Es ist bisher noch stets der Verlauf einer jeden Revolution gewesen, daß die bis zur Erreichung des hauptsächlichen Zwecks einigen bürgerlichen Parteien sich später entzweien. So war es bei der großen französischen Revolution, so war es auch schon bei jener englischen, durch die König Karl erst seinen Thron und dann den Kopf verlor. Nachdem der gewaltige Oliver Cromwell gestorben war, nachdem sein Sohn das Protektorat niedergelegt hatte, tat sich eine Menge von Mißvergnügten zusammen, denen die Beschlüsse des Parlaments nicht mehr behagten und die eine andere Regierungsform verlangten. An die Spitze dieser Elemente trat der General Lambert, während die Parlamentspartei den General Monk, einen geborenen Schotten, zum Oberhaupt erkor. Von vornherein war dessen Partei im Uebergewicht; man redete Lambert nach, er trachte danach, eine Militärrepublik zu gründen, mit sich selbst am Ruder; dagegen war man fest überzeugt, daß Monk, ohne jedes persönliche Nebeninteresse, nur auf die Stärkung des bürgerlichen Parlaments bedacht sei. Die Sympathien der Mehrzahl der Bevölkerung lagen daher auf Monks Seite. Die Verhältnisse hatten sich bis zur Feindseligkeit zwischen beiden Lagern zugespitzt, und Lambert und Monk standen ein jeder an der Spitze einer Armee bereit, sich in offenem Kampfe zu messen. Das war in der Gegend von Newcastle, und die alte Abtei dieses Namens lag gerade zwischen den Quartieren der feindlichen Heere.
In Monks Lager herrschte Hungersnot. Der General saß eines Abends, gegen zehn Uhr, in seinem Zelt und kaute Tabak, um den knurrenden Magen zu beruhigen, da eilten mit Freudengeschrei mehrere Soldaten herbei, und ein Offizier trat, ohne sich melden zu lassen, ein und rief: »General! Sie werden heute zu Abend speisen.« – »Das habe ich bereits getan,« antwortete Monk gelassen. »Eben hielt ich mein Verdauungsstündchen. Was führt Euch her?« – »Wir haben eine Fischerbarke abgefangen, die mit einer Ladung Fische an den Strand geworfen wurde.« – »Daran tatet ihr nicht wohl, Kinder,« versetzte der General. »Ihr hättet den Fang Lamberts Leuten lassen sollen. Wenn sie heute abend nichts zu essen haben, werden sie keine Lust verspüren, sich morgen mit uns zu schlagen, wozu sie nach einem guten Abendessen sicher Mut gehabt hätten. Doch was sind das für Fischer?«
»Sie kommen aus der Picardie.« – »Sprechen sie Englisch?« – »Der Kapitän versteht ein paar Brocken davon.« – »Führt sie her! Und – wie viele sind es? Was für ein Schiff haben sie?« – »Es sind ihrer elf. Ihr Fahrzeug ist eine Barke holländischen Typs.« – »Gut, ich will sie sehen.«
Der Offizier führte den Kapitän der Fischer herein, einen Mann von etwa 55 Jahren, aber noch sehr rüstig und jugendlich. Unter der tief in die Stirn gezogenen Mütze blitzten ein paar pfiffige Augen. Er hatte den eigentümlich unsichern Gang der Seeleute an sich, die nur auf den schwankenden Brettern eines Schiffes fest aufzutreten vermögen. Monk musterte den Mann mit durchdringendem Blick. Der Fischer antwortete darauf mit einem dummdreisten Lächeln, wie es den französischen Bauern eigen ist.
»Du sprichst Englisch?« fragte Monk. – »Sehr schlecht,« antwortete jener in südfranzösischem Akzent. »Wir Seeleute schnappen ja von allen Sprachen etwas auf.« – »Du scheinst mehr um Gascogne herum als in der Picardie zu Hause zu sein,« meinte Monk lächelnd. – »Von Geburt bin ich aus Südfrankreich,« war die Antwort, »aber seit langen Jahren fische ich in den nördlichen Gegenden. Habe heute einen guten Fang gemacht. Einen Stör von 30 Pfund, an die 100 Schleien und zahllose Weißfische.« – »Schön, den Fang kaufe ich dir ab. Aber warum bietest du ihn hier aus?« – »Herr, der Fischer stößt das Boot ins Meer, aber Himmel und Wind tun das Uebrige. Ich wollte nicht hier landen.«
»Wenn du von dort drüben kommst,« fuhr Monk fort, mit einer Handbewegung nach der Richtung, wo jenseits der See die holländische Küste lag, »hast du da vielleicht etwas von Karl II. gehört, dem verstoßenen König von England?« – »Ei freilich, Mylord,« antwortete der Fischer mit täppischer Offenherzigkeit, »als wir nämlich bei Ostende nach Makrelen fischten, sahen wir aus einem am Strande gelegenen Häuschen einen Mann kommen, der zum Gestade schritt. Im Näherkommen erkannten wir in ihm Karl II. Er sah sehr traurig aus. Ich glaube, die Luft in Holland ist ihm nicht dienlich. Er guckte starr nach hier hinüber. Ich denke mir, er hat Heimweh – möchte halt gern wieder hier sein. Sie wissen ja, Wilhelm II. von Nassau, der Statthalter von Holland, wäre ihn auch am liebsten los. Er darf ihm wegen der Freundschaft mit England und Frankreich kaum noch Hilfe leisten.« – »Du scheinst in der Politik gut Bescheid zu wissen,« sagte Monk. – »Wir Seeleute beobachten doch täglich Wasser und Luft, die beiden veränderlichsten Dinge auf der Welt, und seitdem wir gelernt haben, in beidem trotz aller Unbeständigkeit mit Sicherheit zu lesen, irren wir uns auch in andern Dingen nur selten.«
»Du hast also eine gute Ladung an Bord?« fragte der General. »Wie teuer verkaufst du sie?« – »Ich kann doch keinen Preis machen, Mylord, kraft dem Faustrecht gehören die Fische Ihnen.« – »Ich will kaufen und nicht rauben,« antwortete der Feldherr. »Ich zahle den üblichen Preis. Geh mit dem Offizier dort, er wird dir das Geld geben. Und höre noch eins! Wenn du zu deinem Schiffe zurückkehrst, so geh nicht durch das Moor. Dort stehen ein paar Posten von mir, die Euch anhalten würden. Wenn sie Euch nun das Geld nähmen, so würdest du bei dir zu Hause erzählen, General Monk hätte zwei Hände, eine schottische und eine englische, und mit der schottischen nähme er wieder zurück, was er mit der englischen gegeben.« – »Können Mylord mir einen Zimmermann mitgeben?« fragte der Fischer. »Ihre Soldaten haben mein Boot demoliert und wir haben nun zwei Schuh Wasser drin.« – »Das soll geschehen,« sprach Monk und wendete sich an seinen Adjutanten. »Digby, sorgen Sie dafür, daß der Mann mit seinen Leuten in der Nähe seines Boots in einem Zelte schlafen kann, damit sie nicht des Nachts im Wasser zu liegen brauchen. Schicken Sie ihnen ein paar Arbeiter. Was gibt es, Spithead?« fragte er einen Sergeanten, der eintrat.
»Ein französischer Edelmann bittet um Einlaß,« war die Antwort. – »Wer ist das?« fragte Monk, während der Fischer die Ohren spitzte. – »Er hat mir seinen Namen genannt, aber diese französischen Worte sind nichts für meine englische Kehle,« antwortete der Sergeant.
»Hm, du kannst ihn hereinlassen.« – »Sollen ihm die Augen verbunden werden?« – »Warum? Er kann getrost sehen, daß ich hier 11 000 tapfere Soldaten um mich habe.« Dann wendete er sich an den Fischer. »Auf Wiedersehen, braver Kerl. Mein Adjutant wird dich führen.« – »Schönen Dank, Mylord,« antwortete der Mann und ging hinaus.
Draußen begegnete er der Wache, die den französischen Edelmann herbeiführte. Der fremde Kavalier saß zu Pferde und blickte schnurstracks vor sich hin. Er beachtete infolgedessen den Fischer gar nicht, während dieser sich dicht an das Pferd herandrängte und beim Scheine eines Wachtfeuers einen raschen Blick auf das Gesicht des Reiters warf. Er stutzte und blieb vor Verblüffung stehen, dann aber faßte er sich rasch, denn er durfte sich nichts merken lassen. »Ich muß mich wohl auch verguckt haben,« brummte er vor sich hin. »Es ist ja ganz unmöglich. Es ist ja undenkbar.«
Der französische Edelmann trat in das Zelt und fand eine freundlichere Aufnahme, als er von Seiten eines so argwöhnischen Mannes wie Monk erwartet hatte. Ruhig, wenn auch scharf, musterte der General seinen Besuch und gab ihm dann einen Wink, sein Anliegen vorzutragen. – »Ich bin Graf de la Fère,« begann Athos mit einer Verbeugung. – »Entschuldigen Sie,« sagte Monk, nachsinnend, »ich höre diesen Namen zum erstenmale. Sind Sie vom Hofe?« – »Nein, ich lebe als Privatmann, bin aber durch Karl I. Ritter des Hosenbandordens und durch Anna von Oesterreich Ritter des Heiligen-Geist-Ordens.« – »Bei welchem Anlaß wurden Sie dekoriert?« – »Für Dienste, die ich den Majestäten leistete.« – »Und was wünschen Sie jetzt von mir?«
Das Gespräch wurde in englischer Sprache geführt, die ja Athos noch von den vielen in England verlebten Jahren her vollständig beherrschte.
»Mylord,« antwortete er aufs Monks letzte Frage, »ich habe im Jahre 1648 in Newcastle gewohnt, und zwar gerade in den Gärten, die jetzt von den Soldaten Eurer Herrlichkeit besetzt sind. Damals stand ich im Dienste Karls I. und mußte, nachdem er gefallen war, flüchten. Ich besaß eine große Summe Geldes, die ich in der damaligen Zeit nicht mit auf die Reise nehmen wollte. Deshalb vergrub ich es im Keller jenes Turmes, den Sie dort hinten im Mondschein emporragen sehen. Jetzt bin ich gekommen, es mir zu holen, und bitte Eure Herrlichkeit um Erlaubnis, mein Eigentum in Sicherheit zu bringen, ehe es vielleicht durch die bevorstehende Schlacht zwischen Ihnen und General Lambert gefährdet wird oder gar in die Hände der Soldaten fällt.«
Monk war ein feiner Menschenkenner; dennoch wußte er jetzt nicht, ob er diese Mitteilung des Fremden einer edeln Offenherzigkeit zuschreiben oder eine ihm gestellte Falle darin vermuten solle. »Ist denn die Summe so bedeutend, Herr Graf,« fragte er, »daß es sich der Mühe lohnt? Und glauben Sie wirklich, das Geld sei noch vorhanden? Nach so langer Zeit?« – »Es handelt sich um eine Million.« – Monk stutzte und sah Athos scharf an. Das erschien ihm denn doch ganz unglaublich. – »Hm,« sagte er, »und Sie wollen das Geld heute noch haben? Warum wendeten Sie sich nicht an General Lambert? Er steht ebenso nahe bei der Abtei, wie ich selbst.« – »Ich folge in derlei Dingen stets meinem Gefühl,« antwortete der Franzose. »Zu General Lambert habe ich nicht so großes Vertrauen, wie zu Ihnen. Was die Frage anbetrifft, ob das Geld auch noch da sei, so unterliegt das für mich gar keinem Zweifel. Der Versteck war gut gewählt, war niemand als mir bekannt, und ich werde die Stelle ohne Schwierigkeit wiederfinden.«
»Ich werde Ihnen sehr gern behilflich sein,« antwortete Monk, »ja, ich will Sie sogar begleiten. Das ist ja auch notwendig, weil die Posten Sie sonst nicht so weit vorlassen würden. Wir können gleich gehen. Sollen wir Leute mitnehmen?« – »Das ist nicht nötig. Zwei Männer und ein Pferd genügen, die beiden Fässer mit Gold auf das Schiff zu bringen, das am Strande auf mich wartet.« – »Er sieht nicht aus wie ein Meuchelmörder,« dachte Monk bei sich, »und dennoch hat er es drauf abgesehen, mit mir an einem einsamen Fleck allein zu sein. Nun, ich will’s drauf ankommen lassen.« Und laut setzte er hinzu: »Es muß doch aber jedenfalls gegraben werden, wollen Sie das selbst machen?« – »Es braucht nicht gegraben zu werden,« antwortete Athos. »Der Schatz liegt in einer Gruft, die mittels eines Steins verschlossen ist. Der Stein ist an einem eisernen Ringe in die Höhe zu heben. Eine kleine Treppe von vier Stufen befindet sich darunter, und an ihrem Grunde liegen, von einer Schicht Gips bedeckt, die beiden Fässer. Sie sehen, ich mache in dieser Angelegenheit gar kein Geheimnis vor Ihnen.«
Monk antwortete nicht. Er war im höchsten Maße erstaunt. Entweder besaß der Fremde eine außergewöhnlich vollendete Verstellungskunst und spielte seine Rolle als Kundschafter meisterhaft, oder aber er war von größter Vertrauensseligkeit, daß er sich als Besitzer von einer Million mitten in ein Kriegslager hineinwagte, wo Raub und Faustrecht galten. – »Ich begleite Sie,« sagte der General, »das Abenteuer erscheint mir so seltsam, daß ich selbst die Fackel halten will.« – Als er dies sagte, schnallte Athos sein Schwert ab und legte es auf den Tisch. Er öffnete sein Wams, wie um sein Schnupftuch herauszunehmen, und zeigte dabei dem scharf beobachtenden General, daß er auch auf der Brust keinerlei Waffen trug. – »Sonderbar,« dachte dieser bei sich. »Er ist tatsächlich ganz unbewaffnet. Also muß er in der Abtei einen Hinterhalt gelegt haben.« – Darauf drehte er sich zu seinem Adjutanten herum und sagte: »Es soll mich niemand begleiten. Ich gehe allein.«