Das große Fest, zu dem Fouquet den Hof nach Schloß Vaux geladen, und das ihm nach seiner Befürchtung den Untergang, nach Aramis‘ Zuversicht die Rettung bringen sollte, hatte mit der Ankunft Ludwigs XIV. begonnen. Fouquet, der an den Prophetismus d’Herblays nicht glaubte, war entschlossen, in Ludwigs Brust einen Neid zu erwecken, den er bis an sein Lebensende nicht überwinden sollte. Schon die Wege waren von Melun an aufs sorgsamste hergerichtet worden, und man hätte auf dieser ganzen Strecke nicht einen eigroßen Kieselstein gesunden. Da die Wagen wie auf einem Teppich fahren konnten, langten die Herren und Damen noch des Abends um acht Uhr an, ohne die geringste Erschütterung erlitten zu haben, ohne die mindeste Müdigkeit zu spüren.

Sie wurden von Herrn und Frau Fouquet empfangen, und kaum hatte der König den Fuß auf den Boden des Schloßgartens gesetzt, so flammten rings an den Bäumen, Sträuchern und Marmorgruppen Lichter auf, die alles ringsum tageshell erleuchteten. Dieser Zauber währte so lange, bis die Majestäten den Palast betreten hatten. Noch am selben Abend überraschte Fouquet den König durch eine Entfaltung von Glanz, die selbst diese trotz ihrer Jugend schon übersättigten Augen blendete. Der große Reigen von luxuriösen Vergnügungen, die geplant waren, und die durch den Staatsstreich des Herrn d’Herblay ein so jähes Ende nehmen sollten, wurde mit einigen Prachtnummern eröffnet, die allein schon Unsummen kosteten. Bei diesem Anblick wurde das erst fröhliche, offene und glückliche Gesicht Ludwigs XIV. traurig, finster, zornig. Er dachte an seinen eigenen Haushalt, welcher im Gegensatz zu dem hier dargestellten Pomp armselig genannt werden mußte. Man speiste auf Gold, das noch nie benützt worden war, das berühmte neue Meister ziseliert hatten. Man trank Weine, die der König nicht einmal dem Namen nach kannte, und trank sie aus Bechern, von denen jeder einzelne kostbarer war, als der ganze königliche Keller.

Der König speiste schweigsam. Anna von Oesterreich hatte sich vorgenommen, alles zu tadeln, und handelte danach, Maria-Theresia, gutmütig und neugierig, interessierte sich für alles und machte kein Hehl aus ihrem Entzücken. Sie erkundigte sich nach gewissen Früchten, die aus Fouquets Treibhäusern waren, und wollte wissen, wie sie genannt würden. Fouquet antwortete, er wisse die Namen selber nicht. Ludwig merkte, daß er nur aus Taktgefühl so sprach, und fühlte sich um so mehr gedemütigt. Er ärgerte sich darüber, daß die Königin zu freundlich und die Königin-Mutter zu abweisend war. Er richtete seine ganze Sorgfalt darauf, die richtige Mitte in seinem Wesen innezuhalten.

Allein Fouquet hatte das alles vorausgesehen, denn er war ein Mann von großem Scharfblick. Der König hatte erklärt, auf Schloß Vaux sollten die Mahlzeiten nicht der Hofetikette unterworfen sein. Er wollte inmitten der andern sitzen. Doch der Ober-Intendant gab ihm einen abgesonderten Platz, im Zentrum der allgemeinen Tafel. Dieses wunderbar zusammengestellte Diner enthielt alle Lieblingsgerichte Ludwigs, und zwar in einer Zubereitung, die über alles Lob erhaben war. Der König hatte keinen Grund, ungehalten zu sein, und da er für den stärksten Esser seines Reiches galt, so konnte er auch nicht Mangel an Appetit vorschützen.

Fouquet tat noch mehr. Er setzte sich zunächst mit an die Tafel, doch als die Suppe verzehrt war, stand er auf und begann selbst den König zu bedienen, gleichzeitig erhob sich Frau Fouquet und bediente die Königin-Mutter. Ludwig konnte nicht anders als laut erklären: »Herr Fouquet, ein besseres Mahl anzurichten, ist nicht mehr menschenmöglich.« – Nun bekannte der gesamte Hof seinen Beifall, und zwar so ungeheuchelt, daß der König abermals zu schmollen begann und, als sein Hunger gestillt war, sich ernstlich schlechter Laune fühlte. Als das Festessen zu Ende war, begab er sich in den Park, der feenhaft erleuchtet war, ganz zu schweigen von dem Monde, der, als fügte er sich den Anordnungen des Schloßherrn von Vaux, die Teiche mit seinem Phosphorlicht versilberte. Es herrschte eine angenehme Kühle, und die Wege waren mit weichem Sande bestreut, welcher den Füßen wohltat.

D’Artagnan hatte an diesem Abend seine klugen Gaskogner-Augen offen gehalten und vieles bemerkt, was ihm nicht sehr geheuer vorkam. Er wollte Aramis befragen und lief so lange herum, bis er ihn traf. Er fand ihn in einem schönen Zimmer, welches man das blaue nannte, seiner Vorhänge wegen, und das d’Herblay mit Porthos teilte. Der Herr Baron saß in einem Lehnstuhl und erquickte sich, da er sehr viel gegessen hatte, durch ein Schläfchen. D’Herblay und d’Artagnan brauchen sich also an die Anwesenheit dieses Dritten nicht zu kehren.

Der Musketier fühlte, daß er das Gespräch eröffnen müsse, und begann denn auch mit den tiefsinnigen Worten: »So sind wir denn nun in Vaux.« – »Ja, in Vaux,« antwortete Aramis, »gefällt es Ihnen hier?« – »Sehr, und ich mag auch Herrn Fouquet sehr gern.« – »Nicht wahr, er ist prächtig.« – »Es läßt sich nichts dagegen sagen, nur scheint Seine Majestät anderer Meinung zu sein.« – »Ich habe nicht darauf geachtet, weil ich mich in Gedanken mit dem Programm des morgigen Tages beschäftigt habe.« – »Ah, Sie sind wohl hier sozusagen Festordner? Wissen Sie, Aramis, es war schon heute alles so großartig, daß mir während des Soupers ein seltsamer Gedanke gekommen ist.« – »Und der wäre?« – »Ich habe bei mir gedacht,« sprach der Kapitän der Musketiere, »der wahre König von Frankreich sei gar nicht Ludwig XIV.« – »Hm!« murmelte Aramis und öffnete unwillkürlich die Augen um einen Spalt weiter. – »Nicht Ludwig XIV.,« fuhr der Gaskogner fort, »sondern Herr Fouquet.« – »Diese Redensart stammt doch sicherlich von Herrn Colbert,« sagte Aramis lächelnd. »Ein erbärmlicher Kerl, dieser Colbert! Und wenn man bedenkt, daß er in vier Wochen Ihr Minister sein wird –«

»Wie Fouquet der Ihrige,« warf d’Artagnan ein. – »Mit dem Unterschied,« sagte Aramis, »daß Fouquet ein ganz anderer Mann ist.«

»Wenn Herr Fouquet in vier Wochen schon zugrunde gerichtet sein wird,« sagte der Gaskogner, »warum gibt er dann noch Festlichkeiten? Weshalb haben Sie ihm nicht davon abgeraten?« – »Es handelt sich darum, sich den König gewogen zu halten.« – »Indem man sich für ihn zugrunde richtet?« meinte d’Artagnan. »Eine eigentümliche Spekulation. Und ich bin kein Freund von unnützen Narrheiten. Aramis, warum sind die Zimmer im Schloß sogar frisch gedielt worden, von den neuen Tapeten ganz zu schweigen?« – »Ich sagte das Herrn Fouquet auch, aber er antwortete mir, er sei reich genug, dem König ein ganz neues Schloß aufzubauen und es, nachdem der König darin geweilt, mit allem, was es enthalte, verbrennen zu lassen, damit die Gegenstände später von niemand anders benutzt würden.« – »Das ist rein spanisch,« meinte d’Artagnan. »Uebrigens können Sie das jedem andern erzählen, nur mir nicht. Sagen Sie mir doch ruhig die Wahrheit!«

»Freund, schon wieder argwöhnisch?« – »Sie wissen, ich habe instinktartige Eingebungen,« antwortete der Chevalier. »Früher glaubten Sie daran. Und hier scheint es mir, als wenn Sie mit einem geheimen Projekt umgingen.« – »Daß ich nicht wüßte,« erwiderte Aramis ruhig. »Wenn ich mit einem Projekt umgehe, das ich verschweigen muß, so werde ich schweigen – wenn es eins wäre, das ich Ihnen mitteilen könnte, so wüßten Sie es längst.« – »Aramis, es gibt Projekte, die man erst im günstigen Moment kundgibt.« – »Nun, dieser günstige Moment ist eben noch nicht gekommen.« sagte Aramis lächelnd.

D’Artagnan schüttelte den Kopf. »Freundschaft, Freundschaft!« murmelte er. »Ein eitler Begriff. Und das ist ein Mann, der sich für mich, wenn ich es verlangte, in Stücke hauen lassen würde.« – »Das ist wahr,« sprach Aramis edel. – »Und derselbe Mann, der das Blut all seiner Adern für mich hingeben würde, öffnet mir nicht einmal einen kleinen Winkel seines Herzens. Freundschaft, du bist nur ein leerer Wahn.« – »Reden Sie doch nicht so von unserer Freundschaft, d’Artagnan!« rief d’Herblay.

»Aramis,« versetzte der Kapitän, »ich will Ihnen etwas sagen. Gegen Colbert zu komplottieren, das wäre Ihnen zu gering. Hinter dem allen steckt also mehr, das steht für mich fest. Ob Sie nun reden oder schweigen wollen, so erkläre ich Ihnen mit aller Bestimmtheit, wir sind die besten Freunde, wir sind sogar Brüder, aber wenn Sie etwas gegen den König ins Werk setzen wollen, so kann ich Ihnen nicht helfen. Aber eins kann ich tun, Aramis, ich kann neutral bleiben, ja, ich kann versuchen, Sie zu retten.« – »Sie phantasieren, Freund,« erwiderte Aramis. »Was soll man einem legitimen König anhaben? Und dann sind Sie ja mit den Musketieren da. Nein, d’Artagnan, wenn es meine Absicht wäre, den Sohn Annas von Oesterreich, den wahren König von Frankreich, auch nur mit einem Finger anzurühren, wenn ich nicht willens wäre, mich vor seinem Throne niederzuwerfen und den morgigen Tag auf Schloß Vaux zum glorreichsten von allen Tagen meines Königs zu machen – dann möge mich der Blitz zermalmen!«

Er sprach diese Worte in seltsamer Betonung mit gegen die Wand gekehrtem Gesicht. Indessen stellten sie den Musketier zufrieden, er faßte d’Herblays Hand und drückte sie herzlich. – »Gehen Sie fort?« fragte Aramis. »Dann nehmen Sie Porthos mit.« – »Wohnt er nicht bei Ihnen?« – »Gott bewahre! er hat sein eigenes Zimmer. Das wäre schön, wenn er hier schliefe, denn unter mir wohnt der König, und Porthos schnarcht wie eine Kanone.« – Der Kapitän weckte den Riesen und ging Arm in Arm mit ihm hinaus. Aramis und Porthos getrennt zu wissen, benahm ihm die letzte Spur von Argwohn.

Sobald sie gegangen, trat Aramis zur Wand und drückte auf eine Feder; die Tapete öffnete sich und zeigte einen kleinen Raum, aus dem Philipp, der ehemalige Gefangene der Bastille, hervortrat. – »Herr d’Artagnan hat Verdacht geschöpft,« murmelte er. – »Haben Sie ihn erkannt?« fragte Aramis. »Ja, das war der Kapitän Ihrer Musketiere.« – »Er ist mir sehr ergeben.« – »Wie ein Hund, der manchmal beißt,« antwortete d’Herblay. »Wenn d’Artagnan Sie nicht erkennt, ehe der andere beiseitegeschafft worden ist, dann können Sie auf Ihren Kapitän zählen in alle Ewigkeit. Wenn er nichts gesehen hat, bleibt er treu, und hat er zu spät etwas gemerkt, so ist er Gaskogner und gibt nie zu, daß er sich hinters Licht führen ließ. Doch sehen Sie jetzt hierher!« fuhr Aramis fort und schob ein fensterbreites Stück der Diele zur Seite. Darauf kam eine Oeffnung zum Vorschein, durch die man wie durch einen Schleier in das untere Zimmer blicken konnte.

Philipp sah hinab und zuckte zusammen. »Der König!« flüsterte er. – »Ja, und geben Sie acht, was er tun wird.« – »Colbert ist bei ihm,« sagte Philipp. »Ich erkenne den Mann mit den dicken Brauen und dem unförmigen Schädel. Sie haben Ihre Porträts trefflich gezeichnet, Herr d’Herblay.« – Aramis nickte. »Sie sahen nun, wie Ludwig XIV. den Intendanten mit außergewöhnlicher Huld empfing. – »Colbert,« sprach er, »Sie haben heute alles mögliche getan, um mir die Laune zu verderben.« – »Ich weiß, Sire,« sprach Colbert. – »Sehr gut, die Antwort gefällt mir. Sie haben Mut gezeigt. Nun denn, waren Sie meinetwegen besorgt?« – »Und wäre es nur ein verdorbener Magen, Sire,« antwortete Colbert, »man gibt solche Feste nur, um den König unter der Last schwerer Speisen zu ersticken.«

»Woher nimmt er das Geld, um die ungeheuern Auslagen zu bestreiten?« sagte der König. »Wissen Sie das vielleicht?« – »Ja, ich weiß es, Sire.« – »So erklären Sie es mir.« – »Sire, die Lebenden sehen Herrn Fouquets Reichtum und klatschen Beifall, aber die Toten, die weiser sind als wir, kennen die Quelle dieses Reichtums und klagen an.«

»Sie müssen vertrauensvoller mit mir sprechen, Colbert,« sagte Ludwig XIV., »fürchten Sie nichts, wir sind allein.« – »Ich fürchte nie etwas, Sire, wenn ich mich im Schutze meines Gewissens und meines König weiß.« – »Nun also,« unterbrach Ludwig ihn. »Wenn die Toten reden könnten–?« – »Sie können bisweilen doch reden,« sagte Colbert. »Hier, lesen Sie, Sire!« Und er legte ihm einen jener Briefe Mazarins vor, die Frau von Chevreuse ihm verkauft hatte.

»Ich verstehe das noch nicht ganz,« murmelte der König, als er gelesen hatte. »Es handelt sich da um Geld, das man Herrn Fouquet gegeben. Um dreizehn Millionen. Fehlt dieser Betrag etwa in der Gesamt-Abrechnung?« – »Das ist nachgewiesen,« antwortete Colbert. »Aus diesem Briefe geht deutlich hervor, daß Herr Fouquet diese dreizehn Millionen für sich genommen hat. Mit einem solchen Betrage kann man schon Feste geben.«

»Colbert, das wäre ja eine Unterschlagung,« murmelte Ludwig XIV. »Und wenn ich nicht Gast des Herrn Fouquet wäre –« – »Eure Majestät sind überall zu Hause,« erwiderte Colbert, »und zumal in Häusern, die man von Ihrem Gelde erbaut hat.«

»Mich dünkt,« flüsterte Philipp oben Aramis zu, »der Mann, der dieses Haus errichtete, hätte die Decke dieses Zimmers beweglich machen sollen, damit man sie jetzt auf den Kopf dieses schwarzen Schurken herabfallen lassen könnte!« – »Mein Prinz, horchen Sie weiter,« antwortete d’Herblay. – »Wir werden nicht mehr lange zu horchen haben,« sagte Philipp. – »Wie das, Hoheit?« fragte der Bischof. – »Weil ich nichts mehr zu antworten hätte, wenn ich König wäre,« antwortete der Prinz. – »Und was würden Sie tun?« – »Bis morgen warten, um nachzudenken.«

Ludwig XIV. erhob sich in demselben Augenblick und sprach: »Colbert, es ist spät, ich will zu Bett gehen. Morgen werde ich Ihnen meinen Entschluß bekanntgeben.« – Colbert schritt rückwärts der Tür zu. Der König rief seine Diener und ließ sich entkleiden. Philipp wollte seinen Beobachtungsposten verlassen, doch Aramis sprach: »Ein Weilchen noch! Das ist auch sehr lehrreich. Sie lernen dabei den Nachtdienst, die Etikette des Schlafengehens kennen, und morgen müssen Sie ganz genau wissen, wie ein König sich zu Bett legt.«

Der neue Tag brachte neue Mannigfaltigkeit an Prunk und Freuden. Fouquet zeigte sich als Mäcen inmitten einer großen Zahl von Künstlern; da sah man Lafontaine, den berühmten Fabeldichter, Molière, den Schauspieler und Verfasser beliebter Komödien, Lebrun, den ausgezeichneten Maler, dazu Gelehrte aller Fächer. Alle Wunder von Tausendundeiner Nacht schienen sich in den Gärten von Vaux zu entfalten; eine orientalische Märchenwelt war nach Frankreich verpflanzt worden und blendete mit noch nie gesehenen Veranstaltungen, mit fast unerklärlichen Zauberspielen die Augen der Zuschauer. Aber je größer die Pracht war, um so größer wurde Ludwigs Neid. Man sah den König nicht ein einziges Mal lächeln, und alle, die ihn kannten, flüsterten sich zu, es drohe ein Unwetter. Colbert, der wohl von allen Höflingen den schärfsten Blick hatte, erkannte zu seiner Befriedigung, daß der König sich mit einem finstern Entschluß trug.

Der Abend kam heran; der König wünschte erst nach dem Spiel spazieren zu gehen. Es wurde also zwischen dem Souper und der Promenade »gejeut«. Ludwig gewann tausend Pistolen, steckte sie in die Tasche und rief: »Auf in den Park, meine Herren!« – Aber Fouquet hatte es verstanden, 10 000 Pistolen zu verlieren, und zwar so, daß einem jeden der Höflinge ein Teil der Summe zufiel. Man gehorchte daher nur zögernd der Aufforderung des Königs, die Spieltische zu verlassen. Das reizte den erlauchten Gast nur noch mehr gegen seinen Wirt auf. Er sah die Gesichter der Herren und Damen strahlen und wußte, daß er selbst mit gar saurer Miene unter ihnen stand.

An der Ecke einer Allee wartete Colbert auf ihn. Ohne Zweifel kam der Intendant auf grund eines geheimen Einverständnisses dorthin; denn bisher war Ludwig ihm aus dem Wege gegangen; jetzt aber gab er ihm einen Wink, und Colbert trat herzu. Beide schritten tiefer in den Park hinein.

Aber auch Luise von Lavallière hatte den finstern Blick, die flammende Stirn des Königs bemerkt, und da ihr liebendes Auge alle Regungen dieser Seele zu erspähen vermochte, so ahnte sie, daß von seinem Zorne jemand Gefahr drohe. Sie stellte sich als Engel des Erbarmens auf den Weg der Rache.

Colbert blieb bei ihrem Anblick stehen und ließ sie allein mit dem König. – »Fräulein,« sprach Ludwig, erfreut, sie zu sehen, »Sie scheinen traurig zu sein. Ihr Auge ist feucht, Ihre Brust atmet beklommen.« – »O, Sire, es ist, weil ich Sie traurig sehe.« – »Sie irren sich, Fräulein, ich bin nicht betrübt. Ich fühle mich nur niedergedrückt, ja, um es beim rechten Namen zu nennen, gedemütigt.« – »Was sagen Sie da, Majestät?« – »Ich meine damit, wo ich bin, sollte kein anderer Herr sein. Hier aber bin nicht ich König, sondern Fouquet, und wenn ich bedenke, daß er all den Glanz, den er entfaltet, nur einem Diebstahl verdankt, einem an mir begangenen Diebstahl –!«

»O, Majestät!« rief die Lavallière. – »Wollen Sie etwa Herrn Fouquet verteidigen?« unterbrach Ludwig sie.

»Keineswegs, Sire,« antwortete Luise. »Ich frage nur, ob Sie recht berichtet sind. Majestät haben schon öfter erfahren, welchen Wert bei Hofe die Beschuldigungen haben.« – »Colbert!« rief der junge Fürst, »sprechen Sie! Fräulein von Lavallière bedarf Ihrer Bestätigung, um an das Wort ihres Königs zu glauben. Sagen Sie dem Fräulein, was Herr Fouquet verbrochen hat. O, es ist rasch gesagt, Fräulein, hören Sie bitte ruhig zu.«

Warum drang Ludwig darauf? Weil sein eignes Herz nicht ruhig war, weil er noch nicht völlig von Fouquets Schuld überzeugt war. Er witterte unter dieser Geschichte von den dreizehn Millionen tückische Anschläge und wollte das reine Gemüt der Lavallière zum Schiedsrichter aufrufen. Sie sollte, empört über diesen Diebstahl, durch ein einziges Wort den schwankenden König in seinem Vorhaben bekräftigen.

»O, sprechen Sie, Herr,« sagte die Lavallière zu Colbert, »was für ein Verbrechen hat Herr Fouquet begangen?« – »O, nur eine kleine Unterschlagung, mein Fräulein,« antwortete der Intendant. – »Erklären Sie es, Colbert,« sprach Ludwig, »und wenn Sie fertig sind, so schicken Sie mir Herrn d’Artagnan her.« – »O, warum ihn, Sire? Ich bitte, mir das zu sagen!« rief Luise. – »Nun, um diesen stolzen Schloßherrn zu verhaften, der mir die Macht zu entreißen versucht.« – »Herrn Fouquet verhaften?« erwiderte die Lavallière. »Hier, wo Sie sein Gast sind?« – »Warum nicht? Wenn er schuldig ist! Er ist es hier so gut wie anderswo.’«

»Er richtet sich in diesem Moment zugrunde, um seinen König zu ehren,« sagte die Lavallière. – »Ich glaube wirklich, Fräulein, Sie nehmen Partei für diesen Verräter,« rief der König. – »Nein, Sire, wenn ich so spreche, geschieht es nur in Ihrem Interesse; denn Sie entehren sich, wenn Sie einen solchen Befehl geben.« – »Ich entehre mich?« murmelte der König ungehalten. »In der Tat, Fräulein, Sie entwickeln da einen höchst sonderbaren Eifer.« – »Das tue ich stets, wenn ich Ihnen dienen kann, Sire,« erwiderte Luise. »Und mit dem gleichen Eifer würde ich, wenn es nötig wäre, mein Leben für Sie hingeben.«

Colbert wollte etwas sagen, da wendete dieses sanfte Lamm sich wider ihn und gebot ihm flammenden Auges Schweigen. »Mein Herr!« rief sie, »wenn der König unbewußt unrecht tut, so liebe ich ihn zu sehr, als daß ich es ihn tun ließe, ohne ihn darauf aufmerksam zu machen.« – »Fräulein,« entgegnete Colbert, »ich glaube, ich liebe den König ebenfalls.« – »Wir lieben ihn beide, jeder nach seiner Art,« sprach Luise in einem Tone, der dem jungen König zu Herzen ging. »Nur liebe ich ihn so innig, daß es alle Welt weiß und er selbst nicht daran zweifelt. Er ist mein König und mein Herr, und ich bin seine ergebene Dienerin. Aber wer an seine Ehre greift, der greift mir ans Leben. Und deshalb wiederhole ich, wer dem König den Rat gibt, Fouquet in dessen Hause verhaften zu lassen, der entehrt den König!«

»Fräulein,« versetzte Colbert, »ich habe nur ein Wort zu sagen.« – »Sparen Sie es sich! Ich würde Sie doch nicht anhören. Was könnten Sie mir sagen? Daß Herr Fouquet ein Verbrechen begangen? Das weiß ich, weil der König es gesagt hat; und von dem Moment an, wo der König es sagt, glaube ich es, niemand braucht es zu bestätigen oder zu beweisen. Aber wäre Herr Fouquet auch der ärgste Schurke, so würde ich dennoch erklären, er ist für den König unverletzlich, weil der König sein Gast ist!«

Die Lavallière schwieg. Wider Willen mußte der König sie bewundern. Die Wärme ihrer Sprache, der Adel ihrer Gründe überzeugten ihn. Colbert gab den ungleichen Kampf auf. Ludwig schüttelte den Kopf. »Ah, Fräulein, weshalb sprechen Sie gegen mich?« rief er traurig. »Sie wissen nicht, was dieser Elende tun würde, wenn ich ihn nicht im Zaume hielte!« – »Mein Gott, ist er nicht eine Beute, die Ihnen jederzeit anheimfallen muß?« – »Aber wenn er entflieht?« – »Majestät, es wäre ein ewiger Ruhm für den König, Herrn Fouquet entfliehen zu lassen, und je größer seine Schuld wäre, desto größer würde der Ruhm des Königs sein!«

Ludwig küßte der Lavallière die Hand und ließ sich zu ihren Knien nieder. Colbert glaubte sich verloren, als ihm plötzlich ein Gedanke kam. Rasch zog er sein Notizbuch, und während Ludwig XIV., verdeckt von einer breiten Linde, die Lavallière liebevoll an sich drückte, zog Colbert ein schon etwas vergilbtes Briefchen hervor, betrachtete es lächelnd und näherte sich dem Paare.

Gleichzeitig kamen in einiger Entfernung mehrere Fackeln zum Vorschein. »Geh, Luise,« sprach der König, »man kommt.« – Luise verschwand schnell unter den Bäumen. Als Ludwig XIV. gehen wollte, sagte Colbert bescheiden: »Fräulein von Lavallière hat etwas verloren.« – »Was denn?« fragte der König. – »Einen Brief, wie mich dünkt,« sagte Colbert und deutete auf etwas Weißes, das am Boden lag. Der König bückte sich und hob das Papier auf. Fackeln erschienen und beleuchteten tageshell die finstere Allee.

Ein Lichtmeer umflutete die Gruppe von Damen und Herren, die herbeikam, in ihrer Mitte Fouquet selbst. Man suchte den König, um ihm das Feuerwerk zu zeigen, das auf dem großen Platze vor dem Schlosse gen Himmel stieg. Und beim Scheine dieses Feuers las nun Ludwig jenen Brief, den Fouquet vor einiger Zeit auf d’Herblays Rat an Fräulein von Lavallière geschrieben, in dem er ihr die Liebe erklärte. Fouquet hatte den Brief zurückholen wollen, von Fräulein von Lavallière aber erfahren, daß sie ihn gar nicht erhalten habe. Der Diener, den er mit der Besorgung beauftragt, machte sich anheischig, das Schreiben wieder zur Stelle zu schaffen, ging fort und kam nicht wieder. Er war seither verschwunden, und der Ober-Intendant hatte im Drange der Geschäfte die Angelegenheit vergessen. Colbert, der listige Minierer, war in den Besitz des an sich unbedeutenden Briefchens gelangt, das er nun zu einer wertvollen, ja vernichtenden Waffe umzuwandeln verstand.

Ludwig XIV. erbleichte beim Lesen; sein Gesicht, von dem Schein des Feuers beleuchtet, erschreckte alle, die es sahen, so offenbar war das wilde Spiel der Leidenschaften, die in seinem Herzen tobten. Eifersucht und Wut waren die furchtbaren Dämonen, die den König beherrschten, und von dem Augenblick, wo er erkannte, weshalb Fouquet in der Lavallière eine Fürsprecherin gefunden, verschwand alles: Mitleid, Sanftmut und Ehrfurcht vor der Gastfreundschaft. Nur mit größter Mühe bezwang er sich soweit, daß er nicht laut aufschrie und ohne weiteres seine Musketiere herbeirief. Fouquet sah den König erbleichen, doch konnte er sich nicht die Ursache dieser Mißstimmung erklären; Colbert wußte, welche Bewandtnis es hatte, und frohlockte.

»Majestät, was haben Sie?« fragte Fouquet ehrerbietig. – »Nichts,« antwortete Ludwig schroff, und ohne das Ende des Feuerwerks abzuwarten, begab er sich ins Schloß. Alle folgten ihm nach. Die letzten Raketen verpufften ungesehen.

Der Ober-Intendant glaubte, es habe zwischen dem König und Fräulein von Lavallière eine kleine Meinungsverschiedenheit gegeben, und diese Erklärung befriedigte ihn. Er trat lächelnd vor den König hin, um ihm eine gute Nacht zu wünschen. Es war großer Dienst an diesem Abend; denn es war der letzte, den der Hof in Schloß Vaux verbringen sollte. Am folgenden Morgen gedachte der König die Rückreise anzutreten. Da mußte man doch dem freigebigen Wirt Dank erzeigen für die zwölf Millionen, die er für das Fest ausgegeben hatte. Der König entließ den Ober-Intendanten mit den Worten: »Sie werden von mir hören, Herr Fouquet. Einstweilen schicken Sie mir bitte Herrn d’Artagnan her.«

Ludwig XIV. vermochte sich schlecht zu verstellen, wenn das Blut ungestüm in seinen Adern wallte. Am liebsten hätte er Fouquet erwürgt, wie sein Vorgänger den Marschall d’Ancre ermorden ließ. Er verbarg jedoch seinen furchtbaren Entschluß unter einem königlichen Lächeln. Fouquet nahm des Königs Hand und küßte sie. Ludwig bebte am ganzen Körper, doch ließ er es zu, daß die Lippen des Ministers seine Hand berührten.

Fünf Minuten später trat d’Artagnan in Ludwigs Zimmer. Im oberen Gemache standen Aramis und Philipp wieder auf dem Posten. Der König ließ dem Kapitän nicht einmal Zeit, bis zu seinem Lehnstuhl vorzutreten. – »Wieviel Mann haben Sie mit?« rief er ihm zu. – »Was gibt es zu tun?« antwortete d’Artagnan.– »Wieviel Mann Sie hier haben, frage ich,« versetzte der König, mit dem Fuße stampfend. – »Die Musketiere, die Garden und dreizehn Schweizer.« – »Wieviel Leute braucht man, um –« – »Um?« fragte der Kapitän und sah den König mit seinen großen, ruhigen Augen an. – »Um Herrn Fouquet zu verhaften?«

D’Artagnan trat einen Schritt zurück und rief: »Herr Fouquet soll verhaftet werden?« – »Sagen Sie etwa auch, es sei unmöglich?« schrie Ludwig in wildem Zorne. – »Ich nenne nichts unmöglich,« antwortete d’Artagnan verletzt. – »Nun, so tun Sie es.« – »Ich bitte um einen schriftlichen Befehl.« – »Seit wann genügt Ihnen das Wort des Königs nicht mehr?« – »Weil das königliche Wort, sobald es vom Zorn diktiert wird, sich verändern kann, wenn der Zorn schwindet,« erwiderte der Musketier ruhig. »Sire, Sie lassen da einen Mann verhaften, während Sie noch sein Gast sind, das tut nur der Zorn. Wenn Sie nicht mehr im Zorn sind, will ich Ihnen dann Ihre eigne Unterschrift zeigen können. Donnerwetter, Sire! Der Mann richtet sich zugrunde, um Ihnen zu gefallen, und Sie lassen ihn verhaften. Wenn ich Fouquet wäre, würde ich mit Brandraketen mich und alles im Schlosse in die Luft sprengen. Aber ja doch, es gilt mir gleich – hier habe ich meinen Befehl, und so gehe ich denn.«

»Ja! Gehen Sie! Kein Wort weiter! Und nehmen Sie genug Leute mit!« – »Glauben Sie denn, ich würde einen ganzen Zug Reiter mitnehmen? Herrn Fouquet zu verhaften, ist so leicht, daß ein Kind es tun könnte. Herrn Fouquet zu verhaften, ist nicht schwerer, als ein Glas Wermut zu trinken. Man macht eine saure Miene, das ist alles.« – »Wieso? Er wird sich zur Wehr setzen!« rief der König. – »Er denkt so wenig daran, daß er seine letzte Million dafür hingeben würde, ein solches Ende zu finden! Sich zur Wehr setzen, wo eine solche Behandlung von seiten des Königs ihn zum größten Märtyrer seiner Zeit macht? Doch genug, ich gehe zu ihm.«

»Es soll nicht öffentlich geschehen,« sagte Ludwig. – »Das ist schon schwieriger,« antwortete d’Artagnan. »Denn das einfachste wäre natürlich, hinzugehen und mitten unter seine Bewunderer zu treten mit dem Rufe: Ich verhafte Sie im Namen des Königs! Allein ihn zu bewachen als Gefangenen, so daß niemand etwas davon merkt, das ist eine heikle Sache, zu der hundertmal geschicktere Leute gehören –« – »Mein Gott, sagen Sie bloß noch, es sei unmöglich!« rief Ludwig. »Werde ich denn immer von Leuten umgeben sein, die mich hindern zu tun, was ich will?« – »Ich hindere Sie in nichts, Sire.« – »So bewachen Sie mir Herrn Fouquet, bis ich morgen einen Entschluß gefaßt habe.« – »Das wird geschehen, Sire.« – »Und finden Sie sich morgen zum Lever ein, um meine Befehle entgegenzunehmen.« – »Ich werde zur Stelle sein.« – »Und jetzt lasse man mich allein!«

»Befehlen Sie nicht Herrn Colbert?« fragte d’Artagnan mit unnachahmlicher Ironie. – Der König fuhr zusammen. – »Nein,« rief er. »Ich will niemand sehen. Gehen Sie!« – Er schloß hinter dem Kapitän die Türe selber zu und schritt wütend auf und nieder, wie ein verwundeter Stier. Endlich riß er auf der Brust das Gewand auseinander und rief: »Ah, du Elender! Du raubst mir nicht bloß mein Geld, sondern bestichst damit auch Staatsmänner, Künstler, Dichter und Gelehrte, daß sie dir den Hof machen! Und nicht genug damit! auch mein Liebstes wolltest du mir stehlen! Ha, darum hat die Treulose ihn in Schutz genommen! Es geschah aus Dankbarkeit – wer weiß? vielleicht gar aus Liebe!« – Er knirschte vor Grimm. – »Er greift mit seinen goldenen Händen in alles hinein. Er besudelt mir alles. Er wird mich noch töten. Er ist zu mächtig, zu hoch – er ist mein Todfeind – er muß fallen – ich hasse ihn – ich hasse ihn – ich hasse ihn!«

Mit diesen Worten schlug er auf die Lehne des Stuhls, in den er schlaff hineinsank. – »Morgen!« murmelte er. »Morgen wird niemand anders als ich mit der Sonne wetteifern. Dieser Mann soll so tief fallen, daß man an den Trümmern, die sein Sturz hinterläßt, erkennen soll, daß ich doch noch mächtiger bin, als er je gewesen.« – Er warf mit einem Faustschlag einen Tisch um, der an seinem Bette stand, und warf sich keuchend und vor Wut schäumend angezogen, wie er war, in die Kissen von Seide.