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In St. George, Hannover Square, fand eine sehr elegante Hochzeit statt.

 

Unter den »gegenwärtig waren«, wie die Zeitungen zu schreiben pflegen, befand sich auch unser Freund Mr. Fred Grogan. Eingeladen war er zwar nicht, aber eine solche Kleinigkeit beunruhigte Fred nicht im geringsten. Er wußte ganz genau, daß bei einem ersten Zusammentreffen der Familien von Braut und Bräutigam, die sich gegenseitig mit ausgesprochener Zurückhaltung und Mißbilligung betrachteten, eine elegante Figur wie die seine jede Musterung bestehen und einen der besten Plätze in der Kirche erhalten würde. So erschien er denn in St. George mit glänzendem Zylinder, weißen Glaces und wunderbar gebügelten Beinkleidern. Als er den Chorgang entlang ging, hielt man ihn versehentlich für den Bräutigam.

 

Er war weniger aus dem Grunde gekommen, um sich Eingang in die gute Gesellschaft zu schaffen, sondern weil die letzte Mode den Damen das Tragen von kostbaren Juwelen auch in den Vormittagsstunden gelegentlich einer solchen feierlichen Handlung vorschrieb – und das interessierte Fred ganz besonders.

 

Die Feierlichkeit dauerte sehr lange und langweilte ihn bis zur Bewußtlosigkeit. Endlich war die Zeremonie beendigt, die Orgel ließ triumphierende Klänge hören, und Braut und Bräutigam, die sich außerordentlich über sich selbst zu schämen schienen, schritten feierlich den Mittelgang entlang. Fred schloß sich der Prozession an und erschien inmitten der Gerechten und Ungerechten auf den Stufen der Kirche.

 

Er war noch unschlüssig, ob es klug und ratsam wäre, sich an dem Empfange zu beteiligen – die Adresse, wo dieser stattfand, hatte er schon längst ausfindig gemacht – als jemand seinen Arm berührte. Fred fuhr herum.

 

»Hallo, Doktor Judd«, sagte er erleichtert. »Ich dachte, es wäre wieder der verfluchte Holt. Er ist mir ständig auf den Fersen und fällt mir direkt auf die Nerven.«

 

Doktor Judd, eine stattliche Figur in seiner zeremoniellen Kleidung, sah ihn streng an.

 

»Sie haben mir doch erzählt, Sie fahren nach Nizza?« sagte er.

 

»Ich habe den Zug verpaßt«, antwortete Fred geläufig, »und mein Freund mußte ohne mich abfahren. Ich gedenke noch ein paar Tage hierzubleiben, bevor ich abreise.«

 

Doktor Judd sagte nachdenklich:

 

»Kommen Sie ein paar Schritte mit. Ich möchte einiges mit Ihnen besprechen.«

 

Ohne ein weiteres Wort gingen beide über Hannover Square und bogen in die Bond Street ein.

 

»Sie fallen mir auch auf die Nerven, Mr. Grogan«, begann Doktor Judd. »Bis jetzt fand ich doch wenigstens eine gewisse Befriedigung in dem Gedanken, daß Sie auf dem Kontingent Hals und Kragen riskierten. Statt dessen sind Sie hier in London und leben herrlich und in Freuden.«

 

»Sie wußten also, daß ich noch hier war?« sagte Fred.

 

»Das habe ich gehört«, war Doktor Judds Entgegnung. »Hören Sie mal zu, Mr. Grogan. Halten Sie es nicht auch für besser, wenn wir beide zu irgendeiner Einigung kommen?«

 

Fred war ganz Ohr. »In welcher Weise denken Sie sich das?« fragte er vorsichtig.

 

»Nehmen wir mal an«, sagte Doktor Judd, »ich zahle Ihnen eine Pauschalsumme unter der Bedingung, daß Sie mich nicht weiter belästigen.«

 

Nichts konnte besser zu Freds Plänen passen.

 

»Einverstanden«, sagte er nach längerer, diplomatischer Pause. Doktor Judd sah ihn ernst an.

 

»Aber Sie müssen Ihr Wort halten. Ich habe nicht die Absicht, zwölftausend Pfund loszuwerden …«

 

»Zwölftausend Pfund«, sagte Fred schnell. »Warum nicht? Das ist eine hübsche, runde Summe.«

 

»Ich wiederhole aber nochmal«, sagte der Doktor, »ich habe nicht die geringste Absicht, eine derartige Summe zu zahlen, wenn ich nicht die absolute Sicherheit habe, von Ihnen nicht wieder belästigt zu werden. Wollen Sie morgen abend acht Uhr bei mir in Chelsea essen?«

 

Fred nickte zustimmend.

 

»Ich habe noch verschiedene andere Gäste«, sagte der Doktor, »und niemand kennt Sie, aber ich muß als eine persönliche Gunst von Ihnen erbitten, Ihr möglichstes zu tun, keine der Bekanntschaften, die Sie morgen machen werden, für zukünftige Pläne vorzumerken.«

 

»Glauben Sie denn nicht, daß ich viel zuviel Kavalier bin, um so was machen zu können?« fragte Fred in tugendhafter Entrüstung.

 

»Nein, das glaube ich, weiß Gott, nicht«, sagte der Doktor kurz und ließ ihn an der Ecke Bond Street stehen.

 

Zwölftausend Pfund! Das war ja ein wunderbares Übereinkommen. Fred, dessen Gelder bedenklich zur Neige gingen, wandelte wie auf Wolken, als er Old Bond Street in der Richtung Piccadilly hinunterschlenderte.

 

In dem Überschwang seiner Begeisterung, als seine Großzügigkeit nach Betätigung suchte, sah er auf der anderen Seite der Straße ein junges Mädchen. Ihr Gesicht war nicht zu vergessen. Schon einmal war er ihr begegnet. Er beschleunigte seine Schritte, kreuzte die Straße und ging hinter ihr her, aber nicht, ohne sich vorher ängstlich umgeblickt zu haben. Larry Holt war wirklich einmal nicht in Sicht.

 

An der Ecke von Piccadilly überholte er sie und lüftete lächelnd den Hut. Einen Augenblick war Diana unter dem Eindruck, diesen eleganten Herrn irgendwo kennengelernt zu haben und hatte schon halb ihre Hand erhoben, als er den Fehler beging, die abgedroschene Phrase zu äußern:

 

»Sind wir uns nicht irgendwo schon mal begegnet?« Sie zog ihre Hand zurück.

 

»Kleines Fräulein«, sagte Fred, »Sie sind das wunderbarste Wesen in der weiten Welt, und ich muß Sie unbedingt näher kennenlernen.«

 

»Dann müssen Sie mich besuchen«, sagte sie, und Fred wagte kaum, an sein gutes Glück zu glauben.

 

Sie öffnete die kleine Handtasche, nahm eine Karte heraus und kritzelte eine Nummer auf diese.

 

»Verbindlichsten Dank«, sagte Fred im Kavalierston, als er die Karte entgegennahm. »Ich werde Ihnen sofort meine Karte geben. Ja – und nun, wie denken Sie über ein kleines Diner –« Er hob die Karte und las: »Diana Ward – ein wundervoller Name. – Diana! – Zimmer 47«; und dann änderte sich sein Gesichtsausdruck. »Scotland Yard!« sagte er mit hohler Stimme.

 

»Ja«, sagte sie zuckersüß, »ich arbeite bei Mr. Larry Holt.«

 

Fred schien irgend etwas zu verschlucken.

 

»Wenn er nicht da ist, sind Sie hier, und wenn Sie nicht hier sind, ist er’s sicherlich«, sagte er wild. »Warum kann man denn einen Kavalier nicht mal in Ruhe lassen?«