Vincenzo Bellini
Norma
Tragische Oper in zwei Aufzügen
Personen
Sever, römischer Prokonsul in Gallien (Tenor)
Orovist, Haupt der Druidenpriester (Baß)
Norma, dessen Tochter, Oberpriesterin, eine Seherin (Sopran)
Adalgisa, Priesterin im Haine der Irminsäule (Sopran)
Klothilde, Normas Freundin (Sopran)
Flavius, Severs Begleiter (Tenor)
Zwei kleine Söhne Severs und Normas
Druidenpriester
Barden
Tempelwächter
Priesterinnen
Gallisches Kriegsvolk
Knaben
Ort der Handlung: Gallien, im und am heiligen Hain des Gottes Irmin und die Felsenwohnung Normas.
Im ersten Aufzug der heilige Hain des heidnischen Gottes Irmin. Dann die Felsenwohnung Normas. Im zweiten Aufzug dieselbe Felsenwohnung. Dann Waldgegend. Dann der heilige Hain wie im ersten Aufzug.
Zeit: 100 nach Christi Geburt.
Rechts und links vom Darsteller.
Spielzeit: Zwei Stunden fünfundvierzig Minuten.
Erste Aufführung: Mailand, Donnerstag, den 26. Dezember 1831.
Ouverture.
(Fünf Minuten.)
Erster Aufzug.
Nr. 1. Introduktion und Chor.
Der Vorhang hebt sich nach dem zwanzigsten Takte.
Der heilige Hain des heidnischen Gottes Irmin.
Rechts unter einer großen, mit Misteln bewachsenen Eiche auf Stufen die Säule des Gottes und der Druidenstein, der als Altar dient; an der Eiche aufgehängt das Schwert des Brennus neben einem Schild. Links hinten ein Felsenablauf.
Es ist Nacht; der Mond ist von Wolken bedeckt.
Rechts und links vom Darsteller.
Erster Auftritt.
Achtzehn gallische Anführer und Krieger. Weißgekleidete Druidenpriester. Vier Tempelwächter. Zwei Knaben. Dann Orovist, das Oberhaupt der Druiden.
Achtzehn gallische Krieger mit Schilden, Lanzen,
Keulen und Beilen bewaffnet, weißgekleidete Druidenpriester, zwei Tempelwächter mit großen Lanzen und umgehängten Hörnern, zwei Knaben mit Fackeln kommen von rechts hinter dem Druidenstein.
Orovist kommt als der letzte von rechts hinten und tritt zum Druidenstein.
Zwei Tempelwächter mit Lanzen und Hörnern folgen ihm und nehmen neben den beiden anderen Tempelwächtern Aufstellung.
Alle verbeugen sich vor dem Druidenstein rechts.
OROVIST.
Steig’ auf den Hügel, Druidenschar,
Späh’ durch die dunkeln Zweige,
Ob hell bestrahlend den Altar
Das neue Licht sich zeige!
Die Priester verneigen sich.
OROVIST.
Wenn es dem Ost entstiegen,
Erschallen die Gesänge
Der frohbewegten Menge,
Und dreimal tön’ das heil’ge Erz,
Kündend das Heil dem Land.
CHOR.
Norma bricht die geweihte Frucht
Im heil’gen Hain!
OROVIST.
Ja, Norma darf’s allein!
Allein!
CHOR.
Allein, allein!
Möge der Gott der Schlachten
Auf ihrer Stirne thronen,
Daß, die nach Rache schmachten,
Töten die Legionen,
Welche im blinden Rachedurst
Roma hierher gesandt, ja!
OROVIST.
Ja, es soll in wilder Flucht,
Römer, dein Heer erzittern!
Bald soll des Galliers schwere Wucht
Den Adlersitz zersplittern!
Schrecklich sei unsre Stimme,
Ähnlich des Donners Grimme!
OROVIST UND CHOR.
Bebe, du stolze Cäsarstadt,
Er naht, dein Rächer naht!
CHOR.
Schrecklich sei unsre
Stimme, ähnlich des Donners Grimme!
OROVIST.
Ähnlich des Donners Grimme!
CHOR.
Bebe, du stolze
Cäsarstadt, er nahet, der Rächer naht!
OROVIST.
Bebe, du Stadt! er naht, der Rächer naht!
Er verneigt sich gegen den Druidenstein und entfernt sich nach links über den Felsenablauf.
Die vier Tempelwächter und die beiden Knaben folgen ihm.
Die Priester und die Krieger gehen ebenso ab hinter dem Felsenablauf.
OROVIST UND CHOR entfernt.
Mond, wenn dein milder Strahl erglänzt,
Tritt Norma zum Altar!
Ihre Stimmen verhallen.
O Luna, erscheine!
Der römische Prokonsul Sever kommt, in seinen Mantel gehüllt, rasch und vorsichtig spähend, von rechts vorn.
Sein Begleiter Flavius mit Mantel und Schwert, folgt ihm.
Zweiter Auftritt.
Flavius, Sever zu seiner Linken. Dann Stimmen der Priester.
Nr. 2. Recitativ und Kavatine.
SEVER horchend.
Die Stimmen verhallen,
Frei finden wir die Pfade aus des Waldes Dunkel.
FLAVIUS tritt mahnend zu ihm.
Tod lauscht in diesem Walde,
Weissagte Norma.
SEVER.
O nenn’ den Namen nicht,
Er macht mich schaudern!
FLAVIUS erstaunt.
Wie deut’ ich das?
Die Traute, die Mutter deiner Söhne?
SEVER.
Dem Freundesherzen darf ich kühn
Vertrauen, was mich tief betrübet.
Einst liebt’ ich Norma,
Doch bald zerrissen der Liebe Bande,
Die Triebe, die mich an sie gefesselt;
Den Abgrund seh’ ich zu meinen Füßen,
Und muß hinab mich stürzen.
FLAVIUS dringlich.
Liebst eine andere du?
Er wendet sich beobachtend nach hinten.
SEVER mahnend sich umsehend.
O rede leise! Ja, ich liebe eine andere!
Adalgisa!
Du sollst sie sehen,
Des Lenzes schönste Blüte,
Die verborgen hier prangt.
Im Dienst des Tempels, des blutbefleckten Götzen,
Gleicht ihre Anmut
Einem Strahle der Sonne aus finstern Wolken.
FLAVIUS betroffen.
Ach, armer Freund!
Und schenkt sie dir Gegenliebe?
SEVER.
Wohl darf ich hoffen.
FLAVIUS warnend.
Wird Norma die Schmach nicht blutig rächen?
SEVER.
Entsetzen im Blicke, Medeen ähnlich
Glaubt’ ich sie zu erblicken.
Ein Traumbild –
FLAVIUS.
Erzähle!
SEVER.
Ha! die Erinnrung macht mich beben!
Kavatine.
SEVER.
Mit Adalgisa Hand in Hand
Träumt’ ich mich am Traualtare;
Sie trug ein weißes Brautgewand,
Blumen im Lockenhaare.
Hell brannten Hymens Fackeln schon,
Laut tönt’ ein Lied der Minne Lohn,
Da schwanden meine Sinne,
Und mich durchströmte ein Hochgefühl. –
Plötzlich taucht auf ein Schattenbild,
Schreitet langsam zum Tempel nieder;
Und ein Druidenmantel hüllt ein
Die halberstarrten Glieder.
Schnell brannte Hymens Fackel aus,
Schweigend entflohen alle;
Die frohgeschmückte Halle
Glich einem Leichenhaus!
Im Hintergrunde beginnt der Mondschein, vorn bleibt es dunkel.
Und ach, verschwunden war die Braut,
Samt den geliebten Söhnen;
Fernher erklang ihr Schmerzenslaut
Und meiner Kinder Stöhnen.
Da steigt aus dumpfer Gruft herauf
Ein Weib, den Stahl gerötet:
»Norma hat sie getötet,
So straft sie den Verrat!« –
Das heilige Erz ertönt links entfernt.
Der Mond wird allmählich sichtbar.
FLAVIUS.
Hörst du? – Ihrem Amte vorzustehn,
Nahet Norma dem heil’gen Haine!
CHOR DER PRIESTER links entfernt.
Luna erscheint am Horizont.
Fliehet, ihr Ungeweihten!
Flieht, Ungeweihte!
FLAVIUS drängend.
Eile!
SEVER bestimmt.
Ich bleibe!
FLAVIUS mahnend.
Hör’, o hör’ mich!
SEVER empört.
Schändliche!
FLAVIUS wie vorher.
Entflieh’!
SEVER nach links drohend.
Fürchtet meinen Zorn!
FLAVIUS gesteigert.
Fliehe nur schnell,
Gefahr bringt der Verzug!
SEVER ebenso.
Stürzen will ich den Götzendienst,
Entlarven den Betrug!
FLAVIUS wie vorher.
O eile nur schnell!
CHOR DER PRIESTER links entfernt.
Fliehet, ihr Ungeweihten!
FLAVIUS.
Gefahr brächte der Verzug!
SEVER mit Festigkeit.
Was mich kräftigt und beseelt,
Scheuet nicht der Menschen Stärke;
Was in der Gefahr mich stählt,
Liebe ist es, die Großes stets gebar.
Ihre Hand mir zu erringen,
Will ich kühn die Waffen schwingen,
In ihr Heiligtum zu dringen
Und zerstören den Altar.
FLAVIUS mit fortgesetzt mahnendem Drängen.
Eile!
Fliehe!
SEVER.
Stürzen will ich den Götzendienst!
FLAVIUS.
Gefahr bringt der Verzug!
Fliehe nur schnell!
SEVER.
Zerstören den Altar!
CHOR DER PRIESTER links entfernt.
Luna erscheint am Horizont,
Fliehet, ihr Ungeweihten! Ungeweihte!
SEVER.
Was mich kräftigt und beseelt,
Scheuet nicht der Menschen Stärke;
Was in der Gefahr mich stählt,
Liebe ist es, die Großes stets gebar.
Ihre Hand mir zu erringen,
Will ich meine Waffen schwingen,
In ihr Heiligtum zu dringen
Und zerstören den Altar!
Ich will zerstören nun den Altar!
Flavius zieht Sever ab nach links vorn.
Heller Mondschein fällt auf den Druidenstein (Altar) rechts.
Die vier Tempelwächter kommen im ersten Takt mit Hörnern auf den Felsenablauf links, bleiben oben stehen und blasen.
Die zwei Knaben mit Fackeln folgen und nehmen rechts vorn Aufstellung.
Priesterinnen mit Mantel, Schleier und Kranz kommen im fünften Takt von rechts hinter dem Druidenstein.
Orovist und die Priester kommen im neunten Takt von links hinter dem Felsenablauf.
Zwei Barden mit Harfen folgen den Priestern.
Die gallischen Krieger folgen von ebendaher zuletzt.
Dritter Auftritt.
Orovist. Priester. Priesterinnen. Tempelwächter. Barden. Krieger. Knaben.
Alle verneigen sich nach rechts gegen die Säule Irmins.
Ein Knabe geht hinauf zum Druidenstein, entzündet mit seiner Fackel die Opferflamme und kehrt auf seinen Platz zurück.
Nr. 3. Chor.
ALLE.
Norma schreitet, des Eisenkrauts Blüte
Schlingt sich heilig durch wallende Locken;
In der Hand glänzt die goldene Sichel
Als des wechselnden Mondes Symbol.
Sie erscheint, und die Sterne der Römer,
Glänzend erst, sind in Wolken verhüllet;
Sie strecken die Arme nach der Säule Irmins aus.
Irmin herrscht im Raume des Äthers,
Gleich Kometen, bedrohend die Welt.
Die vier Tempelwächter blasen.
Norma kommt von rechts hinter dem Druidenstein;
ihre Haare sind gelöst, ihr Haupt umgiebt ein Kranz von Eisenkraut, in der Hand trägt sie eine goldene Sichel.
Acht Dienerinnen folgen ihr; zwei Dienerinnen tragen je ein Bündel von Mistelzweigen; vier Dienerinnen tragen leere flache Körbchen.
Vierter Auftritt.
Die Vorigen. Norma. Dienerinnen.
Norma tritt hinauf vor den Druidenstein, legt die Sichel darauf und erhebt die Blicke wie begeistert zum Himmel.
Die acht Dienerinnen nehmen vor den Stufen des Druidensteins Aufstellung.
Hellster Mondschein überflutet Norma.
Allgemeine Stille.
Nr. 4. Scene und Kavatine.
NORMA.
Wer läßt hier Aufruhrstimmen,
Wer Kriegesruf ertönen?
Wollt ihr die Götter zwingen,
Eurem Willen zu folgen?
Wer wagt vermessen, gleich der Prophetin,
Der Zukunft Nacht zu lichten?
Wollt ihr der Götter Plan vorschnell vernichten?
Nicht Menschenkräfte können
Die Wirren dieses Landes schlichten.
OROVIST.
Wie lange noch soll lasten feindliches Joch
Auf Galliens Gefilden?
Die Tempel sind entheiligt,
Das Land die Beute von Roms
Gefräß’gen Adlern.
Nicht länger darf es rosten,
Das Schwert des großen Brennus!
CHOR mit energischer Bewegung.
Laß es rasch uns erheben!
NORMA.
Daß es zersplittre? – Zersplittre!
Ja, wenn tollkühn ihr versuchet,
Allzufrüh es zu zeigen!
Die Männer ziehen sich betroffen einen Schritt zurück.
NORMA.
Es sind die Tage eurer blutigen Rache
Noch nicht erschienen;
Der Römer Wurfgeschosse
Sind dem gallischen Beile
Noch viel zu mächtig.
OROVIST UND CHOR ruhig und gemessen.
Was kündet dir die Gottheit? Rede! weissage!
Höchste Aufmerksamkeit.
NORMA.
In den geheimen Blättern hab’ ich gelesen:
Dem Untergang verfallen ist jene stolze Roma,
Und Blutesbäche färben die mächtige Stadt!
Doch nicht durch Gallier,
Rom fällt durch eigne Schwäche,
Fällt durch Laster und Verrat!
Bedeutend.
Harret der Stunde, sie ist nicht fern,
Die Schmach und Elend rächet!
Friede gebiet’ ich, während die Mistel ich breche!
Sie streckt ihre Arme gen Himmel aus.
Die zwei Barden nehmen ihre Harfen zur Hand und spielen.
Die zwei Dienerinnen mit den Mistelbündeln gehen zu Norma hinauf und knieen vor sie hin.
Die vier Dienerinnen mit den leeren Körbchen ebenso.
Die letzten zwei Dienerinnen bleiben unten.
Norma nimmt die Sichel vom Druidenstein und erhebt sie segnend über die Mistelbündel.
Alle werfen sich auf die Kniee.
Der Mond leuchtet in seinem vollen Glanze.
Norma schneidet hierauf mit der Sichel die heilige Mistel von der Eiche und legt sie in die Körbchen der vier Dienerinnen; nach den fünfzehn Takten des Ritornells legt sie die Sichel auf den Druidenstein.
Die sechs Dienerinnen erheben sich, treten herunter und knieen unten wieder nieder.
NORMA.
Keusche Göttin im silbernen Glanze,
Thaue Segen auf die dir geweihte Pflanze!
Deines Anblicks laß uns erfreuen,
Wolkenfrei und schleierlos!
OROVIST UND CHOR.
Keusche Göttin im Silberglanze,
Thaue Segen auf diese Pflanze!
Deines Anblicks laß uns freuen,
Wolkenfrei und schleierlos!
NORMA.
Schleierlos, ja, schleierlos!
Laß nicht Zwietracht sich erneuen,
Träufle Balsam in die Wunden,
Bis den Frieden wir gefunden,
Der erkeimt aus deinem Schoß.
OROVIST UND CHOR.
Bis wir jenen Frieden aufgefunden,
Der entkeimt aus deinem Schoß!
Die zwei Barden enden ihr Harfenspiel.
Norma schreitet herab und nimmt die Mitte.
Alle erheben sich.
NORMA.
Nun trennt euch alle, kein Frevler wage
Diese Haine zu beschreiten;
Wenn die Götter schleudern ihre Racheblitze,
Um die Feinde zu zerstören,
Hört ihr vom Druidensitze
Meiner Stimme Donnerton!
Die Krieger erheben drohend die Waffen.
OROVIST UND CHOR feurig.
Rufe! Nicht einer soll entrinnen!
O gebiete! Laß uns beginnen,
Und als erstes Racheopfer
Falle der Prokonsul Roms!
Norma tritt noch etwas weiter vor, steht ganz für sich.
Die Dienerinnen mit den Körben voll Mistelzweigen gehen zu den einzelnen Gruppen und verteilen die Zweige.
NORMA.
Er fällt! Ich kann ihn töten!
Für sich.
Doch ihn töten? Mein Herz sagt nein! –
Entflohner, kehre wieder,
An meiner Brust erwarme,
Und diese mächt’gen Arme
Sind deines Lebens Pfand.
O kehre wieder mit heitern Blicken,
Nur du bist mein Entzücken,
Meine Seligkeit!
OROVIST UND CHOR unter sich.
Kommt langsam auch geschritten
Der süße Tag der Rache,
Ist doch in allen Hütten
Die Kampfeslust entbrannt;
Bleibet doch auf Berg’, in Hütten
Die Kampfeslust entbrannt!
NORMA für sich.
Ach! Entflohner, kehre wieder,
An meiner Brust erwarme,
Und diese mächt’gen Arme
Sind deines Lebens Pfand!
O kehre wieder mit heiteren Blicken,
Nur du bist mein Entzücken,
Meine Seligkeit!
OROVIST UND CHOR.
Es bleibt auf Bergen und in Hütten
Doch die Kampfeslust entbrannt!
NORMA für sich.
O sieh’ mein Sehnen,
Sieh’ meine Thränen,
O schlinge wieder
Der Liebe Band!
Kehre wieder, sieh’ meine Thränen!
OROVIST UND CHOR.
Zur Rache!
NORMA für sich.
Sieh’ die Thränen,
Sieh’ mein Sehnen,
Schlinge wieder
Der Liebe Band!
Sieh’ die Thränen,
O sieh’ mein Sehnen,
Schlinge wieder
Der Liebe Band!
OROVIST UND CHOR.
Auf den Bergen, in den Hütten
Bleibt die Kampfeslust entbrannt!
Die Knaben verlöschen das Feuer auf dem Druidenstein; einer nimmt die Sichel an sich.
Alle wenden sich zum Abgang nach rechts.
Norma, die Priesterinnen, die acht Dienerinnen, die Krieger gehen ab nach rechts hinten.
Orovist, die Priester, die Barden, die Tempelwächter, die Knaben entfernen sich nach rechts vorn.
Die Priesterin Adalgisa kommt von rechts hinter dem Druidenstein.
Fünfter Auftritt.
Adalgisa allein.
Nr. 5. Scene und Duett.
ADALGISA wird lebhaft nach dem achten Takte sichtbar; dann hält sie inne und schreitet, nachdem sie sich umgesehen, träumerisch vor.
Einsam sind diese Haine, fort die Druiden! –
Sie kommt weiter vor und preßt die Hände aufs Herz.
Ungesehen fließen nun meine Thränen,
Hier, wo ich zum erstenmale
Den Helden Roms, wehe mir! erblickte,
Der vergessen mich machte
Des Tempels, der Götter!
Wär’ der Traum doch vorbei!
Fruchtloses Hoffen! Ein unerklärlich
Sehnen bringt mich ihm nahe;
In seinem Anblick schwelgt mein krankes Auge;
Ich höre seine Stimme in Zephyrs Flüstern
Und im Säuseln der Blätter.
Sie eilt nach rechts zu dem Druidenstein und wirft sich auf die Kniee.
O beschütze mich, du Starker!
O beschütze mich, beschütze mich,
Du Starker, beschütze mich,
Es wanket, es wanket mein Glaube!
Du Starker, sei gnädig mir!
Mein Glaube, ach, mein Glaube wankt!
Sie erhebt sich langsam.
Der römische Prokonsul Sever kommt mit seinem Begleiter Flavius von links hinten.
Sechster Auftritt.
Adalgisa rechts vorn. Sever links hinten, Flavius an seiner Seite.
SEVER leise zu Flavius.
Da ist sie! Fort!
Ich will nichts weiter hören!
Flavius geht ab nach links hinten.
Siebenter Auftritt.
Adalgisa. Sever.
Sever kommt nach vorn.
ADALGISA bemerkt ihn, erschrocken.
Du! Du hier?
SEVER.
Was seh’ ich? Du hast geweint?
ADALGISA.
O sei barmherzig und laß mich beten!
SEVER.
Du flehst zu Göttern, die grausam,
Tyrannisch, stets abhold
Deinen Wünschen und den meinen.
Ach, Adalgisa, der Gott,
Zu dem wir rufen, ist Amor.
ADALGISA.
Weh’ mir, o schweige, nicht darf ich weilen.
Sie entfernt sich von ihm.
SEVER.
Willst du mich fliehen?
Welch Ort wäre so geheim,
Den ich nicht fände?
ADALGISA.
Der Tempel, des Gottes Altar,
Dem ich Treue geschworen.
SEVER.
Dem Gotte! und unsrer Liebe?
ADALGISA.
Muß ich entsagen! –
SEVER sehr leidenschaftlich.
Geh’ und opfre den falschen Göttern,
Opfre ihnen denn und bring’ mein Blut zur Sühne!
Er umschlingt Adalgisa.
Adalgisa sucht sich ihm zu entziehen.
SEVER.
Opfernd magst du, magst du’s vergießen,
Nimmer kann ich dich verlassen,
Nein, nein, dich nie verlassen! –
Adalgisa hat sich losgemacht und weist mit der Rechten nach rechts auf die Säule des Gottes Irmin, mit der Linken auf sich: »sie habe sich den Göttern geweiht!«
SEVER.
Nur dein Mund schwur den Altären,
Doch dein Herz, es schwur zu mir;
Mir nur sollst du angehören,
Niemals mehr entsag’ ich dir.
ADALGISA.
Ach, du weißt nicht, wie sehr ich leide,
Wie mein Herz dich warm verteidigt!
Dem Altare, den ich beleidigt,
Naht ich mich mit Kindesfreude.
Sie streckt hilfesuchend beide Arme nach der Säule des Gottes aus: »Vergebliches Flehen, ich bin schuldbeladen.«.
Heiter blickte einst mein Auge
Zu des Himmels Blau empor;
Nun ist mir sein Glanz entschwunden,
Da ich meine Ruh’ verlor.
SEVER.
Mildre Sitten, schönre Sonne
Bietet Rom, wohin wir eilen.
ADALGISA aufs höchste erschrocken.
Fort du? Fort du?
SEVER.
Zu neuen Thaten!
ADALGISA.
Fort du? Und ich?
SEVER.
Du folgst dem Gatten!
Amor ist der Gott der Götter,
Weiche seiner sanften Macht!
ADALGISA.
Unsre Priester, unsre Seher –
SEVER.
Sie schreien Wehe!
Und versinken dann in Nacht!
ADALGISA.
Ach, wer rettet? –
SEVER.
Von der Liebe bist du bewacht.
ADALGISA.
Nein, ich darf nicht,
Wachsam lauert der Verdacht.
SEVER.
Du könntest fliehen und mich verlassen?
Und mich verlassen? Adalgisa! Adalgisa!
Komm nach Rom, dem Schmuck der Städte,
Wo der Freude Nektarschale
Froh uns winkt zum Göttermahle
Und die Sorge sinkt in Lethe!
Säume nicht, die Feinde wachen,
Folge deines Herzens Ruf!
Glücklich sein und glücklich machen,
Welch ein herrlicher Beruf!
ADALGISA.
Ja, das sind die süßen Laute,
Ja, das sind die Liebeszeichen.
Welche Gott Irmins Vertraute
Vom Altare selbst verscheuchen!
Nimmer kann ich widerstehen
Diesem innern Herzensdrang!
Götter, hört mein heißes Flehen,
Zürnet nicht, daß mein Herz ich nicht bezwang!
SEVER drängend.
So komme!
ADALGISA zögernd.
Laß mich hier.
SEVER mit geöffneten Armen.
Sieh’ die Arme ausgebreitet!
ADALGISA.
Ach, laß mich!
SEVER.
Du könntest mich verlassen?
ADALGISA.
Ach, Schande mich begleitet.
SEVER.
Für mich nicht alles wagen?
ADALGISA.
O höre meine Stimme!
SEVER.
Adalgisa!
ADALGISA.
Sieh’, wie ich weine,
Sieh’ den Kampf der Pflicht und Liebe!
SEVER.
Adalgisa, gehorch dem Triebe!
ADALGISA.
Harre – du –
Ach, vergebens, ich bin die deine!
Umarmung.
SEVER.
Morgen in der Frührot Stunde
Harr’ ich dein!
ADALGISA.
Zum ew’gen Bunde!
SEVER.
Schwöre!
ADALGISA.
Heilig!
SEVER.
Geliebte Seele, ich darf hoffen?
ADALGISA.
Ja, du darfst hoffen,
Treulos bin ich den Altären,
Treu werd’ ich der Liebe sein!
SEVER.
Mildre Götter wirst du ehren,
Und verachten den Betrug –
ADALGISA.
Treu werd’ ich, ja, treu
Der Liebe sein,
Ja, treu der Liebe sein!
SEVER.
Verachten den Betrug und Schein,
Und treu der Liebe sein!
Er verläßt sie nach inniger Umarmung und geht ab nach links hinten.
Adalgisa wendet sich zum Abgang nach rechts hinten.
Verwandlung.
Nr. 6. Duett.
Der Vorhang hebt sich nach dem fünfundzwanzigsten Takte.
Normas Felsenwohnung mit einer Mittelöffnung, deren Vorhänge geschlossen sind; hinter den Vorhängen eine Lagerstätte mit einer Fensteröffnung darüber. Rechts eine Felsenöffnung als Eingang. Zur Rechten ein Steinaltar; mehr nach der Mitte hin auf Tierfellen ein Blocksitz. Links ein Herd; in seiner Nähe auf Tierfellen ein Ruhelager; an der linken Hinterwand ein Steintisch.
Es ist Tag.
Achter Auftritt.
Klothilde, die beiden Kinder Normas an der Hand führend; Norma ohne Mantel und Schleier zu ihrer Linken.
NORMA geht auf die Kinder zu und wendet sich bebend vor ihnen zurück; zu Klothilde.
Geh’ jetzt, ich will sie nicht mehr sehen!
Schauder ergreift mich,
Wenn ich sie will umarmen!
Sie setzt sich auf das Ruhelager links, mit dem Arm auf dem Lager ihren Kopf stützend.
KLOTHILDE.
Woher der Zwiespalt in deiner Brust?
Es sind so gute Kinder!
NORMA gepeinigt.
Frag’ nicht! – In diesem Herzen
Wechseln Gefühle. Bald herrscht die Liebe,
Bald hass’ ich meine Kinder. Bald macht ihr Anblick mir Freude,
Bald wieder Kummer. Jetzt möcht’ ich sie herzen,
Jetzt zornig strafen, bald mich und sie verwünschen,
Daß ich die Mutter.
KLOTHILDE.
Und du bist Mutter!
NORMA leidenschaftlich aufspringend.
O wär’ ich’s nicht.
KLOTHILDE rasch.
Du sprichst in Rätseln!
NORMA.
Du kannst mich nicht verstehen,
Du treue Seele.
Sehr wichtig.
Vom Senat berufen
Ist Sever.
KLOTHILDE.
Du wirst ihm folgen?
NORMA betroffen, langsam und düster.
Darüber schwieg sein Mund.
Mit steigender Aufregung.
Ach! Wenn er fliehen könnte,
Und mich verließe! Wenn er vergessen könnte
Mich und die Kinder!
KLOTHILDE.
Und glaubst du? –
NORMA mit einigen Schritten nach links.
Gewißheit! Sie wäre minder grausam
Als böse Ahnung, als trüber Zweifel! –
Ich höre Tritte!
Zu Klothilde.
Geh’, verbirg sie!
Klothilde geht mit den Kindern ab durch die Mittelvorhänge.
Die Vorhänge fallen hinter ihr wieder zu.
Adalgisa kommt mit dem Eintritt des Andante von rechts.
Neunter Auftritt.
Adalgisa, Norma zu ihrer Linken.
Adalgisa steht still.
NORMA.
Adalgisa!
ADALGISA für sich.
Herz, bleibe standhaft!
NORMA.
Tritt näher, du holdes Wesen!
Adalgisa bleibt stehen.
NORMA.
Komm näher! Du scheinst zu zittern?
Zu sprechen wünschest du mit mir,
Geheimes trägst du auf dem Herzen?
ADALGISA.
So ist’s. Doch du bist strenge,
Kennst nicht die Macht der Leidenschaft,
Der Schwäche bist du verschlossen.
Sie tritt näher und wirft sich vor Norma auf die Kniee.
Wo find’ ich Stärke, mein Herz
Dir zu entschleiern?
Dir mich zu entdecken!
NORMA.
Vertraue und rede, was betrübt dich?
ADALGISA nach einem Augenblick des Bedenkens.
Die Liebe –
Norma macht eine Bewegung.
ADALGISA.
O zürne nicht!
Lange hab’ ich gestritten, sie zu besiegen,
All’ meine Kraft verschwendet,
Eifrig gebetet – Ach, alles fruchtlos!
So wisse, was ich ihm zugeschworen:
Den Tempel meiden und den Altar,
Dem ich verlobt, verraten,
Mein Heimatland verlassen –
NORMA.
Halt ein, Verirrte!
Sie legt ihre Hand auf Adalgisas Haupt.
Im Morgenrot des Lebens
Ist dein Stern schon versunken?
Sie hebt Adalgisa auf und führt sie nach dem Ruhelager links.
Erzähle mir alles!
Sie sitzt und hält Adalgisas Hände.
Wie faßte dich die Glut?
ADALGISA zu Normas Füßen knieend.
Von einem Blicke, von einem Seufzer
Im geweihten Haine, dort am Altare,
Wo ich in Andacht flehte. Ich bebte,
Auf meiner Lippe starb das Wort des Gebetes.
Norma läßt allmählich Adalgisas Hände los und versinkt in träumerisches Erinnern.
ADALGISA.
Ich war versunken in nie geahnte Wonne,
Sah andre Himmel und andre Sonnen,
Er war mein alles, mein Himmel!
NORMA für sich.
O Rückerinnrung!
So war mein Los, so ward mein Aug’ geblendet,
Als es auf seinem ruhte.
ADALGISA.
Doch – du scheinst ja zerstreut?
NORMA.
Rede! Ich höre.
ADALGISA steht langsam auf.
Hier stahl er mir den Frieden,
Hier sah ich ihn manche Stunde;
Wenn er von mir geschieden,
Brannte des Herzens Wunde.
NORMA für sich.
Ach, so erging es mir!
ADALGISA.
Laß mich, rief er mit Flehen,
Dir in das Auge sehen –
NORMA für sich.
O Rückerinnrung!
ADALGISA entfernt sich einige Schritte von Norma; mehr für sich.
Laß mich aus deinen Augen –
NORMA für sich.
So hat auch er gesprochen!
ADALGISA.
Wonne und Hoffnung saugen,
Gieb mir des Haares Locke,
Nicht versage der Liebe Kuß!
NORMA für sich.
O süße Töne!
So haben sie auch einst
Dies unbewachte weiche Herz gebrochen!
ADALGISA in seligem Erinnern wie für sich.
Sanft, wie der Zephyr am Fliederstrauch,
Süß, wie die Töne der Harfe,
Klang seines Mundes Beredsamkeit –
Ich sah den Himmel offen.
NORMA für sich.
Ich fühlte gleichen Zauber!
ADALGISA weinend, sich Norma wieder nähernd.
Ach, da vergaß ich die Pflichten –
NORMA.
Du sollst nicht weinen.
ADALGISA.
Wirst du mich gnädig richten?
NORMA.
Ich bin nicht grausam.
ADALGISA.
Nun kennst du mein Vergehen.
NORMA.
Ich bin nicht grausam.
ADALGISA.
Wirst du mein Herz verdammen?
Verzweifelnd vor Norma zusammenstürzend und deren Kniee umfassend.
Rette mich vor mir selber,
Rette mich, rette mich, wenn du kannst!
NORMA.
O klage nicht, du Tiefbetrübte,
Noch ist zu lösen dein Gelübde.
ADALGISA.
Ach! wiederhole des Trostes süße Worte!
NORMA steht auf und hebt Adalgisa empor an ihre Brust.
Heil dir, o Heil!
Sie küßt sie.
Empfange diesen Schwesterkuß,
Ich will der Welt dich retten,
Sich von Adalgisa loslösend.
Denn dein Gelübde lös’ ich auf,
Ich breche deine Ketten!
Dir lacht das Glück der Liebe,
Die höchste Erdenlust.
ADALGISA.
O wiederhole noch einmal
Des Trostes süße Worte;
Geendet ist nun meine Qual,
Mir strahlt der Hoffnung Sonne!
Du hast hinweg genommen
Die Leiden meiner Brust,
Ja – ja – ha, welch süße Lust!
NORMA.
Dir wird noch lachen das Glück der Liebe,
Die höchste Lust – ach!
ADALGISA.
O wiederhol’ des Trostes Wort,
Des Trostes Wort – ach!
NORMA.
Empfange diesen Schwesterkuß,
Ich will der Welt dich retten.
Ja, dein Gelübde löse ich,
Ich sprenge deine Ketten.
Dir lacht das Glück der Liebe,
Die höchste Erdenlust,
Ja, ja, ja, höchste Lust!
ADALGISA.
O laß die Worte,
Laß mich sie hören!
Du hast weggenommen
Den Stachel der Brust,
Ja, ja, ach, welche Lust!
BEIDE.
Ach – ach, welche Lust!
NORMA drängt Adalgisa nach der Mitte und umarmt sie stürmisch.
Doch sprich, wie ist sein Name?
Mit einigen Schritten nach links.
Ist er vom Kriegerstande?
ADALGISA.
Gallien ist nicht sein Heimatland,
Er ist ein Römer!
NORMA ahnend.
Römer? Und heißt? Vollende! –
Sever kommt von rechts.
Zehnter Auftritt.
Sever rechts. Adalgisa in der Mitte, etwas zurückstehend. Norma links.
ADALGISA zeigt nach rechts.
Hier kommt er.
NORMA aufflammend.
Dieser? Sever!
ADALGISA.
Du zürnest?
NORMA gesteigert.
Sever ist dein Geliebter?
Täuscht mein Gehör mich?
ADALGISA.
Ach, nein!
SEVER zu Adalgisa.
Unheil hast du gestiftet!
ADALGISA betroffen.
Unheil?
NORMA zu Sever.
Bebest du? Und für wen
Magst du jetzt erbeben?
Ausbrechend.
Du sollst nicht beben für jene dort,
Nein, nicht für jene,
Die nur dein Hauch vergiftet!
Adalgisa bebt erschrocken mehr nach hinten zurück.
NORMA.
Sie nicht; du gabst dein Heuchelwort,
Du nur warst der Verräter!
Erbebe nur für dich, erbebe nur für dich,
Für deine Kinder, zittre für mich,
Für dich, Verräter, erzittre nur für dich,
Erzittre für dich, für dich und mich!
ADALGISA aufs höchste betroffen.
Was hör’ ich? Du? – Sever? – Rede! –
Sever wendet sich schweigend ab.
ADALGISA.
Nein, schweige! O Himmel!
Sie preßt, etwas in sich zusammensinkend, das Gesicht in die Hände. Norma tritt zu ihr. Sever hat nur für Adalgisa Sinn und Auge.
Nr. 7. Terzett.
NORMA.
Arme! geopfert ist dein Glück,
Ihm konntest du vertrauen!
Besser wär’s, giftigen Schlangenblick,
Sie zeigt nach Sever.
Als seine Blicke zu schauen!
Ach, deine holden Augen
Gleichen zwei Thränenbächen.
Brennende Qualen foltern
Zwei treue Herzen,
Die der Verräter treulos brach!
ADALGISA.
Ach, wann schließt sich des Zweifels Thor?
Schrecklich sind deine Züge!
Wahrheit verlangt mein scheues Ohr
Doch dieses Herz verlangt die Lüge.
NORMA zu Adalgisa.
Arme, geopfert ist dein Glück.
Ja, besser wär’s, gift’ger Schlangenblick,
Als diese Blicke, den Blick zu schauen.
ADALGISA.
Ahnung erfüllt mein banges Herz!
Was wird die Zukunft spenden?
Nie wird mein Jammer enden,
Wenn er den Eid mir brach.
NORMA zu Adalgisa.
Laß deine Thränen strömen,
Brennende Qualen foltern
Zwei Herzen, die er treulos brach,
Die der Verräter treulos brach!
SEVER.
Norma, in dieser Stunde nicht
Soll mich dein Zorn erreichen!
Er zeigt nach Adalgisa.
Sieh’ auf dies holde Angesicht,
Es stirbt dahin, sieh’, es will erbleichen!
Nicht in der Jungfrau Gegenwart
Sollst du den Schleier lüften;
Mag denn der Himmel richten,
Wer von uns beiden mehr verbrach!
Sieh’ dort die Arme,
Gebeugt von dem Harme,
Die ohne Schuld
Die rein, die nichts verbrach! –
NORMA.
Ja, besser wär’ es, Schlangenblick,
Nach Sever zeigend.
Als diesen Blick zu schauen! –
Du kannst es wagen! –
Laß den Thränen freien Lauf,
Beide sind, beide sind betrogen!
Beide hat er uns belogen,
Ja, uns belogen,
Da er seine Schwüre, seine Schwüre brach,
Er seinen Eid mir brach! –
ADALGISA tritt Norma näher.
Ach, wann schließt sich des Zweifels Thor?
Wahrheit verlangt mein scheues Ohr,
Doch dieser Busen verlangt die Lüge!
Ahnung erfüllt mein banges Herz,
Was wird die Zukunft spenden?
Nie wird mein Jammer enden,
Wenn er den Eid mir brach.
Ahnung, ja, sie erfüllt mein banges Herz!
O was wird mir die Zukunft spenden?
Ach, nie, niemals wird, nie sich mein Jammer enden,
Wenn er den Eid mir brach! –
Sie schmiegt sich bittend an Normas Schulter.
NORMA macht sich frei; empört zu Sever.
Schändlicher!
SEVER.
Du rasest!
Er will fort.
NORMA beobachtet beide mit größter Aufmerksamkeit; zu Sever.
Bleibe noch!
SEVER faßt Adalgisas Hand und will sie mit sich fortziehen.
Folge mir!
ADALGISA sich von ihm losreißend.
Nein, niemals folg’ ich dir!
Norma nennt dich Gatten!
SEVER.
Teure, dich hab’ ich erkoren!
ADALGISA.
Nein, niemals folg’ ich dir!
SEVER schließt Adalgisa fest in seine Arme.
Mein wirst du, hab’ ich geschworen.
ADALGISA.
Geh’, falscher Mann!
SEVER mit Feuer.
Für dich nur fühl’ ich allein
Heiße Liebe, für jene Haß!
Für jene empfind’ ich Haß!
NORMA.
Wohlan!
Mit erstickter Stimme.
Vollende den Meineid
Und fliehe!
Zu Adalgisa.
Folge ihm!
ADALGISA reißt sich von Sever los und eilt zu Norma hin.
Norma, o höre mich! gieb mir den Tod!
NORMA in höchster Leidenschaft die Mitte nehmend; zu Sever.
Ziehe hin, weil du vergessen
Deinen Schwur, der Kinder Ehre!
Doch läßt meines Fluches Schwere
Nie der Liebe froh dich werden!
Ziehe fort, weil du vergessen
Deinen Schwur, der Kinder Ehre!
Ziehe fort, weil du vergessen
Wort und Ehre!
Sie wendet sich nach links.
SEVER zu Norma.
Magst du fluchen im Thorengrimme,
Abscheu wecket dies tolle Wüten!
NORMA zu Sever.
Auf dem Lande, wie auf dem Meere
Wird ereilen dich meine Rache,
An dem Lager hält sie die Wache,
Rüttelt dich mit Allgewalt.
SEVER.
Magst du fluchen im Thorengrimme,
Abscheu weckt dies tolle Wüten;
Magst du Hassespläne brüten,
Mächt’ger ist der Liebe Stimme.
Fluche nur im Thorengrimme,
Abscheu weckt dies tolle Wüten,
Ja, dies Wüten!
ADALGISA norma anflehend.
O verzeihe, daß meine Leiden
Dir getrübet der Seele Ruhe!
SEVER zu Norma.
Sieh’ mich trotzen dem Schrei nach Rache,
Denn der Himmel schützt die Schwache.
Fluche mir im Thorengrimme,
Ja, ich trotze deiner Wut!
ADALGISA zu Norma.
O verzeihe, daß meine Leiden
Dir getrübt der Seele Ruhe!
NORMA zu Sever.
Fliehe!
ADALGISA.
Berge, Meere sollen scheiden
Ewig mich von dem Verräter!
NORMA.
Verräter!
ADALGISA.
O verzeih’, daß meine Leiden
Dir getrübt der Seele Ruhe –
SEVER.
Magst du fluchen, magst du wüten!
ADALGISA.
Deine Ruhe dir getrübt,
Ja, dir getrübt!
SEVER.
Sieh’ mich trotzen dem Schrei nach Rache,
Denn der Himmel, er schützt die Schwache!
NORMA.
Auf dem Lande, wie auf dem Meere
Wird ereilen dich meine Rache!
ADALGISA.
Dich nur will ich glücklich wissen,
Meine Schmerzen in mich verschließen;
Vater sei er seinen Kindern
Und das Grab mein Aufenthalt!
NORMA.
Ja, Verräter, meine Flüche
Stören deine Liebeslust!
SEVER.
Fluche nur im Thorengrimme,
Ja, ich trotze deiner Macht!
Deine Brust,
Sie fühlt sich schuldbewußt.
NORMA.
Nie, nie fühle du der Liebe Lust.
ADALGISA.
Ja, ja! Schweigen soll der Schmerz;
In der eignen Brust
Verschließen meine Schmerzen
Sich schuldbewußt!
Sever eilt ab nach rechts.
Adalgisa stürzt Norma zu Füßen.
Zweiter Aufzug
Nr. 8. Introduktion und Scene.
Der Vorhang hebt sich im fünfzigsten Takte.
Dieselbe Felsenwohnung Normas.
Die Mittelvorhänge sind zurückgeschlagen.
Es ist Nacht; durch die Fensteröffnung über der Lagerstätte hinten fällt das Mondlicht.
Erster Auftritt.
Norma. Ihre beiden Kinder schlafend auf der Lagerstätte hinter den Mittelvorhängen, vom Mond beschienen, der durch die Fensteröffnung darüber fällt.
NORMA kommt ohne Schleier, offene Haare, verstört und bleich, mit einer brennenden Lampe und einem Dolche von rechts; sie setzt die Lampe auf den Steintisch an der linken Hinterwand, tritt vor ihre beiden Söhne und neigt sich leicht über sie.
Beide im Schlafe! – Sie sehen nicht das Eisen,
Das sie durchbohren soll.
Sie drückt ihr Mitleid hinab.
Nicht rege dich, Erbarmen, sie müssen sterben!
Hier harrt der Tod und Schande trifft sie in Rom.
Ha, Normas Blut entehret! Zum Sklavendienst erniedrigt!
Könnt’ ich’s ertragen? Rasch vollbracht!
Sie macht einen Schritt, bleibt dann stehen.
Ja, wenn ich dem Lager nahe,
Faßt mich ein Schauder,
Es sträubt sich das Haar auf meinem Haupt!
Die Kinder töten –
Die hier in Unschuld noch schlummern? Sie,
Noch vor kurzem Wonne der Mutter,
Sie, deren süßes Lächeln
Die Verzeihung des Himmels mir verhießen!
Sie tötet dieser Stahl! Sind sie Verbrecher?
Es sind Severs Söhne: dies ihr Verbrechen!
Mir sind sie schon gestorben!
Sie mögen beide tot auch für ihn sein!
Er find’ sie als Leichen! – Wohlan!
Sie schreitet zur Lagerstätte hinten und erhebt den Dolch; plötzlich grell aufschreiend.
O nein! teure Kinder!
Die Kinder erwachen von diesem Aufschrei und richten sich auf.
NORMA kniet über sie gebückt und umfaßt sie.
Geliebte!
Sie beruhigt die Kinder und legt sie wieder zurück; noch knieend.
Herbei! Klothilde!
Klothilde kommt eilig von rechts.
Zweiter Auftritt.
Klothilde, Norma zu ihrer Linken. Die Kinder auf der Lagerstätte hinten.
NORMA.
Eile! Bringe mir Adalgisa!
KLOTHILDE.
Sie ist dir nahe!
Sie sucht einsame Pfade und weinet und betet.
NORMA erhebt sich.
Geh’!
Klothilde geht ab nach rechts.
Die Kinder schlafen wieder ein.
NORMA.
Meinen Fehltritt will ich bekennen
Und dann, dann sterben!
Adalgisa kommt von rechts.
Dritter Auftritt.
Adalgisa, Norma zu ihrer Linken. Die Kinder auf der Lagerstätte hinten.
Nr. 9. Recitativ und Duett.
ADALGISA furchtsam, mit gesenktem Blick.
Du willst mich sprechen?
Sie erhebt den Blick und geht rasch einige Schritte auf Norma zu; erschrocken.
Tief gefurcht die Stirne, bleich dein Gesicht?
NORMA.
Blässe des Todes!
Du sollst nun meine Schande erfahren!
Nur eine letzte Bitte höre und erfülle sie,
Wenn du Erbarmen hast
Mit dem gräßlichen Schmerz,
Der mich durchwühlet!
ADALGISA.
Alles, alles geschehe!
NORMA.
Du schwörest?
ADALGISA.
Ich schwöre!
NORMA.
So höre! Ein Ziel zu setzen
Dem mir verhaßten qualvollen Leben
Bin ich entschlossen.
Adalgisa macht eine erschrockene Bewegung.
NORMA.
Diese Teuern will ich nicht mit mir nehmen.
Sei ihnen Mutter!
ADALGISA heftig erschrocken.
Halt ein! Ich ihnen Mutter?
NORMA.
In der Römer Lager
Bring’ sie dem Manne,
Den ich zu nennen scheue.
ADALGISA.
Ach, was verlangst du!
NORMA.
Wird er dein treuer Gatte,
Sei sterbend ihm verziehen.
ADALGISA schaut schmerzlich zu Norma auf.
Gatte? Ha, nimmer!
NORMA groß, erhaben.
Sei unsern Kindern nun Mutter! –
Duett.
NORMA.
Diese Zarten jetzt beschütze,
Sei ihr Stab, sei ihre Stütze.
Nicht begehr’ ich Rang’ und Größe,
Hüten mögen sie die Herden;
Nur bedecke ihre Blöße
Und laß sie nicht Sklaven werden!
Immer wirst du daran denken,
Daß ich ihnen Mutter ward.
Freiheit wirst du ihnen schenken,
Sklavenlos ist allzuhart!
ADALGISA.
Hohe Norma, du Starke, Weise,
Bleibe Mutter, sei Freundin mir;
Deine Kinder kann ich dir nicht rauben,
Deinen Auftrag nimmer vollziehn!
NORMA.
Deine Eide –
ADALGISA.
Will ich halten,
Dir zum Heile, dir zum Gedeihen!
In das Lager will ich fliegen,
Deinen hehren Sinn zu künden;
Ja, mein Flehn wird ihn besiegen,
Meinen Mund mit Kraft beseelen.
Hoffe! Mit der Einsicht Waffen
Werd’ ich bald zurück ihn führen;
Hart ist nicht sein Herz geschaffen,
Norma herrschet noch darin.
NORMA.
Ich ihn bitten? Kannst du das glauben? Ich ihn?
ADALGISA.
Norma! O hör’ mich!
NORMA.
Ich darf nicht hören!
Mit der ausgestreckten Rechten.
Eile – fort!
ADALGISA.
Ach, nein, ich kann nicht! Ach, nein! –
Sie ergreift die ausgestreckte Rechte Normas.
Sieh’, o Norma, ach, hab’ Erbarmen,
Diese Pfänder verschmähter Liebe!
Habe Mitleid mit diesen Armen,
Eh’ du grausam, ja, grausam dich zerstörst!
NORMA ihre Hand von Adalgisa losmachend.
Ach, warum willst du mein Herz bewegen?
Neue Hoffnung soll ihm entkeimen?
Siehst doch, wie mit solchen Träumen
Du den stolzen Sinn verkehrst!
ADALGISA zeigt auf die Kinder.
Sieh’ die teuren Pfänder deiner Liebe,
O hab’ Erbarmen, ach!
Sieh’, o Norma, o hab’ Erbarmen!
Diese Pfänder der verschmähten Liebe,
Habe Mitleid mit diesen Armen,
Ehe du grausam dich zerstörest,
Dich grausam, dich selber zerstörst,
Dich selbst zerstörst!
NORMA.
Ach, warum, ach, warum willst du mein Herz,
Dieses Herz, ach! ach, warum denn mein Herz bewegen?
Ja, du willst nur mein Herz bewegen,
Neue Hoffnung soll ihm entkeimen!
Siehst du, wie mit solchen Träumen
Den Sinn mir, den Sinn mir verkehrst,
In mir verkehrst!
ADALGISA schließt die Mittelvorhänge und geht auf Norma zu.
Höre mein Flehen!
NORMA im Innersten bewegt, schwankend, hoffend.
Verlasse mich! Er liebt dich!
ADALGISA.
Er wird bereuen.
NORMA.
Und du?
ADALGISA.
Ich liebt’ ihn, nun kann
Ich ihm nur Mitleid weihen.
NORMA groß, bedeutend.
Du reine Seele! Du wolltest?
ADALGISA entsagend, feierlich.
Heiligen deine Rechte, oder mit dir
Auf ewig mich bergen in Waldes Nacht.
NORMA von Adalgisas Opfer aufs höchste ergriffen.
Ja, du siegest! umarme mich!
Gerührt, weich, mit Kuß und Umarmung.
Tugend, es siegt deine Macht!
Adalgisas Kopf in ihren beiden Händen haltend.
ADALGISA,NORMA.
Ja, bis zur letzten Lebensstunde
Bleib’ ich dir Freundin und treue Gefährte.
Ach, für zwei Herzen im engen Seelenbunde
Ist groß genug noch die weite Erde.
Sich umschlungen haltend.
Stürzt auch die Welt zusammen,
Steht der Altar in Flammen,
Halten zwei Schwesterherzen
Einander treu bewacht!
Verwandlung.
Nr. 10. Chor und Arie.
Der Vorhang hebt sich nach dem neunzehnten Takte.
Kurze Waldgegend.
Es ist früh am Morgen.
Vierter Auftritt.
Anführer und gallische Krieger mit Schilden, Lanzen, Keulen und Beilen bewaffnet.
Die Ersten kommen erregt von rechts vorn.
DIE ERSTEN.
Noch nicht fort?
DIE ZWEITEN.
Er ist im Lager, im Lager!
Nichts gewisser!
Die rauhen Klänge
Der Schlachtgesänge
Schallen laut empor!
Gebietrisch stehen
Adler noch am Lagerthor.
BEIDE in feurigem Unmute.
Ein kurzes Zaudern
Bringet unsern Plan zur Reife.
Wartet noch, wartet noch!
Ein kurzes Zaudern
Bringet unsern Plan zur Reife.
Ob sich Not und Elend häufe,
Gläubig blickt zu Gott empor!
In trotziger Ruhe.
Haltet still und keiner greife
Nun dem Rat der Götter vor!
Orovist kommt von links hinten.
Fünfter Auftritt.
Die Vorigen. Orovist.
OROVIST die Mitte nehmend.
Ihr Tapfern! Wohl durft’ ich hoffen,
Dem raschen Mut ein nahes Ziel zu zeigen;
Gern hätt’ ich euch befohlen,
Der Römer Stolz zu beugen.
Alle mit den Waffen in freudiger Bewegung.
OROVIST.
Doch – bezähmt euern Zorn!
Die Götter schweigen.
CHOR.
Schrecklich! soll in den Wäldern
Der verhaßte Prokonsul länger hausen?
Er ward nach Rom berufen!
OROVIST.
Er kehrt zurück zur Tiber,
Doch einen wildern Krieger
Gedenkt uns Rom zu senden.
CHOR.
Und Norma weiß? Und Frieden
Verkündet noch ihr Mund?
OROVIST.
Es war vergebens,
Zur Rach’ sie anzueifern.
CHOR.
Und was befiehlst du?
OROVIST.
Dem Schicksal die Stirn zu beugen,
Uns zu trennen und vorsichtig noch
Zu bergen unser Unternehmen.
CHOR trotzig, wild.
Warum Verstellung?
OROVIST.
Sie nur allein führt zum Ziele! –
Fluch den Römern! ihr Joch zu brechen,
Zucket krampfhaft diese Rechte!
Doch die Gottheit will nicht Gefechte,
Nur Verstellung rät sie an!
CHOR.
So laßt uns schweigen und schweigend harren,
Bis der Rache Stunden schlagen!
OROVIST.
Glaubt der Feind an unsre Schwächen,
Wird er sorglos sich entscharen:
Kommt die Stunde, soll er erfahren,
Daß der Gallier kämpfen kann!
CHOR.
Wehe Rom, wenn unsre Waffen
Stürmend seinen Adlern nahn!
Heuchelt denn, wenn heucheln nützet,
Wallt das Blut auch zornerhitzet!
Wehe Rom, wenn unsre Waffen
Stürmend seinen Adlern nahn!
Doch Verstellung rät sie an!
OROVIST.
Nur Verstellung rät sie an!
Kommt die Stund’, soll er erfahren,
Daß der Gallier kämpfen kann.
Doch Verstellung rät sie an!
Gruppe.
Verwandlung.
Nr. 11. Scene.
Der Vorhang hebt sich nach dem zehnten Takte.
Der heilige Hain des heidnischen Gottes Irmin wie zu Anfang des ersten Aufzuges.
Es ist Tag.
Sechster Auftritt.
Norma allein, wie im ersten Aufzug mit dem Kranz.
NORMA ruhig, doch freudig verklärt.
Er kehrt zurück!
Ja, fest kann ich vertrauen auf Adalgisa!
Er wird den Fehl bereuen,
Um Verzeihung flehn, wieder mein sein.
Ach! die süße Ahnung
Verscheucht die dunklen Wolken,
Die meine Stirn bedeckten!
Mit erhobenen Armen.
Es scheint die Sonne, wie in den Tagen
Unsrer jungen Liebe.
Klothilde kommt eilig von links.
Siebenter Auftritt.
Norma, Klothilde zu ihrer Linken. Dann nahe Stimmen.
NORMA tritt ihr erwartungsvoll entgegen.
Klothilde!
KLOTHILDE.
O Norma! Jetzt handle rasch!
NORMA.
Was sagst du?
KLOTHILDE.
Treulos!
NORMA.
Erzähle, berichte!
KLOTHILDE.
Umsonst flehte Adalgisa und weinte.
NORMA wendet sich von Klothilde ab nach vorn.
Ihr konnt’ ich trauen,
Ihr, meiner Feindin?
Sie log, die Falsche! bestürmte
Mein Herz mit Thränen!
Sie ist hingegangen, neu ihn zu fesseln!
KLOTHILDE.
Sie kehrt zurück zum Tempel,
Trauernd, beklommen,
Bereit, das Gelübde abzulegen.
NORMA ohne Klothilde anzusehen.
Und er?
KLOTHILDE.
Er schwur, vom Altar der Götter
Sich seine Braut zu rauben.
Norma giebt Klothilde ein Zeichen.
Klothilde entfernt sich nach rechts hinter dem Druidenstein.
NORMA.
Voll ist die Sündenschale
Und erwacht ist die Rache!
Ja, Blut soll fließen, römisches Blut,
Stromweis will ich’s vergießen!
Sie geht nach rechts hinauf zur heiligen Eiche, ergreift das dort hängende Schwert und schlägt dreimal damit auf den Schild.
Drommeten links in der Nähe.
CHOR links und rechts in der Nähe.
Schallt das Erz unsrer Gottheit?
Priesterinnen kommen mit Mantel, Schleier und Kranz von rechts hinter dem Druidenstein.
Orovist, Priester, vier Tempelwächter, zwei Barden, gallische Anführer und Krieger mit Schilden,
Lanzen, Keulen und Beilen bewaffnet, kommen von links, teils über den Felsenablauf.
Achter Auftritt.
Tempelwächter. Norma. Barden. Priesterinnen. Priester. Orovist. Krieger.
CHOR.
Norma, was soll’s?
Erklungen der Schild von Gott Irmin?
Wirst du der Erde Götterspruch künden?
NORMA hält das Schwert hoch.
Kämpfe! – Schlachten! – Vertilgung!
CHOR.
Doch hat erst heute dein prophet’scher Mund
Frieden geboten!
NORMA.
Die Götter zürnen und eure Feinde fallen!
Laßt Schlachtenruf erschallen,
Ihr starken Krieger! Kämpfet, kämpfet!
Nr. 12. Schlachtgesang.
CHOR begeistert gegen Norma.
Kämpfe! Kämpfe! die gallischen Eichen
Sind nicht stärker als Galliens Mann!
Wie das hungernde Raubtier die Herden,
Fallt die römischen Phalangen an.
Schlachtgemetzel! Vernichtung und Rache!
Falle Wucht und der Sturmbock erkrache!
Wie die Mistel der Sichel erlieget,
Sei der Römer durch Schwerter besieget!
Stürzt die Adler, beschneidet die Schwingen,
Tötet alles, was Waffen noch trägt!
Laßt ins Lager der Römer uns dringen,
Wo das Herz unsres Todfeindes schlägt.
Die Barden spielen die Harfe.
Die Krieger knieen nieder, erheben die Waffen, daß sie gesegnet werden.
Die Priester und Priesterinnen segnen die Waffen mit erhobenen Händen.
Norma auch segnet, das Schwert in der Linken vor sich hinhaltend, mit ihrer Rechten.
CHOR.
Auf, ihr kräftigen Söhne der Wälder!
Lasset den Boden mit Blut uns befeuchten,
In höchster Aufregung.
Daß die Strahlen der Sonne beleuchten
Roms Verderben und Galliens Sieg!
Die Krieger erheben sich und schlagen die Waffen aneinander.
Die vier Tempelwächter entfernen sich unauffällig nach rechts hinter dem Druidenstein.
Nr. 13. Recitativ und Duett.
OROVIST.
Du willst den Göttern opfern?
Noch gewahr’ ich kein Opfer.
NORMA.
Es wird sich stellen!
Es hat noch dem Altare
Ein Opfer nie gefehlt.
Lärmen rechts entfernt.
Doch welch Getümmel?
Klothilde kommt eilig von rechts hinter dem Druidenstein.
Neunter Auftritt.
Die Vorigen. Klothilde nimmt die Mitte und steht dann zurück.
KLOTHILDE.
Der Tempel ward geschändet
Durch einen Römer. In geweihter Halle,
Wo die Jungfrauen beten, ward er ergriffen.
Große Bewegung.
OROVIST UND CHOR.
Ha, ein Römer!
NORMA beiseite.
Was hör’ ich? Wenn er es wäre!
OROVIST UND CHOR nach rechts hinten sehend.
Der Frevler nahet!
Die vier Tempelwächter führen den entwaffneten Sever von rechts hinter dem Druidenstein herbei.
Zehnter Auftritt.
Die Vorigen. Sever Orovist zur Rechten. Die Tempelwächter.
NORMA beiseite.
Er ist es!
OROVIST UND CHOR.
Ha, Sever!
Norma giebt ein Zeichen.
Die Tempelwächter lassen Sever los und treten auf ihre vorige Stelle.
NORMA beiseite.
Süß ist der Rache Stunde!
Sie tritt über die Stufen herunter.
OROVIST.
Du Lästrer unsrer Götter,
Aus welchem Grund entweihtest du
Der frommen Jungfraun Zellen,
Betratest Gott Irmins Gebiet?
SEVER.
Durchbohrt mich, doch stellet keine Fragen!
NORMA.
Ich will ihn töten! Entfernet euch!
Sie tritt zwischen Sever und Orovist.
SEVER.
Wen seh’ ich? Norma!?
NORMA.
Ja, Norma!
OROVIST ergreift das Schwert eines Kriegers und reicht es Norma.
Das Heldenschwert ergreife,
Räche die Götter!
NORMA nimmt das Schwert.
Wohlan, es sei!
Sie erhebt es, um Sever zu durchbohren, hält inne.
OROVIST UND CHOR.
Du zögerst?
NORMA beiseite.
Ach, ich vermag’s nicht!
OROVIST UND CHOR.
Du wankst? – Darfst du noch zaudern?
NORMA beiseite.
Er flößt mir Mitleid ein.
OROVIST UND CHOR.
Durchstoß’ ihn!
NORMA unsicher und wankend.
Erst muß ich ihn befragen,
Ob er allein der Schuld’ge, ob jene Jungfrau
Nicht im geheimen Bunde stand mit dem Verführer;
Ich muß ihn sprechen ganz ohne Zeugen.
Sie giebt das Schwert an Orovist zurück.
OROVIST UND CHOR.
Welch Geheimnis?
SEVER für sich.
Ich bebe!
Die Priesterinnen, Klothilde, Orovist, Tempelwächter, Priester, Barden, Krieger gehen ab, woher sie kamen.
Elfter Auftritt.
Sever, Norma zu seiner Linken.
Duett.
NORMA schwer atmend.
Nun bist du in meinen Händen,
Niemand kann dich mehr erretten,
Ich vermag es.
SEVER.
Doch du darfst nicht!
NORMA.
Ja, ich will es!
SEVER.
Du, Norma?
NORMA.
Höre!
Schwöre mir bei unsern Söhnen
Und bei Phöbus Sonnenwagen,
Adalgisa zu entsagen, und mit ihr
Zum Altare nicht zu treten;
Und ich löse dann deine Ketten,
Sah heute dich, sah dich jetzt zum letztenmal!
Schwöre!
SEVER.
Nein! Ich bin nicht feige!
NORMA drängend.
Schwöre! Schwöre!
SEVER entschlossen.
Gieb mir den Tod!
NORMA.
Hoffest du,
Daß mir genüge nur dein Leben?
SEVER.
Es ist verfallen!
NORMA nahe an ihn herantretend.
Schon gezückt
Aufs Herz der Kinder war das Eisen!
SEVER aufschreiend.
Ha, unerhört!
NORMA schmerzlich weinend.
Schlummernd wollt’ ich sie ermorden!
Treulos ist mein Mut geworden,
Ich verschonte die Kinder; doch heute
Sind sie meine sichre Beute.
Zögre ferner, und ich vergesse,
Daß ich Gattin und Mutter bin.
SEVER außer sich.
Ha! Megäre, den Stahl entblöße!
Nimm mein Leben, o nimm es hin!
Kein Erbarmen!
NORMA.
Nur dich?
SEVER.
O daß ich allein als Opfer falle!
NORMA.
Meinst du? – Alle!
Tausend nicht von Römerleichen
Können meinen Grimm erweichen.
Adalgisa –
SEVER leidenschaftlich empört.
Auch sie?
NORMA.
Sie vergaß ihr Gelübde!
SEVER.
Willst du sie töten?
NORMA.
Büßen soll sie ihr Verbrechen,
Sterben heut’ den Flammentod!
SEVER flehend.
Strafe mich, den Missethäter,
Wende ab, was sie bedroht.
NORMA.
Sinkt dein Hochmut?
Zu spät nun. Verräter!
Durch das Wort, das jene richtet,
Wirst auch du, dein Glück vernichtet.
An dem Schmerz will ich mich weiden,
Lächeln bei dem Todesstöhnen;
Rächen mich, und euch verhöhnen
Kann ich jetzt, und will es auch!
Mit unterdrückter Stimme.
Kann mich rächen und euch verhöhnen;
Ja, bebet beide, ich will es auch!
SEVER.
Laß mich mein Verbrechen büßen!
Er kniet vor ihr.
Sieh’ mich hier zu deinen Füßen!
Richte mich mit strenger Wage,
Aber schone ihrer Tage.
Norma in vor Eifersucht rasender Bewegung.
SEVER.
Magst du mich allein verderben,
Segen sei mein letzter Hauch!
NORMA.
Durch das Wort, das jene richtet –
SEVER.
Laß mich mein Verbrechen büßen!
NORMA.
Wirst nun auch du –
SEVER.
Willst du nicht?
NORMA.
Dein Glück vernichtet!
SEVER.
Richte mich mit strenger Wage,
Aber schone ihrer Tage.
NORMA.
An dem Schmerz will ich mich weiden,
Lächeln bei dem Todesstöhnen,
Rächen mich und euch verhöhnen
Kann ich jetzt und will es auch.
SEVER.
Ungerechte!
NORMA.
Rache ist so süß!
SEVER.
Magst du mich allein verderben,
Segen sei mein letzter Hauch!
Er steht auf.
NORMA.
Rächen kann ich mich an beiden,
Und will es auch!
Ich kann und will und will es auch!
Nr. 14. Recitativ und Schlußarie.
SEVER.
Gieb mir das Eisen!
NORMA.
Du wagst es? Fort von mir!
SEVER stürzt nach rechts auf die Eiche zu, um das Schwert zu ergreifen.
Das Eisen! Das Eisen!
NORMA vertritt ihm den Weg und eilt hinauf.
Herbei, ihr Wächter!
Tempelpriester, erscheinet!
Sie ergreift das Schwert und schlägt dreimal auf den Schild.
Priesterinnen kommen zurück mit Mantel, Schleier und Kranz von rechts hinter dem Druidenstein.
Orovist, Priester, Tempelwächter, zwei Barden, gallische Anführer und Krieger mit Schilden, Lanzen, Keulen und Beilen bewaffnet, ebenso von links, teils über den Felsenablauf.
Zwölfter Auftritt.
Die Vorigen. Barden. Tempelwächter. Priesterinnen. Orovist. Priester. Krieger.
Norma schreitet herunter und in die Mitte.
Alle stehen erwartungsvoll.
NORMA.
Ein neues Opfer
Liefre ich eurem Grimme!
Eine Verruchte vom Priesterstande
Schloß schnöde Liebesbande,
Verriet die Götter,
Ward treulos ihrem Lande!
OROVIST UND CHOR.
Welch Verbrechen, welche Schmach!
Entdecke alles!
NORMA.
Ihr mögt den Holzstoß rüsten.
Vier Priester entfernen sich nach links hinten.
SEVER zu Norma.
Laß dich erweichen, töte sie nicht!
OROVIST UND CHOR.
Den Namen!
NORMA.
Vernehmt ihn! –
Sie zittert heftig; für sich.
Ich Thörin, darf ich eigne Schuld
An andern rächen?
CHOR.
Norma, den Namen!
SEVER zu Norma.
O nenn’ ihn nicht!
NORMA nach einem langen Blick auf Sever.
Ich selber!
Allgemeine größte Betroffenheit.
Alle stehen bewegungslos.
CHOR.
Du? – Norma?
NORMA.
Ich selber – entflammt den Holzstoß!
CHOR.
Mich fasset Grauen!
SEVER für sich.
Es bricht mein Herz.
CHOR.
Du uns betrügen?
Norma und Sever stehen ganz frei.
SEVER.
Ihr müßt nicht glauben –
NORMA.
Kann Norma lügen?
OROVIST UND CHOR in tiefster Trauer.
O welcher Schmerz!
NORMA zu Sever wie geflüstert.
In dieser Stunde sollst du erkennen,
Was für ein Herz du dein konntest nennen.
Du wolltest fliehen – du bist bezwungen,
Treuloser Römer, du bleibest hier!
Des Schicksals Stimme, der Götter Gnade.
Hat uns vereinigt am Todespfade;
Am Holzstoß hier nur in Flammenzungen
Hat deine Norma ein Grab mit dir.
SEVER zu Norma.
Da ich verloren, was ich besessen,
Kann deine Größe ich erst ermessen,
Und mit der Reue ist meine Liebe
Mit neuer Stärke zurückgekehrt.
NORMA.
Das Herz, das du gebrochen,
Der Liebe war es doch wert!
SEVER.
Ja, laß uns sterben so fest verschlungen –
Er umfaßt sie.
NORMA.
O grause Stunde!
SEVER.
Mein letzter Seufzer soll dir gehören,
Doch laß im Scheiden die Worte hören,
Daß der Verzeihung ich dennoch wert!
OROVIST UND CHOR.
O widerrufe die harten Worte,
Die unwillkürlich dem Mund entflogen!
Sag’, daß du rasest, daß du gelogen,
Daß nur im Wahnsinn die Lippe sprach.
Rein ist der Himmel, die Götter schweigen,
Und ruhig säuseln die alten Eichen.
O widerrufe, um wegzunehmen
Von dir die Strafe, von uns die Schmach,
Von uns die Schmach!
NORMA zu den Priestern.
Ich bin die Schuld’ge!
Zu Sever.
Du sollst erkennen,
Welch Herz du dein konntest nennen. –
Du sollst erkennen,
Welch Herz du dein konntest nennen!
Dahin! – Auf immer! – Dahin, dahin!
SEVER zu Norma.
Du wirst verzeihen! Nun laß uns sterben,
Einander wert. Du bist verloren,
Du bist verloren, erhabnes Wesen,
Verzeihe, verzeihe! Du bist verloren,
Erhabnes Wesen, dahin, dahin!
Zwei Priester kommen mit einem großen schwarzen Schleier von links hinten zurück und nehmen hinter Sever und Norma Aufstellung.
CHOR.
Norma! Ach, widerrufe! – Schweigst du? – Verstummt die Zunge?
NORMA leise zu Sever.
Himmel, meine Kinder!
SEVER leise.
Ach, elternlos! Verlassen!
NORMA ebenso.
Weh, unsre Kinder!
SEVER leise.
Sind Waisen!
CHOR.
Bist du die Schuld’ge, rede!
NORMA.
Ja!
Sie nähert sich plötzlich, von einem Gedanken ergriffen, Orovist.
Sever beobachtet beide mit gespannter
Aufmerksamkeit.
NORMA.
Doppelt ist mein Verbrechen!
CHOR.
Schrecklich!
NORMA zu Orovist.
O hör’ mich!
OROVIST.
Schändliche!
NORMA.
Vater, hör’ mich!
OROVIST.
O welcher Schmerz!
NORMA leise zu ihm.
Ich bin Mutter!
OROVIST entsetzt.
Mutter?
NORMA leise.
Verborgen hat Klothilde die teuern Pfänder;
Sei ihnen Vater, beschütze sie,
Ergreife mit ihnen die Flucht!
OROVIST leise.
Deine Kinder? Fort, lasse mich!
NORMA ebenso.
O Vater, es fleht dein Kind!
Sie fällt auf die Kniee.
SEVER UND CHOR.
Ha, welcher Schmerz!
NORMA immer leise zu Orovist.
Soll für der Mutter Frevelthat
Kindliche Unschuld büßen?
Kelche, die sich erschließen,
Früchte der bösen Saat?
Blut sind sie deines Blutes.
Kannst du sie wohl verstoßen?
O Vater, sei gnädig doch,
Erbarme dich!
Orovist weint.
SEVER für sich.
Er ist gerührt, es tritt ins Aug’
Ihm schon der Schmerz.
Mein Wunsch ist erfüllet
Und froh besteig’ ich nun das Gerüst!
Ja, mein Wunsch ist erfüllt,
Da er verzeiht,
Mein Wunsch erfüllet
Und froh besteig’ ich nun das Gerüst!
NORMA leise.
Vater, du weinst und verzeihest,
Du hast verziehen, das sagt die Thräne,
Mein Schmerz gestillet, mein Wunsch erfüllet
Und froh besteig’ ich nun das Gerüst!
Sie steht auf und umarmt Orovist.
OROVIST drückt sie bewegt und zärtlich ans Herz; leise.
Das Herz des Vaters hast du gerührt,
Es tritt ins Auge schon der Schmerz.
Tochter, ach, o bestieg’ ich
Selbst das Blutgerüst!
Mein Herz ist gebrochen!
Kann das dich trösten:
Dir sei verziehn, Tochter!
Ach, o bestieg ich selbst das Blutgerüst!
CHOR.
Weine, bete, o Druide,
Nimmer lächelt dir der Friede!
Nehmt den Schmuck aus ihrem Haar,
Dann zur Bahre, wo ihr sie
Als Opfer grüßt.
Die beiden Priester bedecken Norma mit dem schwarzen Schleier.
CHOR.
Zum Schafotte! Zum Flammentode!
Hebt die Fackeln! Macht rein die Lüfte!
Steig’, Verruchte, steig’, Verfluchte in das Grab!
OROVIST.
Geh’, du Arme!
NORMA sinkt unter dem Schleier zusammen.
Ach, ich scheide!
SEVER auf die Kniee stürzend.
Eine Flamm’ verzehrt uns beide!
NORMA.
Vater, ich scheide!
SEVER.
Unsere Liebe, sie reicht noch übers Grab!
OROVIST.
Du scheidest! Ach, es reicht
Des Vaters Liebe übers Grab!
Die beiden Priester wenden sich mit Sever und Norma nach hinten.