5
Sir George Frodmere hatte sich im Hotel Monsigny in Paris eingemietet und ging unruhig internem Wohnzimmer auf und ab. Seine beiden Verbündeten mußten jeden Augenblick kommen. Sie hatten in verschiedenen Hotels übernachtet, um nicht zusammen gesehen zu werden. Ja, sie waren in ihren Vorsichtsmaßregeln sogar so weit gegangen, daß sie nach dem Eisenbahnunglück in verschiedenen Zügen nach Paris reisten.
Schließlich trafen sie fast zur selben Zeit ein, und Sir George schloß die Tür sorgfältig hinter ihnen.
»Jetzt wollen wir einmal offen miteinander reden«, sagte er mit scharfer Stimme. »Wer hat das Geld?«
»Durchsuchen Sie mich«, erwiderte Kitson mürrisch.
Er rauchte am Rest einer Zigarre und betrachtete Sir George mit argwöhnischen Blicken.
»Wollen Sie mir vielleicht erzählen, daß Sie die Mappe nicht haben?« fragte Sir George ungläubig.
»Was soll ich haben?«
»Die Mappe!«
»Ich habe nichts«, erklärte Mr. Kitson entschieden. »Aber ich vermute, daß Sie das Geld haben!«
Der Baronet kniff die Augen zusammen.
»Ich habe es überhaupt nicht zu sehen bekommen«, sagte er kurz. »Wir wollen uns doch hier keinen Humbug vormachen. Wir stecken zu tief in unseren gemeinsamen Unternehmungen, um uns gegenseitig zu betrügen! Was wissen Sie davon, Wilton?«
»Ich?« fragte Toady wütend. »Wie kommen Sie darauf, derart unverschämte Fragen an mich zu stellen? Sie wollen doch nicht etwa sagen, daß ich ein gemeiner Dieb bin? Es ist einfach unerhört. Ich weiß nur«, fuhr er vorsichtiger fort, »daß Sie sich etwas eingebildet haben. Bis jetzt hielt ich die Sache noch für einen Scherz. Ich habe niemals auch nur im Traum daran gedacht, daß Sie die Absicht hatten, das Geld zu stehlen.«
Sir George lachte verächtlich.
»Sie nehmen den Mund ein wenig zu voll, Toady Wilton. Ich lasse mir von Ihnen nichts vormachen. Sie wissen doch ganz genau, daß wir alle hinter dem Geld her waren. Wenn man Sie hört, sollte man annehmen, daß Sie noch niemals ein Wässerchen getrübt haben. Ich möchte dagegen fragen, ob Sie sich überhaupt schon jemals an einem anständigen Unternehmen beteiligt haben. Der Verdacht fällt auch auf Sie. Machen Sie bloß nicht dieses Sonntagsschulgesicht. Diese Verstellung kann ich nicht leiden. Also sagen Sie klar und deutlich: Haben Sie das Geld, oder haben Sie es nicht?«
»Nein, ich habe es nicht«, erwiderte Wilton düster.
Sie standen sich einen Augenblick schweigend gegenüber und maßen sich mit den Blicken. Jeder hatte die beiden anderen im Verdacht, daß sie sich gegen ihn verbündet hätten.
»Jemand muß es aber doch haben«, sagte Sir George schließlich wütend.
»Ich bin davon überzeugt, daß Sie es haben«, entgegnete Bud Kitson.
Sir George fuhr herum.
»Was, Sie verdammter Hund, mich haben Sie im Verdacht?« brüllte er.
»Ich habe gehört, daß hier in Europa die merkwürdigsten Dinge passieren sollen«, erklärte der Amerikaner ruhig. »Und ich würde auch kein Herzklopfen kriegen, wenn ich entdeckte, daß Sie das Geld genommen haben.«
Die Situation war gefährlich, und Sir George Frodmere wußte genau, daß er den Bogen nicht überspannen durfte. Er war auf die Hilfe dieser beiden Leute angewiesen, und selbst wenn einer von ihnen sich das Geld angeeignet haben sollte, konnte er nur durch Freundlichkeit und Ruhe zum Ziel kommen.
»Vielleicht hat Soltescu die Mappe überhaupt nicht verloren«, warf er in gleichgültigem Ton hin.
»Natürlich hat er sie verloren!« rief Kitson. »Darüber brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen. Ich habe noch kurz vorher gesehen, wie er sie in der Hand hatte. Als er den Gang entlangging, ließ er sie fallen, und eine junge Dame aus dem nächsten Abteil half ihm noch beim Aufheben.«
»Was war denn das für eine junge Dame?« fragte Sir George plötzlich.
Der Amerikaner schüttelte den Kopf.
»Weiß ich nicht«, erwiderte er kurz. »Ich kann doch unmöglich alle Mädels kennen, die von Nizza nach Paris reisen.«
»Es war eine Miss President«, erklärte Toady Wilton. »Die Enkelin des alten President.«
Sir George runzelte die Stirn.
»Der die Rennpferde hat?«
»Ja.«
Es blieb Sir George keine Zeit, über diesen merkwürdigen Zufall nachzudenken. Er hatte sich für den Vormittag mit Soltescu verabredet und war schon sehr ungehalten, daß seine beiden Komplicen so spät kamen. Aber er mußte sie unbedingt sprechen, bevor der Rumäne im Hotel erschien. Er erklärte ihnen nun in kurzen Worten, wie er mit Soltescu vorgehen wollte.
»Wahrscheinlich wird er jetzt nicht mehr mitmachen«, klagte Toady Wilton.
»Nein, so ist er nicht«, entgegnete Sir George überzeugt. »Er hat unendlich viel Geld und kann noch zehnmal soviel verlieren wie in der vorigen Nacht, ohne daß es ihm etwas ausmacht. Sie haben ja keine Ahnung, wie reich dieser Mann ist. Sie werden sehen, daß er noch ebenso scharf auf die Sache ist wie vorher.«
»Ich wundere mich nur, daß er Ihnen sein Vertrauen schenkt.« Wilton ging zum Kamin und nahm eine Zigarre aus dem Kasten, der dort stand.
»Er hat alle Ursache, mir zu trauen«, erwiderte der Baronet mit einem schlauen Lächeln. »Ich habe ihn im vorigen Jahr überall in London herumgeführt. Und wenn ich nicht gewesen wäre, hätte er zwölftausend Pfund verloren.«
Wilton sah ihn ungläubig an.
»Ich dachte mir schon, daß Sie das überraschen würde«, sagte Sir George ironisch. »Es kam durch diesen Millington. Sie kennen ihn doch? Er unterhält die Spielhölle in Pimlico. Durch irgendwelche Manipulationen hat er es verstanden, Soltescu in sein Lokal zu locken, und die Leute spielten damals sehr hoch. Man sollte allerdings kaum annehmen,, daß sich ein so gerissener Spieler wie Soltescu rupfen ließe, aber merkwürdigerweise waren ihm die anderen über. Als ich sah, wie der Hase lief, ging ich zu Millington, nahm ihn beiseite und fragte ihn, wieviel Kommission er mir einräumen würde. Aber der Mann war unvernünftig, wollte nicht mit sich reden lassen und lachte mich nur aus.«
»Daraufhin sind Sie wohl mit Soltescu fortgegangen?« fragte Wilton und nickte beifällig.
»Ganz recht.«
»Aber wie können Sie sagen, daß Sie ihm zwölftausend Pfund gerettet haben?«
»Soviel hatte er an dem Abend bei sich, und ich kenne die Millington-Bande. Die hätten ihn bis aufs Hemd ausgezogen.«
Es klopfte, und ein Kellner kündigte Monsieur. Soltescu an. Der Rumäne sah bleich und müde aus und war vollkommen nüchtern. Trotzdem schien ihn der Verlust kaum berührt zu haben.
In gewisser Weise war der kleine Mann wirklich bewunderungswürdig. Er besaß große Selbstbeherrschung, und er war weit und breit wegen seines Wagemuts bekannt. Fast alle anrüchigen Unternehmungen Europas finanzierte er, und wenn auch die Regierungen der verschiedenen Staaten seine Tätigkeit nicht schätzten, so galt sein Name doch viel bei den internationalen Abenteurern, die er gut für ihre Dienste bezahlte.
Er erwähnte seinen Verlust nur mit wenigen Worten.
»Es ist ein unglücklicher Zufall. Aber ich habe eine so hohe Belohnung ausgesetzt, daß ich mit Sicherheit auf die Rückgabe der Mappe rechnen kann.«
»Wieviel Geld hatten Sie denn eigentlich noch darin?«
»Die Summe war nicht so unbedeutend«, entgegnete Soltescu leichthin. »Vierzigtausend Pfund in englischen Banknoten. Aber nicht das verlorene Geld macht mir soviel Sorge. Der Verlust der Schriftstücke trifft mich am schwersten.«
Er sprach an diesem Morgen fließend Englisch.
»Aber Sie sind doch Fachmann, kennen die Formel und haben die ganze Beschreibung des Herstellungsprozesses gelesen, wie Sie sagten? Genügt das nicht? Könnten Sie nicht wieder alles aufschreiben? Vielleicht gelingt es Ihnen, die Formel noch einmal aus dem Gedächtnis zu rekonstruieren«, meinte Sir George.
Soltescu schüttelte lächelnd den Kopf.
»Nein, ich war gestern nicht auf der Höhe«, gestand er offen ein. »Und ich habe mir schon angewöhnt, mich nicht auf die Dinge zu besinnen, die ich in solchen Fällen erlebe. Wenn ich über all meine dummen Streiche nachdächte, bekäme ich ein zu großes moralisches Minus.«
»Schreiben Sie die Belohnung öffentlich aus?«
»Ja. Die genauen Einzelheiten kann ich natürlich nicht in die Zeitung bringen. Ich hatte die Papiere aus dem Umschlag herausgenommen und das Kuvert zerrissen, denn es standen einige Worte darauf, die mir unangenehm waren: ›Das biegsame Glas. Die Art der Herstellung. Eine Erfindung von John President.‹«
»John President?« fragte Sir George atemlos. »Donnerwetter, ich glaube, ich weiß jetzt, wer Ihre Mappe hat!«
Soltescu sah ihn verblüfft an.
»Woher wissen Sie es denn?« fragte er ungläubig.
»Ich bin meiner Sache ganz sicher. Was für eine Belohnung haben Sie denn ausgesetzt?«
Der Rumäne drohte Sir George mit dem Finger.
»Mein Freund, Sie sind tatsächlich sehr schlau und gerissen«, sagte er bewundernd. »Ich habe eine Belohnung von vierzigtausend Pfund ausgesetzt, doppelt soviel, wie mich die Schriftstücke ursprünglich gekostet haben. Die Sache ist es mir wert.«
»Vierzigtausend Pfund!« wiederholte Sir George. »Wissen Sie denn, wer in dem Abteil neben Ihnen schlief?«
»Darum habe ich mich nicht gekümmert«, entgegnete Soltescu ironisch. »Ich schicke meine Visitenkarte nicht zu meinen Nachbarn, wenn ich den Schlafwagen benütze.«
»Nun, dann will ich es Ihnen sagen. Es war die Enkelin John Presidents«, entgegnete Sir George langsam und mit Nachdruck. »Wenn Sie die Papiere von ihm gekauft haben –«
»Ich habe sie nicht von ihm, sondern von einem Mann, der sie dem Erfinder wahrscheinlich gestohlen hat. Also das war John Presidents Enkelin?« fragte er und versuchte, sich an die Vorgänge der Nacht zu erinnern. »Ich möchte nur wissen – ja, es muß stimmen«, sagte er dann und fuhr erregt mit der Hand durch sein Haar. »Ich besinne mich jetzt genau. Ich habe die Mappe fallen lassen, und dabei flog der Umschlag mit den Schriftstücken heraus. Sie hob das Kuvert auf – ja, das muß sie gewesen sein.«
Aufgeregt ging er im Zimmer auf und ab.
»Wo ist sie jetzt?« fragte, er dann schnell. »Ist sie in Paris oder in London?«
»Sie kam mit meinem Zug nach Paris. Ich habe sie auch gesehen. Sie ist sehr hübsch. Dunkle Haare und dunkelbraune Augen, gut gewachsen – direkt mein Typ. Ich glaube allerdings kaum, daß sie noch in Paris ist. Sie wird nach London durchgefahren sein. Aber das können wir ja bald herausbringen. Ich werde meinen Diener in London anrufen; er soll sich erkundigen, ob sie angekommen ist.«
»Ich gehe zur Polizei und beantrage einen Haftbefehl gegen sie!« rief Soltescu erregt.
»Das wäre das Dümmste, was Sie tun könnten«, unterbrach ihn Sir George. »Was halten Sie denn von der Sache, Toady?«
Wilton hatte die Unterhaltung schweigend angehört. Er hatte das unangenehme Gefühl, daß er von diesem Geschäft ausgeschlossen war. Er war nur Spezialist für Rennsachen. In allen Schiebungen, die darauf Bezug hatten, konnte man ihn einen Meister nennen.
Mr. Bud Kitson schwieg ebenfalls, hörte dem Gespräch aber interessiert zu und hielt den Augenblick jetzt für gekommen, sich einzumischen.
»Es würde doch nicht schwer sein, der jungen Dame die Mappe wieder abzujagen. Dazu braucht, man doch keine Polizei.«
»Das ist allerdings ein guter Gedanke.« Sir George sah den Amerikaner mit zusammengekniffenen Augen an. »Wirklich keine schlechte Idee. Glauben Sie, daß Sie die Sache machen können?«
»Wenn sie die Mappe tatsächlich hat, kann ich sie sicher besorgen.«
»Was halten Sie davon, Soltescu?«
Der Rumäne sah Bud argwöhnisch von der Seite an.
»Mir ist es schließlich gleich, wie ich wieder in ihren Besitz komme, wenn ich die Schriftstücke nur überhaupt wiedersehe. Ich bin bereit, eine große Summe zu zahlen. Das Geld in der Mappe können Sie als Belohnung behalten.«
Bud Kitsons Augen leuchteten auf.
»Natürlich wird das Geld unter uns allen reell verteilt, wenn der Plan gelingen sollte«, warf Sir George dazwischen.
Der Amerikaner grinste verständnisvoll.
»Es wird schon richtig verteilt werden«, sagte er zuversichtlich. Aus seinem Ton war zu entnehmen, daß er sich die Verteilung anders dachte als Sir George.
»Nun wollen wir aber auch noch einmal über die andere Sache sprechen«, erklärte der Baronet.
Ein paar Minuten später saßen sie um den Tisch und besprachen die große Schiebung, die alles bis jetzt Dagewesene in den Schatten stellen sollte.
Monsieur Soltescu war in ganz Europa bekannt. Obwohl er ein Großindustrieller war, kümmerte er sich eigentlich wenig um seine Fabriken. Er interessierte sich nur für die keramischen und die Glaswerkstätten, die die bedeutendsten in ganz Südeuropa waren. Hiermit hatte er den Grundstock seines ungeheuren Vermögens gelegt, und diese Fabriken warfen auch den größten Gewinn ab.
Aber im Grunde genommen war er ein Abenteurer und spekulierte in internationalen Unternehmungen. Und wenn er genügend dabei verdiente, kam es ihm auch nicht darauf an, sein eigenes Vaterland zu schädigen.
*
Milton Sands kannte fast alle Millionäre in Europa, und während der Fahrt von Dover nach London gab er Eric Stanton eine kurze Charakteristik von Soltescu. Sein Begleiter hörte ihm interessiert und belustigt zu.
»Jetzt haben wir aber immer noch keinen neuen Beruf für Sie ausfindig gemacht«, meinte Stanton, als der Zug durch Tonbridge fuhr.
»Ich habe schon ohne Ihren Rat einen Entschluß gefaßt. Der Diebstahl im Zug hat mich auf eine gute Idee gebracht. Ich werde Detektiv«, erklärte Milton selbstzufrieden.
Eric Stanton sah ihn überrascht an.
»Wie kommen Sie denn darauf?«
»Das ist der richtige Beruf für mich«, sagte Milton Sands überzeugt. »Damit kann man auf anständige, nette Weise, seinen Lebensunterhalt verdienen. Ich halte mich für ganz besonders geeignet dafür. Ein abenteuerlustiger, gewandter junger Mann kann in diesem Fach etwas leisten. Sehen Sie, der alte Soltescu hat eine Belohnung von vierzigtausend Pfund für die Wiederbeschaffung der Mappe ausgesetzt. Das ist doch gerade genug Geld, um einen zu fieberhafter Tätigkeit anzuspornen. Was sollte ich denn sonst auch noch werden? Ich könnte höchstens noch Straßenkehrer oder Taschendieb in London spielen. Denken Sie doch einmal, vierzigtausend Pfund! Die Sache lohnt sich. Ich bin großzügig und vorurteilslos genug, um den Beruf eines Detektivs erfolgreich zu gestalten.«
»Haben Sie sich denn schon früher einmal als Detektiv betätigt?« fragte Eric belustigt.
»In gewisser Weise, ja«, entgegnete Milton ernst. »Ich gehörte einige Jahre der berittenen Polizeitruppe in Australien an. Es war zwar nicht viel Detektivarbeit damit verbunden, besonders nicht im modernen Sinne, aber man hat doch allerhand kennengelernt, und man mußte seinen Verstand anstrengen, um etwas zu leisten.«
Es trat eine Pause in der Unterhaltung ein, bis der Zug durch die Außenbezirke Londons fuhr.
»Wollen Sie tatsächlich im Ernst ein Privatdetektiv werden?« fragte Eric dann.
Sands sah ihn ein wenig erstaunt an.
»Ja, gewiß. Haben Sie etwas dagegen?«
»Nein. Es ist mir nur etwas eingefallen. Wenn Sie wirklich diesen Beruf ergreifen, könnte ich Ihnen vielleicht in verschiedener Weise helfen. Ich habe Sie gern, Sands, und ich bewundere Ihren persönlichen Mut, Ihre Umsichtigkeit, Ihre Stärke und Ihre Entschlußkraft.«
»Das lasse ich mir gefallen. Sie scheinen mich ja genau geprüft zu haben, da Sie mich so gut kennen.«
»Ich erkenne Ihre Vorzüge gern an, und ich habe gefunden, daß Sie trotz all Ihrer Redensarten im Grunde sehr ehrlich sind und daß man sich auf Sie verlassen kann. Das sind Eigenschaften, die in unserer Zeit selten geworden sind.«
Milton Sands errötete ein wenig.
»Ich weiß Ihre Worte wohl zu würdigen, ja, Sie können sich darauf verlassen, daß ich meinen Freunden gegenüber zuverlässig bin.«
Eric Stanton nickte.
»Das weiß ich, und ich möchte Ihnen deshalb Ihren ersten Auftrag geben. Ich habe keine Ahnung, was Sie dazu gebracht hat, den Beruf eines Detektivs zu ergreifen, aber ich bin fest davon überzeugt, daß Sie sich dazu eignen und daß Sie Erfolg haben werden.«
»Einen Augenblick. Hören Sie bitte, erst, was ich Ihnen noch zu sagen habe. Ich möchte nicht ein Detektiv im gewöhnlichen Sinne des Wortes werden, sondern mich auf die Rennen spezialisieren. Der Rennsport ist bisher in England über jeden Zweifel erhaben gewesen, aber in der jetzigen Zeit drängen sich unsaubere Elemente ein. Es würde also ein Mann Beschäftigung finden, der seine Tätigkeit besonders dieser Sache widmet. Ich bin natürlich auch bereit, andere Aufträge anzunehmen, aber ich wollte Ihnen von vornherein sagen, daß ich mich möglichst auf Rennen beschränken will.«
»Der Auftrag, den ich Ihnen erteilen will, hat allerdings nichts mit Pferderennen zu tun«, meinte Eric lächelnd. »Ich hätte Sie gern gebeten, mich morgen in meiner Wohnung aufzusuchen, aber es kann sein, daß ich nicht in der Stadt bin. Vielleicht haben wir jetzt noch Zeit genug, die Sache zu besprechen. Ich will Sie ausreichend für Ihre Bemühungen bezahlen und Ihnen alle Auslagen und Reisespesen ersetzen.«
»Ich bin bereit, den Auftrag anzunehmen«, erwiderte Milton. »Bitte, erklären Sie mir das Nähere.«
Er nahm die Zigarre, die Eric ihm anbot, und steckte sie an.
»Sie wissen wahrscheinlich nicht, daß meine Eltern einen schweren Konflikt miteinander hatten, als ich noch klein war. Mein Vater war sehr jähzornig und erhob eine falsche Beschuldigung gegen meine Mutter. Das hat ihm später sehr leid getan.« Stanton zögerte einen Augenblick. »Ich glaube, wir können nicht nur als Leute von Welt, sondern auch als Freunde über die Angelegenheit sprechen.«
Sands nickte.
»Sie dürfen mir ruhig vertrauen. Was auch immer der Inhalt dieser Unterredung sein wird, ich werde niemals Dritten mitteilen, was ich gehört habe.«
Stanton lächelte resigniert.
»Es ist leider schon so weit gekommen, daß ich diese Forderung nicht an Sie zu stellen brauche. Die Geschichte ist in den Kreisen der Gesellschaft allgemein bekannt, nur habe ich früher nicht mit Ihnen darüber gesprochen. Die Beschuldigung, die mein Vater gegen meine Mutter erhob, richtete sich gegen ihre Ehre. Er behauptete sogar, daß meine kleine Schwester nicht sein Kind sein könnte. Das ist der schwerste Vorwurf, den man einer empfindsamen, hochgebildeten Frau machen kann. Meine Mutter zog die Konsequenzen, verließ das Haus und nahm ihre Tochter mit sich. Von jenem Tag an hat man sie nicht mehr gesehen.« Erics Stimme zitterte leicht. »Wir wissen nur, daß sie vor einigen Jahren starb, lange nach dem Tode meines Vaters. Meine Schwester aber ist noch am Leben, und wahrscheinlich hat sie von ihrer Mutter Instruktionen erhalten, sich nicht um die Aufrufe zu kümmern, die ich von Zeit zu Zeit in die Zeitungen setzen lasse. Ich möchte Ihnen nun den Auftrag geben, den Aufenthaltsort meiner Schwester ausfindig zu machen.«
»Hat Ihr Vater denn feststellen können, daß seine Anschuldigungen nicht zu Recht bestanden?«
»Ja«, erwiderte Stanton leise. »Er bekam den Beweis, daß er sich geirrt hatte. Entweder war es eine Verkettung unglücklicher Umstände, oder man hat ihn absichtlich getäuscht. Er hatte den Verdacht, daß Lord Chanderson ein Verhältnis mit meiner Mutter hatte. Sie kennen ihn sicher dem Namen nach, er ist einer der angesehensten Sportsleute, der Vorsitzende des Jockey-Klubs und ein Mann von untadeligem Charakter. Er war mit meiner Mutter allerdings sehr eng befreundet. Die Fremdenliste eines Pariser Hotels, in dem meine Mutter einmal logierte, enthielt auch den Namen Lord Chandersons, der zur gleichen Zeit dort gewohnt haben soll. Auf Grund dieser Tatsache hat mein Vater voreilig die Anklage gegen meine Mutter erhoben und dabei diesen furchtbaren Irrtum begangen. Sie hat tatsächlich dort gewohnt, aber wie sich später herausstellte, war Lord Chanderson zu jener Zeit als Attaché bei der Gesandtschaft in Berlin tätig, und er konnte nachweisen, daß er sich damals auch wirklich in Berlin aufgehalten hatte. Es muß also ein anderer Lord Chandersons Namen fälschlicherweise in die Hotelliste eingetragen haben. Das ist die ganze Geschichte, die natürlich für mich sehr schmerzlich und peinlich ist, wie Sie wohl verstehen werden.«
»Welche Anhaltspunkte können Sie denn sonst noch geben?«
»Eigentlich keine. Ich habe schon so viele Leute beauftragt, dieses Rätsel zu lösen und den Aufenthalt meiner Schwester ausfindig zu machen. Auf die vielfachen Aufrufe in den Zeitungen hat sich niemand gemeldet. Von dem Tod meiner Mutter habe ich durch eine Zeitungsannonce erfahren. Als ich die Sache genauer untersuchte, stellte sich heraus, daß die Redaktion einen eingeschriebenen Brief mit dem nötigen Geld erhalten hatte. Er war zwei Jahre vorher datiert, und ich entnehme daraus, daß meine Mutter diese Anordnungen schon lange vor ihrem Tod getroffen hatte. Ich möchte meinen Vater nicht verurteilen. Ich habe ihm auch keine Vorwürfe gemacht, da er selbst schon schwer genug unter seinem Irrtum litt. Es ist eine schreckliche Tragödie, die mein Leben verdüstert.«
»Das sind allerdings sehr geringe Unterlagen«, entgegnete Sands nachdenklich. »Aber wenn Sie nichts dagegen haben, suche ich Sie sofort auf, wenn Sie nach London zurückkommen. Wir können dann die geschäftliche Seite der Sache arrangieren.«
Die beiden reichten sich die Hände, als sie sich auf dem Bahnhof trennten. Eric Stantons Wagen wartete, aber Sands lehnte die Einladung mitzufahren ab. Er rief eine Taxe und fuhr zu seiner bescheidenen Wohnung im Westen.