Kapitel 15
Unsere Streitkräfte wurden nun für die Unternehmung folgendermaßen in Gruppen geordnet. Zur ersten gehörte der Kapitän, sein Steuermann und sein Passagier; zur zweiten die beiden zuerst gefangen Genommenen, denen ich auf des Kapitäns Empfehlung die Freiheit gegeben und Waffen anvertraut hatte; zur dritten die zwei Andern, welche ich bis daher gefesselt in der Laube gehalten, aber jetzt gleichfalls auf des Kapitäns Veranlassung losgelassen hatte; die vierte Abtheilung bildete nur der einzeln im Boot gefangene Mann; endlich bestand die fünfte aus den zuletzt befreiten Gefangenen. So waren es im Ganzen dreizehn Leute; die fünf in der Höhle und die beiden Geiseln blieben zurück.
Der Kapitän erklärte auf meine Frage seine Bereitwilligkeit, sich mit dieser Mannschaft an Bord des Schiffes zu wagen. Was mich selbst und Freitag anging, so hielt ich es nicht für zweckmäßig, mit auf das Unternehmen auszuziehen. Denn da wir sieben Mann zurückbehielten, hatten wir genug damit zu schaffen, sie getrennt zu halten und mit Lebensmitteln zu versehen. Die fünf in der Höhle sollten nach meiner Absicht streng eingeschlossen gehalten werden. Freitag ging zweimal täglich zu ihnen, um ihnen zu essen zu bringen.
Die übrigen beiden Gefangenen mußten die Vorräthe bis zu einer gewissen Stelle tragen, und Freitag nahm sie dann in Empfang.
Nachdem ich mich zu den beiden Geiseln begeben, theilte ihnen der Kapitän, der mich begleitete, mit, ich sei vom Gouverneur beauftragt, über sie zu wachen. Der Gouverneur habe angeordnet, daß sie keinen Schritt ohne meine Erlaubniß thun dürften; wenn sie dem zuwider handelten, würden sie ins Gefängniß geworfen und in Ketten gelegt werden. So erschien ich, da ich mich nicht als der Gouverneur zu erkennen geben wollte, jetzt als eine dritte Person und sprach bei jeder möglichen Gelegenheit von dem Befehlshaber der Insel, von der Garnison, dem Gefängniß und dergleichen Dingen.
Für den Kapitän boten sich jetzt als nächste und wichtigste Aufgaben die Ausrüstung seiner zwei Boote, die Verstopfung des Lecks in dem einen und die Bemannung beider. Er ernannte seinen Passagier zum Kapitän für das eine Fahrzeug und gab ihm vier Mann bei. Er selbst nebst seinem Steuermann und fünf weiteren Leuten begab sich in das andere. Sie machten ihre Sache so vortrefflich, daß sie schon um Mitternacht an das Schiff herankamen. Als sie sich auf Rufweite demselben genähert, ließ der Kapitän die Leute an Bord durch Robinson anrufen und ihnen verkündigen, sie hätten ihre Kameraden und das Boot wieder, aber es sei viel Zeit darauf gegangen, bis sie dieselben gefunden. Mit solchem und ähnlichem Geschwätz hielt er die Schiffsmannschaft hin, bis unsere Leute unter dem Schiffe beigelegt hatten. Sobald der Kapitän und der Steuermann den Fuß auf das Deck setzten, schlugen sie auch sofort den zweiten Steuermann und den Schiffszimmermann mit ihren Gewehrkolben nieder. Unsere Leute zeigten sich sehr zuverlässig. Sie versicherten sich der ganzen auf dem Haupt- und dem Quarterdeck befindlichen Mannschaft; dann verschlossen sie die Luken, um diejenigen, welche sich im untern Schiffsraum befanden, in demselben zu halten. Jetzt nahete auch das andere Boot, die Bemannung legte am Vordertheil an und nahm das Vorderdeck sowie die in die Küche führende Dachluke in Besitz und machte drei darin befindliche Leute zu Gefangenen.
Hierauf, nachdem das Deck gänzlich gesäubert war, befahl der Kapitän dem Steuermann, mit drei Leuten in die Kajüte einzubrechen. Dort hatte der neu ernannte Rebellenkapitän mit zwei Männern und einem Schiffsjungen Feuerwaffen ergriffen. Kaum hatte der Steuermann mit seinen Gefährten die Thür gespalten, so gab der neue Kapitän mit seinen Gefährten muthig Feuer auf sie, zerschmetterte dem Steuermann mit einer Musketenkugel den Arm und verwundete noch zwei von der Mannschaft, ohne jedoch einen einzigen zu tödten. Unser Steuermann rief zwar um Hülfe, stürzte indessen trotz seiner Verwundung in die Kajüte und schoß den neuen Kapitän mit einer Pistole durch den Kopf, daß die Kugel durch den Mund eindrang und hinter dem Ohr herausschlug. Der Mensch sank lautlos zusammen; darauf ergaben sich die Uebrigen, und das Schiff war somit ohne weiteren Verlust von Menschenleben in unserem Besitze.
Sobald der Sieg gewonnen war, ließ der Kapitän sieben Kanonenschüsse abfeuern, als das Signal, welches nach unserer Verabredung mir den günstigen Erfolg des Unternehmens verkündigen sollte. Man kann sich denken, mit welcher Freude ich die Salve vernahm, nachdem ich bis beinahe zwei Uhr Morgens am Strande wachend gesessen hatte. Erst als ich das Signal gehört, legte ich mich nieder und schlief nach der großen Anstrengung des Tages sogleich fest ein. Plötzlich aber wurde ich durch einen Flintenschuß geweckt und hörte, nachdem ich eilig aufgestanden war, die Stimme eines Mannes rufen: »Herr Gouverneur, Herr Gouverneur!« Ich erkannte sogleich die Stimme des Kapitäns. Als ich den Gipfel des Hügels erstiegen hatte, fand ich ihn dort stehen. Er deutete nach dem Schiff hin und sagte, indem er mich in die Arme schloß: »Mein theurer Freund und Erretter, dort ist Euer Fahrzeug, denn es gehört Euch ebenso wie mir nebst Allem, was es enthält«.
Ich richtete die Augen nach dem Schiff und sah es etwa eine halbe Meile vom Lande vor Anker liegen. Nachdem nämlich unsre Leute sich desselben bemächtigt hatten, waren die Anker alsbald gelichtet worden, und da das Wetter ruhig war, hatten sie das Fahrzeug gerade gegenüber der Mündung des kleinen Baches festgelegt. Da sich gerade die Flut erhoben, hatte der Kapitän in dem Langboot bis nahe an die Stelle gelangen können, wo ich einst mit meinen Flößen gelandet war, und so hatte er unmittelbar vor meiner Thür aussteigen können. Ich war vor Ueberraschung einer Ohnmacht nahe. Denn ich sah jetzt Alles, was zu meiner Rettung nöthig war, sozusagen wie mit Händen zu greifen vor mir und ein großes Schiff in völliger Bereitschaft, mich zu tragen, wohin ich Lust hatte. Eine Weile lang war ich nicht im Stande, ein Wort zu sprechen. Ich hielt mich, um nicht umzufallen, an dem Kapitän fest, der seine Arme um mich geschlungen hatte. Als er meine Verwirrung gewahrte, zog er sogleich eine Flasche aus seiner Tasche und ließ mich einen herzstärkenden Trunk nehmen, den er zu diesem Zwecke mitgenommen. Darauf setzte ich mich auf die Erde und kam allmählich wieder zu mir selbst, vermochte jedoch lange Zeit noch nicht ein Wort zu äußern. Inzwischen war der gute Kapitän in einer gerade so großen Aufregung als ich, wenn auch nicht in Folge der Ueberraschung. Er überhäufte mich mit tausend Ausdrücken der Zärtlichkeit, um mich wieder zum Bewußtsein zu bringen, aber der Freudenstrom flutete so gewaltig in meiner Brust, daß er alle meine Sinne mit sich fortriß. Endlich brach er in Thränen hervor und dann erst gewann ich die Sprache wieder. Jetzt schloß ich meinerseits meinen Erretter in die Arme, und wir jubelten vereint.
»Ich sehe Euch«, so sagte ich zu ihm, »als meinen vom Himmel gesendeten Erretter an, und die ganze Begebenheit erscheint mir als eine Kette von Wundern. Solche Ereignisse legen uns Zeugniß ab dafür, daß die verborgene Hand einer Vorsehung die Welt lenkt, und sie beweisen aufs Sicherste, daß die Augen einer unbegrenzten Macht in den entlegensten Winkel der Welt dringen, und daß diese Macht dem Unglücklichen Hülfe schicken kann, wenn sie nur will.« Ich unterließ auch nicht gegen den Himmel mein Herz in Dankbarkeit zu erheben, und wer hätte hier auch versäumen können, Dem zu danken, der nicht nur in wunderbarer Weise in solcher Wildniß und so trostloser Lage für mich Sorge getragen hatte, sondern aus dessen Hand jetzt auch allein die Erlösung gekommen war!
Als wir eine Weile hindurch uns unterhalten, theilte mir der Kapitän mit, er habe von dem, was das Schiff an Ladung geborgen und was von den Schurken, die es eine Weile in Besitz gehabt hätten, übrig gelassen sei, mir einige kleine Erfrischungen mitgebracht. Dann rief er den Leuten im Boote zu, sie sollten die Sachen für den Gouverneur aus Land bringen. Das war aber eine Ladung so groß, als ob ich nicht die Absicht hätte, mit den Leuten mich einzuschiffen, sondern als wenn ich auf der Insel bleiben und Jene allein ziehen lassen wolle. Da kam zuerst ein Flaschenkorb mit ausgezeichneten Spirituosen zum Vorschein, darunter sechs große Flaschen Madeira, deren jede zwei Quart enthielt; ferner befanden sich darunter zwei Pfund vorzüglichen Tabaks, zwölf Viertel Ochsenpökelfleisch und sechs Viertel Schweinefleisch, ein Sack voll Erbsen und ungefähr hundert Pfund Schiffszwieback. Auch war dabei eine Kiste mit Zucker, eine andere mit Mehl, ein Sack voll Limonen, zwei Flaschen Limonensyrup und eine Menge andere Dinge. Sodann aber, und das war mir tausendmal mehr werth als das Uebrige, hatte der Kapitän mir mitgebracht sechs reine neue Hemden, sechs sehr gute Halstücher, zwei Paar Handschuhe, ein Paar Schuhe, einen Hut, ein Paar Strümpfe und einen sehr guten vollständigen Anzug, der dem Kapitän selbst gehörte und nur wenig abgenutzt war. Kurz, mein Freund kleidete mich vom Kopf bis zu den Füßen. Jedermann kann sich denken, wie angenehm mir ein solches Geschenk in meiner Lage sein mußte, und dennoch vermag sich Niemand vorzustellen, wie unbehaglich, linkisch und verlegen ich mich anfangs fühlte, als ich diese Kleider angelegt hatte.
Nach unserer gegenseitigen Beglückwünschung, und nachdem jene guten Dinge alle in meine kleine Behausung gebracht waren, hielten wir Rath darüber, was mit unsern Gefangenen zu thun sei. Es war nämlich wohl zu erwägen, ob wir sie mit uns nehmen sollten oder nicht. Besonders galt das von zweien darunter, die unverbesserlich und widerspenstig im höchsten Grade waren. Der Kapitän versicherte, er kenne sie als solche Schurken, daß keine Wohlthat sie zur Treue vermögen würde. Wenn wir sie mitnehmen wollten, so könne es nur so geschehen, daß sie, wie es Verbrechern zieme, in Ketten gelegt und der ersten besten englischen Kolonie, wo wir ans Land gingen, überliefert würden. Mit Rücksicht auf die Besorgnisse meines Freundes sagte ich ihm zu, ich wolle es übernehmen, die beiden in Rede stehenden Leute dahin zu bringen, daß sie selbst darum bitten sollten, auf der Insel zurückbleiben zu dürfen. »Das wäre mir sehr erfreulich«, entgegnete der Kapitän. »Gut«, erwiederte ich, »so will ich sie holen lassen und statt Eurer mit ihnen redend
Hierauf schickte ich Freitag und die beiden Geiseln, welche, nachdem ihre Kameraden sich treu bewährt hatten, gleichfalls von den Fesseln befreit waren, nach der Höhle und ließ sie die fünf Gefangenen in ihren Banden nach der Laube bringen. Bald darauf trat ich in meinem neuen Anzug dort ein, und zwar jetzt wieder in der Würde des Gouverneurs. Als wir alle versammelt waren, und der Kapitän sich gleichfalls eingefunden hatte, ließ ich die Gefangenen vorführen und hielt eine Ansprache an sie. Ich bemerkte darin, daß ihre schurkenhafte Handlungsweise mir vollständig bekannt sei. Ich wisse, daß sie mit dem Schiff entflohen und noch auf anderen Raub ausgegangen seien, daß aber die Vorsehung sie in ihrer eignen Schlinge gefangen und sie selbst in die von ihnen für Andere bereitete Grube habe fallen lassen. Auf meine Anordnung, sagte ich, sei das Schiff wieder erobert und liege jetzt auf der Rhede; sie würden demnächst ihren neuen Kapitän an der großen Raa baumeln sehen, auf daß er den gerechten Lohn seiner Schurkerei empfange. Hierauf fragte ich, was sie vorzubringen hätten dagegen, daß ich sie nicht gleichfalls als auf der That ertappte Seeräuber bestrafe, wozu mich meine amtliche Stellung unzweifelhaft berechtige.
Einer von ihnen antwortete im Namen der Uebrigen, sie hätten darauf Nichts weiter zu erwiedern, als daß ihnen bei ihrer Gefangennehmung Schonung ihres Lebens versprochen sei und daß sie mich demüthig um Gnade anflehten.
Darauf ich: »Ich weiß in der That nicht, was für eine Art von Gnade ich Euch erzeigen könnte. Denn was mich selbst angeht, so habe ich beschlossen, die Insel mit allen meinen Leuten zu verlassen und mich mit dem Kapitän nach England einzuschiffen. Der letztere kann Euch nicht mitnehmen, außer als Gefangene in Ketten, damit Euch für Eure Meuterei und die Desertion mit dem Schiffe der Prozeß gemacht wird. Das aber führt, wie Ihr selbst wissen werdet, nothwendig zum Galgen. Deshalb weiß ich nichts Besseres für Euch, als daß Ihr Euch entschließt, hier auf der Insel Euer Glück zu machen. Ist das der Fall, so bin ich nicht abgeneigt, da ich die Macht habe, über die Insel zu verfügen, Euch das Leben zu schenken, wenn Ihr glaubt, dasselbe auf diesem Eilande fristen zu können.«
Die Gefangenen schienen außerordentlich dankbar hierfür zu sein und versicherten mich, sie wollten es weit lieber riskiren, hierzubleiben, als in England gehängt zu werden. Daher ließ ich es hierbei sein Bewenden haben. Der Kapitän jedoch schien Schwierigkeit zu machen, als ob er die Gefangenen nicht hier lassen dürfe. Das ärgerte mich ein wenig, und ich bemerkte ihm, die Leute seien meine Gefangenen und nicht die seinigen. Wenn ich ihnen einmal Begnadigung zugesagt hätte, so sei ich auch gut für mein Wort. Wenn er es nicht zufrieden sei, so würde ich sie in Freiheit setzen, wie ich sie gefunden hätte, dann möge er sie sich wieder einfangen, wenn es ihm gelänge. Sodann ließ ich die dankerfüllten Gefangenen losbinden, befahl ihnen, sich in die Wälder zurückzuziehen und die Stelle wieder aufzusuchen, woher sie vor Kurzem gekommen seien; ich versprach ihnen einige Feuerwaffen und Munition zurückzulassen und ihnen Anweisung zu geben, wie sie ein ganz bequemes Leben führen könnten.
Hierauf bereitete ich mich vor, an Bord zu gehen, die folgende Nacht jedoch wollte ich noch auf der Insel verweilen und forderte daher den Kapitän auf, sich nach dem Schiffe zu begeben, dort Alles in Ordnung zu bringen, am nächsten Morgen das Boot für mich ans Land zu schicken und den erschossenen Kapitän an die Raa aufzuhängen, daß ihn die Leute auf der Insel sehen könnten.
Nachdem der Kapitän sich entfernt hatte, hieß ich die freigegebenen Gefangenen zu mir kommen und begann ein ernstliches Gespräch mit ihnen über ihre Zukunft. »Ihr habt«, sagte ich ihnen, »das Richtige gewählt; hätte Euch der Kapitän mitgenommen, so würdet Ihr sicherlich in England aufgehängt worden sein. Seht dort den Kapitän an der Schiffsraa baumeln. Das gleiche Loos hätte Euch erwartet.«
Sie erklärten Alle, daß sie sehr gern zurückblieben. Hierauf erzählte ich ihnen von meiner Ankunft und meinen Erlebnissen auf der Insel, zeigte ihnen meine Festungswerke, gab ihnen an, wie ich mein Brod bereitet, mein Getreide gesäet, meine Trauben behandelt hatte, kurz, ich wies sie auf Alles hin, was zu ihrer Behaglichkeit dienen konnte. Auch von den sechzehn Spaniern, deren Ankunft zu erwarten sei, sagte ich ihnen, ließ einen Brief an dieselben zurück und nahm den Verbannten das Versprechen ab, mit denselben alle meine Vorräthe zu theilen.
Dann gab ich ihnen meine Feuergewehre, fünf Musketen und drei Vogelflinten. Ferner erhielten sie drei Säbel und anderthalb Faß Pulver, denn so viel besaß ich noch, da ich nach den ersten Jahren nur wenig mehr gebraucht hatte. Auch beschrieb ich ihnen, wie ich die Ziegen behandelt, sie fett gemacht und gemolken und wie ich Butter und Käse bereitet hatte. Ich versprach, den Kapitän zu bereden, daß er ihnen noch weitere zwei Pulverfäßchen zurücklasse, sowie einige Sämereien, die mir sehr schwer abgegangen seien. Auch den Beutel mit Erbsen, den der Kapitän für mich mitgebracht hatte, gab ich ihnen und ermahnte sie, Sorge zu tragen, daß dieselben eingelegt würden und gehörigen Ertrag lieferten.
Nachdem dies Alles besorgt war, begab ich mich am nächsten Tage an Bord. Wir bereiteten uns vor, sofort unter Segel zu gehen, lichteten jedoch noch nicht an demselben Abend die Anker. Am nächsten Morgen früh kamen zwei von den Zurückgelassenen an das Schiff herangeschwommen, erhoben ein großes Klagegeschrei und baten um Gottes willen, an Bord genommen zu werden, wenn der Kapitän sie auch aufhängen lassen würde, denn sonst würden die drei Anderen sie ermorden. Der Kapitän erwiederte, er könne Nichts ohne meine Zustimmung thun. Nachdem ich dann noch einige Schwierigkeiten gemacht und ihnen das feierliche Versprechen der Besserung abgenommen, wurden sie an Bord gelassen und tüchtig durchgepeitscht. Sie zeigten sich später als ordentliche und ruhige Gesellen.
Einige Zeit darauf schickten wir zur Flutzeit das Boot an Land und ließen den Zurückgebliebenen die versprochenen Gegenstände überbringen, zu denen der Kapitän auf meine Veranlassung noch ihre Koffer und Kleidungsstücke gefügt hatte. Sie nahmen Alles dankbar auf. Auch ermuthigte ich sie, indem ich versprach, ihnen, wenn es in meiner Macht stünde, ein Schiff zuzuschicken, das sie mitnähme, und daß ich sie überhaupt nicht vergessen würde.
Beim Abschied von der Insel nahm ich als Erinnerungszeichen mit mir an Bord die große Ziegenfellmütze, die ich mir selbst gemacht hatte, sowie meinen Sonnenschirm und einen meiner Papageis. Auch das früher erwähnte Geld vergaß ich nicht. Es hatte so lange nutzlos dagelegen, daß es ganz schwarz geworden war und erst, nachdem es ein wenig gerieben worden, wieder für Silber gelten konnte. Ferner that ich auch das in dem Wrack des spanischen Schiffs gefundene Geld zu meinen Habseligkeiten.
So verließ ich denn (wie ich aus dem Schiffskalender ersah) am 19. December des Jahres 1684 das Eiland, nachdem ich achtundzwanzig Jahre zwei Monate und neunzehn Tage darauf zugebracht hatte. Meine Befreiung aus dieser zweiten Gefangenschaft fand an demselben Monatstage statt wie meine Flucht in dem Langboot von den Mohren zu Saleh. Nach langer Fahrt und nach fünfunddreißigjähriger Abwesenheit betrat ich am 11. Juni des Jahres 1685 wiederum die englische Erde.
Ich war in meinem Vaterlande aller Welt so fremd geworden, als ob ich nie mit Jemandem dort bekannt gewesen wäre. Meine treue Hauswirthin und Wohlthäterin, der ich mein Geld anvertraut hatte, lebte noch, war aber in großes Mißgeschick gerathen und befand sich, zum zweiten Male Wittwe geworden, in sehr dürftigen Umständen. Ich beruhigte sie in Bezug auf das, was sie mir schuldete, versicherte, daß ich sie darum nicht in Sorgen setzen wolle, erleichterte vielmehr zum Dank für ihre alte Liebe und Treue ihre Lage so gut, als meine geringen Mittel es damals gestatteten. Es war zwar nur wenig, was ich für sie thun konnte, doch sagte ich ihr zu, daß ich ihre frühere Freundlichkeit nicht vergessen werde. Das habe ich denn, wie an seiner Stelle erzählt werden soll, auch gehalten, sobald ich in die Lage kam, sie unterstützen zu können.
Bald darauf begab ich mich in die Grafschaft York. Mein Vater und meine Mutter waren gestorben, und von meiner ganzen Familie lebte Niemand mehr als zwei von meinen Schwestern und zwei Kinder des einen meiner Brüder. Da man mich schon seit langer Zeit für todt gehalten, war ich auch bei der Erbtheilung des väterlichen Nachlasses nicht berücksichtigt worden. So hatte ich denn so viel als Nichts zu meinem Lebensunterhalt, denn das wenige Geld, was ich bei mir führte, konnte nicht hinreichen, mir eine Existenz zu gründen.
Jetzt aber erfuhr ich einen unerwarteten Beweis von Dankbarkeit. Der Schiffskapitän, den ich nebst seinem Schiff und dessen Ladung so glücklich gerettet, hatte dem Schiffseigner einen getreuen Bericht von der Art, wie ich ihn und sein Fahrzeug erhalten hatte, abgestattet. Dieser nebst einigen andern betheiligten Kaufleuten forderten mich hierauf zu einer Zusammenkunft auf, sagten mir in dieser auf höfliche Weise ihren Dank und machten mir ein Geschenk von beinahe zweihundert Pfund Sterling.
Als ich nach reiflicher Ueberlegung einsah, wie wenig auch dieses Geld zur Sicherung meiner Existenz genügen könne, beschloß ich nach Lissabon zu reisen, um zu versuchen, ob ich dort nicht Kunde über den Zustand meiner Plantage in Brasilien erhalten und erfahren könne, was aus meinem Compagnon geworden sei. Bezüglich des letzteren mußte ich annehmen, daß er mich schon Jahre lang für todt gehalten habe. So schiffte ich mich denn nach Lissabon ein und kam im April daselbst an. Freitag begleitete mich getreulich auf allen meinen Fahrten und bewährte sich bei jeder Gelegenheit als ein zuverlässiger Diener. In der portugiesische Hauptstadt machte ich zu meiner großen Freude meinen alten Freund, jenen Schiffskapitän, ausfindig, der mich einst an der afrikanischen Küste in sein Fahrzeug aufgenommen hatte. Er war inzwischen ein Greis geworden, hatte das Seeleben aufgegeben und sein Schiff seinem auch schon bejahrten Sohne übergeben, welcher noch immer nach Brasilien Handel trieb. Der alte Mann erkannte mich anfangs nicht, wie auch ich ihn nur mit Mühe wieder erkannte. Jedoch erinnerte ich mich sehr bald seiner Züge, und auch in dem Gedächtniß des Kapitäns tauchte die Erinnerung an mich, sobald ich meinen Namen genannt, wieder auf.
Nachdem wir uns herzlich begrüßt, war begreiflicher Weise meine erste Frage nach meiner Plantage und nach meinem Compagnon. Der Alte erwiederte, er selbst sei seit fast neun Jahren nicht in Brasilien gewesen; bei seiner letzten Abreise von dort habe aber mein Compagnon noch gelebt; dagegen seien die beiden Leute, die ich ihm beigeordnet, um meine Interessen zu wahren, schon damals todt gewesen. Indeß glaube er, daß ich gute Kunde über das Wachsthum meiner Pflanzung erhalten würde. Denn nachdem man allgemein angenommen, ich sei bei einem Schiffbruch ertrunken, hätten meine beiden Vertrauensmänner die Berechnung über die Einkünfte meiner Pflanzung dem Fiscalprocurator übergeben, der für den Fall, daß ich nicht zurückkehre und es einfordere, mein Eigenthum zu einem Drittel an den König, zu zwei Dritteln an das Kloster des heiligen Augustinus abgeliefert habe; an das letztere, damit es zu Almosen und für die katholische Mission unter den Indianern verwendet werde. Käme ich aber oder ein von mir Bevollmächtigter, um die Hinterlassenschaft zu fordern, so würde dieselbe zurückerstattet werden, ausgenommen die zu mildthätigen Zwecken bereits verwendeten Beträge, welche nicht ersetzt werden könnten. Dabei versicherte er mich, der königliche Beamte, der die Staatseinkünfte zu verwalten habe, wie auch der Vorsteher jenes Klosters hätten stets mit großer Sorgfalt darauf gehalten, daß der Verwalter des Vermögens, das heißt mein Compagnon, alljährlich eine genaue Rechnung über die Einkünfte habe ablegen müssen, von denen sie dann die mir gehörige Hälfte pflichtschuldigst in Abzug gebracht hätten.
Ich fragte hierauf den Kapitän, ob er nicht wisse, daß und wie sich meine Pflanzung vergrößert habe, und ob er glaube, es verlohne sich der Mühe, daß ich sie einmal selbst in Augenschein nehme; ferner auch, ob, wenn ich dort hingekommen wäre, meiner Absicht, die mir gebührende Hälfte in Empfang zu nehmen, sich kein Hinderniß in den Weg stellen werde.
Hierauf erwiederte der Kapitän Folgendes: Er könne zwar nicht genau sagen, bis zu welchem Umfang sich die Pflanzung vergrößert habe, soviel aber wisse er, daß mein Partner von dem bloßen Ertrag der Hälfte sehr reich geworden sei. So viel er sich erinnern könne, meine er gehört zu haben, daß das dem Könige zugefallene Drittel meines Theiles, das, wie es schiene, einem andern Kloster oder einer Stiftung zugewiesen sei, jährlich über zweihundert Moidor betrage. Was die Wiedereinsetzung in den vollen Besitz meines Vermögens angehe, so sei dieselbe gar nicht zu bezweifeln, da mein Compagnon noch am Leben sei und meine Berechtigung bezeugen könne, wie ja auch mein Name in die königlichen Register und in das Staatsgrundbuch eingetragen sei. Auch die Nachkommen meiner zwei Bevollmächtigten seien sehr ehrbare und geachtete Leute und in besten Vermögensumständen. Wie er glaube, würden sie mir nicht nur zur Wiedererlangung meines Eigenthumes behülflich sein, sondern ich würde auch noch eine ansehnliche Geldsumme in ihren Händen finden, die mir gehöre, als Ertrag der Farm, seitdem diese von den Erblassern jener Männer in meinem Auftrag beaufsichtigt worden, bis zu dem Zeitpunkt, in dem jene, wie oben erwähnt, ihr Mandat niedergelegt hätten, was seinem Bedünkens vor etwa zwölf Jahren geschehen sei.
Ueber diesen Bericht war ich ein wenig betroffen und mißzufrieden. Ich fragte den alten Kapitän, wie es denn gekommen sei, daß meine Bevollmächtigten in solcher Weise über mein Vermögen hätten disponiren können, während ich doch, wie er wisse, ein Testament errichtet und darin ihn, den portugiesischen Kapitän, zum Universalerben eingesetzt hätte.
Er erwiederte, das sei zwar richtig; aber mein Tod sei nicht erwiesen gewesen, und er habe nicht eher als Testamentsvollstrecker verfahren können, bis irgend ein sicherer Bericht über mein Ableben vorgelegen haben würde. Ueberdies sei er auch nicht Willens gewesen, sich mit Dingen in so weiter Ferne zu befassen. Daher habe er nur mein Testament einregistriren lassen und seine Forderung angemeldet. Wäre er über meinen Tod oder darüber, daß ich noch lebe, sicher unterrichtet gewesen, so würde er durch einen Bevollmächtigten das Ingenio (so werden in Brasilien die Zuckerplantagen genannt) haben in Besitz nehmen lassen, welchen Auftrag sein jetzt in Brasilien befindlicher Sohn leicht hätte vollziehen können.
»Aber«, fügte der alte Mann hinzu, »ich habe Euch auch noch eine weitere Mittheilung zu machen, die Euch vielleicht weniger willkommen sein wird als die früheren. Da nämlich Euer Compagnon und Eure Bevollmächtigten ebenso wie alle anderen Leute glaubten, Ihr wäret gänzlich verschollen, so boten mir dieselben an, sie wollten mir auf Eure Rechnung die Renten der ersten sechs oder acht Jahre auszahlen, was ich denn auch angenommen habe. In jener Zeit aber waren gerade große Aufwendungen zur Vergrößerung der Plantage, z. B. zum Anbauen eines Ingenio, zum Ankauf von Sklaven und dergleichen mehr, nöthig gewesen, und daher belief sich damals der Ertrag bei weitem nicht so hoch, als es später der Fall war. Uebrigens«, so schloß der Kapitän, »werde ich Euch getreulich über das von mir in Empfang Genommene und über die Art, wie ich es verwendet habe, Rechnung ablegen.«
Nach einigen Tagen brachte mir denn auch mein alter Freund die Berechnung über die Einkünfte meiner Plantage aus den ersten sechs Jahren. Dieselbe war von meinem Compagnon und dem Mitbevollmächtigten unterzeichnet, und der Ertrag war dem Alten jedesmal in Naturalien überliefert worden, z. B. in Tabaksrollen, Zucker (nach Kisten berechnet), Rum, Syrup und was sonst aus einer Zuckerpflanzung gewonnen wird. Ich ersah aus der Rechnung, daß die Einkünfte alljährlich um ein Beträchtliches gestiegen waren. Da aber, wie erwähnt, die Unkosten bedeutend gewesen, so hatte sich die Einnahme anfangs nicht hoch belaufen. Nichtsdestoweniger konnte mir der alte Kapitän mittheilen, daß er mir vierhundertundsiebzig Moidor in Gold schulde, abgesehen von fünfzehn doppelten Rollen Tabak und sechzig Kisten mit Zucker, die in seinem Schiffe verloren gegangen seien, als er, etwa elf Jahre nach meiner Abreise von Brasilien, auf der Heimfahrt nach Lissabon Schiffbruch gelitten habe.
Der gute Alte erging sich hierauf in Klagen über sein Mißgeschick, das ihn genöthigt, mein Geld zum Ersatz seiner Verluste und zum Ankauf der Teilhaberschaft an einem neuen Schiff zu verwenden. »Jedoch«, fügte er hinzu, »sollt Ihr, alter Freund, in Eurer bedrängten Lage nicht darunter leiden, und sobald mein Sohn heimgekehrt ist, werde ich Euch vollständig befriedigen.« Hierbei holte er einen alten Beutel hervor und händigte mir hundertundsechzig portugiesische Moidor in Gold ein. Dann übergab er mir die Dokumente über seinen Antheil an dem Schiff, mit welchem sein Sohn nach Brasilien gegangen war und das ihm zu einem, seinem Sohne zum andern Viertel eigen gehörte. Die Urkunden sollten mir nämlich als Sicherheit für den Rest meiner Forderung dienen.
Die Ehrlichkeit und Freundlichkeit des alten Mannes hatten mir jedoch das Herz so bewegt, daß ich es nicht vermochte, sein Anerbieten anzunehmen. Die Erinnerung an das, was er für mich gethan, wie er mich einst in sein Schiff aufgenommen, wie großmüthig er sich bei jeder Gelegenheit gegen mich gezeigt und wie redlich er auch jetzt wieder mir gegenüber handelte, rührte mich so, daß ich mich kaum des Weinens enthalten konnte. Ich fragte ihn, ob es denn seine Lage erlaube, daß er sich für den Augenblick einer so großen Summe entäußere, und ob es ihn auch nicht in Verlegenheit setze. Er erwiederte, allerdings könne er nicht leugnen, daß es ihm ein wenig schwer falle. Allein es sei ja mein Geld, und ich würde es wohl noch nöthiger haben als er.
Alles, was der alte Mann sagte, hatte einen so herzlichen Ausdruck, daß ich nur mit Mühe dabei meine Thränen bezwang. Ich nahm nur hundert Stück von den Moidoren an, bat um Feder und Tinte, um dem Kapitän eine Quittung auszustellen, gab ihm hierauf den Rest zurück und erklärte, daß ich, wenn ich jemals wieder in Besitz meiner Pflanzung käme, ihm auch die andere Summe wieder zurückerstatten würde. Dies ist denn auch nachmals von mir geschehen. Die Urkunde über seinen Antheil an dem Schiffe seines Sohnes weigerte ich mich entschieden anzunehmen. »Wenn ich einmal des Geldes benöthigt sein werde«, sagte ich, »so weiß ich, daß Ihr ehrlich genug seid, es mir wieder zu bezahlen; bedarf ich es aber nicht und erhalte ich dasjenige wieder, worauf Ihr mir Hoffnung macht, so will ich nie auch nur einen Pfennig davon zurück haben.«
Hierauf fragte der alte Mann, ob er die nöthigen Schritte thun solle, damit ich wiederum in den Besitz meiner Plantage käme. Auf meine Erwiederung, daß ich selbst nach Brasilien zu gehen gedächte, antwortete er: »Das könnt Ihr freilich thun, wenn Ihr Lust dazu habt; aber auch ohne das gibt es Mittel genug, Euer Recht zu sichern und Euch direkt den Besitz Eurer Einkünfte zu verschaffen«. Da nun gerade auf der Rhede von Lissabon Schiffe nach Brasilien segelfertig lagen, ließ er meinen Namen in ein öffentliches Register eintragen und stellte in eidlicher Form ein Zeugniß aus, daß ich noch am Leben und daß ich diejenige Person sei, welche ehedem das Land zu der bewußten Pflanzung angekauft habe.
Diese Urkunde ließ er von einem Notar ordnungsmäßig unterzeichnen, und ich sendete sie hierauf, mit einer Vollmacht und einem von der Hand des Kapitäns abgefaßten Schreiben begleitet, an einen jenem bekannten brasilianischen Kaufmann. Bis eine Antwort über meine Angelegenheit eintreffe, sollte ich, so schlug der Kapitän vor, bei ihm wohnen.
Jene Vollmacht wurde in allergenauester Weise vollzogen. Noch vor Ablauf von sieben Monaten empfing ich ein dickes Packet von den Hinterbliebenen meiner Mandatare, nämlich jener Kaufleute, für deren Rechnung ich hatte nach Afrika gehen sollen. Das Packet enthielt folgende Briefe und Papiere:
Erstens ein Contocorrent über die Einkünfte meiner Pflanzung seit dem Rechnungsabschluß zwischen den Erblassern der Absender und meinem alten portugiesischen Kapitän, welche Abrechnung vor sechs Jahren stattgefunden hatte. Die Berechnung ergab einen Saldo von tausendeinhundertundsiebzig Moidor zu meinen Gunsten.
Zweitens eine Rechnung über weitere vier Jahre, während deren die Correspondenten mein Vermögen verwaltet hatten, bis zu dem Zeitpunkt, in welchem das Gouvernement meine Güter als die einer verschollenen oder, wie der Kunstausdruck lautet, als einer juristisch todten Person eingezogen hatte. Diese Rechnung ergab, da die Pflanzung sich inzwischen vergrößert hatte, für mich den Betrag von dreitausendzweihunderteinundvierzig Moidor.
Drittens eine Rechnung des Priors jenes Augustinerklosters, welcher länger als vierzehn Jahre hindurch einen Theil meiner Einkünfte bezogen hatte. Der Prior zeigte in redlicher Gewissenhaftigkeit an, daß nach Abzug des für das Hospital Verwendeten noch achthundertundzweiundsiebzig Moidor übrig seien, die mir als Eigenthum gehörten. Was dagegen den Antheil des Königs anlange, so würde davon Nichts zurückerstattet werden.
Ferner enthielt das Packet auch ein Schreiben meines Compagnons, welcher mir herzlich Glück dazu wünschte, daß ich noch am Leben sei, und mir Bericht erstattete über die Vergrößerung meiner Pflanzung und deren jährlichen Ertrag. Auch genaue Angaben über die Ackerzahl der Plantage, über die Art ihrer Bebauung und wie viel Sklaven darauf gehalten würden, enthielt der Brief. Mein Partner hatte darin zweiundzwanzig Kreuze gemalt mit der Bemerkung, daß er ebenso viel Ave Maria’s zur heiligen Jungfrau gebetet habe, aus Dankbarkeit dafür, daß ich noch am Leben sei. Auch lud er mich sehr dringend ein, nach Brasilien zu kommen und mein Eigenthum in Besitz zu nehmen. Einstweilen sollte ich ihm Auftrag geben, an wen er, so lange ich nicht selbst käme, meine Güter zu überliefern habe. Das Schreiben schloß mit den herzlichsten Versicherungen seiner Freundschaft und mit Grüßen seiner Familie. Als Geschenke waren demselben beigefügt sieben schöne Pantherfelle, die mein Compagnon, wie es schien, von Afrika erhalten, wohin er noch ein zweites Schiff abgesendet hatte, dem, wie es schien, eine bessere Reise beschieden gewesen war als einst mir. Auch fünf Kisten mit ausgezeichneten Delikatessen hatte mein Associé beigepackt nebst hundert ungeprägten Goldstücken, die beinahe so groß waren als Moidore. Mit demselben Schiff übersendeten die zwei Hinterbliebenen meiner Mandatare eintausendzweihundert Kisten mit Zucker und den Rest meines ganzen Guthabens in Gold.
Jetzt konnte ich wohl mit Recht sagen: Hiobs Ende ist besser gewesen als sein Anfang. Es ist unmöglich die Bewegung zu beschreiben, in die mein Herz gerieth, als ich jene Briefe las, und besonders als ich meinen ganzen Reichthum um mich versammelt hatte. Denn da die Schiffe von Brasilien immer flottenweise kommen, so langten mit den Briefen zugleich auch meine Güter an, und die letzteren lagen bereits sicher im Hafen, als mir erst die Briefe zu Handen kamen. Ich wurde bleich und unwohl vor Gemütsbewegung, und hätte der alte Mann nicht rasch einen Trunk zur Herzstärkung herbeigeholt, ich glaube, die plötzliche Freude würde mich überwältigt und auf der Stelle getödtet haben. Sogar nachher fühlte ich mich noch einige Stunden hindurch förmlich krank, bis ein herbeigeschaffter Arzt, nachdem er die Ursache meines Unwohlseins erfahren hatte, einen Aderlaß verordnete. Nach diesem bekam ich Erleichterung und fühlte mich besser; ich bin aber überzeugt, daß ich, wäre nicht auf solche Weise meinen Lebensgeistern Luft verschafft worden, vor übermäßiger Freude gestorben sein würde.
Ich sah mich nun plötzlich im Besitze von mehr als fünftausend Pfund Sterling in baarem Geld und eines Landgutes, wie ich es wohl nennen kann, in Brasilien. Das letztere ertrug mir auch über tausend Pfund jährlich, so sicher wie nur irgend ein Grundstück in England. Kurz, ich war jetzt in einer so guten Lage, daß ich kaum wußte, wie ich mich darin benehmen und wie ich sie recht genießen sollte. Das Erste, was ich that, war, daß ich meinen Hauptwohlthäter belohnte, den guten alten Kapitän, der zuerst in meinem Unglück Mitleid gezeigt hatte und von Anfang an gütig und bis zum Ende ehrlich und treu gegen mich gewesen war. Ich zeigte ihm Alles, was ich zugesandt erhalten hatte, und sagte ihm, daß ich es, nächst der göttlichen, Alles lenkenden Vorsehung, allein ihm zu danken habe, und daß es jetzt an mir sei, ihn reichlich zu belohnen.
Vor Allem gab ich ihm die hundert Goldstücke wieder, die ich von ihm erhalten hatte. Dann ließ ich einen Notar kommen und durch ihn einen in den bestimmtesten Ausdrücken gehaltenen Verzicht oder Nachlaßvertrag über die vierhundertundsiebzig Goldkronen, welche der Kapitän mir schuldig zu sein behauptete, aufsetzen. Ferner stellte ich eine Vollmacht aus, die jenen berechtigte, die jährlichen Einkünfte meiner Pflanzung für mich in Empfang zu nehmen. Das Dokument wies nämlich meinen Compagnon an, die Zahlungen an den Kapitän zu leisten und dieselben mit den regelmäßigen Postschiffen in meinem Namen an letzteren zu schicken. Die Vollmacht schloß mit einer Clausel, durch welche ich dem Kapitän hundert Goldstücke auf Lebenszeit aus den Erträgen der Waaren aussetzte und seinem Sohne nach ihm fünfzig, gleichfalls auf Lebenszeit. So vergalt ich meinem alten Freunde, was er an mir gethan hatte.
Es blieb mir nun zunächst zu überlegen, welchen Weg ich zur Verwerthung des Besitztums einschlagen sollte, das die Vorsehung so unerwartet mir anvertraut hatte. Wie viel mehr Sorgen überkamen mich jetzt als während meines stillen Lebens auf der Insel! Damals hatte ich Nichts, als was ich bedurfte; jetzt war ich zu großem Reichthum gelangt und mußte für dessen Erhaltung sorgen. Nun bot sich mir keine Höhle mehr, wo ich mein Geld verstecken konnte, kein Platz, wo es ohne Schloß und Riegel liegen durfte, bis es verschimmelte und verrostete, ehe irgend Jemand es angerührt hätte. Im Gegentheil wußte ich durchaus nicht, wo ich mein Geld hinlegen, oder wem ich es anvertrauen sollte. Mein alter Gönner, der ehrliche Kapitän, war die einzige Zuflucht, die mir blieb.
Zwar schien es zweckmäßig, daß ich mich zunächst zur Erledigung meiner brasilianischen Angelegenheiten dorthin begebe, aber vorläufig war gar nicht an eine Reise dahin zu denken, so lange ich nicht meine Geschäfte hier geordnet und meine Schätze sichern Händen übergeben hatte. Anfangs dachte ich an meine alte Freundin, die Wittwe, deren Ehrlichkeit ich kannte und von der ich wußte, daß sie treu gegen mich sein würde. Aber sie war alt und arm und konnte möglicherweise in Schulden gerathen sein. So blieb mir also nichts Anderes übrig, als selbst nach England zurückzukehren und meine Sachen dahin mitzunehmen.
Einige Monate gingen indessen darüber hin, ehe ich diesen Entschluß faßte. Jetzt, wo ich dem alten Kapitän seine früheren Wohlthaten reichlich und zu seiner Befriedigung vergolten hatte, gedachte ich auch der obengenannten armen Frau, deren Mann mein erster Wohlthäter gewesen und mir, so lange es ihm möglich gewesen war, mit Rath und That beigestanden hatte. Ich veranlaßte zunächst einen lissaboner Kaufmann, an seinen Korrespondenten in London zu schreiben, daß er ihr einen Wechsel auszahle, die Frau aufsuche und ihr in meinem Namen hundert Pfund in Gold überbringe, auch freundlich mit ihr rede und sie in ihrer Armuth mit der Versicherung tröste, daß sie, so lange ich lebe, noch fernere Unterstützungen erhalten werde. Zugleich sandte ich jeder meiner beiden in England wohnenden Schwestern hundert Pfund. Zwar lebten diese nicht in Dürftigkeit, aber sie waren doch auch nicht in glänzenden Verhältnissen. Die eine war verheirathet gewesen und jetzt Wittwe, die andere wurde von ihrem Manne nicht so gut behandelt, wie sie es verdiente.
Unter allen meinen Freunden und Verwandten jedoch wußte ich keinen, dem ich mein ganzes Vermögen anzuvertrauen gewagt hätte, so daß ich hätte nach Brasilien reisen und mein Hab und Gut in sicheren Händen zurücklassen können. Dieser Umstand machte mir große Sorgen. Früher war ich schon einmal Willens gewesen, mich ganz in Brasilien niederzulassen, denn ich hatte ja dort gewissermaßen meine Heimat. Aber allerlei religiöse Bedenken, von denen ich gleich mehr sagen werde, hatten mich damals davon zurückgehalten. Jetzt war es nicht die Religion in erster Linie, was mich bewog, nicht dahin zu reisen. So wenig ich mir früher Skrupel darüber gemacht hatte, mich öffentlich zu der Konfession des Landes zu halten, so lange ich dort lebte, ebensowenig würde ich jetzt davor Bedenken getragen haben. Nur daß ich, seitdem ich mehr darüber nachgedacht hatte, zuweilen, wenn es sich darum handelte, dort zu leben und zu sterben, anfing zu bereuen, daß ich mich jemals zur katholischen Kirche gehalten hatte. Ich hielt jetzt diesen Glauben nicht mehr für den besten, in dem man sterben kann.
Aber, wie gesagt, war dies nicht der Hauptgrund, der mich von der Reise nach Brasilien abhielt. Vielmehr lag dieser darin, daß ich wirklich nicht wußte, wem ich meine zurückbleibenden Sachen übergeben sollte. Daher beschloß ich endlich, sie mit nach England zu nehmen. Dort hoffte ich irgend eine zuverlässige Bekanntschaft zu machen, oder einen Verwandten aufzufinden, dem ich trauen könnte. So bereitete ich mich denn darauf vor, mit meinem ganzen Reichthum nach England zu reisen.
Ehe ich aber die Reise in die Heimat antrat, benutzte ich die eben abgehende Schiffspost nach Brasilien zur Beantwortung der treuen und gewissenhaften Berichte, die ich von dort erhalten hatte. An den Prior des Augustinerklosters schrieb ich einen Dankbrief für seine redliche Handlungsweise und für das Anerbieten der achthundertundzweiundsiebzig Goldkronen, indem ich auf dieselben verzichtete. Fünfhundert davon bestimmte ich dem Kloster, die übrigen dreihundertzweiundsiebzig sollten nach seinem Ermessen unter die Armen vertheilt werden. Daneben bat ich den guten Pater um seine Fürbitte für mich.
Alsdann verfaßte ich ein Schreiben an meine beiden Bevollmächtigten, worin ich ihnen meine volle Anerkennung für ihre große Gewissenhaftigkeit und Treue aussprach. Geschenke irgend einer Art konnte ich ihnen nicht anbieten, denn über dergleichen waren sie erhaben. Endlich schrieb ich noch an meinen Compagnon, lobte seinen Fleiß in der Verbesserung der Pflanzung und seine Zuverlässigkeit in Bezug auf den wachsenden Ertrag und gab ihm Anweisungen über die fernere Verwaltung meines Antheils, mit Rücksicht auf die Rechte, die ich meinem alten Freunde, dem Kapitän, zugestanden hatte. Diesem sollte mein Compagnon Alles, was mir zukommen würde, übersenden, bis er mündlich Weiteres von mir hören würde. Ferner theilte ich ihm mit, daß es meine Absicht sei, nicht nur vorübergehend zu ihm zu kommen, sondern mich sogar für den Rest meines Lebens ganz bei ihm niederzulassen. Dem Briefe fügte ich ein schönes Geschenk von italienischem Seidenzeug für seine Frau und seine beiden Töchter (der Sohn des Kapitäns hatte mir gesagt, daß er solche habe) bei, nebst zwei Stücken seinen Tuches, von dem besten, was ich in Lissabon bekommen konnte, sowie fünf Stücke schwarzen Wollenzeuges und brabanter Spitzen von beträchtlichem Werthe.
Nachdem ich diese Angelegenheiten geordnet, meine Ladung verkauft und mein ganzes Besitzthum in gute Wechsel umgetauscht hatte, überlegte ich, welchen Weg ich nach England einschlagen sollte. Ich war zwar hinlänglich an das Reisen zur See gewöhnt, dennoch aber fühlte ich eine große Abneigung dagegen, diesmal den Seeweg einzuschlagen. Einen bestimmten Grund dafür konnte ich freilich nicht angeben, aber meine Abneigung steigerte sich so, daß ich noch mehrmals, sogar als mein Gepäck schon eingeschifft war, meinen Entschluß änderte.
Es ist wahr, ich hatte schon viel Unglück auf der See gehabt, und die Erinnerung daran mochte wohl meinem Widerwillen zu Grunde liegen. Man sollte nie so starke Impulse des eigenen Gefühls in dergleichen wichtigen Lebensaugenblicken geringschätzen. Zwei von den Schiffen, die ich mir zur Reise ausersehen (in einem derselben hatte ich meine Sachen bereits eingeschifft gehabt, und bezüglich des anderen war ich schon mit dem Kapitän über die Reisebedingungen völlig einig gewesen) hatten auch wirklich Unglück auf der Reise; das eine wurde von den Arabern genommen, das andere scheiterte bei Torbay und die gesammte Mannschaft bis auf drei Leute ertrank. So wäre ich denn in jedem dieser Schiffe übel daran gewesen, und es ist schwer zu sagen, in welchem am schlimmsten.
Ein mir seit Langem bekannter Lootse, dem ich in meiner Bedrängniß mich anvertraute, drang ernstlich darauf, daß ich nicht zur See reisen sollte. Entweder, so rieth er mir, solle ich zu Lande bis nach Corogna und von dort über den Meerbusen von Biscaya nach Rochelle gehen, von wo aus die Reise nach Paris leicht und sicher sei, und dann weiter über Calais nach Dover reisen, oder aber sollte ich mich nach Madrid begeben und den ganzen Weg durch Frankreich zu Lande machen. Ich war so gegen jede Wasserreise eingenommen, daß ich mich entschloß, das Letztere zu wählen. Da ich weder Eile hatte, noch die Kosten zu scheuen brauchte, so war dies auch bei weitem der angenehmste Weg. Zur Erhöhung der Annehmlichkeit führte mir mein alter Kapitän einen Engländer zu, den Sohn eines lissaboner Kaufmanns, der sich bereit erklärte, mich zu begleiten. Später fanden sich noch zwei englische Kaufleute und zwei junge Portugiesen (welche letztere übrigens nur bis Paris mitgingen), so daß wir zusammen sechs Herren und fünf Diener waren. Die zwei Kaufleute und die beiden Portugiesen begnügten sich zu je zweien mit einem Diener, um die Kosten zu sparen; was mich selbst betraf, so hatte ich neben Freitag, der zu landesunkundig war, um diese Stelle unterwegs versehen zu können, als Bedienten einen englischen Matrosen angenommen.
So reisten wir denn von Lissabon ab. Unsere Reisegesellschaft war sehr gut beritten und bewaffnet. Wir bildeten eine förmliche kleine Kompagnie, und meine Gefährten thaten mir die Ehre an, mich zum Hauptmann derselben zu ernennen, und zwar erstens, weil ich der Aelteste von uns sei, und zweitens, weil ich zwei Bedienten hätte. In der That war ja auch von mir die Veranlassung zu der ganzen Reise ausgegangen.
Wie ich den Leser nicht mit dem Inhalt meiner Seetagebücher behelligt habe, will ich ihn auch nicht mit der ausführlichen Beschreibung meiner Landreise langweilen. Einige Abenteuer aber, die uns auf der langwierigen und beschwerlichen Reise begegnet sind, mag ich doch nicht ganz übergehen.