Am folgenden Tage nahmen die Festlichkeiten mit königlichem Pomp ihren Fortgang. Die Reise nach Paris begann. Von Guiche hatte gehofft, man werde Buckingham mit dem Admiral nach England zurückschicken; doch wußte der Lord der Königin-Witwe einzureden, es sei unziemlich, eine englische Prinzessin ganz allein in Paris einziehen zu lassen. Der junge Herzog wählte sich unter den Engländern, die bis nach Havre mitgekommen waren, einen Hof von Offizieren und Edelleuten aus, und der Zug, den er nach Paris führte, glich fast einem Heere. Rudolf verstand es auch in der Folgezeit, seinen doppelten Einfluß auf Buckingham und auf Guiche vorteilhaft anzuwenden und beide in Schranken zu halten. Was den Briten betraf, so fühlte er sich seit jener inhaltsschweren Unterredung vor den Zelten zu Havre sehr zu dem jungen Vicomte hingezogen und sprach oft von ihm, von seinem Vater oder von d’Artagnan, ihrem gemeinsamen Freunde, den Buckingham ebenso bewunderte wie Rudolf.

Namentlich wenn von Wardes anwesend war, lenkte Rudolf das Gespräch auf den neuen Generalkapitän der Musketiere, und von Wardes, der den Vicomte um die Rolle beneidete, die er in der letzten Zeit bei seinem Gönner, dem Grafen von Guiche, spielte, machte dann kein Hehl aus seinem Haß und seiner Mißgunst. Eines Abends, als man in Nantes Rast machte, lehnten von Guiche und von Wardes an einer Barriere, während Buckingham und Rudolf plaudernd auf und ab gingen.

»Gestehe es, du bist krank,« sagte Wardes zum Grafen, »und dein Hofmeister kann dich nicht heilen.« – »Ich verstehe dich nicht,« versetzte Guiche. – »Tröste dich,« fuhr der junge Mann lauernd fort, »Madame wird nicht gleichgültig bleiben gegen deine Qualen. Sie nimmt schon jetzt so regen Anteil daran, daß sie sich kompromittiert. Du siehst es doch wohl selbst, daß sie dich ganz besonders sanft anschaut und einen ganz eigenartigen Ton anschlägt, wenn sie mit dir redet. Und alle Morgen klagt sie dir, sie habe schlecht geschlafen.« – Von Guiche machte eine unruhige Bewegung, obwohl die Worte seines falschen Freundes ihm schmeichelten. – »Hörst du, sie ruft dich,« setzte dieser hinzu. – Der Graf wendete sich nach der Seite, wo die Prinzessin im Gespräch mit Manicamp saß. Er vermochte nicht zu widerstehen und trat hinzu. – »Nun ja, geh nur,« sagte von Wardes, »dein Hofmeister sieht nicht hin.«

»Sie irren sich,« erklang jetzt Rudolfs Stimme, und er trat vor Wardes. »Der Hofmeister sieht es doch und hört auch, was Sie sagen.« – Der junge Mann fuhr auf und zog das Schwert halb aus der Scheide. – »Stecken Sie es nur ruhig wieder ein,« sagte Bragelonne. »Sie wissen, daß es vor Beendung unserer Reise zu keiner solchen Auseinandersetzung kommen darf. Aber mäßigen Sie Ihre Zunge. Warum wollen Sie in das Herz des Mannes, den Sie Freund nennen, alles Gift Ihres eigenen Herzens gießen? Sie sind in meinen Augen ein Elender und ein Verräter.« – »Herr!« rief Wardes. »Ich hatte also recht, als ich Sie einen Hofmeister titulierte. Der Ton, den Sie anschlagen, die Manier, der Sie sich befleißen, paßt für einen Jesuiten, aber nicht für einen Edelmann. Mir gegenüber aber legen Sie diesen Ton gefälligst ab. Sie ändern nichts daran, daß ich Herrn d’Artagnan hasse, weil er eine Niederträchtigkeit an meinem Vater begangen hat.« – »Sie lügen!« rief Bragelonne. – »Ha! Sie nennen mich einen Lügner und ziehen nicht das Schwert?« versetzte von Wardes. – »Weil ich mir vorgenommen habe, Sie erst dann zu töten, wenn wir diese Reise hinter uns haben,« antwortete Rudolf. – »Nehmen Sie sich in acht,« drohte Wardes, »wenn Sie mir nicht Genugtuung geben, so werde ich jedes Mittel ergreifen, mich zu rächen.«

»Oho!« ließ sich jetzt Lord Buckingham vernehmen, indem er hinzutrat, »diese Worte klingen ja fast nach Meuchelmord und ziemen sich nicht für einen Edelmann. Sie beleidigen meinen Freund und werden mir Rede stehen!« – Von Wardes drehte sich nach dem Herzog um.

»Es scheint doch aber,« versetzte er, »als ob ich Ihren Freund nicht beleidige, denn er hat ein Schwert an der Seite und läßt es unberührt.« – »Aber Sie beleidigen den Chevalier d’Artagnan,« rief Buckingham aufbrausend, »und der Chevalier ist der ehrenwerteste Kavalier, den ich kenne. Ich bin ihm persönlich verpflichtet, und es wird mich freuen, meine Dankesschuld durch einen derben Schwertstreich in Ihr falsches Angesicht abzutragen.«

Mit diesen Worten zog Buckingham den Degen und drang auf Wardes ein, aber Rudolf trat mit gezückter Klinge zwischen beide. »Halt, meine Herren!« rief er. »Das lohnt nicht der Mühe. Herr von Wardes schmäht den Chevalier und kennt ihn doch nicht einmal. Nein, Sie kennen ihn nicht, Herr! Sie wissen ja nicht einmal, wo er wohnt. Nun, ich will es Ihnen sagen. Chevalier d’Artagnan wohnt im Louvre, wenn er Dienst hat, und in der Lombardstraße, wenn er dienstfrei ist. Sie haben mit ihm abzurechnen, und wenn Sie ein Ehrenmann sind, so werden Sie ihn nach unserer Ankunft in Paris aufsuchen und zur Rede stellen, damit er Ihnen die Genugtuung gebe, die Sie von jedermann, nur nicht von ihm zu verlangen scheinen. Was gebärden Sie sich hier als Raufbold? Das schickt sich nicht für einen Edelmann; denn Sie wissen recht wohl, der König hat die Duelle streng verboten.«

»Eitle Entschuldigungen!« rief von Wardes. – »Was Sie da sagen, ist dummes Geschwätze, Herr,« versetzte der Vicomte. »Herr von Buckingham ist ein tapferer Mann, der sich in mehreren Feldzügen schon bewährt hat, und ich habe mich bei Lens, bei Blenau, bei den Dünen geschlagen und war dort hundert Schritte vor der Linie, während Sie, beiläufig gesagt, hundert Schritte dahinter waren. Dort unten, freilich, waren so viele Menschen, daß niemand auf Ihre Heldentaten achtgegeben hätte, deshalb strengten Sie sich wohl auch nicht an. Jetzt aber wollen Sie von sich reden machen, auf welche Art es immer sei. Dazu werde ich Ihnen nicht behilflich sein.«

Von Wardes stürzte mit gezücktem Schwert auf Rudolf los, der rasch zur Seite trat. – »Ich sage Ihnen, ich schlage mich jetzt nicht!« rief Bragelonne. »Wenn wir in Paris sind, führe ich Sie zu d’Artagnan, das verspreche ich Ihnen, und d’Artagnan wird den König um Erlaubnis bitten, Ihnen einen Schwertstreich zu versetzen. Wenn Sie den erhalten haben, werden Sie still sein.« – »Ha!« rief von Wardes, erbost über diese Gelassenheit. »Man sieht es, daß Sie ein Bastard sind, Herr von Bragelonne!«

Rudolf wurde totenbleich. Sein Auge flammte auf, so daß Wardes unwillkürlich zurückwich. – »Wohl, ich kenne nur den Namen meines Vaters,« stieß Rudolf hervor. »Aber der Graf de la Fère ist ein Mann von Ehre, und ich brauche nicht zu befürchten, daß auf meiner Geburt ein Makel läge. Daß ich den Namen meiner Mutter nicht kenne, ist für mich also nur ein Unglück, keine Schmach. Wenn Sie mir solch ein Unglück zum Vorwurf machen, so verstoßen Sie gegen die guten Sitten. Aber die Beleidigung ist ausgesprochen worden, und diesmal halte ich mich in der Tat für beleidigt. Machen wir also ein Ende!« – Und mit ausgestrecktem Schwerte trat er auf Wardes zu.

»Was tun Sie?« rief Buckingham. – »Seien Sie unbesorgt,« versetzte Rudolf kaltblütig. »Es wird nicht lange dauern.« – Von Wardes ging in Fechterstellung, die Klingen kreuzten sich. Aber von Wardes stürzte mit solcher Hast auf Bragelonne, daß Buckingham gleich nach den ersten Degenstößen wußte, auf wessen Seite der Vorteil lag und wer den Sieg davontragen würde. Rudolf schien nur zu spielen, er parierte mit der größten Ruhe, dann stieß er eine Finte und fing die Klinge seines Gegners so geschickt ab, daß von Wardes den Griff verlor und der Stahl im Bogen durch die Luft sauste. Rudolf warf darauf sein Schwert weg, packte den andern um den Leib und schleuderte ihn über die Barriere. Von Wardes erhob sich, leichenfahl im Gesicht. – »Wir sprechen uns noch,« keuchte er, hob sein Schwert auf und ging davon.

»Lieber Vicomte,« sagte Buckingham, »tragen Sie von jetzt ab einen Panzer. Der Mensch wird Sie morden.« – Rudolf zuckte mit unsäglicher Geringschätzung die Achseln. »Mein Vater,« antwortete er, »ist zwanzig Jahre lang von einem noch furchtbareren Feinde bedroht worden und lebt heute noch.« – »Ihr Vater hatte gute Freunde,« sagte der Brite. – »Ja, Freunde, wie es heute keine mehr gibt,« seufzte Bragelonne. – »O, sagen Sie das nicht in dem Augenblick, Vicomte, wo ich Ihnen meine Freundschaft anbiete,« erwiderte der Lord und schloß den jungen Mann in die Arme. »In meiner Familie,« setzte er hinzu, »opfert man sein Leben für die, die man der Freundschaft wert hält. Sie wissen das recht wohl, Herr von Bragelonne.« – »Ich weiß es,« nickte Rudolf.

*

Die Prinzessin erreichte wohlbehalten Paris. Ihr Weg glich einem Siegeszuge, denn überall machte ihre Schönheit den tiefsten Eindruck und gewann ihr alle Herzen im Fluge. Nicht nur die Edelherren waren begeistert von ihrem Liebreiz, auch die Edelfräulein priesen ohne Neid und in schwärmerischen Worten die Anmut und unnachahmliche Grazie Henriettens. Man bedauerte allgemein, daß die Reihe der Ehrendamen schon vollzählig sei, und beneidete die jungen Mädchen, denen es geglückt war, eine Stelle an ihrem Hofe zu erhalten.

Am Weichbilde von Paris hatte Monsieur, ihr künftiger Gemahl, sie empfangen, und die schwerfällige Reisekutsche war gegen eine prunkvolle Karosse vertauscht worden. Die Begleiter der Prinzessin wurden Monsieur vorgestellt, und alsbald fiel dem Prinzen das seltsame Benehmen Lord Buckinghams unangenehm auf. Chevalier von Lorraine, sein zweiter Günstling, ließ es sich, intrigant wie er war, nicht entgehen, den Stachel der Eifersucht in das Herz des Bräutigams zu senken. Orléans runzelte die Stirn, dann schüttelte er die Locken und sagte mit dem fast weibischen Schmollen, das ihm eigen war: »Weshalb soll ich mir wegen meiner Kusine das Herz schwer machen? Kenne ich sie denn nicht? Bin ich nicht mit ihr großgeworden? Habe ich sie nicht als Kind im Louvre gesehen?« – »Es ist ein Unterschied, Hoheit,« versetzte der Chevalier. »Damals war sie noch nicht so lebhaft – vor allem noch nicht so stolz – konnte sich auch nicht so vorteilhaft, so kokett kleiden wie heute. Besinnen Sie sich noch darauf, Monsieur, daß der König eines Abends nicht mit ihr tanzen wollte, weil er ihre Toilette abgeschmackt fand?« – Orléans wandte sich mißmutig ab, denn in dieser Erinnerung lag nichts eben Schmeichelhaftes für ihn.

Die Prinzessin und ihre Mutter wurden im Louvre einquartiert, in demselben Palast, wo sie während ihres Exils alle Bitternis des Elends durchgekostet hatten. Jetzt aber sah es anders darin aus, anders empfing man sie jetzt. Die Zimmer waren gesäubert, geheizt und aufs prachtvollste eingerichtet. Die Dienerschaft, die ihnen früher fast geringschätzig begegnet war, betätigte sich mit allem Eifer tiefster Ergebenheit, überall salutierten die Ehrenwachen, ein ganzer Troß von Hofleuten tummelte sich in den Antichambres. Schöne junge Damen warteten der königlichen Braut auf Schritt und Tritt auf, und auf demselben Tische, auf dem zur Zeit der Verbannung kaum ein Stückchen Brot gelegen hatte, wurde jetzt ein köstliches Mahl serviert, das ihnen zur ersten Erfrischung nach der langen Reise dienen sollte. Nachdem die Prinzessinnen von ihren Gemächern Besitz genommen hatten, war das Ehrengeleit entlassen.