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Sie verweilten einige Zeit in Plock, um die nach dem Testamente des Abtes Jagienka zufallende Erbschaft zu ordnen, und mit den nötigen Dokumenten versehen, zogen sie weiter, ohne auf ihrem Wege oft Rast zu machen. Dieser war jetzt nicht beschwerlich und völlig gefahrlos, denn durch die Hitze waren die Moräste ausgetrocknet, die Flüsse in ihr Bett zurückgetreten, und die Landstraße führte durch eine friedliche, von gastfreundlichen Heimatsgenossen bewohnte Gegend. Von Sieradz aus sandte der vorsichtige Macko einen Knecht nach Zgorzelic, um seine und Jagienkas Ankunft zu melden. Daraufhin eilte ihnen Jasko, der Bruder Jagienkas, bis zur Hälfte des Weges entgegen und geleitete sie an der Spitze einiger bewaffneten Mannen nach Hause.

Dies Zusammentreffen erregte viel Jubel, und freudige Ausrufe der Begrüßung wurden laut. Jasko war der Schwester immer so ähnlich gewesen wie ein Tropfen Wasser dem andern, aber jetzt überragte er sie an Größe. Er war ein prächtiger Bursche, mutig, heiter wie sein Vater, von dem er die Lust an frohem Gesang ererbt hatte, und voll sprühendem Leben. Er fühlte sich älter als seine Jahre, war sich seiner Kraft wohl bewußt und meinte, er sei schon ein reifer Mann, denn er verstand es, seinen Knechten den Gebieter zu zeigen, und sie führten schleunigst jeden seiner Befehle aus, offenbar sein Ansehen und seine Macht fürchtend.

Macko und Jagienka staunten nicht wenig über ihn, während er mit großer Freude die Schönheit und das verfeinerte Wesen seiner Schwester bewunderte, die er so lange nicht mehr gesehen hatte. Er erzählte ihnen, er habe schon die Absicht gehegt, Jagienka aufzusuchen, und wenn sie etwas später angelangt wären, so hätten sie ihn nicht mehr in Zgorzelic getroffen. Denn es sei sein Wunsch, die Welt zu sehen, sich mit andern Menschen zu messen, sich die Ritterkünste zu erwerben, sowie auch da und dort Gelegenheit zum Kampfe mit fahrenden Rittern zu finden.

»Es ist gut, wenn man die Sitten und Gebräuche der Menschen kennen lernt,« antwortete Macko, »denn man erfährt dadurch, was man in jeder Lage zu sagen und zu thun hat, und die natürlichen Geistesgaben werden entwickelt. Was aber die Kämpfe anbelangt, so ist es besser, wenn ich Dir sage, daß Du noch zu jung dazu bist, als wenn irgend ein fremder Ritter es Dir sagen müßte, welcher Dich zudem unfehlbar auslachen würde.«

»Aber wenn er mich genug ausgelacht hätte, würde er jammern,« entgegnete Jasko, »oder seine Ehegemahlin und seine Kinder würden jammern.«

Und er schaute mit drohenden Blicken umher, wie wenn er allen fahrenden Rittern der Welt sagen wollte: »Bereitet Euch zum Tode!« Doch der alte Ritter aus Bogdaniec fragte: »Und Cztan und Wilk, haben sie Euch in Frieden gelassen? Ich frage deshalb, weil beide Jagienka nur zu gern sahen.«

»Ei! Wilk ist in Schlesien erschlagen worden. Dort wollte er eine deutsche Burg erstürmen und nahm sie auch ein, aber da wurde ein Holzblock von den Zinnen auf ihn herabgeschleudert und nach zwei Tagen that er den letzten Atemzug.«

»Es ist schade um ihn! Auch sein Vater zog häufig nach Schlesien gegen die Deutschen, welche unser Volk so sehr bedrücken und es ausplündern. Die schwierigste Aufgabe ist die Einnahme einer Burg, denn weder Waffen noch Rüstung, noch ritterliche Künste sind uns dabei von Nutzen. Gott gebe, daß Fürst Witold keine Burgen erobern, sondern die Kreuzritter auf offenem Felde vernichten will! Und Cztan? Was hört man von ihm?«

Jasko fing an zu lachen.

»Cztan hat sich vermählt. Er nahm die wegen ihrer Schönheit berühmte Tochter eines Großbauern aus Wysokie Brzeg zum Weibe. Hei! Nicht nur hübsch ist sie, sondern auch gewandt und rührig. Dem Cztan geht doch mancher gerne aus dem Wege, sie aber schlägt ihn auf die bärtige Schnauze und führt ihn an der Nase herum wie einen Bären an einer Kette.«

Der alte Ritter ward sehr aufgeräumt, als er dies hörte.

»Da seht einmal! Alle Weiber sind gleich. Jagienka, Du wirst einst gerade so sein! Gott sei gelobt, daß durch diese beiden Raufbolde kein Unheil angestiftet ward, denn offen gesprochen, wundert es mich, daß sie in ihrer Bosheit Bogdaniec nicht beschädigt haben.«

»Cztan wollte es auch thun, aber Wilk, welcher der Klügere von beiden war, gestattete es nicht. Er kam zu uns nach Zgorzelic und fragte: ›Was ist aus Jagienka geworden?‹ Ich sagte, eine Erbschaft von dem Abte habe sie veranlaßt, in die Ferne zu ziehen. Da fragte er: ›Weshalb hat mir Macko nichts davon gesagt?‹ Ich gab ihm die Antwort: ›Warum hätte er es Dir sagen sollen? Ist Jagienka etwa die Deine?‹ Und nachdem er eine Weile nachgedacht hat, da erwiderte er: ›Du hast recht, sie ist nicht die Meine!‹ Und da er einen scharfen Verstand hatte, begriff er selbstverständlich, daß er Euch und uns für sich gewinnen würde, wenn er Bogdaniec Cztan gegenüber verteidigte. So kämpften sie denn mit einander, zerfleischten sich gegenseitig und tranken sich dann voll, wie dies ihre Gewohnheit war.«

»Gott sei Wilks Seele gnädig!« sagte Macko.

Und er atmete tief auf, froh darüber, daß ihm in Bogdaniec kein anderer Schaden erwachsen war, als der, den seine lange Abwesenheit veranlaßt hatte.

In der That war kein Anlaß zur Unzufriedenheit vorhanden, im Gegenteil, der Viehstand hatte sich vergrößert, mit der kleinen Stutenherde liefen schon mehrere zweijährige Fohlen, von denen einige, ungewöhnlich große und starke, die Abkömmlinge der friesischen Hengste waren. Der einzige Verlust bestand darin, daß einige der Kriegsgefangenen entflohen waren. Doch nicht viele hatten dies Wagnis unternommen, denn sie konnten sich nur nach Schlesien wenden und dort wurden die Gefangenen von den Deutschen und von den sich zu den Deutschen zählenden Raubrittern schlimmer behandelt, als von den polnischen Edelleuten. Aber das ungeheure, alte Gebäude sah noch baufälliger aus als früher, der Mörtel war abgefallen, die Wände und die Decken waren geborsten und die vor zweihundert oder auch mehr Jahren zusammengefügten Balken aus Lärchenholz waren morsch geworden. In all die einst von den zahlreichen Sippen aus Bogdaniec bewohnten Stuben war während der langen Regengüsse im Sommer das Wasser eingedrungen, das Dach hatte Löcher bekommen und war mit Büscheln aus grünem und rostbraunem Moose bedeckt. Das ganze Haus hatte sich gesenkt und sah aus wie ein umfangreicher, geschwärzter Pilz.

»Mit ein wenig Sorgfalt könnte es erhalten werden, denn der Verfall ist noch nicht allzuweit vorgeschritten,« sagte Macko zu dem alten Bauernvogt Kondrat, welcher während der Abwesenheit seiner Gebieter das Gut verwaltet hatte.

Und nach einer Weile fügte er hinzu: »Ich für meinen Teil würde gern bis zu meinem Tode hier wohnen, aber Zbyszko muß ein Kastell haben!«

»Um Gottes willen! Ein Kastell?«

»Ei, und warum denn nicht?«

Es war der Lieblingsgedanke des alten Ritters, für Zbyszko und dessen Nachkommen ein Kastell zu erbauen. Er wußte, daß ein Edelmann, welcher nicht auf einem gewöhnlichen Hofe, sondern hinter einem Graben und Palissaden wohnte, ein Edelmann, der sich des Besitzes einer Warte rühmen durfte, von der ein Wächter in die Runde schauen konnte, bei den Nachbarn ein gewisses Ansehen genoß, und daß er in allem leichteres Spiel hatte. Für sich verlangte Macko nicht viel, aber für Zbyszko und dessen Sprößlinge erschien ihm alles zu gering, umsomehr als sich ihre Habe in der letzten Zeit so beträchtlich vergrößert hatte.

»Mag er nun Jagienka nehmen,« dachte er. »Mit ihr erhält er Moczydoly, sowie das ihr vom Abte zugefallene Erbe, und dann wird im ganzen Umkreis niemand uns gleich kommen Gott gebe dies!«

Aber alles hing davon ab, ob Zbyszko zurückkehrte, dies war jedoch unsicher und hing wiederum von der Barmherzigkeit Gottes ab. Daher sagte sich Macko, daß es für ihn nötig sei, sich jetzt in Gunst bei dem Herrgott zu setzen, daß er dessen Zorn nicht auf sich laden dürfe, sondern alles thun müsse, um dessen Gnade zu gewinnen. Von diesem Gedanken erfüllt, ließ er es in der Kirche von Krzesnia weder an Wachs, noch an Getreide, noch an Wildbret fehlen, und eines Abends in Zgorzelic angelangt, sagte er zu Jagienka: »Nach Krakau wallfahre ich morgen, an das Grab unserer Königin, der heiligen Jadwiga.«

Voll Schrecken sprang Jagienka von der Bank empor.

»So habt Ihr schlimme Botschaft erhalten?«

»Keinerlei Botschaft ist mir zugekommen, und es wäre auch nicht möglich. Aber Du wirst Dich erinnern, daß ich zu jener Zeit, als ich mit dem Splitter in der Seite krank darnieder lag – Du weißt doch – und als Du dann mit Zbyszko auf die Biberjagd gingst, gelobte, ich wolle zu ihrem Grabe wallfahren, wenn Gott mich gesunden lasse. Damals wurde mein Vorhaben von allen gepriesen. Und wahrlich! Unser Herrgott hat genug heilige Diener da oben, aber nicht jeder Heilige hat ein solches Ansehen wie unsere gnädige Herrin, die ich nicht beleidigen möchte, besonders weil es sich um Zbyszko handelt.«

»Ihr habt recht! Bei meinem Leben!« erwiderte Jagienka. »Aber Ihr seid doch jetzt erst von einer beschwerlichen Fahrt zurückgekehrt.«

»Was will das bedeuten! Ich wünsche alles sofort zu Ende zu bringen und dann ruhig zu Hause zu bleiben, bis Zbyszko zurückkehrt. Möge unsre Königin Fürbitte bei dem Herrn Jesus für ihn einlegen, dann können auch zehn Deutsche bei seiner guten Rüstung ihm nichts anhaben. Nach dieser Wallfahrt kann ich mit größerer Zuversicht den Bau des Kastells unternehmen.«

»Zumal Ihr noch so starke Knochen habt.«

»Gewiß, ich fühle mich recht kräftig. Doch will ich Dir noch etwas anderes sagen. Mag Jasko, den es in die Ferne zieht, mit mir gehen. Ich bin ein erfahrener Mann und wohl im stande, ihn im Zaum zu halten. Und wenn wir irgend ein Abenteuer zu bestehen hätten – denn dem Bürschlein zucken ja schon die Finger – so schadet es nichts. Du weißt ja, daß es mir nichts Neues ist, zu Fuß oder zu Roß, mit dem Schwerte oder mit der Streitaxt zu kämpfen.«

»Ich weiß! Niemand könnte ihn besser behüten als Ihr!«

»Aber ich glaube, es wird nicht zum Kampfe kommen, denn so lange die Königin lebte, wimmelte es in Krakau von fremden Rittern, die ihre Augen an der Schönheit der Herrin weiden wollten, aber jetzt ziehen sie vor, nach Marienburg zu gehen, weil die Tonnen dort fast von Malvasier bersten.«

»Ei, wir haben ja eine neue Königin.«

Macko schnitt eine Grimasse und machte eine Bewegung mit der Hand.

»Ich habe sie gesehen! – Mehr sage ich nicht – verstehst Du?«

Nach einer Weile fügte er hinzu: »Nach drei oder vier Wochen werden wir zurückkehren.«

In der That führte der alte Ritter aus, was er sich vorgenommen hatte. Er ließ Jasko bei seiner Ritterehre und bei dem Haupte des heiligen Georg schwören, daß er nicht auf seinem Vorhaben, eine längere Fahrt zu unternehmen, beharren werde, und sie brachen auf.

Ohne Unfall langten sie in Krakau an, denn es herrschte Frieden in dieser Gegend. Nachdem Macko seinem Gelübde Genüge gethan hatte, gelang es ihnen, durch Powala aus Taczew und den jungen Knäs Jamont Zutritt an dem königlichen Hof zu erlangen. Macko war der Meinung gewesen, daß er von den Hofherren und hohen Würdenträgern eifrig nach den Kreuzrittern ausgeforscht werde, da er Gelegenheit gehabt hatte, sie kennen zu lernen und in der Nähe zu beobachten. Aber nach einer Unterredung mit dem Kanzler und mit dem Krakauer Schwertträger kam er voll Staunen zu der Ueberzeugung, daß sie nicht weniger, sondern mehr als er von den Kreuzrittern wußten. Sie wußten alles, selbst die geringfügigsten Dinge, welche sowohl in Marienburg als auch in andern, und sogar in den entferntesten Burgen vorgingen. Sie wußten, welche Heeresabteilungen sich dort befanden, wie groß die Zahl der Krieger und die Zahl der Geschützstücke, welche Zeit vonnöten war, um ein Kriegsheer zusammenzuziehen, und welche Pläne die Kreuzritter für den Kriegsfall hatten. Sie wußten sogar von jedem Komtur, ob er jähzornig und leidenschaftlich oder bedächtig war, und sie hatten all diese Thatsachen so sorgfältig verzeichnet, wie wenn der Ausbruch des Krieges am folgenden Tage bevorstünde.

Der alte Ritter freute sich im Innern nicht wenig darüber, denn er erkannte, daß man sich in Krakau mit weit mehr Ueberlegung, Umsicht und Thatkraft zum Kriege rüstete als in Marienburg. »Unser Herr Jesu hat uns mindestens ebensoviel oder auch noch mehr Tapferkeit verliehen,« sagte sich Macko, »gewiß aber mehr Verstand und größere Erfahrung.« Und so war es in der That zu jener Zeit. Er erfuhr auch bald, woher jene Nachrichten gekommen waren; die Einwohner von Preußen selbst, Leute aus allen Ständen, Deutsche sowohl wie auch Polen, hatten Kunde gebracht. Dem Orden war es gelungen, einen solchen Haß gegen sich zu erwecken, daß alle im preußischen Lande auf das Eintreffen der Kriegsheere Jagiellos wie auf ihre Erlösung harrten. Macko gedachte jetzt der Worte, die Zindram aus Maszkowice seiner Zeit in Marienburg ihm gegenüber geäußert hatte und sagte sich im Geiste: »Das ist ein Kopf! Eine Welt von Weisheit birgt sich darin.«

Und er rief sich jedes seiner Worte ins Gedächtnis zurück, ja, einmal als der junge Jasko ihn über die Kreuzritter ausforschte, führte er sogar Zindrams weise Rede an, indem er bemerkte: »Stark sind sie, diese Schufte, aber was denkst Du denn? Wird nicht jeder Ritter, sogar der stärkste, aus dem Sattel fliegen, wenn man Sattelgurt und Steigbügel unter ihm zerschneidet?«

»Er wird aus dem Sattel fliegen, so wahr ich hier stehe!« antwortete der Jüngling.

»Ha! Siehst Du?« rief Macko mit einer wahren Donnerstimme. »Zu dieser Einsicht wollte ich Dich bringen.«

»Weshalb?«

»Weil der Orden solch ein Ritter ist.«

Und nach einer Weile fügte er hinzu: »Aus dem Munde des ersten besten wirst Du dies nicht hören, dessen kannst Du gewiß sein.«

Und als Jasko noch nicht begriff, um was es sich handelte, begann er ihm die Sache zu erklären, vergaß jedoch hinzuzufügen, daß nicht er selbst diesen Vergleich gemacht hatte, sondern daß er Wort für Wort dem klugen Kopfe Zindrams aus Maszkowice entsprungen war.