Fouquet wartete mit großer Ungeduld, und als er hinter d’Artagnan den Bischof von Vannes erblickte, von dem allein er noch Rettung erwartete, da war seine Freude ebenso groß wie am Tage zuvor seine Bestürzung. Der Prälat war schweigsam, d’Artagnan noch ganz verwirrt. – »Sie bringen mir Herrn d’Herblay, Kapitän,« rief Fouquet. – »Und noch etwas Besseres,« antwortete der Gaskogner. »Nämlich die Freiheit. Hier ist der Befehl des Königs.« – Fouquet warf einen fragenden Blick auf Aramis. – »Jawohl,« setzte d’Artagnan hinzu, »bedanken Sie sich bei dem Bischof von Vannes, er hat den König umgewandelt. Aramis, noch einmal! Wie sind Sie der Günstling des Königs geworden, da sie ihn doch nur zweimal im Leben gesehen haben?«

»Einem Freunde, wie Sie verhehlt man nichts,« antwortete Aramis. »Nun denn, ich habe den König nicht nur zweimal, wie Sie glauben, sondern hundertmal gesehen. Nur geschah es insgeheim, das ist das ganze. Monseigneur,« wendete er sich von dem erstaunten d’Artagnan zu dem nicht minder erstaunten Fouquet, »der König läßt Ihnen sagen, er sei mehr als je Ihr Freund, und Ihr schönes Fest hat ihn entzückt.« – Er verneigte sich vor Fouquet und schwieg. Der Oberintendant sah ihn fest an und vermochte nicht zu antworten.

D’Artagnan erriet, die beiden Männer hatten sich etwas zu sagen. Er machte ihnen eine flüchtige Verbeugung und ging. Fouquet eilte hinter ihm zur Tür, schloß ab und rief: »D’Herblay, erklären Sie mir, was vorgeht. Ich verstehe nichts von dem allen. Wie kommt es, daß der König mich in Freiheit setzt?« – »Sie hätten mich vielmehr fragen sollen, warum er Sie verhaften ließ,« antwortete Aramis. – »Es war ein wenig Eifersucht im Spiele, glaube ich,« sprach der Minister. – »Ja und mehr,« erwiderte d’Herblay. »Erinnern Sie sich jener Briefe und Quittungen von Herrn Mazarin, die einen gewissen Betrag von 13 Millionen betreffen? Erinnern Sie sich des Briefes, den Sie an die Lavallière geschrieben haben?«

»Weh mir!« rief Fouquet. »Da bin ich für den König ein Dieb und ein Verräter? Doch um so wunderbarer, daß er mir vergeben hat.« – »Wir sind noch bei der Begründung der Verhaftung,« fuhr Aramis fort. »Der König weiß also, daß Sie an einer Unterschlagung von Staatsgeldern mitschuldig sind. Pardon, ich weiß sehr wohl, Sie haben nicht das Mindeste veruntreut, allein der König hat die Quittung nicht gesehen und muß Sie also für schuldig halten. Ferner hat der König Ihren Liebesbrief gelesen und kann nicht daran zweifeln, daß Sie Absichten auf sein Schätzchen gehabt haben. Aus diesen zwei Gründen steht Ihnen der König als unversöhnlicher Todfeind gegenüber. Er hat unwiderruflich mit Ihnen gebrochen.«

»Aber jetzt gibt er mich doch frei,« rief Fouquet. – »Glauben Sie denn das wirklich?« fragte der Bischof kalt. – »Ohne an eine plötzliche Freundschaft des Königs zu glauben, glaube ich doch an die Wahrheit der Tatsache,« antwortete der Minister. – Aramis zuckte die Achseln. – »Warum sollte Ihnen Ludwig XIV. aufgetragen haben, mir zu sagen, was d’Artagnan eben mitangehört hat?« – »Der König hat mir gar nichts für Sie aufgetragen,« sagte Aramis, und er sprach diese Worte in so seltsamem Tone, daß Fouquet zusammenfuhr.

»Sie verheimlichen mir etwas, d’Herblay,« rief er. Aramis streichelte sein Kinn mit den weißen Fingern. – »Verhehlen Sie mir nichts, d’Herblay, Sie machen mir Angst!« stieß Fouquet hervor. »Bin ich noch immer Oberintendant?« – »Solange Sie wollen,« antwortete Aramis ruhig. – »Wer welche seltsame Herrschaft haben Sie über Seine Majestät erlangt?« rief der Minister. »Sie scheinen Sie nach Ihrem Gefallen auszunützen.«

»Allerdings.«

»D’Herblay, ich beschwöre Sie bei unserer Freundschaft! Sagen Sie mir, wodurch Sie bei Ludwig XIV. soweit gekommen sind? Ich weiß, er war Ihnen nicht hold.« – »Er wird mich jetzt lieben,« antwortete Aramis, das letzte Wort betonend. – »Was ist das für ein Geheimnis?« entgegnete der Oberintendant. »Reden Sie!« – »Sie haben es erraten, Monseigneur,« antwortete d’Herblay. »Es handelt sich um ein Geheimnis. Dieses Geheimnis ist in meinem Besitz, und es ist so wichtig, so schwerwiegend, daß es mir Macht über den König gibt. Erinnern Sie sich,« fragte er, die Augen niederschlagend, »der Geburt Ludwigs XIV?« –. »Wie heute,« antwortete Fouquet. – »Und haben Sie je über diese Geburt etwas Besonderes reden hören?« – »Nein.« – »So hören Sie!« sprach Aramis. »Die Königin hat an diesem Abend nicht ein Kind, sondern zwei geboren. Ludwig XIII. war abergläubisch und fürchtete, zwei gleichberechtigte Kinder könnten einmal in Streit um den Thron geraten und ihr Land ins Verderben stürzen. Er ließ die Geburt des zweiten Kindes verheimlichen. Die beiden Zwillinge wuchsen heran: der eine kam auf den Thron – der andere blieb verborgen und unbekannt. Sie sind der Minister des einen – ich bin der Freund des andern.«

»Mein Gott, was sagen Sie mir da, Herr d’Herblay?« rief der Minister. »Und was geschah mit jenem armen Prinzen?« – »Erst wurde er heimlich auf dem Lande erzogen, und dann brachte man ihn in die Bastille.« – »Und weiß seine Mutier darum?« – »Anna von Oesterreich weiß das alles.« – »Und der König?« – »Er weiß nichts. Dieser bedauernswerteste Prinz war der unglücklichste unter den Menschen, bis Gott ihm zu Hilfe kam und ihm Freunde schuf, ihm eine Stütze gab, ihm einen Rächer bestellte. Der regierende König nun – ich drücke mich so aus, weil von Rechts wegen beide Brüder kraft der Ebenbürtigkeit hätten regieren sollen, denn Zwillinge sind eins in zwei Körpern – der regierende König, sage ich – der Usurpator – Sie sind doch auch meiner Ansicht, wenn ich diesen ruhigen Genuß eines Erbteils, auf das er nur ein halbes Recht hatte, Usurpation nenne?« – Fouquet nickte und antwortete: »Ja Usurpation ist das richtige Wort.«

»Wie gesagt, dieser regierende König, der Usurpator,« fuhr Aramis fort, »hatte einen Mann von Talent und Geist zum ersten Minister, aber er zürnte ihm, raubte ihm langsam sein Vermögen und damit seine Macht und trachtete ihm dann nach Freiheit und Leben. Aber diesem ersten Minister, den man so grausam verfolgte, hatte Gott einen Freund zur Seite gegeben, dem das Staatsgeheimnis bekannt war und der die Kraft in sich fühlte, dieses Geheimnis ans Licht zu ziehen.« – »Halten Sie inne!« rief Fouquet. »Ich errate alles. Sie sind vor den König hingetreten, als er mich verhaften lassen wollte, und haben mit Veröffentlichung dieses furchtbaren Geheimnisses gedroht. Ja, ich begreife, der König mußte sich Ihnen fügen?« – »Nennen Sie das Logik, Herr Oberintendant?« versetzte Aramis ironisch. »Meinen Sie wirklich, ich lebte zu dieser Stunde noch, wenn ich dem König eine solche Entdeckung gemacht hätte? Er hätte mich auf der Stelle fesseln und in einen unterirdischen Kerker werfen lasten. Und hätte ich damit Ihnen gedient, wie ein Freund es soll? Ihm Geld gestohlen zu haben, das ist nichts; seiner Mätresse den Hof gemacht zu haben, ist wenig; aber seine Krone, seine Ehre in der Hand zu halten – ah! er würde Ihnen mit eigner Hand das Herz aus der Brust gerissen haben!«

»So haben Sie ihm nichts von dem Geheimnis gesagt?« – »Lieber hätte ich alle Gifte verschluckt, die Mithridates trank, um sich vor Vergiftung zu schützen. Und nun sind wir an dem Punkte, wo ich Ihnen mitzuteilen habe, was ich tat!« – Aramis schritt durchs Zimmer und setzte sich dann wieder in den Lehnstuhl. – »Ich habe noch eins vergessen,« fuhr er fort, »Gott hat die beiden Zwillingsbrüder einander so ähnlich geschaffen, daß selbst die Mutter sie nicht voneinander unterscheiden könnte. Beide haben den gleichen Adel in den Zügen, genau denselben Wuchs, dieselbe Stimme, denselben Gang!« – »Ist es möglich?« rief Fouquet. »Doch die Denkweise, der Verstand, die Lebensansicht?« – »Darin sind sie ungleich. Das arme Opfer der Bastille ist, was die Charaktereigenschaften betrifft, seinem Bruder unendlich weit überlegen. Würde er aus dem Gefängnis geholt und auf den Thron gesetzt, so hätte Frankreich vielleicht, seit es besteht, keinen König gekannt, der an Adel der Gesinnung und an Geist mit diesem zu vergleichen wäre.«

Fouquet legte auf einen Augenblick die von einem so furchtbaren Geheimnis niedergedrückte Stirn in beide Hände. – »Und auch in bezug auf Sie,« fuhr Aramis fort, »besteht ein Unterschied zwischen den beiden Königen; denn der letztgeborne Sohn kennt keinen Herrn Colbert.« – Der Oberintendant sah auf. – »Ich verstehe. Sie schlagen mir eine Verschwörung, einen Staatsstreich vor,« sagte er mit stockender Stimme. »Sie sprachen davon, den Sohn Ludwigs XIII., der gefangen sitzt, den Platz mit dem, der auf dem Throne sitzt, vertauschen zu lassen. Allein das ist ein Umsturz, der das ganze Reich über den Haufen werfen kann. Den Baum mit den zahllosen Wurzeln, den man König nennt, kann man nicht so ohne weiteres ausreißen und durch einen anderen ersetzen.«

»Mein Freund,« entgegnete Aramis im Tone einer leichten Vertraulichkeit, »wie macht es denn Gott, wenn er an die Stelle eines Königs einen andern setzt?« – »Gott!« rief der Minister. »Gott gibt seinem Vollzieher Befehl, den Verurteilten zu ergreifen und fortzuführen, um dann den Triumphator auf den erledigten Thron steigen zu lassen. Sie vergessen aber, dieser Bevollmächtigte Gottes heißt Tod. Haben Sie etwa vor, Herr d’Herblay–?« – »Sie gehen über das Ziel hinaus. Monseigneur!« antwortete Aramis. »Wer spricht davon, Ludwig XIV. in den Tod zu senden? Ich wollte damit nur sagen: Gott vollbringt das alles ohne Umsturz, ohne Aergernis. Er bedarf dazu nur eines auserwählten Mannes, dem er seinen Willen einflößt. Mit einem Worte. Freund! wenn ein Umsturz oder ein Aergernis geschehen mußte, um den Gefangenen der Bastille mit dem König den Platz tauschen zu lassen, so fordere ich Sie auf, mir das zu beweisen.«

»Was?« schrie Fouquet, blässer als das Taschentuch, mit dem er sich die Stirn abwischte. »Was sagen Sie da?« – »Gehen Sie in das Zimmer des Königs,« antwortete Aramis. »Sie wissen nun das Geheimnis. Ueberzeugen Sie sich davon, daß der Gefangene der Bastille im Bette seines Bruders liegt.« – »Und der König?« stammelte Fouquet. – »Der, der gestern noch König war?« antwortete d’Herblay. »Ueberzeugen Sie sich! Er ist in der Bastille an dem Platze, den seit so langer Zeit sein Opfer innegehabt.« – »Himmel! und wer hat ihn hingebracht?« – »Ich! Und zwar auf die einfachste Weise. Diese Nacht habe ich ihn entführt und den andern an seine Stelle gesetzt. Ich glaube nicht, daß es Aufsehen gemacht hat. Ein Blitz, auf den kein Donner folgt, weckt niemand auf.« – Fouquet tat einen Schrei, als hätte ein Schlag ihn getroffen, und preßte den Kopf zwischen beide Hände. – »Das haben Sie getan?« stöhnte er. »Den König entthront und ins Gefängnis geschleppt. Und das ist hier in Vaux geschehen! Und in dieser Nacht?« – »Hier in Vaux – und in dieser Nacht zwischen zwölf und eins.« –

Der Ober-Intendant machte eine Bewegung, als wollte er sich auf den Bischof stürzen; doch er hielt an sich. – »In Vaux!« stammelte er. »In meinem Hause!« – »Ja! In dem Hause, das jetzt erst richtig das Ihre ist, seit es Ihnen Herr Colbert nicht mehr rauben kann,« entgegnete Aramis. – »In meinem Hause ward dieses Verbrechen verübt,« sagte Fouquet, ohne auf den Prälaten zu hören. – »Verbrechen?« wiederholte dieser betroffen. – »Dieses fluchwürdige Verbrechen!« fuhr Fouquet fort. »Dieses Verbrechen, das verdammenswerter ist als der Totschlag! Dieses Verbrechen, das für immer meinen Namen entehrt und zum Abscheu für Mit- und Nachwelt macht!«

»Ah, Sie sind ja nicht bei Sinnen, Herr!« entgegnete Aramis mit bebender Stimme. »Sie reden zu laut, geben Sie acht!« – »Ich will schreien, daß alle Welt mich hört!« versetzte der Minister. »Ja, Sie haben mich entehrt durch diesen Verrat, durch diese Gewalttat, die Sie an meinem Gaste unter meinem Dache verübten! O, welch ein Unglück für mich!« – »Ihr Gast?« rief Aramis außer sich. »Und trachtete Ihnen nach Vermögen und Leben? Vergessen Sie das?« – »Er war mein Gast, er war mein König!«

»Habe ist es mit einem Tollhäusler zu tun?« sprach Aramis und stand auf. – »Nein, sondern mit einem Ehrenmanne!« – »Narr, der Sie sind!« – »Mit einem Manne, der Ihr Verbrechen noch jetzt vereiteln wird!« – »Narr!« – »Mit einem Manne, der lieber stirbt, als daß er sich von Ihnen entehren läßt!« – Er trat ganz dicht an Aramis und sprach in gepreßtem Tone: »Ich gebe zu, Sie handelten in meinem Interesse, aber ich nehme das nicht an! Doch will ich Sie zu dieser Stunde nicht verdammen. Die Tür steht Ihnen noch offen.« – »Ihnen auch noch, aber nicht mehr lange!« rief Aramis mit prophetischer Stimme.

»Sie weissagen da richtig, Herr d’Herblay,« antwortete Fouquet ruhig. »Dennoch soll mich nichts aufhalten. Sie verlassen Vaux und Frankreich. Ich gebe Ihnen vier Stunden Frist, sich in Sicherheit zu bringen. Sie haben damit einen entscheidenden Vorsprung vor allen, die der König Ihnen nachsenden konnte. Diese Zeit wird Ihnen genügen, sich nach Belle-Ile zu flüchten, wo Sie Zuflucht finden werden. Gehen Sie! Solange ich lebe, soll Ihnen kein Haar gekrümmt werden.« – »Ich danke,« versetzte Aramis in düsterer Ironie. – »Reisen Sie also ab und – reichen Sie mir noch einmal die Hand. Retten Sie sich das Leben – ich werde meine Ehre retten.«

Aramis zog die Hand aus der Brust; die Nägel waren von Blut gerötet, denn er hatte sie in sein eigenes Fleisch gegraben. Aber er berührte die ihm dargereichte Hand Fouquets nicht. Er hob sie über des Ministers Haupt, stieß einen Fluch aus, spritzte ihm ein paar Tropfen seines Blutes ins Gesicht und verließ das Zimmer.

Fouquet eilte hinter ihm hinaus, bestellte seine besten Pferde und fuhr im Galopp nach Paris.

»Soll ich allein gehen?« murmelte Aramis, »oder soll ich den Prinzen benachrichtigen? Und was dann? Mit ihm abreisen? Diesen lebenden Beweis meiner Tat überall mit mir herumschleppen? Unmöglich! Aber was wird er ohne mich tun? Ohne mich kann er sich nicht halten – doch mit mir jetzt auch nicht mehr! O, so vollende sich das Verhängnis! Er war verdammt – er ist wieder verdammt – er wird für immer verdammt sein! O, du finstere, rätselhafte Macht, die man Genius des Menschen nennt, Gott oder Teufel – du bist unberechenbarer als der Föhn, du versehrst das All mit einem Hauche deines Odems, du richtest Felsenmassen auf und stürzest Gebirge nieder. Du spielst mit Mächten, die du selbst nicht einmal kennst, die dich vielleicht leugnen und sich an dir rächen. So bin ich denn verloren? Ich – verloren? Nach Belle-Ile flüchten? Und soll Porthos hierbleiben? Nein, ich will nicht, daß Porthos Ungemach erleide. Er ist ein Stück von mir. Sein Schmerz ist auch der meine. Porthos muß mit mir.«

Wenige Minuten später saßen die beiden Flüchtlinge schon zu Pferde – Porthos in dem Wahne, es handle sich um eine wichtige Mission, die der König ihnen aufgetragen.

Inzwischen jagte das Gespann Fouquets auf der Landstraße dahin und erreichte die Vorstadt Saint-Antoine. Vor der Bastille ließ er halten, sprang heraus und wurde, als er sich als Finanzminister legitimiert hatte, ohne Umstände eingelassen und vor den Gouverneur geführt. Baisemeaux hatte seit dem letzten Besuch d’Herblays keine ruhige Minute gehabt. Die Ankunft Fouquets, der mit allen Zeichen furchtbarster Aufregung vor ihm erschien, versetzte ihn aufs neue in Schrecken. – »Mein Herr!« rief Fouquet. »Sie haben heute morgen den Bischof von Vannes gesprochen?« – »Ja, Monseigneur,« antwortete Baisemeaux. – »Und das sagen Sie so ruhig, wo es sich doch um ein entsetzliches Verbrechen handelt, an dem Sie mitschuldig sind?« – »Ein Verbrechen?« stöhnte Baisemeaux. »Ah, das wird immer schöner!« – »Ein Verbrechen! Ja! Für das Sie gevierteilt werden können, verstehen Sie mich? Führen Sie mich auf der Stelle zu dem Gefangenen!«

»Zu welchem Gefangenen?« stammelte Baisemeaux. – »Ah, Sie stellen sich unwissend?« rief Fouquet. »Gut, ich will annehmen, Sie wüßten nichts. Geständen Sie eine solche Mitschuld ein, so wären Sie ja auch verloren. Doch nochmals! Führen Sie mich auf der Stelle zu ihm!« – »Ja zu wem denn aber? Etwa zu Marchiali?« – »Marchiali? Wer ist das?« – »Der Gefangene, den Herr d’Herblay heute früh gebracht hat.« – »Man nennt ihn also Marchiali?« fragte der Oberintendant. – »Ja, unter diesem Namen wird er in den Büchern geführt,« antwortete Baisemeaux.

Fouquets Blick drang dem armen Gouverneur bis ins Herz, und der vollendete Menschenkenner las darin Unschuld und Aufrichtigkeit. Er erkannte, daß Baisemeaux nicht in das Geheimnis des Bischofs eingeweiht war. »Marchiali heißt also der Gefangene, den d’Herblay heute morgen hergebracht hat?« – »Ja, und wenn Monseigneur kommen, ihn abzuholen, so ist mir das lieb, denn ich wollte schon seinetwegen ans Ministerium schreiben. Er ist tobsüchtig geworden, wie es scheint. Er schreit wie toll und hat alles in seiner Zelle zertrümmert.« – »Ich will Sie allerdings von ihm befreien,« sprach Fouquet. »Führen Sie mich in seinen Kerker.« – »Monseigneur werden mir den königlichen Befehl vorlegen?« fragte der Gouverneur.

»Wie?« rief Fouquet. »Sie spielen den Gewissenhaften, Sie, der Sie die Gefangenen sonst so leicht entführen lassen? Zeigen Sie mir den Befehl, auf Grund dessen dieser Mann freigelassen worden ist.« – Baisemeaux legte den auf Seldon lautenden Befehl vor. – »Aber Seldon ist doch nicht Marchiali,« rief Fouquet. – »Marchiali ist ja auch nicht freigelassen worden,« sagte Baisemeaux. »Er ist hier.« – »Aber erst heute früh zurückgebracht worden, wie Sie selbst gesagt haben!« –

»Ich bleibe bei meiner Amtspflicht, Monseigneur,« sagte Baisemeaux ausweichend. »Mir ist ein Freilassungsbefehl für Seldon vorgelegt worden, und Seldon ist entlassen. Marchiali ist hier, und ohne ausdrücklichen Befehl des Königs darf ich niemand zu einem Gefangenen lassen.« – »Sie haben aber Herrn d’Herblay zu Marchiali gelassen,« versetzte der Minister. »Schweigen Sie, Baisemeaux, ich weiß das. Herr d’Herblay hat Sie beeinflußt, aber Herr d’Herblay hat ausgespielt und die Flucht ergreifen müssen. Wenn Sie bei Ihrer Weigerung beharren, lasse ich Sie mitsamt Ihren Offizieren auf der Stelle verhaften, oder ich gehe und komme mit 10 000 Mann und 30 Kanonen wieder, um Ihre verfluchten Türme in Grund und Boden zu schießen und ganz Paris gegen die Bastille aufzurufen. Und Sie selbst lasse ich an der Zinne des Eckturms aufknüpfen.«

»Mein Gott, sind Monseigneur verrückt geworden?« schrie der Gouverneur. – »Ich gebe Ihnen zehn Minuten Bedenkzeit. Sind Sie dann noch halsstarrig, dann gehe ich und führe aus, was ich eben sagte, ob Sie mich für verrückt halten oder nicht!« – »Monseigneur, halten Sie inne!« rief Baisemeaux, der sich nicht mehr zu helfen wußte. »Wohlan, ich lege die Sache in die Hände des Königs, der mag darüber urteilen, ob ich recht tat oder nicht, indem ich so vielen Schrecknissen nachgab. Auf! folgen Sie mir zu Marchiali!« – »Sehr wohl! Aber wir beide gehen ganz allein, verstanden,« sagte Fouquet. »Nun leben Sie wohl, es darf kein Mensch mit anhören, was ich mit diesem Marchiali zu reden habe!«

Baisemeaux senkte den Kopf und nahm die Schlüssel. Sie gingen beide über den Hof und nach dem Eckturm. Je näher sie kamen, um so deutlicher wurde das Geschrei hörbar, das der unglückliche Gefangene noch immer anstimmte. – »Was ist das?« rief Fouquet erschauernd. – »Das ist Ihr famoser Marchiali,« antwortete Baisemeaux. – Der Minister entriß ihm die Schlüssel, eilte zu der Tür, hinter der der Lärm erscholl, schloß auf und rief dem Gouverneur zu: »Bleiben Sie zurück, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist!« – »Ich will’s auch gar nicht mit ansehen, wenn zwei solche Wüteriche zusammenkommen,« brummte der Gouverneur. »Einer wird den andern verschlingen.«

Das Geschrei des Gefangenen war so furchtbar, daß Fouquets Hände zitterten, während er das schwere Schloß öffnete. – »Zu Hilfe! zu Hilfe!« schrie es drinnen. »Ich bin der König! Herr Fouquet hat mich hierher bringen lassen! Zu Hilfe dem König gegen Fouquet! In den Tod mit Fouquet!« – Das heisere Brüllen zerriß dem Minister das Herz. Endlich hatte er das Schloß geöffnet und trat in die Zelle.

Als der Minister und der König einander erblickten, stießen beide einen Schrei aus. – »Kommen Sie, mich umzubringen?« rief Ludwig. – »Der König in diesem Zustande?« rief Fouquet. – Der junge Fürst bot in der Tat einen entsetzlichen Anblick: finster, bleich, das Haar zerwühlt, die Kleider zerfetzt, die Hände zerrissen, von Angst und Hunger verzehrt. Diese wenigen Stunden in der Bastille hatten alles Königliche seiner Erscheinung hinweggewischt; er war nichts als ein Elender, ein Phantom dessen, was er gewesen. Er packte eins der zertrümmerten Stuhlbeine und schwang es gegen Fouquet. – »Sire,« rief dieser, »erkennen Sie nicht mehr Ihren treuesten Freund?« – »Sie ein Freund von mir?« schrie der König, vor Rachedurst mit den Zähnen knirschend. – »Ihr untertäniger Diener!« antwortete Fouquet und warf sich zu seinen Füßen nieder. Und er umschlang seine Knie und schmiegte den Kopf an die zerrissenen Kleider. »Mein König! mein König!« rief er. »Sie haben viel leiden müssen?«

Ludwig schien jetzt erst zu erkennen, wie er aussah, und sich seiner Lage, seines Zustandes zu schämen. Er erblaßte. – »Kommen Sie, Sire!« rief Fouquet. »Sie sind frei.« – »Ha!« rief der König. »Sie machen mich frei, nachdem Sie sich erfrecht haben, mich gefangenzusetzen?« – »O, glauben Sie doch das nicht! Ich bin ohne jede Schuld!« rief Fouquet. Und schnell und mit Wärme erzählte er den ganzen Hergang. Ludwig hörte schweigend zu, und als Fouquet schwieg, sah er wie ein Träumender vor sich hin, so sehr stand er noch unter dem Banne der schrecklichen Gefahr, in der er geschwebt hatte. Dann richteten seine Gedanken sich auf das Geheimnis, das die Grundlage des ganzen Staatsstreiches gewesen war. – »Mein Herr!« rief er aus. »Diese Zwillingsgeburt ist ein Märchen. Wie kann man einen solchen Verdacht gegen meine Mutter aussprechen? Ich habe nur einen Bruder, das ist Monsieur.« – »Zum mindesten muß dieser Marchiali Eurer Majestät in der Tat sehr ähnlich sehen,« antwortete der Minister. »Denn alle haben sich von dieser großen Aehnlichkeit täuschen lassen, alle, Ihre Mutter, Sire, Ihre Offiziere, der ganze Hof.«

»In Vaux?« rief der König. »Ich will mit Truppen gegen sie alle ziehen und die schändlichen Verräter vernichten.« – »Majestät, die hierzu nötigen Befehle sind schon erteilt. In einer Stunde können Sie an der Spitze von 10 000 Mann stehen.« – »Was? Sie haben dazu schon Anordnungen getroffen?« rief der König und ergriff Fouquets Hand mit einer Rührung, an der man erkennen konnte, wie tief bisher sein Mißtrauen gegen diesen Mann gewesen war. – »Allein, Sire,« fuhr Fouquet fort, »es wird nicht nötig sein, davon Gebrauch zu machen, denn das Haupt des Unternehmens, der Mann, der dies alles ausgeführt hat, ist von mir entlarvt worden.«

»Sie haben diesen falschen Prinzen gesehen?« rief Ludwig. – »Nein,« antwortete Fouquet. »Er ist nicht die Seele dieser Tat, er ist nur ein Werkzeug. Der Mann, der dieses furchtbare Verbrechen entworfen und ausgeführt hat, ist Herr d’Herblay, der Bischof von Vannes.«

»Ihr Freund!« rief Ludwig. – »Er war mein Freund,« antwortete Fouquet edel. »Ich wußte nichts von dem schändlichen Vorhaben.« – »Und wer war sein Helfershelfer? Wer war der Riese, der mit seiner herkulischen Kraft drohte?« – »Das muß Baron du Vallon gewesen sein.« – »Ha! Ich werde die Schuldigen züchtigen, einen wie alle!« rief Ludwig. – »Sire, erwägen Sie!« entgegnete Fouquet. »Ein Prozeß würde in diesem Falle die Ehre des Throns beeinträchtigen. Der erhabene Name Annas von Oesterreich darf nicht vor ein Gericht gezogen werden. Königliches Blut darf nicht auf dem Schafott fließen.« – »Wie? Sie glauben an diese Zwillingsgeburt?« rief der König. »Das ist eine Erfindung d’Herblays, die sein Verbrechen noch erschwert, wenn dies möglich ist. Er und sein Genosse müssen sterben, und sterben muß dieser Pseudoprinz, das elende Werkzeug des Verwegenen!«

»Sire, was ihn anbetrifft, so werden Sie die Ehre Ihrer Krone wahren, ich menge mich da nicht hinein. Nur eines wage ich anzudeuten, Sire,« antwortete Fouquet. »Ehe Sie Ihrem Zwillingsbruder Philipp von Frankreich den Kopf abschlagen lassen, sprechen Sie mit Ihrer Mutter. Was aber d’Herblay und du Vallon anbetrifft, so bitte ich für sie um Gnade!« – »Gnade für die Meuchelmörder?« rief der König. – »Zwei Rebellen, Sire, weiter nichts.« – »Und Ihre Freunde? Ja ich verstehe. Doch die Sicherheit meines Reiches erheischt es, daß ich die Schuldigen bestrafe.«

»Ich erinnere Eure Majestät daran,« sagte Fouquet bescheiden, »daß ich Ihnen eben die Freiheit gegeben und das Leben gerettet habe. Und hätte Herr d’Herblay die Rolle eines Mörders spielen wollen, so hätte er heute früh Eure Majestät unterwegs nur durch einen Pistolenschuß zu töten brauchen, und alles wäre abgetan gewesen.« – Ludwig XIV. fuhr zusammen. – »Ein Pistolenschuß in den Kopf,« setzte Fouquet hinzu, »hätte das Gesicht der Leiche bis zur Unkenntlichkeit zerschmettert, und niemand würde in dem Toten den König von Frankreich erkannt haben. Dann würde d’Herblay mir auch nicht seinen Plan enthüllt haben. Nachdem der wahre König beseitigt, hätte der falsche König sich an seine Stelle gesetzt, und kein Mensch hätte das Geheimnis entdeckt. Sicherheit für alle Zeiten, Straflosigkeit und den Erfolg seiner Tat – das alles hätte sich d’Herblay mit diesem Pistolenschuß verschafft. Danken Sie also auch ihm, Sire, daß man Sie noch retten kann!«

Fouquet wollte den König rühren, aber er erreichte das Gegenteil. Dieses stolze Gemüt vermochte nicht den Gedanken zu ertragen, daß ein Sterblicher sein Leben in der Hand gehabt habe. Er fühlte sich tief gedemütigt, und jedes Wort, durch das Fouquet die Begnadigung seiner Freunde zu erlangen hoffte, war ein Tropfen Gift, in das empörte Herz des Königs geträufelt. Mit Ungestüm wendete er sich an Fouquet und rief: »Mein Herr, wie können Sie mich um Gnade für diese Leute bitten? Warum auch tun Sie es? Sie haben es gar nicht nötig. Ich bin ja hier in der Bastille, und man hält mich für den wahnsinnigen Marchiali, der sich für den König ausgibt. Aendern Sie einfach nichts daran! Lassen Sie den Verrückten hier im Kerker, und der neue König wird nichts gegen Herrn d’Herblay und Herrn du Vallon tun.«

»Majestät,« antwortete Fouquet trocken, »wenn ich einen neuen König hätte machen wollen, würde ich in Vaux geblieben sein, statt zu Ihrer Rettung hierher zu eilen. Das ist doch einleuchtend. Majestät sind im Zorn, sonst würden Sie nicht denjenigen beleidigen, der Ihr treuester Diener ist und Ihnen den wichtigsten Dienst geleistet hat.« – Ludwig erkannte, er war zu weit gegangen, denn noch hatten sich ihm die Tore der Bastille nicht geöffnet, während sich allmählich die Schranken auftaten, hinter denen der edelsinnige Fouquet seinen Zorn zurückhielt. – »Ich habe das nicht gesagt, Herr Fouquet,« sprach er, »um Sie zu demütigen, sondern nur um festzustellen, daß ich gegen mein Gewissen handeln müßte, wenn ich diese Verbrecher straflos ließe. Es sei denn, Sie legen mir Bedingungen auf, zu denen ich mich verpflichten soll, ehe Sie mich freilassen.«

»Majestät, ich habe unrecht,« antwortete Fouquet. »Ich errege in der Tat den Anschein, als wollte ich eine Gnade erzwingen. Das tut mir sehr leid, und ich bitte Sie um Verzeihung.« – »Ihnen ist vergeben, Herr,« antwortete der König. »Aber Verzeihung für d’Herblay und du Vallon erlangen Sie nie, solange ich lebe. Reden Sie nie mehr davon.« – »Sire, ich werde gehorchen,« antwortete Fouquet kurz. »Auch sah ich voraus, Sie würden den beiden Ihre Gnade versagen, und habe demzufolge meine Maßregeln getroffen. Herr d’Herblay hat sich mir offenbart und mir dadurch das Glück verschafft, meinen König und mein Vaterland zu retten. Ich konnte ihn nicht zum Tode verdammen, indem ich ihn dem Zorn Eurer Majestät auslieferte. Ich habe ihm und Herrn du Vallon meine besten Pferde und vier Stunden Vorsprung gegeben. Eure Majestät können sie nicht mehr einholen. Sie werden Belle-Ile erreichen, wo ich ihnen ein Asyl zugestanden habe.« – »Sie vergessen, Belle-Ile haben Sie mir geschenkt.« – »Doch nicht, damit Sie da meine Freunde verhaften.« – »Sie nehmen es mir wieder?« – »Dann ja, Majestät.« – »Meine Musketiere werden es in Besitz nehmen.« – »Weder Ihre Musketiere noch Ihre ganze Armee, Sire,« erwiderte der Minister. »Belle-Ile ist uneinnehmbar.«

Der König wurde blaß, und ein Blitz flammte aus seinen Augen. In diesem Moment war das Schicksal Fouquets besiegelt. Er fühlte es, allein er gehörte nicht zu denen, die ihr Leben höher einschätzen als ihre Ehre. Er hielt dem tückischen Blicke des Königs stand. Ludwig bezwang seine Wut und sagte nach kurzem Schweigen: »Lassen Sie uns nach Vaux gehen.« – »Ich stehe zu Eurer Majestät Befehl,« antwortete Fouquet mit einer tiefen Verbeugung. »Doch, bitte, erst zum Louvre, Majestät, damit Sie die Kleider wechseln können.«

Und sie gingen von dem verblüfften Baisemeaux fort, der schon einmal Marchiali hatte gehen sehen und sich die wenigen Haare ausriß, die ihm noch verblieben waren.