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Die Atmosphäre in einer Küche, so peinlich, sauber und nett sie auch sein mag, langweilt einen intellektuellen Mann. Es bedurfte der epikuräischen Gesinnung eines Materialisten wie etwa des Gatten von Heloise, um sich in einem Raum wohl zu fühlen, in dem der Duft gebackener Pasteten und leckerer Speisen schwebte, der dem Herd und seinen Kochtöpfen seit Jahren entströmte und alle Möbel und Wände durchdrungen hatte.

 

Gordon hatte alles gelesen, was irgendwie lesbar war, er hatte in zwei guten Kochbüchern herumgeschmökert und hatte die alten Zeitungen vorgenommen, die in der Küche aufbewahrt wurden.

 

Glücklicherweise hatte er wenig von Heloise und noch weniger von Diana zu sehen bekommen. Wie außerordentlich begabt sie doch war! Diese Erkenntnis arbeitete sich sogar durch seine ungeheure Erbitterung und Empörung durch. Und wie liebenswert sie war! Er hatte sie väterlich behandeln wollen, er wurde rot, als er daran dachte. Aber wenn er sich nicht in dieses wahnsinnige Abenteuer eingelassen hätte, würde er jemals alle ihre Fähigkeiten erkannt haben? Er bezweifelte es. Er war so am Ende seiner Kräfte, und seine Nerven waren so angespannt, daß er jeden Zug an ihr zergliederte und wertete. Sie handelte ja in seinem eigenen Interesse! Dieser Gedanke machte ihn froh. Aber Dempsi … sein Herz wurde wieder kalt.

 

Die Tür öffnete sich langsam, und er schaute auf. Er hoffte Diana zu sehen. Aber es war eine Enttäuschung, denn Heloise kam herein.

 

»Sie haben mich in eine schöne Lage gebracht«, sagte er ohne Erregung.

 

Sie sah ihn von der Seite an.

 

»Ich habe Sie in eine schöne Lage gebracht?« wiederholte sie ironisch. »Das klingt gut; aber immerhin brauchen Sie noch nicht verrückt zu werden, mein Liebling.«

 

Ein kalter Schauer befiel ihn, als er diese familiäre Anrede hörte.

 

»Ich wünschte, Sie würden mich nicht ›mein Liebling‹ nennen. Das gehört zu Bubiköpfen, Stilkleidern, Kunstseide … und Seelen.«

 

Sie lachte ruhig, sie hatte lange nicht mehr gelacht.

 

»Sie pflegten es gern zu hören, wenn ich Sie so nannte – in den Tagen unserer geistigen Freundschaft. Als Seele noch zu Seele sprach – ach, ich vergaß den ganzen Unsinn! Und vor zwei Tagen wußte ich doch noch alles.«

 

Gordon schaute sie verwirrt an.

 

»Ich verstehe nicht … was meinen Sie denn?«

 

»Ich meine all den Unsinn, über den wir sprachen! Über unsere Seelenverwandtschaft. Jetzt sind Sie ganz anders – so gefallen Sie mir besser! Ich bin immer für gewöhnliche Vernunft gewesen, mein Junge! Ich habe Sie ja erst aufgeweckt!«

 

»Sie haben mich ruiniert, wollen Sie wohl sagen«, keuchte er. »Wenn Sie nicht hierhergekommen wären, hätte ich Diana – Miss Ford – alles erklärt.«

 

»Diana klingt besser«, erwiderte sie. »Wenn ich nicht gekommen wäre!« Sie warf den Kopf spöttisch zurück.

 

»Warum taten Sie es?« fragte er. Selbst jetzt glaubte er die Geschichte noch halb, die sie ihm erzählt hatte.

 

»Weil mich mein Mann betrog«, sagte sie kalt.

 

Gordon wollte seinen Ohren nicht trauen.

 

»Ihr Mann? Sie meinen Ihren Gatten?«

 

Heloise warf die Zigarette weg, stand auf und legte die Hände hinter den Kopf.

 

»Nein, mein Mann ist der aufrichtigste Mensch auf der Welt. Ich spreche von dem – Doppelgänger, wie Sie ihn nennen.«

 

»Sie arbeiten – mit – dem Doppelgänger?« fragte er atemlos.

 

Sie lächelte mitleidig.

 

»Natürlich! Hatten Sie sich etwa eingebildet, daß ich so verrückt wäre, mich wirklich in Sie zu verlieben? Seien Sie doch einmal ehrlich gegen sich selbst und sagen Sie mir, was eine Frau denn an Ihnen bewundern könnte?«

 

»Ich habe doch gar nicht von Liebe zu Ihnen gesprochen«, stammelte Gordon. »Wir haben uns über philosophische Fragen unterhalten – Sie und ich … über seelische Regungen, über Dinge des guten Geschmacks …«

 

»Wenn Sie so viel Erfahrung hätten wie ich, wäre Ihnen bekannt, daß das eben Liebe ist. Vielleicht haben Sie es wirklich nicht gewußt – dann sind Sie wenigstens jetzt aufgeklärt.«

 

Gordon wurde wütend.

 

»An so gemeine Dinge habe ich niemals gedacht«, sagte er scharf. »Wir sprachen von … unwägbaren Dingen. Jede … Liebkosung lag mir fern – ich habe ja kaum Ihre Hand gehalten. Wollen Sie vielleicht behaupten, daß sich irgend etwas anderes hinter unseren Gesprächen über prähistorische Dinge oder hinter unserem Gedankenaustausch über das unterbewußte Ich verbarg?«

 

Zu seinem nicht geringen Schrecken nickte sie.

 

»Natürlich, in dieser Art äußert sich eben bei Hochintellektuellen die Liebe! Wenn diese Leute anfangen, mir von ihrer Wissenschaft, vom Steinzeitalter und all solchen Dingen zu erzählen, dann weiß ich, daß sie einen Narren an mir gefressen haben.«

 

»Sie haben also die ganze Sache nur angezettelt, um mich wegzulocken?«

 

»Begreifen Sie denn das immer noch nicht?« fragte sie ehrlich erstaunt. »Sie haben wirklich eine lange Leitung, Ihre Denkmaschine arbeitet etwas zu langsam! Aber nun haben Sie das Richtige entdeckt. Es war meine Aufgabe, Sie fortzubringen, während der Doppelgänger –«

 

Er sah jetzt alles vollkommen klar, nun gab es keine Geheimnisse mehr für ihn. Nun brauchte er nicht mehr nachzugrübeln, er durchschaute die ganze List. Ihre Gesichtszüge waren finster, sie schien von düsteren Gedanken gequält zu sein.

 

»In meiner Maske hierherkam.«

 

»Er hat mich hintergangen – dieser Mann kann nicht einmal gerade und aufrichtig sein, wenn er eine Röhre entlanggleitet. Und ich bin mit offenen Augen in die Falle gegangen! Ein paar Leute, die mit ihm zusammen gearbeitet haben, sagten es mir. Und es ist auch wirklich so gekommen. Gestern morgen, bevor ich Sie nach Ostende lotsen wollte, ging ich zu ihm, damit er das Geld aus der Smith-Sache mit mir teilen sollte – nein, an der Geschichte selbst war ich nicht beteiligt, meine Freundin machte den alten Esel so verrückt, daß er sie heiraten wollte. Sie mußte aber unerwarteterweise nach Hause zurück, weil ihr ältester Junge krank war, und ich streckte ihr ihren Anteil vor. Sie arbeitete wie ich mit ihm auf der Basis von vierzig bis sechzig Prozent. So habe ich sie auch ausgezahlt. Sie hat ihr Geld redlich verdient, sie hat sich die größte Mühe mit dieser alten Vogelscheuche gegeben. Das einzige Interesse, das er überhaupt hatte, waren Briefmarken, und sie mußte diese ganz verdrehte Sache eingehend studieren. Dan hatte früher versprochen, ehrlich zu teilen – obendrein bin ich noch seine Freundin!«

 

Gordon rieb sich die Stirn.

 

»Ist er nicht Ihr – Ihr Mann?«

 

Sie wurde zornig.

 

»Was, das soll mein Mann sein?« fuhr sie ihn an. »Nun hören Sie aber mal zu. Ich bin eine anständige, verheiratete Frau, denken Sie stets daran, mein Junge! Ich bin schon seit zehn Jahren verheiratet. Ich habe eine hübsche, kleine Wohnung in New York und einen wirklich netten und lieben Mann.«

 

»In New York?« fragte er erstaunt.

 

Sie zögerte.

 

»Nun, er ist augenblicklich gerade nicht in New York – er ist im Zuchthaus. Aber er ist vollkommen unschuldig, das weiß der Himmel. John konnte beweisen, daß er ein Schlafwandler ist, jawohl. Er ist es schon seit Jahren. Als ihn die Polizisten in Attonsmiths Juwelierladen faßten, wußte er überhaupt nicht, wie er dort hingekommen war. Er ist einer der besten Sänger im Männerchor des Sing-Sing-Gefängnisses, aber in einem Monat kommt er heraus. Dann gehe ich natürlich nach Hause zurück, um ihn zu begrüßen.«

 

»Aber er ist doch ein ganz gemeiner Dieb«, sagte Gordon.

 

Heloisens klassisch schönes Gesicht wurde dunkelrot.

 

»Sagen Sie einmal, woher haben Sie denn eigentlich den Mut, andere Leute so zu beleidigen? Ein Dieb! John ist kein Dieb! Er hatte nur furchtbares Pech bei seiner Arbeit. Und dann vergessen Sie nicht, er ist ein Schlafwandler! Wenn er wach ist und seine Gedanken beisammen hat, nimmt er nicht das geringste ohne Quittung. Nur manchmal in der Nacht kommt es über ihn. Nein, John ist ein Gentleman – obgleich er im Polizeipräsidium auf der Liste der besten Geldschrankknacker steht.«

 

»Dann ist er also ein Bankräuber?« sagte er verstehend. »Wie interessant! Und natürlich besucht er nur Banken, bei denen er kein Depot hat!«

 

»Selbstverständlich – das ist sein Beruf. Ich habe ihn früher begleitet, aber er fühlte sich beunruhigt und nervös, wenn ich dabei war. Deshalb habe ich dann auf eigene Faust gearbeitet, und so bin ich auch mit dem Doppelgänger zusammengekommen. Er ist zwar nicht gerade sehr ehrlich, aber er kann etwas. Das muß man ihm lassen. In seinem Fach ist er ungewöhnlich tüchtig. Er behandelt seine Partnerin stets wie eine Dame. Das ist aber auch das einzig Anziehende an ihm.«

 

Sie sprach von ihm, wie eine Schauspielerin etwa von einem Kollegen gesprochen hätte – ohne Ärger, ohne Neid.

 

Gordon hörte nun auf, mit den Fingern auf den Küchentisch zu trommeln und kehrte wieder zur Wirklichkeit zurück.

 

»Kommt denn nun der Doppelgänger hierher? In meiner Verkleidung? Läuft die ganze Sache darauf hinaus? Welch ein Idiot war ich doch! Und Sie waren der Lockvogel … und alle unsere Unterhaltungen über seelische Probleme waren …«

 

»Unsinn!« fiel sie ihm ins Wort. »Es wäre schon an und für sich Unsinn gewesen. Alles derartige Gerede und Gewäsch ist Blech!«

 

»Aber – warum sind Sie denn überhaupt hierher ins Haus gekommen?«

 

»Weil ich mein Geld zurückhaben will – das Geld, das ich meiner Freundin vorgestreckt habe. Er wollte es mir nicht geben. Er log mir vor, daß er das Geld für den Scheck von Smith noch nicht habe. Er sagte, daß er selbst nichts habe, und dabei schwimmt er doch im Überfluß. Er war so auswattiert mit Banknoten, daß man ihn nicht anfassen konnte, ohne daß es raschelte. Als ich ihm sagte, daß ich nicht weiterarbeiten würde, bis er die alte Rechnung beglichen habe, sagte er, ich solle zum Teufel gehen, ich hätte kein Recht gehabt, meine Freundin auszuzahlen, und er würde die Sache auch ohne mich zu Ende bringen. Aber das wird ihm nicht gelingen!«

 

Gordon sah sie düster an.

 

»Warum sagen Sie mir denn das alles? Ist Ihnen nicht klar, daß Sie sich dadurch vollständig in meine Hand gegeben haben? Ich brauche nur die Polizei anzurufen, dann sitzen Sie fest!«

 

Sie war nicht im mindesten verwirrt.

 

»Mein Junge, Sie haben wirklich einen Verstand wie eine Fledermaus! Vergessen Sie alles, Onkel Artur!«

 

Ihre Worte trafen ihn wie Schläge. Onkel Artur! Es war ja alles hoffnungslos!

 

»Wie kann ich denn diesen Doppelgänger erkennen – wenn er kommt? Wann erwarten Sie ihn denn?«

 

Was sich auch immer ereignen sollte, er war fest entschlossen, den Plan des Doppelgängers zum Scheitern zu bringen.

 

»Warum wollen Sie denn das wissen? Dan wird auf einmal dasein, ganz natürlich! Er ist der schlaueste und tüchtigste Kerl in seinem Fach. Unser gespanntes Verhältnis veranlaßt mich nicht dazu, ihn ungerecht zu beurteilen. Er ist einer von den ganz Großen. Er hat zwar keine Begabung für einfache Division, aber wir sind eben nicht alle als Mathematiker geboren. Wenn der kommt, werden Sie es nicht wissen. Er kommt auch nicht immer in der Rolle seines Opfers. Manchmal spielt er auch sehr geschickt einen Butler.«

 

Gordon erschrak und dachte an Superbus. Aber es erschien ihm doch unmöglich, daß der Mann sich soweit erniedrigen sollte, eine solche Rolle zu spielen.

 

»Glauben Sie, daß der Detektiv –?«

 

»Ich habe es früher schon erlebt, daß Dan als der Detektiv aufgetreten ist, der seine Opfer bewachen sollte. Das ist sogar eine seiner Lieblingsverkleidungen. Er ist unerschöpflich in seinen Erfindungen. Aber, mein Junge, ich gebe Ihnen hier Aufschlüsse, die mehr als eine Million Dollar wert sind. Sie sollten mir auf den Knien danken. Aber Sie sind natürlich ein undankbares Geschöpf. Wissen Sie, seine beste Rolle ist eigentlich, wenn er den Geistlichen spielt, der auf Besuch kommt. Darin ist er einfach unübertrefflich. Er hat mir erzählt, daß er einmal eine Viertelmillion Dollar auf diese Weise aus der Kirche herausgeholt hat.«

 

»Ein Pfarrer – heute war doch einer hier?« sagte Gordon nachdenklich. »Aber warum machen Sie sich denn nicht den Gesetzesparagraphen zunutze, nach dem Sie frei ausgehen, wenn Sie gegen ihn als Zeugin auftreten?«

 

»Sind Sie denn ganz verrückt? Sie beleidigen mich, wenn Sie mir so etwas zumuten! Die ganze Sache ist eine reine Privatangelegenheit zwischen Dan und H. C. Ich heiße nämlich Chowster. Mein Vater war der Pastor Chowster in Minneapolis. Ich habe eine höhere Schule besucht und bin zu sehr Dame, als daß ich jemand bei der Polizei verpfeifen würde. Abstammung und Erziehung lassen sich nicht so leicht vergessen!«

 

Er bedeckte das Gesicht mit den Händen.

 

»Was bin ich doch für ein Esel gewesen, es ist unglaublich!«

 

Heloise betrachtete ihn. In dieser Haltung war er ihr interessanter.

 

»Ich werde es nicht dulden! Was sich auch ereignen mag, ich werde ihm einen Knüppel zwischen die Beine werfen!«

 

»Was meinen Sie?« fragte sie ironisch.

 

»Soll ich vielleicht ruhig zusehen, wie ein Verbrecher …«

 

»Gebrauchen Sie nicht solche Ausdrücke!« protestierte sie.

 

»… ungestraft die menschliche Gesellschaft ausplündert?«

 

»Mein John sagt, daß er einen Geldschrank sogar mit einer Haarnadel öffnen könne –«

 

»Ich werde es der Polizei berichten«, sagte Gordon entschieden. »Es war töricht von mir, daß ich es nicht gleich tat. Vielleicht werde ich dadurch bloßgestellt, es mag meinen gesellschaftlichen Ruin bedeuten … aber ich werde dafür sorgen, daß Sie beide hinter Schloß und Riegel kommen – Sie alle beide!«

 

Sein Wutausbruch machte aber keinen Eindruck auf sie.

 

»Mein honigsüßer Liebling!« girrte sie. »Werde doch nicht verrückt, mein Baby.«

 

Er fuhr zornig auf sie los.

 

»Nur Sie sind daran schuld, daß Miss Ford glaubt, zwischen uns bestehe irgendein Verhältnis. Ich könnte Ihnen alles verzeihen, aber das nicht!«

 

»Ach, haben Sie mich nie geliebt?« verspottete sie ihn. »Oh, mein lieber Junge, lache doch, mein Liebling, mein reizendes Baby, zeige doch einmal deine reizenden kleinen Zähnchen!«

 

Diana war in die Küche getreten und hatte die paar letzten Worte gehört.

 

»Wollen Sie so freundlich sein, Ihre Liebeserklärungen für eine Zeit aufzuheben, wenn Sie wieder aus dem Hause sind?« fragte sie böse. Gordon erschrak, als er ihre Stimme vernahm.

 

»Aber warum denn?« fragte Heloise und lachte Diana unverschämt an. »Hat denn ein Verbrecher nicht auch das Recht auf ein bißchen Liebe? Ich will ja gern zugeben, daß Onkel Artur nicht so hübsch und süß ist wie Ihr lieber Wopsy, aber er ist in Tante Lizzies Augen wirklich ein netter Junge.«

 

Gordon wäre dazwischengefahren, wenn er nicht vollständig gebrochen gewesen wäre. Er ging in die Aufwaschküche und ließ seinen schmerzenden Kopf auf die Messerputzmaschine sinken.

 

Diana fühlte, daß es absurd war, sich einer solchen Frau gegenüber zu antworten. Aber sie tat es dennoch.

 

»Mr. Dempsi ist – ein lieber Freund von mir. Wie können Sie ihn mit Ihrem Komplicen vergleichen?« Es war ihr elend zumute, denn sie erkannte plötzlich bestürzt, daß der Doppelgänger entschieden der Begehrenswertere von beiden Männern war. Heloise hatte sie gespannt beobachtet.

 

»Ach, die letzten Ereignisse haben mir einen Stoß versetzt. Es ist wirklich keine Beschäftigung für mich«, seufzte Heloise.

 

Ihre Worte machten Eindruck. Dianas Gesicht hellte sich auf und nahm einen freundlichen Ausdruck an.

 

»Es tut mir manchmal wirklich leid um Sie.«

 

Heloise senkte den Kopf.

 

»Ich bin fast immer traurig. Wenn Sie wüßten – es ist ein Höllenleben«, sagte sie bitter.

 

Diana fühlte Mitleid mit ihr. Die Verlassenheit und das tragische Geschick dieser Frau riefen nach Hilfe.

 

»Daran hätte ich eben denken sollen«, sagte Diana gütig. »Es tut mir leid, daß ich eben so hart zu Ihnen war.«

 

Der größte Stratege zeichnet sich dadurch aus, daß er den Augenblick erkennt, in dem der Feind zu schwanken beginnt. Heloise brachte jetzt ihr schweres Geschütz in Front.

 

»Ich war gut, bevor ich ihm begegnete!« Sie schluchzte unterdrückt.

 

Gordon hörte zu seinem Entsetzen diese Worte und kam eilig in die Küche zurück.

 

»Diese Heuchelei –«

 

»Seien Sie sofort ruhig!«

 

Der Mut verließ ihn wieder, als Diana ihn zornig anblitzte.

 

»Er hat mich erst schlecht gemacht, er hat mich in den Abgrund gezogen –«

 

Heloise kämpfte um ihre Sicherheit und Freiheit. Sie war eine ausgezeichnete Schauspielerin.

 

Dianas Stimme zitterte, als sie sich an den bestürzten Mann wandte.

 

»Sie gemeiner, brutaler Mensch! Daß es überhaupt möglich ist, solch einen Verbrecher auf die Menschheit loszulassen! Ich habe das schon geahnt. Sie sind ein Tiger, ein Vampir in Menschengestalt! Warum verlassen Sie ihn denn nicht, Heloise?« fragte sie liebevoll.

 

Heloise wischte sich die Augen und schluchzte.

 

»Er hat mich vollständig in der Hand. Diese Männer lassen eine Frau nicht wieder los. Ich bin ihm verfallen bis zum Ende!«

 

Gordon sprang auf. Sie wich angstvoll vor ihm zurück.

 

»Lassen Sie nicht zu, daß er mich anrührt!« rief sie erschrocken.

 

In der nächsten Sekunde hatte Diana den Arm um sie gelegt.

 

»Zurück!« donnerte sie Gordon an. »Schlägt er Sie auch?«

 

Heloise nickte mit jener zögernden Schüchternheit, die so überzeugend wirkt.

 

»Ich bin manchmal am ganzen Körper schwarz und braun und blau«, weinte sie. »Er wird mich sicher deshalb wieder furchtbar schlagen. Aber kümmern Sie sich nicht um mich, Miss Ford, ich bin es nicht wert. Ich muß bei ihm bleiben bis zum bitteren Ende – der Himmel mag mir helfen!«

 

»Sie gemeiner Schuft!«

 

Heloise weinte. Gordon war so entsetzt, daß er auch hätte weinen mögen.

 

»Warum können Sie ihn denn nicht verlassen? Sind Sie mit ihm verheiratet?«

 

Heloise hatte sich wieder etwas beruhigt. Sie lächelte jetzt unendlich traurig, und ihre müden, abgespannten Gesichtszüge schienen eine Geschichte von maßloser Qual und Erniedrigung zu erzählen.

 

»Diese Art Männer heiraten nicht«, sagte sie leise.

 

Diana schaute Gordon mit Basiliskenaugen an.

 

»Aber er wird Sie jetzt heiraten«, erwiderte Diana.

 

Heloise warf sich Gordon zu Füßen. Er machte nicht einmal den Versuch, seine Hand fortzuziehen, als sie sie umklammerte. Dieser entsetzliche Traum mußte doch einmal zu Ende sein! So ungeheuerliche Dinge konnten sich doch in einer wohlgeordneten Welt nicht zutragen! Er brauchte sich ja nur ruhig zu verhalten – gleich würde ihn Trenters Stimme wecken: »Es ist acht Uhr, mein Herr. Ich fürchte, es regnet heute.« Trenter entschuldigte sich immer wegen des schlechten Wetters. Und dann würde er die Augen öffnen …

 

Aber Heloisens seufzende Stimme weckte ihn.

 

»Du hast gehört, was die liebe junge Dame eben gesagt hat – heirate mich, Dan! Ach bitte, heirate mich!«

 

Gordon lächelte wie ein Narr. Diana hielt das für ein höhnisches, sarkastisches Grinsen.

 

»Mach mich doch wieder so gut, wie ich war, als du mich von Connecticut fortlocktest«, bat Heloise.

 

Sie hatte zum Schluß nur noch ganz leise gesprochen, und nun erstickten ihre Worte in einem Schluchzen. Für einen Augenblick erlangte Gordon seine Selbstbeherrschung wieder.

 

»Was soll denn dieses ganze Geplärr bedeuten?« fuhr er sie an und versuchte, seine Hand frei zu machen.

 

»Mann!« rief Diana wütend. »Sehen Sie sich jetzt vor!«

 

»Ich sage Ihnen –«

 

»Sie werden das Mädchen heiraten!«

 

»Ich – ich kann nicht – und ich will auch nicht! Schert euch doch alle zum Teufel!«

 

Heloise brach unter diesem Schicksalsschlag vollkommen zusammen.

 

»Aber du hast es mir doch versprochen – denke doch an deine heiligen Eide! Du wirst dich doch noch an dein Wort halten! Sage doch, daß es nicht wahr ist, Dan!«

 

Diana empfand das tiefe Leid dieser Frau.

 

»Du meinst es doch nicht so, Dan – du hast doch eben nur einen Scherz gemacht!«

 

Gordon zeigte seine Zähne und schnitt eine Grimasse.

 

»Oh, ich sehe, du lächelst wieder – du siehst mich wieder gütig an! Wir werden in Zukunft dieses elende Handwerk lassen – diese liebe junge Dame hat recht. Wir wollen ein anderes Leben beginnen. Nicht wahr, Dan, du versprichst es mir? Ich werde dann wieder deine liebe, kleine Frau sein, die auf der Veranda sitzt, während du die Hühner im Garten fütterst!«

 

»Das verdammte Hühnerfutter!« rief Gordon außer sich vor Wut. »Ich wünsche Sie und Ihre ganze Veranda zum Kuckuck! Heiraten soll ich Sie auch noch? Diana, kannst du denn dieses ganze Theater nicht durchschauen? Sie spielt dir etwas vor! Zwischen uns besteht keine Beziehung!«

 

»Er verhöhnt mich auch noch!« stöhnte Heloise und warf sich auf den Boden. Diana war sofort an ihrer Seite und hob sie wieder auf.

 

»Kommen Sie mit mir, mein Liebling, alle Bitten an diesen steinharten Wüstling sind doch nur umsonst und verschwendet und Sie können obendrein noch lachen!«

 

»Ich lache nicht«, sagte Gordon beleidigt. »Was zum Teufel sollte ich denn über diese Gemeinheit auch noch lachen! Wenn es überhaupt etwas zu lachen gäbe, dann könnte man über Sie lachen, die sich von einer solchen Gaunerin hereinlegen läßt!«

 

Diana sah ihn verächtlich an und wandte sich dann ganz dem Mädchen zu.

 

»Wenn ich Ihnen nun das Geld zur Rückreise schenkte, würden Sie dann nach Hause fahren?«

 

Heloise nickte schwach.

 

»Ich werde es Ihnen morgen geben. Kommen Sie jetzt.«

 

Heloise befreite sich sanft aus ihren Armen.

 

»Nein – ich will hierbleiben«, sagte sie ganz gebrochen. »Ich muß Dan etwas sagen – etwas, das keine andere Frau hören soll.«

 

Diana wurde bleich.

 

»Oh, ich verstehe«, sagte sie freundlich und ging hinaus.

 

Heloise wartete, schlich sich zur Tür, lauschte eine Weile, dann drehte sie sich plötzlich in ausgelassenster Freude um.

 

»Holla!« sie tanzte wild in der Küche umher. »Mein Junge, das ist eine Frau! Heloise, dein Gehalt ist erhöht, wie stehst du nun da?«

 

»Sie – Sie verruchtes Frauenzimmer!« rief Gordon atemlos. »Wie dürfen Sie – das ist doch die äußerste Schamlosigkeit!«

 

»Ach, sehen Sie einmal an!« Sie stemmte die Hände in die Hüften und sah ihn von unten herauf an. »Ich muß mir doch auch etwas auf die Seite legen, seien Sie doch vernünftig, Mann! Ich habe zur Zeit kein Geld, man könnte keine zwei Dollar aus mir herauspressen. Wenn Dan nun keinen Erfolg hat, wo soll ich denn mein Reisegeld herbekommen? Seien Sie doch vernünftig, mein Liebling!«

 

»Sie haben Miss Ford hintergangen!«

 

»Aber nun schlägt es dreizehn! Heiliger Michael! Haben Sie sie vielleicht nicht hintergangen? Sie sind ein dummer Esel, daß Sie dieses hübsche Mädel gar nicht verdienen. Glauben Sie nur nicht, daß ich sie verachte, weil man leicht mit ihr fertig werden kann! Diana ist wirklich gut. Sie haben mich belogen, als Sie sagten, Sie seien verheiratet. Vielleicht sind Sie tatsächlich verheiratet, aber nicht mit Diana! Die ist viel zu vernünftig, um einen solchen Einfaltspinsel zu nehmen!«

 

Er ging in der Küche wütend auf und ab, sprach zu sich selbst, dann blieb er plötzlich vor ihr stehen.

 

»Sie haben mich der schändlichsten Gemeinheiten angeklagt, Sie haben mir meinen guten Ruf genommen – in ihren Augen bin ich jetzt der Doppelgänger!«

 

Heloise steckte sich wieder eine Zigarette an, setzte sich auf die Tischkante und baumelte mit den Beinen.

 

»Na, mein Junge, Sie haben aber wenig Sinn für Humor!« sagte sie vergnügt. »Diana kann sich gut kleiden – Donnerwetter, das Kleid, das sie heute nachmittag trug, war fabelhaft, dagegen sehe ich alt aus.«

 

Er beruhigte sich etwas, sah die Nutzlosigkeit ein, mit ihr zu streiten. »Ich werde noch in einem Irrenhaus enden! Aber ebenso sicher wird der Doppelgänger ins Zuchthaus kommen!«

 

»Kümmern Sie sich bloß nicht um anderer Leute Angelegenheiten! Dieses kleine Spiel hier geht sehr bald seinem Ende zu. Ich habe meine Aufgabe glänzend gelöst. In einigen Wochen kommt mein John nach Hause, und mit dem Doppelgänger werde ich auch noch fertig werden.«

 

»Meinen Sie, daß er doch noch kommt? Werden wir ihn sehen?« fragte Gordon gespannt.

 

»Wir werden uns sehen, und er wird fortgehen«, erwiderte sie geheimnisvoll. »Und er muß diesmal ehrlich mit mir teilen. Wenn er glaubt, daß ich mich diesmal mit zwanzig zu achtzig zufriedengebe, täuscht er sich. Ich kenne es von Hause aus nicht anders, als daß fünfzig zu fünfzig geteilt wird.«

 

»Jetzt warne ich Sie aber. Die Sache ist schon zu weit gediehen«, sagte Gordon nachdrücklich. »Im Geldschrank sind fünfzigtausend Dollar eingeschlossen, und deswegen wird er wohl hierherkommen wollen. Aber woher er das wissen konnte –«

 

»Fünfzigtausend?« fragte sie atemlos. »Das erklärt alles. Sie haben mir in vertraulichen Gesprächen einmal gesagt, daß Sie höchstens tausend Pfund zu Hause hätten, aber nicht –«

 

»Das Geld ist auch nur ausnahmsweise hier, um einen Amerikaner auszuzahlen«, erwiderte er ungeduldig. »Außerdem habe ich gar keinen Grund, Ihnen zu erklären, warum ich Geld in meinem Hause habe. Es liegt in meinem Geldschrank – das genügt doch!« Heloise war nachdenklich geworden.

 

»Er wußte es also – dieser gemeine Mensch, dieser Heuchler! Kann man da nicht alle Lust verlieren? Fünfzigtausend Dollar! Und das wollte er alles so mir nichts, dir nichts allein schlucken?«

 

Sie schien Gordons Gegenwart vergessen zu haben. Die Ungeheuerlichkeit dieses Verrats war zu groß.

 

»Deshalb wollte er also allein arbeiten! ›Gehe nach Ostende‹, sagte er, ›und überlasse mir das übrige.‹ Und das waren fünfzigtausend Dollar. Mir erzählte er, daß er tausend Pfund hier zu finden hoffte! Eine solche Gemeinheit ist doch noch nie in unseren Kreisen vorgekommen.«

 

»Was Sie da alles erzählen, interessiert mich nicht im mindesten«, sagte Gordon mürrisch.

 

»Aber er wird diesmal anständig mit mir teilen«, fuhr Heloise grimmig fort. »Er wird sich ordentlich benehmen, selbst wenn es ihm schwerfällt. Ja, mein Herr, zwischen Dan und Heloise Chowster muß es anständig zugehen! Dieser schamlose Mensch, dieser verdammte Affenpinscher!«

 

Die Hinterlist dieses Mannes änderte plötzlich ihre ganze Lebensanschauung. All ihre Ideale wankten.

 

»Es wird überhaupt nichts geteilt hier, verstehen Sie?! Ich werde mich doch nicht ausplündern lassen – denken Sie denn, ich bin ein Narr?«

 

Sie sah ihn an, als ob sie in seinem Gesicht das Gegenteil lesen wollte. Aber plötzlich änderte sich ihr ganzes Wesen wieder, als sie Dianas Schritte auf der Treppe hörte.

 

»Ich bitte dich um nichts mehr, Dan, du bist ja doch hart wie Stein. Ich wünsche dir alles Gute. Willst du mir nicht noch ein letztes Mal deine Hand geben?«

 

Gordon starrte sie entsetzt an, dann fielen seine Blicke auf Diana, und er verstand.

 

»Wir wollen doch nicht so voneinander scheiden, Dan! Ich verzeihe dir alles, was du mir angetan hast. Lebe wohl!«

 

Sie streckte zaghaft die Hand aus. Gordon hätte sie am liebsten links und rechts geohrfeigt.

 

»Guten Abend!«

 

»Sie niederträchtiger Halunke, wollen Sie ihr wohl sofort die Hand geben?« fuhr ihn Diana an.

 

Er gehorchte widerwillig. »All right – Guten Abend!«

 

Diana wußte zwar, daß Verbrecher abgestumpft und gefühllos waren, aber wie gemein und brutal sie sein konnten, hatte sie sich nie träumen lassen.

 

»Kommen Sie mit mir, meine Liebe. Sie sollen ihn nicht wiedersehen.«

 

»Danke vielmals«, sagte Gordon. »Das sind die ersten angenehmen Worte, die ich von Ihnen höre.«

 

Diana behandelte ihn mit der Verachtung, die er ihrer Meinung nach verdiente.

 

»Miss Ford, darf ich Sie um etwas bitten?« Heloise sah nachdenklich auf ihre Wohltäterin.

 

»Aber sicherlich.«

 

»Diese Kleider passen nicht recht zu meiner Gemütsverfassung. Sie denken natürlich, ich sei verrückt. Aber Kleider bedeuten sehr viel, selbst für eine Frau meiner Art. Und sie sind etwas zu bunt und schreiend für ein Mädchen mit gebrochenem Herzen. Wenn Sie ein etwas ruhigeres und ernsteres Kleid hätten, das mehr zu meiner Trauer paßte …«

 

Diana lächelte. Wie gut sie das verstehen konnte!

 

»Ich kann Ihnen das sehr gut nachfühlen. Kommen Sie in mein Zimmer, Heloise. Sie brauchen sich nicht zu fürchten. Ich werde Superbus schicken, damit er auf diesen Mann hier aufpaßt!«