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Den schmerzenden Kopf in die Hände gestützt, saß Larry auf der eisernen Bettstelle in der Zelle. Er hatte die verschiedensten Entwicklungen in dem Abenteuer dieser Nacht vorausgesehen, aber niemals hatte er sich ausmalen können, daß er wie eine Ratte in der Falle sitzen und daß das Rätsel der Loge A in dieser verblüffenden Weise gelöst werden würde. Das war also die Erklärung für Gordon Stuarts Tod. Also auch Stuart hatte die Einladung Judds, in seine Loge zu kommen, angenommen und dort den unheimlichen Dearborn getroffen. Er war betäubt worden, und dann hatte ihn John Dearborn in seinen starken Armen in den Wagen getragen und in das Haus des Todes gebracht.

 

Wenn er auch selbst nicht ein solches Ende des Abends vorausgesehen hatte, so hatte er doch wenigstens einige Vorsichtsmaßregeln getroffen. Instinktiv hatte er gefühlt, daß von all den Plätzen auf Gottes weiter Erde, wo sein Wild sich verbergen und wo das Wort »Finis« für den Fall Stuart geschrieben werden würde, dieses grauenerregende Haus sein würde, das die Brüder Judd für sich und ihre grausigen Pläne erbaut hatten, und der Zweck seines heimlichen Besuches am Morgen war ein doppelter gewesen. Mit eigenen Augen hatte er den Beweis der unmenschlichen Verworfenheit dieses Mannes sehen, aber auch in gleicher Zeit die Gefahr, die ihm und dem jungen Mädchen drohte, kennenlernen wollen.

 

Bei dem Gedanken an Diana, die behaglich zu Haus saß, lächelte er und wanderte sich, was sie wohl fühlen und denken würde, wenn sie wüßte, in welcher Lage er sich befände. Jede Waffe, die er bei sich hatte, war ihm genommen worden, aber das beunruhigte Larry nicht besonders. Er stand von dem Bett auf und ging durch das Zimmer, aber das Gewicht der Kette an seinem Knöchel war so groß, daß er gezwungen war, einen Teil derselben lose in der Hand zu tragen. Einen kurzen Blick warf er auf die schwarzen Löcher in der Wand dicht über dem Fußboden … von dort würde die Gefahr kommen. Wohl durchdacht war die Ausführung dieses Hinrichtungsraumes. Kein Schrei um Hilfe, kein Ruf, kein Geräusch würde durch diese massiven Mauern hindurchdringen. Das Licht in der Decke war durch eine dicke, schwere Glaskugel geschützt und erinnerte an die Schiffsbeleuchtung.

 

Er wollte erst die Länge der Kette kennenlernen, denn, wie er glaubte, hatte er noch reichlich Zeit. Dearborn würde wohl jetzt im Hause sein. Er hörte das Schnappen der Falltür und blickte nach oben, konnte aber nichts sehen. Dann wartete er noch eine weitere halbe Stunde, bis er den großen Steinblock, an dem die Kette befestigt war, beiseite schob. Bevor seine Augen den wasserdichten Sack, den er dort bei seinem früheren Besuche verborgen hatte, erblicken konnte, verlöschte plötzlich das Licht.

 

Merkwürdig genug hatte er an eine solche Möglichkeit nicht gedacht, und er hielt plötzlich den Atem an. Der Beutel war an seinem Platz, seine Finger fühlten ihn, er zog ihn hervor und suchte nach den Schlüsseln. Wäre Licht gewesen, so hätte er keinerlei Schwierigkeiten gehabt, den richtigen Schlüssel herauszufinden, der die Fußschelle öffnete; so aber versuchte er drei Schlüssel, und keiner von ihnen paßte in die schmale Öffnung des Bronzeringes an seinem Fuß.

 

Ein leises, gurgelndes Geräusch, glucksend wie Wasser, das aus einer Flasche läuft … ein kalter Luftstrom traf sein Füße. Er versuchte einen anderen Schlüssel, aber auch dieser ließ ihn im Stich. Schlimmer noch … er blieb in dem Schlüsselloch sitzen und wollte sich nicht wieder herausziehen lassen.

 

Er hörte das Rauschen des Wassers, das durch die kleinen Löcher in der Wand einströmte … das regelmäßige Stampfen einer Pumpe. Er zog und zerrte an dem Schlüssel, dicke Schweißtropfen liefen an seinen Wangen herunter, und endlich, ein Seufzer der Erleichterung, kam der Schlüssel heraus. Das Wasser bedeckte schon seine Füße und stieg mit unheimlicher Geschwindigkeit.

 

Nur noch ein einziger Schlüssel; die übrigen waren für den Zweck zu groß. Er nahm ihn heraus, aber der Bart blieb in der Schnur des Beutels hängen, in dem sie untergebracht waren. Der rettende Schlüssel fiel in das Wasser. Er tastete und suchte … er war verschwunden. Wieder und wieder griffen seine Finger durch das wirbelnde Wasser und suchten hastig auf dem rauhen Zementfußboden. Endlich, mit einem Freudenschrei, hatte er ihn gefunden, hob mühsam seinen Fuß hoch, schob den Schlüssel in die schmale Öffnung. Er drehte sich. Die Fußschelle öffnete sich – er war frei!

 

Noch zwei andere Türen lagen zwischen ihm und der Rettung, und er wußte, daß mit dem ständig steigenden Druck des Wassers eine Arbeit vor ihm lag, die seine Kräfte bis zum äußersten in Anspruch nehmen würde.

 

Das Wasser ging ihm schon bis zu den Hüften. Mühevoll watete er durch den kleinen Gang die beiden Stufen hinauf und hielt krampfhaft den wasserdichten Sack mit den Zähnen fest. Der Schlüssel drehte sich leicht genug, aber die Tür hatte keinen Handgriff, und mit jeder Sekunde vergrößerte sich der Druck des Wassers gegen die Tür. Er biß die Zähne zusammen, holte tief Atem und zog mit aller Kraft langsam … gleichmäßig …