17

 

So nahmen sie Tony Romano mit sich. Auch die beiden Toten wurden ins Polizeiboot getragen. Die Passagiere der ›Ceramia‹ hörten jetzt zum erstenmal etwas von der Tragödie, die sich an Bord abgespielt hatte.

 

Jim ging zur Kabine von Mrs. Markham. Sie war nicht allein. Cecile saß bei ihr und tröstete sie.

 

»Wollen sie mich auch verhaften?« fragte Stella müde.

 

Jim schüttelte den Kopf.

 

Er zögerte noch, ihr die Tat des Italieners zu erzählen, wodurch er die letzte Chance einbüßte, dem elektrischen Stuhl zu entkommen.

 

»Ich hatte nicht nötig, Ihre Anwesenheit auf dem Schiff zu erklären, Mrs. Markham«, sagte er. »Der einzige Mann, der Sie verraten konnte, ist tot.«

 

Sie nickte.

 

»Tony … hat Tony das für mich getan?«

 

Erst als sie sich am Abend in Ceciles Wohnzimmer im Hotel versammelten, erzählte Mrs. Trenton ihre Geschichte.

 

»Es ist ja bekannt, daß ich mit meinem Mann durchbrannte. Er war viel älter als ich. Damals war ich restlos in ihn verliebt – aber diese Leidenschaft verflog bald. Er gehörte einer anderen Gesellschaftsschicht an wie ich, aber sein Mangel an Bildung hätte sich noch entschuldigen lassen. Er hätte es mit seiner Intelligenz weit bringen können, wenn er nur gewollt hätte. Aber John Winter-Trenton war immer ein Verbrecher. Es dauerte sehr lange, bis ich die Wahrheit erfuhr, und dann erschrak ich nicht so sehr, wie es wohl hätte sein sollen. Auf jeden Fall konnte er alles so glänzend darstellen, daß ich mit ihm gemeinsame Sache machte. Ich habe eine passive Rolle bei einer seiner größten Betrügereien gespielt. Lange Zeit ging es gut, aber dann verfolgte uns eine sehr schlaue Detektivin.«

 

Jim lächelte.

 

»Merkwürdig, zuerst hielt ich Sie für diese Detektivin, als ich in die Geschichte eingeweiht wurde.«

 

Stella schüttelte den Kopf.

 

»Nein, sie hat Amerika niemals verlassen. Sie hat uns damals das erstemal überführt. Winter und ich wurden daraufhin verhaftet, und während wir in Untersuchungshaft saßen, habe ich meine Schwester davon verständigt, was aus mir geworden war. Jahrelang hatte Winter nur in kleinem Maßstab gearbeitet, dann kam er mit Talbots Hilfe und durch sonstige Unterstützung vorwärts. Wir fuhren nach Europa, und dann begann diese Serie von Einbrüchen, die Sie ja kennen. Winter hatte sie alle ausgedacht und geplant, Tony und Talbot führten sie aus. Ich hatte weiter nichts zu tun, als die große Dame zu spielen. Wir mieteten sehr teure Landsitze, manchmal im Norden Englands, manchmal im Süden, die den anderen als Operationsbasis dienten. Winter gab sich für meinen Butler aus.«

 

Sie lächelte schwach.

 

»Es liegt eine gewisse Ironie darin, denn ich war seine Sklavin. Nun ist er tot«, sagte sie leidenschaftlich, »und ich bin froh, daß er tot ist. Mit meinen eigenen Hände hätte ich ihn ermorden sollen.« Sie hatte sich erhoben und zitterte vor Leidenschaft. Dann packte sie ein Weinkrampf.

 

»Ich glaube, wir wissen alles, was notwendig ist, Mrs. Cameron«, sagte Jim. »Weiß Ihr Mann davon?«

 

»Ich habe ihm alles mitgeteilt«, erwiderte Cecile.

 

Jim ging aus dem Zimmer und nahm Margot mit sich. Sie fuhren mit dem Lift in die Höhe.

 

»Warum hast du eigentlich ihre Kabine an Bord des Dampfers durchsucht, Jim? Du warst doch dieser geheimnisvolle Matrose oder Heizer, den sie durch das Fenster verschwinden sah? Hast du etwas Bestimmtes gesucht?«

 

»Ich erwartete, zwei verschiedene Dinge zu finden. Eins habe ich allerdings entdeckt – den zweiten Ring mit den Töchtern der Nacht. Du erinnerst dich doch noch, daß Cecile erzählte, ihr Vater hätte zwei Ringe angefertigt und jeder seiner Töchter einen gegeben. Den habe ich nicht entdecken können, es war eine große Enttäuschung für mich. Wir haben das Juwelenhalsband nicht gefunden, das von Mrs. Markham auf der Bank deponiert wurde und heute ihr einziges Vermögen darstellt. Die Bank ist ja dafür verantwortlich und muß ihr die Summe von hundertzwölftausend Pfund zahlen. Sieh her, hier ist der Ring.«

 

Er nahm ihn aus der Westentasche und zeigte ihn ihr. Der Schmuck glich genau, dem Stück, das Mrs. Cameron getragen hatte. Margot nahm ihn in die Hand und bewunderte ihn.

 

»Sanderson hatte eine Photographie von Mrs. Markham mit dem Ring in der Hand. Mein Assistent muß sie einmal kurz gesehen haben. Durch Winters liebenswürdiges Wesen ließ er sich täuschen und lud den vermeintlichen Butler an dem Abend ein, an dem Mrs. Markham Moorfeld verließ. Er wollte ihn als seinen Agenten anstellen und zog ihn ins Vertrauen, damit er seine Herrin in Amerika beobachten sollte. Er hatte Stella in Verdacht, da sie eine große Ähnlichkeit mit der Photographie hatte, die in seinem Besitz war. Ausgerechnet Winter sollte ihm die letzten Beweise für die Identität von Mrs. Trenton und Mrs. Markham bringen! Das würde alle Tatsachen erklären. Gewißheit wird man wohl nie darüber erhalten können, da die Hauptbeteiligten an dieser Tragödie nun tot sind.«

 

»Was ist dann geschehen?«

 

»Winter kam in der Nacht zu der Bank. Mrs. Markham mag vielleicht im Auto gesessen haben, das auf der anderen Seite der Straße hielt. Wahrscheinlich geriet er in große Bestürzung, als er die Photographie in Sandersons Besitz sah. Denn, wenn Stella identifiziert war, würde auch er in kurzer Zeit erkannt sein. In seiner Verzweiflung muß er Sanderson gedroht haben, der sich mit meinem Revolver verteidigte. Die beiden rangen miteinander, das konnte man ja deutlich an den Spuren im Büro sehen. Die Stühle waren umgestoßen. Winter war persönlich muskulös und kräftig. Er brachte den Revolver an sich, schoß Sanderson nieder und riß ihm die Photographie aus der Hand. Er muß gerade in dem Augenblick durch den Gang geflohen sein, als ich in mein Büro trat.«

 

»Aber was ist denn mit dem Juwelenhalsband passiert?«

 

»Während ich in Sandersons Büro stand und auf den Toten niederbückte, hatte ich das bestimmte Gefühl, daß Mrs. Markham in irgendeiner Weise in den Fall verwickelt war. Ich nahm meine Schlüssel, öffnete den Safe und erwartete eigentlich, daß ihr Paket gestohlen war. Sanderson hatte mir erzählt, daß Winter einen Besuch auf der Bank gemacht und sich das Paket angesehen hatte. Ja, er hatte sogar berichtet, wie Winter ihm einen Mann auf der Straße zeigte, den seine Herrin nicht leiden konnte. Ich fand das Paket, nahm es mit zum Tisch und öffnete die Siegel. Und wie ich vermutet hatte, war der Glaskasten leer.«

 

»Was war denn geschehen?«

 

»Winter hatte den ganz gewöhnlichen Trick ausgeführt, zwei gleiche Pakete miteinander auszuwechseln. Er hatte ein ganz ähnliches Paket in braunem Papier zur Bank mitgebracht, das auf gleiche Weise versiegelt war, und während er Sandersons Aufmerksamkeit ablenkte, indem er ihm jemand auf der Straße zeigte, vertauschte er die beiden kleinen Päckchen. Nun wußte ich, daß Winter an dem ganzen Fall beteiligt war, und ich ahnte auch, daß er Sanderson getäuscht hatte. Ich glaubte, daß Mrs. Markham Moorford schon verlassen hätte; wahrscheinlich war Winter mit ihr zusammen auf dem Weg nach Southampton. Ich mußte schnell nachdenken und einen Entschluß fassen. So holte ich zweihundert Pfund aus einer Schublade meines Schreibtisches, eilte nach Hause und nahm meinen Koffer, der bereits für meinen Besuch in London gepackt war. Es gelang mir, den letzten Zug nach Exeter noch zu erreichen. Den Rest der Geschichte kennst du ja.«

 

»Was wolltest du an Bord des Schiffes?«

 

Er lachte.

 

»Ich wußte doch, daß der Mörder an Bord sein mußte, und außerdem warst du doch auf der ›Ceramia‹.

 

»Jim, schäme dich, daß du die beiden Dinge in einem Atemzug nennen kannst. Dabei soll ich dich noch lieben –?«

 

»Gewiß«, erwiderte er ruhig. »Ich sage dir ganz offen, das einzige, was mich damals noch vorwärtstrieb, und warum ich den Mut nicht verlor, war das Bewußtsein, daß du mir nahe warst.«

 

Sie sah ihn mit einem prüfenden Blick von der Seite an. Dreimal hatte sich die Tür des Lifts geöffnet, aber sie hatten es nicht gemerkt.

 

»Meinst du das wirklich?«

 

»Selbstverständlich«, entgegnete er etwas verletzt.

 

Sie dankte ihm mit einem Blick.

 

»Aber du hast mir noch nicht gesagt, was aus dem Halsband geworden ist.«

 

Er zuckte verzweifelt die Schultern.

 

»In den weiten Taschen von Tonys Breeches steckten so viel Juwelen und Brillanten, daß ein Juwelier zehn Jahre lang davon hätte verkaufen können. Aber es war nichts darunter, was dem Juwelenhalsband von Mrs. Markham auch nur im entferntesten ähnlich gesehen hätte. Das ist eine fatale Tatsache für mich. Ich möchte bloß wissen –«

 

»Die arme Mrs. Markham! Was wird nun das Ende sein?«

 

Jim zuckte die Schultern.

 

»Übrigens möchte ich nur wissen, wer ihre Freundin in New York ist, der ich die Konfektschachtel überreichen soll.«

 

»Was, sie hat eine Freundin in New York?« fragte Jim plötzlich interessiert.

 

»Ach, es ist eine Dame, die nach der Schachtel fragen soll –«

 

Jim faßte sie hart an der Schulter.

 

»Wo ist das Päckchen?«

 

»Du meinst doch nicht etwa –«

 

»Wir wollen es sofort untersuchen.«

 

Sie eilten zusammen den Gang entlang, und Jim ging mit ihr in die Kabine. Sie schlossen den Koffer auf, und mit zitternden Händen riß Margot das Packpapier von dem Kasten.

 

Jim öffnete sofort den Deckel und machte ein enttäuschtes Gesicht.

 

»Es ist tatsächlich Konfekt«, sagte er. »Das heißt –« Er fühlte mit den Fingern zwischen die einzelnen Stücke, schob die Schokolade dann beiseite und zog einen Gegenstand heraus, der glänzte und glitzerte.

 

»Margot, unsere Zukunft ist gesichert!«

 

»Sie war schon gesichert, als du vom Ertrinken gerettet wurdest.«

 

Jim nickte.

 

»Jetzt erklärt sich auch alles andere. Tony war doch in deiner Kabine?«

 

»Der Italiener – ja! Ich habe es ihm direkt auf den Kopf zugesagt. Aber was hat das jetzt zu bedeuten?«

 

»Er ist dorthin gegangen, um sich zu überzeugen, daß das Brillanthalsband wirklich dort war. Es ist Stella Markhams Eigentum, und er machte sich Sorge darum. Wahrscheinlich hat er vermutet, daß Stella es dir zur Aufbewahrung übergab, und hat deine Kabine durchsucht, um sich zu beruhigen. Er hat sie über alles geliebt.«

 

»Was, Tony Romano hat Mrs. Markham geliebt?« fragte Margot ungläubig.

 

»Ja, seine Liebe war so groß, daß er die Frau rettete, genau wie du mich gerettet hast, als du in dem hübschen Schwimmanzug ins Wasser sprangst…«

 

Sie sah ihn etwas ärgerlich an, aber er schloß sie mit einem glücklichen Lachen in die Arme.

 

*

 

Ende