16

 

Joan Bray bewohnte ein großes Oberzimmer, das nach und nach der gemütlichste Raum im ganzen Haus geworden war. Als man es ihr überließ, war es ganz einfach möbliert. Aber die Angestellten in Sunni Lodge verehrten Joan, und auf geheimnisvolle Weise waren seltene und hübsche Möbelstücke in den geräumigen Dachraum mit seinen großen Fenstern gekommen, von denen man einen guten Fernblick hatte. Dieses Zimmer war ihr jetzt besonders wertvoll, da sie von hier aus den viereckigen Schornstein von Slaters Cottage sehen konnte. Dies gab ihr ein undefinierbares Gefühl von Zusammengehörigkeit mit dem seltsamen Mann, der ihren Weg gekreuzt hatte.

 

Die beiden Mädchen waren nicht zu Hause, als sie ankam. Sie ging die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf, verschloß die Tür und setzte sich auf ein altertümliches Sofa nieder. Dann stützte sie ihren Kopf in die Hand und versuchte ihrer Aufregung Herr zu werden. Von Anfang an hatte sie vermutet, daß Clifford Lynne kein Angestellter ihres Verwandten war. Jetzt wußte sie, daß er ein riesiges Vermögen besaß und viel reicher war als Joe selbst. Was für einen Eindruck würde das auf Stephen Narths Verhalten machen, wenn er es wüßte? Wenn Clifford Lynne nun nicht als wilder Mann mit großem Bart und schlechtsitzenden Kleidern nach Sunni Lodge gekommen wäre, sondern als vornehmer, gutaussehender Gentleman und außerdem nicht in der Rolle eines Geschäftsführers, sondern als Teilhaber Joe Brays, zweifelte sie keinen Augenblick daran, was sich dann ereignet hätte. Trotzdem bedrückte sie die Tatsache, daß Clifford so reich war. Sie konnte nicht sagen, warum. Damals hatte sie ihre Gefühle bezwungen und in diese schreckliche Heirat mit einem unbekannten Mann gewilligt, und was damals ein großes Opfer schien, hatte sich jetzt als ein großes Glück entpuppt. Sie schüttelte den Kopf. Selbst betrügen wollte sie sich nicht. Von Anfang an war es für sie eigentlich kein Opfer, der Fremde hatte sie vom ersten Augenblick an gefesselt. Er war eine Persönlichkeit, die so außerhalb alles gewöhnlichen Erlebens stand, daß schon dadurch gleich alle ihre Zweifel beseitigt waren.

 

Joan begann das Leben von einem ganz anderen Gesichtswinkel aus zu betrachten. Sie war sich klar, welchen großen Umschwung diese Heirat hervorrufen würde, und Letty (oder war es Mabel?) hatte ganz recht: was wußte ein Mädchen über ihren Liebsten, in dessen Hände sie ihre Zukunft legte? Aber sie hatte schon vieles erfahren und wußte mehr von dem Wesen Clifford Lynnes, als viele andere Bräute in ihrer Bekanntschaft von dem Charakter der Männer wußten, die sie später heiraten sollten.

 

Sie ging zum Fenster und war in dem Anblick von Slaters Cottage versunken, das heißt, man konnte davon nicht viel mehr als den viereckigen Schornstein sehen, der jetzt rauchte. Sie erinnerte sich daran, daß Clifford eine Menge Lebensmittel in seinem Wagen hatte, und sie war gespannt, ob er als Koch sich ebenso auszeichnen würde wie sonst im Leben.

 

Holzfäller waren bei der Arbeit, die Bäume um das Haus niederzulegen. Gerade sah sie, wie eine hohe Fichte sich langsam neigte, sie hörte das Brechen der Äste, als sie auf den Boden aufschlug. Morgen würde das Haus ganz zu sehen sein, dachte sie. Sie drehte sich um, da sie Schritte vor der Türe hörte.

 

»Hier ist Letty«, sagte eine schrille Stimme. Als sie schnell aufgeschlossen hatte, fragte Letty:

 

»Warum schließt du dich denn ein, Joan?«

 

Letty war lange Zeit nicht mehr hier oben gewesen und sah sich nun ganz erstaunt um.

 

»Du bist hier oben sehr gut eingerichtet«, sagte sie. Wäre Joan lieblos genug gewesen, so hätte sie in dieser überraschten Äußerung einen Unterton von Mißbilligung hören können. »Vater war eben am Telephon. Er wird heute abend nicht nach Hause kommen. Er möchte, daß wir mit ihm in der Stadt zu Abend essen. Macht es dir etwas aus, allein zu bleiben?«

 

Die Frage war deplaciert. Wie oft hatte sie die Abende allein zugebracht und war froh, daß man sie nicht störte.

 

»Es ist möglich, daß wir sehr spät nach Hause kommen, weil wir nach dem Theater noch ins Savoy-Hotel zum Tanz gehen.«

 

Letty stand schon wieder in der Tür, als ihr noch etwas einfiel.

 

»Ich habe diesen Mr. Lynne gesehen, Joan. Er sieht sehr gut aus. Warum kam er denn zuerst in solch einem lächerlichen Aufzug hierher?«

 

Jetzt kam die unvermeidliche Auseinandersetzung, die Joan ja vorausgesehen hatte. Gedankengänge entwickelten sich scheinbar parallel in Sunni Lodge.

 

»Nicht daß das irgendwelchen Unterschied in meiner Haltung gegen ihn machte!« sagte Letty, indem sie ihren Kopf nach hinten warf. »Ein Mädchen kann eben nicht auf gut Glück heiraten.«

 

Joan konnte auch ein Kobold sein und Schabernack spielen, obendrein war sie auch neugierig; was Letty sagen würde, wenn sie ihr auch noch das andere mitteilte.

 

»Clifford Lynne ist keineswegs ein armer Mann – er ist unendlich reich«, sagte sie. »Mr. Bray hat nur ein Zehntel der gesamten Aktien der Gesellschaft, Clifford Lynne dagegen acht Zehntel.«

 

Letty sperrte Mund und Nase auf.

 

»Wer hat dir das gesagt?« fragte sie scharf.

 

»Clifford Lynne – und ich weiß, daß er mich nicht belogen hat.«

 

Letty wollte etwas sagen, änderte aber ihre Absicht und schlug die Türe hinter sich zu. Sie stürmte die Treppe hinunter. Fünf Minuten später hörte Joan Stimmen vor der Tür, und, ohne anzuklopfen, eilte Mabel herein, gefolgt von ihrer Schwester.

 

»Stimmt das, was Letty mir über Lynne gesagt hat?« fragte sie mürrisch. »Es ist doch seltsam, daß wir vorher nichts davon gehört haben.«

 

Joan amüsierte sich. Sie hätte laut auflachen mögen, aber sie beherrschte sich.

 

»Du meinst Mr. Lynnes großes Vermögen? Er ist ein sehr reicher Mann, das ist alles, was ich weiß.«

 

»Weiß Vater darum«, fragte Mabel, indem sie sich bemühte, ihren unberechtigten Ärger zu verbergen.

 

Joan schüttelte den Kopf.

 

»Ich glaube nicht, daß er es weiß.«

 

Die beiden Schwestern sahen einander an.

 

»Diese Tatsache ändert die ganze Situation«, sagte Mabel mit Nachdruck. »Erstens will doch niemand eine Vogelscheuche heiraten, und zweitens wäre es doch lächerlich gewesen, wenn man von einer von uns gefordert hätte, daß wir uns lebenslänglich an einen armen Angestellten unseres Onkels binden sollten.«

 

»Ganz abgeschmackt«, stimmte Letty bei.

 

»Offensichtlich war es Mr. Brays Absicht, daß Lynne eine von uns heiraten sollte«, sagte Mabel. »Ich glaube nicht, daß er jemals etwas von deiner Existenz gehört hatte, Joan.«

 

»Ich bin sicher, daß das nicht der Fall war«, antwortete Joan. Und Mabel lächelte, als sie sich in den bequemsten Sessel des Zimmers warf.

 

»Dann müssen wir möglichst vernünftig in dieser Angelegenheit handeln«, sagte sie so liebenswürdig wie möglich. »Wenn das, was du sagst, wahr ist, und in der Tat zweifle ich keinen Augenblick daran, dann muß der Wunsch von Onkel Joe –«

 

»Erfüllt werden!« fügte Letty hinzu, als Mabel nach einem Wort suchte.

 

»Ja, das ist es, erfüllt. Das mag für dich ein wenig peinlich sein, aber du kennst den Mann ja gar nicht, und ich bin sicher, daß dich der Gedanke an diese Heirat sehr bedrückt hat. Ich habe damals auch gleich zu Letty gesagt, wenn ein Opfer gebracht werden muß, dann ist es an uns. Wir wollen dich nicht, um bildlich zu sprechen, als unser Werkzeug gebrauchen. Aber zugleich fühle ich, daß wir dir gegenüber nicht ganz korrekt waren, Joan. Noch heute morgen habe ich Vater gesagt, daß ich meine großen Zweifel über diese Hochzeit habe, und daß wir die Sache doch noch sehr überlegen müssen, bevor wir zugeben können, daß du einer womöglich schrecklichen Zukunft entgegengehst mit einem Mann, den du gar nicht kennst.«

 

»Und du kennst ihn doch ebensowenig«, fühlte sich Joan verpflichtet zu sagen.

 

»Aber wir haben größere Erfahrungen mit Männern«, sagte Mabel vorwurfsvoll. »Und denke nur nicht, Joan, daß sein Reichtum den geringsten Eindruck auf uns macht. Vater ist reich genug, mich gut zu versorgen, ob ich nun Clifford Lynne heirate oder nicht.«

 

»Ob eine von uns beiden Clifford Lynne heiratet oder nicht«, verbesserte Letty mit einer gewissen Schroffheit.

 

»Und –«

 

Es klopfte an der Türe. Letty, die am nächsten stand, öffnete. Der Diener kam herein.

 

»Drunten wartet ein Herr, der Miß Joan sprechen möchte«, begann er.

 

Letty nahm ihm die Karte aus der Hand.

 

»Clifford Lynne«, sagte sie atemlos.

 

Joan lachte.

 

»Das ist eine günstige Gelegenheit, die Sache in Ordnung zu bringen«, sagte Joan ironisch. »Unter allen Umständen muß er nach seiner Meinung gefragt werden!«

 

Letty verfärbte sich.

 

»Untersteh dich ja nicht«, rief sie atemlos, »ich würde es dir niemals verzeihen, Joan, wenn du ihm auch nur ein Wort davon sagtest!«

 

Aber Joan war schon halbwegs den ersten Treppenlauf heruntergeeilt.

 

Sie trat allein in das Wohnzimmer und bekümmerte sich nicht um die Ermahnungen, die man ihr noch mit auf den Weg geben wollte. Am liebsten hätte sie laut aufgelacht. Denn plötzlich kam ihr eine hübsche Parallele in den Sinn: wenn sie Aschenbrödel war, dann konnte man Letty und die dicke Mabel mit den beiden häßlichen Schwestern identifizieren.

 

Als sie ins Zimmer trat, fand sie Clifford am Fenster stehen. Er schaute über den Rasenplatz. Schnell drehte er sich um, als er das Öffnen der Tür hörte. In seiner etwas abrupten Art, und ohne irgendwelche Einleitung fragte er:

 

»Kann ich Sie heute abend sehen?«

 

»Ja«, sagte sie erstaunt. Dann fügte sie hinzu: »Ich werde allein sein, die Mädchen gehen zur Stadt.«

 

Er faßte an sein Kinn, als sie dies sagte.

 

»So, sie gehen zur Stadt?« Er zog die Augenbrauen hoch. »Aber das macht nichts aus. Ich möchte Sie in Slaters Cottage sehen. Würden Sie dahin kommen, wenn ich Sie rufe?«

 

Die Anstandsregeln machten Joan keine große Sorge. Sie war ihrer selbst so sicher und so überzeugt von der Richtigkeit ihrer Handlungsweise, daß sie sich wenig um die Meinung anderer Leute kümmerte. Aber sein Wunsch stimmte nicht mit ihren Anschauungen von Anstand überein.

 

»Muß das sein?« fragte sie. »Ich will kommen, wenn Sie es wünschen, denn ich weiß, Sie würden mich nicht einladen, wenn es nicht ganz besonders wichtig wäre.«

 

»Ich habe einen sehr triftigen Grund dazu«, sagte er. »Ich möchte, daß Sie jemand bei mir treffen, ich hoffe wenigstens so.«

 

Er fuhr sich nervös durch das Haar.

 

»Meinen Freund – ich möchte sagen, unseren Freund.«

 

Sie war erstaunt über seine Erregung und war neugierig, die Ursache zu erfahren.

 

»Ich werde Sie um zehn Uhr aufsuchen«, sagte er. »Und Joan – ich habe alles überdacht, und ich bin sehr beunruhigt.«

 

Sie wußte gefühlsmäßig, daß sie selbst der Grund seiner Unruhe war.

 

»Haben Sie es sich anders überlegt?«

 

Er schüttelte den Kopf.

 

»Sie meinen, daß wir uns heiraten wollen? Nein. Ich durfte mir selbst niemals klarmachen, welches Ende dieses närrische Abenteuer nehmen würde. Wenn ich nicht immer durch übertriebenes Pflichtgefühl geleitet würde – aber das hat ja nichts mit dieser Sache zu tun. Wir müssen die ganze Lage heute abend von einem neuen Gesichtspunkt aus betrachten. Ich bin nun so weit gereist und habe so viel unternommen und so viel gelitten –«

 

»Gelitten?«

 

Er nickte heftig.

 

»Durch eine weise Vorsehung«, sagte er düster. »Ihnen ist es erspart geblieben, sich einen langen, kostbaren Bart wachsen zu lassen. Als ich noch viele Meilen entfernt in meinem kleinen Haus in Siangtan lebte, war das nicht so schlimm. Auch noch nicht auf der Heimreise. Erst als ich in nähere Berührung mit der Zivilisation kam – können Sie sich vorstellen, was das heißt, sich zum Diner anzuziehen und dabei zu fühlen, wie weh es tut, wenn man seinen Kragen schließt und einen großen Büschel Barthaare mit einklemmt?… Nun wohl, das ist alles vorüber, und jetzt« – er machte eine Verlegenheitspause – »bin ich nicht traurig.«

 

»Darüber, daß Sie sich den Bart haben wachsen lassen?« fragte sie unschuldig.

 

Er sah ihr gerade in die Augen.

 

»Sie wissen doch ganz genau, daß ich nicht über meinen Bart sprechen wollte, sondern nur von Ihnen. Ich wünschte, ich hätte Zeit genug, um Sie zu studieren. Möglicherweise haben Sie einen bösen Charakter – –«

 

»Einen ganz schlechten«, log sie ihn an.

 

»Und vielleicht sind Sie eitel und hohl«, fuhr er ruhig fort. »Alle hübschen Mädchen sind eitel und hohl. Das habe ich von meiner unverheirateten Tante gelernt, die mich aufzog. Aber trotz dieser Schattenseiten habe ich Sie ziemlich gern. Ist das nicht sonderbar?«

 

»Es würde sonderbar sein, wenn es nicht so wäre«, sagte sie und ging auf seinen Ton ein.

 

Er mußte lachen.

 

»Haben Sie Ihren Mord begangen?« fragte sie.

 

Er stutzte.

 

»Mord? Ach so, Sie meinen Fing-Su? Nein, ich fürchte, heute abend werde ich zuviel andere Dinge zu tun haben. Sicherlich werde ich ihn umbringen«, sagte er. Obwohl seine Worte nach derbem Witz klangen, zitterte sie, da sie überzeugt war, daß er im Ernst gesprochen hatte. »Ich muß ihn töten, aber gerade heute abend?« Er schüttelte den Kopf. »Da muß vorher noch viel anderes erledigt sein. – Wann können Sie mich heiraten?«

 

Seine Frage war ernst gemeint, und sie fühlte, wie sie rot wurde.

 

»Ist das notwendig?« fragte sie ein wenig verzweifelt. Jetzt, da sie sich der logischen Konsequenz ihres Abenteuers nicht mehr entziehen konnte, war sie einen Augenblick von panischem Schrecken gelähmt. In seiner Frage lag eine solche Bestimmtheit, daß sie ein banges Glücksgefühl überkam. Aber sie klang auch wieder so sachlich und kühl, und sie vermißte die zärtliche Atmosphäre, in der man gewöhnlich eine solche Werbung anbringt. Sie ärgerte sich über ihn. Das brachte die ganze Lage wieder zu ihrer ursprünglichen Geschäftsmäßigkeit zurück und tötete den feinen Schimmer von Romantik, der in den letzten Tagen über ihrem Leben gelegen hatte.

 

»Ich vermute, daß Sie damit Ihre eigene Bequemlichkeit befriedigen«, sagte sie kalt. »Sie wissen natürlich, Mr. Lynne, daß ich Sie nicht mehr liebe als Sie mich?«

 

»Darüber brauchen wir nicht zu sprechen«, sagte er schroff. »Aber ich will Ihnen etwas sagen: ich war niemals verliebt, ich hatte meine Träume und Ideale, wie sie jeder Mann und jede Frau hat, und Sie kommen der geheimnisvollen Frau meiner Träume, der ich jemals zu begegnen hoffte, am nächsten. Wenn ich Ihnen sage, daß ich Sie gern mag, so meine ich das so. Ich bin nicht in so verzückter Gemütsverfassung, daß ich bereit wäre, den Boden zu küssen, auf dem Sie gehen – aber vielleicht kommt diese Form des Deliriums später.«

 

Während er sprach, lag ein gütiges und freundliches Lächeln in seinen Augen, das es ihr unmöglich machte, ihren Unwillen auf die Spitze zu treiben. Sie war erzürnt über ihn und mußte doch seine Aufrichtigkeit bewundern. Sie spürte keinerlei Neigung, ihm klar zu entgegnen, daß schließlich ihr Herz ebenso frei sei wie das seine.

 

»Heute ist Montag«, sagte er. »Mit besonderer Genehmigung werden wir am Freitag heiraten. Freitag wird ein unglücklicher Tag sein – für irgend jemand.«

 

»Sie meinen wirklich Freitag?« fragte sie in angstvoller Bestürzung.

 

»Es ist etwas plötzlich, ich weiß – aber die Dinge entwickeln sich rascher, als ich dachte«, sagte er.

 

Er nahm seinen Hut vom Tisch.

 

»Ich werde Sie um zehn Uhr rufen. Haben Sie Bedenken?«

 

Sie schüttelte den Kopf.

 

»Und Sie fürchten sich auch nicht?« neckte er sie, aber schnell fügte er hinzu: »Es ist wirklich kein Grund zur Furcht vorhanden – jetzt noch nicht.«

 

»Sagen Sie mir bitte, wann ich anfangen muß mich zu fürchten«, sagte sie, als sie mit ihm zur Türe ging.

 

»Mich brauchen Sie niemals zu fürchten«, sagte er ruhig. »Ich dachte an jemand anders.«

 

»Fing-Su?«

 

Er sah sie schnell an.

 

»Sie sind auch Gedankenleserin?« Er legte seine Hand auf ihren Arm und drückte ihn leise. Er tat das so freundlich und brüderlich, daß sie nahe daran war, zu weinen.

 

Die beiden Mädchen, die sofort auftauchten, als sich die Tür hinter Clifford geschlossen hatte, folgten ihr zu der Bibliothek.

 

»Du hast ihm doch nichts gesagt?« fragte Mabel rasch. »So gemein und niederträchtig kannst du nicht sein, Joan!«

 

Joan sah sie überrascht an.

 

»Worüber sprachen wir denn?« fragte sie. Ihre Bestürzung war aufrichtig, denn sie hatte die Unterhaltung in ihrem Zimmer vergessen.

 

»Letty hatte das fürchterliche Gefühl, du würdest ihm erzählen, was wir besprachen, aber ich sagte: ›Letty, Joan tut das nicht, Joan handelt nicht so jämmerlich.‹«

 

»Über eure Heirat mit ihm?« fragte Joan und verstand plötzlich. »Ach nein – das hatte ich vergessen – wir waren so sehr damit beschäftigt, das Datum festzusetzen: Mr. Lynne und ich heiraten am Freitag.«

 

»Guter Gott!« rief Mabel.

 

Diese voreilige Äußerung mußte man verzeihen, denn in einem Augenblick großer Selbstaufopferung hatte Mabel beschlossen, Mrs. Clifford Lynne zu werden.