Als Athos nach seinem Besuch im Palais-Royal in seine Pariser Wohnung zurückkehrte, fand er dort den Grafen von Bragelonne, der sich von Grimaud das ganze englische Abenteuer hatte erzählen lassen. – Rudolf fragte seinen Vater vorwurfsvoll, warum man ihn ganz in Unkenntnis über diese Reise gelassen habe. – »Reden wir nicht weiter davon,« antwortete Athos. »Ich entschloß mich blitzschnell dazu. Ich hatte Blaisois beauftragt, dir hundert Pistolen auszuzahlen, falls du Geld brauchtest. Aber du bist ohne Geld ausgekommen.«
»Der Prinz hatte vor drei Monaten die Güte, mich 200 Pistolen im Spiel gewinnen zu lassen.« – »Es ist mir nicht lieb, daß du spielst,« sagte Athos streng. – »Tu es auch nicht. Der Prinz ließ sich eine halbe Stunde von mir vertreten, und als er seinen Platz wieder einnahm, hieß er mich das Gewonnene behalten. Das macht der Prinz alle Woche so. Auf diese Weise bekommen alle fünfzig Ehrenkavaliere Seiner Hoheit abwechselnd mal ein Geschenk. Letztens war die Reihe an mir.« – »Du bist seit einem Monat aus Spanien zurück?« – »Ja, Herr Graf.« – »Und wo warst du diesen Monat über? Ich hoffe, nicht in Blois.« – »Nein. Ich habe die Person, auf die Sie anspielen, nicht gesehen,« antwortete Rudolf mit bebender Stimme. »Sie haben mir ja doch verboten, Fräulein von Lavallière aufzusuchen.«
»Und daran tat ich wohl, Rudolf,« versetzte de la Fère. »Ich bin kein grausamer, ungerechter Vater, der für wahre Liebe keinen Sinn hat. Aber mir liegt deine Zukunft am Herzen. Es wird Kriege geben, Rudolf; da werden feurige, junge Männer gebraucht, die frei und ledig in der Welt dastehen. Glaube mir, mein Junge. Halte alle weichen Gefühle von deinem Herzen fern. Stähle es für die Forderungen unserer Zeit. Du hast die Fähigkeit, ein ausgezeichneter, ein hervorragender Mann zu werden. Gehe deinen Weg allein, damit du ihn um so sicherer, um so schneller gehen kannst.« – »Sie haben befohlen,« antwortete Rudolf, »und ich gehorche.« – »Nicht befohlen, nur gebeten,« entgegnete Athos. – »Nein, befohlen, mein Vater,« wiederholte der junge Mann. »Und wenn Sie gebeten hätten, so würde die Bitte noch wirksamer gewesen sein als der Befehl.« – »Und dabei ist dir weh ums Herz. Du liebst das Fräulein – deine weiten, langen Reisen haben nichts daran geändert, ich weiß es – ich weiß es, Rudolf. Nun ja, du bist großjährig, du bedarfst meiner Einwilligung nicht – heirate sie.« – »Sehr gütig, Herr Graf – aber ich werde von dieser Erlaubnis keinen Gebrauch machen.«
»Du weigerst dich nun? Ich weiß nicht, was ich davon denken soll,« sagte Athos. – »Wenn Sie mir jetzt auch die Erlaubnis zur Heirat erteilen, Vater,« antwortete Rudolf. »Im Herzen sind Sie doch dagegen.« – »Das ist wahr, Rudolf.« – »Nun, so werde ich warten, bis Sie andern Sinnes geworden sind.«
»Wird aber das Fräulein von Lavallière auch mit dem Warten einverstanden sein?« fragte de la Fère. »Wenn nun andere Absichten –« – »Sie meinen, wenn sie den Blick auf einen andern Mann richtet?« fragte Rudolf erbleichend. – »Das meine ich.« – »Dieser Mann würde durch mein Schwert fallen,« antwortete Rudolf mit fester Stimme, »er und alle, auf die Fräulein von Lavallières Wahl etwa fiele, bis einer von ihnen mich erschlägt oder das Fräulein mir ihr Herz wieder schenkte.« – Athos erbebte. »Genug!« rief er. »Genug über diesen Punkt! Das geht zuweit. Tu deinen Dienst und liebe das Fräulein – bist ja ein Mann und Herr deiner Entschlüsse. Nur vergiß nicht, daß ich dich zärtlich liebe, und daß du auch mich zu lieben behauptest.«
»Vater!« rief Rudolf, die Hand des Grafen ergreifend. – »Es ist gut, mein Junge. Uebrigens – d’Artagnan ist mit mir aus England zurückgekommen – du bist ihm einen Besuch schuldig.« – »Ich gehe mit Freuden zu ihm!« rief Rudolf. – »Weißt du, wo du ihn findest?« – »Nun, doch im Louvre oder im Palais – überall, wo der König ist – ist er doch Leutnant der Musketiere –« – »Das ist er nicht mehr – er hat den Dienst quittiert. Du findest ihn bei seinem früheren Diener Planchet, der in der Lombardstraße eine Kolonialwaren-Handlung aufgemacht hat. Grüße ihn von mir und bringe ihn zum Diner hierher. Adieu, Rudolf!«
Rudolf fand d’Artagnan jedoch nicht bei Planchet. Aber als er tags darauf an der Spitze von 50 Dragonern aus Vincennes zurückkehrte, sah er auf dem Baudoyer-Platze einen Mann stehen, der ein Haus angelegentlich betrachtete, als wenn er sich mit dem Gedanken trüge, es zu kaufen. Dieser Mann trug einen Zivilrock, den er bis ans Kinn zugeknöpft hatte, und dazu einen kleinen Hut und ein langes Schwert in lederner Scheide. Im Näherreiten erkannte Rudolf in diesem spießbürgerlichen Zivilisten den gesuchten Chevalier. »Sehe ich recht?« rief er. »Herr d’Artagnan!« – Und er sprang ab und drückte seinem alten Freunde die Hand. – Der Chevalier warf einen Blick auf die Reiterschar und sagte: »Gib acht, Rudolf, das zweite Pferd in der fünften Reihe verliert ein Hufeisen, ehe ihr 200 Meter weiter seid. Willst du mit mir speisen?« – »Gewiß. Mein Unteroffizier kann die Leute nach Hause führen.« Er gab sein Pferd ab und nahm den Arm des Chevaliers. – »Kommst du von Vincennes?« fragte dieser. – »Ja.« – »Und was macht der Kardinal?« – »Man sagt, er sei tot.« – D’Artagnan zuckte gleichgültig die Achseln. »Wie stehst du zu Fouquet, Rudolf?« – »Den kenne ich nicht.« – »Das ist bedauerlich. Ein neuer König will poussiert sein.« – »O, der König ist mir gewogen,« rief Bragelonne.
»Ich meine nicht den, der die Krone trägt, sondern den, der in Wahrheit König ist, und das ist, nachdem Mazarin tot, kein anderer als Fouquet. Stell dich gut zu ihm, sonst verschimmelst du, wie’s mir gegangen ist. Ja, wenn Ludwig wäre wie Karl II. Das ist noch ein König, sage ich dir! Bei dem müßtest du Dienste nehmen. Da gibt es keine knauserigen Finanzpächter und italienischen Langfinger. Ach, geh mir einer mit einem König, der den ganzen Tag über seufzt, und über dessen Lippe niemals ein anständiger Fluch kommt!« – »Deshalb also haben Sie Ihren Abschied genommen, Chevalier?« antwortete Rudolf. »Ja, wer so denkt, kann auch nicht sein Glück machen.« – »Pah,« versetzte d’Artagnan, »ich bin versorgt. Ich habe Vermögen.«
Rudolf sah ihn erstaunt an, denn d’Artagnans Armut war sozusagen sprichwörtlich geworden, wie die des alten guten Hiob. – »Na, hat dir’s dein Vater nicht erzählt?« fuhr der Chevalier fort. »Ich habe in England Glück gehabt. Der Vizekönig von Irland und Schottland hat mir zu einer Erbschaft verholfen. Und zwar zu einer ganz hübschen runden Summe. Eben habe ich das Haus dort gekauft, das ich so angelegentlich betrachtete. Eine gute Kapitalsanlage, sage ich dir. Ja, ja, man muß auch Geschäftsmann sein. Es ist eine Kneipe in dem Hause, Junge, die ich für eine schöne Pachtsumme vermieten kann. Und weißt du warum? weil die Hinterfenster der Kneipe auf den Grèveplatz hinaussehen, und wenn dort eine Hinrichtung stattfindet, dann verkauft der Wirt Zuschauerplätze für teures Geld. Und diese schauerliche Kneipe führt den schönen Namen »Gasthaus Notre-Dame«. Doch nun laß uns zu Planchet gehen, dort wohne ich einstweilen noch.«
Der Krämer war ausgegangen, aber das Mittagessen stand bereit. Denn es herrschte dort noch ein Rest von militärischer Pünktlichkeit. D’Artagnan und Rudolf setzten ihr Gespräch fort. – »Sage mal, mein Junge,« begann der Chevalier, »dein Vater nimmt dich fest in die Kandare?« – »Und mit Recht, Herr Chevalier.« – »Na, ich weiß, Athos ist ein bißchen genau. Wenn du mal ein paar Pistolen brauchst, so denke dran, daß der alte Musketier auch noch da ist. Du spielst gern mal ’ne Partie, was? Nein? Dann hast du wohl Glück in der Liebe. Mach keine Flausen, Junge. Warum wirst du so rot? Liebschaften kosten noch mehr als das Spiel. Aber es findet sich dabei wenigstens bald mal Gelegenheit, vom Leder zu ziehen, wozu man unter einem König wie Ludwig XIV. sonst gar nicht mehr kommt. Denn gib acht, Rudolf! Jetzt, wo er den Kardinal los ist, wird Ludwig sich ein Gnadengehalt von Fouquet aussetzen lassen und nach Fontainebleau ziehen, um auf ein Fräulein von Mancini Verse zur Laute zu singen. Und dann nimmt er seiner Schweizergarde die silbernen Tressen und läßt sie unechtes Zeug tragen, und den Musketieren nimmt er die Pferde, weil jedes davon für 50 Sous täglich Hafer frißt. Doch mir ist’s gleich. Ich bin ja nicht mehr Musketier. Ob sie nun beritten sind oder zu Fuß gehn, ob sie Schwerter tragen oder Bratspieße, was schiert das mich?«
»Chevalier, reden Sie nicht so geringschätzig von Seiner Majestät, denn ich stehe in königlichem Dienst und darf dergleichen nicht mit anhören,« sagte Rudolf ernst. »Der Reichtum scheint Sie auch nicht lustiger zu stimmen als vorher die Armut.« – »Hast recht, mein Junge,« sagte d’Artagnan, »ich bin eine alte verrostete Klinge, ein durchlöcherter Panzer, ein Sporn ohne Rad, ein Stiefel ohne Sohle.« – Sie lachten beide herzlich und wurden darin durch einen Ladendiener unterbrochen, der hereinkam und einen an d’Artagnan adressierten Brief abgab. – »Das ist meines Vaters Handschrift,« sagte Bragelonne. – »Ja,« rief der Chevalier, öffnete den Brief und ließ ihn erstaunt auf den Tisch fallen. »Du, Junge, ich soll zum König kommen. Man hat mich bei deinem Vater gesucht. Was steckt denn nun da wieder dahinter!«
»Ich finde nichts Sonderbares dabei,« sagte Rudolf. »Es ist ganz natürlich, daß der König einen so treuen Diener wie Sie vermißt.« – »Schmeichelkätzchen!« rief d’Artagnan. »Nein, die Sache hat einen andern Haken, mein Junge. Du weißt noch wenig von der Hofluft und ihren Gefahren. Wenn man zwei Kardinäle hat sterben sehen wie ich – zwei Kardinäle, von denen der eine ein Tiger, der andere ein Fuchs war – dann sieht man schärfer. Höre, geh zu deinem Vater und sag ihm, ich sei nach England gereist. Du guckst mich an? Denkst du denn etwa, ich würde nun gleich zum Louvre eilen und mich dem gekrönten Gelbschnabel zur Verfügung stellen? Ich weiß, was er will. Er will mich in die Bastille stecken. Denn wisse, Junge, eines Tages in Blois habe ich ihm gründlich die Wahrheit gesagt, hab ihn, wenn auch in verblümter Form, eine Memme, einen Trottel gescholten. Damals konnte er mich nicht verhaften lassen, denn ich war selber Kommandant der Wache und hätte den Befehl einfach nicht ausgeführt, hätte mich mir selber widersetzt. Jetzt ist Mazarin tot, nun will sich das Jüngelchen aufspielen und mich gefangennehmen. Das konnte er nicht riskieren, solange die Eminenz lebte; denn Mazarin und ich, wir kannten einander. Er wußte von mir allerlei Kleinigkeiten und ich ebenso von ihm; also schätzten wir uns gegenseitig. Kurz und gut, Rudolf, d’Artagnan reißt aus. Sag‘ deinem Vater, ich sei nach England.«
»Sie können nicht mehr fliehen, Chevalier,« sagte Rudolf mit einem Blick auf die Straße, »dort unten steht ein Offizier der Schweizergarde, der auf Sie wartet.« – »Ei, da geh ich einfach nicht auf die Straße, sondern schlüpfe zur Hintertür hinaus, und wenn ich vier Pferde totreite – ein Luxus, den ich mir jetzt leisten kann, so bin ich in elf Stunden in Boulogne.« – »Aber, lieber Chevalier, der König wird sagen, Sie fürchteten sich vor ihm.« – »Da wird er zum erstenmale in seinem Leben recht haben,« antwortete d’Artagnan ruhig. »Ich fürchte mich auch wirklich. Potzblitz, soll ich mich denn in die Bastille stecken lasten?« – »Der Graf de la Fère würde nicht fliehen,« sagte Rudolf mit Stolz.
D’Artagnan kaute an seinem Schnurrbart. – »Aber wenn ich nun in die Bastille gesteckt werde?« rief er polternd. – »Dann holen wir Sie heraus,« sagte Rudolf ruhig. – »Potzblitz, Junge!« lachte d’Artagnan und drückte ihm die Hand. »Das nenne ich ein Manneswort. Gut! Mein Geld ist dir und deinem Vater vermacht. Meinetwegen laßt dafür Messen für mich lesen.« Damit schnallte er den Degen um, nahm den Federhut vom Nagel, umarmte Rudolf noch einmal und schritt auf die Straße hinaus. – »Hier bin ich, Herr,« sagte er zu dem Schweizer-Offizier. »Lassen Sie mich den Degen wenigstens bis zum Louvre tragen. Ich komme mir so dumm vor ohne Schwert, und Sie würden sich wohl noch dümmer vorkommen, wenn Sie zwei trügen.« – »Was denn?« antwortete der Offizier. »Davon hat der König nichts gesagt. Behalten Sie nur Ihre Plempe.«
Zur Verwunderung des Chevaliers wurde er in der Tat mit Degen in den Louvre geführt und auch alsbald beim Könige angemeldet und vorgelassen. Ludwig XIV. saß und schrieb. Er blickte nicht auf, als d’Artagnan eintrat. »Du willst mich demütigen,« dachte der Chevalier. »Na, warte, du sollst es gewahr werden, was ein Mann vermag, der dem Kardinal, und zwar dem wahren Kardinal, dem Richelieu, das Hugenottenlied ins Gesicht gepfiffen hat.« – In diesem Augenblick wandte der König sich um. »Sind Sie da, Chevalier?« – »Zu Befehl, Majestät.« – »Warten Sie – ich habe nur noch ein paar Zahlen zu addieren.« – D’Artagnan verneigte sich. »Immer noch ziemlich höflich,« dachte er. – Ludwig tat ein paar Federzüge, warf dann das Schreibzeug weg und stand auf, einen zugleich gebieterischen und wohlwollenden Blick auf den früheren Leutnant heftend.
»Der Kardinal ist tot, Chevalier, das wissen Sie wohl schon,« begann er. »Ich bin also jetzt mein eigner Herr.« – »Das ist nicht erst seit dem Tode des Kardinals der Fall,« antwortete d’Artagnan ruhig. »Man ist immer sein eigner Herr, wenn man nur will.« – »Aber nach Ihrer Meinung war ich es nicht. Wenigstens sagten Sie mir das in Blois ziemlich deutlich,« sprach der König. – »Aha!« dachte d’Artagnan, »jetzt geht’s los. Ich habe doch eben eine ganz feine Nase.« – »Erinnern Sie sich dessen nicht mehr?« fragte Ludwig. – »O, doch wohl,« versetzte der Leutnant außer Dienst. »Aber es ist schon so lange her.« – »Ich habe es genau behalten,« sprach der junge König. »Fast Wort für Wort, Herr Chevalier.« – D’Artagnan strich mit der Hand über die Hutfeder und dann über den Schnurrbart und schwieg. –»Ja, Sie sagten mir die Wahrheit,« fuhr der Monarch fort, »und dann nahmen Sie den Abschied. Sie verurteilten zugleich den König und den Menschen. Doch genug! reden wir nicht mehr davon. Es würde Ihnen Reue und mir Schmerz verursachen. Was haben Sie gemacht, seit Sie verabschiedet sind?« – »Seit ich nicht mehr in Ihren Diensten bin, Majestät,« erwiderte d’Artagnan, »habe ich endlich mein Glück gemacht.« – »Ein hartes Wort, Mann! Sie haben eine glänzende Tat verrichtet – drüben in England – ich weiß. Tut mir nur leid, daß Sie Ihr Versprechen nicht hielten. Nun ja! Sie gaben mir doch Ihr Wort, keinem andern König zu dienen.« – »Das da drüben tat ich auch nur auf eigne Faust, halten zu Gnaden, Sire.« – »Und es ist Ihnen geglückt?« – »Es hat mir 100 000 Taler eingebracht.« – »Ganz nett und damit ist nun Ihr Ehrgeiz ein für alle Mal befriedigt? Wollen Sie untätig leben? Ihr Schwert endgültig an den Nagel hängen?« – »Das ist geschehen, Majestät.« – »Unmöglich, Mann! Ich sage Ihnen, ich dulde es nicht!« rief der König mit Entschiedenheit.
D’Artagnan sah fast verblüfft auf. Die Wendung die das Gespräch genommen hatte, entsprach nicht seinen Befürchtungen. Er harrte mit Spannung, was der König ihm wohl zu sagen hätte. – »Chevalier,« fuhr Ludwig fort, »es ist jetzt alles anders geworden.« – »Das ist es,« war die Antwort des ehemaligen Musketiers, »und ich wünsche Eurer Majestät Glück dazu. Aber ich bin kein Staatsmann. Ich sehe nur eins: Mazarins Regierung ist vorbei, nun wird die der Finanzkünstler angehen. Die haben das Geld in Händen. Eure Majestät wird keins zu sehen bekommen.«
Es klopfte an die Tür und Colbert trat mit einem Aktenbündel herein. – »Entschuldigen Sie mich auf einen Augenblick, Chevalier,« sprach der König. »Ich habe mit dem Herrn hier zu reden. Sie kennen sich doch beide, wie?« – Die beiden Männer sahen sich an: d’Artagnan mit offnem, funkelndem Auge; Colbert mit zusammengekniffenen Lidern. – »Aha, das ist der Herr, der das schöne Wagstück in England vollführt hat,« sagte der Staatsmann. – »Und das ist Herr Colbert,« sagte der Gaskogner, »der den Schweizern die Silbertressen entzogen hat. Eine lobenswerte Sparsamkeit!«
»Nun, Colbert,« fragte der König, »ist die Untersuchung beendet? Wie ist das Resultat?« – »Es ist auf Einziehung der Güter und auf Todesstrafe erkannt worden,« antwortete Colbert. – »So!« sagte Ludwig, sehr befriedigt. »Es handelt sich um gewissenlose Finanzpächter, Chevalier,« wendete er sich mit Hoheit und scharfer Betonung an d’Artagnan, »die mich jahrelang betrogen haben und die ich nun vor Gericht stellen ließ.« – Der Chevalier machte kein Hehl aus seiner Verblüffung. Im selben Moment aber sagte Colbert: »Majestät, die Sache hat ihre Schwierigkeiten, und vielleicht ist die Strafvollziehung ganz unmöglich. Die beiden Verurteilten sind gute Freunde einer sehr hochstehenden Person, und ein Angriff gegen die Finanzpächter ist zugleich ein Angriff gegen das Finanz-Ministerium.« – Ludwig errötete; er sah d’Artagnan an und glaubte in dessen Gesicht ein leises Lächeln der Ironie zu erkennen. Sofort ergriff er die Feder und unterschrieb die beiden Urteile.
»Herr Colbert,« sagte er streng, »wenn Sie künftig von Geschäften mit mir reden, so streichen Sie das Wort Schwierigkeit aus Ihren Vorschlägen. Das Wort Unmöglichkeit will ich überhaupt nicht mehr hören. Auf welchen Betrag belaufen sich die Konfiskationen?« – »Auf fünf Millionen, Majestät.« – »Folglich sind jetzt in meiner Privatschatulle?« – »Insgesamt 18 Millionen,« antwortete Colbert. – »Alle Wetter!« dachte d’Artagnan, »das ist ’ne hübsche Summe.« – »Haben Sie an Seine Majestät den König von England schon gemeldet, daß ich in die Vermählung seiner Schwester Henriette mit meinem Bruder willige?« – Dies war längst geschehen, und der König fragte nur, um unter der Hand d’Artagnan davon in Kenntnis zu setzen. Colbert verneigte sich stumm, und der König entließ ihn.
»Nun wieder zu unserer Sache!« fuhr der König fort, als wenn nichts vorgefallen wäre. »Sie haben gesehen, es ist manches anders geworden. Sie sagten in Blois, Sie seien nicht reich.« – »Jetzt bin ich es, Majestät.« – »Ja, doch das kümmert mich nicht. Sie leben von Ihrem Gelde, nicht von meinem. Und kurz und gut, wären Sie mit einem Jahressolde von 20 000 Livres zufrieden –?« – D’Artagnan machte große Augen. – »Wozu noch vier Pferde geliefert und außerordentliche Zuschüsse je nach Bedürfnis gewährt werden sollen?« fragte Ludwig weiter, »oder würden Sie es vorziehen, gegen einen höheren Gehalt alle Kosten auf sich selbst zu nehmen? In diesem Falle würden wir sagen, 40 000 Livres jährlich?« – »Majestät!« – »Sie sind erstaunt – das habe ich erwartet. Ihre Antwort?« – »20 000 jährlich ist sehr viel –« – »Sie wären also damit zufrieden? Gut! es ist auch besser, die einzelnen Ausgaben bei besonderen Anlässen von Fall zu Fall anzurechnen. Darüber setzen Sie sich dann mit Colbert auseinander. Hier ist Ihr Bestallungsbrief. Sie sind General-Kapitän der Musketiere am Hofe des allerchristlichsten Königs – und Sie wissen, daß über diesem Range nur noch der Marschall steht. Kein Wort, Chevalier! Sie treten Ihren neuen Dienst sogleich an. Seit Ihrer Abreise herrscht sowieso keine Mannszucht mehr unter den Musketieren. Sie werden Ordnung schaffen, sind stets um meine Person und begleiten mich bei der Armee.« – »Dann brauchen Majestät mir keine 20 000 Livres zu zahlen,« versetzte d’Artagnan fast barsch. »Der Dienst ist das Geld nicht wert.« – »Aber mein General-Kapitän soll standesgemäß auftreten können, repräsentieren, ein großes Haus halten –« – »Ich will kein gefundenes Geld, ich will mein Geld verdienen,« erwiderte der Chevalier. »Was ich da machen soll, das macht Ihnen jeder Faulenzer für 4000 Livres.«
Ludwig XIV. lachte. »Die Gaskogner haben’s hinter den Ohren,« sagte er. »Sie entlocken mir mein Geheimnis, Chevalier.« – »Majestät haben ein Geheimnis?« antwortete d’Artagnan. »Dann nehme ich die 20 000; denn ich werde es heilig halten, und Verschwiegenheit ist heutzutage fast unbezahlbar. Wollen Majestät zu sprechen geruhen.« – »Nun denn, Sie müssen in zwei Tagen reisefertig sein.« – »Wohin senden mich Majestät?« – »Nach der Bretagne. Können Sie eine wirkliche Festung von einer einfachen Befestigung, wie unsere Vasallen sie aufführen dürfen, unterscheiden?«
»Wie einen Panzer von einer Käserinde, Majestät. Genügt das?« – »Ich denke wohl, Chevalier. Sie müssen allein reisen und dürfen nicht einmal einen Diener mitnehmen; denn Sie werden wohltun, sich hin und wieder selbst als Lakai zu verkleiden. Ihre Physiognomie ist in Frankreich ziemlich bekannt. In der Bretagne ziehen Sie die Kreuz und die Quer und besichtigen alle Befestigungen des Landes. Mit Belle-Ile-en-mer machen Sie den Anfang.«
»Die gehört doch Herrn Fouquet,« meinte d’Artagnan mit einem Blick auf den König. »Was soll ich da erforschen. Ob’s ein guter Platz ist, ob die Befestigungswerke neu oder alt sind, ob die Vasallen des Oberintendanten eine ausreichende Besatzung bilden?« – »Getroffen! Und wenn dort keine Fortifikationen aufgeführt werden, halten Sie an andern Plätzen der Bretagne Umschau.« – »Hm,« meinte d’Artagnan, sich den Schnurrbart streichend, »ich bin also ein königlicher Spion.« – »Nein, Sie spionieren nicht, Sie rekognoszieren nur,« antwortete Ludwig XIV., »es ist genau dasselbe, als wenn Sie in Feindesland an der Spitze meiner Musketiere das Gelände aufklärten.« – »Und wenn nun tatsächlich Befestigungen gebaut werden?« – »Dann zeichnen Sie mir einen genauen Plan der Werke.« – »Wird man mich auch einlassen?« – »Das ist Ihre Sorge. Ich habe Ihnen ja auch einen Zuschuß zu den 20 000 Livres, je nach Bedürfnis zu erheben, gewährt.« – »Sehr wohl, Sire. Und wenn nicht befestigt wird?« – »Dann können Sie ganz gemächlich heimkehren.« – »Majestät, ich bin bereit.« – »Den Anfang machen Sie damit, daß Sie sich morgen beim Oberintendanten melden und sich das erste Viertel Ihres Gehalts auszahlen lassen. Er wird Ihnen die Zahlung verweigern, und eben darauf kommt es mir zuvörderst an. Wenn man Ihnen das Geld nicht geben will, holen Sie es sich bei Colbert. Dann brechen Sie in der Nacht auf, denn niemand darf Sie sehen. Es kann sein, Sie werden gefangengenommen –«
»Das ist nicht anzunehmen.« – »Es kann sogar sein, Sie kommen ums Leben –« – »Das ist noch weniger wahrscheinlich.« – »Im erstern Falle bewahren Sie mein Geheimnis, im letztern sorgen Sie dafür, daß man keine Papiere bei Ihnen findet, die mich verraten könnten. Und nun adieu, Chevalier.« – D’Artagnan steckte die Anweisung auf ein Viertel seines Gehalts in die Tasche und kehrte nach Hause zurück.