Von Aramis hatte d’Artagnan erfahren, daß Porthos sich nach dem Namen eines seiner Güter de Bracieux nannte und wegen dieses Gutes einen Prozeß mit dem Bischof von Noyon führte. Er mußte also dieses Gut in der Gegend von Noyon, das heißt an der Grenze der Picardie suchen.

Planchet, der sich noch nicht ohne Gefahr glaubte in Paris wieder zeigen zu dürfen, erklärte, er werde d’Artagnan bis ans Ende der Welt folgen. Er bat nur seinen ehemaligen Herrn, abends abzureisen, weil die Finsternis mehr Sicherheit biete.

So schlugen sie abends acht Uhr von der Rehziege die Straße nach Dammartin ein, wo der Weg sich gabelte und also Erkundigungen eingezogen werden mußten. Sie erhielten auch in der Herberge die bereitwillige Auskunft, das Gut Bracieux liege einige Meilen von Villers-Cotterets entfernt.

D’Artagnan kannte Villers-Cotterets, wohin er zwei- oder dreimal dem Hof gefolgt war; denn zu jener Zeit war Villers-Cotterets eine königliche Residenz. Er ritt also nach dieser Stadt zu und stieg in seinem gewöhnlichen Gasthause, das heißt im Goldenen Delphin, ab.

Hier teilte man ihm mit, bis Bracieux habe er noch einen Weg von vier Meilen, daß er aber Porthos dort nicht suchen dürfe. Porthos lag wirklich im Streite mit dem Bischof wegen des Gutes Pierrefonds, das an das seinige grenzte. Um allen Prozessen, von denen er nichts verstand, ein Ende zu bereiten, hatte er Pierrefonds gekauft und daher diesen neuen Namen seinen alten beigefügt. Er nannte sich nun du Vallon de Bracieux de Pierrefonds und wohnte auf seinem neuen Eigentum.

Man mußte bis zum andern Morgen warten. Die Pferde hatten zehn Meilen in einem Tage zurückgelegt und waren müde. Allerdings hätte man andere nehmen können, aber man mußte durch einen großen Wald reiten, und Planchet liebte bekanntlich die Wälder bei Nacht nicht. Außerdem liebte er auch nicht das Reisen mit nüchternem Magen, und als d’Artagnan aufwachte, fand er daher sein Frühstück völlig bereit. Sie brachen also erst um neun Uhr auf.

Es war ein schöner Frühlingsmorgen. Die Vögel sangen in den großen Bäumen, breite Sonnenstrahlen schossen durch die Lichtungen und erschienen wie Vorhänge von Goldgaze. An andern Stellen drang das Licht kaum durch das dicke Gewölbe der Blätter, und die Stämme der alten Eichen waren in Schatten getaucht. Ein herzerquickender Wohlgeruch von Kräutern, Blumen und Blättern stieg empor, und d’Artagnan dachte, wenn man drei aufeinandergepfropfte Herrschaftsnamen führe, müsse man in einem solchen Paradiese sehr glücklich sein. Dann schüttelte er den Kopf und sprach: Wenn ich Porthos wäre und d’Artagnan käme zu mir und machte mir einen Vorschlag, wie ich ihn Porthos machen will, so wüßte ich wohl, was ich d’Artagnan antworten würde.

Planchet dachte nichts, er verdaute.

Am Saume des Waldes gewahrte d’Artagnan den Weg, den man ihm bezeichnet hatte, und am Ende des Weges die Türme eines ungeheuren feudalen Schlosses.

Oh, oh! murmelte er, es scheint mir, dieses Schloß gehörte dem älteren Zweige der Orleans. Sollte Porthos mit dem Herzog von Longueville unterhandelt haben?

Meiner Treu, gnädiger Herr, sagte Planchet, das sind gut gebaute Anwesen, und wenn sie Herrn Porthos gehören, so werde ich ihm mein Kompliment machen.

Pest! rief d’Artagnan, nenne ihn nicht Porthos, auch nicht einmal du Vallon, sondern de Bracieux oder de Pierrefonds. Meine Botschaft ist sonst verfehlt.

Am Ende des Weges eröffnete sich vor d’Artagnan ein reizendes Tal, in dessen Hintergrund man an einem niedlichen kleinen See einige zerstreute Häuser ruhen sah, die niedrig und teils mit Ziegeln, teils mit Stroh bedeckt, als souveränen Gebieter ein hübsches, in der Zeit Heinrichs IV. erbautes, von Wetterfahnen überragtes Schloß anzuerkennen schienen. Diesmal zweifelte d’Artagnan nicht, daß er Porthos‘ Wohnung vor Augen hatte.

Der Weg führte geradezu nach dem hübschen Schlosse, das sich zu seinem Ahnherrn, dem Schlosse auf dem Berg, ungefähr so verhielt wie ein Modeherr zu einem eisengeharnischten Ritter. D’Artagnan setzte sein Pferd in Trab und folgte dem Weg; Planchet regelte den Schritt seines Kleppers nach dem seines Herrn.

Nach zehn Minuten fand sich d’Artagnan am Ende einer regelmäßig gepflanzten Allee von schönen Pappelbäumen, die nach einem eisernen Gitter ausmündete, dessen Spieße und Querbänder vergoldet waren.

Mitten in dieser Allee erblickte man einen Herrn, der grün und golden anzuschauen war, wie das Gitter. Er saß auf einem dicken Rosse. Zu seiner Rechten und zu seiner Linken waren zwei galonierte Bediente. Eine große Anzahl von Leuten, die sich um ihn versammelt hatten, machten ehrfurchtsvolle Verbeugungen vor ihm.

Ah, sagte d’Artagnan zu sich selbst, sollte dies der edle Herr du Vallon de Bracieux de Pierrefonds sein? Ei, mein Gott, wie er zusammengeschrumpft ist, seit er sich nicht mehr Porthos nennt!

Vielleicht ist er es nicht, sprach Planchet, die Frage beantwortend, die d’Artagnan an sich selbst gestellt hatte. Herr Porthos war beinahe sechs Fuß hoch, und dieser hat kaum fünf.

Man macht indessen sehr tiefe Verbeugungen vor diesem Herrn, versetzte d’Artagnan.

Als die beiden Reiter näher kamen, wandte sich der Mann zu Pferde langsam und mit sehr vornehmer Miene um, und die Reisenden konnten die großen funkelnden Augen, das pausbackige Gesicht und das so beredte Lächeln Mousquetons sehen.

Es war wirklich Mousqueton, der speckfette und von Gesundheit strotzende Mousqueton. Ganz das Widerspiel von dem heuchlerischen Bazin, glitt er, sobald er d’Artagnan erkannte, flugs von seinem Pferd herab und ging, mit dem Hut in der Hand, auf den Offizier zu, so daß die Ehrfurchtserweisungen der Versammelten sich der neuen Sonne zuwandten, welche die alte verdunkelte.

Herr d’Artagnan, Herr d’Artagnan! rief Mousqueton fortwährend mit seinen dicken Backen und schweißtriefend vor Eifer. Ah, welche Freude für meinen gnädigen Herrn und Meister, Herrn du Vallon de Bracieux de Pierrefonds!

Der gute Mousqueton! Dein Herr ist also hier!

Ihr seid auf seinen Besitzungen.

Aber wie schön, wie fett, wie blühend du aussiehst! sprach d’Artagnan, immer noch erstaunt den ehemaligen Ausgehungerten betrachtend.

Ah, ja, Gott sei Dank, gnädiger Herr, ich befinde mich ziemlich wohl, sprach Mousqueton.

Aber sagst du gar nichts zu deinem Freunde Planchet?

Zu meinem Freunde Planchet! Planchet, solltest du es etwa sein? rief Mousqueton, die Arme öffnend und die Augen voll Tränen.

Planchet und Mousqueton umarmten sich mit rührender Innigkeit. Und nun, gnädiger Herr, sagte Mousqueton, sich von der Umarmung Planchets losmachend, der vergebens versucht hatte, seine Hände hinter dem Rücken seines Freundes zusammenzubringen, erlaubt mir, Euch zu verlassen, denn mein Gebieter soll die Kunde von Eurer Ankunft von keinem andern, als von mir erhalten. Er würde mir nie vergeben, wenn ich einen andern zuvorkommen ließe.

Dieser liebe Freund, sagte d’Artagnan, hat mich also nicht vergessen?

Vergessen! er! rief Mousqueton, das heißt, es ist kein Tag vergangen, wo wir nicht die Nachricht erwarteten, Ihr seiet entweder für Herrn von Gassion oder für Herrn von Bassompierre zum Marschall ernannt worden.

Und ihr, Bauern, fuhr Mousqueton, sein Pferd besteigend, fort, bleibt bei dem Herrn Grafen d’Artagnan und erweist ihm jede Ehre, während ich den gnädigen Herrn auf seine Ankunft vorbereite.

Ah, das kündigt sich gut an, sagte d’Artagnan. Hier finden sich keine Geheimnisse, keine Politik. Man lacht aus vollem Halse, man weint vor Freude. Die Natur selbst kommt mir festtäglich vor, es ist mir, als wären die Bäume, statt mit Blüten und Blättern, mit grünen und rosenfarbigen Bändchen bedeckt.

Und mir, sagte Planchet, mir kommt es vor, als röche ich von hier aus den köstlichsten Bratenduft, als erblickte ich Küchenjungen, die sich in Reihe und Glied aufstellen, um uns vorüberziehen zu sehen. Ah! gnädiger Herr, welchen Koch muß Herr de Pierrefonds haben, der schon so gern gut und viel aß, als man ihn nur Herr Porthos nannte.

Halt! sagte d’Artagnan, du machst mir bange. Wenn die Wirklichkeit dem Anschein entspricht, so bin ich verloren. Ein so glücklicher Mann wird seine herrliche Lage nie verlassen, und ich scheitere bei ihm, wie ich bei Aramis gescheitert bin.

D’Artagnan ritt durch das Gitter und befand sich vor dem Schlosse. Er sprang zu Boden, als eine riesige Gestalt auf der Freitreppe erschien. Zu d’Artagnans Ehre müssen wir mitteilen, daß ihm, mit Hintansetzung aller selbstsüchtigen Ideen, beim Anblick dieser hohen Gestalt und des martialischen Gesichtes, das ihn an einen braven, guten Kerl erinnerte, das Herz gewaltig schlug.

Er lief auf Porthos zu und stürzte sich in seine Arme. In ehrerbietiger Entfernung einen Kreis bildend, schaute das ganze Gesinde mit demütiger Neugierde zu. Mousqueton trocknete sich in der ersten Reihe die Augen. Der arme Bursche weinte unaufhörlich, seitdem er d’Artagnan und Planchet wiedererkannt hatte.

Porthos nahm seinen Freund beim Arme.

Ah! welche Freude, Euch wieder zu sehen, lieber d’Artagnan! rief er mit einer Stimme, die sich vom Bariton in Baß verwandelt hatte. Ihr habt mich also nicht vergessen?

Euch vergessen! Ach, lieber du Vallon, vergißt man die schönsten Tage seiner Jugend, seine ergebensten Freunde und die gemeinschaftlich bestandenen Gefahren? Während ich Euch wiedersehe, gibt es keinen Augenblick unserer alten Freundschaft, der mir nicht vor die Augen träte.

Ja, ja, sprach Porthos und versuchte es, seinem Schnurrbart die kokette Drehung zu geben, die er in der Einsamkeit verloren hatte. Ja, wir haben unserer Zeit schöne Dinge gemacht und dem Kardinal Nüsse aufzuknacken gegeben.

Und er stieß einen Seufzer aus. D’Artagnan schaute ihn an.

In jedem Fall, fuhr Porthos mit betrübtem Tone fort, seid mir willkommen, mein Freund. Ihr werdet mir wieder zu einiger Fröhlichkeit verhelfen. Wir jagen morgen den Hasen in meinen schönen Feldern oder das Reh in meinen herrlichen Waldungen. Ich besitze vier Windhunde, welche für die leichtesten der Provinz gelten, und eine Meute, die ihresgleichen auf zwanzig Meilen in der Runde nicht hat.

Und Porthos stieß einen zweiten Seufzer aus.

Oh! oh! sagte d’Artagnan ganz leise zu sich selbst, sollte mein Bruder minder glücklich sein, als es den Anschein hat? Dann fügte er laut bei:

Vor allem werdet Ihr mich Madame du Vallon vorstellen; denn ich erinnere mich eines gewissen sehr verbindlichen Einladungsschreibens von Eurer Hand, dem sie unten einige Zeilen beizufügen die Güte hatte.

Dritter Seufzer von Porthos.

Ich habe Madame du Vallon vor zwei Jahren verloren, sprach er, worüber ich noch ganz betrübt bin. Deshalb verließ ich mein Schloß du Vallon bei Corbeil, um auf dem Gute Bracieux zu wohnen, eine Veränderung, welche mich veranlaßte, dieses Gut hier zu kaufen.

Ihr seid also reich und frei? sprach d’Artagnan.

Ach, erwiderte Porthos, ich bin Witwer und habe vierzigtausend Livres Renten. Wollen wir frühstücken?

Sehr gerne, sagte d’Artagnan, die Morgenluft hat mir Appetit gemacht.

Ja, versetzte Porthos, die Luft hier ist vortrefflich.

Sie traten in das Schloß. Es war nichts als Gold von oben bis unten. Die Karniese waren vergoldet, die Gesimse waren vergoldet, die Gestelle der Lehnstühle waren vergoldet. Die Tafel war mit allem, was man sich wünschen mochte, bedeckt. Speisen und Wein waren von erlesenstem Geschmack und hätten sich auf einer königlichen Tafel sehen lassen können. Trotzdem stieß Porthos einen neuen Seufzer aus; es war, wie d’Artagnan gezählt hatte, der fünfte.

Mein Freund, sagte d’Artagnan, begierig das Rätsel zu ergründen, man sollte glauben, es betrübe Euch etwas. Solltet Ihr leidend sein? … Ist Eure Gesundheit … – Vortrefflich, besser als je. Ich würde einen Ochsen mit einem Faustschlag töten. – Familienkummer also? – Familienkummer? Zum Glück habe ich nur mich auf dieser Welt. – Was macht Euch dann seufzen? – Mein Lieber, sagte Porthos, ich werde offenherzig gegen Euch sein: ich bin nicht glücklich. – Ihr nicht glücklich, Porthos? Ihr, der Ihr ein Schloß, Wiesgründe, Berge, Wälder besitzt; Ihr, der Ihr vierzigtausend Livres Renten habt, Ihr seid nicht glücklich? – Mein Lieber, ich habe alles dies, es ist wahr, aber ich bin allein mitten unter diesen Dingen. Madame du Ballon, fuhr er fort, war von zweifelhaftem Adel. Sie hatte in erster Ehe, wie Ihr wißt, einen Prokurator geheiratet. Sie fanden das ekelhaft. Ihr begreift, das war ein Ausdruck, für den man dreißigtausend Mann umbringen könnte. Ich habe zwei getötet; das bewog die andern, zu schweigen. Ich wurde dadurch aber nicht ihr Freund. Auf diese Weise habe ich keine Gesellschaft mehr, ich lebe allein, ich langweile mich, ich kümmere mich ab.

D’Artagnan lächelte; er sah den Fehler am Küraß und schickte sich zum Stoße an.

Nun aber, sagte er, seid Ihr für Euch allein, und Eure Frau kann Euch nicht mehr Eintrag tun.

Ja, aber alle diese Leute, die Vicomtes oder Grafen sind, haben den Vortritt vor mir in der Kirche, bei öffentlichen Feierlichkeiten, überall, und ich kann nichts dagegen sagen. Wäre ich nur …

Baron, nicht wahr? sprach d’Artagnan, den Satz seines Freundes vollendend.

Ah! rief Porthos, dessen Züge sich ausdehnten, ah, wenn ich Baron wäre!

Gut! dachte d’Artagnan, es wird mir gelingen.

Als beide hinreichend gefrühstückt hatten, machten sie einen Gang in einem herrlichen Garten; Alleen von Kastanienbäumen und Linden schlossen einen Raum von wenigstens dreißig Morgen ein. Um die dicht verwachsenen Büsche sah man Kaninchen laufen, die von Zeit zu Zeit spielend unter dem hohen Gras verschwanden.

Meiner Treu, rief d’Artagnan, der Park entspricht allem übrigen, und wenn es so viele Fische in Eurem Teich als Kaninchen in Euren Gehegen gibt, so seid Ihr ein glücklicher Mann, mein lieber Porthos, vorausgesetzt, Ihr habt den Sinn für Jagd bewahrt und an Fischen Geschmack gefunden.

Mein Freund, erwiderte Porthos, ich überlasse die Fischerei Mousqueton; das ist ein Vergnügen für gemeine Leute. Aber ich jage zuweilen, das heißt, wenn ich mich langweile, setze ich mich auf eine von diesen Marmorbänken, lasse mir meine Flinte bringen, Gredinet, meinen Lieblingshund, herbeiführen und schieße Kaninchen.

Das ist sehr unterhaltend, sprach d’Artagnan.

Ja, antwortete Porthos mit einem Seufzer, das ist sehr unterhaltend.

D’Artagnan zählte die Seufzer nicht mehr.

Dann sucht Gredinet die Kaninchen, fügte Porthos bei, und bringt sie dem Koch; er ist dazu dressiert. – Ach, das vortreffliche Tier! rief d’Artagnan. Doch kommen wir auf unser früheres Gespräch zurück. Ihr wünscht den Baronstitel zu erlangen. Was würdet Ihr tun, wenn ich ihn Euch verschaffte?– Kein Opfer wäre mir zu groß dafür. – Nur sage ich Euch, lieber Freund, damit Ihr nicht behauptet, ich habe Euch als Verräter überfallen, Ihr müßt Euer Leben völlig verändern. – Wieso? – Ihr müßt den Harnisch wieder nehmen, den Degen umschnallen, Abenteuern nachlaufen, etwas Fleisch auf den Straßen lassen, wie in vergangenen Zeiten; Ihr wißt unsere Art und Weise von ehemals. – Ah, Teufel! rief Porthos. – Ja, ich begreife, Ihr seid verweichlicht, Ihr habt einen Bauch bekommen, und die Faust hat nicht mehr die Elastizität, von der die Leibwachen des Kardinals so viele Proben erhielten. – Ah! die Faust ist noch gut, das schwöre ich Euch, erwiderte Porthos und streckte eine Hand aus, ähnlich einem Hammelsbug. – Desto besser. – Wir sollen also Krieg machen? – Ei, mein Gott, ja. – Und gegen wen? – Seine Eminenz will Euch in seinen Diensten haben. – Und wer hat von mir bei Seiner Eminenz gesprochen? – Rochefort. Ihr erinnert Euch, unser Gegner, der dann unser Freund geworden ist? – Nein, ich erinnere mich nicht. Ah, er hat keinen Groll mehr? – Ihr täuscht Euch, Porthos, versetzte d’Artagnan, ich habe keinen mehr.

Porthos begriff nicht ganz, aber man erinnert sich, das Begreifen war nicht seine Stärke.

Ihr sagt also, der Graf von Rochefort habe von mir mit dem Kardinal gesprochen? – Ja, und dann die Königin. – Wie, die Königin? Und Ihr sagt, Ihr habt gewisse Bedingungen für mich gemacht? – Herrliche, mein Lieber, herrliche, Ihr habt Geld, nicht wahr? Vierzigtausend Livres Renten, wie Ihr sagt.

Porthos wurde mißtrauisch.

Ei, mein Gott, versetzte er, man besitzt nie genug Geld. Madame du Ballon hat eine etwas verwickelte Erbschaft hinterlassen. Ich verstehe mich wenig auf die Rechnerei und lebe so gewissermaßen von einem Tag in den andern.

Also, sprach d’Artagnan, trotz Eurer vierzigtausend Livres Renten und vielleicht gerade wegen Eurer vierzigtausend Livres Renten scheint es mir, als ob sich eine kleine Krone gar nicht übel auf Eurer Karrosse machen würde. Wie? – Allerdings, antwortete Porthos. – Nun wohl, mein Lieber, gewinnt sie, sie hängt an Eurer Degenspitze. Wir werden uns nicht schaden. Euer Ziel ist ein Titel, mein Ziel ist Geld. Wenn ich genug erwerbe, um d’Artagnan wieder aufzubauen, das meine durch die Kreuzzüge verarmten Voreltern seit jener Zeit in Trümmer zerfallen ließen, und um etliche dreißig Morgen Landes umher zu kaufen, so brauche ich nicht mehr; ich ziehe mich zurück und sterbe in Ruhe. – Und ich, sprach Porthos, ich will Baron sein. – Ihr werdet es. – Habt Ihr nicht auch an unsere andern Freunde gedacht? fragte Porthos. – Allerdings, ich habe Aramis gesehen. – Und was will er? Bischof werden? – Aramis, erwiderte d’Artagnan, welcher Porthos nicht entzaubern wollte, Aramis ist, denkt Euch nur, Mönch und Jesuit geworden. Er lebt wie ein Bär und denkt nur an sein Seelenheil. Meine Anerbietungen konnten ihn nicht bestimmen. – Desto schlimmer, sagte Porthos. Er hatte Geist. Und Athos? – Ich habe ihn noch nicht gesehen, werde ihn aber besuchen, wenn ich Euch verlasse. Wißt Ihr, wo ich ihn finden kann? – Bei Blois, auf einem kleinen Landgut, das er, ich weiß nicht von welchem Verwandten, geerbt hat. – Und dieses heißt? – Bragelonne. Begreift Ihr wohl, mein Lieber, Athos, welcher adelig war, wie der Kaiser, und ein Gut erbt, das den Grafschaftstitel hat! Was wird er mit allen diesen Grafschaften machen? Grafschaft La Fère, Grafschaft Bragelonne? – Dabei hat er keine Kinder? fragte d’Artagnan. – O! rief Porthos, man hat mir gesagt, er habe einen jungen Menschen angenommen, der ihm von Gesicht ungemein ähnlich sei.

Ich werde ihm morgen Kunde von Euch bringen. Unter uns gesagt, ich fürchte, der Wein hat ihn sehr alt gemacht und entartet. – Ja, sprach Porthos, es ist wahr, er trank viel. – Und dann war er älter, als wir alle. – Nur um einige Jahre, versetzte Porthos. Seine ernste Miene gab ihm ein so altes Aussehen. – Ihr habt recht. Wenn wir Athos haben, desto besser; wenn nicht, so werden wir ihn zu entbehren wissen. Wir zwei sind so viel wert, als zehn. – Ja, sprach Porthos lächelnd bei der Erinnerung an seine alten Heldentaten; aber wir vier wären so viel wert gewesen, als sechsunddreißig, um so mehr, als das Handwerk rauh sein wird, wie Ihr sagt. – Rauh für Rekruten, ja, aber für uns, nein. – Wird es lange währen? – Gott verdamm mich, es kann drei bis vier Jahre dauern. – Wird man sich viel schlagen? – Ich hoffe es. – Desto besser! rief Porthos. Ihr habt keinen Begriff, mein Lieber, wie mir die Knochen jucken, seitdem ich hier bin.

Damit schlugen die Freunde den Weg nach dem Schlosse ein.

Nachdem Porthos seinen Gast hatte ein Reh erjagen lassen, nachdem er ihn von seinen Waldungen auf seinen Berg, von seinem Berg an seine Teiche geführt, nachdem er ihm seine Windhunde, seine Meute, Gredinet, kurz alles, was er besaß, gezeigt und darauf weitere verschwenderische Mahle gegeben hatte, forderte er von d’Artagnan, der ihn nun verlassen mußte, um seinen Weg fortzusetzen, bestimmte Instruktionen.

So hört, mein Freund, erwiderte der Abgesandte, ich brauche vier Tage von hier nach Blois, einen Tag bleibe ich dort, drei bis vier Tage brauche ich zur Rückkehr nach Paris. Reist also in einer Woche mit Eurer Equipage ab; nehmt Euer Absteigquartier in der Rue Tiquetonne im Gasthof zur Rehziege und erwartet dort meine Rückkehr. – Abgemacht, sprach Porthos.

Ich mache eine hoffnungslose Reise zu Athos, sagte d’Artagnan; aber obgleich ich fürchte, daß ihn Wein und Alter unfähig gemacht haben, so muß man doch gewisse Rücksichten gegen seine Freunde beobachten.

Wenn ich mit Euch ginge, versetzte Porthos, das würde mich vielleicht zerstreuen.

Es ist möglich, antwortete d’Artagnan, und mich auch; aber Ihr hättet keine Zeit mehr, um Eure Vorbereitungen zutreffen.

Das ist wahr. Geht also und guten Mut. Ich für meinen Teil bin voll Eifer.

Vortrefflich! sprach d’Artagnan.

Und sie trennten sich auf der Grenze des Gebietes von Pierrefonds, bis wohin Porthos seinen Freund begleitete.

Wenigstens, sprach d’Artagnan, den Weg nach Villers-Cotterets einschlagend, wenigstens werde ich nicht allein sein. Dieser Teufel von einem Porthos besitzt noch tüchtige Kräfte. Kommt Athos hinzu, so sind wir zu drei und können über Aramis, diesen kleinen Glücksjäger, spotten.

In Villers-Cotterets schrieb er an den Kardinal:

Monseigneur, ich kann Ew. Eminenz bereits einen anbieten, und dieser eine ist zwanzig Mann wert. – Ich reise nach Blois ab, der Graf de la Fère wohnt in der Nähe dieser Stadt im Schlosse Bragelonne.

Darauf schlug er nach einer Beratung mit Planchet den Weg nach Blois ein.