Kapitel 5
Bei der Ordnung meines Hauswesens fühlte ich aufs Neue, daß mir verschiedene Dinge doch noch sehr abgingen. Einige darunter glaubte ich niemals machen zu können, und bezüglich mehrer ist das auch in der That der Fall gewesen. Zum Beispiel brachte ich es durchaus nicht fertig, eine Tonne zu bauen. Ich hatte mehre kleine Fässer, wie schon oben erwähnt ist, aber es gelang mir nicht, wiewohl ich viele Wochen darauf verwendete, nach dem Modell derselben ein neues zu machen. Weder vermochte ich den Boden gehörig einzulassen, noch konnte ich die Dauben so nahe an einander fügen, daß sie wasserdicht wurden. Ich gab daher die ganze Sache auf. Ferner vermißte ich sehr Lichter. Sobald es dunkel wurde, was gewöhnlich um sieben Uhr geschah, mußte ich zu Bette gehen. Jetzt wünschte ich mir oft den Klumpen Bienenwachs, aus dem ich bei meiner Flucht von Afrika mir Kerzen verfertigt hatte, zurück, aber der war längst nicht mehr vorhanden.
Um jenem Mangel abzuhelfen, fand ich kein anderes Auskunftsmittel, als daß ich, so oft ich eine Ziege erlegt hatte, das Fett sammelte und mir mittels eines kleinen Gefäßes von Lehm, das ich in der Sonne trocknete und mit einem Docht aus Taugarn versah, eine Lampe verfertigte. Sie leuchtete, wenn auch nicht ganz, doch fast so hell wie eine gewöhnliche Kerze. Während dieser Beschäftigung fiel mir, als ich einmal unter meinen Sachen kramte, ein Säckchen wieder in die Hand, das, wie früher bemerkt wurde, mit Korn zum Futter des Geflügels gefüllt gewesen war. Der geringe Rest des Korns war von den Ratten im Schiff gefressen worden, und ich hatte nur Hülsen und Staub in dem Säckchen bemerkt; da ich dieses zu einem andern Zweck benutzen wollte (ich glaube bei der Vertheilung des Pulvers), so hatte ich die Kornhülsen an die Seite meiner kleinen Festung unter dem Felsen ausgeschüttet.
Es war kurz vor dem großen Regen, dessen ich gedachte, geschehen, daß ich diesen Kehricht weggeworfen. Ich hatte mit keinem Gedanken mehr daran gedacht, als ich etwa einen Monat später einige grüne Halme aus dem Boden ragen sah, die ich anfangs für eine früher nicht bemerkte Pflanze hielt. Aber wie war ich erstaunt, als ich kurze Zeit darauf sich zehn bis zwölf Aehren daraus entwickeln sah, die ich als vollkommen gute grüne Gerste der europäischen oder vielmehr der englischen Art erkannte.
Ich vermag meine Empfindungen bei dieser Entdeckung nicht zu beschreiben. Bisher hatte ich überhaupt keine religiöse Weltanschauung gehabt; nur wenige Ideen dieser Art waren in meinem Kopf vorhanden gewesen, Alles, was mir widerfahren, hatte ich als Zufall oder, wie man so obenhin spricht, als Gottes Fügung angesehn. Um die Zwecke der Vorsehung und ihre Anordnung der Dinge dieser Welt war ich gänzlich unbekümmert gewesen. Als ich jedoch nun in einem Klima, von dem ich wußte, daß es sich nicht für Getreide eigne, Gerste wachsen sah, ohne eine Ahnung zu haben, wie sie dahin gekommen sei, wurde ich höchlichst betroffen, und ich begann zu glauben, Gott habe durch ein Wunder diese Aehren sprießen lassen, ohne daß ein Samenkorn vorhanden gewesen sei, und zwar lediglich, damit sie in dieser trostlosen Einöde mir zur Nahrung dienten.
Dieser Gedanke bewegte mir das Herz zu Thränen, und ich fing an mich selig zu preisen, daß um meinetwillen solch ein Naturwunder geschehen sei. Noch mehr stieg meine Ueberraschung, als ich in der Nähe, dem Fels entlang, auch noch andere Halme erblickte, die ich von meinem Aufenthalt in Afrika her als Reisähren kannte. Da ich nicht zu glauben wagte, diese seien auch nur zu meiner Erhaltung von der Vorsehung hierhergebracht, indem ich vielmehr überzeugt war, daß dergleichen noch mehr sich hier befinde, suchte ich auf dem ganzen mir bekannten Theil der Insel, in allen Ecken und unter jedem Felsen nach weiteren Aehren, aber ich entdeckte keine. Endlich fiel mir ein, daß ich ja den Sack mit dem Hühnerfutter an jener Stelle ausgeschüttet hatte, und nun begann die Sache ihr Wunderbares zu verlieren. Ich muß bekennen, auch meine Dankbarkeit für die göttliche Fügung fing an, durch die Entdeckung, daß das Ganze ein gewöhnliches Ereigniß sei, sich zu mindern; wiewohl ich für ein Ereigniß, das ja gerade so seltsam und unerwartet wie ein Wunder war, nicht minder hätte dankbar sein sollen. War es denn nicht wirklich ein Werk der Vorsehung, daß zehn oder zwölf Getreidekörner unversehrt blieben, als die Ratten alles Uebrige vernichteten; wie auch das, daß ich diese Körner gerade an der bestimmten Stelle ausschütten mußte, wo sie in dem Schatten des Felsens sofort aufgingen, während sie, hätte ich sie irgend anderswo ausgestreut, in dieser heißen Jahreszeit hätten verdorren und umkommen müssen?
Wie man sich denken kann, bewahrte ich die Aehren, sobald sie reif geworden (es geschah gegen Ende des Juni), sorgfältig auf. Ich beschloß, die darin enthaltenen Körner wieder auszusäen, und hoffte dadurch bald eine hinreichende Menge Frucht zu erhalten, um Brod daraus bereiten zu können. Jedoch durfte ich erst im vierten Jahre mir erlauben, von diesem Korn zu essen, und selbst dann nur sparsam, wie ich seiner Zeit berichten werde. Ich verlor nämlich die ganze erste Aussaat, weil ich nicht die geeignete Zeit beobachtet und sie unmittelbar vor den trockenen Monaten ausgestreut hatte, so daß sie nicht aufkam, oder wenigstens nicht in erwünschter Menge Frucht trug.
Außer der Gerste fand ich, wie erwähnt, auch zwanzig bis dreißig Reishalme, die ich mit gleicher Sorgfalt aufhob und in gleicher Weise benutzte. Ich entdeckte nämlich eine Methode, die Körner zu kochen, statt das Mehl davon zu backen, wiewohl mir auch das Letztere später gelang. – Doch ich will jetzt wieder zu meinem Tagebuch zurückkehren.
Diese drei oder vier Monate hindurch arbeitete ich überaus angestrengt, um meine Einzäunung fertig zu bekommen. Am 14. April vollendete ich sie. Um in dieselbe zu gelangen, bediente ich mich nicht einer Thüre, sondern stieg mittels einer Leiter über die Einfriedigung, damit man von der Außenseite meiner Behausung Nichts von dieser gewahr werden sollte.
Den 16. April. Heute wurde ich mit der Leiter fertig. So oft ich diese benutzt hatte, zog ich sie mir nach und legte sie im Innern der Umfriedigung nieder, so daß ich, wenn ich mich in meiner Wohnung befand, gegen Außen gänzlich abgeschlossen war.
Schon am nächsten Tage aber, nachdem ich die Einfriedigung vollendet, wäre fast meine ganze Arbeit über den Haufen geworfen worden und ich selbst beinahe umgekommen. Die Sache verhielt sich so. Ich war hinter meinem Zelte gerade am Eingang in die Höhle beschäftigt, als mich ein unerwartetes Ereigniß furchtbar erschreckte. Ich sah nämlich die Erde, welche die Decke meiner Höhle bildete, mit Einem Mal sich loslösen und von dem Gipfel des Hügels über mir herabstürzen. Zwei der Pfähle, mit denen ich die Wölbung meiner Höhle gestützt hatte, krachten mit fürchterlichem Lärm zusammen. Ich war aufs Aeußerste bestürzt, hatte jedoch keine Ahnung von der wirklichen Ursache, indem ich glaubte, meine Höhlendecke stürze wieder in derselben Weise ein, wie es mit einem Theil derselben schon einmal geschehen war. Aus Furcht, lebendig begraben zu werden, rannte ich nach meiner Leiter und glaubte mich nicht eher im Sichern und vor den herabstürzenden Felsen geschützt, als bis ich über meine Palissadirung geklettert war.
Kaum hatte ich den Fuß auf den Boden gesetzt, als ich erkannte, daß ein schreckliches Erdbeben die Ursache der Erschütterung war. Der Erdboden, auf dem ich stand, wurde nämlich dreimal in Zwischenräumen von je etwa acht Minuten durch solche Stöße erschüttert, daß sie das festeste Gebäude umgeworfen haben würden. Ein großes Stück der Felsspitze, die ungefähr eine halbe Meile von mir entfernt über das Ufer ragte, stürzte mit einem so entsetzlichen Getöse, wie ich es im Leben nicht gehört, in das Meer. Auch dieses befand sich in heftiger Bewegung, und wie mir schien, waren die Stöße unter dem Wasser noch stärker als die auf der Insel.
Ich erschrak so sehr, denn ich hatte dergleichen nie erlebt und auch niemals nur davon erzählen gehört, daß ich wie todt vor Bestürzung war. Die Erderschütterung machte mir übel, als ob ich seekrank sei. Erst der Lärm des herabstürzenden Felsens erweckte mich wieder aus meiner Betäubung und ich glaubte jetzt nichts Anderes, als der Hügel werde zusammensinken und mein Zelt nebst meiner ganzen Habe begraben, ein Gedanke, der mir abermals das Herz erbeben machte.
Nachdem aber der dritte Stoß vorüber war und ich einige Zeit hindurch Nichts verspürte, begann ich wieder Muth zu schöpfen. Dennoch wagte ich noch nicht wieder über meine Einzäunung zu steigen, aus Furcht verschüttet zu werden. Ich saß still und trostlos auf der Erde, ohne zu wissen, was ich anfangen sollte. Diese ganze Zeit über kam mir nicht der geringste religiöse Gedanke in den Sinn. Nur das gewöhnliche »Gott sei mir gnädig« ging über meine Lippen, und auch das wiederholte ich nicht mehr, sobald das Ereigniß vorüber war.
Während ich so saß, sah ich, wie der Himmel sich mit Wolken überzog, als ob ein Regen drohe. Nach und nach erhob sich der Wind, und in weniger als einer halben Stunde tobte ein fürchterlicher Sturm. Die See war plötzlich mit Schaum bedeckt, die Braudung tobte am Ufer, starke Bäume wurden entwurzelt. Erst nach drei Stunden begann der Sturm sich zu mildern, und nach weiteren zwei Stunden wurde es dann vollkommen windstill und fing an stark zu regnen. Diese ganze Zeit über saß ich niedergeschlagen und furchtsam auf der Erde. Plötzlich aber fiel mir ein, daß dieser Wind und Regen wohl die gewöhnlichen Folgen des Erdbebens sein möchten, und daß dieses daher aufgehört habe. Jetzt erst erwachten meine Lebensgeister wieder. Der Regen trieb mich in meine Behausung zurück, wo ich mich im Zelt niedersetzte, bis mich der heftige Regen in die Höhle zu gehen zwang, obgleich ich noch immer nicht von der Furcht befreit war, sie werde mir über dem Kopfe zusammenstürzen.
Dort zwangen mich die Regengüsse, rasch eine Arbeit in Angriff zu nehmen. Ich erkannte nämlich die Notwendigkeit, eine Rinne zu machen, damit das Wasser einen Ausweg aus der Höhle nehmen könne. Als ich nach einiger Zeit bemerkte, daß keine weiteren Erderschütterungen eintraten, fing ich an ruhiger zu werden. Um mich, was mir sehr noth that, einigermaßen wieder zu Kräften zu bringen, ging ich an mein kleines Proviantmagazin und nahm einen Schluck Rum, wobei ich jedoch wie immer sparsam verfuhr, da ich, wie mir wohl bewußt war, außer diesem Vorrath keinen weiteren hatte. Es regnete die ganze Nacht und einen großen Theil des nächsten Tages hindurch, so daß ich nicht ausgehen konnte. Als ich wieder einige Fassung gewonnen, dachte ich darüber nach, was ich jetzt anfangen solle. Ich erwog, daß ich, wenn die Insel solchen Erderschütternden öfters ausgesetzt sei, in der Höhle nicht wohnen bleiben könne, sondern darauf sinnen müsse, mir auf einem freien Platze ein Hüttchen zu bauen und es wiederum, um mich vor wilden Thieren und Menschen zu sichern, mit einer Einfriedigung zu versehen. Denn ich glaubte, wenn ich hier wohnen bliebe, würde ich früher oder später sicher lebendig begraben werden.
Ans diesen Gründen beschloß ich denn, mein Zelt von seinem jetzigen Platze unter dem Felsvorsprung, von dem ich fürchtete, er werde bei der nächsten Erschütterung sicherlich auf jenes stürzen, zu entfernen. Die beiden nächsten Tage, den 19. und 20. April, verwendete ich auf die Nachforschung nach einem Platz, wohin ich meine Wohnung verlegen sollte. Die Furcht, verschüttet zu werden, ließ mich nicht ruhig schlafen. Fast ebenso stark aber war auch die Angst davor, im Freien, ohne irgend eine Schutzwehr, zu schlafen, und als ich mich umschaute und bemerkte, wie Alles um mich wieder in bester Ordnung war, und wie wohl verborgen und sicher ich jetzt wohnte, kam mich doch eine große Abneigung an, meinen Aufenthalt zu wechseln.
Ich bedachte daneben auch, wie viel Zeit mich dieser Wechsel kosten würde, und daß ich einstweilen, bis ich mir einen neuen Zufluchtsort verschafft hätte, ja doch auf gut Glück bleiben müsse, wo ich war. Mit dieser Erwägung suchte ich mich vorläufig zu beruhigen und beschloß nur, mit möglichster Eile mir eine neue Umhegung anzulegen und dann mein Zelt dahineinzubringen, vorläufig aber zu bleiben, wo ich mich befand.
Den 22. April. Am nächsten Morgen überlegte ich, wie ich meinen Vorsatz ausführen sollte. Es mangelte mir jetzt sehr am nöthigen Werkzeug. Ich hatte zwar drei große Aexte und eine Menge kleiner Beile (die wir an Bord gehabt hatten, um sie den Wilden zu verkaufen), aber durch das Behauen des vielen harten Holzes waren diese voll Scharten und stumpf geworden. Nun besaß ich wohl auch den Schleifstein, aber ich vermochte ihn nicht ordentlich in Bewegung zu setzen. Diese Sache kostete mich so viel Nachdenken, als ein Staatsmann nur auf eine wichtige politische Angelegenheit oder ein Richter auf Abfassung eines Urtheils über Leben und Tod verwenden kann. Endlich brachte ich denn auch ein Schleifrad fertig, das ich vermittels einer Schnur durch Treten bewegen und dabei die Hände frei behalten konnte.
Anmerkung. Ich hatte in England nie ein solches Ding gesehen oder mich wenigstens nicht darum gekümmert, wie es gemacht wird; wiewohl ich später sah, daß man dergleichen dort sehr häufig benutzt. Meine Maschine nahm daher bis zu ihrer Vollendung eine volle Woche Arbeitszeit in Anspruch.
Den 28. und 29. April. Diese beiden Tage verwendete ich gänzlich dazu, meine Werkzeuge zu schärfen, wobei sich meine Schleifmaschine bestens bewährte.
Den 30. April. Da ich schon seit einiger Zeit bemerkt hatte, daß mein Brod stark auf die Neige gehe, schränkte ich mich, wennschon mit sehr schwerem Herzen, von jetzt an auf ein einziges Stück Zwieback für jeden Tag ein.
Den 1. Mai. Als ich Morgens während der Ebbe das Meer überschaute, sah ich am Strande etwas ungewöhnlich Hervorragendes, das wie eine Tonne aussah. Als ich näher kam, fand ich ein Fäßchen und einige Stücke von dem Schiffswrack, die während des letzten Sturms an das Land getrieben waren. Indem ich nach dem Schiffsrumpf selbst hinüberblickte, schien mir dieser höher aus dem Wasser hervorzuragen als früher. Bei der Untersuchung des Fäßchens fand ich, daß es Pulver enthielt, das aber naß gewesen und dann steinhart zusammengebacken war. Ich rollte das Faß vorläufig höher ans Ufer und ging dann auf dem Sande so nah als möglich an das Wrack, um zu untersuchen, ob etwa von demselben noch mehr zu holen sei.
Hier sah ich nun, daß das Schiff auffallend seine Lage verändert hatte. Das Vordertheil, das früher vom Sand verschüttet gewesen war, hatte sich sechs Fuß in die Höhe gehoben, und der Stern, der bald nachdem ich ihn das letzte Mal durchstöbert, durch die Gewalt der Wellen zertrümmert und von dem übrigen losgerissen war, lag nun umgestürzt auf der Seite. Da jetzt ein Sandhügel an der Stelle aufgethürmt war, wo ich früher eine Viertelmeile zu schwimmen gehabt hatte, um an das Wrack zu kommen, vermochte ich nun während der Ebbe trockenen Fußes bis zu demselben zu gelangen. Anfangs befremdete mich diese Wahrnehmung, bald aber erkannte ich, daß die Veränderung durch das Erdbeben bewirkt sein müsse. Durch dessen Gewalt war auch das Schiff noch mehr als früher zertrümmert worden, so daß täglich allerlei Dinge von der See abgelöst und, durch Wind und Wellen allmählich fortgeschwemmt, ans Land getrieben wurden.
Diese Dinge zogen meine Gedanken von dem Plane, meine Wohnung zu verändern, wieder ab, und ich beschäftigte mich eifrig, besonders an diesem Tage, mit der Erwägung, auf welche Weise ich in das Schiff einzudringen vermöchte. Ich fand jedoch anfangs kein Mittel, da die ganze Innenseite desselben von Sand bedeckt war. Da ich aber schon gelernt hatte, an Nichts zu verzweifelt, beschloß ich, was ich nur vom Schiffe lostrennen könne, mir zu holen, weil ich überzeugt war, es in der einen oder andern Weise verwerthen zu können.
Den 3. Mai. Zunächst durchschnitt ich mit meiner Säge einen Balken, der, wie es mir schien, einen Theil des Quarterdecks zusammenhielt. Als ich ihn in Stücke gesägt, beseitigte ich von dem höchstgelegenen Theil, so gut es gehen wollte, den Sand, wurde aber durch die steigende Flut genöthigt, meine Arbeit für diesmal zu unterbrechen.
Den 4. Mai. Ich fischte heute mit der Angel, erbeutete aber keinen eßbaren Fisch. Schon war ich der Beschäftigung müde und stand im Begriff heimzukehren, als ich einen jungen Delphin fing. Ich hatte mir nämlich aus Taugarn eine lange Schnur gemacht und damit, wiewohl ich keinen Angelhaken besaß, zu andern Zeiten Fische genug gefangen, wenigstens so viel für meine Mahlzeit nöthig waren. Um sie verspeisen zu können, pflegte ich sie an der Sonne zu trocknen.
Den 5. Mai. Am Wrack gearbeitet. Ich sägte noch einen andern Balken ab, machte drei große Fichtenbretter vom Deck los, band sie zusammen und ließ sie durch die Flut an den Strand treiben.
Den 6. Mai. Ich arbeitete abermals am Schiffsrumpf, zog mehre eiserne Bolzen und anderes Eisenwerk heraus, kam aber so ermüdet von der schweren Arbeit zurück, daß ich beschloß die Sache aufzugeben.
Den 7. Mai. Wiederum war ich zum Wrack gegangen, doch nicht in der Absicht, daran zu arbeiten. Ich fand, daß es durch sein eignes Gewicht auseinandergebrochen war, nachdem ich die Querbalken herausgesägt hatte. Es lagen jetzt mehre Stücke des Rumpfes abgerissen umher, und ich vermochte nun in das Innere des Schiffs zu sehen, das aber fast ganz mit Wasser und Sand angefüllt war.
Den 8. Mai. Ich ging wiederum zu dem Schiffe und nahm diesmal ein Brecheisen mit, um das Deck aufzubrechen, das jetzt ganz frei von Wasser und Sand dalag. Zwei Planken, die ich losgerissen, wurden durch die Flut gleichfalls ans Ufer geschwemmt. Das Brecheisen ließ ich für den nächsten Tag im Wrack zurück.
Den 9. Mai. Auch heute begab ich mich zu dem Schiffsrumpf und brach nun mit dem Eisen einen Weg in denselben, wobei ich auf mehre Tonnen stieß, die ich frei machte, ohne sie jedoch öffnen zu können. Auch fand ich eine Rolle englischen Blei’s, die aber zu schwer war, als daß ich vermocht hätte, sie fortzuschaffen.
Den 10. bis 14. Mai. An allen diesen Tagen ging ich zu dem Wrack und holte mir nach und nach eine große Menge Bretter und Balkenwerk sowie etwa zwei Centner Eisen.
Den 15. Mai. Ich hatte zwei Beile mitgenommen, um zu versuchen, ob ich nicht ein Stück von der Bleirolle abtrennen könne, indem ich die Schneide des einen auf dieselbe setzte und sie mit dem Gewicht des andern hineintrieb. Da das Blei jedoch anderthalb Fuß tief im Wasser lag, gelang es mir nicht.
Den 16. Mai. Während der Nacht hatte es stark gewindet, und das Wrack schien am Morgen durch die Gewalt der Wellen noch mehr zertrümmert als vorher. Ich hatte mich an diesem Tage lange in den Wäldern herumgetrieben, um mir eine Taubenmahlzeit zu verschaffen, da die steigende Flut mich hinderte, an das Wrack zu gehen.
Den 17. Mai. Heute gewahrte ich einige Schiffstrümmer, welche die Wellen etwa zwei Meilen von mir entfernt ans Land getrieben hatten. Ich begab mich dahin und erkannte sie als ein Stück des Vordertheils, doch waren sie zu schwer, und ich konnte sie deshalb nicht fortbringen.
Den 24. Mai. An jedem der letztvergangenen Tage arbeitete ich am Schiff und löste mit schwerer Mühe mittels des Brecheisens so viel davon ab, daß bei der ersten starken Flut einige Tonnen und zwei Matrosenkisten fortgeschwemmt wurden. Aber der Wind wehte vom Lande her und so gelangte diesen Tag Nichts ans Ufer, außer einigem Stücken Holz und einem Faß mit brasilianischem Schweinefleisch, das aber durch Salzwasser und Sand verdorben war.
Ich trieb dieselbe Arbeit bis zum 15. Juni an jedem Tag, wenn ich nicht gerade für meinen Lebensunterhalt zu sorgen hatte, was ich aber stets zur Zeit der Flut that, um beim Beginn der Ebbe frei zu sein. Ich hatte mir nach und nach Bretter, Planken und Eisenwerk genug verschafft, um damit ein stattliches Boot erbauen zu können, wenn ich es nur verstanden hätte. Auch von der Bleirolle hatte ich allmählich in einzelnen Stücken beinahe einen Centner schwer herübergebracht.
Den 16. Juni. Ich fand heute am Strande eine große Schildkröte. Es war die erste, die ich seit meiner Anwesenheit auf der Insel sah, was nur an zufälligem Mißgeschick lag. Denn wenn ich von ungefähr einmal auf die andere Seite des Ufers gekommen wäre, hätte ich täglich, wie ich später sah, Schildkröten zu Hunderten bekommen können. Jedoch wäre mir das vielleicht theuer zu stehen gekommen.
Den 17. Juni. Als ich die Schildkröte zu kochen versuchte, fand ich in ihrem Leibe etwa sechzig Eier; das Fleisch schien mir das saftigste und wohlschmeckendste, das ich im Leben genossen, nachdem ich aus diesem trostlosen Eiland seit meiner Ankunft nur Ziegen- und Vogelfleisch gegessen hatte.
Den 18. Juni. Es regnete den ganzen Tag, und ich blieb daher zu Hause. Der Regen schien mir diesmal eine ungewöhnliche Kälte zu verbreiten, und es überkam mich ein unter diesem Breitengrad ungewöhnliches Frösteln.
Den 19. Juni. Ich fühlte mich sehr unwohl und fror so, als ob es ganz kaltes Wetter gewesen wäre.
Den 20. Juni. Die ganze letzte Nacht that ich kein Auge zu und litt an heftigen Kopfschmerzen und Fieberhitze.
Den 21. Juni. Ich war sehr krank. Der Gedanke an meine traurige Lage und an meine gänzliche Hülflosigkeit machte mich bis zum Tode betrübt. Zum ersten Mal seit dem Sturm von Hull betete ich zu Gott, freilich ohne zu wissen, was und warum ich es sagte, denn meine Gedanken waren in vollständiger Verwirrung.
Den 22. Juni. Heute fühlte ich mich ein wenig besser, war aber immer noch in schrecklicher Furcht vor einer schweren Krankheit.
Den 23. Juni. Es ging wir wieder sehr schlecht. Kälte und Fieberschauer quälten mich, und dann trat heftiges Kopfweh ein.
Den 24. Juni. Mein Zustand schien sich heute bedeutend der Besserung zu nähern.
Den 25. Juni. Wiederum suchte mich ein heftiger Anfall heim. Der Fieberschauer hielt sieben Stunden an. Frost und Hitze wechselten, dann trat ein gelinder Schweiß ein.
Den 26. Juni. Ich befand mich heute wohler. Um mir etwas Eßbares zu verschaffen, nahm ich das Gewehr und erlegte auch, wiewohl ich mich sehr schwach fühlte, eine Geis, brachte sie mit vieler Mühe nach Hause, röstete mir ein Stückchen Fleisch und verzehrte es. Gern hätte ich mir Bouillon gekocht, aber es mangelte mir an einem Gefäß dazu.
Den 27. Juni. Der Fieberanfall war wieder so heftig, daß ich den ganzen Tag über, ohne zu essen oder zu trinken, im Bette bleiben mußte. Fast wäre ich vor Durst verkommen, aber ich war zu schwach aufzustehen und mir einen Trunk Wassers zu holen. Ich betete wieder zu Gott, aber ich war zu schwach im Kopfe und wußte auch überdies nicht recht, was ich sagen sollte. Ich rief nur immer: »Herr sieh mich an! Gott sei mir gnädig und erbarme dich meiner!« Das trieb ich, glaub‘ ich, gegen drei Stunden lang, bis der Fieberanfall nachließ und ich in einen festen Schlaf verfiel, aus dem ich erst tief in der Nacht erwachte. Danach fühlte ich mich weit kräftiger, aber doch noch immer schwach genug, und besonders litt ich entsetzlichen Durst. Gleichwohl, da ich kein Wasser in der Nähe hatte, mußte ich still liegen bleiben bis zum Morgen, wo ich denn auch wieder einschlief.
Während dieses letzten Schlafes hatte ich folgenden schrecklichen Traum. Ich glaubte außerhalb meiner Einfriedigung auf dem Platze zu sitzen, wo ich während des Sturms nach dem Erdbeben gesessen hatte. Dort sah ich aus einer großen schwarzen Wolke einen Mann von hellen Flammen umgeben, welche die Erde erleuchteten, herabsteigen. Der Glanz, der ihn umstrahlte, war so stark, daß ihn meine Augen kaum ertrugen. Sein Gesicht war unaussprechlich schreckenerregend. Als er den Boden betrat, schien mir die Erde wie bei dem Erdbeben zu zittern, und Blitze durchzuckten rings die Luft. Auf der Erde angekommen, trat er auf mich zu, einen langen Speer in der Hand, als ob er mich tödten wolle. Er redete mich in einiger Entfernung von dem Gipfel einer kleinen Erhöhung aus mit fürchterlicher Stimme an, doch verstand ich nur das Folgende: »Alles dies hast du geschaut, ohne dich zur Buße bewegen zu lassen, darum sollst du sterben.« Dabei erhob er die Lanze, um mich zu durchbohren.
Niemand wird erwarten, daß ich das Entsetzen, welches meine Seele bei dieser Vision erfüllte, schildere. Ich meinte im Traume, das Entsetzliche könne selbst nur ein Traum sein, aber auch nachdem ich erwacht war und erkannte, daß ich nur geträumt hatte, war meine Angst über alle Beschreibung groß.
Leider fehlte es mir an aller Religion. Was ich durch die vortreffliche Unterweisung meines Vaters davon gelernt hatte, war in dem ununterbrochenen achtjährigen Seeleben und dem beständigen Verkehr mit ebenso gottlosen Menschen, wie ich war, mir abhanden gekommen. Ich erinnere mich nicht, daß ich während dieser ganzen Zeit meine Gedanken ein einziges Mal zu Gott erhoben oder über meinen Wandel nachgedacht hätte. Eine gewisse Stumpfheit des Herzens, eine Gleichgültigkeit gegen alles Bessere und eine völlige Bewußtlosigkeit von der Sünde hatte ganz und gar Besitz von meiner Seele genommen. Ich war ein so verhärtetes gedankenloses elendes Geschöpf, als nur eines unter Seeleuten je zu finden war. Weder von der Furcht Gottes in Gefahren, noch vom Dankgefühl gegen Gott nach der Errettung hatte ich die geringste Ahnung.
Man wird dies nach dem, was ich von meiner Geschichte berichtet habe, um so eher glauben, wenn ich hinzufüge, daß während jener wechselvollen Reihe von Unglücksfällen, die ich bis dahin erlebt hatte, mir nicht ein einziges Mal der Gedanke gekommen war, daß das die Hand Gottes herbeigeführt und daß es die gerechte Strafe meiner Sünden sei. Die Strafe nämlich entweder wegen des Ungehorsams gegen meinen Vater, oder wegen meiner gegenwärtigen Sünden, die groß genug waren, oder endlich die Züchtigung für den gesammten Verlauf meines nichtswürdigen Lebens.
Auch während ich mich noch auf der unheilvollen Reise an den öden Küsten von Afrika befand, war es mir keinmal eingefallen, Gott um einen Fingerzeig zu bitten, wohin ich mich wenden solle, oder seinen Schutz gegen gefräßige Thiere und grausame Menschen anzuflehen. Ich hatte weder an Gott, noch an eine Vorsehung gedacht, sondern nur wie ein rohes Thier nach meinen natürlichen Eingebungen gehandelt, indem ich nur dem Folge leistete, was mich der gesunde Menschenverstand lehrte, und auch dem kaum. Ebenso war mir, nachdem der portugiesische Kapitän mich gerettet, in sein Schiff aufgenommen, gut behandelt und sich barmherzig und gerecht gegen mich bezeigt hatte, dennoch nicht das geringste Dankgefühl in die Seele gekommen. Als ich dann wieder Schiffbruch gelitten und an dieser Insel die Gefahr des Ertrinkens ausgestanden hatte, war ich abermals weit davon entfernt gewesen, Gewissensbisse zu fühlen oder mein Unglück als ein gerechtes Gericht anzusehen. Nur das wiederholte ich oft bei mir, daß ich ein Unglücksvogel und zu einem ununterbrochenen Elend geboren sei.
Freilich das muß ich mir nachsagen, daß ich, als ich zuerst ans Land gekommen war und alle meine Schiffsgefährten ertrunken, mich selbst aber gerettet sah, eine Art von Entzücken und einige Regungen der Seele empfunden hatte, die unter Gottes gnädigem Beistand zu wirklicher Dankbarkeit sich hätten entwickeln können. Aber das hatte geendet, wie es angefangen, nämlich in einer flüchtigen Freude gewöhnlicher Art. Ich war nur voll Freude gewesen, daß ich am Leben geblieben, und hatte nicht im Geringsten die große Güte der Hand, die mich erhalten und vor allen Andern ausgezeichnet hatte, bedacht. Es war eben bloß die gemeine Art von Wohlempfinden gewesen, welche Seeleute regelmäßig fühlen, wenn sie aus einem Schiffbruch glücklich ans Land gekommen sind, und die sie in der nächsten Bowle Punsch für immer ertränken. So war es auch während der ganzen bisherigen Zeit meines einsamen Lebens in mir geblieben. Sogar als ich später aufmerksamer darüber nachgedacht hatte, wie ich auf diese schreckliche Insel verschlagen sei und außer dem Bereiche der Menschheit ohne Hoffnung auf Rettung lebe, war doch, sobald sich mir nur die Aussicht am Leben zu bleiben und nicht vor Hunger umzukommen zeigte, all meine Betrübniß verschwunden; ich fing an ganz ruhig zu sein, machte mich sofort an die Arbeit, um mir das Dasein zu fristen, und war weit entfernt von dem Gedanken, daß Gott sein Gericht an mir vollzogen und seine Hand über mich ausgereckt habe.
Erst das Aufgehen des Korns hatte, wie ich in meinem Tagebuch erwähnte, einen kleinen Eindruck auf mich bewirkt und mich nachdenklich gemacht, so lang ich es für etwas Wunderbares hielt. Aber sobald dies aufhörte, war auch jene Wirkung wieder vollkommen verraucht. Sogar das Erdbeben, wiewohl es keine furchtbarere Naturerscheinung und Nichts, das die unsichtbare Macht, die Alles lenkt, augenscheinlicher zeigt, geben kann, hatte, als der erste Schreck vorüber war, keine dauernde Einwirkung bei mir hinterlassen. Ich dachte jetzt nicht mehr an Gott und daran, daß mein gegenwärtiges Elend von ihm geschickt sei, als in der glücklichsten Zeit meines Lebens. Nun aber, nachdem ich erkrankt war und sich die Aussicht auf langsame Todesqual mir vor Augen stellte, als mein Lebensmuth unter der Last der schweren Leiden anfing zu sinken und meine Natur durch das heftige Fieber erschöpft war, begann mein Gewissen, das so lange geschlafen hatte, aufzuwachen und Vorwürfe über meine Vergangenheit, in der ich so offenbar Gottes Gericht über mich herauf beschworen, wurden in mir laut. Diese Gedanken lagen besonders am zweiten oder dritten Tag meiner Krankheit schwer auf mir. Die Gewalt des Fiebers und die Gewissensbisse preßten mir einige Worte aus, die wie ein Gebet zu Gott lauteten, wiewohl sie weder Wünsche, noch Hoffnungen aussprachen. Sie waren vielmehr der bloße Ausdruck meiner Furcht und Verzweiflung. Meine Gedankenverwirrung und die Angst, in so elender Lage umkommen zu müssen, veranlaßten Empfindungen in meiner Seele, die sich in allerlei Worten Luft machten, wie etwa: »Gott, welch ein erbärmliches Geschöpf bin ich! Wenn ich krank werde, muß ich sicherlich hülflos verschmachten«. Thränen brachen aus meinen Augen, und die Worte meines Vaters kamen mir ins Gedächtniß, insbesondere seine Prophezeiung, daß, wenn ich seinem Rathe nicht folge, Gottes Segen mir fehlen und ich einmal Zeit haben würde, über meine Thorheit nachzudenken, wenn Niemand vorhanden sein werde, mir Beistand zu leisten »Jetzt«, rief ich laut, »haben sich diese Worte bewahrheitet und Gottes Strafe ist über mich gekommen. Ich habe der Vorsehung, die mich gnädig in eine Lebenslage versetzt hatte, in der ich glücklich und zufrieden leben konnte, Trotz geboten. Ich wollte nicht sehen, was mir verliehen war an göttlichem Segen; nun trauern meine Eltern über meine Thorheit und ich trauere über die Folgen derselben. Ich habe den Beistand Derer, die mir Alles im Leben leicht gemacht haben würden, zurückgewiesen und bin nun ohne Hülfe, ohne Trost, ohne Rath.« Dann rief ich: »Herr, hilf mir, denn ich bin in großem Elend!« Dies war, wenn ich so sagen darf, das erste Gebet, das ich seit vielen Jahren aussprach. Doch ich kehre wieder zu meinem Tagebuch zurück.
Den 28. Juni. Da ich durch den Schlaf, den ich genossen, einigermaßen gekräftigt und der Fieberanfall gänzlich vorüber war, stand ich auf. Trotz des Entsetzens, das mir mein Traum eingeflößt, dachte ich doch daran, daß mein Fieber am nächsten Tage wiederkehren werde, und daß es Zeit sei, mich für eine etwaige Krankheit mit Erfrischungen zu versehen. Ich füllte daher vor Allem eine große Flasche mit Wasser und stellte sie auf meinen Tisch, so daß ich sie vom Bett aus erreichen konnte. Um die Kälte des Wassers etwas zu vermindern, mischte ich etwa ein Viertelquart Rum hinein; dann holte ich mir ein Stück Ziegenfleisch und röstete es auf Kohlen, konnte aber nur wenig davon essen. Ich machte einen Gang, fühlte mich aber sehr schwach, und das Herz war mir schwer in der Furcht vor der Wiederkehr des Fiebers. Mein Nachtessen bereitete ich mir aus drei Schildkröteneiern, die ich in der Asche röstete, und dies war der erste Bissen, den ich, so lange ich mich erinnern konnte, unter Anrufung des göttlichen Segens verzehrte.
Nach der Mahlzeit versuchte ich abermals einen Spaziergang zu machen, war aber so kraftlos, daß ich kaum meine Flinte zu tragen vermochte, ohne die ich nie ausging. Ich setzte mich daher nach wenigen Schritten auf die Erde nieder und blickte nach der See hinaus, die in völliger Stille vor mir lag. Jetzt stiegen allerlei Gedanken in mir auf, z. B. »Wie wunderbar ist doch diese Erde und dies Meer! Wer hat sie geschaffen? Wer bin ich, und wer sind alle die anderen Geschöpfe auf Erden und von wannen sind sie gekommen? Gewiß gibt es eine verborgene Macht, die Wasser und Land, Himmel und Erde gebildet hat, aber wo ist sie?« Und nun ergab sich die natürliche Antwort: »Gott hat Alles dies hervorgebracht!« – »Nun denn«, so dachte ich weiter, »wenn Gott Alles dies geschaffen hat, so regiert er auch Alles, und Nichts in dem weiten Umfang seiner Werke kann seiner Allwissenheit entgehen. Und weiter, wenn Nichts ohne sein Wissen geschieht, so weiß er auch, daß ich hier in dieser schrecklichen Lage bin, und wenn Alles auf seine Anordnung eintritt, so hat er auch Alles dies über mich verhängt.« Daran reihte sich unmittelbar die Frage: »Warum hat Gott dies so gefügt? Womit habe ich ein solches Geschick verdient?« Da aber schrak mein Gewissen alsbald wie vor einer Gotteslästerung zurück, und ich glaubte eine Stimme zu hören, die mir zurief: »Elender! Fragst du noch, was du verschuldet hast? Schau zurück auf dein schändlich vergeudetes Leben und frage dich lieber, was du nicht verbrochen hast! Frage, warum du nicht längst vernichtet bist! Warum du nicht auf der Rhede von Yarmouth ertrunken, nicht in dem Seegefecht mit dem Mann von Saleh getödtet, nicht von den Bestien an der afrikanischen Küste gefressen oder hier ertrunken bist, als alle deine Reisegefährten untergingen. Willst du noch fragen, was du gesündigt hast?«
Diese Gedanken überfielen mich mit einer solchen Gewalt, daß ich wie niedergedonnert in düsterem Sinnen nach meiner Behausung zurückschlich. Ich hatte keine Lust zu schlafen, sondern saß in meinem Stuhl, nachdem ich beim Dunkelwerden meine Lampe angezündet hatte.
Jetzt fiel mir ein, daß die Brasilianer sich als eines Heilmittels in fast allen Krankheiten des Tabaks bedienen, und daß ich in einer meiner Kisten ein Stück einer Tabaksrolle, das völlig zubereitet war, sowie ein anderes noch in grünem und unfertigem Zustand befindliches aufbewahrte.
Die Erinnerung hieran, die mir ohne Zweifel der Himmel selbst eingegeben, trieb mich zu jener Kiste, in der ich ein Labsal für Leib und Seele fand. Ich öffnete sie, nahm den Tabak und, da die wenigen Bücher, die ich gerettet, auch dort lagen, auch eine der erwähnten Bibeln heraus, in welcher zu lesen ich früher weder Zeit noch Lust gehabt hatte. Beides legte ich auf meinen Tisch.
Da ich nicht wußte, wie der Tabak anzuwenden sei, machte ich verschiedene Versuche, um zu sehen, ob er mir auf eine oder die andere Weise helfen könne. Zunächst kaute ich ein Stück eines Blattes, fühlte mich aber davon, da der Tabak noch grün und kräftig und ich nicht daran gewöhnt war, wie betäubt. Außerdem weichte ich einige Stückchen etliche Stunden in Rum auf, in der Absicht, davon einen Schluck beim Schlafengehen zu nehmen. Endlich verbrannte ich eine Portion auf Kohlen und hielt meine Nase in den Dampf, so lange ich es aushalten konnte.
In den Pausen dieser Beschäftigung griff ich nach der Bibel und fing an, darin zu lesen. Doch war mir der Kopf von dem Tabaksrauch zu verwirrt, um lange dabei zu bleiben. Als ich das Buch aufs Gerathewohl geöffnet, fiel mir die Stelle zuerst ins Auge: »Rufe mich an in der Noth, so will ich dich erretten, und du sollst mich preisen«.
Diese Worte paßten so sehr für meine Lage, daß sie einen gewissen Eindruck auf mich hervorbrachten, jedoch war dieser für jetzt noch nicht so tief als der, den dieselben Worte später in mir hervorriefen. Denn das Wort Errettung schien mir noch, sozusagen, ohne Sinn für mich; die Erlösung aus meiner Einsamkeit dünkte mich so fern und so unmöglich, daß ich, gleich den Kindern Israel, die, als ihnen Fleisch verheißen wurde, sprachen: »Kann Gott uns einen Tisch in der Wüste decken?« sagte: »Vermag auch Gott selbst mich wohl zu erretten aus dieser Oede?« Da die folgenden Jahre hindurch sich auch wirklich kein Hoffnungsschimmer in dieser Hinsicht zeigte, so kehrte jener Gedanke noch oft in mir wieder. Gleichwohl aber gaben mir jene Worte von jetzt an Veranlassung zu häufigem Nachdenken.
Weil es inzwischen spät geworden war und die Betäubung durch den Tabak mich schläfrig gemacht hatte, ging ich, nachdem ich meine Lampe hatte brennen lassen, zu Bett. Ehe ich mich aber niederlegte, that ich, was ich in meinem ganzen Leben nicht gethan hatte. Ich kniete nieder und betete zu Gott, daß er seine Verheißung an mir erfüllen und mich erretten möge, wenn ich ihn anriefe in der Noth.
Hierauf trank ich den Rum, in den ich den Tabak getaucht hatte, der Trank war jedoch so scharf und bitter, daß ich ihn fast nicht hinunterzubringen vermochte. Kaum zu Bette gestiegen, fiel ich in einen tiefen Schlaf und erwachte erst gegen drei Uhr des folgenden Nachmittags. Ja, zuweilen bilde ich mir noch bis auf den heutigen Tag ein, damals auch den ganzen andern Tag und die nächste Nacht hindurch geschlafen zu haben. Denn, wie sich einige Jahre später zeigte, fehlte mir ein Tag in meiner Zeitrechnung, ohne daß ich wußte, wohin er gekommen war. Sei dem aber wie ihm wolle, ich fühlte mich beim Erwachen ungemein erfrischt und meinen Lebensmuth heiter gekräftigt. Als ich aufgestanden war, konnte ich besser gehen als früher und spürte Hunger. Auch blieb ich am nächsten Tag (den 29. Juni) vom Fieber frei und erholte mich von da an allmählich ganz.
Den 30. Juni hatte ich gleichfalls einen fieberfreien Tag und ging daher mit dem Gewehr aus, entfernte mich jedoch absichtlich nicht weit. Ich schoß einige Seevögel von der Art der Baumgänse und brachte sie heim. Da ich jedoch keine große Lust verspürte, sie zu verzehren, begnügte ich mich wieder mit einigen Schildkröteneiern, die mir trefflich mundeten. Am Abend wiederholte ich das Mittel, das mir am vorigen Tage gut bekommen zu sein schien. Ich nahm wieder etwas von dem Rum, in welchem ich Tabak erweicht hatte, jedoch weniger als daß erste Mal, und unterließ auch, den Tabak zu kauen und den Rauch einzuathmen. Doch fühlte ich mich am andern Morgen (es war der 1. Juli) nicht so wohl, als ich gehofft, hatte auch einen neuen Fieberanfall, doch war er nicht stark.
Den 2. Juli. An diesem Tage wandte ich den Tabak wieder auf die drei erwähnten verschiedenen Arten an und betäubte mich wie früher, indem ich diesmal die Menge des Aufgusses verdoppelte.
Den 3. Juli. Das Fieber kehrte von jetzt an nicht wieder, obwohl ich erst nach mehren Wochen ganz wieder zu Kräften kam. Während ich mich erholte, kehrten meine Gedanken immer wieder zu den Worten der Schrift zurück: »So will ich dich erretten«. Die Unmöglichkeit meiner Befreiung bedrückte mir das Gemüth schwer, wiewohl ich doch immer wieder auf eine solche harrte. Da aber fiel mir plötzlich ein, daß ich ja über diese große Betrübniß die mir wirklich schon zu Theil gewordene Rettung vergessen hätte. Ich fragte mich: Bist du nicht wie durch ein Wunder von deiner Krankheit erlöst, aus der trostlosesten Lage, in der Jemand sein kann? Und hast du dafür deinen schuldigen Dank gezollt? Gott hat dich gerettet, und du hast ihn nicht dafür gepriesen. Wie darfst du auf eine größere Errettung hoffen? Dies bewegte mir das Herz so sehr, daß ich alsbald niederkniete und Gott laut für meine Genesung dankte.