Der alte Macko war der Wahrheit ziemlich nahe gekommen. Zbyszko hatte in der That mit der Vergangenheit abgeschlossen. So oft der junge Ritter Danusias gedachte, fühlte er tiefes Leid um sie, gleichwohl sagte er sich, es sei besser für sie, in himmlischen Gefilden zu wandeln, als am Hofe des Fürsten Janusz zu weilen. Er hatte sich schon in den Gedanken eingelebt, daß sie der Erde entrückt war, er hatte sich damit vertraut gemacht und meinte, es könne nicht anders sein. Einst in Krakau hatte er auf den in Blei gefaßten Kirchenfenstern die farbenreichen, in der Sonne schimmernden Abbildungen der heiligen Jungfrau angestaunt, und jetzt stellte er sich Danusia geradeso vor. Er sah ihr schönes, verklärtes Antlitz, das ein wenig zur Seite gewendet war, ihre gefalteten Händchen, die gen Himmel gerichteten Augen, er sah dann auch, wie sie unter den himmlischen Heerscharen, welche zu Ehren der Mutter Gottes und des Kindes musizieren, in die Saiten der Laute griff. Nichts Irdisches haftete ihr jetzt mehr an, zu einem reinen, körperlosen Wesen war sie ihm geworden, und so oft er daran dachte, wie sie Hoffräulein gewesen, wie sie im Jagdschlosse geplaudert und gelacht hatte, wenn sie mit andern bei Tische saß, überkam ihn eine gewisse Verwunderung, daß dies möglich gewesen war. Schon während des Kriegszuges unter Witold, da sein ganzes Sinnen und Trachten auf Kampf und Schlacht gerichtet war, hatte er der Verstorbenen nicht mehr gedacht wie ein Gatte, der sich nach der Gattin sehnt, sondern er hatte sie angebetet, wie ein Frommer seine Schutzheilige. Auf diese Weise ward seine Liebe mehr und mehr zu einer süßen, himmlisch reinen Erinnerung, ja, schließlich verwandelte sie sich geradezu in andächtige Verehrung.

Wäre er ein Mensch von schwächerem Körperbau und größerer Denkkraft gewesen, so wäre er wohl Mönch geworden, und in der Stille des Klosterlebens hätte er jene himmlisch reine Erinnerung in sich bewahrt bis zu dem Augenblick, da die Seele, von irdischen Banden befreit, sich in den unendlichen Raum erhebt, gleich dem aus seinem Käfig entflohenen Vogel. Aber er stand noch im Anfang der zwanziger Jahre, er konnte mit der Faust den Saft aus einem harten Aste herausdrücken, er konnte sein Roß derart mit den Schenkeln zusammenpressen, daß dem Tiere der Atem ausging. Im großen und ganzen glich er den andern Edelleuten jener Zeit. Diejenigen, welche nicht in der Kindheit starben oder Priester wurden, kannten weder Maß noch Ziel in der Bethätigung ihrer Kraft, manche unter ihnen führten sogar ein ganz zügelloses Leben, ergaben sich der Trunksucht, ließen sich Räubereien zu schulden kommen, wieder andere verheirateten sich in früher Jugend, und wurden sie in reiferem Alter zum Kriege aufgeboten, dann zogen sie mit vierundzwanzig oder auch mehr Söhnen aus, die alle an Stärke mit wilden Ebern wetteifern konnten.

Daß er den bessern Rittern glich und sich mit ihnen messen konnte, dessen war sich Zbyszko nicht bewußt, zumal er gleich nach seiner Rückkehr erkrankte. Allmählich jedoch heilten die schlecht eingerichteten Rippen wieder und nur auf der Seite blieb eine kaum bemerkbare Anschwellung zurück, die ihn jedoch in keiner Weise hinderte und die nicht allein durch den Panzer sondern auch durch gewöhnliche Kleidung vollständig verdeckt werden konnte. Die Ermattung Zbyszkos war vorüber. Seine dichten, blonden Haare, die er gegen das Ende der Trauerzeit schließlich doch noch abgeschnitten hatte, waren wieder gewachsen und fielen ihm über die Schultern herab. Er hatte die frühere ungewöhnliche Schönheit wiedererlangt. Als er vor einigen Jahren in Krakau dem Tod durch Henkershand entgegenging, sah er aus wie ein Jüngling von edlem Geschlechte, jetzt aber war er noch viel schöner geworden, war er in der That einem Königssohne zu vergleichen. Schultern, Brust, Lenden und Arme hatten etwas von dem gewaltigen Körperbau eines Riesen, sein Antlitz hingegen war dem eines Mägdleins ähnlich. Die sich in ihm regende Lebenskraft, durch die lange Ruhe noch mächtiger geworden, schäumte nun in ihm auf, sodaß es ihm wie Feuer durch die Adern lief. Er aber, der nicht wußte, was dies bedeutete, wähnte, er sei immer noch krank und verließ sein Lager nicht, froh daß Macko und Jagienka ihn behüteten und pflegten und ihm in allem willfahrten. Zuweilen dünkte ihn, daß er glücklich, daß er wie im Himmel sei, zuweilen auch – vornehmlich wenn Jagienka sich nicht bei ihm befand – erschien ihm sein Dasein elend, trübselig, unerträglich. Dann dehnten sich seine Muskeln krampfhaft aus, eine wahre Fieberhitze ergriff ihn, und er erklärte Macko, sobald er seine Gesundheit wiedererlangt habe, ziehe er wieder in die Ferne bis an das Ende der Welt, gegen die Deutschen, die Tataren – oder gegen ein anderes barbarisches Volk – nur um dies Leben los zu werden, das schwer auf ihm laste. Anstatt mit ihm zu streiten, nickte dann Macko mit dem Kopfe und stimmte ihm bei – aber mittlerweile sandte er zu Jagienka, bei deren Ankunft stets jeder Gedanke Zbyszkos an neue kriegerische Unternehmungen schwand, wie der Schnee zerschmilzt, wenn die Frühjahrssonne ihn erwärmt.

Sie aber kam eilfertig, nicht nur der Aufforderung wegen, sondern auch aus freiem Willen, denn sie liebte Zbyszko von ganzer Seele und von ganzem Herzen. Während ihres Aufenthaltes an dem Hofe des Bischofs und des Fürsten zu Plock, hatte sie Ritter erschaut, die ebenso schön, ebenso berühmt wegen ihrer Kraft und Tapferkeit waren, und die mehr denn einmal vor ihr niederknieten, um ihr Treue bis zum letzten Atemzuge zu geloben, aber Zbyszko war ihr Auserwählter, ihn hatte sie schon in früher Jugend mit aller Inbrunst einer ersten Neigung geliebt, und durch sein unglückliches Schicksal hatte ihre Liebe in dem Maße zugenommen, daß er ihr jetzt unendlich wert und hundertmal teurer war als alle Ritter, ja als alle Fürsten der Erde. Jetzt, da er mit der zurückkehrenden Gesundheit jeden Tag schöner ward, verwandelte sich schließlich ihre Neigung in solche Leidenschaft, daß für sie die ganze Welt rings umher zu versinken schien. Sich selbst gestand sie indessen dies Gefühl nicht einmal ein, und vor Zbyszko verheimlichte sie es sorgfältig, aus Furcht, er könne sie deshalb geringschätzen. Sogar Macko gegenüber zeigte sie sich jetzt ebenso vorsichtig und schweigsam, wie sie früher vertrauensvoll gewesen war. Einzig nur die zarte Sorge, die sie bei der Pflege des Leidenden an den Tag legte, hätte sie verraten können, daher suchte sie nach einem Vorwande, der ihr häufiges Kommen erklären sollte, und eines Tages sagte sie zu Zbyszko: »Wenn ich ein wenig auf Dich acht gebe, so geschieht es nur aus Zuneigung für Macko. Du hast wohl an einen besondern Grund gedacht? Sprich!«

Und wie wenn sie vorn an der Stirne ihre Haare ordnen wolle, bedeckte sie ihr Gesicht mit der Hand und blickte ihn durch ihre Finger aufmerksam an, er aber, betroffen durch diese unerwartete Frage, antwortete erst nach einer Weile tief errötend: »Ich habe an keinen besondern Grund gedacht. Du bist jetzt eine andere geworden.«

Ein tiefes Schweigen folgte.

»Eine andere?« fragte Jagienka schließlich in leisem, weichem Tone – »Gewiß bin ich anders geworden! Aber daß Du mir jemals gleichgültig werdest, dazu kann es, bei Gott, niemals kommen!«

»Gott lohne Dir für dies Wort!« entgegnete Zbyszko.

Von nun an verkehrten sie zwar auf freundschaftlichem Fuße miteinander, doch lag in ihrem ganzen Gebaren etwas Steifes, Gezwungenes. Zuweilen kam es vor, daß sie miteinander plauderten, aber dabei an ganz andere Dinge dachten. Häufig auch verstummten beide plötzlich. Von seinem Lager aus verfolgte Zbyszko, wie Macko gesagt hatte, Jagienka fortwährend mit den Augen, wohin sie sich auch wendete, denn manchmal erschien sie ihm so wunderbar schön, daß er sie nicht genug betrachten konnte. Nicht selten trafen sich ihre Blicke plötzlich und dann überzog eine helle Glut beider Wangen, und ihre Pulse klopften, wie wenn sie erwartete, etwas zu hören, das ihr Herz erweichen und es ihm vollständig zu eigen machen müsse.

Doch Zbyszko schwieg stille, hatte er doch seine frühere Kühnheit vollständig eingebüßt; er fürchtete Jagienka durch ein unbedachtes Wort zu erschrecken, ja, er redete sich trotz allem, was er sah, ein, sie bringe ihm, und zwar nur Macko zu Gefallen, eine mehr schwesterliche Liebe entgegen.

Er erwähnte dies auch einmal seinem Ohm gegenüber. Umsonst bemühte er sich indessen, ruhig, gleichgültig zu sprechen. Ohne es sich selbst klar zu machen, geriet er in immer größere Erregung, wurde er immer bitterer in seinen Aeußerungen. Macko hörte

.

Jagienka begann schließlich, die Arme erhebend, Zbyszkos goldblondes Haar zu kämmen.

anfänglich alles geduldig mit an, schließlich aber sagte er nur das eine Wort »Thor« und verließ die Stube.

Kaum befand er sich aber im Stalle, rieb er sich schmunzelnd die Hände und schlug sich vor Freude auf die Schenkel.

»Hei,« murmelte er vor sich hin, »wenn sie Dir ohne weiteres in die Arme fiele, würdest Du sie nicht anschauen. Ein wenig Angst kann Dir gar nichts schaden, denn Du bist ein Thor. Während Dir der Mund wässerig gemacht wird, baue ich die Burg. Nichts liegt mir ferner, als Dir in die Hände zu arbeiten, als Dir die Binde von den Augen zu nehmen, ob Du nun auch noch wilder um Dich schlagen magst wie alle Pferde in Bogdaniec. Um ein verlöschendes Feuer aufflammen zu machen, muß man nur Späne darauf werfen; das Feuer bei Dir anzufachen, ist aber, wie ich glaube, durchaus nicht nötig.«

Nein, Macko fachte das Feuer nicht an, im Gegenteile, er entmutigte und quälte Zbyszko in jeder Weise, gleich einem alten, schlauen Spötter, der sich an der Unerfahrenheit der Jugend ergötzt. Als daher eines Tages Zbyszko abermals seinen Entschluß kundgab, in den Krieg zu ziehen, damit er, wie er erklärte, einem ihm unerträglichen Leben entrinne, da meinte der alte Ritter: »Solange auf Deinen Lippen noch kein Flaum sproßte, erteilte ich Dir Ratschläge, nun aber – thue, was Du willst. Wenn Du, Deinem eigenen Ermessen folgend, es für ratsam hältst, von hinnen zu ziehen, so gehe nur, so gehe nur.«

Aufs höchste überrascht, richtete sich Zbyszko auf seinem Lager empor: »Was soll das heißen?« rief er. »Ihr widersetzt Euch meinem Vorhaben nicht?«

»Weshalb sollte ich mich widersetzen? Mir war es nur um unser Geschlecht zu thun, das mit Dir zu Grunde gehen könnte. Doch vielleicht habe ich jetzt ein Mittel gefunden, um dies zu vereiteln.«

»Was für ein Mittel?« fragte Zbyszko beunruhigt.

»Was für eines? Bei meiner Treu, ich habe zwar eine beträchtliche Anzahl von Jahren aus dem Rücken, das läßt sich nicht leugnen – allein es ist immer noch Kraft in meinen Knochen. Sicherlich hätte ein jüngerer als ich bei Jagienka mehr Aussicht – doch da ich ein Freund ihres Vaters war – wer weiß, ob ich nicht –«

»Wohl seid Ihr ein Freund ihres Vaters gewesen, warf jetzt Zbyszko ein, mir aber habt Ihr auch ein Wohlwollen bewiesen – ein – ein …«

Hier mußte der junge Ritter innehalten, weil seine Lippen bebten, allein Macko erklärte: »Traun! Da Du einmal entschlossen bist. Dich selbst zu Grunde zu richten, kann ich nichts dagegen thun.«

»Ei, macht, was Ihr wollt – ich aber ziehe heute schon in die weite Welt.«

»Thor!« murmelte Macko abermals vor sich hin.

Dann verließ er rasch die Stube, um nach den Knechten zu sehen, welche einen Graben rings um das Kastell ausstechen sollten und die zum Teil aus Bogdaniec selbst stammten, zum Teil ihm aber aus Zgorzelic und aus Moczydoly von Jagienka zur Hilfe gesandt worden waren.