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Nach der Entdeckung des Einbruches in das Leihhaus ging Larry nach dem Polizeibüro zurück, wo ihm noch etwas Neues mitgeteilt wurde. Flimmer Fred war nicht in seiner Wohnung zu finden.

 

»Ich wünschte, Sie würden mitkommen und sich mal seine Wohnung ansehen, Sir«, sagte der Beamte, der Fred hatte vorführen sollen. »Ich glaube, da muß was ganz Merkwürdiges vorgefallen sein.«

 

»Wenn es in dem ganzen Fall Stuart irgend etwas gibt, was nicht merkwürdig ist, dann möchte ich gern wissen, was das sein könnte«, entgegnete Larry heftig.

 

Flimmer Fred lebte in Modley House, Jermyn Street, und der Portier des großen Mietshauses hatte eine sonderbare Geschichte zu erzählen.

 

»Mr. Grogan kam gegen elf Uhr heut abend nach Haus und fuhr direkt nach oben. Ich brachte ihm noch Sodawasser, das er bestellt hatte, und wünschte ihm gute Nacht. Dann machte ich meine Runde und ging dann in meine Loge, wo ich Abendbrot aß und in die Abendzeitung blickte. So gegen halb zwölf glaubte ich so was wie eine Art Schuß und eine schreiende Männerstimme zu hören. Ich ging in die Halle und lauschte. Ich hörte Lärmen und ging bis zu der zweiten Etage hinauf, von wo das Geräusch kam. In Mr. Grogans Wohnung war Licht, das konnte ich durch das Oberfenster über der Tür sehen. Ich klopfte an, und nach einer Weile kam Mr. Grogan an die Tür, und ich kann Ihnen sagen, er konnte einem einen Schreck einjagen, so wild sah er aus. Er hatte ein großes Messer in der Hand, und sein ganzer Anzug war mit Blut beschmiert. ›Ach, Sie sind’s‹, sagte er. ›Kommen Sie mal ‚rein!‹

 

»Ich kam ins Wohnzimmer, und Sie können sich keinen Begriff machen, wie das aussah. Die Stühle lagen am Boden, der Tisch war umgeworfen, und zerbrochene Gläser und Flaschen waren durch das ganze Zimmer verstreut. An der Außenseite von Mr. Grogans Fenster läuft die Feuerleiter vorbei, und das Fenster stand offen.

 

»›Was ist denn passiert, Sir?‹ fragte ich.

 

›Nichts Besonderes‹, sagte er. ›Nur ein Einbrecher! Das ist alles! Holen Sie mir mal einen Whisky und Soda!‹

 

»Er zitterte am ganzen Körper und war furchtbar aufgeregt. Immerzu sprach er mit sich selbst, aber ich konnte nicht verstehen, was er sagte. Als ich mit dem Whisky und Soda kam, hatte er das Messer sauber gemacht und war etwas ruhiger geworden. Er stand an dem offenen Fenster und blickte in den Hof nach dem Fuß der Feuerleiter hinunter, und dann bemerkte ich, daß das Glas von einem der Bilder an der Wand durch eine Kugel zerschmettert war. Ich sagte ihm, daß er ernsthafte Unannehmlichkeiten haben könnte, wenn sich die anderen Mieter über den Lärm beschweren würden, aber er sagte, ich sollte mir darüber keine Kopfschmerzen machen, gab mir fünfzig Pfund für Miete und eventuelle Unkosten und bat mich, die Wohnung für ihn in Ordnung zu halten, bis er zurückkehrte. Er sagte, er verreiste nach dem Ausland.«

 

»Na, und dann?« fragte Larry, als der Mann eine Pause machte.

 

»Dann kam er mit einem Handkoffer herunter, Sir, stieg in ein Taxi und fuhr weg. Und das ist das letzte, was ich von ihm gesehen habe.«

 

Larry untersuchte das Zimmer und fand, daß die Erzählung des Portiers auf Wahrheit beruhte. Der Raum war durch eine Hängelampe mit drei Birnen erleuchtet, die mit einem Schirm bedeckt war und in der Mitte des Zimmers von der Decke herabhing. Eine der Birnen war zersplittert, und der Inspektor machte den Portier darauf aufmerksam.

 

»Ja, Sir. Die Lampen haben sogenannte Hotelschaltung: Man kann nach Wunsch eine, zwei oder auch alle drei Lampen einschalten. Gewöhnlich brennt Mr. Grogan nur eine.«

 

Larry nickte.

 

»Ich weiß nur zu gut, was hier passiert ist.«

 

Er konnte sich die Szene sehr gut vorstellen: Der Eindringling, der durch das Fenster kam, Flimmer Fred, der ihn mit seinem Revolver in Schach hielt, und wie dann der große Mann langsam vorwärts ging, bis seine erhobenen Hände mit der Hängelampe in Berührung kamen und seine riesenhafte Tatze die Glühbirne zerdrückte. Und dann hatte Fred gefeuert, und der Mann hatte sich auf ihn gestürzt, aber Fred war glatt wie ein Aal. Fred war gerissener als er. Diese internationalen Hochstapler, die immer Kopf und Kragen riskieren, verlassen sich weniger auf Schußwaffen als auf ihre Messer, und zu der größten Überraschung des blinden Jake – denn es mußte der blinde Jake gewesen sein – hatte Grogan den Ansturm und die erstickende Umarmung dieses Tiermenschen mit einem scharfen Stahl pariert. Jake mußte ihn losgelassen haben und dann durch das offene Fenster entflohen sein. Wo aber war Fred? In diesem Augenblick fühlte Larry so etwas wie Sympathie für den Hochstapler. Also auch Fred war, sei es durch Zufall oder absichtlich, auf den Mörder Stuarts gestoßen!

 

Was war das für eine Spur? Er mußte Flimmer Fred finden, mußte ihn sofort finden, denn in seinen Händen lag vielleicht die Lösung des Rätsels.

 

Er fuhr nach Haus, nahm ein heißes Bad und legte sich zu Bett. Larry schlief genau vier Stunden, als ihm Sunny, der ebenso wie sein Herr auf Schlaf verzichten zu können schien, Tee und geröstetes Brot brachte.

 

»Wie spät ist es?« fragte Larry blinzelnd.

 

»Neun Uhr, Sir. Der Briefträger ist schon dagewesen, und die Morgenzeitungen sind gekommen.«

 

»Geben Sie mir meine Briefe!« Larry sprang aus dem Bett.

 

Ein Brief war augenscheinlich abgegeben worden, denn er war ohne Poststempel.

 

»Wann ist denn der gekommen?« fragte er den Diener, als dieser wieder in das Zimmer kam.

 

»Er war schon in dem Briefkasten, als ich aufstand, Sir«, sagte Sunny.

 

Larry riß das Kuvert auf und zog ein Blatt Papier heraus. Ohne besondere Höflichkeitsfloskeln begann es:

 

»Es ist besser, Sie beschäftigen sich mit einem anderen Fall, Mr. Holt. Sie werden sich ernsthafte Unannehmlichkeiten zuziehen, wenn Sie diese Warnung nicht beherzigen.«

 

»Wird gemacht«, sagte Larry und klingelte.

 

»Sunny«, sagte er, »bringen Sie mir mein Jackett und die Papiere, die in der inneren Brusttasche sind.«

 

Larry suchte und fand die Einladung, die Flimmer Fred erhalten hatte, um sechs Uhr morgens und ohne Aufsehen zu erregen nach Todds Heim zu kommen.

 

Diesen und den erhaltenen Drohbrief legte er nebeneinander und verglich die beiden. Beide Briefe waren in der gleichen Handschrift geschrieben.