27
Mr. Superbus war in einem Ambulanzwagen des Roten Kreuzes fortgeschafft worden. Er hätte zwar auch ein gewöhnliches Auto benützen können, aber er hatte nun einmal den Wunsch, in einem Krankenwagen abtransportiert zu werden.
»Was ist eigentlich so eine Zehe wert, Bobby? Ich muß dem armen Mann doch irgend etwas schicken. Sind zweihundert Pfund zuwenig?«
»Es war ja nur eine kleine Zehe«, meinte Bobby nachdenklich. »Eine große Zehe würde mehr gekostet haben. Versuche es nur einmal mit einer Abfindungssumme von zweihundert.«
Diana schrieb sofort. Sie fühlte sich in ausgezeichneter Stimmung, obgleich der Geldschrank beraubt worden war und seine Tür traurig in den Scharnieren hing.
Eleanor und die Köchin waren auch wiedergekommen. Sie hatten zwar bis Dienstag Urlaub, aber ihre Neugierde hatte sie schon eher zurückgetrieben.
Heloise hatte von einem Fenster des Obergeschosses aus zugesehen, wie Mr. Superbus fortgebracht wurde. Sie hatte allen Grund, sich darüber zu freuen, daß Mr. Dempsis Schüsse nicht mehr Unheil angerichtet hatten. Den ganzen Morgen über war sie schon sehr nervös und fuhr bei jedem Geräusch auf. Einmal hatte Diana sie sogar gefunden, wie sie sich in dem kleinen rückwärtigen Zimmer versteckte. Man konnte eigentlich keinen anderen Ausdruck dafür finden. Sie war so konfus und verwirrt, daß Diana einen Augenblick argwöhnisch wurde. Aber dann erinnerte sie sich daran, daß das plötzliche Entweichen des Doppelgängers das arme Mädchen über alle Maßen aufgeregt haben mußte.
Diana hatte gerade den Brief beendet, als Heloise anscheinend absichtslos in den Raum trat und sich umschaute. Dempsi saß auf dem Sofa, hatte das Gesicht in die Hände gestützt und sah verdrießlich in das Feuer. Bobby saß in seinem Zimmer und hatte eine merkwürdige Beschäftigung: Er schrieb Telegramme an Gordon und bat ihn, sofort zurückzukehren. Er adressierte sie an die verschiedensten Hotels in Paris, wo er seiner Meinung nach hätte absteigen können.
Diana schaute lächelnd auf, löschte die Adresse und klebte die Briefmarke auf den Umschlag.
»Du mußt dich mit Tante – mit Heloise unterhalten und sie auf bessere Gedanken bringen«, sagte sie zu Dempsi. Er fuhr aus seinen Grübeleien auf.
»Du kennst doch Heloise?«
In den letzten achtundvierzig Stunden war so viel passiert, daß sie nicht mehr wußte, ob sie die beiden einander vorgestellt hatte oder nicht. Sie wäre nicht im mindesten erstaunt gewesen, wenn Dempsi erklärt hätte, daß er Tante Lizzie niemals gesehen habe.
»O ja, wir kennen uns«, sagte er etwas verlegen. »Sind Sie auch durch den Schuß geweckt worden? Ich muß mich noch vielmals bei Ihnen entschuldigen.«
»Nein, nein, mich bedrücken Sorgen, von denen ich nicht erzählen kann. Ist Onkel Artur wirklich fort?«
Diana nickte.
»Er ist fort – ich werde ihn nie wiedersehen!«
Dempsi sah sie verständnislos an. Er dachte an ganz andere Dinge.
»Sie scheinen sehr traurig zu sein«, sagte er mit milder Stimme. Ihre Blicke wanderten unstet umher, dann sah sie ihn an.
»Traurig! O ja, wenn ich an mein altes Heim und meinen lieben Vater in Michigan denke –«
»Ich dächte, Sie hätten mir vorher von Connecticut erzählt«, unterbrach sie Diana.
Heloise konnte schnell denken.
»Meine Mutter wohnt dort«, entgegnete sie liebenswürdig. »Mein Vater ist in Michigan. Sie leben getrennt voneinander.«
»Ich verstehe«, sagte Diana. »Dann müssen Sie sich ja eigentlich doppelt glücklich schätzen, nach Amerika zurückkehren zu können, wenn Sie dort ein doppeltes Zuhause finden.«
Heloise schaute sie forschend an. Sie war niemals sicher, ob Diana es ernst oder ironisch meinte. Es ging auch anderen Leuten so.
»Sie werden in Ihre Heimat zurückkehren?« Dempsi nahm jetzt ein wohlwollendes Interesse an Tante Lizzie.
»Ja, ich gehe zurück. Ich werde ein neues Leben anfangen – das verdanke ich Miss Ford«, sagte sie ruhig. »Eines Tages werde ich auf dieses Leben wie auf einen bösen Traum zurückschauen.«
Diana verließ das Zimmer.
»Gehen Sie wirklich nach Amerika?«
»Ja.«
»Das ist ein schönes, wunderbares Land«, erwiderte Dempsi. Aber sobald sich die Tür hinter Diana geschlossen hatte, sprang er auf, und seine ganze Haltung änderte sich plötzlich. Er faßte Heloise scharf ins Auge.
»Wo ist das Geld?« fragte er rauh.
Heloise sah sich vorsichtig nach der Tür um – sie waren beide allein.
»Du weißt ganz genau, wo es ist, Elly«, sagte er barsch. »Gib es heraus!«
Sie war jetzt durchaus nicht mehr traurig oder elegisch, im Gegenteil, sie war aufgebracht und wütend. Sie stemmte die Hände in die Hüften und sah ihn energisch an.
»Dan, du bist zwar der tüchtigste Imitator, den ich kenne«, ihre Stimme klang schrill –, »ich wäre nicht überrascht, wenn du als ein Floh aus dem Flohzirkus in dieses Zimmer kämst! Aber mich führst du nicht hinters Licht. Wer hat das Geld hier genommen?« Sie zeigte auf den Geldschrank, »Du! Du hast es gestohlen und hast dem armen Kerl geholfen, sich aus dem Staube zu machen. Wahrscheinlich warst du gerade mit dem Geldschrank beschäftigt, als er hier hereinkam.«
»Du lügst!« Er war außer sich vor Wut. »Ich kam herein, nachdem du das Geld aus dem Schrank genommen hattest – ich hatte gar nicht die Absicht zu schießen – das war das Verrückteste, was ich jemals machte! Aber ich sah den Kerl durch das Fenster entwischen und dachte mir, was sich zugetragen hatte. Er hatte dir das Geld gegeben, damit du ihn entwischen ließest!«
Sie sah ihn zornig an.
»Du willst wohl behaupten, daß ich das Geld hier in meiner Tasche habe?«
»Natürlich!«
»Du wirst noch von den Rechtsanwälten meines Mannes zu hören bekommen. Ich werde dir etwas sagen, du schamloser Hund! Du hast das Geld genommen und hast den armen Kerl angeschossen, als er hereinkam, um zu sehen, wer hier den Geldschrank geknackt hatte. Was tatest du denn hier vollkommen angekleidet? Du wolltest doch mit dem ersten Zug aus London verschwinden – und mich wolltest du hier in der Patsche sitzenlassen! Du gemeiner Lump! Ich habe doch hart genug für dich arbeiten müssen! Habe ich nicht stundenlang gesessen und mich mit dieser Seeleneidechse über meinen verfluchten Innenmenschen unterhalten? Habe ich nicht die ganze Geschichte von Diana aus ihm herausgeholt? Habe ich dir nicht alles bis ins kleinste berichtet? Habe ich ihn nicht ausgepumpt, bis überhaupt nichts mehr aus ihm herauszuholen war? Und du willst es jetzt wagen, mich übers Ohr zu hauen?!«
Er wagte gar nichts, und ihr Sieg war vollkommen, als er sich zu entschuldigen begann.
»In dem Schrank lagen fünfzigtausend Dollar. Alles, was ich in der Hand habe, ist ein Verrechnungsscheck, der ebenso brauchbar ist wie Konfetti bei einer Beerdigung. Es wird zwei Tage dauern, bevor ich bares Geld bekomme. Selsbury wird heute abend zurückkommen.«
»Fünfzigtausend Dollar«, fuhr sie ihn wütend an. »Davon hast du mir gar nichts gesagt. Wahrscheinlich hast du das wieder einmal vergessen. Du sagtest, man könnte etwa tausend Pfund bei der Sache bekommen! Dann hast du mir vorgeschwindelt, daß du froh wärst, wenn deine Auslagen wieder hereinkämen. Was ist das für ein Scheck? Ist es das Geld, das sie Dempsi noch schuldig ist? Zum Donnerwetter, das ist das Geld, das Dempsi ihr vor die Füße geworfen hat. Ich erzählte es dir doch, und dann vergaß ich es!«
Sie fuhr mit den Händen wild durch die Haare.
»Ich hatte daran überhaupt nicht gedacht, bis ich hierherkam und sie mir erzählte, daß sie mir einen Brief mit einem Scheck geschickt habe. Da mich der Bote verfehlte, gab sie ihn mir später selbst. Ich erfuhr dann aber, daß in dem Schrank noch mehr Geld lag, und wollte auch das noch bekommen. Es schien mir sehr leicht zu sein.«
Sie sah ihn böse und zweifelnd an. Sein beleidigendes Auftreten erhöhte nur ihren Verdacht.
»Dan, du bist ein wunderbarer Märchenerzähler. Wenn ich jünger wäre, würde ich wahrscheinlich auf deine Fabeln hereinfallen«, sagte sie nüchtern. »Aber du wirst jetzt ein netter Junge sein und der Tante gestehen, daß du das Geld genommen hast. Dann wirst du sagen, liebe Tante, wir werden fünfzig zu fünfzig teilen. Und wenn du das nicht tust, Dan, dann kannst du dich heilig darauf verlassen, daß du in kürzester Zeit vor dem Richter stehst.«
Er versuchte es mit Schmeichelei.
»Sei doch ehrlich, Elly, du hast das Geld. Wir wollen uns doch nicht weiter streiten …«
»Würde ich vielleicht noch hiersein und mich obendrein noch aufregen, was meinem guten Aussehen so sehr schadet, wenn ich es hätte?«
Dieser Grund leuchtete ihm ein.
»Das ist wahr. Aber wer hat denn den Geldschrank geöffnet, doch nicht etwa Selsbury?«
»Es konnte doch kein anderer gewesen sein als du.«
»Verdammt noch einmal, ich sagte dir doch, daß ich es nicht getan habe.«
Die Tür öffnete sich, und ohne daß sie sich umsahen, wußten sie beide, daß es Diana war. Sie hatte vergessen, einen Scheck in ihren Brief zu legen. Aber die beiden unterhielten sich so gut, daß sie sich nicht um sie kümmerten.
»Ich liebe den Landaufenthalt so sehr«, seufzte Heloise. »Die Vögel singen, die Wolken ziehen am Himmel, der erfrischende Wind weht – ach, es gibt wirklich nichts Schöneres, Mr. Dempsi.«
Ich habe früher nie gesehen, daß die beiden sich miteinander unterhielten, dachte Diana lächelnd. Das stimmte auch. Sie ging gleich wieder aus dem Zimmer.
»Elly, wir wollen uns nicht miteinander streiten. Das Geld im Schrank ist fort, vielleicht hat es Selsbury selbst genommen. Warum bist du eigentlich hierhergekommen?«
Diese Frage hatte er schon lange an sie stellen wollen.
»Ich kam her, als ich herausfand, daß du die Sache auf eigene Faust durchführen wolltest. Ich kenne dich, Dan, du hast einen sehr schlechten Ruf unter ehrlichen Verbrechern.«
Er lachte mißvergnügt.
»Ich werde dir das Gegenteil durch die Tat beweisen. Wohin ist Gordon Selsbury gegangen? Hat er dir gesagt, daß er gehen will?«
»Nein, wir sind aneinandergeraten, bevor er verschwand. Du sagtest vorhin, daß er zurückkommen werde, und ich fühle, daß du recht hast. Er wird das Geld in der Tasche haben.«
»Aber er konnte es doch nicht allein machen. Dein Mann hätte den Geldschrank nicht sachgemäßer aufmachen können.«
Sie war auf der Hut und wollte sich durch seine Schmeicheleien unter keinen Umständen fangen lassen.
»Laß doch diese Redensarten und halte dich an die Tatsachen«, sagte sie kurz. »Habe ich Selsbury für dich ausgeholt oder nicht?«
Er fuhr sie an wie ein bissiger Hund.
»Habe ich – habe ich nicht – zum Donnerwetter, warum hast du ihn denn überhaupt zurückkommen lassen?«
»Hierher zurückkommen lassen?« fragte sie verächtlich. »Das tat ich mit voller Absicht. Ich wußte, in welcher Rolle du auftreten würdest. Es war mir bekannt, daß Geld hier war, und deswegen wollte ich bleiben. Dan, ich spreche jetzt zum letztenmal im guten zu dir! Ich kenne Polizeiinspektor Carslake sehr wohl. Ich brauche dir nicht zu sagen, daß es eine Kleinigkeit für mich ist, mir eine Belohnung zu holen, die auf deine Ergreifung ausgesetzt ist. Ich würde es nie tun, aber wenn du mich zum äußersten zwingst …«
Das wirkte auf Dan – aber er nahm die Situation mit philosophischer Ruhe auf.
»Nun gut, dann hilft es nichts«, sagte er seufzend. »Wir wollen teilen unter den alten Bedingungen, aber ich will nichts von fünfzig zu fünfzig hören. Siebzig zu dreißig!«
»Du wagst es, mir das anzubieten? Ich wundere mich über deine Kaltblütigkeit. Entweder zahlst du mich fünfzig zu fünfzig aus oder – aber du hast ja gar nichts zu teilen!«
Er bequemte sich jetzt dazu, ihr reinen Wein einzuschenken.
»Sie wird mich in bar auszahlen – ich habe ihr den Scheck zurückgegeben. Wenn du noch eine halbe Stunde wartest, habe ich das Geld. Bist du nun zufrieden? Sechzig zu vierzig.«
»Fünfzig zu fünfzig«, sagte Heloise unerschütterlich. »Du könntest es dir selbst niemals verzeihen, wenn du mir weniger geben würdest.«
Sie stritten noch etwa zehn Minuten miteinander, dann hatte sich Heloise durchgesetzt.
Eleanor kam eilig herein, um ihre Herrin zu suchen, aber sie fand sie erst in Gordons Zimmer.
»Der Geistliche«, sagte sie geheimnisvoll.
Dianas Mut sank wieder.
»Es ist ein katholischer Priester, ich habe es an seiner Tracht gesehen«, erklärte Eleanor.
Diana hatte noch nie darüber nachgedacht, welchem Religionsbekenntnis Dempsi eigentlich angehören könne. Auch hatte sie vorher nicht gewagt, dem Manne gegenüberzutreten, der ihrer Meinung nach von Dempsi gerufen worden war, um sie zu trauen.
»Ich werde hinunterkommen«, sagte sie schließlich und nahm die Karte aus Eleanors Hand.
Sie las den Namen, las ihn noch einmal und fuhr mit der Hand über ihre Augen. Auf der Karte stand:
Pater Giuseppe Dempsi,
Vicar von Banhurst.
Im nächsten Augenblick eilte sie die Treppe hinunter. Sie erkannte ihn sofort wieder an seinem glattrasierten Gesicht, seinen dunklen Haaren und dem alten Lächeln in den braunen Augen. Sie hätte ihn auch erkannt, wenn er nicht die schwarze Soutane getragen hätte.
»Diana«, sagte er, »nach all diesen Jahren sehen wir uns wieder!«
Sie ergriff seine magere Hand.
»Ja, das sind Sie. Oh, Sie glauben nicht, wie froh ich bin, Sie zu sehen.«
Das war also der richtige Dempsi. Wer war denn aber der andere?
»Ich bin schon mehrere Male hiergewesen, um Sie zu besuchen. Ich bin nur noch vierzehn Tage in England. Mein Pfarrbezirk liegt in der Nähe von Melbourne. Ich weiß nicht, ob Sie mir jemals verzeihen können, daß ich Ihnen so viel Unruhe und Verdruß bereitet habe?« Ein schwaches Lächeln huschte über seine feingeschnittenen Züge. »Ich war ein böser Junge. Ja, ich bin damals in den Busch gelaufen, aber ich bin nicht weit gekommen. Unterwegs wurde mir klar, daß ich meinen Idealen untreu wurde und Ihnen ein großes Unrecht tat. Das war entscheidend. Ich ging in das Kapuzinerkollegium und beendete meine Studien. Und ich habe mein Gelübde niemals bereut.«
Sie sah ihn ehrfürchtig an.
»Sie sehen besser und vorteilhafter aus als jemals, Pater Dempsi. Ich habe auch noch eine Menge Geld von Ihnen.«
Er lachte ein wenig verlegen.
»Ich war gespannt, ob noch etwas davon vorhanden ist. Aber offen gestanden brauche ich gerade im Augenblick Geld. Ich will nämlich einen Klub junger Männer in meiner Pfarre gründen, und für die neue Kirche brauchen wir eine Orgel …«
Sie nickte. Sie war noch ganz bestürzt. Plötzlich riß Bobby erregt die Tür auf.
»Diana …!« rief er.
Hinter ihm kam Gordon in gemessener, vornehmer Kleidung. Aber er schien sich doch verändert zu haben. Sie eilte auf ihn zu – bevor sie wußte, was sie tat, hatte sie ihm einen Kuß gegeben. Gordon küßte sie wieder, und es fiel ihm gar nicht schwer.
»Gordon, darf ich dir Reverend Giuseppe Dempsi vorstellen? Ich habe dir früher viel von ihm erzählt.«
Gordon starrte den Priester entsetzt an.
»Reverend Giuseppe Dempsi? Ich dachte –« Dann ergriff er die Hand des Geistlichen. »Ich wußte doch, daß es nicht … wie geht es Ihnen?«
»Diana und ich sind alte Freunde«, erklärte Dempsi. »Beinahe hätte ich gesagt, ein altes Liebespaar, aber die Liebe war ein wenig einseitig«, fügte er lächelnd hinzu.
»Das ist aber ein merkwürdiges Zusammentreffen!«
Gordon konnte weiter nichts sagen.
»Aber wie ist es möglich, daß du schon zurück bist? Ich bekam doch noch heute morgen ein Telegramm aus Inverness von dir?«
»Ich bin mit dem Flugzeug hierhergekommen«, erwiderte Gordon, ohne im geringsten verlegen zu sein. »Ich fühlte, daß hier etwas nicht in Ordnung war und daß du Schwierigkeiten hattest.«
»Ach, Gordon, ist das wirklich wahr?« Sie wurde rot. Sie war erstaunt über diese seelische Fernwirkung. »Aber mein lieber Gordon, du hast ja deinen Backenbart abgenommen?«
Er nickte ernst.
»Ich dachte, ich hatte dir gesagt, daß ich beabsichtige, das zu tun – du hast mir doch früher einmal gestanden, daß du ihn nicht leiden kannst – das genügte mir.«
Gordon zeigte sich von seiner allerbesten Seite.
Eleanor öffnete einem fremden Herrn die Tür.
»Ist Miss Ford zu Hause?«
»Jawohl, mein Herr, aber sie ist gerade beschäftigt.«
Er hatte anscheinend keine Visitenkarten.
»Ich bin Polizeiinspektor Carslake von Scotland Yard. Ich würde gern einmal den Geldschrank besichtigen, der in der vorigen Nacht erbrochen wurde. Es ist nicht notwendig, Miss Ford zu stören.«
Eleanor riß sofort die Tür weiter auf und führte ihn ins Studierzimmer …
»Wir werden mit dem ersten Zug London verlassen«, sagte ›Dempsi‹ gerade. »Das Geld teilen wir auf der Reise.«
»Nein, wir teilen, bevor wir abfahren«, erwiderte Heloise fest. Sie schien Angst zu haben, daß noch irgendein Zwischenfall eintreten könne.
Er zuckte die Schultern.
»Ich würde mich schämen, so etwas zu sagen!«
Dann trat der Fremde ein. Heloise erkannte ihn sofort, noch bevor er ihr Gesicht sah. Sie nahm eine Zeitung, die auf dem Tisch lag, entfaltete sie und verbarg ihr Gesicht dahinter. Dann ging sie, scheinbar lesend, langsam aus dem Studierzimmer in den kleinen Bibliotheksraum.
»Warum gehst du denn fort?« fragte ›Dempsi‹.
Einen Augenblick später sah auch er den Inspektor. Das Erkennen war gegenseitig.
»Das Spinngewebe um Ihr Kinn herum ist mir unbekannt«, sagte Carslake, »aber die hochgeschwungenen Augenbrauen und die leuchtenden Augen gehören meinem alten Freund Dan Throgood, mit anderem Namen ›Doppelgänger‹.«
»Ich fürchte, Sie irren sich«, erwiderte ›Dempsi‹ etwas hochfahrend.
»Sie fürchten vielmehr, daß ich mich nicht täusche«, entgegnete der Polizeiinspektor und sah auf den erbrochenen Geldschrank … »Haben Sie das gemacht?«
»Nein, das ist nicht meine Arbeit. Aber es liegt doch gar nichts gegen mich vor, Carslake. Ich wohne hier als ein Gast von Mr. Selsbury.«
»Und nun werden Sie als Gast des Königs logieren«, meinte Carslake und nahm ein paar Handschellen aus der Tasche. »Ich muß schon sagen, Dan, Sie verstehen zu leben!«
Der Inspektor kam am selben Tag noch einmal nach Cheynel Gardens 61, um eine gewisse Dame namens Chowster zu verhaften. Mit anderem Namen hieß sie Heloise van Oynne.
»Kann ich Miss Ford oder Mr. Selsbury sprechen?«
Eleanor bat ihn zu warten, ging durch die kleine Bibliothek und lauschte erst an der Tür zum Studierzimmer …
»Ich wollte wirklich nach Australien zurück, Gordon.«
»Dann gehe ich mit, und wenn es nötig ist, laufe ich auch in den Busch«, hörte sie Gordons Stimme.
Dann folgte ein langes Schweigen. Eleanor öffnete vorsichtig die Tür ein ganz klein wenig und schaute hinein. Dann ging sie wieder zu Mr. Carslake zurück.
»Mr. Selsbury und Miss Ford haben sich eben verlobt«, sagte sie.