Oberhand streite. Plötzlich stieß einer mit dem Fuße an den Erdhügel und untersuchte ihn. In diesem Augenblick bemerkte Heyward, daß der Kundschafter sein Messer in der Scheide lockerte, und den Hahn seiner Büchse spannte. Diese Bewegungen nachahmend, schickte sich der junge Mann gleichfalls zu einem Kampfe an, der jetzt unvermeidlich schien.

Die Wilden waren so nahe, daß die geringste Bewegung eines der Pferde, oder selbst ein stärkerer Athemzug die Flüchtlinge verrathen hätte. Die Untersuchung des Erdhügels schien jedoch die Aufmerksamkeit der Huronen auf einen andern Gegenstand abgelenkt zu haben. Sie sprachen mit einander; aber der Ton ihrer Stimmen war so tief und feierlich, als hätte sie ein Gefühl der Ehrfurcht und geheimer Scheu ergriffen. Sie zogen sich vorsichtig zurück, indem sie ihre Augen auf die Ruine geheftet hielten, als erwarteten sie Geister der Todten aus den schweigsamen Räumen hervorschweben zu sehen, Endlich erreichten sie den Saum des freien Platzes, traten langsam in das Dickicht zurück und verschwanden.

Hawk-eye ließ den Kolben seiner Büchse auf die Erde sinken und sprach, lang und tief aufathmend, in hörbarem Geflüster:

»Ja, sie scheuen die Todten, und das hat ihnen und vielleicht bessern Menschen als sie, das Leben gerettet.«

Heyward lieh seine Aufmerksamkeit einen Augenblick dem Gefährten, antwortete aber nicht, sondern wandte sich nach denen, die ihn in diesem Moment näher angingen. Er hörte, wie die beiden Huronen das Gebüsch verließen. Der ganze Haufe hatte sich, wie sie jetzt deutlich hörten, um sie versammelt, um mit gespannter Begierde ihren Bericht zu vernehmen. Nach wenigen Minuten ernster und feierlicher Berathung, die sehr verschieden war von dem Lärm, mit dem sie sich zuerst um die Stelle versammelt hatten, wurden die Töne immer schwächer und entfernter, und verloren sich endlich in den Tieferes Waldes. Hawk-eye wartete, bis ein Zeichen des lauschenden Chingachgook ihm die Gewißheit gab, daß jeder Laut der Rückziehenden von der Entfernung verschlungen ward, und gab dann Heyward ein Zeichen, die Pferde vorzuführen und den Schwestern in den Sattel zu helfen. Sobald dies geschehen war, schritten sie aus dem zerfallenen Thorweg und verließen in einer Richtung, derjenigen, in welcher sie gekommen waren, gerade entgegengesetzt, den Ort, indem die Schwestern verstohlene Blicke nach dem stillen Grabmal und dem verfallenen Blockhaus warfen, als sie aus dem sanften Mondlichte traten, um sich in die düstere Tiefe der Wälder zu begraben.