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Der Kassierer von Cooks Reisebüro an der Place de l’Opera in Paris hatte wie immer einen arbeitsreichen Tag. Gerade wurden ihm von einem Kunden fünf französische Banknoten zu je tausend Franc und acht amerikanische Hundertdollarscheine mit dem Ersuchen eingehändigt, sie in englisches Geld umzuwechseln.

 

Er zählte die Scheine sorgfältig, berechnete den derzeitigen Kurs und entnahm einem Geldschrank, der in seiner Reichweite stand, die erforderliche Menge englischer Banknoten. Zwei Pfund und einige Schillinge legte er auf Wunsch des Reisenden in Kleingeld dazu.

 

Bevor er die ganze Summe aushändigte, zählte er die französischen und amerikanischen Scheine, wie er es gewohnt war noch einmal nach. Dabei fiel ihm auf, daß die Worte ›Banque Nationale‹ nicht die tiefviolette Färbung hatten, die er sonst zu sehen gewohnt war. Diese Eigentümlichkeit entdeckte er nur auf einer der Noten. Er hielt den heller gefärbten Schein neben die anderen und sein Verdacht verstärkte sich.

 

Jetzt prüfte er auch die amerikanischen Banknoten genauer. Sie unterschieden sich zwar in keiner Weise voneinander, aber um ganz sicher zu gehen, verglich er sie mit einem Hundertdollarschein, den er aus dem Geldschrank nahm. Wieder schien ihm etwas nicht ganz zu stimmen. Zeichnung und Druck waren zwar gleich, aber ein sicheres Gefühl sagte ihm, daß trotzdem irgend etwas nicht in Ordnung war.

 

Kurz entschlossen drückte er auf einen unter der Tischplatte seines Schalters verborgenen Klingelknopf, und der mittelgroße Herr, der ungeduldig auf sein Geld wartete, sah plötzlich neben sich zwei Bankdetektive auftauchen.

 

»Würden Sie so liebenswürdig sein, Monsieur, uns in das Büro des Direktors zu folgen?«

 

Diesen Wunsch hatte der Herr aber durchaus nicht. Laut und erregt sprach er auf die beiden ein und protestierte energisch gegen die Belästigung, wie er es nannte. Seiner Aussprache war unverkennbar der Amerikaner anzumerken. Schließlich drehte er sich um und wollte den Raum verlassen, und das war in dieser Situation das Dümmste, was er nur tun konnte. Welcher vernünftige Mann würde einen so hohen Betrag, auch wenn er sich noch so ärgerte, ohne weiteres im Stich lassen?

 

Die beiden Beamten, die bis jetzt höflich neben ihm gestanden hatten, packten plötzlich fest zu. Einen Augenblick lang gab es eine etwas turbulente Szene, doch dann wurde der Mann ohne weiteres in einen Nebenraum geschoben, dessen Tür sich schnell hinter ihm schloß. Eine Viertelstunde später verließ er das Gebäude durch einen Hinterausgang, eskortiert von den beiden Beamten, die ihn in die Mitte nahmen.

 

Gold, der gerade dabei war, sich vom Polizeipräsidium einen Haussuchungsbefehl für die Heldersche Wohnung zu verschaffen, verließ auf ein Telegramm hin London mit dem nächsten Zug und fuhr nach Paris.

 

Ein hoher Beamter der französischen Kriminalpolizei holte ihn an der Gare du Nord ab und begleitete ihn zur Präfektur. Auf dem Weg dorthin erklärte ihm der französische Kollege, was sich ereignet hatte.

 

»Ob die amerikanischen Dollarnoten gefälscht sind, konnten wir noch nicht genau feststellen – die französischen Scheine sind auf jeden Fall sehr gute Fälschungen. Der Mann, den wir verhaftet haben, ist Amerikaner. Er kam am letzten Samstag in Le-Havre an und hatte eine ganze Menge Empfehlungsbriefe an die verschiedenen amerikanischen Konsulate in Europa dabei. Wenn er sich durch sein ungeschicktes Benehmen nicht verdächtig gemacht hätte, wäre er bestimmt nicht festgenommen worden. Wahrscheinlich hätten wir ihn eben für das unschuldige Opfer irgendeines Gauners gehalten.«

 

»Wie heißt er denn?«

 

»Er nennt sich Schriener und gibt an, daß er in New York ein Versandhaus für Porzellanwaren hat und sich auf einer Erholungsreise in Europa befindet. Die New Yorker Polizei war auch schon hinter ihm her, wie wir bereits erfahren haben. Sein Gepäck wurde natürlich sorgfältig durchsucht.«

 

»Und haben Sie dabei etwas Besonderes gefunden?«

 

»Nichts, das ihn belasten könnte«, sagte der französische Beamte zögernd. »Wir haben Sie hergebeten, damit Sie sich einmal mit ihm unterhalten. Im übrigen hat er sich bereits mit dem amerikanischen Konsulat in Paris in Verbindung gesetzt.«

 

Gold nickte. Die meisten Amerikaner wandten sich sofort an ihre diplomatischen Vertretungen, wenn sie in Schwierigkeiten gerieten.

 

Gold unterhielt sich mit dem Mann in einem kleinen Büro auf der Präfektur, wo man ihn vorläufig untergebracht hatte. Er war mittelgroß, grauhaarig und gut angezogen. Man konnte ihn auf ungefähr fünfzig Jahre schätzen.

 

»Guten Tag«, sagte Gold und reichte ihm die Hand.

 

Er bemerkte dabei sofort, daß die Hand des anderen ziemlich rauh war. Der Mann sah im übrigen auch nicht so aus, als ob er sein Leben als reicher Müßiggänger verbracht hätte. Auf Golds Fragen gab er nur zögernde Antworten, und Gold brach das Verhör bald ab, um im Büro des Polizeipräfekten die amerikanischen Banknoten zu untersuchen. Das kleine Päckchen Hundertdollarscheine wurde ihm überreicht. Er besah sie sorgfältig von allen Seiten, dann gab er sie wieder zurück.

 

»Es besteht gar kein Zweifel«, sagte er, »daß sie alle gefälscht sind – und zwar meisterhaft gefälscht. Darf ich mir einmal alles ansehen, was der Mann bei sich trug?«

 

»Die Schriftstücke, die wir bei ihm fanden, liegen hier«, antwortete der französische Beamte und breitete eine Anzahl von Briefen und Papieren vor Gold aus.

 

Meistens waren es Kreditbriefe auf kleinere Beträge und Empfehlungsschreiben an verschiedene Konsulate, die von einflußreichen Persönlichkeiten in New York ausgestellt worden waren. Gold interessierte sich nicht sehr dafür, weil er wußte, wie leicht so etwas zu bekommen war.

 

Er entdeckte unter den Briefen auch ein Notizbuch mit Eintragungen, die sich in der Hauptsache auf Hotels und Pensionen bezogen. Noch wichtiger erschien ihm eine Liste von Firmen, von denen ihm bekannt war, daß sie große Geldgeschäfte machten.

 

Am aufschlußreichsten für Gold war jedoch ein Kuvert, das die Adresse des festgenommenen Mannes trug; er wohnte im Palace-Hotel. Die Adresse war deutlich mit der Hand auf einen länglichen Briefumschlag geschrieben, der eine englische Briefmarke trug und in London aufgegeben worden war.

 

Gold wandte sich an seinen französischen Kollegen.

 

»Haben Sie das Hotel unter Bewachung gestellt?« fragte er.

 

Der Beamte nickte.

 

»Ich glaube zwar nicht, daß viel dabei herauskommt«, meinte Gold. »Die Leute arbeiten eigentlich immer nach derselben Methode. Die gefälschten Noten werden in kleinen Mengen an die Agenten geschickt, die sie innerhalb einer bestimmten Zeit unterbringen müssen. Dann schickt der Agent einen Teil seines Erlöses an die Zentrale der Organisation zurück, die sich meist nicht an dem Ort befindet, von dem die gefälschten Banknoten abgesandt wurden. Nach einiger Zeit erhält er dann wieder ein kleines Paket.«

 

»Glauben Sie, daß wir eine neue Sendung an diese Adresse erwarten dürfen?« fragte der französische Beamte.

 

»Nein, das glaube ich unter keinen Umständen. Jeder Agent dieser Fälscherbande wird bestimmt von einem andern Agenten überwacht, den er gar nicht kennt. Dieser zweite Mann gibt natürlich die Nachricht von einer Verhaftung sofort an die Zentrale weiter. Sie brauchen also nicht zu hoffen, daß noch Sendungen folgen.«

 

Gold nahm die gefälschten Scheine wieder in die Hand und betrachtete sie noch einmal ganz genau.

 

»Ein hervorragender Druck«, sagte er. Plötzlich wurde seine Aufmerksamkeit erregt, und er starrte auf die eine Ecke des Scheins.

 

»Entschuldigen Sie einen Augenblick!« rief er und trat schnell ans Fenster.

 

Paris lag unter einem grauen Himmel, und das Licht war schlecht. Trotzdem sah Gold jetzt, daß von der einen Schmalseite der Banknoten zur anderen eine merkwürdige Linie lief, die nur auf den ersten Blick zu der verschlungenen Gravierung gehörte.

 

»Kann ich eine helle Lampe und ein Vergrößerungsglas haben?« fragte Gold.

 

Der französische Beamte knipste eine an einem Schwenkarm befestigte Schreibtischlampe an und drehte sie so, daß ihr Lichtkegel direkt auf die Tischplatte fiel. Aus einer Schublade holte er ein starkes Vergrößerungsglas und reichte es Gold.

 

Der Amerikaner strich die Note sorgfältig glatt und untersuchte sie genau.

 

Plötzlich pfiff er leise vor sich hin, das Blut schoß ihm ins Gesicht, und seine Augen glänzten.

 

»Hier – sehen Sie mal her«, sagte er triumphierend.

 

Der Franzose nahm ihm das Glas aus der Hand und fixierte die Stelle, die ihm Gold mit dem Fingernagel bezeichnete – in eine Linie, die sich neben vielen anderen quer über die ganze Banknote zog, war mit unglaublicher Geschicklichkeit eine Schriftzeile eingraviert worden. Er las:

 

»Verity Maple, 942 Christal Palace Road, London. Banknote Nr. 687642 – 687653. Milch anwenden.«

 

Sie sahen einander verblüfft an.

 

»Was soll das heißen?« fragte der Franzose aufgeregt.

 

Gold war ans Fenster getreten und schaute hinaus. Langsam wiederholte er für sich die Worte, die auf der Banknote standen.

 

»Ich glaube, ich verstehe den Sinn«, sagte er nach einiger Zeit. »Wenigstens hoffe ich es.«

 

»Aber wer hat denn dies geschrieben, um Himmels willen?«

 

»Dafür kommt nur ein Mann in Frage – Tom Maple!« antwortete Gold. »Ich glaube, wir werden uns in der nächsten Zelt noch über verschiedenes sehr wundern!«