Das Wasser der Verrücktheit

 

Unerwartete Vorfälle ereigneten sich häufig in dem Gebiet, das Distriktsgouverneur Sanders verwaltete. So ging Bones eines Tages ans Ufer, um die »Post abzuholen«. Das geschah gewöhnlich in der Weise, daß er den Postsack in Empfang nahm, der in weitem Bogen aus einem auf den Wellen tanzenden Boot ans Land geworfen wurde. Diesmal war er erstaunt, als er sah, daß das Boot zum Ufer fuhr und nicht nur die Post, sondern auch einen Fremden samt seinem Gepäck absetzte.

 

Er war glattrasiert, untersetzt, trug einen tadellosen weißen Anzug und begrüßte Bones mit einem freundlichen Nicken.

 

»Morgen«, sagte er, »ich habe Ihnen die Post mitgebracht.«

 

Bones streckte die Hand aus und nahm den Postbeutel ohne Anzeichen großer Begeisterung entgegen.

 

»Ist Sanders in der Residenz?«

 

»Mr. Sanders ist nicht anwesend«, erwiderte Bones reserviert.

 

Der andere lachte. »Zeigen Sie mir den Weg«, sagte er barsch. Bones betrachtete ihn von oben bis unten. »Entschuldigen Sie, mein netter alter Herr, habe ich die Ehre, mit dem Herrn Kriegsminister zu sprechen?«

 

»Nein«, erwiderte der Fremde überrascht. »Wie kommen Sie auf diese Idee?«

 

»Weil er der einzige Mensch ist, der nicht das kleine Wörtchen ›bitte‹ seinen Aufforderungen mir gegenüber hinzuzufügen brauchte«, sagte Bones mit steigendem Ärger.

 

Der Mann wollte sich vor Lachen ausschütten.

 

»Entschuldigen Sie. Bitte, zeigen Sie mir den Weg.«

 

»Folgen Sie mir, Sir.«

 

Sanders war nicht in der Residenz. Er inspizierte gerade die von eingeborenen Schmieden reparierte Kesselanlage der »Zaire«.

 

Der Fremde nahm sich ohne Einladung oder Aufforderung einen Stuhl auf der Veranda, setzte sich und schaute sich dreist um. Patricia Hamilton saß am andern Ende und las ein Buch. Sie hatte nur einen Augenblick aufgesehen und sich über den neuen Ankömmling gewundert.

 

»Ein verflucht hübsches Mädel«, sagte der Fremde und steckte sich eine Zigarette an.

 

»Wie meinen Sie?« fragte Bones.

 

»Ein verflucht hübsches Mädel!«

 

»Und Sie sind ein verflucht ruppiger Mensch! Ich habe bis jetzt nur zu dieser Tatsache geschwiegen.«

 

Der Mann blickte schnell auf. »Was sind Sie eigentlich hier?« fragte er. »Ein Schreiber oder so etwas Ähnliches?«

 

Bones blieb ganz ruhig. »O nein«, sagte er mit der liebenswürdigsten Stimme. »Ich bin ein Offizier der König-Haussa hier, Rang: Leutnant. Meine Aufgabe ist es, die Eingeborenen hier an Ordnung und Gesetz zu gewöhnen und die zivilisierten Schweine mit hervorragender Musik zu unterhalten. Wollen Sie ein Stück auf dem Grammophon hören?«

 

Der Fremde runzelte die Stirn. Aber in diesem Augenblick erschien Sanders.

 

Der Ankömmling zog die Brieftasche heraus und entnahm ihr ein Schreiben und eine Karte.

 

»Guten Morgen, Mr. Sanders. Mein Name ist Corklan – P.T. Corklan von der Firma Corklan, Besset & Lyon.«

 

»So?« erwiderte Sanders.

 

»Ich habe einen Brief für Sie.«

 

Sanders nahm ihn in Empfang, öffnete und las ihn. Er trug die saubere Unterschrift eines Unterstaatssekretärs, zeigte den schön geprägten Briefkopf des Auswärtigen Amtes und empfahl Mr. P.T. Corklan dem Distriktsgouverneur Sanders mit der Bitte, den Überbringer ohne Behinderung durch die Gebiete am Großen Strom reisen und ihm jegliche Unterstützung zukommen zu lassen, die mit dem Dienst zu vereinbaren war, damit er seine Studien über Zuckergewinnung aus der süßen Kartoffel fördern könne.

 

»Das hätten Sie zur Zentralverwaltung mitnehmen sollen. Es muß die Unterschrift des Gouverneurs tragen.«

 

»Diesen Brief habe ich«, entgegnete der Mann kurz.

 

»Und wenn Ihnen die Unterschrift eines Staatssekretärs nicht genügt, dann werde ich sofort nach England zurückfahren und mich persönlich an ihn wenden.«

 

»Meinetwegen können Sie sich auch an den Teufel persönlich wenden! Sie reisen jedenfalls nicht eher in das Innere, bis ich von meinem Vorgesetzten telegrafisch Anweisung dazu erhalten habe. Bones, nehmen Sie den Herrn mit zu Ihrem Quartier. Ihre Leute sollen für ihn tun, was in ihren Kräften steht.«

 

Damit drehte er sich kurz um und ging ins Haus.

 

»Sie werden noch darüber hören«, sagte Mr. Corklan.

 

»Hier hinaus, mein lieber alter Pilgersmann!«

 

»Wer trägt mein Gepäck?«

 

»Ihr Name ist mir entfallen, aber wenn Sie einmal auf Ihrer Visitenkarte nachschauen, dann finden Sie den netten Namen des Gepäckträgers dort sehr deutlich verzeichnet.«

 

Sanders berichtete über den Vorfall in seinem knappen, energischen Stil und sandte ein Telegramm von hundert Worten an die Zentralverwaltung.

 

Zufällig war der Gouverneur auf einem kurzen Jagdausflug, deshalb antwortete sein Sekretär.

 

Zentralverwaltung an Sanders – Duplikat des Empfehlungsschreibens hier. Lassen Sie Corklan auf eigene Gefahr reisen. Warnen Sie vor Gefahren.

 

»Sie können es ihm mitteilen«, sagte Sanders zu Bones. »Er kann sofort losziehen, je eher, desto besser.«

 

Bones überbrachte die Botschaft Mr. Corklan, der auf dem Bett seines Gastgebers saß. Der ganze Boden war mit Zigarettenasche bedeckt. Aber das Schlimmste war in Bones‘ Augen die große Flasche Whisky, die der Mann aus einem seiner Koffer genommen hatte. Obendrein hatte er sich selbst aus Bones‘ Schrank ein Glas geholt.

 

»Dann kann ich also heute abend schon fort? Die Sache wäre also in Ordnung. Wie komme ich denn am besten ins Innere?«

 

Bones war schon in das Stadium gekommen, in dem er sich nicht über die Menschen ärgerte, sondern sich sogar für die Situation interessierte.

 

»Wie denken Sie sich denn Ihre Reise?« fragte er neugierig.

 

»Haben Sie denn keinen Dampfer für mich? Hat Sanders kein Regierungsboot?«

 

»Verzeihen Sie, wenn mir etwas schwach wird!« Bones ließ sich in einen Stuhl fallen.

 

»Nun, wie kann ich denn fortkommen?«

 

»Können Sie gut schwimmen?« fragte Bones unschuldig.

 

»Hören Sie doch einmal zu. Sie sind doch ein netter Kerl – ich mag Sie.«

 

»Das tut mir aber leid.«

 

»Ich mag Sie wirklich«, wiederholte Mr. Corklan. »Sie könnten mir doch ein wenig helfen.«

 

»Das werde ich wahrscheinlich nicht tun«, sagte Bones.

 

»Aber erklären Sie mir nur ruhig die Sache, mein lieber alter Abenteurer.«

 

»Da haben Sie recht, das bin ich.« Corklan biß das Ende einer neuen Zigarre ab und steckte sie mit dem glühenden Rest der alten in Brand. »Ich bin überall in der Welt herumgekommen und habe mich mit verschiedenen Dingen befaßt. Ich habe nun die Möglichkeit, ein Vermögen zu gewinnen. In diesem Lande gibt es einen Stamm, den man die N’gombi nennt. Sie leben in einem wunderbaren Gebiet, in dem viel Gummi wächst. Und ich habe gehört, daß sie unheimliche Mengen von Elfenbein und geheime Gummivorräte vergraben haben.«

 

Es war eine Tatsache – Bones war überrascht, daß der Fremde davon wußte –, daß die N’gombi sehr sparsame, vorsichtige und geizige Leute waren und ihre wohlverborgenen Schätze von Elefantenzähnen hüteten. Seit Hunderten von Jahren trieben sie mit Elfenbein und Gummi Handel, und jedes einzelne Dorf besaß seine geheime Vorratskammer. Die Regierung hatte seit langem versucht, die N’gombi zu überreden, ihren Reichtum in staatlichen Gewahrsam zu geben, denn derart kostbare Vorräte bedeuten früher oder später Krieg. Der Stamm lebte im Innern der großen Wälder – das Wort N’gombi heißt soviel wie »innen«. In ihren Wäldern gab es viele Elefanten und Gummibäume.

 

»Sie sind ja das reinste Informationsbüro«, sagte Bones bewundernd. »Aber was hat denn dies mit Ihren wissenschaftlichen Untersuchungen der süßen Kartoffel zu tun?«

 

Der Mann rauchte eine Weile schweigend, dann nahm er eine große Karte aus seiner Tasche. Bones war wieder erstaunt, denn es war die amtliche Geheimkarte.

 

Mr. Corklan verfolgte den großen Strom mit seinem dicken Zeigefinger.

 

»Von hier erstreckt sich das N’gombi-Land, von dem östlichen Ufer des Isisi-Flusses ab. Dies ist alles Wald, und ungefähr alle zehn Quadratmeter findet man einen Gummibaum.«

 

»Ich habe sie noch nicht gezählt, aber ich will Ihre Angabe gelten lassen.«

 

»Was hat aber dies hier zu bedeuten?« Mr. Corklan zeigte auf eine gewundene Linie von Strichen und Pünktchen, die an dem Einfluß des Isisi in den Großen Strom begann und sich in vielen kleinen Windungen fünfhundert Meilen hinzog, bis sie den Sigifluß traf, der durch spanisches Gebiet floß. »Was ist das?«

 

»Das scheinen die Fußspuren des großen Vogels Roch zu sein, der mit den Augen bellt und nur von Buttertoast und Eisenzeug lebt.«

 

»Ich will Ihnen sagen, was es ist.« Mr. Corklan schaute Bones vielsagend an. »Dies ist einer jener geheimen Ströme, die man immer in diesen ›nassen‹ Ländern antrifft. Die Eingeborenen können einem viel davon erzählen. Aber man findet sie niemals. Es sind Flüsse, die in vielen Jahren nur einmal mit Wasser gefüllt sind, wenn der Große Strom Hochwasser hat und es andauernd heftig regnet. Nun hat man mir in dem spanischen Gebiet erzählt, daß die Mündung des geheimen Stromes Wasser führt.« Er stieß Bones nachdrücklich ans Knie.

 

»In dem spanischen Gebiet erzählt man allerhand Märchen«, erwiderte Bones höflich. »Dort sagen Ihnen die Leute alles, was Ihnen angenehm sein kann, wenn Sie ihnen nur das nötige Silbergeld in die Hand drücken.«

 

»Wie steht es denn mit dem Teil des geheimen Stromes, der auf Ihrem Gebiet liegt?« fragte Mr. Corklan, der Bones‘ Abneigung, über diesen Gegenstand zu sprechen, ganz übersah.

 

»Das werden Sie ja selbst herausbekommen – ich möchte Sie nicht gern vorher schon entmutigen.«

 

»Wie komme ich denn nun aber ins Innere?« fragte Mr. Corklan nach einer Pause.

 

»Sie können ein Kanu mieten und im Lande leben, wenn Sie sich nicht Konserven und Nahrungsmittel mitgebracht haben.«

 

Der Mann lachte. »Selbstverständlich habe ich keine Vorräte mitgebracht. Ich will Ihnen einmal etwas zeigen. Sie sind ein netter Kerl.«

 

Er öffnete seinen Koffer und zog ein dickes Paket heraus. Es schienen dünne Häute zu sein, mindestens zwei- bis dreihundert Stück. »Das ist meine Spezialität.« Er löste das Band, das sie zusammenhielt, nahm ein Stück heraus und blies es auf. Die Haut blähte sich wie ein Kinderballon. »Wissen Sie, was das ist?«

 

»Nein, das kann ich Ihnen nicht sagen.«

 

»Sie haben doch sicher einmal von Soemmerings Methode gehört?«

 

Bones schüttelte den Kopf.

 

Mr. Corklan lachte, legte die Häute wieder in seinen Koffer zurück und schloß ihn ab.

 

»Das ist mein kleiner Scherz. Alle meine Freunde haben mir gesagt, daß ich eines Tages dabei mein Leben riskieren werde. Aber ich liebe es, den Leuten Rätsel aufzugeben.« Er lächelte liebenswürdig und selbstbewußt. »Ich sage ihnen gern die Wahrheit in einer Form, die sie nicht verstehen. Wenn sie sie verständen, würde es einen schrecklichen Aufruhr geben.«

 

»Sie sind ein kluger Kerl, aber ich kann Ihr Gesicht nicht leiden. Verzeihen Sie mir, wenn ich Ihnen das ganz unumwunden sage, mein lieber alter Freund.«

 

»Auf das Gesicht kommt es weniger an als auf das Geld, das man hat«, erwiderte Mr. Corklan selbstzufrieden. »Und ich sage Ihnen nur eines: Wenn ich wieder aus diesem Lande gehe, dann habe ich ein Vermögen gemacht.«

 

»Es tut mir für Sie leid«, meinte Bones kopfschüttelnd, »Ich sehe nicht gern Leute, die sich falschen Hoffnungen hingeben.«

 

Bones berichtete alles dem Distriktsgouverneur, der darüber sehr beunruhigt war.

 

»Wenn ich nur wüßte, was er vorhat. Am liebsten möchte ich ihn überhaupt nicht ins Land gehen lassen, aber angesichts der Anweisung der Zentralverwaltung kann ich ihn nicht gut zurückschicken. Aus den N’gombi wird er nichts herausholen. Ich habe schon alle Methoden angewandt, gute und böse, um diese Kerle zu veranlassen, ihre Ersparnisse der Regierung zur Verwahrung zu übergeben, und bis jetzt keinen Erfolg gehabt.«

 

»Er muß ja unter allen Umständen hierher zurückkommen. Ich glaube nicht, daß er viel Unheil anrichten kann«, sagte Hamilton.

 

»Was hat er denn eigentlich für Gepäck?«

 

»Eine Kiste mit Dingen, die wie gebogene Kupferplatten aussehen«, berichtete Bones. »Es ist sehr dünnes Kupfer, aber es ist Kupfer. Auch habe ich mehrere Kupferröhren in seinem Gepäck gesehen. Das ist so ungefähr seine ganze Ausrüstung.«

 

Mr. Corklan war anscheinend an der Küste kein Fremder. Bones beobachtete, wie das Kanu des Mannes am andern Tag geladen wurde, und hörte, wie er in der Eingeborenensprache über die Trägheit seiner Ruderer schimpfte. Bones entnahm daraus, daß Mr. Corklans Bekanntschaft mit Zentralafrika schon ziemlich eingehend sein mußte, denn er konnte in Suaheli und portugiesisch fluchen, und seine Ausdrücke waren deftig und roh.

 

»Nun werde ich abfahren«, sagte er schließlich. »Ich will sehen, daß ich heute abend noch zu einem Fischerdorf komme. In einer Woche hoffe ich mein Reiseziel erreicht zu haben. Ich werde Sie nicht wiedersehen, deswegen will ich mich gleich verabschieden.«

 

»Wie wollen Sie denn wieder außer Landes kommen?« fragte Bones neugierig.

 

Mr. Corklan lachte. »Auf Wiedersehen!«

 

»Einen Augenblick, mein lieber alter Entdecker. Ich muß noch eine kleine Formalität erledigen – öffnen Sie noch einmal Ihre Koffer.«

 

Ein argwöhnischer Zug erschien auf Mr. Corklans Gesicht.

 

»Warum soll ich das?«

 

»Nur eine kleine Formalität, mein netter alter Held.«

 

»Warum haben Sie das nicht früher gesagt?« brummte der andere und ließ seine beiden Koffer wieder an Land bringen. »Vermutlich wissen Sie, daß Sie damit Ihre Amtsbefugnisse bei weitem überschreiten.«

 

»Nein, das wußte ich nicht – ich danke Ihnen für die Mitteilung. Ich bin nämlich hier der Zollbeamte, mein Herr und Landsmann.«

 

Mr. Corklan öffnete seine Koffer, und Bones durchsuchte sie. Er fand drei Flaschen Whisky und nahm sie heraus.

 

»Was soll das bedeuten?« fragte Mr. Corklan.

 

Bones antwortete nicht, sondern nahm die Flaschen und zerschmetterte sie am nächsten Stein.

 

»Aber, was zum Teufel …«

 

»Der Wein ist ein Betrüger, und scharfe Getränke bringen die Leute in Wut – dies ist hier sozusagen ein Land, in dem die Prohibition gilt. Ich könnte Ihnen auch noch fünfhundert Pfund abnehmen. Das ist die höchste Strafe dafür, daß Sie den Versuch machten, Alkohol in unser unschuldiges Land einzuführen.«

 

Bones erwartete einen Wutanfall Mr. Corklans, aber der Mann kicherte nur.

 

»Sie sind verrückt!«

 

»Das sagen meine Freunde auch«, gab Bones zu, »aber wegen dieser Getränke kann man nicht von Verrücktheit sprechen. Da Sie das Land kennen und mit der Denkungsart der Eingeborenen vertraut sind, mein lieber Herr, werden Sie die Begierde dieser Leute nach berauschenden Getränken verstehen. Selbst wenn wir Europäer trinken, tun wir es nur auf Kosten unseres Verstandes. Im übrigen wünsche ich Ihnen eine gute Reise.«

 

»Also auf Wiedersehen!« sagte Mr. Corklan.

 

Bones ging zur Residenz zurück, machte seinen Bericht, und damit endete diese Episode vorläufig.

 

Es war nicht ungewöhnlich, daß Wissenschaftler, Fabrikanten und Vertreter von Schiffsgesellschaften mit Empfehlungsbriefen ankamen und ins Innere reisen wollten. Glücklicherweise waren solche Besuche nicht allzu häufig und fanden in verhältnismäßig großen Zwischenräumen statt. Diesmal war Sanders ganz besonders mißtrauisch und sandte einen seiner geheimen Späher aus, um dem Abenteuerer zu folgen. Er hatte ihm den Auftrag gegeben, jedes außergewöhnliche Ereignis zu melden. Diese Maßregel war notwendig, denn die N’gombi, und besonders die inneren N’gombi, sind ein geheimnisvolles Volk, und es ist schwer, ja fast unmöglich, Nachrichten von ihnen zu erhalten.

 

»Ich wäre gar nicht erstaunt, wenn ich erführe, daß bei den N’gombi seit zwei Monaten ein Krieg im Gange ist, ohne daß ich auch nur ein Wort davon zu hören bekommen hätte.«

 

»Wenn sie untereinander Krieg führen – dann ist das selbstverständlich«, sagte Captain Hamilton. »Wenn sie aber gegen Fremde Krieg führen, dann werden wir schon davon hören, denn das geht nicht ohne Geschrei und Lärm ab. Warum senden Sie denn nicht Bones ins Land, um die Zuckerexperimente dieses Mannes zu beaufsichtigen?«

 

»Wir wollen über etwas Angenehmeres sprechen«, entgegnete Bones hastig.

 

Aber nach drei Monaten unternahm er doch die Reise.

 

»Fahren Sie mit der ›Zaire‹ bis zur Flußbiegung bei den Isisi«, sagte Sanders eines Morgens beim Frühstück zu ihm, »und suchen Sie herauszubekommen, was Ali Kano macht – der nachlässige Kerl hätte längst Berichte schicken sollen.«

 

»Sind Nachrichten von den N’gombi gekommen?« fragte Hamilton.

 

»Ich habe nur Allgemeines über sie erfahren. Sie sollen mit einem Male sehr fleißig geworden sein. Anscheinend macht der Zuckerkaufmann große Experimente. Das halbe Volk gräbt nach Wurzeln für ihn.«

 

»Wird es eine gefährliche Fahrt werden?« fragte Patricia ängstlich.

 

»Nein. Warum fragen Sie?« lächelte Sanders.

 

»Weil ich gerne mitfahren würde. Ach, bitte, schauen Sie doch nicht so düster drein. Bones ist immer sehr nett zu mir.«

 

»Hm!« Sanders schüttelte den Kopf.

 

Patricia wandte sich an Hamilton.

 

»Ich würde nichts gegen deine Reise haben – es handelt sich nur um Bones.«

 

»Aber …«, sagte Bones vorwurfsvoll.

 

»Wenn du so gern mitfahren möchtest, kannst du es natürlich tun – wenn du eine Anstandsdame hast.«

 

»Anstandsdame!« Bones war außer sich. »Großer Himmel, Hamilton, nehmen Sie sich doch zusammen. Patricia, öffnen Sie mal schnell das Fenster, damit er frische Luft bekommt! So – fühlen Sie sich jetzt besser?«

 

»Anstandsdame!« rief auch Patricia entrüstet. »Ich bin alt genug, um Bones‘ Mutter zu sein! Ich bin beinahe einundzwanzig – auf jeden Fall älter als Bones, und ich kann auf mich selbst aufpassen.«

 

Schließlich fuhr sie mit Bones ab und nahm ihr Kanomädchen mit, das sie bediente, und Abibus Frau, die für sie kochen sollte. Nach zwei Tagen kamen sie zu der großen Biegung des Flusses. Bones forschte nach dem vermißten Späher, hatte aber keinen Erfolg.

 

»Aber das sage ich dir, Herr«, erklärte ihm der kleine Häuptling, der ein Agent von Sanders war, »im Lande der N’gombi geschehen merkwürdige Dinge. Alle Leute sind dort verrückt geworden und graben ihre Elefantenzähne aus, um sie zu einem weißen Mann zu bringen.«

 

»Das muß Sandi erfahren«, erwiderte Bones, dem die Wichtigkeit dieser Nachricht sofort klarwurde. Noch am selben Abend fuhr er mit der »Zaire« wieder stromabwärts.

 

*

 

Wafa, ein Mischling, halb Araber und halb N’gombi, der die Schlauheit und Verschlagenheit beider Stämme in sich vereinigte, sprach zu seinen Begleitern:

 

»Wir werden bald das Dampfboot der Regierung sehen, wenn es den gewundenen Fluß herunterkommt. Und ich will hinausfahren und mit unserem Herrn Tibbetti sprechen, der ein einfacher Mann ist und ein Herz wie ein Kind hat.«

 

»O Wafa«, sagte einer der bewaffneten Leute, die fröstelnd und zitternd in den kalten Morgenstunden am Ufer standen. »Wenn die Sache nur gut ausgeht – ich weiß nicht, ob dies ein gutes Palaver wird. Mein Bauch ist von Furcht erfüllt. Wir wollen alle vorher dieses Zauberwasser trinken, denn das gibt uns Mut.«

 

»Das werdet ihr tun, wenn ihr alle Befehle unseres Herrn genau ausgeführt habt«, erwiderte Wafa. »Habt keine Furcht, denn bald werdet ihr große Wunderdinge sehen.«

 

Sie hörten das tiefe Tuten einer Sirene, das einen einsamen Fischer mahnte, die schmale Fahrrinne zu verlassen, und plötzlich sahen sie den Regierungsdampfer um die Flußbiegung herumfahren. Das Boot sah glänzend weiß aus, die Schornsteine spien einen Feuerregen von Funken aus, und zwei graue Rauchwolken zogen hinter dem Dampfer her.

 

Wafa sprang in ein Kanu, und als er sah, daß die andern sich anschickten, ihm zu folgen, ruderte er schnell und kam in die Fahrrinne, aus der sich der erschrockene Fischer eben entfernt hatte.

 

»Gehe nicht dahin, o Fremder!« schrie der Isisimann, »Denn es ist unser Herr Sandi, und sein Dampfboot hat schon schrecklich gebrüllt.«

 

»Stirb, du unverschämter Schreihals«, brüllte Wafa, »du sollst ertrinken und auf dem Boden des Flusses liegen, du Sohn eines Fisches, du Vater einer giftigen Schlange!«

 

»Du fremder Frosch«, kam die schrille Antwort, »du armer Mann mit den Frauen zweier anderer Männer! Du hergelaufener Bursche, der keine Ziegen hat …«

 

Aber Wafa war zu begierig, seinen Plan auszuführen, um noch weiter auf die Schimpferei des andern zu achten. Er schlug das Wasser kräftig mit seinen breiten Rudern und erreichte die Mitte der Fahrrinne.

 

Bones stand auf der Kommandobrücke und zog persönlich die Leine zur Dampfsirene.

 

Zwei langgezogene, tiefe Rufe ertönten.

 

»Dieser verdammte Kerl!« sagte Bones vorwurfsvoll. »Wir werden ihn noch in Grund und Boden fahren.«

 

Patricia war gerade damit beschäftigt, in Bones‘ Kabine Staub zu fegen, und schaute heraus.

 

»Was ist denn los?« fragte sie.

 

Bones antwortete nicht. Er stellte den Maschinentelegrafen gerade in dem Augenblick auf rückwärts, als Yoka, der Steuermann, das Rad zurückdrehte.

 

Der Dampfer verlangsamte seine Fahrt und stand dann plötzlich still. Patricia kam besorgt auf die Brücke. Die »Zaire« war auf eine Sandbank aufgefahren und saß mit dem Vorderteil im Trockenen.

 

»Bringt den Mann an Bord«, befahl Bones wütend.

 

Gleich darauf stand Wafa vor ihm.

 

»O Mann«, sagte Bones und sah den Bösewicht durch sein Monokel an. »Welcher böse Geist hat dich geschickt, daß du hier mein feines Schiff anhältst?«

 

Er redete in der Isisisprache und war sehr erstaunt, eine Antwort in Küstenarabisch zu erhalten.

 

»Herr«, sagte der Mann, der sich anscheinend wenig um den Zorn seines Herrn kümmerte, »ich bin gekommen, um ein großes Palaver über Geister und Teufel mit dir zu halten, denn ich habe einen ganz großen Zauber gefunden.«

 

Bones grinste. Er hatte jenen Sinn für Humor, der über alle Aufregungen hinweghilft.

 

»Also, dann versuche einmal deinen großen Zauber, mein Lieber, und bringe dieses Schiff wieder ins tiefe Fahrwasser!«

 

Wafa war nicht im mindesten verlegen.

 

»Herr, es ist ein viel größerer Zauber. Es handelt sich dabei um Menschen. Ich kann dadurch die Toten wieder zum Leben zurückbringen, denn in diesem Walde gibt es einen wunderbaren Baum. Sieh, Herr!«

 

Er zog aus einem lose gerollten Gürtel ein Stück Holz. Bones nahm es in die Hand. Es hatte die Größe und Gestalt eines Maiskolbens, und man sah, daß es eben erst abgeschnitten worden war, denn es war noch feucht vom Saft. Bones roch daran. Es duftete schwach nach Rosinen und Kampfer. Patricia Hamilton lächelte. Das sah Bones wieder so ganz ähnlich, sich durch solche Kleinigkeiten von seiner großen Aufgabe abbringen zu lassen.

 

»Wo ist denn nun aber das Wunder, daß du es wagen darfst, mir in den Weg zu fahren, so daß mein schönes Schiff auf eine Sandbank gerät? Und was sind das für Leute?« Er zeigte auf sechs bemannte Kanus, die sich der »Zaire« näherten.

 

Der Mann antwortete nicht, nahm das Holz wieder aus Bones‘ Hand, zog ein Messer aus seinem Gürtel und strich damit über seinen bloßen Arm, als ob er es wetzen wollte.

 

»Hier ist ein feiner Zauber, o Herr. Mit diesem Holz kann ich viele Wunder tun. Ich kann kranke Leute stark und gesund machen und starke Leute schwach.«

 

Bones hörte, wie die Kanus an der Seite des Dampfers anstießen, aber er war im Augenblick zu neugierig, um darauf zu achten.

 

»So vollbringe ich meinen Zauber, Tibetti«, sprach Wafa mit eintöniger Stimme.

 

Er hielt den Griff des großen, scharfen Messers in seiner rechten Hand, das Holz in der Linken. Die Spitze des Messers war gerade auf das Herz des weißen Mannes gerichtet.

 

»Bones!« schrie Patricia.

 

Bones wich zur Seite und schlug mit der Rechten einen kräftigen Schwinger in das Gesicht des Mannes, der auf ihn zusprang. Er traf Wafa mit der Faust gerade unter das Kinn, so daß dieser nach rückwärts taumelte und zu Boden stürzte. Vom unteren Deck her erschollen Schreie, dann fiel ein Schuß.

 

Bones schob Patricia rasch in die Kabine und schloß die Tür hinter ihr. Im nächsten Augenblick zog er seine beiden Revolver aus dem Gürtel, vergewisserte sich mit einem Blick, daß sie geladen waren, und sprang vorwärts. Das Brückendeck war leer, und er raste die Leiter zu dem Vorderdeck hinunter. Zwei Haussas und ein halbes Dutzend Eingeborene lagen hier tot oder in den letzten Zügen. Die übrigen Soldaten kämpften verzweifelt mit irgendwelchen Waffen, die sie gefunden hatten, denn mit bezeichnender Sorglosigkeit hatten sie ihre Gewehre in Öl gelegt, damit sie in der feuchten Luft an Bord nicht rosteten. Nur die Schildwache hatte ihr Gewehr, und dieses wanderte von Hand zu Hand.

 

»O ihr Hunde!« brüllte Bones.

 

Die Angreifer wandten sich um und sahen sich den Mündungen der beiden Pistolen gegenüber. Damit war der Kampf zu Ende.

 

Später wurde Wafa in Ketten zur Brücke zurückgebracht, und seine Begleiter, die sich mit ihm auf dieses wahnsinnige Abenteuer eingelassen hatten, hockten vorn auf dem unteren Deck und waren mit den Beinen aneinander gebunden. Mit philosophischer Ruhe lauschten sie den Worten der Haussa-Wache, die ihnen in den buntesten Farben ihr kommendes Schicksal schilderte.

 

Bones saß in einem tiefen, bequemen Sessel, und Wafa kauerte vor ihm.

 

»Du sollst deinem Herrn Sandi sagen, warum du diese schlechte Tat getan hast, Wafa. Welche bösen Gedanken waren denn in deinem Herzen?«

 

»O Herr«, erwiderte der Gefangene, der sich nicht im mindesten fürchtete. »Welchen Vorteil habe ich, wenn ich spreche und dir antworte?«

 

Das Betragen dieses Mannes kam Bones sonderbar vor. Er wurde argwöhnisch, stand auf und trat nahe an ihn heran.

 

»Aha!« sagte er dann und biß sich auf die Lippen. »Das Palaver ist aus.«

 

Sie führten Wafa fort.

 

»Was ist los, Bones?« fragte Patricia ängstlich, die die Szene mitverfolgt hatte.

 

Bones schüttelte den Kopf. »Alles, was Sanders so mühsam aufgebaut hat, scheint zusammenzubrechen«, sagte er bitter.

 

Der düstere Ernst dieses sonst so fröhlichen jungen Menschen machte einen tieferen Eindruck auf Patricia als die Kriegsgeschreie der kämpfenden N’gombi, denn Sanders nahm eine große Stellung in ihrem Leben ein.

 

Nach einer Stunde war die »Zaire« wieder flott und fuhr mit Volldampf stromabwärts.

 

*

 

Sanders hielt die Gerichtssitzung in dem strohgedeckten Palaverhaus ab, das zwischen der Wache und dem kleinen, mit einem Palisadenzaun umgebenen Gefängnis in der Nähe des Flusses lag. Das Gefängnis selbst war durch blühende Sträucher und schöne, hohe Akazienbäume verdeckt, so daß man es von der Residenz aus nicht sehen konnte.

 

Wafa war der erste, der verhört wurde.

 

»O Herr«, sagte er, ohne im mindesten eingeschüchtert zu sein, »ich sage dir, daß ich nicht von den großen Wundern sprechen werde, die in meinem Herzen verborgen sind, wenn du mir nicht ein Buch 4 gibst, daß ich freigelassen werde.«

 

Sanders lächelte bitter. »Beim Propheten, ich sage die Wahrheit«, begann er ernst, und Wafa wand sich bei dem Eide, denn er wußte, daß er jetzt die Wahrheit hören würde – eine schreckliche Wahrheit. »In diesem Lande herrsche ich über Millionen von Männern«, sagte Sanders bedeutsam, »ich und zwei weise Herren. Ich regiere durch Furcht, Wafa, denn diese einfachen Männer kennen keine Liebe, es sei denn, daß sie sich selbst oder ihre eigenen Bäuche lieben.«

 

»O Herr, du sprichst die Wahrheit!«

 

»Wenn du nun den Herrn Tibbetti ermorden und diese böse Tat aus geheimen Gründen tun wolltest, so muß ich entdecken, welches Geheimnis dahinter steckt, damit ich das Land, das ich regiere, in der Hand behalte.«

 

»O Herr, das ist wahr.«

 

»Denn was bedeutet ein Leben mehr oder weniger oder ein größeres oder kleineres Leid für einen einzelnen Menschen, wenn das Wohl und Wehe von Millionen davon abhängt?«

 

»O Herr, du bist so weise wie Suleiman«, sagte Wafa, »laß mich deshalb gehen – denn es kommt ja nicht darauf an.«

 

Aber Sanders lachte grimmig. »Du könntest ja lügen, und wenn ich dich gehen lasse, habe ich weder die Wahrheit noch deinen Körper. Nein, Wafa, du sollst sprechen.« Sanders erhob sich von seinem Stuhl. »Heute noch wirst du in das Dorf der Ketten gebracht, und morgen werde ich zu dir kommen. Und wenn du dann nicht sprechen willst, werde ich ein kleines Feuer auf deiner Brust anzünden, und das Feuer wird nicht ausgehen, bis du stirbst. Das Palaver ist aus.«

 

So brachten die Haussa-Soldaten Wafa in das Dorf der Ketten, wo die Verbrecher für ihre Missetaten arbeiten. Am nächsten Morgen kam Sanders.

 

»Sprich jetzt!« sagte er.

 

Wafa starrte ihn mißtrauisch an, aber sein Gesicht zuckte, als er sah, daß die Soldaten Holzpfähle in den Boden trieben, an die er gefesselt werden sollte.

 

»Ich will die Wahrheit sprechen!« erwiderte er.

 

Er wurde in eine Hütte geführt. Sanders blieb wohl eine halbe Stunde allein mit ihm, und als er zurückkam, sah sein Gesicht eingefallen und grau aus. Er winkte Hamilton zu sich.

 

»Wir werden sofort zur Residenz zurückkehren«, sagte er kurz.

 

Zwei Stunden später waren sie dort.

 

Sanders saß in dem kleinen Telegrafenbüro, und der Morse-Apparat rasselte eine halbe Stunde lang. Zu gleicher Zeit summten und klapperten auch andere Apparate in andern Büros. Ein Unterstaatssekretär wurde aus dem Parlament gerufen, um Auskunft über gewisse Dinge zu geben.

 

Am selben Nachmittag um vier Uhr kam die Antwort, die Sanders erwartet hatte.

 

London sagt, Passierschein für Corklan gefälscht. Verhaften. Äußerste Maßnahmen ergreifen. Sofort rücksichtslos und durchgreifend vorgehen. Drei Kompanien afrikanischer Schützen, eine Gebirgsbatterie stehen zur Unterstützung bereit. Guten. Erfolg. Zentralverwaltung.

 

Sanders kam aus dem Büro und traf auf Bones.

 

»Alle Mann an Bord, mein Herr«, berichtete Bones. »Wir wollen sofort abfahren.«

 

Auf dem Wege zum Kai begegnete er Patricia.

 

»Ich weiß, daß die Lage sehr ernst ist«, sagte sie ruhig. »Ich werde an Sie denken.«

 

Sie reichte ihm beide Hände, und er drückte sie. Dann verließ er sie ohne ein weiteres Wort.

 

*

 

Mr. P. T. Corklan saß vor seiner neuen Hütte in dem Dorfe Fimini. Es war die größte Hütte, die die N’gombi jemals gesehen hatten. Hunderte von Paketen waren darin aufgestapelt, alle sauber verpackt und in Eingeborenentuch eingenäht.

 

Er rauchte keine Zigarre, denn seine Vorräte wurden knapp. Dafür kaute er einen Zahnstocher, denn diese sind billig, und man kann sie im Walde umsonst haben. Er rief seinen Vormann. »Wo ist Wafa?« fragte er.

 

»O Herr, er wird kommen, denn er ist sehr gewandt und schlau.«

 

Mr. Corklan fluchte. Er ging zum Ende des Dorfes, wo sich der Boden bis zu einem Streifen grüner Binsen niedersenkte.

 

»Sage mir, wie lange wird dieser Fluß noch Wasser führen?« fragte er.

 

»Herr, noch einen Monat.«

 

Corklan nickte. Solange der geheime Fluß Wasser hatte, konnte er entkommen, denn dieser sich in vielen Windungen hinschlängelnde Strom brachte ihn und seine reiche Fracht in spanisches Gebiet, wo er tiefes Wasser haben würde.

 

Sein Vormann wartete, als ob er ihm noch etwas zu sagen hätte. »O Herr«, begann er schließlich, »der Häuptling des N’coro-Dorfes schickt heute abend zehn große Zähne und ein Gefäß.«

 

»Wenn wir noch hier sind, werden wir sie in Empfang nehmen. Ich hoffe, daß wir schon fort sind.«

 

Aber dann nahte sich das unerwartete Verhängnis. Ein Mann, ganz in Weiß gekleidet, trat aus den Bäumen hervor und ging auf ihn zu, hinter ihm erschien noch ein weißer Mann und ein ganzer Zug eingeborener Soldaten.

 

»Schlimm!« sagte Corklan zu sich selbst. Er hielt den Augenblick für geeignet, sich eine der letzten Zigarren anzustecken.

 

»Guten Morgen, Mr. Sanders«, sagte er in anscheinend bester Laune.

 

Sanders sah ihn schweigend an.

 

»Das ist ein ganz unerwartetes Vergnügen«, fuhr Corklan fort.

 

»Wo haben Sie Ihre Schnapsbrennerei?« fragte Sanders.

 

Der dicke Mann lachte. »Die finden Sie da hinten im Wald dazu noch einen so großen Vorrat an süßen Kartoffeln, daß man fünfzig Gallonen Alkohol daraus destillieren kann, alles nach Soemmerings Methode. Qualität ebensogut wie in England.«

 

Sanders nickte. »Ich besinne mich jetzt – Sie sind der Mann, der damals auch die Brennerei im Aschanti-Land betrieben hat. Damals gelang es Ihnen, zu entkommen.«

 

»Jawohl, das war ich«, entgegnete der andere selbstzufrieden. »P. T. Corklan – ich arbeite niemals unter einem angenommenen Namen.«

 

»Ich kam durch Dörfer, in denen alle Männer und die meisten Frauen betrunken waren – ich kam durch verwüstete Ortschaften, in denen Männer und Frauen erschlagen waren, denn diese Leute sind nicht daran gewöhnt Alkohol zu trinken. Ich habe ein Jahr harter Arbeit vor mir, um diese traurigen Zustände wieder zu ändern. Sie haben eine ganze Provinz in kürzester Zeit verdorben, und soweit ich es beurteilen kann, wollten Sie ein Regierungsboot stehlen und auf neutrales Gebiet entfliehen mit den Schätzen, die Sie durch Ihr …«

 

»Unternehmen verdient haben«, fuhr Mr. Corklan verbindlich fort. »Sie haben das, was Sie da vom Schiff sagen, zu beweisen. Ich bin bereit, mich jeder Untersuchung zu unterwerfen. Es gibt kein Gesetz, das die Einfuhr von Alkohol verbietet. Diese Vorschrift haben Sie selbst erlassen. Ich habe die Gerätschaften für die Brennerei ins Land gebracht, das ist wahr – sie waren in Teile zerlegt, und ich habe sie nachher zusammengesetzt. Ich habe auch Alkohol hergestellt – das gebe ich alles zu.«

 

»Ich habe auf meinem Weg hierher auch einen treuen Angestellten der Regierung, einen gewissen Ali Kano, gefunden«, sagte Sanders leise. »Er lag am Ufer dieses geheimen Stromes, und ich sah die zwei tödlichen Schußwunden, die Sie ihm beigebracht haben.«

 

»Der Nigger spürte hinter mir her, deshalb habe ich ihn niedergeknallt«, erklärte Corklan.

 

»Das weiß ich. Ich lasse Ihnen die Wahl zwischen Erhängen und Erschießen«, fügte er nach einer kleinen Pause hinzu.

 

Mr. Corklan ließ die Zigarre fallen. »Wie?« fragte er heiser. »Das – können Sie doch nicht tun – weil ich ein bißchen Alkohol für – Nigger fabriziert habe!«

 

»Sie haben einen Beamten ermordet«, erwiderte Sanders kurz. »Aber wenn es Sie trösten kann, so will ich Ihnen sagen, daß ich Sie auf alle Fälle zum Tode verurteilt hätte.«

 

Es dauerte eine Stunde, bis Mr. Corklan seine Gedanken so weit sammeln konnte, daß er sich für das Erschießen entschied.

 

Noch heute zeigen die N’gombi einen Hügel in der Nähe des Dorfes Fimini, den sie »Das Wasser der Verrücktheit« nennen, und sie glauben, daß an dieser Stelle böse Teufel ihr Wesen treiben.

 

    1. Ein schriftliches Versprechen