23

 

Clifford kam in seiner Wohnung in Mayfair gerade zu rechter Zeit an, um schnell zu Mittag zu essen. Er kam allein. Joe Bray hakte er streng auf die Seele gebunden, sich verborgen zu halten. Das war wirklich eine notwendige Vorsichtsmaßregel, da Joe gern in der frischen Luft war und sich ärgerte, wenn er sich nicht frei bewegen konnte. Lynne rief gleich nach seiner Ankunft eine Nummer in Mayfair an.

 

»Mr. Leggat ist nicht zugegen«, war die Antwort. Clifford war aufgebracht über diesen feilen Verräter. Er hatte ihm doch versprochen, von ein Uhr an zu seiner Verfügung zu stehen.

 

Er sollte noch mehr Grund zur Unzufriedenheit haben, als Mr. Leggat um zwei Uhr ohne jede Vorsichtsmaßregel ganz offen zu seinem Haus kam. Leggat lebte gern gut, aber gewöhnlich versparte er sich seine Schwelgereien für die Stunden nach dem Abendessen auf. Cliff sah ihn sich einen Augenblick an, als er in das Eßzimmer hereinkam. Er deutete sein rotes Gesicht und sein fatales Lächeln ganz richtig.

 

»Sie sind verrückt, Leggat!« sagte er ruhig, als er zur Tür ging und sie schloß. »Warum kommen Sie denn bei hellem Tage hierher?«

 

Leggat war so erheitert, daß er sich nicht mehr um diese gemeine Welt kümmerte.

 

»Weil ich eben das Tageslicht vorziehe«, sagte er mit belegter Stimme. »Warum sollte ein Mann von meiner Stellung im Dunkeln herumkriechen? Das paßt für Fing-Su und seine Helfershelfer!« Er schnappte verächtlich mit dem Finger und brach in ein schallendes Gelächter aus. Aber Clifford teilte seine Heiterkeit nicht.

 

»Sie sind ein Dummkopf«, sagte er wieder. »Ich bat Sie, in Ihrem Bureau zu bleiben, damit ich Sie antelephonieren könnte. Unterschätzen Sie Fing-Su ja nicht, mein Lieber!«

 

»Bah!« sagte Leggat und ging unaufgefordert zum Büfett, wo er einige gute Bissen nahm, um seinen Hunger zu stillen. »Ich habe mich noch nie von einem leichtfertigen Orientalen ins Bockshorn jagen lassen. Sie vergessen, Lynne, daß ich in China gelebt habe. Und was seine Geheimgesellschaft angeht –« er warf den Kopf zurück und lachte wieder.

 

»Mein lieber alter Freund,« sagte er, als er unsicher mit einem großen Glas bernsteinfarbenen Likörs in der Hand zum Tisch zurückging, »wenn hier jemand verrückt ist, dann sind Sie es! Ich habe Ihnen doch genug Informationen gegeben, um Fing-Su an den Galgen zu bringen. Sie sind doch ein reicher Mann, Sie können die ganze Sache der Polizei übergeben und ruhig zu Hause sitzen und abwarten, wie alles sich weiter entwickelt.«

 

Clifford erwähnte nichts davon, daß er sich schon mit dem Kolonial- und mit dem Auswärtigen Amt in Verbindung gesetzt hatte. Er war dort höflichem Zweifel begegnet, der ihn aufbrachte und schweigen ließ. Das Auswärtige Amt wußte, daß die Peckham-Fabrik Feldgeschütze lagerte. Sie waren im offenen Markt gekauft worden, erzählte man ihm freundlich. Man glaubte an keine geheimen Pläne; die damit in Verbindung stehen könnten. Ohne Erlaubnis durfte nichts exportiert werden, und es gab keinen Grund, warum eine chinesische Handelsgesellschaft nicht dieselben Rechte haben sollte wie eine europäische. All das hatte er mit wachsender Ungeduld angehört.

 

»Ich bin fertig mit Fing-Su«, sagte Leggat. »Er ist nicht nur ein Chinese, er ist ein ganz gemeiner Chinese! Und nach all dem, was ich für ihn getan habe! Haben Sie veranlaßt, daß die ›Umgeni‹ durchsucht wurde, wie ich Ihnen riet?«

 

Clifford nickte. Er hatte erreicht, daß das Hafenamt von London sich in dieser Richtung bemühte, und der Dampfer »Umgeni« war einer eingehenden Besichtigung unterzogen worden. Die ganze Ladung war ausgeladen und genau geprüft worden, aber man hatte außer den üblichen Handelsartikeln, wie Kisten voll Spaten, Sensen, Kochtöpfen und anderen gebräuchlichen Dingen, nichts gefunden.

 

»Na nu!« Leggat war überrascht. »Ich weiß, daß sie wochenlang mit anderen verbotenen Dingen geladen war –«

 

»Sie fährt heute nacht ab,« sagte Clifford, »und nicht einmal Fing-Su kann ihre Ladung löschen und durch andere ersetzen.«

 

Sein Gast schlürfte begierig den Inhalt seines Glases hinunter und tat einen tiefen Atemzug.

 

»Ich bin fertig mit ihm«, wiederholte er. »Ich dachte, er wäre die Wunderente, die goldene Eier ad infinitum legen würde.«

 

»Mit anderen Worten, Sie haben ihn so weit wie möglich ausgebeutet?« fragte Clifford mit einem leisen Lächeln. »Und nun wollen Sie den Rest verkaufen? Welche Rolle spielt denn eigentlich Spedwell?«

 

Leggat zuckte seine breiten Schultern.

 

»Ich habe Spedwell nie leiden mögen«, sagte er. »Diese Militärs fallen mir immer auf die Nerven. Er ist Fing-Sus Generalstabschef – verbringt all seine Zeit über Mappen und Plänen und Instruktionsbüchern. Er und Fing-Su haben gerade ein militärisches Instruktionsbuch in chinesischer Sprache verfaßt.«

 

»Eine Schießvorschrift für die Infanterie?« fragte Clifford schnell.

 

»So etwas Ähnliches ist es wohl«, sagte der andere mit einem Achselzucken.

 

Clifford hob warnend seine Hand, als es leise an der Tür klopfte und sein Diener eintrat.

 

»Ich habe vergessen, Ihnen zu sagen,« berichtete er, »daß die Beamten vom Postamt diesen Morgen hier waren, um Ihren neuen Telephonapparat anzubringen.«

 

»Einen neuen Apparat anbringen – was meinen Sie damit?« fragte Lynne und zog seine Stirn bedenklich in Falten.

 

»Sie sagten, der Apparat hätte zu Klagen Veranlassung gegeben – die Zentrale konnte Sie nicht mehr deutlich verstehen.«

 

Lynne schwieg ein paar Sekunden in Gedanken.

 

»Waren Sie dabei, als die Reparatur ausgeführt wurde?« fragte er.

 

»Jawohl«, antwortete der Mann lächelnd. »Sie hatten einen Ausweis vom Postamt, aber ich bin schon zu lange im Dienst, um mich auf dergleichen Dinge einzulassen. Ich habe die ganze Zeit aufgepaßt, als sie den Lautverstärker anbrachten.«

 

»Oh!« sagte Clifford bestürzt. Dann fragte er: »Wo haben sie denn den Lautverstärker angebracht?«

 

Eine Wand des Speisezimmers war durch einen großen Bücherschrank teilweise verdeckt, und hinter diesen führte das Telephonkabel. Der Diener bückte sich und zeigte auf den flachen Raum unter dem letzten Fach. Dort sahen sie einen schwarzen, hölzernen Kasten, etwa fünfundzwanzig Zentimeter lang und zehn Zentimeter hoch. Auf der Oberfläche hakte er zwei runde Öffnungen. Ein dünner Draht lief von hier bis zum Ende der Wand und führte dann durch ein neugebohrtes Loch in dem Fensterrahmen ins Freie.

 

»Was ist das?« fragte Leggat, plötzlich nüchtern geworden.

 

»Ein Mikrophon«, antwortete Clifford kurz. »Jemand hat unsere ganze Unterhaltung belauscht!«