Das Geheimniß Myladys.
D’Artagnan hatte das Hotel verlassen, statt sogleich zu Ketty hinaufzugehen, um hier die Stunde seiner Unterredung mit Mylady abzuwarten, und dies aus zwei Gründen: einmal vermied er auf diese Art die Vorwürfe, den Tadel und die Bitten des jungen Mädchens, und dann war es ihm nicht unangenehm, Zeit zu kalter Ueberlegung zu haben, um wo möglich in die Gedanken dieser Frau einzudringen.
Am klarsten war ihm dabei, daß er sich der Gefahr aussetzte, wahnsinnig in Mylady verliebt zu werden, und daß sie ihn im Gegentheil ganz und gar nicht liebte und nie lieben würde. Einen Augenblick sah er ein, daß es das Gescheiteste wäre, wenn er nach Hause kehrte, einen langen Brief schriebe und gestände, er und der Graf von Wardes seien für sie bis jetzt eine und dieselbe Person; er könne daher, wenn er sich nicht eines Selbstmordes schuldig machen wolle, die Verbindlichkeit nicht übernehmen, den Grafen von Wardes zu tödten, über den sie sich ihrer Behauptung nach zu beklagen habe; aber mit der Ueberzeugung, daß sie ihn haßte, und nur als ein feiles Werkzeug ihrer Rache betrachtete, das sie nach dem Gebrauch zerbrechen würde, kehrte auch das Verlangen, für sich selbst Rache zu üben, in sein Herz zurück. Er wollte diese Frau beherrschen, die mit ihm spielte und ihn als Mitschuldige an der Entführung von Madame Bonacieux in seiner reinen aufrichtigen Liebe verletzt hatte.
Er ging, durch entgegengesetzte Gefühle in Bewegung erhalten, fünf bis sechsmal auf der Place Royale umher, und wandte sich von zehn zu zehn Schritten zurück, um das Licht in Myladys Zimmer zu betrachten, das man durch die Jalousien erblickte; offenbar hatte die junge Frau diesmal weniger Eile, in ihr Zimmer zurückzukehren, als das erste Mal.
Endlich schlug es elf Uhr.
Bei diesem Getöne entwich alle Unentschlossenheit aus dem Herzen d’Artagnans. Er erinnerte sich der Einzelheiten der Unterredung, die so eben zwischen Mylady und ihm stattgefunden hatte, und in einer, unter solchen Umständen so häufig vorkommenden raschen Wendung des Entschlusses trat er mit klopfendem Herzen und entzündetem Kopfe in das Hotel und stürzte in Kettys Zimmer.
Das junge Mädchen wollte, bleich wie der Tod, an allen Gliedern zitternd, d’Artagnan zurückhalten, aber Mylady mit ihren lauernden Ohren hatte das durch seinen Eintritt verursachte Geräusch vernommen, öffnete die Thüre und hieß ihn hereinkommen.
D’Artagnan hatte seine Vernunft verloren, er glaubte von einer jener phantastischen Itriguen fortgezogen zu werden, wie sie uns im Traume vorkommen. Der Anziehungskraft weichend, welche der Magnet auf das Eisen ausübt, ging er auf Mylady zu.
Die Thüre schloß sich hinter ihm.
Ketty stürzte ebenfalls nach der Thüre.
Die Eifersucht, die Wuth, der beleidigte Stolz, alle Leidenschaften, welche sich in dem Herzen eines verliebten weiblichen Wesens streiten, trieben sie zu einer Offenbarung; aber sie war verloren, wenn sie zugestand, daß sie die Hände bei einer solchen Machination im Spiele gehabt hatte, und was mehr als Alles in Betracht kam, – d’Artagnan war für sie verloren; dieser letzte Liebesgedanke rieth ihr, noch ein Opfer zu bringen.
D’Artagnan überließ sich seiner Seite ganz der Eingebungen seiner Eitelkeit. Es war nicht mehr ein Nebenbuhler, den man in ihm liebte, sondern es hatte das Ansehen, als liebte man ihn selbst. Eine geheime Stimme sagte ihm wohl im Hintergrund seines Herzens, er sei nur die Waffe, die man liebkose, bis sie den Tod gegeben habe; aber der Stolz, die Eigenliebe, die Tollheit brachten diese Stimme zum Schweigen, erstickten dieses Gemurmel. Dann verglich sich der Gascogner vermöge seiner bekannten Dosis von Selbstvertrauen mit dem Grafen von Wardes und fragte sich, warum man nicht am Ende ihn selbst um seiner selbst willen lieben könnte.
Durch das Blendwerk dieser Gedanken war Mylady für ihn nicht mehr das Weib mit den unseligen Absichten, die ihn einen Augenblick vorher erschreckt hatten; sie war eine reizende Frau, welche die Liebe selbst zu fühlen versprach, die sie einflößte.
Aber Mylady, welche nicht dieselben Gründe zum Vergessen hatte, wie d’Artagnan, entzog ihn bald seinen Betrachtungen und rief ihn zu der Wirklichkeit dieser Zusammenkunft zurück; sie fragte ihn, ob die Maßregeln, welche am andern Tage einen Streit zwischen ihm und dem Grafen von Wardes herbeiführen sollten, bereits in seinem Kopfe festgestellt seien.
D’Artagnan jedoch, dessen Gedanken einen ganz andern Gang genommen hatten, vergaß sich wie ein Thor und antwortete schmeichelnd: in ihrer Nähe, wo er sich ganz nur dem Glück hingebe, sie zu hören und zu sehen, könne er sich unmöglich mit Duellen und Degenstößen beschäftigen.
Diese Kälte für das einzige Interesse, von dem sie in Anspruch genommen war, erschreckte Mylady, deren Fragen dringender wurden.
D’Artagnan hatte nie ernstlich an dieses Duell gedacht: er wollte dem Gespräch eine andere Wendung geben, aber es lag nicht in seinen Kräften.
Mylady hielt die Unterredung innerhalb der Gränzen, die sie zum Voraus mit ihrem unwiderstehlichen Geist und mit ihrem eisernen Willen festgesetzt hatte.
D’Artagnan hielt sich nun für sehr geistreich, indem er Mylady rieth, Wardes zu vergeben und auf ihre wüthenden Pläne Verzicht zu leisten.
Aber bei den ersten Worten, die er sprach, nahm das Gesicht der jungen Frau einen finsteren Ausdruck an.
»Habt Ihr vielleicht Furcht, lieber Herr d’Artagnan?« rief sie in einem spitzigen, spöttischen Tone, der seltsam in den Ohren des jungen Mannes klang. – »Das kann nicht Euer Ernst sein, meine theure Seele,« erwiderte d’Artagnan; »aber wenn dieser arme Graf Wardes am Ende minder schuldig wäre, als Ihr glaubt?« – »In jedem Fall,« versetzte Mylady ernst, »in jedem Fall hat er mich getäuscht, und von dem Augenblick an, wo er mich getäuscht hat, verdient er den Tod.« – »Er wird also sterben, da Ihr ihn verurtheilt,« sprach d’Artagnan mit so festem Tone, daß dieser Mylady als der Ausdruck einer jede Prüfung bestehenden Ergebenheit erschien.
Alsbald lächelte sie ihm von Neuem zu.
»Ja ich bin ganz bereit,« rief nun d’Artagnan in unwillkürlicher Begeisterung; »aber zuvor wünschte ich einer Sache gewiß zu sein.« – »Und welcher?« fragte Mylady. – »Daß Ihr mich liebt.« – »Eure Anwesenheit dahier scheint mir der beste Beweis zu sein,« antwortete sie mit scheinbarer Verlegenheit. – »Ja; ich bin auch Euer mit Leib und Seele. Verfügt über meinen Arm!« – »Ich danke, mein tapferer Vertheidiger, und eben so, wie ich Euch meine Liebe dadurch beweise, daß ich Euch hier empfange, eben so werdet Ihr mir die Eurige beweisen, nicht wahr?« – »Ganz gewiß. Aber wenn Ihr mich liebt, wie Ihr mir sagt, habt Ihr nicht ein wenig bange für mich?« – »Was sollte ich fürchten?« – »Daß ich gefährlich verwundet, sogar getödtet werde?« – »Unmöglich!« sprach Mylady, »Ihr seid ein so muthiger Mann, ein so geschickter Degen!« – »Ihr würdet also ein Mittel nicht vorziehen, das Euch rächte, während der Kampf dabei überflüssig wäre?«
Mylady schaute den jungen Mann stilleschweigend an; ihre klaren Augen hatten einen seltsam düsteren Ausdruck angenommen.
»In der That,« sprach sie, »ich glaube, Ihr zaudert abermals!«– »Nein, ich zaudere nicht, aber es thut mir in der That leid um den armen Grafen von Wardes, seitdem Ihr ihn nicht mehr liebt, und es scheint mir, ein Mann muß schon durch den Verlust Eurer Liebe so grausam bestraft sein, daß er keiner anderen Züchtigung mehr bedarf.« – »Wer sagt Euch, daß ich ihn geliebt habe?« fragte Mylady. – »Wenigstens kann ich jetzt ohne zu große Abgeschmacktheit glauben, daß Ihr einen Andern liebt,« sprach der junge Mann in höflichem Tone, »und ich wiederhole Euch, ich interessire mich für den Grafen.« – »Ihr?« fragte Mylady. – »Ja, ich.« – »Und warum Ihr?« – »Weil ich allein weiß …« – »Was?« – »Daß er bei weitem nicht so schuldig gegen Euch ist, oder war, als es scheint.« – »In der That?« sprach Mylady mit unruhiger Miene, »erklärt Euch, denn ich weiß wahrhaftig nicht, was Ihr damit sagen wollt.«
Und sie schaute d’Artagnan mit Augen an, in denen sich allmälig ein düsteres Feuer entzündete.
»Ja, ich bin ein Mann von guter Lebensart,« sprach d’Artagnan, entschlossen ein Ende zu machen, »und seitdem Ihr mir Eure Liebe gestanden habt, seitdem ich ihres Besitzes gewiß bin, denn nicht wahr, ich besitze sie?« – »Ganz und gar. Fahrt fort.« – »Seitdem fühle ich mich verwandelt. Ein Geständniß bedrückt mich.« – »Ein Geständniß?« – »Hätte ich an Eurer Liebe gezweifelt, so würde ich es nicht abgelegt haben, aber Ihr liebt mich, nicht wahr, Ihr liebt mich?« – »Allerdings.« – »Wenn ich mich also aus maßloser Liebe zu Euch vergangen hätte, würdet Ihr mir vergeben?« – »Vielleicht. Aber das Geständniß,« sprach sie erbleichend, »was habt Ihr mir zu gestehen?« – »Ihr hattet am vorigen Donnerstag dem Grafen Wardes in diesem Zimmer Rendezvous gegeben, nicht wahr?« – »Ich! nein! das ist nicht der Fall!« sprach Mylady mit so fester Stimme und mit solcher Ruhe im Gesicht, daß d’Artagnan, wenn er nicht vollkommene Gewißheit gehabt hätte, gezweifelt haben würde. – »Lügt nicht, mein schöner Engel, es wäre unnütz,« sprach d’Artagnan und zwang sich dabei zu einem Lächeln. – »Wie so? sprecht doch! Ihr peinigt mich zu Tode.« – »Dieser Ring – ist in meinen Händen. Der Graf von Wardes vom Donnerstag und d’Artagnan von heute sind eine und dieselbe Person.«
Der Unkluge erwartete ein Staunen vermischt mit Scham, einen kleinen Sturm, der sich in Thränen auflösen würde; aber er täuschte sich gewaltig, und sein Irrthum währte nicht lange.
Bleich und furchtbar erhob sich Mylady und wollte d’Artagnan, der in ihrer Nähe war, durch einen heftigen Schlag auf die Brust zurückstoßen und sich von ihm entfernen. D’Artagnan hielt sie am Kleide zurück, um ihre Vergebung zu erflehen, aber mit einer kräftigen, entschlossenen Bewegung suchte sie zu entfliehen. Da zerriß das Kleid oben am Leibe und d’Artagnan erblickte auf einer von ihren schönen Schultern, welche nun entblößt war, zu seinem unaussprechlichen Schrecken die Lilie, das nie zu tilgende Mal, das die Hand des Henkers ausdrückt.
»Großer Gott!« rief er, das Kleid aus den Händen lassend, und blieb stumm, unbeweglich, zu Eis geworden an seiner Stelle.
Aber Mylady fühlte sich gerade durch den Schrecken d’Artagnan’s verrathen. Ohne Zweifel hatte er Alles gesehen; der junge Mann wußte nun ihr Geheimniß, ein furchtbares Geheimniß, das außer ihr der ganzen Welt unbekannt war.
Sie wandte sich um, nicht mehr wie ein wüthendes Weib, sondern wie ein verwundetes Panterthier.
»Ha! Elender!« sprach sie, »Du hast mich feig verrathen, und mehr noch. Du bist im Besitze meines Geheimnisses! Du sollst sterben!«
Und sie lief nach einem kleinen Kistchen mit eingelegter Arbeit, das auf ihrer Toilette stand, öffnete es mit fieberhaft zitternder Hand, zog einen kleinen Dolch mit goldenem Griff und dünner spitziger Klinge heraus und stand mit einem Sprunge wieder vor d’Artagnan, welcher sitzen geblieben war.
Obgleich der junge Mann viel Muth besaß, erschrak er doch vor diesem verstörten Gesichte, diesen hervortretenden Augen, diesen bleichen Wangen, diesen blutigen Lippen; er stand auf und wich zurück, wie vor einer Schlange, die auf ihn zugekrochen wäre, fuhr instinktmäßig mit seiner von Schweiß befeuchteten Hand an den Degen und zog ihn aus der Scheide.
Aber ohne durch den Anblick der blanken Klinge beunruhigt zu werden, rückte Mylady auf ihn zu, um ihm einen Stoß beizubringen, und hielt nicht eher stille, als bis sie die Spitze der Klinge auf ihrer Brust fühlte.
Nun suchte sie den Degen mit ihren Händen zu fassen, aber d’Artagnan entzog ihn fortwährend ihren Griffen, streckte ihr denselben, ohne zu stoßen, bald gegen die Brust, bald gegen die Augen entgegen und wich immer mehr zurück, in der Absicht, die Thüre zu suchen, welche zu Ketty führte, und durch diese seinen Rückzug zu nehmen.
Mylady drang während dieser Zeit mit furchtbarer Anstrengung und einem wahren Löwengebrülle auf ihn ein.
Da dies jedoch am Ende wie ein Duell aussah, so beruhigte sich d’Artagnan nach und nach.
»Gut, schöne Dame, gut,« sprach er; »aber ich bitte Euch um Gotteswillen, besänftigt Euch, oder ich zeichne eine zweite Lilie auf Eure andere Schulter.«
»Heilloser, Elender!« heulte Mylady.
Doch fortwährend die Thüre suchend, war d’Artagnan nur auf seine Vertheidigung bedacht.
Bei dem Geräusch, das sie durch das Umwerfen der Gerätschaften verursachten, sie, um zu ihm zu gelangen, er, um sich hinter dem Geräthe vor ihr zu schützen, öffnete Ketty die Thüre. D’Artagnan, der beständig manövriert hatte, um sich der Thüre zu nähern, war nur noch drei Schritte von dieser entfernt. Mit einem einzigen Sprung warf er sich aus dem Zimmer Mylady’s in das der Zofe, und verschloß schnell wie der Blitz die Thüre wieder, gegen die er sich mit seiner ganzen Macht stützte, während Ketty die Riegel vorstieß.
Dann suchte Mylady die Thüre zu sprengen und zwar mit Kräften, welche weit über das gewöhnliche Maß einer Frau gingen. Da sie fühlte, daß dies unmöglich war, so versetzte sie der Thüre Dolchstöße, von denen einige das Holz in seiner ganzen Dicke durchdrangen.
Jeder Stoß war von einer furchtbaren Verwünschung begleitet.
»Geschwind, geschwind, Ketty,« sprach d’Artagnan mit leiser Stimme, »mach‘, daß ich aus diesem Hotel komme; denn wenn wir ihr Zeit gönnen, sich umzudrehen, läßt sie mich durch ihre Bedienten tödten. Eilen wir, verstehst Du wohl, es hängt Leben und Tod davon ab!«
Ketty verstand nur zu gut. Sie führte ihn in der Dunkelheit über die Stufen hinab. Es war die höchste Zeit. Mylady hatte bereits geschellt und weckte das ganze Haus auf; der Portier zog auf die Stimme Ketty’s in demselben Augenblicke die Schnur, wo Mylady »Oeffnet nicht!« rief.
Der junge Mann floh, während sie ihn mit einer ohnmächtigen Geberde bedrohte. In der Sekunde, in der sie ihn aus dem Gesicht verlor, stürzte sie ohnmächtig in ihrem Zimmer nieder.