Doch auch jetzt wurde ein Kampf zwischen ihnen vereitelt. Mikolaj aus Dlugolas hatte durch Jedrek aus Kropiwnic alles erfahren, was vorgegangen war. Infolgedessen verlangte er von den beiden Rittern das Wort, den Kampf erst dann zum Austrag zu bringen, wenn der Fürst und der Komtur die Erlaubnis dazu erteilt haben würden, andernfalls, so drohte er, werde er die Thore der Burg schließen lassen. Da nun aber Zbyszko vor allem Danusia so rasch wie möglich wiedersehen wollte, wagte er es nicht, sich dem Ansinnen zu widersetzen. De Lorche wiederum war kein blutdürstiger Mensch, wennschon er sich bereitwillig schlug, sobald sich ihm die Gelegenheit dazu bot. So gelobte er denn auch, ohne irgend welche Schwierigkeit zu machen, auf seine ritterliche Ehre, die Erlaubnis des Fürsten abzuwarten, dem er um nichts in der Welt zu nahe treten wollte. Dazu kam auch noch, daß dem Lothringer, der fortwährend von den Ritterspielen hatte singen und sagen hören, ein solch glänzendes Fest, eine solch prächtige Schaustellung nur erwünscht sein konnte, um vor versammeltem Hofe, vor Würdenträgern und Frauen seine Waffenkünste zu zeigen – hoffte er doch durch einen siegreichen Kampf auf eine größere Ausbreitung seines Ruhmes, hoffte er doch dadurch leichter die goldenen Sporen zu erringen. Abgesehen davon aber widersetzte er sich einem Aufschub schon deshalb nicht, weil es ihm auch sehr darum zu thun war, Land und Leute kennen zu lernen – vornehmlich aus dem Grunde, weil Mikolaj aus Dlugolas, der ein ganzes Jahr bei den Deutschen in Haft gewesen war und sich sehr gut mit den Fremden zu verständigen vermochte, Wunderdinge von den glänzenden fürstlichen Jagden, die man in den westlichen Gebieten noch nicht kannte, zu erzählen gewußt hatte.
Um Mitternacht befand er sich schon gemeinsam mit Zbyszko auf dem Wege gen Przasnysz. Ihr wohlbewaffnetes Gefolge zog mit ihnen, sowie verschiedene Mannen, mit Pechpfannen ausgerüstet, zum Schutze gegen Wölfe, die des Winters in zahllosen Rudeln umherstreifend, selbst der streitbarsten ritterlichen Schar gefährlich werden konnten. Die dichten Gehölze jenseits von Ciechanow grenzten unweit von Przasnysz an die riesige kurpische Waldwildnis, die sich gen Westen zu den undurchdringlichen Wäldern von Podlachien, bis tief nach Litauen hinzogen. Vor nicht gar langer Zeit hatten die barbarischen Litauer, das Gebiet der gefürchteten Kurpen umgehend, fortwährend Einfälle in Masovien unternommen und waren im Jahre 1337 bis nach Ciechanow gelangt, das sie völlig zerstörten. Voll Spannung lauschte de Lorche der Erzählung des greisen Führers Macko aus Turoboje. Sein Herz hatte vor Begierde gebrannt, sich mit den Litauern zu messen, welche von ihm wie von den andern westlichen Rittern für Sarazenen gehalten worden waren. Seine Fahrt in diese Länder betrachtete er wie einen Kreuzzug, auf dem er Ruhm, auf dem er ewiges Seelenheil zu erringen hoffte, ja er hatte sich unterwegs der festen Hoffnung hingegeben, der Kampf mit den Masuren, mit diesem halb heidnischen Volke, werde ihm völligen Ablaß gewähren. Kaum glaubte er daher seinen Augen trauen zu dürfen, als er, in Masovien angelangt, die Kirche in den Städten, die Kreuze auf den Türmen, die Geistlichen, die Ritter mit den heiligen Zeichen auf den Waffen wahrnahm, als er zu einem Volke kam, das zwar, wild und aufbrausend, sich jederzeit zu Kampf und Streit bereit zeigte, das aber zu dem Christentum übergetreten und ganz und gar nicht raubsüchtiger war als die Deutschen, mit denen sich der junge Ritter auf der Fahrt befand. Er wußte daher selbst nicht mehr, was er von den Kreuzrittern denken sollte; als er nun gar noch hörte, daß jenes Volk seit vielen Jahren Christus verehre und als er schließlich vernahm, daß die Litauer schon zu Lebzeiten der verstorbenen Königin getauft worden waren, da kannte sein Staunen, zugleich aber auch sein Kummer keine Grenzen.
Ohne Säumen forschte er nun Macko aus Turoboje darüber aus, ob sich in den Wäldern, die sie durchziehen würden, nicht wenigstens Drachen befanden, denen die Menschen Jungfrauen darbringen mußten und die er bekämpfen konnte. Allein die Antwort Mackos raubte ihm auch diese Hoffnung.
»Viel wildes Getier, wie Wölfe, Bisons, Auerochsen und Bären treibt sich in den Wäldern umher, sodaß man seine liebe Not damit hat,« erklärte der Masur. »In den Sümpfen halten sich wohl auch böse Geister auf, von Drachen habe ich aber noch nie etwas gehört; wenn sich solche zeigten, dann würden wir ihnen keine Jungfrauen opfern, sondern in geschlossener Schar gegen sie ziehen. Und, traun, wenn es Drachen gäbe, hätten ihnen die Kurpen längst die Haut in Streifen vom Leibe gezogen!«
»Was ist das für ein Volk?« fragte de Lorche. »Könnte ich vielleicht gegen diese Kurpen ziehen?«
»Wohl könnt Ihr mit ihnen kämpfen, aber es wird nicht zu Euerm Heile gereichen,« entgegnete Macko. »Uebrigens ziemt sich dies auch nicht für Ritter, denn jene sind ein Bauernvolk.«
»Auch die Schweizer nennt man ein Volk von Bauern! Sind denn die Kurpen schon zum Christentum übergetreten?«
»Es giebt nur Christen in Masovien – die Fürsten und alles Volk sind Christen, Ihr saht doch die Bogenschützen auf der Burg? Nun, das sind Kurpen, denn bessere Bogenschützen als diese giebt es in der ganzen Welt nicht.«
»O doch! Die Engländer und Schotten, mit denen ich am burgundischen Hofe zusammentraf.«
»In Marienburg habe ich auch die gesehen. Tüchtige Bursche sind dies alle, doch Gott möge sie davor schützen, daß sie sich mit den Kurpen messen müssen! Bei den Kurpen erhält ein siebenjähriges Kind nur dann zu essen, wenn es sich seine Nahrung von dem höchsten Wipfel der Fichte herabschießt.«
»Wovon ist die Rede?« fragte Zbyszko plötzlich, nachdem mehrere Male das Wort »Kurpen« an sein Ohr gedrungen war.
»Von den kurpischen und englischen Bogenschützen. Dieser Ritter hier behauptet, die Engländer sowohl wie die Schotten seien als Bogenschützen über alle andern zu stellen.«
»Bei Wilna habe ich sie kennen gelernt. Hei, fürwahr, ich hörte ihre Pfeile um die Ohren sausen. Aus aller Herren Länder waren dort Ritter versammelt, welche sich rühmten, mit uns hätten sie leichtes Spiel. Gar bald verloren sie aber die Lust dazu, denn mehr als zweimal versuchten sie es nicht, mit uns anzubinden.«
Schmunzelnd verdolmetschte Macko dem Herrn de Lorche die Worte Zbyszkos.
»An verschiedenen Höfen hörte ich davon reden,« bemerkte der Lothringer. »Allenthalben lobte man die Tapferkeit Eurer Ritter, dagegen verargte man es ihnen, daß sie die Heiden gegen die Kreuzritter zu schützen suchen.«
»Wir schützen ein Volk, das sich taufen lassen wollte, gegen Ueberfälle und Ungerechtigkeit. Die Deutschen wollen es im Heldentum beharren lassen, um einen ständigen Vorwand zum Kriege zu haben.«
»Gott wird darüber richten!« warf de Lorche ein.
»Und vielleicht in nicht gar zu langer Zeit!« bemerkte Macko aus Turoboje.
Kaum hatte indessen der Lothringer gehört, daß Zbyszko bei Wilna gewesen war, so wurde er nicht müde, Macko über alle Einzelheiten zu befragen, war doch die Kunde von den dort stattgefundenen ritterlichen Fehden und Kämpfen durch die ganze Welt gedrungen. Vornehmlich jener Kampf, in dem sich vier polnische und vier französische Ritter gegenüberstanden, hatte die Phantasie der Kämpen des Westens stark erregt. War es daher zu verwundern, daß de Lorches Achtung vor Zbyszko, als vor einem Menschen, der an solch ruhmreichen Kämpfen teilgenommen hatte, immer mehr wuchs, daß er sich darob freute, sich mit einem solchen Ritter messen zu können.
Infolgedessen ritten die beiden in scheinbarem Einvernehmen weiter. An den Haltestellen erwiesen sie sich alle möglichen Höflichkeiten und tranken sich wechselseitig mit dem Wein zu, von welchem de Lorche einen großen Vorrat auf den Wagen mit sich führte. Als indessen schließlich aus dem Gespräche zwischen dem Lothringer und Macko hervorging, daß Ulrika de Elner keine Jungfrau, sondern eine vierzigjährige verheiratete Frau und Mutter von sechs Kindern war, steigerte sich Zbyszkos Entrüstung aufs höchste. Jener wunderliche Fremde hatte es also gewagt, so sagte er sich, »ein altes Weib« mit Danusia zu vergleichen, es über diese zu stellen. Ein solcher Mensch konnte doch unmöglich bei klarem Verstande sein, ihm würden daher eine dunkle Zelle und Stockprügel weit zuträglicher sein, als eine Fahrt in die weite Welt, und dieser Gedanke allein hielt ihn zurück, seiner Entrüstung sofort Ausdruck zu verleihen.
»Glaubt Ihr nicht, daß der Lothringer den Verstand verloren hat?« fragte er den greisen Führer. »Vielleicht sitzt auch, wie der Wurm in der Nuß, ein Teufel in ihm, der sich des Nachts auf uns stürzt. Jedenfalls müssen wir ein wachsames Auge auf jenen Ritter haben.«
Wenn nun aber auch Macko aus Turoboje anfänglich den Worten Zbyszkos nur ungläubig lächelnd Gehör schenkte, schaute er doch schließlich etwas ängstlich auf den Lothringer, indem er bemerkte: »Wohl trifft es sich zuweilen, daß einer oder der andere von einem Teufel, ja von mehr als hundert Teufeln besessen ist. Und wird es diesen allgemach zu enge, dann suchen sie sich freilich bei einem andern Menschen einen angenehmeren Aufenthalt aus. Am schlimmsten fährt man aber mit einem Teufel, den man von einem alten Weibe über den Hals geschickt bekommt.«
Plötzlich wandte er sich hierauf zu de Lorche und sagte: »Gelobt sei Jesus Christus!«
»Auch ich preise ihn!« erwiderte de Lorche mit sichtlichem Staunen.
Auf Mackos Antlitz spiegelte sich große Zufriedenheit.
»Nun werdet Ihr Euch überzeugt haben,« sagte er wieder zu Zbyszko gewendet. »Wenn der lothringische Ritter vom Bösen besessen wäre, würde ihm Schaum auf den Mund getreten, oder er würde zu Boden geworfen worden sein, als ich ihm plötzlich so scharf zu Leibe ging. Wir können ruhig weiter ziehen.«
Und das thaten sie auch. Von Ciechanow nach Przasnysz war es nicht allzu weit. Während des Sommers hätte ein Bote auf gutem Pferde den Weg zwischen den beiden Plätzen leicht in zwei Stunden zurücklegen können. Jetzt aber kamen die beiden Ritter mit ihrem Gefolge trotz des guten Führers nur langsam vorwärts, wie dies in dunkler Nacht und bei den im Wald liegenden Schneemassen nicht anders zu erwarten war. Sie erreichten daher, trotzdem sie um Mitternacht ausgebrochen waren, erst um die Morgendämmerung den fürstlichen Jagdhof, welcher nahe bei Przasnysz am Rande des Waldes lag. Vor dem aus Holz erstellten, langgestreckten Bau mit Fensterscheiben aus runden Glasstückchen befanden sich ein Ziehbrunnen und zwei Schuppen für die Pferde. Rings um den Jagdhof standen Hütten, die rasch aus Fichtenzweigen errichtet worden waren, und Zelte aus Fellen. Weithin war der Glanz des vor den Zelten lodernden Feuers sichtbar, um welches Treiber in Schafpelzen, in Pelzen von Füchsen, Wölfen und Bären standen. Dem Herrn de Lorche dünkte es, er sehe zweibeinige wilde Bestien vor dem Feuer, denn die Mehrzahl jener Leute trug Mützen, aus Tierköpfen verfertigt. Etliche der Männer stützten sich auf Speere, andere auf ihre Armbrust, verschiedene waren damit beschäftigt, Stricke in ungeheuere Netze zu ziehen, mehrere brieten am Feuer mächtige Stücke von Auerochsen und Elentieren, die augenscheinlich als Morgenimbiß dienen sollten. Der Schnee glitzerte in dem Schein der Flammen. Grell beleuchtet wurden auch zuweilen die wilden Gestalten, die zeitweise von dem Rauche des Feuers, von dem Dunste und Brodem der saftigen Fleischstücke gänzlich verhüllt waren. Im Hintergrunde stiegen, rötlich schimmernd, riesige Fichtenstämme empor, zwischen denen sich eine weitere Schar von Männern aufhielt. Die große Zahl der aufgebotenen Mannen setzte den eines solchen Jagdgetriebes ungewohnten Lothringer in höchstes Staunen.
»Eure Fürsten scheinen sich ja wie zu einem Kriegszuge ausgerüstet auf die Jagd zu begeben.«
»Ihr könnt nun sehen,« antwortete Macko aus Turoboje, »daß es ihnen weder an Jagdgeräten, noch an Leuten fehlt. Die meisten sind fürstliche Treiber, doch fehlt es auch nicht an solchen, welche sich des Marktes wegen in dieser Wildnis eingefunden haben.«
»Was soll ich beginnen?« warf jetzt plötzlich Zbyszko ein. »In dem Jagdhof schläft noch alles.«
»Ei nun, wir warten geduldig auf das Erwachen,« entgegnete Macko. »Ich werde doch nicht an das Thor klopfen und den Fürsten, unsern Herrn, erwecken!«
So sprechend führte er sie an das Feuer, vor dem ihnen Kurpen Felle von Auerochsen und Bären ausbreiteten, dann wurden die Ankömmlinge rasch mit dampfendem Fleische bewirtet. Kaum hatten jedoch die Kurpen die fremde Sprache vernommen, so traten sie zusammen und starrten unentwegt auf den Deutschen. Als sie aber gar von Zbyszkos Mannen vernahmen, daß jener Ritter von »weit überm Meere« herstamme, da drängten sie sich so nahe an den Lothringer heran, daß der Herr aus Turoboje sein ganzes Ansehen aufbieten mußte, um den Fremdling vor allzu großer Neugierde zu schützen. De Lorche, der zu seinem Staunen bemerkte, daß sich inmitten der Männerschar auch Frauen befanden, die fast alle mit Pelzen bekleidet waren und sich durch ihren schönen Wuchs, ihre blühende Gesichtsfarbe auszeichneten, fragte sofort den greisen Führer, ob sich denn auch Weiber an der Jagd beteiligten. Macko verneinte dies, erklärte aber, daß die Frauen sich teils aus Neugierde den Treibern anschlössen, teils des Marktes wegen, auf dem sie städtische Waren kauften und die Erträgnisse ihrer Wälder verkaufen konnten. Dies war auch thatsächlich der Fall. Das fürstliche Gehöfte bildete selbst zur Zeit der Abwesenheit des Fürsten den Mittelpunkt für die Verkaufsstellen der Städter und Wäldler. Die Kurpen verließen gar ungern ihre Wälder, war es ihnen doch nur wohl, wenn die Wipfel der Bäume über ihren Häuptern rauschten. Infolgedessen führten die Bewohner von Przasnysz nicht nur ihr berühmtes Bier an den Waldesrand, sondern auch das in den Windmühlen der Stadt oder in den Wassermühlen Ungarns gemahlene Mehl, das in jener Wildnis schwer zu bekommende und sehr begehrte Salz, eiserne Geräte, Lederwerk, kurz alle möglichen Erzeugnisse menschlichen Fleißes. Dagegen erhielten sie im Tausche Felle, kostbare Pelze, getrocknete Pilze, Nüsse, heilsame Kräuter oder Stücke von Bernstein, an denen es unter den Kurpen nicht mangelte. Stets ging es daher sehr lebhaft auf dem Jahrmarkte zu, der während der fürstlichen Jagden noch an Ausdehnung gewann, weil dann die Stadtbewohner ebenso häufig durch Neugierde, wie durch die zwingende Notwendigkeit des Handels in die Waldwildnis getrieben wurden.
Nachdem de Lorche die Antwort Mackos vernommen hatte, beobachtete er ununterbrochen die hohen Gestalten der Jäger, welche, in einer gesunden, von Harzgeruch erfüllten Luft lebend und sich, wie fast alle damaligen Bauern vornehmlich von Fleisch nährend, schon mehr als einmal die ankommenden Fremdlinge durch ihre Größe, durch ihre Kraft in Staunen versetzt hatten. Von Ungeduld gequält, vermochte Zbyszko hingegen kaum am Feuer still zu sitzen. Er verwandte kein Auge von dem Thore und von den Fenstern des fürstlichen Gebäudes. Nur eines dieser Fenster war indessen beleuchtet, augenscheinlich das der Küche, denn zwischen den Spalten der ganz ungenügend schließenden Scheiben drang dichter Rauch heraus. Alle andern waren dunkel oder schimmerten in dem Glanze des anbrechenden Tages, der immer lichter wurde und auf den schneebedeckten Wald einen silbernen Schein warf. Zeitweise traten aus einem oder dem andern niedrigen Seitenpförtchen Diener, in die fürstlichen Farben gekleidet, heraus, um mit den an Trägerstangen hängenden Eimern oder Kübeln Wasser am Brunnen zu schöpfen. Ein jeder dieser Leute antwortete auf die Frage, ob denn alles noch schlafe, daß der ganze Hofstaat, ermüdet von der stattgefundenen Jagd, länger als sonst der Ruhe pflege, daß aber schon der Morgenimbiß zur Stärkung vor dem Aufbruche bereitet werde.
Der aus der Küche aufsteigende Geruch von Fett und Safran verbreitete sich auch thatsächlich mit einem Male bis zu den um das Feuer Lagernden. Einen Einblick in den hell erleuchteten Flur gewährend, öffnete sich dann plötzlich knirschend das Hauptthor, und ein Mann trat auf die Schwelle, in dem Zbyszko auf den ersten Blick einen der fahrenden Schüler erkannte, die er seiner Zeit in dem fürstlichen Gefolge in Krakau gesehen hatte. Ohne irgendwelche Rücksicht auf Macko aus Turoboje oder auf de Lorche zu nehmen, sprang nun Zbyszko so eilig auf das Thor zu, daß der darüber erstaunte Lothringer fragte: »Was ist denn diesem jungen Ritter zugestoßen?«
»Nichts ist ihm zugestoßen,« erwiderte Macko aus Turoboje. »Er liebt eines der Mägdlein, die zum Hofstaate der Fürstin gehören, und möchte es so rasch wie möglich sehen.«
»Ah!« rief de Lorche aus, indem er beide Hände aufs Herz drückte und, die Augen gen Himmel erhebend, einmal ums andere so tief seufzte, daß sich Macko insgeheim fragte: »Ob er wohl nach seiner alten Geliebten so seufzt, oder ob er wohl nicht völlig bei Verstand sein mag?«
Er geleitete indessen den Lothringer in den Jagdhof und betrat gemeinsam mit ihm die geräumige Halle, die mit Geweihen von Auerochsen, Elentieren und Hirschen geschmückt war und durch die Flamme der dürren, in dem mächtigen Kamine brennenden Holzscheite erhellt ward. In der Mitte der Halle stand ein mit einem groben Tuche bedeckter Tisch, auf dem bereits die zum Essen nötigen Schüsseln prangten. Nur wenige Hofherren waren bis jetzt anwesend. Zbyszko unterhielt sich mit ihnen, und Macko aus Turoboje stellte ihnen den Herrn de Lorche vor. Da sie aber nicht gut deutsch sprechen konnten, mußte jener dem Lothringer nach wie vor Gesellschaft leisten. Allmählich vermehrte sich die Zahl der Hofleute, größtenteils kräftige, blondhaarige Männer von etwas ungeschlachtem Aeußern, aber von hohem Wuchse und mit breiten Schultern. Sie waren schon vollständig zur Jagd ausgerüstet. Die, welche Zbyszko kannte und von dessen Krakauer Erlebnissen wußten, begrüßten ihn wie einen alten Freund mit sichtlichem Wohlwollen. Die andern betrachteten ihn mit der Bewunderung, die man einem Menschen zollt, über dessen Nacken schon das Schwert des Scharfrichters gezückt gewesen war. Immer wieder wurden die Worte laut: »Gewiß, die Fürstin befindet sich hier und Jurands Tochter ist hier; gleich wirst Du das arme Ding zu sehen bekommen. Selbstverständlich gehst Du aber mit uns auf die Jagd.« Inzwischen waren zwei Gäste, Kreuzritter, eingetreten, Bruder Hugo de Danveld, der Starost aus Ortelsburg, oder vielmehr aus Szczytno, dessen Verwandter dereinst die Marschallswürde bekleidet hatte, und Zygfryd de Löwe, der Vogt von Johannesburg, aus einem um den Orden hochverdienten Geschlechte stammend. Ersterer, der trotz seines ziemlich jugendlichen Alters schon sehr feist war, fiel durch die listige Miene seines Gesichtes auf, und machte mit seinen wulstigen feuchten Lippen vollständig den Eindruck eines Schlemmers, letzterer hingegen zeichnete sich durch seine Wohlgestalt und durch seine zwar strengen, aber edlen Züge aus. Zbyszko dünkte es, er habe Danveld schon bei dem Fürsten Witold gesehen, und er glaubte sich zu erinnern, daß jener von Henrik, dem Bischof von Plock, im Turniere vom Pferde geworfen worden sei. Doch gleich darauf wurde er durch den Eintritt des Fürsten Janusz aus seinem Sinnen gerissen, vor welchem sich die Kreuzritter und die Hofherren grüßend neigten und dem sich de Lorche, die Komture und Zbyszko sofort näherten. Er erwiderte die Begrüßung höflich, aber mit einem gewissen Ernste auf seinem bartlosen, schlichten Gesichte, das von auf der Stirne kurz geschnittenen und auf beiden Seiten bis auf die Schultern herabwallenden Haaren umrahmt war. Plötzlich ertönten vor den Fenstern die Hörner zum Zeichen, daß sich der Fürst zu Tisch setze, sie ertönten ein-, zwei-, dreimal, mit der dritten Fanfare öffnete sich die auf der rechten Seite der Halle gelegene große Thüre und auf der Schwelle zeigte sich die Fürstin Anna und mit ihr ein reizendes, goldhaariges Mägdlein, die Laute über der Schulter.
Als Zbyszko es sah, trat er vor, legte die Hände wie bittend am Munde zusammen und sank auf die Knie, das verkörperte Bild der Verehrung, der Bewunderung.
Bei diesem Anblick erhob sich ein Murmeln in der Halle. Das Verhalten Zbyszkos rief bei den Masuren nicht nur Staunen hervor, sondern bei etlichen sogar Aergernis. »Wahrlich,« sagten sich die älteren Leute, »diese Sitte hat er wohl bei fremden Rittern jenseits des Meeres oder wohl gar bei den Heiden kennen gelernt, denn unter den Deutschen hat sie sicherlich nie geherrscht.« Die Jüngeren hingegen dachten bei sich: »Das ist nicht zu verwundern; dem Mägdlein dankt er ja sein Leben.« Im ersten Augenblick erkannten aber weder die Fürstin noch Jurands Tochter den jungen Ritter, der mit dem Rücken gegen das Feuer kniete, so daß sich sein Gesicht vollständig im Schatten befand. Die Fürstin glaubte sogar, irgend einer der Hofherren habe sich ihrem erlauchten Gemahl gegenüber eines Fehlers schuldig gemacht und bitte um ihre Fürsprache, Danusia aber, die schärfere Augen besaß, trat plötzlich, ihr blondes Köpfchen vorbeugend, einen Schritt vor, indem sie mit ihrer zarten Stimme den Ruf ausstieß: »Zbyszko! Zbyszko!«
Und ohne daran zu denken, daß der ganze Hofstaat sowie die ausländischen Gäste Zeugen ihres Gebarens waren, sprang sie gleich einem Rehe auf den jungen Ritter zu, schlang ihre Arme um dessen Hals, schmiegte sich an ihn und küßte ihm, ganz außer sich vor Freude, solange Augen Mund und Wangen, bis die Masuren in ein schallendes Gelächter ausbrachen und die Fürstin sie an ihrem Halskragen wieder zu sich heranzog. Wie aus einem Traum erwachend blickte nun Danusia erschreckt umher. Dann versteckte sie sich hinter der Fürstin und barg ihr errötendes Antlitz in deren faltenreichem Gewande.
Zbyszko umfaßte jetzt die Füße der hohen Frau. Diese jedoch hob ihn sofort empor, begrüßte ihn aufs herzlichste und fragte unverweilt, ob Macko gestorben sei oder noch lebe und ob er, wenn er noch lebe, auch nach Masovien komme. All diese Fragen beantwortete der junge Ritter ganz mechanisch, neigte er sich doch fortwährend von einer Seite zur andern, in dem Bestreben, Danusia zu sehen, die einmal um das andere ihr Köpfchen aus dem Gewande der Fürstin hervorstreckte, um es dann wieder rasch in dessen Falten zu verbergen. Bei diesem Schauspiel hielten sich die Masuren die Seiten vor Lachen, ja, sogar der Fürst konnte sich des Lachens nicht erwehren. Da nun aber die dampfenden Schüsseln aufgetragen wurden, erklärte die frohgelaunte Fürstin zu Zbyszko gewandt: »Du sollst uns dienen, viel lieber Knecht! Doch nicht nur beim Mahle sollst Du uns Deine Dienste weihen, nein, Gott gebe es, fürs ganze Leben.«
»Du aber, kleiner Quälgeist,« rief sie hierauf Danusia zu, »Du kommst jetzt hervor, sonst reißest Du mir noch das ganze Gewand ab.«
Diesem Gebote leistete Danusia sofort Folge. Verschämt und tief errötend trat sie vor, und als sie ihre kindlichen Augen scheu und doch neugierig auf Zbyszko richtete, da erstrahlte sie in so wunderbarer Schönheit, daß nicht nur das Herz des jungen Ritters vor Bewunderung überfloß, sondern daß ihr alle anwesenden Männer insgeheim huldigten. Herr de Lorche streckte vor Staunen beide Arme empor und fragte hastig: »Beim heiligen Jakob aus Compostella, wer ist diese Jungfrau?«
Daraufhin erhob sich der Starost aus Szczytno, der bei seiner Feistigkeit auch noch klein war, auf die Zehen und flüsterte dem Lothringer ins Ohr: »Die Tochter des Teufels!«
Mit den Augen blinzelnd schaute de Lorche auf den Redenden, dann runzelte er die Stirne und sprach näselnd also: »Unwürdig ist es eines Ritters, die Schönheit zu schmähen.«
»Ich trage die goldenen Sporen, und ich bin ein Ordensritter!« entgegnete Hugo de Danveld voll Hochmut.
So groß war die Ehrfurcht vor den gegürteten Rittern, daß der Lothringer unwillkürlich das Haupt senkte, gleich darauf jedoch antwortete: »Und ich bin ein Blutsverwandter des Fürsten von Brabant.«
» Pax! Pax!« rief nun der Kreuzritter: »Ehre und Ruhm sei dem mächtigen Fürsten, dem Freunde des Ordens, aus dessen Hand Ihr, o Herr, in Bälde die goldenen Sporen erhalten möget! Nicht die Schönheit des Mägdleins will ich bestreiten, doch hört erst, wer dessen Vater ist.«
Dies auseinanderzusetzen vermochte er indessen nicht mehr. Fürst Janusz ließ sich in diesem Augenblick am Tisch nieder und da ihm zuvor der Vogt von Johannesburg über die hohen Blutsverwandten des Herrn de Lorche berichtet hatte, gab er letzterem ein Zeichen, neben ihm Platz zu nehmen. Die Sitze gegenüber waren für Anna Danuta und Danusia bestimmt, hinter deren Lehnstühlen Zbyszko, wie damals in Krakau, zum Dienste bereit stand. Danusia beugte zwar das Köpfchen so tief wie möglich auf ihre Schüssel, denn sie schämte sich noch immer vor den Anwesenden, hielt aber das Haupt ein wenig zur Seite geneigt, damit Zbyszko ihr Gesicht sehen konnte. Und voll Sehnsucht, voll Entzücken schaute dieser auf ihr goldhaariges Köpfchen, auf die rosenroten Wangen, auf ihre jungfräuliche Gestalt in dem eng anschließenden Gewande, an der nichts mehr an die eckigen Formen des Kindes erinnerte. Staunend empfand der junge Ritter, daß er plötzlich Danusia auf eine ganz andere Weise liebe wie früher, daß eine ganz neue Liebe ihm die Brust schwelle. Noch brannten ihm ihre Küsse auf Augen, Mund und Wangen. Wie anders war dies sonst gewesen! Wie eine Schwester den Bruder, so hatte sie ihn früher geküßt, und er hatte ihre Zärtlichkeiten wie die eines geliebten Kindes erwidert. Jetzt aber ergriff ihn die gleiche Erregung, in die ihn das Zusammensein mit Jagienka zu versetzen pflegte. Ein Zittern überkam ihn, er fühlte sich wie gelähmt, aber in seinem Innern loderte eine Glut gleich einer Flamme, die mit Asche bedeckt ist. Danusia war zur Jungfrau erblüht, das ließ sich nicht mehr bezweifeln, und da vor ihr fortwährend von Liebe gesprochen ward, glich sie einer Blütenknospe, welche, durch die Sonne erwärmt, sich immer prächtiger entfaltet. Sie wußte nun, was Liebe war, sie fühlte und dachte ganz anders wie früher. Der Zauber, der Reiz, die von ihr ausgingen; wirkten ebenso belebend und berauschend wie die Flamme des Feuers, wie der Duft der Rose.
All dies empfand Zbyszko sehr wohl, vermochte sich aber keine Rechenschaft darüber zu geben, denn er befand sich wie in einem Traume. Er dachte ebensowenig daran, daß er bei Tische aufwarten müsse, als daß er bemerkte, wie die Hofleute ihn beobachteten, sich mit dem Ellenbogen anstießen, auf ihn und auf Danusia mit den Fingern zeigten und unaufhörlich lachten. Weder das vor Staunen fast starr gewordene Antlitz des Herrn de Lorche nahm er wahr, noch die hervorstehenden Augen des Kreuzritters aus Szczytno, die dieser fortwährend auf Danusia gerichtet hielt und die im Scheine des Kaminfeuers so rot und funkelnd wie die Augen eines Wolfes aussahen. Erst dann kam er wieder zur Besinnung, als die Trompeten abermals erklangen, zum Zeichen, daß man zur Jagd aufbrechen müsse, und als die Fürstin Anna Danuta, sich zu ihm wendend sagte: »Du reitest mit uns. Das wird Dir doch Freude bereiten, und Du kannst dem Mägdlein von Liebe sprechen, was ich auch gar gern höre.«
Nach diesen Worten entfernte sie sich mit Danusia, da sich beide zur Jagd umkleiden mußten. Zbyszko eilte ins Freie, wo man schon die mit Reif bedeckten, wiehernden Pferde für das Fürstenpaar, die Gäste und die Hofleute bereit hielt. Doch ging es nicht mehr so lebhaft her wie zuvor, weil die Treiber sich mit den Netzen schon auf den Weg gemacht hatten und in die Waldwildnis eingedrungen waren. Die Feuer glimmten nur noch. Ein klarer aber kalter Tag brach an. Der Schnee knirschte unter den Tritten, und von den durch einen leisen Luftzug bewegten Bäumen fielen glänzende Eisstückchen herab. Der Fürst ließ nicht lange auf sich warten. Rasch stieg er zu Pferd. Hinter ihm ritt ein Knecht mit der Armbrust und einem so langen und schweren Speere, daß ihn nur wenige hätten werfen können. Der Fürst handhabte ihn indessen mit Leichtigkeit, besaß er doch auch wie die andern masovischen Piasten eine außergewöhnliche Kraft. Diesem Geschlechte gehörten sogar Frauen 20 an, die, sich mit ausländischen Großen vermählend, während des Hochzeitsmahles breite eiserne Schwerter mit den Fingern zusammenbogen. In der Nähe des Fürsten Janusz hielten sich zwei Mannen, um ihm, wenn es notthun sollte, Hilfe zu leisten. Diese waren unter allen Edeln aus dem Gebiete von Warschau und Ciechanow ausgewählt worden und sahen durch ihren hohen Wuchs, durch ihre stämmigen Glieder und breiten Schultern so furchterregend aus, daß Herr de Lorche sie voll Staunen betrachtete.
Mittlerweile war auch die Fürstin mit Danusia erschienen, beide in Kapuzen aus weißen Wieselfellen gehüllt. Die nicht aus der Art geschlagene Tochter Kiejstuts verstand weit besser den Bogen als die Nadel zu führen, und so trug man denn auch ihr eine schön gearbeitete, aber etwas leichtere Armbrust nach. Auf den Schnee kniend, hielt Zbyszko die flache Hand aus, auf welche die Fürstin, das Pferd besteigend, den Fuß setzte, dann hub er Danusia, ganz so empor, wie er dies bei Jagienka in Bogdaniec gethan hatte. Wenige Sekunden darauf setzte sich alles in Bewegung. In langer, schlangenförmiger Reihe zog das Gefolge, rechts vom Jagdhofe abbiegend, schillernd und schimmernd, gleich einem farbigen Streifen am Rande eines dunklen Stoffes, am Saume des düsteren Waldes dahin, um dann allmählich in dem Dickicht zu verschwinden.
Erst nach geraumer Zeit – sie befanden sich schon ziemlich tief im Walde – wandte sich die Fürstin abermals zu Zbyszko und fragte: »Weshalb redest Du nichts? So sprich doch mit ihr.«
Allein trotz dieser Aufforderung schwieg der junge Ritter noch eine ganze Weile. Eine plötzliche Schüchternheit hatte sich seiner bemächtigt, und es dauerte länger als ein oder zwei Vaterunser, bevor er also anhub: »Danuska!«
»Was ist Dein Begehr, Zbyszko?«
»Ich liebe Dich so …«
Umsonst nach Worten ringend, hielt Zbyszko plötzlich inne. Wohl war er wie ein fremdländischer Ritter vor dem Mägdlein auf die Knie gesunken, wohl bemühte er sich jetzt, ihr seine Verehrung durch schön gesetzte Worte zu beweisen, allein vergeblich strengte er sich an, der höfischen Sitte gerecht zu werden. Mit seinem von Liebe überströmenden Herzen vermochte er nur ganz schlicht zu reden und so setzte er denn schließlich hinzu: »Ich liebe Dich so sehr, daß mir der Atem stockt.«
Das von der Kälte rosig angehauchte Gesichtchen Danusias strahlte vor Glück und unter ihrer Kapuze aus Wieselfellen mit ihren blauen Augen zu dem Geliebten emporschauend, antwortete sie eilig: »Und ich Dich, Zbyszko!«
Rasch senkte sie aber dann sofort wieder die Augen, denn nun wußte sie, was Liebe ist.
»Hei, Du mein süßes Schätzelein, hei. Du mein Mägdlein, hei!« rief nun Zbyszko, abermals von Glück und Rührung dermaßen übermannt, daß er nichts weiter zu sagen wußte. Allein die gütige und dabei ein wenig neugierige Fürstin kam ihm von neuem zu Hilfe.
»Erzähle ihr doch,« begann sie, »wie Du Dich nach ihr sehntest, und kommen wir in ein tiefes Waldesdickicht, kannst Du sie auf ihr Mäulchen küssen. Ich gebe Dir die Erlaubnis dazu, denn ein Kuß ist der beste Ausdruck für Deine Liebe.«
Ohne lange Umschweife zu machen, schilderte er ihr nun, wie ihn die Pflege des Ohms in Bogdaniec zurückgehalten hatte, wie er aber trotz seiner Anhänglichkeit an diesen, trotz seines Verkehrs mit den Nachbarn, von einer verzehrenden Sehnsucht nach ihr ergriffen worden war. Wenn nun aber auch der arglistige Schalk Jagienkas mit keinem Worte gedachte, wich er doch nicht von der Wahrheit ab, denn jetzt liebte er die reizende Danusia in einer Weise, daß er sie gern in die Arme genommen, sie vor sich auf das Pferd gesetzt und sie an seine Brust gedrückt hätte.
Er wagte aber nicht, dies zu thun. Sobald sie indessen die erste dichte Waldesstelle erreicht hatten, die sie, seiner Ansicht nach, vor den hinter ihnen reitenden Hofherren und Gästen verbarg, neigte er sich zu Danusia, umfaßte sie und drückte sein Gesicht tief in die Kapuze aus Wieselfellen, um in solcher Weise seine Liebe zu bethätigen.
Doch da im Winter die Haselnußstauden bekanntlich keine Blätter haben, waren Hugo de Danveld, Fulk de Lorche und alle Hofleute Zeugen seiner That.
»Vor der Fürstin hat er sie geliebkost!« sprach nun einer zu dem andern. »Sicherlich wird ihnen die hohe Frau baldigst das Hochzeitsfest ausrichten lassen müssen.«
»Ein feuriger Bursche ist er,« meinte ein zweiter, »doch in den Adern von Jurands Tochter fließt auch heißes Blut.«
»Stein und Zunder sind die beiden, wenngleich das Mägdlein wie die liebe Unschuld aussieht,« ließ sich ein dritter vernehmen. »Hegt nur keine Sorge, da wird’s Funken sprühen! Er klebt ja an ihr wie eine Klette in der menschlichen Haut!«
Alle lachten, der Kreuzritter aus Szczytno aber wandte sein Gesicht mit tückischem Blick dem Herrn de Lorche zu und fragte: »Wünschet Ihr nicht, o Herr, daß Euch irgend ein Merlin durch seine Zauberkünste in jenes Ritterlein 21 verwandelt?«
»Und Ihr, o Herr?« entgegnete de Lorche.
Daraufhin zog der Kreuzritter, in dem sich augenscheinlich Eifersucht regte, ungeduldig den Zügel seines Pferdes fester an und rief: »Bei meiner Seele!«
Dann blickte er ängstlich forschend auf den Lothringer, fürchtete er doch, ein Lächeln auf dessen Antlitz wahrzunehmen. Ueber die Tugend der Kreuzritter herrschte keine allzu gute Meinung, und besonders Hugo de Danveld stand in ganz schlechtem Rufe. Er war vor wenigen Jahren als Gehilfe dem Vogte von Sambia zuerteilt worden. Die Klagen gegen ihn hatten sich aber derart gehäuft, daß man ihm, trotz der Strenge, mit der in Marienburg ähnliche Dinge behandelt wurden, die Führung der Burgbesatzung in Szczytno übertrug. In geheimen Aufträgen an den Hof des Fürsten Janusz entsandt, hatte er kaum die schöne Tochter Jurands erblickt, als er von der heftigsten Liebe zu ihr ergriffen ward. Da de Danveld jedoch wußte, welchem Geschlechte das Mädchen entstammte, da der Name Jurands schon allein dazu diente, die entsetzlichsten Erinnerungen in ihm wachzurufen, vermischte sich das heiße Verlangen mit einem Gefühle des wildesten Hasses.
Fulk de Lorche begann ihn aber unverweilt über die Geschehnisse auszufragen: »Ihr nanntet das schöne Jungfräulein, ›Tochter des Teufels‹!« hub er an. »Weshalb nanntet Ihr es so?«
Danveld schilderte die Begebenheit in Zlotorja, er erzählte, wie während des Wiederaufbaus der Burg der Fürst mitsamt dem Hofstaate gefangen genommen worden, wie dabei Danusias Mutter zu Grunde gegangen war, und wie von dieser Zeit an Jurand sich auf die grausamste Weise an allen Ordensrittern zu rächen suche. Vor etwa zwei Jahren war es zwischen de Danveld und Jurand zu einem Zusammenstoß gekommen, und als jener dem Schauder erregenden »Eber aus Spychow« zum ersten Male gegenüber stand, pochte ihm das Herz so, daß er zwei seiner Blutsverwandten, seine Leute und alle Beute im Stiche ließ und wie sinnlos einen ganzen Tag hindurch bis nach Szczytno floh, wo er vor Furcht lange Zeit krank darnieder lag. Nach seiner Genesung beschied ihn der Großmarschall des Ordens vor ein Rittergericht. Da aber de Danveld beteuerte, sein Pferd sei scheu geworden und sei mit ihm von dem Kampfplatze gejagt, wurde durch den Urteilsspruch zwar seine Unschuld erklärt, aber gleichzeitig ihm auch der Weg zu den höheren Aemtern des Ordens verschlossen. All diese Erlebnisse verschwieg der Kreuzritter wohlweislich dem Herrn de Lorche gegenüber, statt dessen erging er sich aber in solch schweren Klagen über Jurands Grausamkeit, sowie über die dreiste Verwegenheit des polnischen Volkes, daß der Lothringer ganz verblüfft ward.
»Wir befinden uns aber doch,« warf er nach kurzem Schweigen ein, »bei den Masuren und nicht bei den Polen?«
»Die gehören alle einem Volke an,« antwortete der Starost, »wenn sie auch unter besonderen Fürsten stehen. Und alle gleichen sich in ihrer Ehrlosigkeit, alle gleichen sich in ihrem Hasse gegen die Ordensbrüder. Gott gebe, daß das deutsche Schwert den ganzen Stamm vertilge.«
»Ihr sprecht wahr und gerecht, o Herr! Denn wie konnte dieser Fürst, dessen ganze Erscheinung doch einen so wohlthuenden Eindruck macht, es wagen, auf Eurem Grund und Boden eine Burg gegen Euch zu errichten. Von einem solchen Unding habe ich selbst unter den Heiden niemals gehört.«
»Die Burg errichtete er wohl gegen uns, allein Zlotorja liegt auf seinem, nicht auf unserem Gebiete.«
»Lob und Preis sei Christus dafür, daß er Euch den Sieg verliehen hat. Doch wie endigte der Krieg?«
»Einen Kriegszug hatten wir damals nicht unternommen.«
»Und Euer Sieg bei Zlotorja?«
»Gott erwies uns eine ganz besondere Gnade. Der Fürst hatte keine Mannen um sich gesammelt. Nur die Hofleute und die Frauen waren in der Burg.«
Voll Staunen vernahm de Lorche diese Rede, doch er vermochte nichts mehr zu sagen, weil die ganze Jagdgesellschaft auf einem großen, ausgerodeten, mit Gestrüpp und Schnee bedeckten Platze angelangt war, auf welchem der Fürst vom Pferde stieg und alle andern seinem Beispiel folgten.