30

 

Diana Ward war es gewesen, die Larry auf den großen verrosteten Kessel in einer Ecke des Kellers aufmerksam gemacht hatte, der der Wäscherei Dampf und Energie lieferte. Larry versuchte vergeblich, die dicke, eiserne Kesseltür, die in den Feuerungsraum führte, zu öffnen. Er zog und zerrte, aber alle seine Mühe war umsonst.

 

»Da kann doch niemand drin sein«, sagte Larry kopfschüttelnd. »Was meinen Sie, Harvey?«

 

»In dem Kessel würde man ja ersticken«, erwiderte Sergeant Harvey.

 

Das junge Mädchen blickte enttäuscht um sich.

 

»Gibt es nicht noch einen anderen Platz, wo sie sein könnte? Ich hatte so sehr gehofft …« Sie beendete ihre Worte nicht.

 

»Nein, Miß«, sagte der Sergeant, »wir haben das ganze Haus sorgfältig durchsucht … Sollen wir die Tür aufbrechen, Sir? fragte er. »Das wird ein paar Stunden dauern.«

 

Larry schüttelte den Kopf.

 

»Ich glaube, es ist nicht nötig. Ich stimme Ihnen bei, daß sich kein Mensch in dem Kessel aufhalten könnte, falls überhaupt Platz genug für einen Menschen sein sollte, um sich darin zu verstecken, was ich nicht einmal annehmen kann.«

 

»Glauben Sie?« fragte das junge Mädchen, als sie weggingen, »daß uns Mr. Grogan die Wahrheit gesagt hat? – Es ist töricht, so dumme Fragen zu stellen: ich bin ja selbst davon überzeugt.«

 

»Da haben Sie recht«, sagte Larry. »Fred ist nun gerade kein Musterknabe, aber in diesem Fall hat er uns nicht angelogen. Es ist wirklich wie ein Glücksspiel«, fügte er bitter hinzu. »Manchmal habe ich das Gefühl, als ob ich dieses Rätsel niemals ergründen werde.«

 

»Das Rätsel wird gelöst, und zwar noch innerhalb einer Woche!« Diana sagte dies mit solcher Sicherheit, daß Larry sie sprachlos ansah.

 

»Dann müssen Sie es lösen«, sagte er schließlich, »denn ich bin jetzt auf einem Punkte angelangt, und zwar dem gefährlichsten für jeden Detektiv, wo ich jeden Menschen in Verdacht habe. Verdacht auf Dr. Judd, auf den unschuldigen Mr. Dearborn, auf Flimmer Fred, den Chefkommissar, auf Sie selbst«, fügte er gutgelaunt hinzu, aber Diana lächelte nicht.

 

»Ich habe mich schon gewundert, wie lange es dauerte, bis Sie mich in Verdacht haben würden«, sagte sie ernsthaft.

 

Sie ging in Begleitung von Harvey nach dem Präsidium, während Larry nach dem Hospital fuhr, um dem verwundeten Hochstapler noch einige weitere Fragen vorzulegen.

 

»Der Himmel weiß, daß ich in meinem ganzen Leben noch niemals einem Polizisten vertraut habe«, sagte Flimmer Fred, der aufmerksam Larrys Worten gelauscht hatte, salbungsvoll, »aber ich glaube, Sie sind ein anderer Schlag, Mr. Holt. In einer meiner Taschen ist der Schlüssel von meinem Bankschließfach, meine Garderobe hat die Anstalt in Verwahrung genommen. Es ist die Bank in Chancery Lane, und ich habe nun mal Vertrauen zu Ihnen«, sagte er mit eigenartiger Betonung. »In meinem Fach liegen verschiedene Dinge, die ich keinen Menschen sehen lassen möchte, aber Sie werden schon finden, was Sie suchen, ohne zuviel zu kramen. Da ist ein Paket Kriegsanleihe«, sagte er unsicher, »die ich mir im Schweiß meines Angesichtes erworben habe.«

 

»Daß jemand dabei geschwitzt hat, möchte ich wetten«, sagte Larry munter. »Sie brauchen sich keine Sorge zu machen, Fred, daß ich hinter Ihre Geheimnisse kommen will, oder daß ich irgend etwas, was ich vielleicht finde, gegen Sie verwerten werde.«

 

Fred fühlte sich äußerst unbehaglich.

 

»Ich wußte ja, daß ich viel riskierte, als ich Ihnen die ganze Geschichte erzählte, denn es war sicher, daß Sie der Sache auf den Grund gehen würden, und ich war mir auch klar darüber, daß ich Ihnen helfen würde. Wenn ich gesund und munter wäre, würde es sehr einfach sein, denn ich hätte Ihnen die Schlüssel gegeben.«

 

»Was sind denn das für Schlüssel?« frage Larry.

 

»Nachschlüssel«, sagte Fred ohne zu erröten, »ich habe sie mir machen lassen. Strauß bekam die Schlüssel in die Hände, als der Doktor schlief, und machte die Abdrücke. Strauß ist gar kein so schlechter Kerl, aber das Schlimme ist, er ›kokst‹. Ich habe niemals für solche schlechte Angewohnheiten etwas übrig gehabt«, fügte Fred tugendhaft hinzu. »Man muß ein klares Auge und einen klaren Kopf haben, um im Leben vorwärtszukommen, stimmt das nicht, Mr. Holt?«

 

»Und acht geschickte Finger plus zwei flinke Daumen«, sagte Larry.

 

Ohne weitere Schwierigkeiten erhielt er die Schlüssel, und eine halbe Stunde später betrat er, vergnügt eine Melodie summend und mit Freds unrechtmäßigen Besitztümern in seiner Tasche klappernd, sein Zimmer Nummer 47 in Scotland Yard.

 

Nach langem Zureden war Diana darauf eingegangen, bis auf weiteres unter Larrys Schutz zu bleiben. Auch die mütterliche Pflegerin war nun eine bleibende Einrichtung in Regents Gate Gardens geworden, was aber Mr. Patrick Sunny äußerst mißfiel, da er gezwungen war, sich in der Küche ein Feldbett aufzuschlagen.

 

»Es tut mir leid, Sunny«, hatte Larry am Abend des ereignisreichen Tages gesagt, »Ihnen diese Unbequemlichkeit verursachen zu müssen. Sehen Sie, die Dame schwebte in großer Gefahr« – Sunny wußte das sehr gut, denn die ganze Angelegenheit war freimütig in seiner Gegenwart besprochen worden –, »und man hätte sie unmöglich in ihrer Wohnung lassen können.«

 

»Nein, Sir, das war ausgeschlossen. – Was für einen Kragen wünschen Sie heute?«

 

»Irgendeinen«, sagte Larry mit einem Lächeln. »Na, auf jeden Fall ist die Dame sicher, wenn sie hier schläft.«

 

»Nein, Sir«, sagte Sunny, und Larry blickte ihn sprachlos vor Überraschung an. Zum erstenmal in seinem Leben stimmte Sunny ihm nicht bei.

 

»Nein?« fragte er ungläubig. »Haben Sie denn nicht gehört, was ich gesagt habe? – Ich sagte, die Dame ist in unserer Wohnung sicher.«

 

»Nein, Sir«, sagte Sunny, »ich bedauere, Ihnen widersprechen zu müssen und bitte ergebenst um Entschuldigung.«

 

»Aber Sie meinen wirklich ›nein‹? Ja, warum ist sie denn hier nicht in Sicherheit?«

 

»Weil Sie selbst nicht sicher sind, Sir«, erwiderte Sunny ruhig, »und solange Sie es nicht sind, ist es die junge Dame auch nicht.«

 

»Es ist gut«, lachte Larry, »denken Sie, wie Sie wollen! Noch eins, Sunny …«

 

»Ja, Sir?«

 

»Schließen Sie bitte heut nacht die Küchentür. Ich habe gehört, wie Sie sich im Bett bewegten und bin dadurch wach geworden.«

 

»Ja, Sir, ich werde die Küchentür schließen«, sagte Sunny und tat es auch wirklich.

 

Als Larry zu Bett gegangen war und die Wohnung in tiefem Schweigen lag, schleppte Sunny sein schmales Feldbett in die Diele, stellte es so auf, daß das Fußende ungefähr vierzig Zentimeter von der Tür entfernt war, lehnte einen Besen so gegen die Tür, daß der Stiel auf seiner Bettkante stand und legte sich hin. Aber die Küchentür hatte er zugemacht!

 

Gegen zwei Uhr morgens wurde geräuschlos ein Schlüssel in das Schloß gesteckt, und die Tür öffnete sich langsam einige Zentimeter. Unbarmherzig fiel der Besen auf Sunnys Kopf.

 

Larry hörte drei schnell aufeinanderfolgende Schüsse, sprang aus dem Bett und lief, Revolver in der Hand, in den Gang. Er sah ein leeres Feldbett, eine offene Tür, aber Sunny war verschwunden. Er flog die Treppe hinunter und begegnete dem würdigen Sunny, der einen kleinen Kerl, dessen gemeine Gesichtszüge schmerzhaft verzogen waren – er hatte eine Fleischwunde im Bein davongetragen –, am Kragen hinter sich herzog.

 

»Bringen Sie ihn hinein«, sagte Larry und verschloß die Tür.

 

Diana, die im Gang stand, zog sich hastig zurück, als man den Mann hindurchführte, erschien aber bald wieder, um an dem nicht sehr ordnungsmäßigen Verhör teilzunehmen, das durch eine respektvolle Entschuldigung Sunnys eingeleitet wurde.

 

»Ich bitte um Entschuldigung, Sir, daß ich mir Ihren Revolver geliehen habe. Was nun mein Bett in der Diele anbetrifft, außerdem noch die Störung, die ich Ihnen verursachen …«

 

»Mein Junge, kein Wort mehr darüber«, sagte Larry mit einem dankbaren Blick zu seinem Diener. »Darüber sprechen wir später. Und nun, mein Freund«, wandte er sich dem abstoßend aussehenden Gefangenen zu, »was haben Sie zu Ihrer Entschuldigung anzuführen?«

 

»Er hat keen Recht, Schießwaffen zu gebrauchen«, antwortete der Mann heiser. »Ich bin verwundet. Ich kam die Treppe runter, so ruhig und friedlich wir nur möglich, als der Mensch hier aus der Tür kam und auf mich schoß.

 

»Du Unschuldsknabe«, sagte Larry ironisch. Er fühlte über die Taschen des Strolches hinweg und brachte ein Messer mit langer Klinge an das Tageslicht, dessen Schärfe er zwischen Daumen und Zeigefinger prüfte. Es war scharf wie ein Rasiermesser.

 

Larry betrachtete den Mann genau. Er war ungefähr fünfunddreißig Jahre alt, hatte hohle Backen und tiefliegende Augen.

 

»Zeigen Sie Ihre Hände«, befahl Larry. Mit finsterem Gesicht gehorchte der Mann. »Schon vorbestraft?«

 

»Nein, Sir«, sagte der Mann mürrisch.

 

»Wer hat Sie hierher geschickt?«

 

»Finden Sie’s doch ‚raus!«

 

»Das werde ich herausfinden«, sagte Larry sanft, »und Sie werden dabei etwas beschädigt werden. Also – wer hat Sie hierher geschickt?«

 

»Von mir erfahren Sie nichts«, war die Antwort.

 

»Ich glaube doch, mein Liebling«, sagte Larry, führte den Mann in die Küche und schloß die Tür hinter ihnen.

 

Als zehn Minuten später Polizeibeamte erschienen, führten sie einen sehr erschütterten Mann ab.

 

»Wie haben Sie ihn denn zum Sprechen gebracht«, fragte das junge Mädchen zaghaft.

 

»Ich habe ihm gedroht, daß ich ihn waschen würde«, sagte Larry und sprach die reine Wahrheit. »Es war natürlich nicht diese Drohung, die seinen Mund öffnete, sondern der Umstand, daß er mit mir allein im Zimmer war, das Bewußtsein, daß ich ihm mit einem Griff seine Sachen herunterreißen konnte und die Angst, daß mein angedrohtes Waschen nur das Vorspiel zu einer schrecklichen Marter sein würde. Seine Verwundung hat übrigens nichts zu bedeuten. Sie wird sich wahrscheinlich schon geschlossen haben, bevor der Polizeiarzt sie überhaupt zu sehen bekommt. Und jetzt, glaube ich, können wir uns alle wieder in unsere diversen Gemächer zurückziehen. Sunny, bevor Sie zu Bett gehen, möchte ich Sie noch einmal sprechen.«

 

Was Larry mit Sunny besprach, hatte zur Folge, daß er für den Rest der Woche mit stolzgeschwellter Brust einherwandelte.