Malicorne, der Verehrer des Fräuleins Aure von Montalais, der junge Mann, auf den die gute Frau von Saint-Rémy sehr schlecht zu sprechen war und von dem sie im ersten Kapitel unserer Erzählung in wenig schmeichelhafter Weise gesprochen hat, war der Sohn des Stadtsyndikus von Orléans. Malicorne, der Vater, hatte die Ehre, der Bankier und Geldleiher Seiner königlichen Hoheit des Prinzen von Condé zu sein, und diese Beziehungen des Vaters zu den höchsten Kreisen hatten in dem Sohne den Ehrgeiz entstehen lassen, in der vornehmen Welt eine Rolle zu spielen – ein Verlangen, das er mit zielbewußter Energie zur Wirklichkeit zu machen strebte. Dank einer immer vollen Börse stand er auf dem besten Fuße mit einem immer geldbedürftigen Adeligen, einem echten und rechten Windbeutel namens Manicamp, welcher aber bei aller Lüderlichkeit den Vorzug hatte, ein intimer Freund des Grafen von Guiche zu sein, welcher wiederum ein bevorzugter Günstling Philipps, des jungen Herzogs von Anjou, war. Dieser Philipp, der jüngere Bruder Ludwigs XIV., hatte nach dem Tode Gastons von Orléans dessen Titel und Würden geerbt, und da seine Vermählung mit Henriette Stuart, der Schwester des Königs von England, bevorstand, so war man bereits mit der Bildung eines prinzlichen Hofstaates beschäftigt. Malicorne war nun entschlossen, sich diese günstige Gelegenheit zur Erlangung einer Hofstelle nicht entgehen zu lassen. Sein erster Schritt war, daß er sich die dauernde Gunst seiner Angebeteten, des Fräuleins von Montalais, sicherte. Nach Gastons von Orléans Tode hatte das Fräulein keine Lust mehr, am Hofe der verwitweten Prinzessin zu bleiben, zumal dieselbe an einem schmutzigen Geize litt und das freudlose Dasein in ihrer Umgebung keinen Reiz für ein lebenslustiges Mädchen haben konnte. Die Montalais hatte es sich in den Kopf gesetzt, Ehrenfräulein bei der zukünftigen jungen Herzogin von Orléans, bei Henriette Stuart, zu werden, und Malicorne trat alsbald in Aktion, indem er seinem adeligen Freunde aus der Geldverlegenheit half und sich zum Lohn dafür ein Ehrenfräuleinpatent für die Montalais beschaffen ließ. Das kostete Herrn von Manicamp nur ein paar Worte an den Grafen von Guiche, und dieser hatte weiter nichts nötig, als Monsieur, dem Bruder des Königs, das Papier zur Unterschrift vorzulegen.
Kaum hatte aber die Montalais ihren Willen erreicht, so erinnerte sie sich ihrer Busenfreundin, der Luise von Lavallière, der Tochter der Frau von Saint-Rémy. Luise ging traurig umher und weinte schon jetzt bei dem Gedanken, allein in Blois zurückbleiben zu müssen. Kurz entschlossen, wandte die Montalais sich noch einmal an Malicorne und verlangte ein zweites Patent für ihre Freundin, mit dem Bemerken, daß sie selbst auf das ihrige verzichten wolle, wenn er nicht auch für Luise eines beschaffen könne. Malicorne, der um keinen Preis die Gunst der Montalais verscherzen wollte, da er sich mit dem festen Vorsatz trug, sie zu seiner Frau zu machen und durch die Ehe mit einer Adeligen sich selbst zu diesem Stande emporzuschwingen, machte gute Miene zum schlechten Spiele und griff ein zweitesmal in den Geldbeutel, um die Fürsprache seines Freundes Manicamp zu erkaufen.
Auf diese Weise geschah es nun, daß Luise von Lavallière von Blois nach der Residenz kam, wo sie eine so große Umwälzung hervorrufen sollte. Das arme Kind, das einstweilen noch unbefangen und heiter am Arme ihrer Mutter in dem stillen Schloßgarten von Blois einherging, hatte keine Ahnung, welche seltsame Zukunft ihr beschieden sei.
Die Montalais und Malicorne waren die beiden Mittelspersonen, durch welche Blois mit Orléans und wiederum Orléans mit Paris verknüpft war. Denn der junge Mann brachte stets interessante Neuigkeiten aus der Hauptstadt mit und tauschte dagegen die ergötzlichsten Anekdoten aus dem Leben der alten Herzogin ein, die er brühwarm seinem Freunde Manicamp weitererzählte. Und Manicamp hatte natürlich nichts Eiligeres zu tun, als alle diese Geschichten zum Totlachen dem Grafen von Guiche aufzutischen, der seinerseits sie dem jungen Prinzen zutrug. Der alte Malicorne, der Syndikus von Orléans, der täglich in seinem altmodischen Frack auf dem Katharinenplatze zu Orléans spazierenging, ließ es sich nicht träumen, daß alles schelmische Kichern, alles hämische Geflüster, alle kleinen Kabalen und Intrigen, die eine 45 Meilen lange Kette von Blois bis zum Palais-Royal bildeten, aus seiner Börse bezahlt wurden.
Malicorne, der Sohn, war mit seinem Freunde Manicamp einig geworden, auch die Lavallière sollte die Stelle eines Ehrenfräuleins bei der jungen Gemahlin Philipps von Orléans erhalten. Aber damit war Malicorne noch nicht zufrieden. Er hatte den Entschluß gefaßt, einfach selbst einmal zum Grafen von Guiche zu gehen und für seine eigene Person das Eisen zu schmieden. Gegen die stattliche Summe von 500 Pistolen, die er Manicamp in klingender Münze auf den Tisch zahlte, erhielt er von diesem das hierzu nötige Empfehlungsschreiben und ein Dokument, das dem Bruder des Königs nur zur Unterschrift vorgelegt zu werden brauchte. In froher Zuversicht machte sich der junge Mann auf den Weg; endlich sollte er nun das heißersehnte Ziel erreichen. Er hatte das Patent zu einer Hofstelle in der Tasche, es kostete dem Prinzen nur einen Federstrich, so war Malicornes Sehnsucht erfüllt.
Als Malicorne in Orléans eintraf, erfuhr er, daß der Graf von Guiche bereits nach Paris abgereist sei. Malicorne ruhte zwei Stunden und reiste dann weiter. Er kam in der Nacht zu Paris an und begab sich am andern Morgen zeitig in das Palais Grammont. Es war die höchste Zeit, denn der Graf wollte eben fort, um sich von Monsieur, dem Bruder des Königs, zu verabschieden, ehe er nach Havre reiste, wo die Blüte des französischen Adels Madame, die Braut Philipps, bei ihrer Ankunft aus England empfangen und nach Paris geleiten sollte. Malicorne berief sich auf seinen Freund Manicamp und wurde sogleich vorgelassen. Der Graf von Guiche stand im Schloßhofe und sah zu, wie seine Stallburschen und Kutscher Pferde und Wagen reisefertig machten. – »Manicamp?« rief der Graf. »Er ist willkommen! Her mit ihm!«
Malicorne trat näher. »Verzeihung, gnädigster Herr,« sagte er geschmeichelt, »es ist nur ein Abgesandter von ihm.« – »Warum kommt er denn nicht selbst?« fragte der Graf. »Er hat wohl wieder kein Geld? Was macht er denn mit dem vielen Gelde?« – Malicorne zuckte die Achseln. – »Also wird er wohl nicht mit nach Havre kommen?« fragte von Guiche weiter. »Das ist arg – alle Welt reist hin. Wo steckt er denn? Noch in Orléans? Und Sie, mein Herr,« fuhr er fort, Malicornes Rock betrachtend, »scheinen übrigens ein Mann von Geschmack zu sein; mit wem habe ich denn eigentlich die Ehre?« – »Ich heiße Malicorne.« – »Sie tragen im einen wunderschönen Rock, so fein wird in der Provinz nicht zugeschnitten.« – »Der Rock kommt allerdings direkt aus Paris, Herr Graf.« – »Das dachte ich mir – man sieht es gleich. Also was schreibt mir Manicamp?« fragte von Guiche, den Brief lesend. »Wie? Er will noch eine zweite Dame zum Ehrenfräulein machen? Wer war denn gleich das erste?« – »Fräulein von Montalais,« antwortete Malicorne. »Ein sehr hübsches Ehrenfräulein.« – »Ah, Sie kennen sie, Herr von Malicorne?« – »Sie ist meine Braut – das heißt, wir sind so gut wie verlobt,« sagte der junge Mann lächelnd. – »So, so?« versetzte der Graf. »Gratuliere vielmals. Und wer soll das zweite Ehrenfräulein sein?« – »Fräulein von Labaume-Leblanc und von Lavallière.« – »Mir nicht bekannt,« sagte Guiche. »Na, wollen mit Monsieur darüber reden. Adelig ist das Fräulein doch?« – »Aus sehr gutem Hause. Sie ist Ehrenfräulein der verwitweten Herzogin.« – »Schön. Wollen Sie mich zu Monsieur begleiten?« – »Gewiß, wenn Sie mir diese Ehre erweisen wollen. Doch,« setzte er hinzu, als er sah, das Graf Guiche den Brief Manicamps in die Tasche steckte, »Sie haben noch nicht alles gelesen, gnädigster Herr. Es waren zwei Billette in dem Umschlag.« – »So?« antwortete der Graf. »Dann müssen wir noch einmal nachlesen. In der Tat.« Und er entfaltete das Papier. »Aha! Eine Anweisung auf eine Stelle in der Hofhaltung Monsieurs. Manicamp ist unersättlich. Scheint damit geradezu Schacher zu treiben.« – »Nein, Herr Graf, er will ein Geschenk damit machen.« – »Wem?« – »Mir,« sagte Malicorne. – »Haha! Sie müssen ein ganz ausgezeichneter Mensch sein und viele wertvollen Eigenschaften haben, daß Manicamp, dieser Egoist, Ihnen etwas schenken will. Aber nein, seien Sie aufrichtig, er macht es doch wohl nicht ganz umsonst. Ich erinnere mich übrigens, daß es in Orléans einen Mann, namens Malicorne gibt, der dem Prinzen von Condé Geld leiht. – »Das ist mein Vater, Herr Graf.« – »Der Prinz hat den Vater, und Manicamp, der gierige, hat den Sohn. Nehmen Sie sich in acht, er saugt Sie aus bis aufs Blut.« – »Der Unterschied ist nur, ich leihe ihm Geld ohne Zinsen.« – »Da sind Sie ja sozusagen ein Heiliger. Na, Sie sollen die Stelle erhalten, so wahr ich ein Graf Guiche bin.« Er schritt zur Türe und winkte Malicorne, ihm zu folgen.
Ein junger Mann trat herein, ein Kavalier von etwa 25 Jahren, mit blassem Gesicht, braunen Locken und stechenden Augen. – »Guten Morgen!« rief er dem Grafen zu. – »Sie hier, von Wardes?« rief Graf Guiche. »Reisefertig, wie ich sehe. Morgen wird kein vernünftiger Mensch mehr in Paris sein. Gestatten Sie, Herr Malicorne – Herr von Wardes.« Die beiden verneigten sich, und der Graf fuhr fort: »Sagen Sie mal, von Wardes, Sie wissen doch genau, wieviel Stellen am Hofe Monsieurs noch zu vergeben sind.« – »Warten Sie mal – ich glaube, die Stelle des Oberstallmeisters,« antwortete der junge Mann. – »O, so hoch versteigen sich meine Wünsche nicht,« warf Malicorne ein. – Von Wardes musterte ihn mit einem raschen, durchdringenden Blick. »Um diese Stelle bekleiden zu können,« sagte er, »muß man Herzog und Pair sein.« – »Ich trachte auch nur nach einem ganz bescheidenen Posten,« antwortete Malicorne. »Ich schätze mich nicht höher ein, als ich stehe.« – »Ohne Rang und Geburt,« fuhr Wardes fort, »kann man überhaupt nicht hoffen, eine Anstellung bei Monsieur zu erhalten.« – »Zum Teufel ja!« rief von Guiche, »die Etikette ist streng, daran hatte ich gar nicht gedacht.« – »O, das ist ja ein großes Malheur für mich,« sagte Malicorne. – »Dem aber hoffentlich abzuhelfen sein wird,« setzte Guiche hinzu. – »Sehr leicht, Herr,« rief Wardes, »man macht Sie einfach zum Edelmann. Kardinal Mazarin hat den ganzen Tag über nichts weiter gemacht.« – »Still, von Wardes,« unterbrach ihn der Graf. »Keinen unzeitigen Scherz! Allerdings ist der Adel käuflich, aber das ist für uns, die wir ihm durch Geburt angehören, ein Unglück, und Edelleute sollten nicht darüber lachen.«
»Herr Graf von Bragelonne!« meldete ein Diener.
»Ah, willkommen, lieber Rudolf!« rief der Günstling Monsieurs. »Auch gestiefelt und gespornt. Also soll’s auch nach Havre gehn?« – Bragelonne trat hinzu und grüßte die jungen Leute mit Anmut. Von Wardes erwiderte seinen Gruß mit auffallender Kälte. Von Guiche stellte vor, und die Herren wechselten eine steife Verbeugung. Bragelonne und von Wardes schienen einander vom ersten Augenblick an unsympathisch. – »Sei Schiedsrichter zwischen mir und von Wardes, Rudolf,« sagte von Guiche. »Er behauptet, es würde Mißbrauch mit Titeln getrieben, und ich erkläre, Titel sind ganz unnütz.« – »In diesem Falle hast du recht,« antwortete Bragelonne. – »Aber auch ich habe recht,« warf von Wardes ein. »Ich behaupte, man tut in Frankreich alles, um die Edelleute zu demütigen.« – »Wer täte das?« versetzte Rudolf. – »Der König selbst. Er umgibt sich mit Leuten, die nicht einmal auf vier Generationen zurück die Ahnenprobe aushalten. Soll ich ein Beispiel nennen? Weißt du, von Guiche, wer zum Generalkapitän der Musketiere ernannt worden ist? Wer diese Stelle erhalten hat, die mehr wert ist als die Pairswürde und Anspruch auf den Marschallstab verleiht? Diese Stelle, die der König einem Günstling seines Oheims verweigert hat, ist einem Gaskogner, einem gewissen Chevalier d’Artagnan verliehen worden, der dreißig Jahre lang sein Schwert in den Antichambres herumgeschleppt hat.«
Rudolf wurde blutrot. »Erlauben Sie, daß ich Sie unterbreche, Herr von Wardes,« sagte er, sich zur Ruhe zwingend, »Sie scheinen den Mann, von dem Sie sprechen, nicht zu kennen.« – »Ich sollte den Chevalier d’Artagnan nicht kennen?« rief der junge Mann. »Mein Gott, wer kennt ihn nicht?« – »Nun, wer ihn kennt, mein Herr,« fuhr Rudolf fort, »der weiß, daß er an Mut und Edelsinn keinem König der Welt nachsteht, wenn er auch von Geburt kein so guter Edelmann ist wie der König. Doch das ist nicht sein Verschulden. Ich, mein Herr, kenne den Chevalier d’Artagnan seit meiner Geburt.« – Von Wardes wollte antworten, aber von Guiche unterbrach ihn, denn er merkte, daß das Gespräch auf dem Punkte stand, eine feindselige Wendung zu nehmen. – »Meine Herren,« sagte der Graf, »wir müssen uns jetzt trennen, denn ich muß zu Monsieur. Von Wardes, Sie kommen mit in den Louvre, Rudolf, du verwaltest inzwischen mein Haus und beaufsichtigst die Vorbereitungen zur Abreise. Ich vergaß,« setzte er hinzu, »mich nach dem Befinden des Grafen de la Fère zu erkundigen.« Bei diesen Worten beobachtete er scharf de Wardes Gesicht und sah in dessen Augen einen Blitz des Hasses aufflammen. – »Ich danke,« antwortete Rudolf, »der Graf befindet sich wohl.« – »Wir treffen uns also im Hofe des Palais-Royal,« sagte Guiche, Rudolf die Hand schüttelnd. »Folgen Sie mir, Malicorne!« – Bragelonne stutzte, als er diesen Namen hörte, doch konnte er sich nicht darauf besinnen, wo er ihn schon früher einmal vernommen habe.
Von Guiche begab sich mit seinen zwei Begleitern in das Palais-Royal, wo Monsieur wohnte. Malicorne blieb bescheiden zurück, er ahnte, daß die beiden Edelleute sich etwas zu sagen hatten. – »Sind Sie denn nicht bei Sinnen, von Wardes?« begann der Graf von Guiche, sobald sie ein paar Schritte gegangen waren, »Sie lassen in Rudolfs Gegenwart beleidigende Worte gegen d’Artagnan fallen. Warum hassen Sie ihn? Was hat er Ihnen getan?« – »Fragen Sie den Schatten meines Vaters,« versetzte Wardes düster. – »Ich muß mich wundern, Freund,« sprach Guiche, »d’Artagnan ist kein Mensch, der eine Rechnung unausgeglichen läßt. Ihr Vater war, soweit ich gehört habe, ein tapferer Mann, und es gibt keine Feindschaft, die nicht durch einen biedern Schwertstreich abgetan werden könnte.« – »Mein Vater hat seinen Haß auf mich übertragen. Als ich noch Kind war, lehrte er mich diesen d’Artagnan hassen. Es ist ein besonderes Vermächtnis, das er mir neben meinem Erbteil hinterlassen hat.« – »Und beschränkt sich dieser Haß auf d’Artagnan allein?« – »Er ist mit seinen Freunden zu innig verbunden, als daß das Uebermaß nicht auch auf sie sich erstrecken sollte. Das Maß des Hasses ist voll, und die andern werden sich über ihren Anteil nicht zu beklagen haben.« Er sprach diese Worte mit einem kalten Lächeln, und von Guiche, ihn betrachtend, erbebte unwillkürlich, von dunkeln Ahnungen berührt. – »Gegen Herrn von Bragelonne persönlich habe ich nichts,« setzte von Wardes hinzu. »Ich kenne ihn noch kaum.« – »Jedenfalls werden Sie nicht vergessen,« antwortete der Graf, »Rudolf ist mein bester Freund.« – Von Wardes verneigte sich.
Sie hatten das Palais-Royal erreicht. Von Guiche ließ seine beiden Begleiter an der großen Treppe zurück und ging geradeswegs zu Monsieur hinauf. Er fand den jungen Prinzen in Gesellschaft des Chevaliers von Lorraine, mit welchem Guiche ein wenig auf gespanntem Fuße stand. Philipp war damit beschäftigt, sich zu schminken, während Lorraine im Hintergrunde des Zimmers auf einer Chaiselongue lag. – »Ah, du bist’s, Guiche,« rief der Prinz. »Komm her und sage mir die Wahrheit. Denke dir, der Chevalier hat mir wehgetan. Er behauptet, Lady Henriette sei als Frau hübscher wie ich als Mann. Sieh mich aufmerksam an, Guiche, und dann betrachte hier ihr Porträt. Beeile dich nicht, Guiche – laß dir Zeit.«
Der Graf schaute lange auf das allerliebste Miniaturgemälde, das Monsieur ihm reichte. Dann sagte er: »In der Tat, ein ganz reizendes Antlitz, Königliche Hoheit.« – »Und nun sieh mich an – so sieh mich doch an!« rief der junge Prinz, die Locken schüttelnd. – »Wundervoll, wundervoll!« wiederholte Guiche, noch immer im Anschauen des Bildes versunken. – »Man könnte glauben, du hättest das kleine Mädel noch nie gesehen,« sagte Philipp ungehalten. – »Ich habe sie gesehen, Hoheit, aber es sind nun fünf Jahre her, und zwischen einem zwölfjährigen Kinde und einer siebzehnjährigen Jungfrau ist ein großer Unterschied.« – »So sage doch wenigstens deine Meinung!« – »Hoheit können sich glücklich schätzen, eine so schöne Braut zu haben,« sagte Guiche. – »Ich will doch deine Meinung über mich hören,« erwiderte Philipp mit fast weiblichem Schmollen. – »Meine Meinung ist, Sie sind für einen Mann viel zu schön,« antwortete Guiche.
Chevalier von Lorraine brach in ein lautes Lachen aus. Der Prinz runzelte die Stirn. »Ich habe recht ungalante Freunde,« sagte er verdrießlich und fuhr fort sich zu schminken. Als er fertig war, betrachtete er sich sehr selbstgefällig im Spiegel. Offenbar war er mit seinem Aussehen sehr zufrieden. »Ich fürchtete schon,« sagte er zu Guiche, »du würdest ohne Abschied reisen. Du hast gewiß noch ein Anliegen vor dem Aufbruch. Um was handelt es sich?« – »Um ein Patent für ein Ehrenfräulein.« – »Ei, Guiche, du bist mir ein sauberer Gönner,« lachte der Prinz. »Wirst du dich denn immer nur für Plaudertaschen bei mir verwenden?« – »Ich bin nicht unmittelbar der Gönner der betreffenden Dame,« antwortete von Guiche. »Ein Freund von mir bewirbt sich in ihrem Namen.« – »So? Wie heißt denn dieser Schützling deines Freundes?« – »Fräulein von Labaume-Leblanc und von Lavallière, bereits Ehrendame bei Ihrer Hoheit der Herzogin-Witwe.« – »O, die hinkt ja,« rief Lorraine dazwischen. – »Was? Sie hinkt?« sagte Philipp. »Madame sollte so etwas vor Augen haben? Das wäre gefährlich für ihre Schwangerschaften.« – Chevalier von Lorraine lachte abermals laut auf. – »Chevalier,« sagte Graf von Guiche, »Sie handeln nicht eben freundlich. Ich komme mit einer Bitte, und Sie verderben es mir.« – »Pardon, Graf!« versetzte Lorraine, betroffen über den Ton, in dem Guiche diese Worte gesprochen hatte. »Ich kann mich ja auch irren. Jedenfalls verwechsle ich diese Dame mit einer andern.« – »Das ist auch in der Tat so,« sagte der Graf. – »Liegt dir denn sehr viel daran, lieber Guiche?« fragte Orléans. – »Sehr viel, gnädigster Prinz.« – »Dann ist es bewilligt – doch nun suche auch kein Patent mehr nach, es ist keine Stelle mehr frei.« – Er unterzeichnete das Papier, das der Graf vor ihn hinlegte.
Draußen eilte Malicorne erfreut auf den Grafen zu und nahm das Patent mit Worten des Dankes in Empfang. Allein er schien noch etwas zu erwarten. – »Geduld, Herr Malicorne,« sagte Guiche. »Der Chevalier von Lorraine war da, und ich hätte alles verdorben, wenn ich zuviel auf einmal verlangt hätte. Es muß für später bleiben. Schicken Sie mir Manicamp her! Uebrigens, ist es wahr, daß Fräulein von Lavallière hinkt?« – Als er diese Worte sprach, machte hinter ihm ein Pferd mit jähem Ruck halt. Guiche drehte sich um und erblickte Rudolf von Bragelonne, der die letzte Frage gehört hatte, und erblaßte. – »Warum wird hier von Luise gesprochen?« dachte der Vicomte bei sich. »Von Wardes lächelt spöttisch. Er soll sich nicht einfallen lassen, in meiner Gegenwart ein herabwürdigendes Wort über sie zu sagen.«
Ein Zug von Reitern, Wagen und Dienern war Rudolf gefolgt, und die mit flatternden Bändern, Schärpen und Federbüschen reich geschmückte Schar zog jetzt an den Fenstern des jungen Prinzen vorüber. Philipp erschien und wurde mit Jubel begrüßt. Gleich darauf war der Zug am Palais vorüber.