18

 

Etwa um halb zwei – die genaue Zeit konnte sie nicht angeben hörte sie, daß ihr Mann nach Hause kam. Sie war wach und lag nicht im Bett, wie sie zuerst gesagt hatte. Tanner vermutete, daß sie jemand erwartet hatte, denn sie gab zu, daß sie im dunklen Wohnzimmer saß. Die Vorhänge waren zurückgezogen; sie konnte von drinnen sehen, wie Tilling ankam, und ging ihm langsam entgegen.

 

Er sagte ihr nicht, was geschehen war, und erzählte nur, daß es eine kleine Schlägerei gegeben hätte. Sie fragte, ob er mit Dr. Amersham aneinandergeraten wäre, aber darauf ging er nicht ein und erklärte nur, daß er Dr. Amersham nicht getroffen hätte. Sein Rock war zerrissen, der Samtkragen hing herunter, und seine beiden Hände bluteten. Sie bestrich die Wunden mit Jod und verband sie mit einem seidenen Taschentuch. Dann zog er sich um. Als er um halb vier sein Rad nahm und davonfuhr, trug er einen gesprenkelten Anzug. Sie holte die Kleider, die er abgelegt hatte, aus dem Nebenraum. Tanner fand Blutspuren an dem Rock, die aber von den Verwundungen herrührten. Zwei Knöpfe waren abgerissen, ein dritter hing lose am Stoff.

 

»Hatte er auch Wunden im Gesicht?«

 

»Ja«, gab sie schließlich zu. »Aber es waren keine offenen Wunden. Jemand mußte ihn geschlagen haben. Er war sehr aufgeregt, gab mir aber keine weiteren Erklärungen und sagte nur, daß er Wilddiebe getroffen und auch sein Gewehr verloren hätte.«

 

Bill Tanner verglich ihren Bericht mit den Tatsachen, die ihm bekannt waren, und plötzlich kam ihm ein Gedanke.

 

»Hat er Ihnen Geld gegeben, bevor er fortging?«

 

Sie wollte zuerst nicht antworten, aber endlich zeigte sie ihm vier neue Fünfpfundnoten.

 

»Ich werde mir die Nummern der Scheine notieren.«

 

Als er das tat, sah er, daß die Nummern aufeinander folgten.

 

»Hatte er noch mehr Geld?«

 

»Ja, er hatte einen ganzen Stoß Banknoten, von denen er diese vier nahm. In vier bis fünf Wochen wollte er wiederkommen. Ich schwöre, daß er Amersham nicht ermordet hat. Er ist wohl manchmal in schlechter Stimmung, aber er bringt keinen Menschen um. Auch Studd hat er nichts getan. Ich habe ihn noch gefragt, bevor er fortging. Er regte sich furchtbar auf und schwor mir, er habe Studd in der Mordnacht gar nicht gesehen.«

 

»Wie viele Tabakspfeifen hat er?«

 

Sie sah ihn erstaunt an.

 

»Nur eine. Er benützt die Pfeifen immer so lange, bis sie vollkommen ausgebrannt sind, dann kauft er eine neue. Darin ist er sehr wählerisch und nimmt nur die besten.«

 

»Um halb vier ist er also gegangen – stimmt das?«

 

Sie meinte, es könnte auch etwas später gewesen sein.

 

Als Tanner das Haus verließ, gab er Totty seine Notiz über die Nummern der Geldscheine.

 

»Gehen Sie sofort zu der Bankfiliale im Ort und fragen Sie dort nach, ob sie in Marks Thornton ausgezahlt wurden. Nehmen Sie ein Polizeiauto und kommen Sie bald wieder, denn ich brauche Sie. Und telefonieren Sie mit Scotland Yard. Die Polizei soll sich mit der Presse in Verbindung setzen. In sämtlichen Zeitungen soll eine Rundfrage an alle Tabakhändler ergehen. Wer von ihnen heute morgen zwischen acht Uhr dreißig und zehn Uhr eine Pfeife Marke Ursus verkauft hat, möchte sich melden.«

 

»Glauben Sie, daß Tilling eine solche Pfeife gekauft hat?«

 

Tanner nickte.

 

»Ein Mann, der seine Lieblingspfeife verliert, kauft sich unweigerlich wieder dieselbe Sorte. Prüfen Sie alle Antworten, die eintreffen, und sagen Sie auch noch, daß der Tabakhändler eine Beschreibung des Käufers geben soll.«

 

Tanner wußte jetzt, warum Lady Lebanon die Züge aufgeschrieben hatte. Er eilte zum Haupthaus zurück und überholte dabei Ferraby und Isla, die sich inzwischen beruhigt hatte. Ferraby schien sie sehr freundlich und liebenswürdig zu behandeln.

 

»Sie sagt, daß sie nichts weiß«, erklärte der Sergeant, als Tanner ihn beiseite nahm. »Ich bin aber davon überzeugt, daß das nicht stimmt.« Er war bekümmert, denn er sorgte sich um Miss Crane. –

 

Als Lady Lebanon in die Halle trat, saß Isla auf der Couch und hatte den Kopf in die Hände gestützt.

 

»Isla!«

 

Das junge Mädchen sprang auf.

 

»Wollen Sie etwas von mir, Lady Lebanon?«

 

Hinter ihr lachte jemand, und als sie sich umdrehte, sah sie den jungen Lord auf der Treppe stehen.

 

»Das ist doch alles Unsinn! Warum nennst du meine Mutter immer Lady Lebanon? Warum seid ihr überhaupt alle so steif? Könnt ihr denn nicht freundlicher miteinander verkehren?«

 

Als ihn ein Blick seiner Mutter traf, verstummte er.

 

»Wo warst du, Willie?«

 

»Ich habe die Polizeibeamten bei der Arbeit beobachtet«, entgegnete er gleichgültig. »Niemand scheint sich um mich zu kümmern, und dabei würde ich doch einen guten Detektiv abgeben. Sie jagen alle so eifrig hinter Schatten her –«

 

»Du brauchst die Leute nicht bei der Arbeit zu stören«, erwiderte Lady Lebanon scharf.

 

Er drehte sich halb um, änderte dann aber seine Absicht und kam zurück.

 

»Wegen Amersham bin ich eigentlich nicht traurig«, erklärte er rundweg. »Ich sage es dir geradeheraus, obwohl ich weiß, daß du wieder etwas daran auszusetzen hast. Er war ein Mann, der eigentlich nicht hierhergehörte, und ich bin froh, daß ich ihn nicht mehr sehen muß.«

 

»Willie, du kannst jetzt gehen«, sagte Lady Lebanon eisig.

 

Aber er blieb doch.

 

»Die Beamten haben mich gefragt, ob ich etwas gehört hätte. Ich sagte ja. Natürlich habe ich nichts gehört, aber ich dachte, vielleicht interessieren sie sich dann für mich. Dieser Totty hat mit ein paar Fragen alles aus mir herausgeholt.«

 

»Willie, du bist unausstehlich. Ich würde mich freuen, wenn du jetzt gingst. Ich will mit Isla allein sprechen.«

 

Gegen diese direkte Aufforderung konnte er nichts machen. Er schlich sich also aus dem Zimmer. Aber man sah ihm an, daß er sich langweilte und unzufrieden war.

 

Lady Lebanon trat in den großen Bogen, in den der Korridor mündete, und horchte einen Augenblick am Fuß der Treppe.

 

»Was ist denn mit dir?« fragte sie Isla schnell. »Sage es mir doch, bevor dieser Beamte von Scotland Yard zurückkommt.«

 

Isla sah sie unsicher an.

 

»Ach, es ist nichts – was sollte denn mit mir sein?«

 

Sie erhob sich von der Couch und ging zu dem Schreibtisch, an den sich Lady Lebanon gesetzt hatte.

 

»Ich habe nur heute morgen eine Schublade in diesem Schreibtisch geöffnet und ein rotes Tuch mit einer kleinen Metallplatte darin gesehen.«

 

Lady Lebanons Züge wurden hart.

 

»Das Tuch dürfte doch nicht in der Schublade sein! Es war gedankenlos, daß Sie es dort aufbewahrten.«

 

»Warum hast du überhaupt die Schublade aufgezogen?«

 

»Ich wollte das Scheckbuch herausnehmen«, entgegnete Isla ungeduldig. »Aber warum liegt das Seidentuch in dem Schreibtisch?«

 

Lady Lebanon verzog den Mund.

 

»Liebes Kind, du träumst. In welcher Schublade soll es denn sein?«

 

Als Isla auf ein Fach zeigte, holte Lady Lebanon den Schlüssel heraus und schloß auf.

 

»Hier ist nichts, Isla. Du mußt dich nicht derartig unterkriegen lassen. Es steht wirklich schlimm mit deinen Nerven.«

 

»Wie können Sie nur so leichtfertig sprechen! Ein Mann ist ermordet worden«, sagte Isla mit zitternder Stimme. »Ich haßte ihn, er war immer so gemein zu mir –«

 

Lady Lebanon erhob sich.

 

»Was soll das heißen? Hat er versucht, sich dir zu nähern?«

 

Isla machte eine verzweifelte Handbewegung, ging zur Couch zurück und setzte sich wieder.

 

»Ich kann nicht länger im Schloß bleiben …«

 

Lady Lebanon lächelte.

 

»Du bist nun schon so lange hier.«

 

Sie suchte nach einem Brief auf dem Schreibtisch.

 

»Ich habe deiner Mutter am Montag die vierteljährliche Rente geschickt, und sie hat mir heute morgen mit einem entzückenden Brief geantwortet. Die beiden Mädchen sind so glücklich in der Schule. Sie schreibt, es sei wunderbar, keine Sorgen mehr zu haben.«

 

Dieser Wink war deutlich genug. Isla hatte Lady Lebanon früher bemitleidet, aber jetzt haßte sie diese Frau. Es war gemein, sie daran zu erinnern. Außerdem lag eine Drohung in den Worten. Die Unterstützung für ihre Mutter und ihre Schwestern würde sofort aufhören, wenn Isla nicht mehr tat, was Lady Lebanon von ihr verlangte.

 

»Sie wissen genau, daß ich keinen Tag länger bliebe, wenn es nicht wegen meiner Mutter und meiner Schwestern wäre«, sagte Isla atemlos. »Sie ahnt ja nicht, wie schwer es mir fällt – sonst würde sie lieber hungern.«

 

Lady Lebanon lauschte, denn sie hörte Tanners Stimme.

 

»Um Himmels willen, keine Tränen! Ich will doch nur dein Bestes.« Lady Lebanon sprach jedes Wort langsam und mit besonderer Betonung. »Wenn du erst einmal Lady Lebanon bist, wirst du sehen, daß ich sehr großzügig sein kann, was dein Eheleben anbetrifft. Verstehst du, was ich damit sagen will?«

 

Isla sah sie verwundert an. Nicht zum erstenmal hörte sie solche Andeutungen. Was meinte die Frau nur damit?

 

»Ich sah dich draußen mit dem jungen Polizeibeamten. Hoffentlich warst du bei ihm etwas gefaßter als hier.«

 

»Er ist sehr zuvorkommend und liebenswürdig«, entgegnete Isla müde. »Wirklich viel besser, als ich –«

 

»Viel besser, als du es verdienst. Isla, sei doch vernünftig. Ich bin sicher, daß er sich sehr gut benehmen kann. Sein Auftreten ist einwandfrei, er muß eine gute Schule besucht haben.«

 

Isla nannte die Schule, und Lady Lebanon war überrascht.

 

»Wirklich, dort ist er gewesen? Es ist zwar nicht gerade Eton, aber doch auch sehr gut. Wie ist es nur möglich, daß er bei der Polizei dient? – Wie heißt er eigentlich?«

 

Isla war nicht in der Stimmung, mit Lady Lebanon über den jungen Detektiv zu sprechen, aber er beschäftigte sie doch mehr, als sie zugeben wollte.

 

»John Ferraby«, erwiderte sie.

 

Lady Lebanons Interesse wurde noch größer.

 

»Ferraby – ist er einer der Ferrabys in Somerset? Dann gehört er ja zur Familie von Lord Lesserfield, der die Leoparden im Wappen führt.«

 

»Ja, ich glaube. In Somerset ist er zu Hause.«

 

Lady Lebanon betrachtete Isla mit einem merkwürdigen Lächeln.

 

»Es liegt kein Grund vor, warum du nicht mit ihm bekannt sein solltest, nur darfst du nicht mit ihm, über Amersham sprechen. Hat er dir übrigens schon eine Liebeserklärung gemacht?«

 

Isla wandte sich ungeduldig um.

 

»Amersham ist doch tot!«

 

»Wenn dich der junge Ferraby fragen sollte –«

 

»Er hat mich überhaupt nicht mit Fragen belästigt. Wir sprachen nur über gemeinsame Bekannte. Mr. Tanner wird mich eher ausfragen. Was soll ich dem sagen?«

 

»Nur das, was unbedingt nötig ist.«

 

In diesem Augenblick kam Ferraby herein.

 

»Ach, verzeihen Sie, Mr. Tanner wollte Sie sprechen. Ich werde ihm sagen, daß Sie hier sind.«

 

»Bleiben Sie hier, Mr. Ferraby«, entgegnete Lady Lebanon. »Ich werde Mr. Tanner rufen.«

 

Sie schob die Briefe zusammen und schloß sie in eine Schublade.

 

»Meine Nichte erzählte mir eben, daß Sie mit den Lesserfields verwandt sind.«

 

Ferraby wurde etwas verlegen.

 

»Ja – in gewisser Weise, aber doch nur sehr entfernt. Darum kümmert man sich heute nicht mehr.«

 

»Sie sollten sich aber doch darum kümmern«, erklärte Lady Lebanon energisch. »Es ist etwas Großes, Mitglied einer alten Familie zu sein. Wo ist Mr. Tanner?«

 

»Ich habe ihn eben in Mr. Kelvers Zimmer gesehen. Er telefonierte dort nach London.«

 

Sie lächelte ihm freundlich zu.

 

»Ich werde ihn holen, selbst wenn er sich im Zimmer meines Butlers aufhält.«

 

»Lieber Himmel«, sagte er halb zu sich selbst, als sie gegangen war, »die Frau gehört mit ihren Ansichten ja noch ins Mittelalter!«

 

»Aber sie lebt in der Jetztzeit«, antwortete Isla bitter.

 

»Wie merkwürdig!« Ferraby schüttelte den Kopf. »Daß ich zur Familie des Lords Lesserfield gehöre, hat großen Eindruck auf sie gemacht. Natürlich kenne ich ihn, er ist ein unintelligenter Mensch und hat Geld noch nötiger als ich.«

 

Es trat eine Pause ein. Isla schaute auf und bemerkte, daß er sie betrachtete.

 

»Darf ich Sie etwas fragen?«

 

Sie schüttelte den Kopf.

 

»Warum sind Sie so nervös?«

 

Isla versuchte, ihm auszuweichen.

 

»Ich habe Lady Lebanon eben gesagt, daß Sie mich nicht ausfragen.«

 

»Und nun habe ich es doch getan. Aber es geschieht nur um Ihretwillen. Warum sind Sie so unruhig?«

 

»Bin ich das wirklich?« fragte sie unschuldig.

 

»Ja, dauernd sehen Sie sich um, als ob Sie sich vor jemand fürchteten oder als ob jemand aus einer Geheimtür treten könnte. Ich bin davon überzeugt, daß es in einem so alten Haus geheime Türen und Gänge gibt – aber wovor haben Sie eigentlich Angst?«

 

Sie zwang sich zu einem Lächeln.

 

»Vor der Polizei!«

 

»Das glaube ich nicht.«

 

»Sie müssen doch wissen, was vorige Nacht passierte – davor fürchte ich mich!«

 

Er war mit ihrer Antwort noch nicht zufrieden.

 

»Sie sind aber schon lange Zeit in dieser Gemütsverfassung.«

 

»Woher wissen Sie das?« fragte sie schnell.

 

Er vergaß plötzlich, daß er Polizeibeamter war.

 

»Ich wünschte nur, ich könnte Ihnen helfen …!«

 

Sie sah zu ihm auf, und es lag Argwohn in ihrem Blick.

 

»Sie wollen, daß ich mich Ihnen anvertraue – wünschen Sie das in Ihrer Eigenschaft als Beamter?«

 

Er hätte mit Ja antworten müssen, denn es war seine Pflicht, alle ihre Geheimnisse zu erforschen, aber er konnte es nicht übers Herz bringen.

 

»Ich habe mir eigentlich unter einem Polizeibeamten etwas anderes vorgestellt«, sagte sie unerwartet.

 

»Das kann eine große Beleidigung, aber auch ein Kompliment sein. Sie haben doch keine Angst vor mir? Das ist unmöglich!«

 

»Warum?«

 

Auf diese Frage wußte er keine Antwort.

 

»Sie irren sich, ich fürchte mich vor nichts.« Sie sah sich schnell nach der Treppe um. »Dort drüben ist jemand«, fuhr sie leise fort. »Man belauscht uns.«

 

Er eilte sofort hin und schaute hinauf, konnte aber niemand sehen. Als er zurückkam, war er sehr nachdenklich geworden.

 

»Sind denn alle Leute hier im Schloß so ängstlich und fürchten immer, daß sie belauscht werden? Als Lord Lebanon heute morgen nach Scotland Yard kam, hatte er dieselbe Sorge. Es muß doch etwas in diesem Haus vorgehen, unter dem Sie alle leiden. Was ist das nur? Worin besteht das Geheimnis von Marks Priory?«

 

Sie lächelte gezwungen.

 

»Das klingt fast wie der Titel eines Sensationsromans, in dem Mr. Tanner die Hauptrolle spielt. Ist er eigentlich sehr klug?«

 

»Ja, er ist der bedeutendste Mann in Scotland Yard. Er hat eine Begabung dafür, die Wahrheit herauszubringen.«

 

»Wen hat er denn jetzt im Verdacht?«

 

Ferraby mußte lachen.

 

»Solange der Fall nicht geklärt ist, sind alle möglichen Leute verdächtig.«

 

Zu seinem Erstaunen trat sie plötzlich dicht zu ihm und faßte ängstlich an den Aufschlag seines Rocks. Sie war aufgeregt; er fühlte, daß sie zitterte.

 

»Ich möchte Sie etwas fragen – nehmen wir einmal an, jemand wüßte, wer die schrecklichen Morde begangen hat … Wenn er es nun nicht der Polizei sagte, wenn er es für sich behielte … wäre das ein Vergehen?«

 

»Ja, nach englischem Gesetz kann der Betreffende wegen Mittäterschaft angeklagt werden.«

 

Es tat ihm leid, daß er das gesagt hatte, als er sah, welchen Eindruck seine Worte auf sie machten.

 

»Wer etwas über ein Verbrechen weiß, muß es bekanntgeben. Vielleicht fällt es Ihnen leichter, wenn Sie es mir mitteilen?«

 

Aber im nächsten Augenblick hatte sie sich wieder gefaßt.

 

»Ich weiß nicht, wie ich darauf kam. Warum sollte ich etwas über die Morde wissen? Sie meinen, weil ich so nervös bin? Sie sind natürlich an dergleichen gewöhnt, Ihnen fällt es nicht auf die Nerven, weil Sie nur mit solchen Dingen zu tun haben.«

 

»Aber dieser Fall hat eine sehr große Bedeutung für mich«, entgegnete er ruhig.

 

»Sie behandeln diese Angelegenheit doch sicher rein geschäftsmäßig. Für Sie ist das eben Fall Nr. 6 oder 7.«

 

Sie machte den Versuch, das Gespräch auf ein anderes Thema zu bringen, aber er ließ sich nicht ablenken.

 

»Nein, für mich ist dies der Fall der verängstigten Frau.«

 

»Meinen Sie mich damit?« fragte sie und hielt den Atem an.

 

»Ja, ich meine Sie.«

 

Plötzlich hob er den Kopf und zog die Luft ein, dann betrachtete er den Boden unter dem Schreibtisch und dem Sofa.

 

»Hier ist etwas verbrannt – können Sie es nicht riechen? Vielleicht hat jemand eine Zigarette auf den Teppich fallen lassen.«

 

»Hoffentlich nicht. Wenn Lady Lebanon das erfährt, gibt es Unannehmlichkeiten«, erwiderte Isla.

 

Dann fiel ihr Blick auf den Ofen. Sie ging hinüber und hob den Deckel auf. Lady Lebanon hatte nicht, wie sie glaubte, die Lüftungsklappe geöffnet, sondern das Feuer abgedrosselt. Infolgedessen waren die Kohlen nicht durchgebrannt, und es roch im Zimmer nach Kohlengas.

 

»Jemand hat hier Stoff verbrannt«, sagte Ferraby und schaute in die Öffnung des Ofens. »Ja, das war ein Stück Stoff, ich kann es noch deutlich erkennen.«

 

Sie schloß den Ofen und ging zur Treppe, während sie die Lippen aufeinanderpreßte.

 

Totty kam gerade in die Halle, und auch ihm fiel der Geruch auf.

 

»Kommen Sie her und sehen Sie sich das an«, sagte Ferraby.

 

Totty trat an den Ofen. »Sieht wie ein Stück Stoff aus, das verbrannt ist.«

 

Als Ferraby mit dem Schüreisen hineinfahren wollte, hielt Totty ihn zurück.

 

»Lassen Sie das«, sagte er aufgeregt. »Sehen Sie nicht das Stück Metall, das in der Ecke eingenäht war? Es ist eine kleine Zinnplatte. Jetzt ist sie geschmolzen, aber Sie können das Metall noch auf der Kohle erkennen. Wo ist Chefinspektor Tanner?«

 

Er sah zu Isla hinüber. Sie wußte nur zu gut, was dieser Brandgeruch bedeutete. Im Ofen war also das rote Tuch verschwunden, das sie am Morgen noch in der Schublade gesehen hatte. Lady Lebanon mußte es bis zum letzten Augenblick vergessen haben; erst als die Polizei schon im Haus war, hatte sie daran gedacht, das verdächtige Tuch zu entfernen.

 

»Mr. Tanner ist im Zimmer Mr. Kelvers«, sagte sie endlich, drehte sich um und eilte die Treppe hinauf.