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Geoffrey Chaucer

Canterbury-Erzählungen

(Canterbury Tales)

Erster Theil

Der Prolog.

Vers 1–860.

Wenn milder Regen, den April uns schenkt,

Des Märzes Dürre bis zur Wurzel tränkt,

In alle Poren süßen Saft ergießt,

Durch dessen Wunderkraft die Blume sprießt;

Wenn, durch des Zephyrs süßen Hauch geweckt,

Sich Wald und Feld mit zartem Grün bedeckt;

Wenn in dem Widder halb den Lauf vollzogen,

Die junge Sonne hat am Himmelsbogen;

Wenn Melodieen kleine Vögel singen,

Die offnen Augs die ganze Nacht verbringen,

Weil sie Natur so übermüthig macht: –

Dann ist auf Wallfahrt Jedermann bedacht,

Und Pilger ziehn nach manchem fremden Strande

Zu fernen Heil’gen, die berühmt im Lande;

In England aber scheint von allen Enden

Nach Canterbury sich ihr Zug zu wenden,

Dem heil’gen Hülfespender aller Kranken,

Dem segensvollen Märtyrer zu danken.

Zu dieser Zeit geschah’s, als einen Tag

Zu Southwark ich im Tabard rastend lag

– Bereit mit andachtsvollem, frommem Sinn

Zur Pilgerfahrt nach Canterbury hin –

Daß Abends langte dort im Gasthof an

Wohl eine Schaar von neunundzwanzig Mann

Verschiednen Volkes, das durch Zufalls Spiel

Zusammenwarf das gleiche Wallfahrtsziel;

Nach Canterbury reiten wollten Alle.

Raum gab’s genug im Hause wie im Stalle

Und Jeder fand sein gutes Unterkommen.

Und kurz, als kaum die Sonne war verglommen,

Hatt’ ich gesprochen schon mit Jedermann

Und zur Genossenschaft zählt’ ich fortan.

Früh galt es aufzustehn, um mit den Andern

Des Weges zum besagten Ziel zu wandern.

Indessen, da mir Zeit und Raum nicht fehlt,

Und eh’ der weitere Verlauf erzählt,

So denk’ ich, daß es der Vernunft entspricht,

Wenn ich zunächst beginne den Bericht,

Wer sie und was sie waren und, soweit

Ich solches sehen konnte, wie das Kleid

Und was der Rang und Stand war eines Jeden.

Und drum vom Ritter will zuerst ich reden.

Es war ein Ritter da, ein würd’ger Mann,

Der, seit den ersten Kriegsritt er begann,

Von Herzen liebte Ritterthum und Streit

Und Freimuth, Ehre, Wahrheit, Höflichkeit,

Und tapfer focht im Dienste seines Herrn.

Geritten war wohl Keiner je so fern

Wie er in Christenland und Heidenthum,

Und überall gewann er Preis und Ruhm.

Bei der Erobrung Alexandrias

War er zugegen. Oft bei Tafel saß

Vor allem Volk er obenan in Preußen;

Gereist, wie er, bei Letten und bei Reussen

War kaum ein Christenmensch von seinem Stand.

Er war in Granada, als man berannt

Dort Algesir. Er ritt nach Belmarie

Und focht vor Layas und vor Satalie,

Als man sie einnahm; und im großen Meere

Bestand er manche Waffenthat mit Ehre.

In funfzehn blut’gen Schlachten focht der Ritter,

Bei Tramissene für den Glauben stritt er

In drei Turnieren und erschlug den Feind;

Wie mit Palathias Herrscher auch vereint

Der tapfre Ritter manchen Kampf bestand

Mit andern Heiden aus dem Türkenland.

Den höchsten Preis gewann er immerdar;

Und ob so würdig er, wie weise, war,

Betrug er sich doch sanft wie eine Maid.

Er sagte nimmer eine Schlechtigkeit

Zu irgend wem in seinem ganzen Leben.

Er war ein durchaus edler Ritter eben.

Um auch von seinem Anzug zu berichten:

Gut sah sein Pferd aus, doch er selbst mit Nichten.

Sein Wappenrock war nur von Barchenttuch

Und durch den Harnisch schmutzbedeckt genug;

Denn eben von der Reise heimgekommen

Hatt’ er sofort die Wallfahrt unternommen.

Sein Junker Sohn zog mit ihm als Begleiter,

Ein lust’ger Bursche, so verliebt, wie heiter.

Von krausen Locken war sein Haupt umwallt,

Und zwanzig Jahre war er – denk’ ich – alt.

Sein Körper war vom reinsten Ebenmaß.

Viel Stärke, viel Gewandtheit er besaß.

Auf Ritterfahrt zog mehrfach er schon früh

Nach Artois, Flandern und der Picardie,

Und hielt sich brav im kurzen Kampf. Sein Sinnen

War seiner Dame Gunst sich zu gewinnen.

Wie eine Wiese, wo zur Frühlingszeit

Sich roth und weiß an Blume Blume reiht,

War er geschmückt, und, heiter wie der Mai,

Sang er und pfiff den ganzen Tag dabei.

Sein Rock war kurz, die Aermel weit und lang,

Kein bessrer Reiter auf ein Roß sich schwang;

Gewandt war er in schriftlichen Berichten,

Im Zielen, Zeichnen, Tanzen, Liederdichten;

Und liebesbrünstig hatte manche Nacht

Er schlaflos wie die Nachtigall durchwacht.

Dienstwillig war er, höflich und bescheiden;

Am Herrentisch durft’ er den Braten schneiden.

Nur einen Knappen nahm auf seinen Ritt

Zur Zeit nach Neigung er an Dienern mit.

Sein Rock und Hut bestand aus grünem Tuch,

Und in dem Gurt er einen Köcher trug

Voll Pfauenfeder-Pfeilen. Sicher nahm

Er stets sein Ziel, so daß kein Bolzen kam

Mit seinem Federend’ voran geflogen.

In Händen hielt er einen mächt’gen Bogen;

Nußköpfig war er und sehr braun gebrannt,

Und Eisenschienen schützten Arm und Hand.

In jeder Jagdkunst war er wohl bewährt;

Auf einer Seite trug er Schild und Schwert,

Und auf der andern einen Dolch von Schliff

Scharf wie ein Speer und wohlverziert am Griff.

Ein Silber-Christoph schmückt’ die Brust ihm vorn,

An grüner Banderolle hing sein Horn.

Ein Förster war er – trügt mich nicht mein Sinn.

Da war auch eine Nonnen-Priorin,

Scheu lächelnd und von schüchterner Natur.

»Bei St. Eligius!« war ihr stärkster Schwur,

Und Madam Eglantine war ihr Name.

Gar lieblich durch die Nase sang die Dame

Beim Gottesdienst. Französisch sprach sie so

Gewandt, wie immer Stratfort-atte-Bow

Es lehren kann; jedoch sie wußte nicht,

Wie in Paris man das Französisch spricht.

Beim Essen war besonders sie beflissen

Der größten Sauberkeit, und jeden Bissen

Führte sie so zu Mund, daß ihren Lippen

Kein Stück entfiel. Die Finger einzustippen

In ihre Brühe, fiel ihr niemals ein.

Die Oberlippe wischte sie so rein,

Daß in dem Becher nie von Fett die Spur,

Und zu verschütten einen Tropfen nur

Von ihrem Trunke war sie zu manierlich;

Und nach der Mahlzeit rülpste sie höchst zierlich;

Gewiß, sie war von liebenswürd’ger Güte,

Gefäll’gem Sinn und heiterem Gemüthe.

Viel Mühe gab sie sich, zu imitiren

Den Hofton, und durch stattliche Manieren

Als würdevoll zu gelten und geachtet.

Doch ihre Seele sei nunmehr betrachtet:

Mitleid und Güte sie so sehr vereinte,

Daß sie beim Anblick eines Mäuschens weinte,

Lag’s in der Falle blutend oder todt.

Wenn von den Hündchen, die mit Semmelbrod

Und Bratenfleisch und süßer Milch sie nährte,

Eines verreckt war, oder mit der Gerte

Geschlagen wurde, weinte sie vor Schmerz.

So voller Zartgefühl war sie und Herz.

Stets steckte sie ihr Busentuch genau;

Lang war die Nase; ihre Augen grau.

Ihr Mund war schmal mit einem Lippenpaar

Von sanftem Roth. Die schöne Stirne war

Der Breite nach wohl eine Spanne lang,

Und sicher, stattlich war ihr Wuchs und schlank.

Ihr Mantel – sah ich – stand ihr schmuck genug;

Zwei Schnüre von Korallenperlen trug

Sie an den Armen, grün mit Schmelz verziert

Und goldnem Medaillon, auf dem gravirt

Zu lesen stand: erst ein gekröntes A

Und drunter: »Amor vincit omnia!«

Mit ihrem Priester reiste sie und mit

Ihrer Caplanin-Nonne zu selbstdritt.

Ein Mönch war da, ein würdiger Kumpan,

Ein großer Jäger und ein Reitersmann,

Ein ganzer Kerl, gemacht, um Abt zu werden.

Gar wohl versehen war sein Stall mit Pferden;

Saß er zu Rosse, wenn es windig war,

So klirrten seine Zügel hell und klar,

Als läutete die Glocke zur Kapelle,

Woselbst der Herr Bewohner einer Zelle.

Die Regeln von St. Maur und Benedict

Hielt dieser Mönch für reichlich all und strict;

Weßhalb er sich mit ihnen nicht befaßte,

Und seinen Schritt der neuen Welt anpaßte.

Kein Hühnerbein gab er für die Maxime,

Daß Jägerei der Geistlichkeit nicht zieme,

Und was dem Fisch das nasse Element,

Sei für den Mönch die Regel im Convent,

Das heißt: in seinem Kloster sei sein Platz.

Doch keine Auster gab er für den Satz.

Und ich kann ihm die Ansicht nicht verübeln.

Was? sollt’ er etwa denn verrückt sich grübeln,

In seinem Kloster über Büchern sitzen,

Gar bei der Arbeit seiner Hände schwitzen,

Wie Augustin befiehlt? – Die Welt muß treiben

Und Augustin mag bei der Arbeit bleiben!

Darum gebraucht’ er seine Sporen tüchtig;

Windhunde hielt er, wie die Vögel flüchtig;

Das Reiten war ihm und das Hasenhetzen

Das nie zu theure, liebste Hochergötzen.

Die Aermel – sah ich – hatt’ er an der Hand

Verbrämt mit feinstem Pelzwerk aus dem Land,

Seine Kapuze schloß er unterm Kinne

Mit einer wunderlichen, goldnen Pinne,

An der als Knopf ein Liebesknoten saß.

Rund war sein Schädel und so blank wie Glas,

Und fettig glänzten seine Wangen auch;

Ein feister Herr war er und stark von Bauch.

Sein rollend Augenpaar lag tief im Hirne,

Und wie ein Kessel dampfte sein Stirne.

Die Stiefel waren weich, und herrlich glänzte

Sein Roß. Kein angstgequältes, bleich Gespenste

Konnt nennen man den trefflichen Prälaten;

Ein fetter Schwan war ihm der liebste Braten,

Und brombeerfarben sah sein Leibroß aus.

Ein Bettelmönch, ein liederliches Haus,

War gleichfalls da. Es stand der würd’ge Mann

In den vier Orden Jedem weit voran,

Was Scherz betraf und schöne Redensart.

Auf eigne Kosten war von ihm gepaart

Wohl manches junge Weibsbild schon geworden,

Und eine Zierde war er für den Orden.

Gar wohl beliebt und sehr genau bekannt

War bei den Gutsbesitzern auf dem Land

Und würd’gen Frauenzimmern in der Stadt er;

Denn mehr Gewalt in seiner Beichte hatt’ er

– So sprach er selbst – als ein Vicarius hat.

Von seinem Orden war er Licentiat.

Gemüthlich war bei ihm die Confession,

Und angenehm gab er Absolution.

Leicht war die Buße, die er zudictirte,

Vorausgesetzt, daß man ihn reichlich schmierte.

Denn Geld zu geben einem armen Orden,

Beweist, daß gründlich abgebeichtet worden.

Drum, gab man ihm, so durft’ er auch verkünden,

Er wisse, man bereue seine Sünden.

Denn mancher Mann ist also hart von Herzen,

Daß er nicht weinen kann bei seinen Schmerzen.

Drum laßt das Beten und die Heulerei,

Und Silber gebt der armen Klerisei!

Messer und Nadeln trug er stets zum Putze

Für schöne Frau’n im Zipfel der Kapuze;

Und, wahrlich, lustig seine Stimme klang;

Auch spielte schön die Leier er und sang;

Im Liebeslied gewann er stets den Preis.

Sein Hals war wie die fleur de lis so weiß.

Dazu war er ein starker Pokulante,

Der in den Städten jedes Wirthshaus kannte;

Mehr lag der Zapfer und die Kellnerin

Als Kranke oder Bettler ihm im Sinn.

Für solchen würd’gen Mann schien’s zu gemein

Und gänzlich unter seinem Stand zu sein,

Mit so aussätz’gem Volk sich zu beschmutzen;

Denn das bringt wenig Ehre, wenig Nutzen.

Statt mit Gesindel pflegt man angenehmern

Verkehr mit reichen Leuten und mit Krämern.

Doch wenn es Vortheil brachte, so war keiner

Je dienstbefliss’ner oder tugendreiner

Und höflicher als er. In dem Convente

War er der beste Bettler. Eine Rente

Zahlt er dem Kloster für das Privileg,

Daß ihm kein Bruder käm’ in sein Geheg’;

Und hörte seinem »In principio« zu

Die ärmste Wittwe mit nur einem Schuh,

So war gewiß ihr letzter Heller sein;

Und mehr als seinen Pachtzins heimst’ er ein.

Oft war er wie ein wildes Raubthier wüthig,

Oftmals an Friedenstagen half er gütig;

Nicht, wie beim Klausner und Scholasten, schäbig

War seine Kleidung; ebenso behäbig

Im Anzug war er, wie ein Papst und Meister;

In doppelt-wollener Kapuze reist’ er,

Die wie die neugegossne Glocke rund;

Und liebeslüstern lispelte sein Mund,

Damit sein Englisch süß und zierlich klänge.

Beim Harfenspiel am Schlusse der Gesänge

Pflegten im Kopf die Augen ihm zu funkeln,

Wie Sterne bei der Winterszeit im Dunkeln.

Des Bettelmönches Name war Hubert. –

Ein gabelbärt’ger Kaufmann, hoch zu Pferd,

War gleichfalls da. Er trug sich buntgescheckt,

Den Kopf mit einem Biberhut bedeckt

Aus Flandern; seine Stiefel paßten prächtig;

Und, was er sprach, klang ernsthaft und bedächtig.

Auf Geldverdienst war immerdar bedacht er

Und wünschte nur, daß etwas unbewachter

Die See von Middelburg bis Orewell sei.

Mit wälschen Thalern trieb er Wechselei.

Der würd’ge Mann war klug und voll Verstand,

Und Niemand wußte, wie sein Schuldbuch stand.

Er paßte scharf in seinem Handel auf,

Beim Abschluß von Verträgen, wie beim Kauf.

Für einen Ehrenmann galt er bei Allen,

Doch leider ist sein Name mir entfallen.

Es war noch ferner ein Gelehrter dort,

Der Logik lang’ studirt in Oxenford.

Er ritt auf einer klapperdürren Mähre,

Und auch er selbst war nicht sehr fett – auf Ehre! –

Hohläugig war er, doch voll Nüchternheit,

Und fadenscheinig war sein Oberkleid.

Nicht weltlich von Gesinnung, hatt’ er drum

Auch weder Amt noch Beneficium.

Mehr liebt er zwanzig Bücher überm Bette,

In schönem Einband auf dem Bücherbrette,

Von Aristoteles Philosophei,

Als Kleiderpracht, Musik und Fidelei.

Jedoch ein so gelehrter Philosoph er,

Hatt’ er nur wenig Gold in seinem Koffer,

Da Alles, was von Freunden ihm gespendet,

Zum Studium er und Bücherkauf verwendet.

Doch unermüdlich pflegt’ er Gott zu bitten

Für die, so sein Scholastenthum bestritten.

In seinen Studien sorgsam und verständig,

Sprach er kein Wort mehr, als durchaus nothwendig.

Kurz und bestimmt, jedoch gewählt zugleich

War seine Rede und gedankenreich,

Und stets kam die Moral dabei zu Ehren.

Er lernte gern, und gerne mocht’ er lehren,

Ein weiser und gelehrter Justitiar,

Der schon auf manchem Rechtsparkette war,

Ritt gleichfalls mit. Bei aller Trefflichkeit

War er voll Rücksicht und Bescheidenheit,

Wie seine weisen Worte dies bewiesen.

Oft war er schon zum Richter der Assisen

Durch Vollmacht oder Commission ernannt.

Bei seinem Wissen, seinem Ruf verstand

Er auf den Gelderwerb sich unvergleichlich,

Und Kleider, wie Gebühren hatt’ er reichlich.

Als simple Spesen strich er Alles ein,

Von dem Verdacht der Käuflichkeit ganz rein.

Er hatte viel zu thun, und schien sogar

Geschäftiger, als er beschäftigt war;

Und alle Rechtsentscheidungen und Fälle

Seit König Will citirt’ er auf der Stelle.

Im Actenschreiben war er so präcis,

Daß sich nicht drehn daran noch deuteln ließ.

Ein jegliches Statut war ihm bekannt.

Ein schmalgestreifter Seidengurt umwand

Sein Kleid, das bunt gescheckt war, doch höchst schlicht,

Und mehr erzähl’ ich von dem Anzug nicht.

Ein Gutsherr zählte ferner zu dem Kreis.

Sein Bart war wie die Gänseblumen weiß,

Von Ansehn war sanguinisch er und roth;

Gern trank er Wein zu seinem Morgenbrod.

Sein Leben zu genießen, dacht’ er nur,

Ganz wie ein ächter Sohn vom Epikur,

Nach dessen Meinung eben im Vergnügen

Des Lebens höchste Seligkeiten liegen.

Groß war sein Haushalt, und an Gastlichkeit

Galt als ein St. Julian er weit und breit.

Nach ein Uhr nahm er Brod und Bier erst ein,

Und Niemand war so wohlversehn mit Wein.

Es ging an Fisch und Fleisch in seinem Haus

Wie an Gebäck der Vorrath niemals aus.

An Speise, Trank und allen Leckereien,

Die zu erdenken, schien es nur zu schneien.

Verschieden und der Jahrszeit angemessen

War stets sein Braten und sein Abendessen.

Manch fettes Rebhuhn hielt im Bauer er,

An Hecht und Bars war nie sein Kasten leer,

Weh’ seinem Koche! wenn die Brühe nicht

Scharf und pikant und schmackhaft das Gericht.

Gedeckt vom Morgen bis zum Abend stand

Stets sein Credenztisch an der Hallenwand.

In den Sessionen war er Präsident,

Grafschafts-Vertreter oft im Parlament.

An seinem Gürtel, weiß wie Milch am Morgen,

Hing Dolch und Seidenbörse wohl geborgen;

Auch war, als würd’ger Freisaß rings bekannt,

Zum Obmann er und Scherif oft ernannt.

Ein Weber, Tapezirer, Zimmermann,

Ein Färber und ein Krämer kamen dann.

Bei ihnen, wies die Gildetracht es klar,

Daß hochansehnlich Aller Innung war.

Der Spieße Spitzen waren blank polirt;

Mit reinstem Silber waren rings verziert

Die Gürtel sammt den Taschen, die dran hingen,

Und auch von Blech nicht ihre Messerklingen.

Behäb’ge Bürger schienen sie, und Alle

Des Thrones werth in ihrer Gildehalle;

Und dem Verstande nach war Jedermann

Befähigt sicherlich zum Aldermann;

Und ihre Weiber liebten es zu zeigen,

Daß reichlich Gut und Renten Jedem eigen;

Sonst müßte man sie ernstlich darob schelten;

So schön es sein mag, als »Madam« zu gelten,

Und wenn zu den Vigilien man voran

Im reichen Mantel fürstlich gehen kann.

Sie ließen sich von einem Koch begleiten,

Die Mark- und Hühnersuppen zu bereiten

Nebst Poudremarchant, Galingale und Torten.

Vom Bier in London kannt’ er alle Sorten.

Er schmorte, briet, sott, röstete höchst lecker,

Er war Mortreusen- und Pastetenbäcker.

Indeß entstellte – denk’ ich – ihn fatal

An seinem Kinn ein großes Muttermal.

Auf Blancmanger verstand er sich am besten.

Auch war ein Schiffer da, ganz aus dem Westen;

Soviel ich weiß, war er von Dertmouth her.

Auf einem magern Klepper ritt er sehr

Beschwerlich nur. Bis an die Kniee ging

Sein Faltenrock, und unterm Arme hing

Sein Dolch, gehalten durch ein Schulterband,

Und von der Sonne war er braun gebrannt.

Er war gewiß ein wackerer Kumpan,

Der von Bordeaux-wärts manchen Schluck gethan,

Sobald der Supercargo lag im Schlummer;

Und sein Gewissen schuf ihm wenig Kummer.

Wenn er im Streit den Gegner überwand,

So sandt’ er ihn durchs Wasser an das Land;

Doch wußte zu berechnen er die Fluthen

Und Mond- und Sonnenhöhe. Solchen guten

Lotsen, wie ihn, bei Strömung und am Strand

Man von Karthago bis nach Hull nicht fand.

Er war – auf Ehre! – so beherzt, wie klug

Und seinen Bart durchzauste Sturm genug.

Von Gothland bis zum Finisterra Cap

War ihm jedwede Bucht, die es nur gab,

Im Spanier- und Bretagnerland bekannt,

Und »Magdalene« ward sein Schiff genannt.

Ein Arzt war da, Doctor der Medicin;

In aller Welt gab’s Keinen je, wie ihn,

Was die Arznei betrifft und Chirurgie.

Er kannte gründlich die Astronomie,

Und manche Lebensstunden konnten danken

Seiner natürlichen Magie die Kranken.

Auch konnte durch Constellation von Sternen

Er der Patienten Ascendenten lernen.

Er wußte, wo der Grund der Krankheit sitze,

Ob sie durch Dürre, Nässe, Kälte, Hitze

Entstanden sei und in das Blut gekommen;

Als Praktiker war er durchaus vollkommen.

Sobald der Krankheit Wurzel er erkannt,

War er sofort mit Mitteln bei der Hand.

Die Apotheker sandten für die Curen

Ihm willig die Latwergen und Mixturen;

Denn neu war nicht die Freundschaft zwischen ihnen;

Der eine gab dem andern zu verdienen.

Er kannte gründlich Dioscorides,

Den alten Aesculap, Hippokrates,

Und Rufus, Hali, Rasis, Avicen,

Galen, Serapion und Damascen,

Den Averhoës und den Konstantin

Nebst Bernhard, Gatisden und Gilbertin.

In der Diät hielt er aufs rechte Maß,

Den Ueberfluß vermied er, doch besaß

Stets seine Nahrung Kraft und war verdaulich.

Das Bibelstudium schien ihm nicht erbaulich.

Er ritt in einem roth und blauen Kleide,

Mit Taffetas gefüttert und mit Seide.

Doch war er kein Verschwender, und hielt fest,

Was er gewonnen hatte bei der Pest.

Herzstärkende Arznei ist Gold, und drum

Liebte das Gold er als Specificum.

Ein gutes Weib aus Bath zog ferner mit;

Doch schade war, daß am Gehör sie litt.

Im Tücherweben man wohl keine Hand

In Gent und Ypern je geschickter fand.

Kein Weib im ganzen Kirchspiel durfte wagen

Den Vortritt ihr beim Opfern zu versagen,

Denn ihre Liebe war in diesem Falle

Sofort dahin vor lauter Gift und Galle.

Vom feinsten Stoff trug einen Schleierbund

Sie Sonntags auf dem Kopfe, der ein Pfund

Und selbst darüber wog, bei meiner Treu!

Die scharlachrothen Strümpfe waren neu,

Und glänzten frisch und saßen eng und gut.

Kühn von Gesicht und schön wie Milch und Blut,

War sie ein wackres Weib, das ihrer Zeit

Fünf Männer an der Kirchenthür gefreit,

– Die Jugendfreunde dabei ungezählt,

Die zu erwähnen der Beruf mir fehlt. –

Hin nach Jerusalem zum heil’gen Land

War dreimal sie gepilgert. Auch bekannt

War ihr Santiago in Galizia, Rom,

Boulogne, Köln und mancher fremde Strom;

Und auf der Wandrung lernte sie nicht wenig.

Doch, leider Gottes, war sie ziegenzähnig.

Auf ihrem reichgeschirrten Zelter ruhte

Sie höchst bequem, bedeckt mit einem Hute

Wie eine Tartsche, wie ein Schild so groß,

Und ihre weiten Hüften rings umschloß

Ein Ueberwurf. Die Sporen waren spitzig,

Und in Gesellschaft war sie scharf und witzig.

Viel Liebesmittel waren ihr bekannt,

Den alten Tanz sie kunstgerecht verstand.

Es kam ein Pfarrer aus der Stadt sodann,

Ein gottesfürcht’ger und gelehrter Mann,

Zwar arm nur, doch an heiligen Gedanken

Und guten Werken reich; und ohne Wanken

Hielt er an Christi Wort und bracht’s zu Ehren

In der Gemeinde durch sein treues Lehren.

Die Güte selbst war er und hülfsbereit

Und voll Geduld in Widerwärtigkeit,

Wie er gezeigt in manchen schweren Proben.

Beim Zehntensammeln pflegt’ er nicht zu toben.

Er hätte lieber – ohne alle Frage –

Vom Opfergeld und Naturalertrage

Den Armen seines Kirchspiels abgegeben;

Denn er bedurfte wenig nur zum Leben.

Groß war sein Sprengel und weit abgelegen

Die Häuser! aber Donner nicht noch Regen

Hielt ihn zurück. Rief Krankheit oder Leid,

So waren Haus und Hütte nie zu weit

Für seine Füße und für seinen Stab.

Das beste Beispiel er den Schafen gab,

Da er sein Wort stets durch die That bewährte,

Wie ihn sein heilig Evangelium lehrte.

Er führte häufig auch das Gleichniß an:

Will Gold schon rosten, was thut Eisen dann?

Denn ist ein Priester, dem wir traun, nicht rein

So ist’s kein Wunder, daß voll Rost die Lai’n;

Und Schmach den Priestern, die sich sagen müssen:

Rein sind die Schafe, doch ihr Hirt beschissen!

Ein Priester sollte für der Heerde Leben

Durch eigne Reinheit stets das Beispiel geben.

Daß er die Pfarre Miethern überwies,

Im Sumpfe seine Schafe stecken ließ,

Damit in London etwa als ein fauler

Chorherr im Dome lebe von St. Paul er,

Und Mitglied einer Brüderschaft gar werde,

Fiel ihm nicht ein. Er weidete die Heerde

Mit eigner Hand, daß sie kein Wolf beirrte;

Er war kein Miethling – nein, ein guter Hirte.

Obschon ein tugendhaft’ger, heil’ger Mann,

Nahm er sich freundlich doch der Sünder an,

Er predigte nicht pomphaft, noch vulgär,

Nein, liebereich und anstandsvoll vielmehr.

Das Volk durch Güte himmelwärts zu ziehn

Und eignes Beispiel war sein stetes Müh’n.

Doch wenn sich Jemand sündlich widersetzte

– War er im Rang der erste oder letzte –

So kanzelt’ er ihn ganz gehörig ab.

Der beste Priester war er, den es gab,

Der nicht nach Pomp und äußer’n Ehren geizte,

Sich nie in süßem Selbstbewußtsein spreizte,

Doch Christi und der Jünger Wort so ehrte,

Daß er es erst befolgte und dann lehrte.

Ein Ackersmann war da, des Pfarrers Bruder,

Von Dünger lud er manches liebe Fuder,

Ein treuer Quäler, voller Herzensgüte,

Mildthätigkeit und friedlichem Gemüthe.

Er liebte Gott von seinem ganzen Herzen

Und alle Zeit, in Freuden wie in Schmerzen,

Und seinen Nächsten wie sich selbst. Bereit,

Zu graben, pflügen, dreschen jeder Zeit,

War er für jeden Armen, alle Schwache

Ganz unentgeltlich, nur für Christi Sache.

Er zahlte stets zur rechten Zeit die Heuer

An Vieh und Korn und Früchten in der Scheuer.

Auf einer Stute ritt er und im Kittel.

Ein Ablaßkrämer, Tafelmeister, Büttel,

Ein Müller, ein Verwalter kamen dann;

Zum Schluß ich selber, als der letzte Mann.

Der Müller war ein derber Kerl und stark

An Muskeln und an Knochen voller Mark.

Davon gab jeder Ringkampf den Beweis,

Denn stets gewann den Hammel er als Preis.

Mit seinem Kopf durchstieß er jedes Thor

Und hob es aus den Angeln rasch empor.

Stark in den Schultern war er, knorrig, knuppig;

Breit wie ein Grabscheit, schweinemäßig struppig

Und fuchsroth war sein Bart; und im Besitze

Von einer Warze war die Nasenspitze;

Ein Büschel Haare wuchs daraus empor,

Wie gelbe Borsten aus dem Schweineohr.

Groß war der schwarzen Nasenlöcher Weite;

Ein Schwert nebst Schild trug er an seiner Seite;

Von Umfang wie ein Ofen war sein Mund.

Ein Goliarde war er, Prahlhans und

Ein Zotenreißer, stahl vom Korn und maß

Den Mahlsatz dreifach; aber er besaß

Dabei – Pardi! – den goldnen Müllerfinger.

In weißem Rock und blauer Mütze ging er.

Schön pfiff er Dudelsack und blies darauf

Uns aus der Stadt auf unsrer Reise Lauf.

Der Tafelmeister, der in einem Tempel

Den Tisch versah, war Käufern ein Exempel,

Wie beim Verproviantiren zu verfahren.

Ob stückweis, ob im Ramsch er seine Waaren

Erstehen mochte, er verstand die Sachen

So einzurichten, rasch sein Glück zu machen.

Nun, ist das nicht die schönste Gottesgabe,

Daß solch’ geringer Mann mehr Weisheit habe,

Als wie ein Haufen hochgelehrter Geister?

Wohl mehr als dreißig Herr’n am Tische speist er,

Und im Gesetz erfahren waren alle.

Ein Dutzend gab es sicher in der Halle,

Die wohl befähigt waren, Gut und Land

Von jedem Lord im ganzen Engeland

Genau und ohne Schulden zu verwalten

– Indessen selbstverständlich vorbehalten,

Wenn er ein Filz war oder geistesschwach. –

Woran es in der Grafschaft auch gebrach,

An ihrem Rath gebrach’s in keinem Falle;

– Doch hielt zu Narr’n der Tafelmeister Alle.

Der glatt rasirte Landverwalter war

Sehr mager und cholerisch, und sein Haar

Trug wie ein Priester er ganz kurz geschoren

Vorn an der Stirn und hinter beiden Ohren.

Sehr lang und mager waren seine Beine,

Gleich einem Stock, und Waden hatt’ er keine.

Ordnung hielt er in Scheunen und in Ställen;

Au seiner Rechnung etwas auszustellen

Fand kein Revisor; und er schätzte leicht

Den Saatertrag, ob’s trocken oder feucht.

Von Milchhaus, Fischteich und des Herren Heerden,

Vorräthen, Schweinen, Federvieh und Pferden

War dieser Mann ganz unumschränkt Verwalter,

Seit sein Gebieter zwanzig Jahr an Alter.

Er legte Rechnung an bestimmten Tagen,

Und über Rückstand konnte Niemand klagen.

Kein Vogt, kein Knecht, kein Hirt war ihm zu schlau;

Denn ihre Schliche kannt’ er so genau,

Daß sie vor ihm mehr Furcht und Bangen hatten

Als vor dem Tod. – In grüner Bäume Schatten

Stand seine schöne Wohnung auf dem Felde.

Er speculirte besser mit dem Gelde,

Als sein Gebieter; denn in Heimlichkeit

Gewann er viel. Doch war er schlau bereit,

Davon auf Borg an seinen Herrn zu geben,

Und hatte Dank und Rock und Hut daneben.

Er fing als Jüngling mit dem Handwerk an,

Und galt als guter, tücht’ger Zimmermann.

Der Hengst, auf dem er saß, war schön von Bau,

Sein Name Scott, die Farbe apfelgrau.

Sein blauer Rock weit über’s Knie ihm ging,

Ein rostig Schwert an seiner Seite hing.

Er war aus Norfolk her und zwar vom Land

Nah’ einer Stadt, die Baldeswell genannt,

Und aufgeschürzt ganz wie ein Klostermann,

Ritt er stets auf der Reise hintenan.

Mit feuerrothem Cherubim-Gesicht,

Schmaläugig, finnig und mit Pusteln dicht

Besä’t, war noch ein Büttel mit am Platz,

Und geil und lüstern war er, wie ein Spatz.

Mit grind’gem Bart und räud’gen Augenbrauen,

War sein Gesicht der Kinder Furcht und Grauen.

Quecksilber, Schwefel, Borax schlugen fehl,

Ihm half nicht Bleiweiß, Glätte, Weinsteinöl,

Und mochten Salben noch so beißend sein,

Ihn konnte von dem Grinde nichts befrein

Und von den Knubben, die er im Gesicht.

Knoblauch und Zwiebeln war sein Leibgericht,

Sein Lieblingstrank blutrother, starker Wein;

Und wie verrückt, zu schwätzen und zu schrein

Begann er dann, und wollte, wenn beim Zechen

Er sich betrunken, nur Lateinisch sprechen.

Er lernte – und kein Wunder war’s – auswendig

Zwei bis drei Redensarten, die beständig

Er in Decreten angewendet fand.

– Denn schwatzen kann, wie männiglich bekannt,

Die Elster wie der Papst. – Doch unterfing

Sich Jemand, tiefer ihn zu prüfen, ging

So rasch zu Ende die Philosophie,

Daß er nur: »Questio quid juris?« schrie.

Wohl selten fand man auf der Erde Rund

Solch güt’gen Kerl und lieben Lumpenhund;

Den guten Burschen wollt’ bei wilden Ehen

Ein ganzes Jahr er durch die Finger sehen,

Gab man ihm nur ein Viertel Wein zu trinken.

In aller Stille pflückt’ er seine Finken.

Er lehrte Leuten, die in solchen Lagen,

Nicht ängstlich vor dem Erzdekan zu zagen,

Und seiner Androhung des Kirchenbannes.

Doch wenn am Beutel hing das Herz des Mannes,

Büßte der Beutel, was der Mann gethan.

»Denn unter Hölle meint der Erzdekan

Den Beutel nur,« sprach – oder log vielmehr – er.

In Schrecken vor ihm standen alle Schwörer.

– Die Beichte rettet, doch der Fluch bringt Tod!

Wohl dem, dem kein »Significavit« droht! –

Die Dirnen in der Diöcese standen

Kraft seines Amts in seiner Hut, und fanden

Bei ihm stets Rath für ihres Herzens Sehnen.

Es war mit einem Kranz, an Größe denen

Auf Bierhausstangen gleich, sein Haupt umhüllt,

Und ein gewalt’ger Kuchen war sein Schild.

Als Freund und als Gevatter von ihm ritt

Aus Ronceval ein Ablaßkrämer mit,

Der gradeswegs vom Hofe kam aus Rom.

Laut sang er: »Komm, mein Herzensliebchen, komm!«

Wozu der Büttel, wie Posaunenklang

Gewaltig dröhnend, seinen Rundreim sang.

Des Ablaßkrämers Haar war gelb wie Wachs,

Und hing so glatt wie eine Docke Flachs

Auf seine Schultern, die es rings umgab,

In dünnen Locken ihm vom Kopf herab.

In kecker Laune trug er’s unbedeckt;

Denn die Kapuze hatt’ er eingesteckt

In seinem Mantelsack, der vor ihm hing.

Daß er mit Flatterhaar und baarhaupt ging,

War nach der neu’sten Mode, wie er glaubte;

Drum trug er nur ein Käppchen auf dem Haupte.

Glotzaugen hatt’ er ganz wie ein Karnickel,

Und angenäht am Käppchen ein Vernickel.

Mit Ablaßfracht kam er soeben heiß

Aus Rom zurück. Wie’s Meckern einer Gais

Klang seine Stimme. Im Gesichte war,

Ob unrasirt, doch keine Spur von Haar,

Er mußte – dünkt mich – wohl ein Wallach sein.

Von Ware bis Berwick war gewißlich kein

Ablaßverkäufer, der ihm’s Wasser reichte.

Als »Unsrer lieben Frauen Schleier« zeigte

Er einen Kissenüberzug. Im Koffer

Verwahrte von dem Segel etwas Stoff er,

Das Petri Fahrzeug – wie er sagte – führte,

Als mit dem Herrn er auf dem See spazierte;

Ein steinbesetztes Kreuz hatt’ er von Zinn

Sowie ein Glas mit Schweineknochen drin.

Und traf er einen armen Bauersmann,

So schwatzt’ er ihm von den Reliquien an,

Und erntete an einem einz’gen Tage

Die Früchte seiner wochenlangen Plage.

So hielt mit Possen und mit Schmeichelworten

Das Volk zu Narren er an allen Orten.

Doch, um nicht von der Wahrheit abzuweichen,

Als Kirchenredner war er ohnegleichen.

Schön las den Bibeltext er und Historien;

Jedoch am besten sang er Offertorien,

Da hinterdrein er gleich den Anfang machte

Mit seiner Predigt, die ihm Geld einbrachte.

Zu diesem Zwecke spitzt’ er seine Zunge

Und sang vergnügt und laut aus voller Lunge.

So macht’ ich kurz und nach der Reihe kund

Rang, Anzug, Zahl und minder nicht den Grund,

Weßhalb in Southwerk Jeder angekommen

Und in dem Gasthof sein Quartier genommen,

Der »Tabard bei der Glocke« ward genannt;

Und an der Zeit ist’s, daß ich Euch bekannt

Auch weiter mache, wie wir unsre Nacht

In dem besagten Wirthshaus zugebracht;

Und hinterdrein gedenk’ ich Euch zu sagen,

Was auf der Reise sonst sich zugetragen.

Doch bitt’ ich Euch zunächst aus Höflichkeit

Legt es nicht aus als Herzensschlechtigkeit,

Wenn ich getreu im Laufe der Geschichte

Auch jedes Wort von Jedermann berichte;

Sonst ziehe man mit Recht der Lüge mich.

Denn das wißt sicher Ihr so gut wie ich:

Wer melden will, was ihm gesagt ein Mann,

Der wiederhole, so genau er kann,

Ein jedes Wort, sei’s noch so schlecht gewählt

Und noch so gröblich, was ihm vorerzählt.

Sonst müßt’ er ja die Unwahrheit berichten,

Den Sinn verfälschend, neue Worte dichten;

Den eignen Bruder darf er schonen nicht,

Ein jedes Wort zu sagen, ist ihm Pflicht.

Sehr kräftig sprach selbst Christus in der Bibel,

Und doch kein Wort – das wißt Ihr – ist von Uebel.

Wer Plato las, dem ist der Spruch bekannt:

Es sei das Wort der Sache nah’ verwandt.

Und gleichfalls bitt’ ich, daß Ihr mir verzeiht,

Wenn ich Euch nicht nach Rang und Würdigkeit

Die Leute vorgeführt, wie angemessen.

Mein Witz ist kurz, das dürft ihr nicht vergessen.

Für Jeden freundlich, ließ der Wirth vom Haus

Uns niedersitzen rasch zum Abendschmaus.

Die Tafel er mit bester Speise deckte.

Stark war der Wein, der uns vorzüglich schmeckte.

So wohlanständig war des Wirthes Wesen,

Als sei er zum Hofmarschall auserlesen.

Sein Wuchs war stark, tief lag sein Augenpaar;

In Chepe selbst kein bessrer Bürger war.

Gewandt und klug und grad’ heraus er sprach,

In Nichts es ihm an Männlichkeit gebrach;

Dazu war er ein aufgeweckter Mann.

Gleich nach dem Abendessen hub er an

In heitrer Laune dies und das zu sprechen;

Und als berichtigt waren unsre Zechen,

Begann er also: »Wahrlich, meine Herr’n,

Willkommen heiß’ ich Euch hier herzlich gern.

Denn, meiner Treu, wenn ich nicht lügen soll,

Sah meinen Gasthof ich noch nie so voll

In diesem Jahr, wie heut’ am Tag’ er ist.

Gern möcht’ ich Euch erheitern. Darum wißt,

Daß ich mir eben einen Scherz erdacht,

Der vielen Spaß und keine Kosten macht.

Ihr geht nach Canterbury. – Eure Pfade

Beschirme Gott und seines Märtyr’rs Gnade! –

Und sicher weiß ich, daß Ihr Euren Weg

Zu kürzen denkt durch heiteres Gespräch.

Denn unbehaglich wahrlich ist’s und dumm,

Einherzureiten, wie der Stein so stumm.

Drum würd’ es mich, wie ich schon sagte, freun,

Euch angenehm und lustig zu zerstreun;

Und wenn Ihr insgesammt des Willens seid,

Mir zu gehorchen und mit Folgsamkeit

Dasjenige zu thun, was ich Euch weise,

– Bei meines Vaters Seel’! – seid auf der Reise

Ihr morgen dann nicht hochvergnügt und munter,

Schlagt mir den Kopf von meinem Rumpf herunter!

Macht keine Worte; hebt empor die Hände!«

Wir kamen rasch mit dem Entschluß zu Ende;

Uns schien nicht werth, es lange zu berathen.

Wir gingen schlichthin darauf ein, und baten

Ihn, kund zu machen, was im Sinn er trage.

»Nun, Herren!« – sprach er – »hört, was ich Euch sage.

Doch bitt’ ich dringend, nehmt es mir nicht krumm!

Denn, kurz und gut, es handelt sich darum,

Es solle Jeder von Euch vier Geschichten,

Den Weg zu kürzen, auf der Fahrt berichten.

– Zwei, während wir nach Canterbury wandern,

Und auf dem Heimweg dann die beiden andern. –

Der aber, welcher schließlich unter Allen

Von Abenteuern, die einst vorgefallen,

Das beste vorgetragen hat – das heißt:

Was Euch erbaut sowie ergötzt zumeist –

Erhält zum Lohn dafür in diesem Haus

Auf Kosten Aller einen Abendschmaus,

Wenn wir von Canterbury heimwärts kehren.

Und gerne will ich, Eure Lust zu mehren,

Auf eigne Kosten selber mit Euch reiten,

Und Euch als Führer auf der Fahrt begleiten.

Wer meinem Urtheil wagt zu widersprechen,

Zahlt auf der Tagesfahrt dafür die Zechen.

Wenn Ihr gewillt seid, daß dem also sei,

So stimmt mir ohne viele Worte bei,

Damit ich mich bei Zeiten rüsten kann.«

Dies ward bewilligt und wir schwuren dann

Froh unsern Eid und baten ihn daneben,

Das auszuführen, was er angegeben.

Er möge sich als Leiter uns verpflichten,

Sowie als Richter über die Geschichten,

Den Preis des Abendessens nur fixiren,

Und nach Gefallen über uns regieren

Im Kleinen wie im Großen. – Jedermann

Nahm gern und willig seinen Vorschlag an.

Und hinterher bestellten wir uns Wein

Und tranken ihn, und dann ward allgemein

Und ohne Zögern gleich zur Ruh gegangen.

Sobald der Tag zu grauen angefangen,

Erhob sich unser guter Wirth und war

Der Hahn für Alle. – Bald war seine Schaar

Beisammen und dann ging, halb Trab, halb Schritt,

Zur Schwemme von Sanct Thomas unser Ritt.

Dort gab der Wirth den Pferden etwas Ruh’

Und sprach: »Ihr Herrn, hört mir gefälligst zu!

Ihr wißt, was Ihr verspracht und ich bedang.

Ist Euer Abendlied noch Morgensang,

So laßt uns sehn, wer soll der Erste sein,

Der jetzt erzählt? Ich schwör’s bei Bier und Wein!

Für Alle zahlt die Zeche, wer sich jetzt

Rebellisch meinem Urtheil widersetzt!

Nun frisch geloost! Dann reiten wir von hinnen,

Und wer das kürz’ste Loos zieht, muß beginnen.

Herr Ritter,« – sprach er – »Oberherr und Lord!

Zieht Euer Hälmchen! – so ist der Accord. –

Kommt näher« – sprach er – »Lady Priorin!

Ihr, Herr Scholar, ermuntert Euren Sinn;

Laßt das Studiren! – Fasse Jeder an.«

Und folgsam zog sein Loos auch Jedermann.

Ganz in der Kürze sei es nun berichtet:

– Ob es Geschick, ob Zufall angerichtet,

Die bei der Ziehung ihre Fäden schürzten –

Die Wahrheit ist: der Ritter zog den Kürz’sten.

Nun war bei Allen Lust und Freude groß.

Er hatte zu beginnen; denn sein Loos

Verfügte so. – Was braucht’s der Worte mehr?

Was abgemacht, wißt Ihr und wußt’ auch er.

Und da er klug, gehorsam war und willig,

So hielt er sein Versprechen auch, wie billig.

»In Gottes Namen! wie das Hälmchen fiel,

Will ich beginnen« – sprach er – »unser Spiel!

Nun reitet weiter und lauscht meinem Wort.«

So zogen wir des Weges weiter fort,

Und dann begann mit freundlichem Gesichte

Er die Erzählung, die ich jetzt berichte.

Die Erzählung des Ritters.

Vers 861–3110.

Wie aus Historienbüchern zu ersehn,

War einst ein Herr und Herzog in Athen,

Der Theseus hieß. Ihm glich zu seiner Zeit

Kein Sieger und Eroberer, so weit

Die Sonne scheint, an Größe und an Ruhm.

Er unterwarf manch reiches Fürstenthum.

Durch Tapferkeit und Klugheit überwand

Er Scythia, das Amazonenland

Und er erkor zur Gattin sich zugleich

Hippolyta, die Königin vom Reich

Und zog mit ihr und ihrem Schwesterlein

Emilia in seine Heimath ein.

In feierlichem Zug voll Glanz und Pracht,

Umgeben von der ganzen Heeresmacht,

Mit Siegesliedern, Jubelmelodien

Mag nach Athen der würd’ge Herzog ziehn.

Doch, wahrlich, wär’ es kürzer einzurichten,

Möcht’ ich den ganzen Hergang Euch berichten,

Wie Herzog Theseus’ ritterliche Hand

Das Reich der Weiber siegreich überwand,

Wie die Athener in den Kämpfen siegten,

Als sie die Amazonenschaar bekriegten,

Und wie die Königin von Scythia,

Die schöne, kräftige Hippolyta

Belagert ward, wie ihrer Hochzeit Weise,

Ihr Tempelgang und ihre Heimwärtsreise.

Doch muß ich leider wohl darauf verzichten.

Groß ist – weiß Gott – mein Feld, doch stark mit Nichten

Sind meine Stiere, die ich vor dem Pflug;

Und der Geschichte Rest ist lang genug.

Ich möchte Keinem gern im Wege stehn;

Laßt Jedermann erzählen und uns sehn,

Wer sich den Abendschmaus gewinnen kann?

Drum, wo ich abbrach, heb’ ich wieder an.

Als der erwähnte Herzog nun nicht weit

Mehr von der Stadt, zu der in Herrlichkeit

Und großer Pracht er auf der Reise rückte,

Sah er die Straße, als er um sich blickte,

Mit einer Schaar von Weibern angefüllt,

Die niederknieten, ganz in Schwarz gehüllt,

In einer langen Reihe, zwei bei zwei;

Und so erbärmlich klang ihr Wehgeschrei,

Daß wohl im Leben auf der Erde Flur

Solch Jammern hörte keine Creatur;

Nicht früher ließen sie ihr Schreien enden,

Bis seines Rosses Zügel sie in Händen.

»Was Volk seid Ihr, hier vor mir zu erscheinen,

Daß meiner Heimkehr Fest mit Eurem Weinen

Ihr stört?« – sprach Theseus – »seid Ihr so voll Neid

Ob meiner Ehre, daß ihr klagt und schreit?

Doch seid gekränkt Ihr, hat man Euch mißhandelt,

Daß Ihr in schwarzer Trauerkleidung wandelt,

So sagt mir an, wie ich Euch helfen kann?«

Die älteste der Frauen sprach sodann,

Der Ohnmacht nah’, mit blassem Angesicht

– Ein trüber Schauspiel gab es wahrlich nicht –

Und sagte: »Herr! begünstigt durch das Glück,

Kehrt siegreich als Erobrer Ihr zurück!

Statt Eures Ruhmes Glorie zu beneiden,

Flehn hülfesuchend wir in unsern Leiden.

Laßt gnadenvoll aus Eurem edlen Herzen

Nur einen Tropfen Mitleid auf die Schmerzen

Der jammervollen Weiber niederfallen;

Denn sicher, Herr, ist keine von uns allen,

Die nicht von Königen und Fürsten stammt,

Doch, wie Ihr seht, sind elend allesammt.

Denn hoher Stand oft kurze Dauer hat,

So lenkt’s Fortuna und ihr falsches Rad!

Wir haben, Herr, auf Eure Gegenwart

In der Clementia Tempel schon geharrt

Seit vierzehn Tagen, unser Flehn zu senden

Empor zu Euch. – Ihr habt die Macht in Händen!

Ich selbst, ein elend, klagend Weib, war sonst

Des Kapaneus, des Königs, Eh’gesponst,

Der seinen Tod vor Theben fand. – Dem Tage

Sei ewig Fluch! – Und alle, deren Klage

Aus Trauerhüllen dringt zu Euren Ohren,

Haben die Gatten vor der Stadt verloren,

Als unser Heer vor ihren Wällen lag.

Der alte Kreon aber – Weh’ und Ach! –

Der dort regiert, beschloß aus Haß und Wuth

Den schändlichen Tyrannenübermuth

An den entseelten Körpern selbst zu kühlen

Von unsern Männern, die im Kampfe fielen.

Auf einen Haufen schleppt’ er ihre Leichen

Und ist auf keine Weise zu erweichen,

Sie zu verbrennen oder zu bestatten,

Und die Gebeine der erschlag’nen Gatten

Dienen zum Futter jetzt für seine Hunde!«

Bei diesem Worte scholl aus Aller Munde

Ein kläglich Schrei’n: »O, öffnet in Erbarmen

Das Herz der Noth und Sorge von uns Armen!«

So schrieen sie und warfen sich zur Erde.

Der edle Herzog sprang sogleich vom Pferde,

Denn durch die Worte, die zu ihm gesprochen,

War schier sein mitleidsvolles Herz gebrochen.

Im Innersten bewegt durch die Beschwerden

Von denen, die einst hochgestellt auf Erden,

Hob er mit eigner Hand sie auf sofort,

Und freundlich sprach er manches Trosteswort.

Als treuer Ritter band durch einen Schwur

Er sich, zu thun, was irgend möglich nur,

Um des Tyrannen Kreons Macht zu brechen.

Das ganze Volk der Griechen solle sprechen

Davon noch lange, wie durch Theseus Hand

Kreon den Tod, den er verdiente, fand.

Und ohne länger sich dann aufzuhalten,

Ließ fördersamst die Banner er entfalten

Zum Vorwärtsmarsche für das ganze Heer.

– Nicht nach Athen zog es ihn länger mehr. –

Kaum einen halben Tag genoß er Ruh’,

Dann ritt zur Nachtzeit er auf Theben zu.

Sein Weib, die Königin der Amazonen,

Hippolyta ließ er inzwischen wohnen

Mit ihrer jungen Schwester in Athen,

Um – wie gesagt – gleich in den Kampf zu gehn.

Im weißen Banner schien mit Speer und Schild

Vom Kriegsgott Mars das blutigrothe Bild

Und leuchtete mit hellem Glanz ins Weite.

Aus reinem Gold gefertigt, ihm zur Seite

Ragte die Fahne, die das Bildniß trug,

Wie Theseus Kretas Minotaur erschlug.

So ritt der Herzog, so der kühne Sieger,

Umgeben von der Blüthe seiner Krieger,

Auf Theben zu, bis endlich Halt er machte

Auf einem Feld, wo er zu kämpfen dachte.

Um nun ganz kurz den Thatbericht zu geben:

Mit Kreon, welcher König war in Theben,

Focht er, und ritterlich in offner Schlacht

Erschlug er ihn und trieb die Heeresmacht

Zu Paaren, nahm die Stadt darauf mit Sturm,

Und gleich der Erde macht’ er Wall und Thurm,

Und an die Frau’n ließ er zurückerstatten

Die todten Körper der erschlagnen Gatten,

Sie beizusetzen nach des Landes Brauch.

Doch allzulange währt’ es, spräch’ ich auch

Von allem Jammer und von allem Flennen

Der armen Weiber während dem Verbrennen,

Und wie, mit Ehren und mit vielen Gnaden

Vom edlen Herzog Theseus überladen,

Sie endlich schieden und von dannen gingen;

– Denn kurz zu sein, ziemt mir vor allen Dingen. –

Der edle Herzog, der mit starker Hand

Kreon erschlug und Theben überwand

Und alles Land zu eigen sich gemacht,

Nahm auf dem Schlachtfeld Ruhe für die Nacht.

Nun machten sich die Plündrer viel zu schaffen,

Um reiche Beute, Rüstungen und Waffen

Erschlagner Feindesleichen heimzutragen

Vom Kampfplatz, wo sie haufenweise lagen.

Und so geschah’s, daß hierbei aufgefunden

Zwei junge Ritter wurden, die, durch Wunden

Arg zugerichtet, scheinbar als erschlagen,

Im reichen Waffenschmuck beisammen lagen,

Von denen Palamon der eine hieß,

Arcit der andre; wie sich bald erwies,

Obwohl sie todt mehr als lebendig schienen,

Aus ihren Rüstungen; sowie von ihnen

Und ihrer Herkunft Herolden nicht minder

Bekannt war, daß sie als Geschwisterkinder

Entsprungen Thebens königlichem Haus.

Als aus dem Leichenhaufen sie heraus

Die Plünderer gezogen, brachte man

Sie in das Zelt des Theseus, der sodann

Sie nach Athen zu ew’ger Haft verwies

Und für kein Lösegeld daraus entließ.

Und heimwärts zog, nachdem er dies vollbracht,

Der würd’ge Herzog mit der Heeresmacht,

Bekränzt als Sieger mit dem Lorbeerzweige.

Geehrt und fröhlich bis zur Lebensneige

Verblieb er dort. – Was braucht’s der Worte mehr?

In einem Thurme lagen sorgenschwer

Stets noch Arcit und Palamon gefangen,

Da für kein Gold die Freiheit zu erlangen.

Tag rollt auf Tag und Jahr auf Jahr vorbei,

Bis es geschah, daß einst im Monat Mai

In früher Morgenstunde schon Emilie,

Weit schöner als am grünen Schaft die Lilie

Und frischer als des Maies Blüthenprangen

– Denn ob die Rose oder ihre Wangen

Von zarterm Roth, war schwerlich zu entscheiden –

Vom Lager aufstand, um sich anzukleiden,

Wie früh am Morgen sie gewohnt zu thun.

Die Schläfer läßt der Mai nicht lange ruhn,

Der so die Herzen prickelt und belebt,

Daß rasch vom Lager jeder sich erhebt.

»Steh’ auf« – ruft Mai – »und huld’ge meiner Macht!«

Drum war Emilie zeitig aufgewacht,

Damit auch sie den Mai in Ehren halte.

Frisch war ihr Kleid; in reichen Flechten wallte

Ihr um die Schultern das goldgelbe Haar,

Das ellenlang – nach meiner Schätzung – war.

Als ihren Lauf die Sonne dann begann,

Trat sie im Garten ihre Wandrung an,

Wo sie sich weiß’ und bunte Blumen pflückte,

Zum Kranz sie wand, mit ihm die Stirne schmückte,

Und dabei himmlisch wie ein Engel sang.

Der dicke, große Thurm, in dem schon lang

Gefangen die besagten Ritter lagen

– Von denen auch noch ferner viel zu sagen –

Die stärkste von des Schlosses Kerkerwarten,

Lag an dem Wall von eben jenem Garten,

In dem ihr Spiel Emilie fröhlich trieb.

Bei Sonnenschein und Morgenfrische blieb

Auch der gefangne Palamon nicht lang

Im Bett, und den gewohnten Morgengang,

Zu dem sein Wärter ihm Erlaubniß gab,

Nahm er im höchsten Stock, von dem herab

Zur Stadt er und zum Grün des Gartens sah,

In dem das schöne Kind Emilia,

Lustwandeln ging, sich tummelnd hin und her.

Und Palamon, gefangen, sorgenschwer,

Ging seufzend auf und ab in seiner Kammer,

Sich oft beklagend, daß zu solchem Jammer

Geboren ihn das neidische Geschick.

Und so geschah’s – sei’s Zufall oder Glück –

Daß seine Augen durch die dicken Sparren

Von seines Fensters mächt’gen Eisenbarren

Grad’ auf Emilie fielen. – Zitternd, bleich,

Zusammenzuckend, schreit empor er gleich,

Als ob er durch das Herz gestochen sei. –

Auf sprang Arcit sofort bei diesem Schrei

Und sprach: »Was, theurer Vetter, ist geschehn,

Daß todtenblaß Du plötzlich anzusehn,

Was hat man Dir gethan, was soll die Klage?

Um Gottes Willen mit Geduld ertrage,

Was abzuändern unsrer Macht entgeht.

Fortuna hat den Rücken uns gedreht!

Wenn unheilvoll durch die Constellation

Saturns uns die Aspecten einmal drohn,

So bleibt vergebens das Geschick beschworen;

Denn, wie der Himmel stand, als wir geboren,

So müssen wir’s ertragen – das ist klar!«

Des Palamons Erwiedrung aber war:

»Bei Deiner Ansicht, die Du mitgetheilt,

Hat Deine Phantasie sich übereilt.

Nicht schrie ich, Vetter, weil wir hier gefangen;

Ich ward verwundet, und die Schmerzen drangen

Durchs Auge mir ins Herz. Auf immerfort

Bannt mich die Schönheit einer Frau, die dort

Lustwandelnd sich ergeht im Gartengrün.

Das war der Grund, weßhalb ich aufgeschrien.

War Weib sie, war vom Himmel sie geschickt?

Mich dünkt, die Venus selbst hab’ ich erblickt!«

Und dabei sank er auf die Kniee hin

Und sprach: »Venus, wenn ich gewürdigt bin,

Daß Du mir Armen, welchen Kummer beugt,

Dich hier in irdischer Gestalt gezeigt,

So hilf uns zu entrinnen unsrer Haft!

Doch ist’s bestimmt, daß in Gefangenschaft

Wir durchaus sterben sollen, dann gewähre

Dein Mitleid unserm Stamme, dessen Ehre

Durch Tyrannei zu tiefem Fall gebracht!«

Nach dieser Rede war Arcit bedacht,

Auch seinerseits die Dame zu erspähen;

Doch augenblicklich, als er sie gesehen,

War – wenn schon Palamon verwundet schwer –

Arcit es ebenmäßig oder mehr.

Und jämmerlich fing er zu seufzen an:

»Die holde Schönheit hat mir’s angethan,

Die ich erblickt auf jenem Gartenpfade.

Erring’ ich mir nicht ihre Gunst und Gnade

Bleibt mir versagt, sie mindestens zu sehn,

Ist es um mich – das fühl’ ich – auch geschehn.«

Als kaum die Worte Palamon gehört,

Frug er verächtlich blickend und verstört:

Ob’s Ernst, ob’s Scherz ihm mit der Rede wäre?

»Nein« – sprach Arcit – »vollkommen Ernst – auf Ehre!

Zu Scherzen bin – weiß Gott – ich nicht gestimmt.«

Und Palamon versetzte drauf, ergrimmt

Die Brauen faltend: »Nicht von Ehre sprich,

Wenn falsch Du und Verräther gegen mich,

Den Vetter und den Bruder Deiner Wahl!

Wir schwuren uns bei der Verdammung Qual,

Es solle gegenseitig von uns beiden

Einer dem andern bis zum Todesscheiden

In keiner Art und – lieber Bruder mein –

Auch in der Liebe nicht im Wege sein.

Daß Du zu meiner Hülfe stets bereit,

Wie ich zu Deiner – dieses war Dein Eid,

So sicherlich wie es der meine war.

Du kannst nicht widersprechen. Offenbar

Mußt Du, wie ich, in dieser Sache denken;

Drum Falschheit ist’s, Dein Lieben hinzulenken

Zur Dame, die ich liebe, die ich auch

Stets lieben werde bis zum letzten Hauch!

Doch nie, Arcit, soll es Dein falsches Herz!

Ich liebte sie zuerst, und meinen Schmerz

Hab’ ich als Bruder Dir und Freund geklagt,

Mir hülfreich beizustehn; denn – wie gesagt –

Dich bindet Eid, Dich bindet Ritterpflicht,

Daß Du mir Hülfe leihst; und thust Du’s nicht,

Bist Du – frei sag’ ich’s – deines Eids vergessen.«

Ihm stolz erwiedernd, sprach Arcit indessen:

»Wenn Du mich falsch nennst, ist es leider schade,

Daß falsch Du selbst bist in weit höherm Grade,

Denn – par amour! – wer liebte sie zuerst,

Ich oder Du, daß Du Dich so beschwerst?

Du wußtest nicht, ob Weib, ob Göttin sie;

Dein Herz bewegte heil’ge Sympathie,

Doch irdischer ist meiner Liebe Feuer;

Und so geschah’s, daß ich mein Abenteuer

Als Vetter und als Bruder Dir enthüllte.

Gesetzt, daß Liebe Dich zuerst erfüllte,

So weißt Du’s doch, daß Weise längst verkündet,

Daß in der Liebe kein Gebot uns bindet;

Und ob der klügste Mann Gesetze schriebe,

Bei meinem Kopf! das höchste bleibt die Liebe,

Und giebt uns positives Recht, Versprechen

Um ihretwillen jederzeit zu brechen!

Verstand verstummt, sobald die Liebe spricht!

Ob uns der Tod droht, wir entfliehn ihr nicht

– Mag sie nun Weib sein, Wittwe oder Maid. –

Für mich wie Dich gibt’s keine Möglichkeit,

Uns ihre Gunst im Leben zu erringen,

Denn unsres – weißt Du – müssen wir verbringen

In Kerkerhaft, aus der in Ewigkeit

Nicht mich noch Dich ein Lösegeld befreit.

Wir streiten, gleich zwei Hunden, um das Bein.

Sie fochten, jeder wollte Sieger sein;

Da kam ein Habicht, der sie ausgewittert,

Und stahl den Knochen, der sie so erbittert.

Und, Bruder, sieh’ den Hof des Königs an!

Da steht auch Jeder seinen eignen Mann.

Lieb’, wen Du willst; ich will das Gleiche thun,

Und damit, Bruder, laß die Sache ruhn.

So lang in Kerkermauern wir begraben,

Mag jeder auch sein Abenteuer haben.«

Wie lang und scharf gewährt der Beiden Streit,

Würd’ ich berichten, hätt’ ich nur die Zeit.

Jedoch zur Sache! – Kurz, wie ich’s vermag,

Sei es erzählt. Es kam an einem Tag

Ein würd’ger Fürst, Pirithous genannt,

Zu Theseus nach Athen, wo er das Band

Der alten Freundschaft mit dem Spielgenossen,

Das sie in frühster Kinderzeit geschlossen,

Erneuerte, und froh mit ihm verkehrte,

Den auf der Welt er über Alles ehrte,

Von dem geehrt er über Alles war.

Der Beiden Liebe macht die Sage klar,

Daß nach dem Tod des Einen in der Hölle

Den Freund besucht der lebende Geselle.

– Was ich Euch hier nicht lang berichten mag. –

Pirithous, der schon seit Jahr und Tag

In Theben Neigung für Arcit empfand,

Hatte bei Theseus sich für ihn verwandt

Und durch sein Bitten ihm Pardon verschafft,

Daß ohne Lösegeld aus seiner Haft

Er unbeschränkt, wohin er wolle, ginge,

Jedoch nur unter folgendem Bedinge:

Mit dem Arcit kam Theseus überein,

Es solle künftig so gehalten sein,

Daß, wenn in seinem Leben je Arcit

Betroffen würde wieder im Gebiet

Des Herzog Theseus und zur Haft gebracht,

Sei es am Tage, sei es in der Nacht,

Sein Kopf sofort verfallen sei dem Schwerte.

Dagegen half kein Rath. – Entlassen, kehrte

Darum Arcit zurück zum Heimathlande.

– Er wahre sich! es steht sein Kopf zum Pfande! –

Wie wird Arcit nunmehr gequält von Schmerzen

Und welche Todesqual trägt er im Herzen?!

Er weint und klagt und sinnt, mit eignen Händen

Die Leiden seines Lebens zu beenden.

»Unsel’ger Tag« – sprach er – »der mich gebar!

Wenn Fegefeuer schon mein Kerker war,

Ist gegenwärtig mein Geschick noch schlimmer,

Denn in die Hölle bannt es mich für immer!

Hätt’ ich Pirithous doch nie gekannt;

Dann hielte mich noch Herzog Theseus’ Hand

In ewiger Gefangenschaft zurück!

Hier bin ich elend, dort war ich im Glück!

Wenn ich nur sie, die hoch mein Herz verehrt

– Wird ihre Gunst auch niemals mir bescheert –

Erblicken könnte, wär’ ich hoch zufrieden!

Ach!« – rief er aus – »Dir ist der Sieg beschieden,

Mein Vetter Palamon, in diesem Streit!

Du bliebst im Kerker voller Seligkeit;

Im Kerker? Nein! Fürwahr, ein Paradies

Fortunas Würfel Dich gewinnen ließ!

Du bist ihr nah’, ich bin auf ewig weit,

Dir bleibt ihr Anblick und die Möglichkeit,

Daß – weil Du so gewandt wie tapfer bist,

Und wandelbar Fortunas Wesen ist –

Du mit der Zeit noch deinen Wunsch erlangst.

Ich bin verbannt! In hoffnungsloser Angst

Bleibt mir beständige Verzweiflung nur.

Hienieden gibt es keine Creatur

Im Feuer, Wasser, in der Luft, auf Erden,

Ein Tröster und ein Helfer mir zu werden!

O, wär’ ich todt! Mir bleibt kein Hoffnungsschimmer,

Lust, Leben, Freude lebet wohl für immer!

Warum beklagt der Mensch sich des Geschicks,

Das Gottes Allmacht, oder Spiel des Glücks

In weiserm Walten über ihn verhängte,

Als wenn er selbst des Lebens Steuer lenkte?

Der Eine strebt nach Reichthum, und verdorrt

In langem Siechthum, oder stirbt durch Mord;

Ein Anderer durchbricht des Kerkers Wände,

Den Tod zu finden durch der Seinen Hände.

Wir wissen nicht, wie oft in diesen Dingen

Endlosen Harm die eignen Wünsche bringen.

Wir taumeln, wie ein schwer betrunkner Mann,

Der zwar sein Haus kennt, doch nicht finden kann

Den Weg, der ihn zu seiner Wohnung leitet,

Und auf dem Pfade sinnlos schwankt und gleitet.

So fahren wir umher in unserm Leben!

Die Seligkeit, nach der wir eifrig streben,

Sich oftmals als das Gegentheil erweist;

Das wissen Alle – und ich selbst zumeist,

Der ich in hoffnungsvollem Wahn gestanden,

Es werde, frei von meinen Kerkerbanden,

Nur Lust und Wohlsein fürder mir zu Theil.

Und jetzt bin ich verbannt von meinem Heil,

Da, wenn ich Dich, Emilie, nicht mehr sehe,

Allein der Tod nur enden kann mein Wehe!«

Ganz anders war des Palamons Gebahren,

Als des Arcit Befreiung er erfahren.

Sein Wehgeschrei und seine Klagen schallten,

Daß laut des Thurmes Mauern widerhallten;

Und auf die Fesseln, welche seine Glieder

Umschlossen, fielen bittre Thränen nieder.

»Arcit, mein Vetter!« – hub er an zu sprechen –

»Nun kannst – weiß Gott – des Kampfes Frucht Du brechen!

Du wanderst jetzt in Theben frei umher,

Und kaum gedenkst Du meiner Leiden mehr;

Du bist voll Weisheit und voll Männlichkeit,

Und kannst des Hauses Mannen leicht zum Streit

Jetzt um Dich schaaren, in dies Land zu dringen;

Es kann durch Glück Dir, durch Vertrag gelingen,

Zum Weibe die Geliebte zu erwerben;

Ich aber muß vor Jammer um sie sterben.

Da Du aus der Gefangenschaft entlassen,

Vermagst Du jeden Vortheil zu erfassen.

Du bist Dein eigner Herr und darum stärker

Als ich, der hier verschmachten muß im Kerker,

Um lebenslänglich unter Jammerklagen

Die Leiden der Gefangenschaft zu tragen;

Und doppelt macht die Liebespein mein Herz

Empfinden alle Qualen, jeden Schmerz.«

Empor flammt Eifersucht, wie Feuersgluth,

In seiner Brust. Wie rasend schoß das Blut

Ihm nach dem Herzen und ließ die Gestalt

Wie Buchsbaum blaß, wie Asche todt und kalt.

»Grausame Göttin, deren Wort die Welt«

– So rief er aus – »in ew’gen Banden hält,

Die Du auf Demanttafeln Dein Belieben

Als ew’ge Richtschnur für die Welt geschrieben,

In Deinen Augen gelten Menschen kaum

Soviel wie Schafe in der Hürde Raum;

Und wie ein Vieh auch wird der Mensch erschlagen,

Muß Kerkerhaft und Sclavenfesseln tragen,

Krankheit und Wiederwärtigkeit erdulden,

Und oft – bei Gott! – ganz ohne sein Verschulden!

Heißt das Regierung, wenn, vorauserwählt,

Die fleckenlose Unschuld wird gequält?!

Und nicht genug damit! zu größrer Qual

Sind wir verpflichtet gar aus freier Wahl

Den Sinn zu beugen unter Gottes Willen,

Wenn frei die Lust ein jedes Thier mag stillen.

Ein Vieh, das stirbt, ist ledig seiner Plagen,

Ein todter Mensch muß heulen noch und klagen,

Als ob nicht jammervoll genug die Welt!

Doch ohne Zweifel, so ist es bestellt!

Wer kann uns Antwort auf die Frage geben?

Eins ist gewiß: das größte Leid ist Leben!

Ach! Räuber und Reptile sehen wir,

Die guten Menschen stets geschadet, hier

Ganz frei und ungestört ihr Wesen treiben;

Mich aber ließ in Kerkerbanden bleiben

Saturnus, und mit eifersücht’ger Wuth

Zerstörte Juno Thebens bestes Blut

Und stürzte seine weiten Wälle nieder,

Indeß mich Venus vor Arcit hinwieder

Mit eifersüchtiger Befürchtung schlug!«

Nun sprachen wir von Palamon genug,

Und wollen ihn in seinem Kerker lassen,

Um mit Arcit uns wieder zu befassen.

Der Sommer floh. – In langer Winternacht

Ward doppelmächtig beider Schmerz entfacht.

Ich weiß es nicht, wer litt vom Unglück stärker,

Der Mann der Liebe oder der im Kerker?

Denn – kurz – war’s ewig Palamons Verhängniß,

Daß, festgekettet, er in dem Gefängniß

Verbleiben müßte bis zum Lebensziel,

So war Arcit für immer im Exil,

Beraubt, da Tod ihm jede Rückkehr war,

Auch ihres Anblicks nun und immerdar.

Ihr Liebenden, Euch stell’ ich nun die Frage,

Ob Palamon das schlimmere Loos ertrage,

Der, zwar gefangen, dennoch Tag für Tag

Die Dame seines Herzens sehen mag,

Ob es Arcit, der, zwar ein freier Mann,

Doch die Geliebte nie erblicken kann.

Wie’s Euch am besten zusagt, mögt Ihr wählen,

Mich aber drängt es, weiter zu erzählen.

In Theben angelangt, wird krank und schwach

Arcit und klagt tagtäglich Weh’ und Ach!

An der Geliebten sollte sich sein Blick

Nie mehr erfreun. Zu solchem Mißgeschick

War – um es kurz zu enden – nie ein Wesen

Und wird auf Weltendauer nie erlesen.

Es war ihm Hunger, Durst und Schlaf vergangen;

Mit hohlen Augen und mit fahlen Wangen,

Dürr wie ein Stock, von Ansehn aschenbleich,

Erregte Schreck und Mitleid er zugleich.

Und einsam war er, immerfort allein;

Und nächtelang schrie er in seiner Pein,

Aus seinen Augen Thränenströme drangen

Wenn Lieder tönten, Instrumente klangen.

Aus seiner Brust war aller Muth entflohn,

Und so verändert klang der Stimme Ton,

Daß sie kaum wieder zu erkennen war.

Sein ganzes Wesen wies es offenbar,

Daß er den Zustand nicht allein verdanke

Den Pfeilen Eros’ – nein – an Wahnsinn kranke,

Und daß die Säfte der Melancholie

Im Hirn getrübt den Sitz der Phantasie.

Kurz – ganz verdreht war er durch Liebesleid

An Wesen und Gemüthsbeschaffenheit.

Doch soll ich von den Schmerzen, die ihn quälen,

Den lieben, langen Tag hindurch erzählen?

Als er ein bis zwei Jahre so geplagt

Von Leid und Kummer – wie ich schon gesagt –

In seiner Heimath Theben zugebracht,

Sah vor sich stehn im Schlaf er in der Nacht

– Wie es ihm schien – den Flügelgott Merkur,

Der ihm Geheiß gab, Muth zu fassen nur!

In seiner Hand die goldne Schlummerruthe,

Sein strahlend Haar bedeckt mit einem Hute,

Erschien in selber Bildung er und Tracht,

Als er dem Argus Schlaf und Tod gebracht;

Und sprach zu ihm: »Hin nach Athen Dich wende,

Dort geht für Dich Dein Liebesschmerz zu Ende!«

Bei diesen Worten fuhr Arcit empor.

»Fürwahr, steht auch das Schlimmste mir bevor,

So geh’ ich« – rief er – »dennoch nach Athen,

Dem Tode trotz’ ich, gilt es die zu sehn,

Der ich in treuem Liebesdienst ergeben.

Bin ich ihr nah’, was gilt mir dann mein Leben!«

Zum großen Spiegel griff er bei dem Wort,

Und da die Blüthe seiner Wangen fort

Und er sein Antlitz ganz verändert sah,

Lag auch sofort ihm der Gedanke nah’,

Daß, da entstellt bis zur Unkenntlichkeit

Ihn seine Krankheit und sein Herzeleid,

Er in Athen in unscheinbarem Stand,

Für immer könne wohnen unerkannt

Und die Geliebte sehn zu jeder Zeit.

Und so vertauscht’ er ungesäumt sein Kleid

Und ging vermummt als armer Bauersmann

Auch graden Weges nach Athen sodann.

Ein einz’ger Junker nur war sein Begleiter,

Den als Vertrauten seiner Heimlichkeit er

In ärmlicher Verkleidung mit sich nahm.

Als er zur Hofburg eines Tages kam,

Bot er am Thorweg als ein Arbeitsmann

Zu jedem Dienst, den man verlangt, sich an.

Und – kurz zu melden Euch den Sachverlauf –

Es nahm in Dienst ein Kammerherr ihn auf,

Der an dem Hof Emiliens sich befand:

Ein kluger Mann, der es gar wohl verstand,

Die Dienerschaft in guter Zucht zu halten.

Zum Wassertragen und das Holz zu spalten,

Schien ihm Arcit geschickt, denn jung und stark,

Von kräft’gem Bau und gutem Knochenmark,

War er geeignet, jeden Dienst zu thun.

Ein bis zwei Jahre blieb als Page nun

Er in dem Dienste dieser schönen Dame,

Und Philostrat sei – gab er an – sein Name.

Doch Keiner seines Rangs ward halb so sehr

Vom ganzen Hofe rings geliebt, wie er.

Von seinem vornehm-adeligen Wesen

War vieles Rühmen stets am Hof gewesen,

Und Jeder wünschte, daß ihn Theseus’ Gnade

Baldigst zu einem angemessnen Grade

Und einem ehrenvollern Dienst erhebe,

Der seiner Tugend weitern Spielraum gäbe.

So war durch sein Betragen und sein Reden

Sein Name bald im Mund von einem Jeden,

Bis ihn zum Junker Theseus dann ernannte

Und ihn bei sich als Kämmerling verwandte.

Auch gab er ihm, um ranggemäß zu leben,

Das nöth’ge Gold. Doch heimlich ward daneben

Ihm seine Rente jedes Jahr gesandt,

Indeß von ihm mit Maß und mit Verstand

Verthan, daß er kein Aufsehn dadurch machte.

Und in drei Jahren, die er so verbrachte,

Gewann er sich im Frieden wie im Streit

Des Theseus innigste Gewogenheit.

Und so verlassen wir Arcit im Glück,

Und wenden uns zu Palamon zurück.

In seines festen Kerkers Schreckensnacht

Hat sieben Jahre Palamon verbracht,

Von Lieb’ und von Verzweiflung fast zerrissen.

Wer hat je sorgenvoller dulden müssen

Als Palamon? Ihn hatte Leid und Lieben

Zur Schwermuth, ja, zum Wahnsinn fast getrieben,

Und dazu sitzt er nicht auf Jahr und Zeit

In dem Gefängniß, nein, auf Ewigkeit!

Wer könnte reimen nach Gebühr und Pflicht

Sein Marterleiden? Ich vermag es nicht!

– Rasch übergangen drum die Sache sei. –

Im siebten Jahr, zur dritten Nacht im Mai,

Geschah es, wie uns Bücher und Geschichten

Aus alten Zeiten umständlich berichten

– Sei es nun Zufall oder Schicksalsschluß,

Durch den ein Ding, das sein soll, kommen muß –

Daß Palamon zu mitternächt’ger Zeit

Durch Freundes Hülfe, die ihm dienstbereit

Zu Theil geworden, seiner Haft entkam

Und aus der Stadt die Flucht in Eile nahm.

– Ein Schlaftrunk aus Narkotikum von Theben

Und Opium, die in süßem Wein gegeben,

Betäubte so den Wärter, daß kein Schütteln

Im Stande war, ihn aus dem Schlaf zu rütteln;

Und so entkam er und entrann er schnell. –

Die Nacht war kurz. Bald schien der Tag schon hell.

Sich zu verbergen, war es hohe Zeit;

Weßhalb zu einem Haine sich abseit

Auch Palamon mit bangen Schritten schlug.

Denn es war seine Absicht, daß er klug

Den Tag hindurch, im Busch versteckt, verbringe

Und erst zur Nachtzeit wieder weiter ginge

Auf Theben zu, um dort zum Kriege gegen

Den Theseus seine Freunde zu bewegen.

Denn – kurz gesagt – es galt entweder Sterben

Oder zum Weib Emilie zu erwerben.

Das war sein Zweck, nur das lag ihm im Sinn!

Wir wenden zu Arcit uns wieder hin,

Der wenig ahnte, welche Sorgen nahten,

Bis in Fortunas Fallstrick er gerathen.

Die fleiß’ge Lerche, Tages Botenfrau,

Begrüßt mit ihrem Sang das Morgengrau,

Und Phöbus naht mit Feuerflammenpracht,

Bei dessen Blick der ganze Osten lacht,

Und trocknet rasch durch seiner Strahlen Schein

Der Blätter Silbertropfen in dem Hain.

Arcit, zum ersten Junker jetzt gemacht,

Am Hof des Theseus, war schon früh erwacht,

Und da der Tag so heiter schien und klar,

Beschloß er, wie schon längst sein Vorsatz war,

Dem Mai sein Opfer heute darzubringen.

Bald trug sein Renner ihn auf Feuerschwingen,

Damit im Freien fröhlich er verweile,

Vom Hof aufs Feld bis über eine Meile

Zum Haine hin, von welchem ich erzählte,

Und den durch Zufall er zum Ziel erwählte,

Um sich aus Weißdornblüthen, Geißblattwinden

Und grünen Blättern einen Kranz zu binden;

Und laut sang er dem Sonnenschein entgegen:

»O grüner Mai, so reich an Blüthensegen,

Du frischer, schöner Mai willkommen mir!

Zu finden hoff’ ich etwas Grünes hier!«

Und hoch vergnügt er rasch vom Pferde sprang

Und lenkte zu dem Haine seinen Gang

Und wandelt’ dort umher auf einem Pfade,

Wo hinter einem Busch durch Zufall grade

Sich Palamon, den stete Todessorgen

In Angst versetzten, ungesehn verborgen;

Indessen – Gott mag’s wissen – daß Arcit

Zugegen sei, er nimmermehr errieth.

Der alte Spruch sein stetes Recht behält:

Der Wald hat Ohren, Augen hat das Feld;

Woran der Mensch sich wohl erinnern mag,

Denn widerfahren kann’s ihm jeden Tag.

Es wußte drum, im Selbstgespräch verloren,

Arcit auch nicht, wie nah’ des Lauschers Ohren,

Der still und lautlos saß im Busch versteckt.

Nachdem Arcit, vergnügt und aufgeweckt,

Manch lustig Lied gesungen, gab sein Sinn

Sich plötzlich grillenhaften Träumen hin,

Wie solche bei verliebten Leuten eben

Gleich Brunneneimern auf und nieder schweben,

Und bald im Grün, bald unter Dornen sind.

Recht wie ein Freitagswetter, das geschwind

Verkehrt den hellen Sonnenschein in Regen,

Weiß launenhaft auch Venus zu bewegen

Des Volkes Herzen, die wie ihren Tag,

Sie gern verändern und verkehren mag.

– Selten gleicht Freitag andern Wochentagen. –

Sein Lied war aus, Arcit begann zu klagen,

Und seufzend warf er rasch zu Boden sich,

»Weh!« – sprach er – »sei dem Tage, welcher mich

Gebar! Wie lange, Juno, soll mit Streit

Theben verfolgen Deine Grausamkeit?

Ach wie erniedrigt ist durch Deine Wuth

Des Kadmus und Amphion Königsblut!

Des Kadmus, welcher als der erste Mann

Von Thebens Stadt den stolzen Bau begann

Und dessen Königskrone sich errang.

Aus seinem fürstlichen Geblüt entsprang

Auch ich in grader Linie, ob geächtet

Ich leider jetzt, im Elend und geknechtet

Muß in dem Dienste meines Todfeinds leben,

Dem ich als armer Junker untergeben.

Noch größre Schande that mir Juno an,

Daß ich Arcit mich nicht mehr nennen kann

Und, statt den wahren Namen zu entdecken,

Mich elend muß als Philostrat verstecken.

Ach, grimmer Mars! ach, Juno! Eure Wuth

Hat bis auf mich des ganzen Stammes Blut

Und bis auf Palamon dahin gerafft,

Den Theseus quält in ew’ger Kerkerhaft!

Und überdies zu mehren meinen Schmerz,

Hat Liebe durch dies treuergebne Herz

So brennend ihren Feuerpfeil getrieben,

Als sei mein Todesurtheil schon geschrieben,

Bevor man noch an meinen Windeln spann.

Emilie! Deine Augen sind daran

Allein nur schuld; denn was mich sonst beschwert,

Acht’ ich, fürwahr, nicht einen Strohhalm werth,

Wenn Dir zu dienen ich im Stande bin!«

Nach diesen Worten lag er ohne Sinn

Für lange Zeit, – und später regte sich

Auch Palamon, den ein Gefühl beschlich,

Als ob ein kaltes Schwert sein Herz durchdrungen.

Dem Dickicht war er wuthentbrannt entsprungen

Mit stierem, todtenbleichem Angesichte,

Als er vernommen des Arcit Geschichte.

In dem Verstecke ließ es ihm nicht Ruh.

»Falscher Arcit!« – rief er – »Verräther, Du!

Jetzt hab’ ich Dich! – Du hast Dir ausgewählt

Dasselbe Weib, um das mein Herz sich quält!

Du bist mein Blut! Du bist verpflichtet mir

Durch Deinen Schwur! wie oft schon sagt’ ich’s Dir?!

Und nun hast Herzog Theseus Du betrogen,

Ihm einen falschen Namen vorgelogen!

So darf’s nicht sein! Ich oder Du mußt sterben!

Du sollst nicht um Emiliens Liebe werben,

Nur mir und keinem Andern steht das zu,

Denn ich bin Palamon – mein Todfeind Du!

Und fehlen mir auch Waffen hier zum Streit,

Da ich mich eben aus der Haft befreit,

Ich fürchte Nichts. Ich werde Dich erschlagen,

Willst Du fortan Emilien nicht entsagen.

Du kommst nicht fort! – Was Dir gefällt, erwähle!«

Jedoch Arcit mit haßerfüllter Seele

Zog, als er ihn erkannt und angehört,

So wüthend wie ein Löwe gleich sein Schwert

Und sprach: »Beim hohen Gott im Himmel droben,

Machte der Liebe Wahnsinn Dich nicht toben,

Und wär’ nur irgend eine Waffe Dein,

Du kämest nicht lebendig aus dem Hain,

Und fändest Deinen Tod durch meine Hand;

Denn ich zerreiße hiermit Bund und Band,

Wodurch ich – sagst Du – Dir verpflichtet sei.

Was, Narre! – ist die Liebe denn nicht frei?

Trotz aller Deiner Macht will ich sie lieben!

Bist Du der Ritter, der Du warst, geblieben,

Wirst Du mit mir den Kampf um sie bestehn,

Und, auf mein Wort! Du sollst mich morgen sehn

Ganz ohne Zeugen auf demselben Flecke,

Und wissen, daß ein Ritter in mir stecke.

Genug an Wehr und Waffen bring ich Dir,

Die besten wähle, laß die schlechtsten mir!

Mit Speis’ und Trank will ich zur Nacht Dich laben

Und Decken sollst Du für Dein Lager haben;

Und wenn Du die Geliebte Dir erringst,

Und hier im Wald mich um das Leben bringst,

So bleibe Deine Dame Dir als Preis!«

Und Palamon erwiderte: »So sei’s!«

Dann schieden sie. Verpfändet war ihr Wort

Zum Kampf für morgen an demselben Ort.

Ach, umbarmherz’ger Amor, ausgeschlossen

Hast Du als Herrscher jeden Mitgenossen.

Der Spruch bleibt wahr: daß Herrschaft, wie die Liebe

Am besten ohne Mitregenten bliebe.

Das finden auch Arcit und Palamon.

Rasch ritt Arcit dann nach der Stadt davon

Und schafft, sobald der Tag zu graun begann,

Zwei Rüstungen sich ganz im Stillen an,

Die wohl geeignet waren, um die Beiden

In ihrem Zweikampf passend zu bekleiden.

Dann stieg zu Roß er ganz allein und trug

Die Rüstungen auf seinem Sattelbug,

Und hin zu Palamon ritt nach dem Hain

Zur rechten Zeit er zu dem Stelldichein.

Wohl färbten sich der Beiden Wangen bleich.

– Dem Jägersmann auf Thraciens Gauen gleich,

Der, auf der Lauer steh’nd mit seinem Speer,

Wenn ein gehetzter Löwe oder Bär,

So Busch wie Blätter knickend, mit Gewalt

Raschelnd hervorbricht aus dem Unterwald,

Beständig denkt: »Da nah’t mein Todfeind sich!

Entweder er muß fallen oder ich;

Entweder ihm geb’ ich den Todesfang,

Sonst muß ich sterben, falls der Stoß mißlang;«

Erging es ihnen. – Ihre Farbe schwand,

Weil beiderseits sie sich zu wohl bekannt.

Nicht »Guten Tag« und nicht ein Grußeswort

Ward ausgetauscht. Doch halfen sie sofort

Einander, sich die Rüstung anzulegen,

So freundlich, wie es eigne Brüder pflegen.

Dann fuhren sie mit manchem Speeresstoß

Gar wunderlang scharf aufeinander los;

Man dächte wohl von Palamon mit Recht,

Ein wüth’ger Löwe führe das Gefecht,

Indeß ein grimmer Tiger sei Arcit.

Ganz wie zwei Eber man sich zausen sieht,

Mit weißem Schaum bedeckt und toll vor Wuth,

So fochten sie bis enkeltief im Blut.

Doch in dem Kampf will ich jetzt Beide lassen,

Um mich nunmehr mit Theseus zu befassen.

Das Schicksal, dieser Oberfeldmarschall,

Deß starke Hand das ganze Weltenall

Nach Gottes Vorbeschluß in Ordnung hält,

Ist übermächtig. Und, wenn alle Welt

Das Gegentheil beschwört bei Ja und Nein,

Ein Ding, das kommen soll, trifft dennoch ein,

Und käm’ es selbst nur alle tausend Jahr’!

Denn alles Menschenwollen wird fürwahr

– Sei’s Haß, sei’s Liebe, sei es Krieg, sei’s Frieden –

Nur durch den Lenker in der Höh’ entschieden.

Dies darf ich in Bezug auf Theseus sagen. –

Nach einem großen Maienhirsch zu jagen

War stets vor Allem seine Lust und Wonne;

Und jeden Tag war, früher als die Sonne,

Er schon gekleidet und zur Jagd bereit

Mit Hund und Horn und Jägern im Geleit.

Als Zeitvertreib und lustiges Ergötzen

Galt es ihm stets, den starken Hirsch zu hetzen.

Und seine größte Lust und Freude war’s

Dianen jetzt zu dienen, anstatt Mars.

Klar war der Tag, wie ich erwähnt vorhin,

Und Theseus mit der schönen Königin

Und mit Emilia, die sich Grün erwählt

Für ihren Anzug, eilte froh beseelt

Zur Jagd hinaus in königlichem Staat,

Und als er jenem Haine sich genaht,

In dem ein Hirsch – wie man ihm sagte – stand,

Ritt Theseus spornstreichs über Bach und Land,

Bis graden Wegs er zu der Stelle kam,

Wo jener Hirsch stets seinen Wechsel nahm.

Mit allen Hunden hinterdrein zu setzen,

Um ein- bis zweimal nach dem Hirsch zu hetzen,

Wie’s ihm gefiele, Theseus nun befahl.

Im freien Felde sah er durch den Strahl

Der hellen Sonne und nahm plötzlich wahr

Arcit und Palamon, die wie ein Paar

Erboßte Bullen miteinander rangen,

Und deren helle Schwerter gräßlich klangen,

Als wollten sie mit dem geringsten Streiche

Zu Boden fällen eine mächt’ge Eiche.

Der Herzog, der die Beiden nicht erkannte,

Fest in sein Roß die scharfen Sporen rannte

Und sprengte schleunigst zwischen sie hinein

Und zog sein Schwert und rief: »Gleich haltet ein!

Nicht weiter treibt’s, ist Euer Kopf Euch werth!

Beim mächt’gen Mars, wer noch einmal sein Schwert

Zum Streich erhebt, der ist dem Tod geweiht!

Doch nun erzählt mir, wer Ihr beide seid,

Daß ohne Zeugen, so geheimnißvoll

Ihr Euch bekämpft mit so gewalt’gem Groll,

Als ob Ihr wirklich in den Schranken ständet?«

Und Palamon, zu Theseus hingewendet,

Antwortete: »Was braucht’s der Worte viel?

Um unser beider Leben gilt das Spiel!

Verbrecher sind wir, jammervolle Wichte,

Des Lebens überdrüssig; darum richte

Als ein gerechter Herrscher unsre Schuld,

Und schenk’ uns keine Gnade, keine Huld!

Gieb aus Erbarmen mir den Todesstreich,

Doch meinem Kameraden auch zugleich,

Wenn nicht zuvor. Denn unerkannt steht hier

Arcit, Dein größter Todfeind jetzt vor Dir;

Er, den Du einst bei Kopfverlust verbannt,

Empfängt mit Recht den Tod aus Deiner Hand!

Er ist es, der sich Deinem Thor genaht

Mit falschem Namen, der als Philostrat

Dich liebe, lange Jahre schon betrogen,

Und den als Junker Du emporgezogen,

Und er auch ist es, der Emilia liebt!

Es nah’t der Tag, der meinen Tod mir giebt.

Und beichten will ich Alles schlicht und klar:

Ich bin der arme Palamon, fürwahr,

Der jüngst entsprang aus seiner Kerkerhaft,

Ich bin Dein Todfeind, welchen Leidenschaft

Zur herrlichen Emilie so durchdringt,

Daß er sein Leben gern zum Opfer bringt!

Dein Urtheil sprich! Gieb mir den Todesstreich,

Doch tödte den Genossen auch zugleich,

Da alle Beide wir den Tod verdienen.«

Der edle Herzog gab zur Antwort ihnen:

»Kurz ist mein Urtheil. – Euer eigner Mund

Hat Euch verdammt! Ihr machtet selber kund

Mir Eure Schuld durch Euer Eingeständniß.

Die Folter spart Ihr Euch durch dies Bekenntniß,

Doch sühnt nur Tod – beim mächt’gen Mars! – die Schuld!«

Die Königin, voll frauenhafter Huld,

Fing mit Emilie bitter an zu weinen,

Und allen Ehrendamen wollte scheinen,

Es sei zu jammervoll und mitleidslos,

Daß ihrer harren solle solches Loos.

Sie seien Herr’n von adeligem Stand,

Und nur aus Liebe sei ihr Streit entbrannt.

Und als die blut’gen Wunden sie gesehn,

So weit und tief, begannen sie zu flehn:

»Herr! mit uns Weibern allen habt Erbarmen!«

Und niederknieend, suchten zu umarmen

Sie seine Füße, bis zu guterletzt

In mildre Stimmung Theseus sie versetzt.

– Das Mitleid rasch ein edles Herz bewegt! –

Zuvor durch Zorn noch äußerst aufgeregt,

War seine Fassung bald zurückgewonnen,

Als er der Schuld von Beiden nachgesonnen,

Und ihrem Grunde. Denn, ob grimmentbrannt,

Entschuldigte sie dennoch sein Verstand.

Er dachte so: Wohl mag ein jeder Mann

Sich in der Liebe helfen, wie er kann.

Und Jeder mag sich auch der Haft entziehn.

Und da die Weiber immerwährend schrien,

Begann im Busen Mitleid sich zu regen

Und zu sich selbst nach stillem Ueberlegen

Sprach bald sein Herz: Pfui! wahrlich, wär’ es schade,

Wenn sich ein Herr, verschlossen jeder Gnade,

In Wort und That stets wie ein grimmer Leu

Dem Manne zeigt, der voller Furcht und Reu’,

Wie dem, der in verachtungsvollem Wahn

Stets aufrecht hält, was er zuerst gethan.

Von wenig Urtheilskraft giebt den Beweis

Ein Herr, der nicht zu unterscheiden weiß,

Demuth und Stolz auf gleicher Wage messend.

Und als er, seines Zornes rasch vergessend,

Mit klaren Blicken rings umher geschaut,

Sprach er das still Gedachte darauf laut:

»Du Liebesgott! Ei, benedicite!

Du großer, mächt’ger Herr, wo leistet je

Das größte Hinderniß Dir Widerstand?

Mit vollem Rechte wirst Du Gott genannt

Ob Deiner Wunder; denn in unsrer Brust

Lenkst Du das Herz nach Willkür und nach Lust!

Das sieht man an Arcit und Palamon,

Die jetzt in Theben, ihrer Haft entflohn,

Ein ehrenvolles, sichres Dasein fänden;

Und beide wissen, daß in meinen Händen

Sie in der Macht von ihrem Todfeind sind;

Und dennoch macht die Liebe sie so blind,

Daß offnen Auges in den Tod sie rennen!

Ist das, führwahr, nicht Wahnsinn zu benennen?

Was kommt an Thorheit je der Liebe gleich?

Nun, seht sie an! – Beim Gott im Himmelreich!

Wie sind sie zugerichtet, wie voll Wunden!

Das ist der Lohn, mit dem sie abgefunden

Für ihren Dienst Ihr Herr, der Gott der Liebe!

– Indeß, was ihnen vorbehalten bliebe,

Stets dünken sich der Liebe Diener klug. –

Doch spaßhaft ist’s in diesem Fall genug,

Daß sie, um deren Liebe sie gezankt,

Wie ich, gar wenig für die Mühe dankt.

Bei Gott! ein Kuckuk oder Hase weiß

Wohl mehr als sie, warum ihr Kampf so heiß?

Der Liebe Wechselfieber, warm und kalt,

Macht stets zu Thoren, sowohl jung, als alt.

Das hab’ ich an mir selbst in jungen Jahren,

Als ich in ihrem Dienst noch stand, erfahren;

Und, da der Liebe Leid ich selbst gefühlt,

Und weiß, wie sie in Männerherzen wühlt,

Und selbst in ihren Netzen oft gefangen,

So sei auch Euch die That, die Ihr begangen,

Da meine Königin mich auf den Knie’n,

Sowie Emilie darum bat, verziehn.

Gebt Ihr sofort mir Euren Schwur zum Pfande,

Daß Ihr dem Aufenthalt in meinem Lande

Und jedem Kriege wider mich entsagt,

Und Euch als meine Freunde stets betragt,

So sprech’ ich von der Schuld Euch los und ledig!«

Nun priesen sie den Herrn als gut und gnädig,

Und schwuren, zu gehorchen seinem Wort;

Und als er sie begnadigt, fuhr er fort:

»Was Reichthum anbelangt und Fürstenblut,

So seid Ihr beide zweifelsohne gut

Und werth genug, zu lenken Euren Sinn

Auf eine Fürstin, eine Königin.

Doch was Emilie hierbei anbelangt,

Um die im Kampf Ihr eifersüchtig rangt,

So kann sie zwei nicht nehmen, – das ist klar!

Ja, wolltet streiten Ihr auf immerdar,

So muß doch einer – das ist zu begreifen –

Gern oder ungern auf dem Grashalm pfeifen!

Mit einem Wort, sie kann nicht Beide frein,

Mögt Ihr auch noch so eifersüchtig sein.

Und aus dem Grunde setzt’ ich Euch in Stand,

Daß Euer Loos Ihr aus des Schicksals Hand

Empfangen könnt. – Nun horcht, damit Ihr wißt,

Was über Euch bei mir beschlossen ist!

Dies ist mein Wille, der, bestimmt und fest,

Durch keinen Einwand sich mehr ändern läßt.

Nehmt ihn zum Besten auf, wenn’s Euch gefällt:

Wohin Ihr wollt, geht ohne Lösegeld

Und frei von Furcht vor jeglicher Gefahr

Mit dem Beding, daß heut’ in einem Jahr

Ein jeder heim mit hundert Rittern kehrt,

Nach allen Regeln des Turniers bewehrt,

Und frei gewillt, für sie den Speer zu brechen;

Und ohne Rückhalt will ich Euch versprechen,

So wahr ich ehrlich und ein Ritter bin,

Wem von Euch beiden zufällt der Gewinn

– Und das will sagen, wer von Euch, vereint

Mit jenen hundert Rittern, seinen Feind

Erschlagen kann und treiben aus den Schranken –

Der mag dem Glück die holde Gabe danken,

Dem sei als Weib Emilia verliehn.

Auf diesem Platz will ich die Schranken ziehn.

Und wie mir Gott die Sünden mag verzeihn,

So will ich Euch ein treuer Richter sein.

Kein andrer Weg bleibt für Euch einzuschlagen;

Einer muß sterben, oder muß entsagen.

Hab’ ich hierin mit Billigkeit entschieden,

So stimmt mir bei und gebet Euch zufrieden.

Was Euch bestimmt, bleibt unabänderlich!«

Wer freute mehr als Palamon nun sich,

Wer blickte nun vergnügter als Arcit?

Wie kann erzählen, wie besingt mein Lied,

Den freud’gen Beifall, der im Kreis erscholl,

Als Theseus schloß so schön und gnadenvoll?

Hin auf die Knie’ sank Jeder in der Runde

Und gab ihm Dank aus tiefstem Herzensgrunde,

Und die Thebaner dankten ihm zumeist.

Mit hoffnungsvollem Herzen, frischem Geist

Dann Abschied nehmend, sah man ohne Weilen

Zu Thebens alten Wällen Beide eilen.

Man möchte leicht auf mich als lässig schmälen,

Wollt’ ich vom Bau der Schranken Nichts erzählen,

Den Theseus mit Geschäftigkeit vollbracht.

Nie ward mit solcher königlichen Pracht

Auf dieser Welt – das darf mit Recht ich sagen –

Ein zweiter Schauplatz jemals aufgeschlagen.

Auf eine Meile rings umher umgaben

Den Platz ein Steinwall und ein breiter Graben.

Bis sechzig Fuß hoch stiegen rings im Kreise

Sitzreihen auf, gebaut in solcher Weise,

Daß unbehindert durch den Vordermann

Von jedem Platz ein Jeder sehen kann.

Aus weißem Marmor ragte je ein Thor

Nach Osten und nach Westen hin empor.

Um kurz zu schließen, rascher hergestellt

Ward solch ein Bau nicht in der ganzen Welt,

Es war kein Handwerksmann im ganzen Land,

Der etwas Meß- und Rechenkunst verstand,

Kein Mann, der Bilder schnitzte, oder malte,

Den Theseus nicht verpflegte, nicht bezahlte,

Den Schauplatz zu entwerfen und gestalten.

Um um den heil’gen Opferdienst zu halten,

Ward auf dem Thor, das gegen Morgen war,

Der Liebesgöttin Venus ein Altar

Nebst einem Tempelschrein erbaut; wogegen

Ein gleicher Schrein, jedoch nach West gelegen,

Dem Kriegsgott zum Gedächtniß ward verehrt,

Der wohl an Gold ein volles Fuder werth.

Und nordwärts stand in einem Thurm am Walle

Ein Altar, reich vom Schmuckwerk der Coralle

Auf weißem Alabastergrund umsäumt,

Von Theseus für Diana eingeräumt,

Und ihrer Keuschheit würdig angemessen.

Doch aufzuzählen darf ich nicht vergessen

Die edlen Bilderwerke, die Sculpturen,

Form, Haltung und Gestalt von den Figuren,

Mit denen ausgeschmückt war jede Halle.

Zuvörderst sah man dargestellt am Walle

Des Venustempels, schrecklich anzuschauen,

Wehklagen, bittre Seufzer und das Grauen

Schlafloser Nächte, heil’ge Jammerthränen;

Die Feuersgluth der Brunstbegier von denen,

Die in der Liebe Diensten einst gestanden,

Die Schwüre und Versprechen, die sie banden;

Hoffnung und Lust, Vernarrtheit und Begier,

Ausschweifung, Reichthum, Schönheit, Jugendzier,

Gewalt und List, Verführung, Zaubertränke,

Gold, Schmeichelei und lügenvolle Ränke,

Und Eifersucht, geschmückt mit gelbem Band,

Und einen Kuckuk haltend in der Hand;

Musik und Tänze, Feste, wie Gesänge

Mit aller Art von Lust und von Gepränge.

Was nur als Zubehör der Liebe gilt,

Fand, wie befohlen, an der Wand sein Bild,

Und Manches mehr, als ich erzählen kann.

Geschildert an der Tempelwand sah man

Sogar den ganzen Berg Cythäron ragen

Mit allen Gärten, allen Lustanlagen,

Den Venus sich zum Lieblingssitz erkor.

Als Pförtner saß der Müßiggang am Thor.

Man sah Narciß, den Geck der alten Zeit,

Und Salamonis Gottvergessenheit.

Nicht fehlte dort vom Herkules die Stärke,

Noch Circes und Medeas Zauberwerke;

Der Feuermuth, der Turnus einst beseelte,

Die Knechtschaft nicht des reichen Krösus fehlte.

So könnt ihr sehen: Muth noch Reichthum ist,

Noch Stärke, Schönheit, Weisheit oder List

Vermögend vor der Venus zu bestehn.

Wie ihr’s gefällt, so muß die Welt sich drehn!

Die Leute, seht! lockt sie ins Netz hinein,

Und hinterher kommt Seufzen, Noth und Pein.

Ein Beispiel, mag Euch, oder zwei, genügen,

Doch tausende wüßt’ ich hinzuzufügen.

Das Marmorbild der göttlichen Cythere

Erhob sich nackend aus dem weiten Meere;

Krystallenhell sah man die grünen Wellen

Vom Nabel abwärts ihren Leib umschwellen,

Und ihre Leyer hielt sie in der Hand;

Ein frischer, duft’ger Rosenkranz umwand

Ihr Haupt, um welches ihre Tauben flogen,

Die, in den Lüften flatternd, sie umzogen.

Ihr Sohn, Cupido, mit dem Flügelpaar

An seinen Schultern vor ihr stand, und war

Auch hier, wie sonst, als Blinder dargestellt,

Der Pfeil und Bogen in den Händen hält.

Warum soll ich nicht ebenmäßig schildern,

Wie ausgeschmückt war mit verschiednen Bildern

Der Länge und der Breite nach die Wand,

Wo der Altar des blut’gen Kriegsgotts stand.

Gleich grauenvoll wie die Estraden war’s

In Thraciens großem Tempelhaus des Mars,

In jener kalten, frostigen Region,

Wo Mars errichtet seinen Götterthron.

Gemalt am Walle stand zunächst ein Wald

Mit dürren Bäumen, knotig, knorrig, alt,

Und morschen Stümpfen, gräulich anzusehen.

Nicht Mensch noch Thier war ringsum zu erspähen;

Ein Rascheln und ein Rauschen nur war rege,

Als ob ein Sturm die Aeste niederfege.

Und unter einem Hügel stand im Thal,

Durchaus erbaut aus hartgebranntem Stahl,

Vom allgewalt’gen Mars das Tempelhaus;

Eng war der Eingang und sah grausig aus.

Ein heft’ger Zugwind drang daraus hervor

Und öffnete gewaltsam jedes Thor.

Es fiel das Nordlicht durch die Thür allein,

Sonst schien kein Tag in diesen Raum hinein,

Denn ohne Fenster war ringsum die Wand.

Aus ewig dauerbarem Adamant

Bestand die starke Thüre, welche schwer

Beschlagen war mit Eisen kreuz und quer;

Und tonnengroße Stahlpilaster stützten

Den Tempelbau und schimmerten und blitzten.

Dort sah zunächst ich düstre Schauerbilder

Von todeswürdigen Verbrechen wilder

Gewalt, des Zornes glüh’nde Feueresse,

Den Beutelschneider, des Entsetzens Blässe,

Den Lächler mit dem Messer im Gewand,

Und Stall und Scheuer, rauchgeschwärzt durch Brand;

Den Meuchelmord am Schläfer in der Nacht,

Blutrünst’ge Wunden offner Kriegesschlacht,

Und scharfes Drohen, blut’gen Messerstreit.

Ein schaurig Knarren tönte weit und breit;

Selbstmörder sah ich, deren Haar am Kopf

Ihr Herzblut färbte, während in den Schopf

Die Hand sich krampfhaft mit den Nägeln krallte;

Kalt grinste Tod mit offner Mundesspalte;

Das Unglück in des Tempels Mitte stand,

Betrübniß und Verzweiflung ihm zur Hand.

Ich sah das Lachen wilder Raserei

Geläster, Lärm von Waffen und Geschrei,

Im Busche Leichen, deren Hals durchschnitten,

Und tausende, die jähen Tod erlitten,

Zerstörte Städte, die verkehrt zu Staub;

Sah den Tyrannen mit der Beute Raub,

Sah Schiffe flammend auf dem Meere schwanken,

Erwürgt den Jäger durch des Bären Pranken,

Das Wiegenkind von Säuen aufgefressen,

Den Koch verbrüht im selbstgekochten Essen;

Und zu des Gottes Opfern zählte ferner

Der von dem Karren überfahrne Kärrner,

Der unterm Rade sich am Boden wand.

Es zählten gleichfalls zu dem Heerverband

Des grimmen Mars auch noch die Bogenschnitzer,

Die Panzerschmiede, Schwert- und Degenspitzer.

Hoch über Allen thronte voller Prunk

Auf Thurmeszinnen die Eroberung;

Ein scharfes Schwert ob ihrem Haupte schwebte

Am dünnsten Faden, den die Spinne webte.

Geschildert war der Mord des Julius,

Des großen Nero, des Antonius.

– Obwohl zu dieser Zeit noch ungeboren,

War schon der Tod, zu dem sie auserkoren,

Auf Mars’ Geheiß im Bilde dargestellt;

Wie aufgezeichnet auch am Himmelszelt

Bereits das Schicksal jedes Menschen steht,

Der einst zu Grund’ durch Mord und Liebe geht. –

Genügend sei’s ein Beispiel auszuwählen;

So viele gab’s, ich konnte sie nicht zählen.

Vom wilden Mars sah man auf einem Wagen

Im Waffenschmuck das grimme Standbild ragen,

Und über seinem Haupte nahm man wahr

Zwei Sterngebilde, glänzend, hell und klar,

Rubeus und Puella – oft genannt

In alten Schriften. – Ihm zu Füßen stand

Ein rothgeäugter Wolf; in Stücke riß

Den Leichnam eines Menschen sein Gebiß.

In solcher Weise schmückten Meisterhände,

Dem Mars zu Ehren, seines Tempels Wände.

Laßt von der züchtigen Diana jetzt

Den Tempel mich betreten, um zuletzt

Die Bilder Euch beschreibend darzustellen,

In denen abgeschildert an den Wällen

Die Jagdlust war, sowie der Keuschheit Scham.

Hier sah Kallisto ich in ihrem Gram,

Und wie sodann in einer Bärin Leib

Dianas Zorn verwandelt dieses Weib,

Das jetzt als Leitstern hoch am Himmel strahlt.

Mehr sag’ ich nicht; denn so war es gemalt.

– Ihr Sohn glänzt auch als Stern im Himmelsraum. –

Die Dane sah verwandelt ich zum Baum.

– Ich meine nicht die züchtige Diane,

Vielmehr des Peneus Tochter, Namens Dane. –

Zum Hirsche sah Aktäon ich gemacht,

Weil er des Leibes unverhüllte Pracht

Dianas sah, und welcher von den Bissen

Der eignen Hunde, unerkannt, zerrissen.

Und weiterhin ich noch im Bild erkannte,

Den wilden Eber jagend, Atalante,

Den Meleager und, wer sonst empfand

Qualvolle Leiden durch Dianas Hand.

Was es dort sonst noch gab an Wunderdingen

Will ich nicht weiter in Erinnrung bringen.

Auf einem Hirsch sah ich die Göttin schweben,

Von ihren Hunden ringsumher umgeben.

Zu ihren Füßen sich ein Mond befand,

Der wachsend zunahm und abnehmend schwand.

Ein grünliches Gewand den Leib umschloß,

Sie führte Bogen, Köcher und Geschoß;

Ihr keuscher Blick fiel nieder zur Region,

Wo aufgerichtet Plutos düstrer Thron;

Und vor ihr lag in Mutterweh’n ein Weib,

Das zur Lucina flehte, ihren Leib

Von seiner schweren Bürde zu befrein.

»O, hilf mir!« – schrie sie – »Du vermagst’s allein!«

Treu wie das Leben dies der Künstler malte,

Der manchen Gulden für die Farben zahlte.

Die Schranken stehn. – Es ist der Bau vollendet,

Auf welchen Theseus so viel angewendet;

Und hocherfreut, sah er die Tempelhallen

Sowie den Schauplatz herrlich ausgefallen.

Doch nun verlass’ ich Theseus eine Weile,

Daß zu Arcit und Palamon ich eile.

Sehr nah’ gerückt war nunmehr schon die Zeit,

Zu der ein jeder – wie gesagt – zum Streit

Mit hundert Rittern wiederkehren sollte.

Und nach Athen – wie der Vertrag es wollte –

Ein jeder auch mit hundert Rittern kehrt,

Ganz regelrecht bewaffnet und bewehrt.

Es dachte Mancher sicherlich im Sinn,

Daß es wohl nie seit dieser Welt Beginn,

So weit von Gott das Land und Meer erschaffen,

Was Ritterthum betrifft und Glanz der Waffen,

Solch ausgesuchte Compagnie gegeben.

Denn jeder Ritter, dessen kühnes Streben

Dem Ruhme galt, verfolgte nur das Ziel,

Antheil zu nehmen an dem Waffenspiel,

Und glücklich pries sich jeder Kampfgefährte.

Wenn solch ein Anlaß morgen wiederkehrte,

Man fände, traun, noch manches Ritterherz

In England sicherlich, wie anderwärts,

Wohl kühn genug und par amour gewillt,

Wenn es den Kampf um eine Dame gilt,

Sich einzustellen. – Benedicite

Solch lust’ges Schauspiel ich gern selber säh’!

So war es auch mit Palamon bestellt,

Dem sich manch tapfrer Ritter zugesellt.

In einem Harnisch sah man diesen reiten,

Im Bruststück und im Waffenrock den zweiten;

Der hat sich in ein Panzerhemd gehüllt,

Der führt die Tartsche, der ein preußisch Schild;

Beinschienen hat sich jener angelegt,

Die Keule dieser, der die Streitaxt trägt,

Bewaffnet, wie es grade ihm beliebt

Und ich erzählt, da es nichts Neues giebt,

Was nicht bekannt im Alterthume schon.

Zuvörderst könnt Ihr neben Palamon

Lykurgus, Thraciens König, dort gewahren

Mit kühnem Antlitz, schwarz von Bart und Haaren.

Aus seinem großen, runden Augenpaar,

Das glühend gelb und roth von Farbe war,

Schien unter langbehaarten Augenbrauen

Gleich einem Greifen er hervorzuschauen.

Die Knochen hart, die Glieder reckenhaft,

Die Schultern breit, die Arme voller Kraft,

Stand er, wie es Gebrauch in seinem Land,

Auf einem goldnen Wagen, der bespannt

Am Zugseil mit vier weißen Stieren war.

Ein Bärenfell mit kohlenschwarzem Haar

Auf dem, wie Gold, Metallbeschlag erblitzte,

Den Harnisch statt des Wappenrockes schützte.

So glänzend schwarz, wie dunkle Rabenschwingen,

Tief in den Nacken ihm die Haare hingen.

Ein schwerer, goldner Kranz, in dem Rubinen

Und Diamanten funkelten und schienen,

War armesdick ihm um das Haupt gewunden,

Und eine Schaar von zwanzig weißen Hunden,

Bestimmt den Löwen und den Hirsch zu jagen,

Und groß wie Stiere, folgten seinem Wagen.

Maulkörbe, sowie Ringe für die Leite,

Verziert mit reinem Golde, trug die Meute.

Einhundert Ritter folgten als Begleiter,

Kühnherz’ge, starke wohlbewährte Streiter.

Und mit Arcit kam, wie Berichte künd’gen

Emetrius, der König von ganz Indien,

Stolz wie der Kriegsgott Mars auf braunem Roß,

Um welches sich ein Eisenpanzer schloß,

Von goldgeblümten Decken rings umgeben.

Den Wappenrock aus tharsischen Geweben

Umgab ein dicker, weißer Perlensaum,

Und golden war der Sattel und der Zaum.

Den Mantel, der von seinen Schultern wehte,

Rubinenglanz mit Feuer übersä’te.

Der gelben Haare krauser Lockenkranz

Erschimmerte wie goldner Sonnenglanz.

Rund war sein Lippenpaar, die Nase kühn,

Wie Goldcitronen seiner Augen Glüh’n,

Mit Purpur war sein Antlitz übergossen

Und leicht betupft mit braunen Sommersprossen.

An Alter fünfundzwanzig Jahre kaum,

Ersproßte mächtig schon des Bartes Flaum.

Dem wilden Löwen glich sein Blick an Grimme,

Und wie der Donner schallte seine Stimme.

Ein grüner Lorbeerkranz sein Haupt umwand,

Gefällig anzuschaun. Auf seiner Hand

Saß ein gezähmter, lilienweißer Aar,

Der seine Lust, sowie sein Liebling war.

Einhundert Ritter führt’ er im Geleite,

Von Kopf zu Fuß geharnischt, und zum Streite

Versehn mit Wehr und Waffen jeder Art.

Im Kreise, den hier Rittersinn geschaart

Und Kampfeslust, fand man, fürwahr, nicht wen’ge,

Die Grafen waren, Fürsten oder Kön’ge;

Und um den Herrscher sah auf allen Seiten

Man zahme Leu’n und Leoparden schreiten.

Hin nach Athen lenkten in solcher Weise

Die edlen Herren sämmtlich ihre Reise

Und langten früh an einem Sonntag an.

Als sie der edle Herzog Theseus dann

Empfangen und zur Stadt hineingeführt

Und nach dem Range Jeden einquartirt,

Gab er sich alle Mühe, um durch Feste

Zu ehren und erheitern seine Gäste.

Und keines Mannes Witz – was auch sein Stand –

Daran – so denk’ ich – zu verbessern fand.

Von Minnesängern, Pagen, Edelknaben,

Den Allen zugetheilten Ehrengaben,

Mit welcher Pracht man Theseus’ Palast schmückte,

Wen erst’, wen letzt’ der Ehrensitz beglückte,

Wer von den Damen dort am besten tanzte,

Wer im Gesang und Spiele die gewandt’ste,

Wer am beredt’sten in der Liebessprache,

Wie groß der Schwarm der Falken unterm Dache,

Wie zahlreich auf der Flur die Schaar der Hunde,

Davon geb’ ich Euch weiter keine Kunde;

Am besten bleib’ ich bei dem Sachverlauf.

Jetzt kommt der Punkt! Wenn’s euch gefällt, paßt auf!

Sonntags zur Nacht, eh’ noch der neue Tag

Hereingebrochen, weckte Lerchenschlag

Den Palamon; denn, ob zwei Stunden lang

Die Nacht noch währte, schon die Lerche sang.

Und Palamon stand auf, mit heil’gen Sinnen

Und frischem Muth, die Wallfahrt zu beginnen,

Daß er die segenspendende Cythere

– Die würd’ge Venus mein’ ich – fromm verehre,

Und lenkte zu der Göttin heil’ger Stunde

Den Schritt zum Tempel in der Schranken Runde.

Dort niederknie’nd in Demuth zum Gebete,

Er wunden Herzens mit den Worten flehte:

»Der Schönen Schönste, Venus, hör’ mich an!

Du Tochter Jovis, Gattin des Vulkan,

Cythärons Lilie, Du, die liebentbrannt

Einst Deine Huld Adonis zugewandt,

Erbarme Dich auch meiner bittern Schmerzen,

Und nimm mein demuthsvolles Fleh’n zu Herzen!

Ach! keine Sprache find’ ich, auszumalen

Den Umfang und die Hölle meiner Qualen!

Mein armes Hirn kann nicht in Worte kleiden

Des Herzens Harm, der Seele stummes Leiden.

Erbarmen, hohe Frau! denn unverborgen

Ist Dir mein Denken, mein geheimstes Sorgen.

Betrachte dies, und mildere mein Leid!

Und ich verspreche, mich zu jeder Zeit

Als Dein getreuer Diener zu bewähren

Und ew’gen Krieg der Keuschheit zu erklären.

Das ist mein heil’ger Schwur. Nun helfe mir!

Ich fordre Waffenhülfe nicht von Dir,

Nicht eitlem Ruhm gilt meines Herzens Sorgen,

Nicht um den Sieg fleh’ ich im Kampf für morgen,

Um Schutz, um Glück nicht in des Streites Hitze;

Nein, daß Emilia völlig ich besitze,

Um ihrem Dienst mich bis zum Tod zu weihn,

Ersinne Wege, dieses zu verleihn!

Ich sorge nicht, mir gilt es einerlei,

Ob ich der Sieger, der Besiegte sei,

Wenn ich ans Herz nur die Geliebte drücke.

Denn lenkt auch Mars im Kampfe die Geschicke,

Kannst Du mir doch, da Deine Macht so groß

Im Himmel ist, verleihn der Liebe Loos.

Wo ich auch geh’ und stehe, immerdar

Will ich in Deinem Tempel am Altar

Die Flammen schüren und Dir Opfer weihn.

Doch soll dem also, theure Frau, nicht sein,

So laß Arcit mir morgen mit dem Speere

Das Herz durchstechen! Diese Gunst gewähre!

Dann mag sie – mir kann’s gleich sein – durch mein Sterben

Arcit gewinnen und zum Weib erwerben.

Doch immerhin bleibt mein Gebet zu Dir:

Du Segensreiche, gieb die Theure mir!«

Nachdem des Palamon Gebet zu Ende,

Vollzog er demuthsvoll die Opferspende.

Doch nicht erzählen kann ich Euch vom ganzen

Ceremoniel und allen Observanzen.

Zuletzt bewegte sich der Venus Bild,

Ein Zeichen gebend; und ihm war enthüllt,

Daß seine Bitte von ihr angenommen.

War auch das Zeichen zögernd nur gekommen,

Daß sie sein Fleh’n erhört, war ihm bewußt,

Drum ging er heim mit froh bewegter Brust.

Als drei Planetenstunden dann entflohn,

Seitdem zur Venus wallte Palamon,

Erhob die Sonne sich. Bei ihrem Schein

Erhob sich auch Emilia, um zum Schrein

Dianas sich zu wenden, in Begleitung

Der Mägde, die, was nur zur Vorbereitung

Des Gottesdiensts gehörte, mit sich brachten,

Wie Feuer, Weihrauch und wie Opfertrachten.

Und Hörner, nach Gebrauch gefüllt mit Meth.

Vergessen war kein einziges Geräth.

Im reichbehangnen Tempelhaus begann

Sie muthbeseelt die Räucherung sodann,

Und wusch im Quell des Brunnens ihre Glieder.

Doch, wie sie’s that, bericht’ ich hier nicht wieder;

Ganz allgemein nur kann ich es berühren,

So reizend wäre, Alles anzuführen.

– Dem Reinen, freilich, bleibt ja alles rein;

Doch hört ein Mann nie auf ein Mann zu sein. –

Des wohlgekämmten Haares reicher Glanz

Von ihrem Haupte wallte, das ein Kranz

Von immergrünem Eichenlaub umwand.

Zwei Feuer häufend für den Altarbrand,

Schritt sie ans Werk, wie uns Bericht gegeben

In alten Büchern Statius von Theben.

Und zur Diana sprach sie dann verschämt,

Das Feuer schürend, was Ihr jetzt vernehmt:

»O, keusche Göttin in dem grünen Hain!

Erd’, Meer und Himmel sieht das Auge Dein,

Beherrscherin von Plutos düstrem Land,

Der Mädchen Göttin, die mein Herz erkannt

Und all sein Wünschen schon seit langen Jahren,

Nicht Deiner Rache Zorn laß mich erfahren,

Wie schmerzensvoll Aktäon ihn erfuhr!

Du keusche Göttin, all mein Sehnen nur

War, wie Du weist, daß ich stets Jungfrau bliebe,

Verschont von jeder Ehe, jeder Liebe;

Da ich als Mädchen und als Jägerin

Von Deinem Kreise die Gefährtin bin.

Der Wald, die Jagd ist einzig mein Begehren,

Nicht Weib zu sein und Kinder zu gebären,

Nicht einem Mann Genossenschaft zu halten!

Du, die mir beistehn kann in drei Gestalten,

Sei auch zur Hülfe gnädig mir gewillt.

Erhöre Du mein Flehen, denn es gilt

Sowohl für Palamon, der mich verehrt,

Als für Arcit, der gleiche Liebe schwört;

Gieb Beiden Frieden, Beiden Eintracht sende,

Und von mir ab der Beiden Herzen wende,

Daß ihre Qual und heiße Liebesbrunst

Erlöschen möge, oder ihre Gunst

Und ihr Verlangen sie auf Andre lenken.

Doch willst Gehör Du meinem Fleh’n nicht schenken,

Soll unabänderlich mein Schicksal sein,

Vermählt zu werden einem von den Zwei’n,

So gieb mir den, der mich am meisten liebt!

Sieh, reine, keusche Göttin, wie betrübt

Auf meine Wangen bittre Zähren fallen!

Jungfräuliche Regentin von uns Allen,

Mein Mädchenthum erhalte! dann ergeben

Bleib’ Deinem Dienst ich für mein ganzes Leben!«

Auf dem Altar das Doppelfeuer brannte,

Als ihr Gebet Emilia aufwärts sandte.

Doch seltsam war, was plötzlich sie erblickte.

Das eine von den Feuern rasch erstickte,

Doch gleich darauf von Neuem roth und hell

Flammt’s wieder auf, indem das andre, schnell

Erlöschend, starb mit wundersamem Zischen,

Wie ein Stück Holz, geschnitten aus zu frischen

Und grünen Aesten, solches oftmals thut;

Und aus den Enden quoll statt Wasser Blut.

Emilia sah’s, und so entsetzt war sie,

Daß sie vor Schrecken, wie im Wahnsinn, schrie.

Sie wußte nicht, was die Erscheinung meinte,

Es war aus Furcht allein, daß sie so weinte

Und jammernd schrie, wie nie ein Ohr vernahm.

Und währenddem Diana selber kam,

Als Jägerin, den Bogen in den Händen,

Und sprach: »O, Tochter, laß Dein Trauern enden!

Mit ew’gen Worten steht längst aufgeschrieben

Der hohen Götter Rathschluß, die belieben,

Dich einem von den Beiden zu vermählen,

Die sich in Leid und Sorgen um Dich quälen.

Doch wem? ist mir verboten, mitzutheilen.

Nun, lebe wohl! Nicht länger darf ich weilen;

Wie auf dem Altar loderten die Feuer,

So werden sich vom Liebesabenteuer

Dir die Geschicke dermaleinst entwirren!«

Die Göttin sprach’s, und unter hellem Klirren

Der Pfeile, die sie in dem Köcher trug,

Ging und entschwand sie. – Doch, erstaunt genug,

Verblieb Emilia, welche klagend sprach:

»Was hat dies Alles zu bedeuten? Ach!

Ich hatte Deinem Schutze mich vertraut,

Auf Deine Güte, Göttin, fest gebaut!«

Dann brach sie gradeswegs zur Heimkehr auf.

Mehr sag’ ich nicht – doch so war der Verlauf.

Zur Stunde, die zunächst dem Mars geweiht,

Stand auch Arcit im Tempel schon bereit,

Dem grimmen Gott sein Opfer darzubringen,

Wie heidnische Gebräuche dies bedingen.

Mit andachtsvollem, frommem Herzen flehte

Er zu dem Mars in folgendem Gebete:

»O, starker Gott, den Thraciens kaltes Reich

Als Herrscher fürchtet und verehrt zugleich,

Der Du in jeder Gegend, jedem Land

Der Waffen Zügel hältst in Deiner Hand,

Der Du nach Willkür austheilst Gunst und Glück,

Lenk’ auf mein Opfer gnädig Deinen Blick,

Wenn Du vermeinst, daß mir trotz meiner Jugend

Zu Deinem Dienst die Kraft nicht fehlt und Tugend!

Willst Du mich rechnen zu der Deinen Zahl,

So bitt’ ich Dich, erbarm’ Dich meiner Qual

Bei jenen Schmerzen, jenem Gluthverlangen,

Bei den Begierden, die Dein Herz durchdrangen,

Als Du den frischen, weißen Leib genossen

Der schönen, jungen Venus, die umschlossen

Dein Arm in glühender Umfangung hielt!

– Wenn Dir auch einmal übel mitgespielt,

Als Dich die Schlinge des Vulkans umwand,

Und er – o weh! – Dich bei der Gattin fand.–

Gedenke drum, da Du im eignen Herzen

Die Qual gefühlt, mitleidig meiner Schmerzen!

Jung bin ich, unerfahren, wie Du weißt.

Von allen Erdenwesen wohl zumeist

Hab’ ich der Liebe Kränkungen erduldet;

Und ihr, die alle meine Qual verschuldet,

Gilt es dasselbe, ob ich untergehe,

Ob oben schwimme; und wenn ich bestehe

Im Kampfe nicht, ist meine Hoffnung hin!

Ich weiß, wie ohne jede Kraft ich bin,

Stehst Du mir morgen gnädig nicht zur Seite.

Sei darum Helfer mir, o Herr, im Streite!

Bei Deiner Liebe, die Dein Herz gefühlt,

Bei meiner Liebe, die mein Herz durchwühlt,

Bitt’ ich, mir Sieg im Kampfe zu verleihn;

Mein sei die Arbeit und der Ruhm sei Dein!

Von allen Göttertempeln hier auf Erden

Soll höchst verehrt von mir der Deine werden,

Dich zu erfreuen, will ich Alles thun!

In Deinem Tempel soll mein Banner ruhn

Und alle Waffen meiner Kampfgenossen.

Ich will, bis daß mein Lebenslauf geschlossen,

Ein ew’ges Altarfeuer Dir errichten,

Und mich dabei durch einen Schwur verpflichten,

Des Hauptes langes Haar und meinen Bart

Dir hinzugeben, ob bislang bewahrt

Vor Messer und vor Scheere sie geblieben.

Ich will Dich stets als treuer Diener lieben!

Nun, Herr, erbarm’ Dich meiner Sorgen Schwere,

Gieb mir den Sieg! Nichts andres ich begehre!«

So endend hatte sein Gebet gesprochen

Der männliche Arcit, als lautes Pochen

Am Thor ihn schreckte, sowie helles Klingen

Und mächt’ges Klirr’n von seinen Eisenringen;

Und hell beleuchteten die Flammenbrände

Auf dem Altare rings die Tempelwände,

Und Wohlgeruch dem Boden sich entwand.

Als frischen Weihrauch dann mit voller Hand

Arcit dem Altarfeuer zugesetzt

Und jeden Brauch vollführt, vernahm entsetzt

Er laut am Bild des Mars den Panzer klirren,

Und, wie ein dumpfes Murmeln, leises Schwirren,

Drang in sein Ohr das Wort: »Victoria!«

Wohl sang dem Mars nun Ehr’ und Gloria

Arcit, der freudevoll und herzensfroh

Nach Hause kehrte, hoffnungsreich und so

Vergnügt, wie Vögel in dem Sonnenschein.

Doch um die Gunst, die jedem von den Zwei’n

Verheißen war, im Himmel sich entzweite

Die Venus mit dem Mars, und in dem Streite

Der Liebesgöttin und des Gott’s der Waffen

Versuchte Frieden Jupiter zu schaffen.

Jedoch nur dem Saturn, dem kalten, bleichen,

Geschichtenkund’gen und erfahrungsreichen,

Und schlau gewandten fiel das Mittel ein,

Den Streit zu schlichten zwischen den Partei’n.

– An Weisheit, wie an Rath steht oben an

Das Alter, und der Spruch hat Recht: man kann

Es überthaten, doch nicht überrathen. –

Und um den Zank und Streit, in den gerathen

Die eignen Kinder, wieder beizulegen,

War auch Saturn nicht um den Weg verlegen.

»Venus, mein Kind!« – so sprach Saturn zu ihr –

»Mein langer, weiter Weltenlauf giebt mir

Weit größre Macht, als viele Menschen denken.

Mir steht es zu, im Meer sie zu ertränken,

Mir steht es zu, in Kerker sie zu zwängen,

Sie zu erdrosseln und sie aufzuhängen.

Mein ist des Pöbels Murren, die Verschwörung,

Geheimes Gift und offne Volksempörung;

Und strafende Vergeltung ich ertheile,

Wenn in des Löwen Zeichen ich verweile.

Auf meinen Wink geschieht’s, daß stolze Hallen

Und Thürme stürzen, Mauern niederfallen,

Des Zimmermanns und Gräbers Tod vermittelnd.

Ich schlug den Simson, an dem Pfeiler rüttelnd.

Als Frucht der Kälte ist die Krankheit mein.

Mein sind Complotte, mein Verrätherei’n!

Der Pestilenz Erzeuger ist mein Blick!

Doch weine nicht! Es fällt durch mein Geschick,

Wie Du versprochen, sicherlich zum Lohn

Der Dame Liebe Deinem Palamon,

Und seinem Ritter stehe Mars zur Seite!

Nun macht für jetzt ein Ende mit dem Streite,

Ihr, die an Wesen und Natur verschieden,

Fast jeden Tag im Himmel stört den Frieden.

Ich bin Dein Ahn, und Dir zu helfen willig;

Drum laß das Weinen; Deinen Wunsch erfüll’ ich!«

Und hiermit schließ’ ich jetzt den Götterstreit

Durch den sich Venus mit dem Mars entzweit,

Und melde nun, so einfach wie ich kann,

Den Haupteffect; denn darauf kommt es an.

Ein großes Fest gab in Athen es heute;

Und auch die lust’ge Maienzeit erfreute

Die Herzen Aller so, daß sie den ganzen

Montag verbrachten unter Spiel und Tanzen,

Und sich dem Dienst der holden Venus weihten.

Doch, da es galt, sich morgen schon bei Zeiten

Vom Lager zu erheben für die Schlacht,

Ging früh zur Ruhe Jeder in der Nacht.

Am andern Tag, als kaum der Morgen graute,

Erscholl aus den Quartieren schon das laute

Geklirr der Panzer und Gestampf der Rosse.

Auf Hengsten und auf Zeltern zog zum Schlosse

Die edle Ritterschaft in großer Zahl.

Da könnt ihr sehen, wie von Gold und Stahl

Die Rüstungen erglänzen, wie geschickt

Sie Kunst geformt, verziert hat und bestickt!

Den Schimmer seht von Schilden, Satteln, Decken,

Von goldnen Helmen, Panzern, Wappenröcken,

Die Kleiderpracht der Fürsten auf den Rossen,

Die Junker und die Ritterschaftsgenossen,

Die ihre Helme schnallen, Gurte schnüren,

Die Speere nageln und das Schild poliren,

Und emsig sich mit ihrem Werk beeilen!

Seht, Waffenschmiede bohren, hämmern, feilen,

Seht, wie die Hengste unter goldnen Zäumen

Vor Ungeduld in die Gebisse schäumen!

Bürger und Bauern, seht, in hellen Haufen

Mit ihren Stöcken durcheinander laufen.

Seht, Pauken, Trommeln, Bügelhörner, Flöten,

Der grausen Schlachten Blutsignaltrompeten!

Das Volksgedränge, den Palast umschwellend,

– Hier drei – dort zehn – begierig Fragen stellend:

Wie wohl der Ausgang zwischen jenen Zwei’n?

Ob dies, ob das, ob jenes würde sein?

Hier soll der Schwarzbart sich den Sieg erkaufen,

Dort Ohnebart, und dort der größte Haufen,

Dann wieder der mit grimmigem Gesicht;

Sein Speer – sagt man – hat zwanzig Pfund Gewicht. –

So in der Halle wurde Rath gepflogen,

Bis hoch die Sonne stand am Himmelsbogen,

Und dieser Lärm nebst seinem Sängerchor

Rief Herzog Theseus aus dem Schlaf empor;

Und im Palaste blieb er dann so lange,

Bis daß man ihm zu ehrendem Empfange

Die beiden Ritter vorgeführt aus Theben;

Und, wie ein Gott, von Glanz und Pracht umgeben,

Bestieg den Thron am Fenster er sodann.

Nun drängte sich das Volk an ihn heran,

Um ihn zu sehen und ihn zu verehren

Und seinen Willen und Befehl zu hören.

Ein Herold die Tribüne dann bestieg

Und rief sein »Ho!«, bis daß die Menge schwieg,

Und gab, als ringsum Alles ruhig war,

Des Herzogs Botschaft kund und offenbar:

»Des Herren hoher Wille wie Entschließung,

– In Anbetracht, daß nutzlose Vergießung

Von edlem Blut es wäre, wenn zur Schlacht

Auf Leib und Leben dies Turnier gemacht –

Bestimmt, Gefahr des Todes abzulenken,

Was einst beschlossen, derart zu beschränken:

Bei Todesstrafe bleiben ausgeschlossen

Vom Kampfplatz alle Arten von Geschossen;

Verboten ist, Streitäxte, Dolche, Klingen,

Die nur zum Stechen dienen, mitzubringen,

Bei sich zu führen und damit zu streiten.

Erlaubt ist, auf den Gegner einzureiten,

Wie auch im Fußkampf sich damit zu wehren,

– Versteht sich – der Gebrauch von scharfen Speeren.

Dem, der zuwider handelt dem Gebot,

Zwar nicht der Tod, jedoch der Pranger droht,

Und mit Gewalt wird daran ausgestellt,

Wer diesen Pact von den Partei’n nicht hält.

Geschieht es, daß der Führer einer Seite

Gefangen wird, ober besiegt im Streite,

Geht auf der Stelle das Turnier zu Ende!

Nun helf euch Gott! und frisch ans Werk die Hände!

Langschwert und Keule braucht nach Herzensfülle!

Und nun zieht ab! Dies ist des Herren Wille!«

Des Volkes Beifall bis zum Himmel scholl,

Mit lauter Stimme rief es freudevoll:

»Heil unserm Herrscher, der so mild und gut

Verboten hat Gemetzel bis aufs Blut!«

Als bei den Schmetterklängen der Fanfaren

In wohlgereihtem Festzug dann die Schaaren

Den Schranken zu durch alle Straßen rückten,

Die – Sarsche nicht, nein – Goldgewebe schmückten,

Sah man voran den edlen Herzog reiten,

Den die Thebaner rechts und links begleiten,

Die Königin kam mit Emilia dann,

Und ihnen schlossen in dem Zug sich an

Die Uebrigen, gereiht nach Stand und Rang.

So zogen sie die ganze Stadt entlang

Und kamen, als des Tages Prime kaum

Begonnen hatte, zu der Schranken Raum.

Und als man Theseus auf dem Throne sah

Mit seiner Königin Hippolyta

Und mit Emilia nebst den Ehrendamen,

Auch ihre Plätze rasch die Andern nahmen.

Von Westen sprengte durch des Ares Thor

Mit rothem Banner jetzt Arcit hervor

Und führte seine Hunderte zum Streite.

Durchs Thor der Venus auf der Morgenseite

Sah Palamon zu gleicher Zeit man kühn

Mit weißem Banner in die Schranken ziehn.

– Wenn man die Welt von Anfang bis zu Ende

Rastlos durchstreifen wollte, schwerlich fände

Man solche Schaar zum zweitenmal gesellt.

Es könnte selbst der klügste Mann der Welt

Nicht sagen, wer die Ueberlegenheit

Besaß an Alter, Stand und Würdigkeit!

So ebenbürtig konnten Alle gelten. –

Dann in zwei Gliedern zum Appelle stellten

Die Schaaren sich. Man rief die Kampfgenossen

Bei Namen auf, und von den Thoren schlossen

Sich unter lautem Zuruf dann die Gitter:

»Thut Eure Pflicht, Ihr jungen, stolzen Ritter!«

Nun sah die Herolde man seitwärts treten,

Es klangen Hörner, schmetterten Trompeten;

Was sag’ ich mehr? Im Osten wie im West

Legt schon den Speer zum Anlauf Jeder fest

Und drückt dem Hengst die Sporen in die Seiten.

Da sieht man, wer turnieren kann und reiten!

Hier an den Schilden Speere splitternd brechen,

Dort einer Rüstung Bruststück sie durchstechen,

Der Speere Trümmer zwanzig Fuß hoch springen,

Man zieht die Schwerter, deren Silberklingen

Zermalmend auf die Helme niederblitzen,

Das Blut beginnt zu strömen und zu spritzen,

Und unter Keulenschlägen splittern Knochen.

Hier hat die Reihen einer schon durchbrochen,

Dort stürzen starke Pferde, und im Fall

Rollt sich im Staub der Reiter wie ein Ball.

Ein Andrer will im Kampf das Messer ziehn,

Doch aus dem Sattel hebt der Gegner ihn,

Am Pranger büßt verletzt er und gefangen,

Was dem Gebot zuwider er begangen.

Auch einer von der andern Seite duldet

Das gleiche Loos, weil Gleiches er verschuldet.

Und Theseus hieß im Kampfgewühl inzwischen

Bald diesen ruhn, bald jenen sich erfrischen.

Auch die Thebaner fochten oft und lang

Und hatten schon im blut’gen Waffengang

Vom Sattel gegenseitig sich gestreift.

Kein Tiger, der Galaphas Thal durchstreift,

So wüthend das geraubte Junge sucht,

Als wie Arcit in seiner Eifersucht

Nach Palamon. – Es war in Belmarie

So grimmig ein gehetzter Löwe nie,

Noch sprang mit hungertollerer Begier

Er jemals nach der Beute, als wie hier

Jetzt Palamon auf den Arcit eindrang.

Die Helme dröhnen bei der Streiche Klang,

Und Ströme Bluts aus ihren Schläfen dringen.

Doch da’s ein Ende giebt bei allen Dingen,

Geschah es, daß im Kampfe mit Arcit

Dem Palamon, bevor die Sonne schied,

König Emetrius mit mächt’gem Hieb

Tief in das Fleisch des Schwertes Schneide trieb.

Umringt von zwanzigfacher Ueberzahl,

Ward er gefangen hingeschleppt zum Pfahl.

Lykurg, der Köng, der ihm helfen wollte,

Trotz seiner Stärke sich am Boden rollte.

War aus dem Sattel auch der starke Held

Emetrius von Palamon geschnellt,

Auf Schwertes Länge mit gewalt’gem Stoß,

Was half es ihm? Entschieden war sein Loos!

Gefangen schleifte man zum Pfahl ihn hin,

Und, überwunden, muß sein stolzer Sinn,

Was verbedungen, mit Geduld ertragen.

Wohl mochte Palamon nun jammernd klagen,

Er darf zurück ins Kampfgewühl nicht gehn!

Doch Theseus, der den Ausgang angesehn

Von dem Turniere, rief den Kämpfern zu:

»Ho! Ho! nicht mehr! Jetzt haltet Waffenruh’!

Den Schiedsspruch kann ich unparteiisch geben:

Emilia gehört Arcit von Theben,

Der durch sein Glück der Schönheit Preis gewann!«

Nun hob im Volk ein buntes Lärmen an.

Man hörte laute Jubelrufe schallen,

Als ob die Schranken sollten niederfallen.

Doch, was soll jetzt die holde Venus thun,

Der Liebe Königin, was sagt sie nun?

Sie weint, daß Alles ihrem Wunsch entgegen

Und näßt die Schranken mit der Thränen Regen.

»Ach! welche Schmach« – sprach sie – »ist mir beschieden?«

Saturnus sagte: »Tochter, halte Frieden!

Was Mars gewollt, fiel seinem Ritter zu;

Doch schwör’ ich Dir, befriedigt wirst auch Du!«

Trompeten blasen, Minnesänger singen,

Von Herolden die lauten Stimmen klingen,

Um ihren Beifall dem Arcit zu spenden.

Doch hört auf mich, und laßt das Lärmen enden,

Und horcht und lauscht, welch Wunder jetzt geschieht!

Von seinem Haupte nahm den Helm Arcit,

Schwang sich mit offnem Antlitz auf sein Roß,

Auf dem er eilends durch die Schranken schoß

Zum Platze, wo Emilia er erblickte,

Die freundlich grüßend ihm entgegen nickte.

– So geht es mit den Weibern allerwärts,

Wo der Erfolg ist, da ist auch ihr Herz. –

Und als er freudestrahlend vor ihr stand,

Zerbarst die Erde, und empor sich wand,

Von Pluto auf Geheiß Saturns geschickt,

Ein höllisch Ungeheuer. – Es erschrickt

Das Pferd, springt plötzlich seitwärts, strauchelt, fällt,

Und aus dem Sattel wird Arcit geschnellt

Und stürzt vom Pferde nieder auf den Kopf.

Die Brust zerbrochen durch den Sattelknopf,

Streckt er wie todt am Boden seine Glieder.

Schwarz wie die Kohle, wie der Kräh’n Gefieder

Das dunkle Blut sein Antlitz überfloß.

Betrübt trug man vom Platz ihn in das Schloß

Des Theseus hin, und dort ward er in Hast

Befreit von seiner Rüstung schwerer Last

Und auf ein weiches Ruhebett gelegt.

Noch bei Verstand, von Leben noch bewegt,

Rief unaufhörlich er Emiliens Namen.

Und nach Athen zurückgeritten kamen

Der Herzog Theseus und der Ritter Menge

In großem Pomp und reichen Festgepränge.

Obschon dies Abenteuer vorgefallen,

Gewährte Trost er und Zerstreuung Allen.

Nicht sei Arcit – so sprach man – in Gefahr,

Noch böte Hoffnung sich auf Rettung dar;

Und freudig ward die Nachricht aufgenommen,

Daß sonst im Kampfe Niemand umgekommen.

Denn schwer verletzt war einer nur, nicht mehr,

Dem seine Brust durchbrochen war vom Speer.

Für andre Wunden, Arm- und Knochenbrüche,

Dem Salben dienten, jenem Zaubersprüche

Und diesem Kräutertränke, dem Salbei,

Damit erhalten Leib und Leben sei.

Der edle Herzog sucht, soviel er kann,

Zu trösten und erheitern Jedermann,

Und nach Gebühr die edlen Herr’n zu ehren

Mit Gasterei’n, die bis zum Morgen währen.

Kein Uebelwollen ihr Vergnügen störte,

Allein vom Kampf und vom Turniere hörte

Man reden, und der Meinung Aller nach

War es ein Zufall, aber keine Schmach,

Daß er von zwanzigfacher Ueberzahl

Gefangen ward und fortgeschleppt zum Pfahl.

– Stand er allein und ohne Hülfe dort,

Und zerrten ihn an Arm und Füßen fort,

Und prügelten mit Stöcken seinen Rappen

Die Reisigen, die Knechte sammt den Knappen,

So konnte keine Schande dieses sein,

Man durfte nimmer ihn der Feigheit zeihn. –

Jedoch, um zu vermeiden Streit und Zank,

Ließ Herzog Theseus seinen Preis und Dank

Der einen wie der andern Seite sagen,

Die sich gleich brav, gleich brüderlich betragen,

Und theilte reiche Ehrengaben aus.

Drei Tage schwanden unter Fest und Schmaus,

Dann gab zur Stadt hinaus auf Tagesweite

Er allen edlen Fürsten das Geleite.

»Leb’ wohl« und »Guten Tag« hieß es sodann

Und graden Wegs zog heimwärts Jedermann.

Doch von dem Kampfe wendet sich mein Lied

Zu Palamon zurück und zu Arcit.

Es schwoll die Brust, und weiter stets und weiter

Umfraß das Herz Arcits der Wunde Eiter.

Das Blut gerann. Die Heilkunst war vergebens,

Vergiftet war und blieb der Saft des Lebens.

Ihm half kein Aderlaß, kein Blutentzieh’n,

Nicht Kräutertränke, keine Medicin.

Nicht mehr natürlich wurde fortgeschafft

Von animalischer Entleerungskraft

Die Giftsubstanz der faulen Eiterungen.

Geschwollen sind die Röhren seiner Lungen;

Die Muskelfasern in der Brust, im Bauche

Sind schon zerfressen von der gift’gen Jauche,

Und ohne jede Wirkung sich erproben

Laxiren unten und Erbrechen oben.

Sein ganzer Leib ist eine Wunde nur.

Zu Ende geht die Herrschaft der Natur.

– Und wo Natur nicht länger helfen kann,

Leb’ wohl Arznei! Zur Kirche tragt den Mann! –

Die Wahrheit ist, er lag im Sterben schon.

Und zu Emilia und zu Palamon

Entsandte Botschaft er, um von den Beiden,

Wie Ihr von mir jetzt hören sollt, zu scheiden:

»Nicht fassen kann mein schwermuthsvolles Herz

In klare Worte meiner Sorgen Schmerz,

Und kurze Frist bleibt mir zu leben nur.

O, Theure, die von jeder Creatur

Auf dieser Welt ich stets geliebt zumeist,

Deinem Gebet empfehl’ ich meinen Geist!

Emilia! – ach, o weh mir! – welche Plagen

Hab’ ich um Dich so lange schon ertragen!

Weh mir! ich sterbe! ach, Emilia mein!

Muß ich von Dir so bald geschieden sein?

Ach, theures Weib, ach, Herzenskönigin,

Mein Schatz und meines Lebens Enderin!

Was ist die Welt? Was ist des Menschen Loos?

Vom Schoß der Liebe sinkt er in den Schoß

Des kalten Grabes einsam und allein.

Leb’ wohl, mein Lieb! leb’ wohl, Emilia mein!

Mit Deinen weichen Armen mich umwinde,

Und liebst Du Gott, so hör’, was ich verkünde:

Mit meinem theuren Vetter Palamon

Lag ich in Zank und Streit seit lange schon

Aus Liebe, wie aus Eifersucht um Dich,

Doch stehe Jupiter mir bei, daß ich

Dir eines Dieners Werth in voller Klarheit

Jetzt schildern möge nach Verdienst und Wahrheit.

Denn Ehre, Klugheit, Treue, Rittermuth,

Demuth und Freisinn, Rang und edles Blut,

Jedwede Tugend ist an ihm zu preisen;

Nie möge Jupiter mir Heil erweisen,

Wenn einen Mann ich weiß, der hier auf Erden

Verdiente mehr, von Dir geliebt zu werden,

Als Palamon, der Dir geweiht sein Leben;

Und willst Du je Dich einem Mann ergeben,

Erinnre Dich des edlen Palamon!«

Bei diesen Worten brach der Stimme Ton,

Und von den Füßen nach der Brust entlang

Des Todes Kälte durch die Glieder drang.

Die Lebenskraft entwich. Ihm wurden Hände

Und Arme steif. Das Leben ging zu Ende.

Es schlummerte Bewußtsein und Verstand

Allmählich ein und aus dem Herzen schwand

Ihm die Empfindung bei des Todes Nah’n;

Sein Athem stockte! doch zur Theuren sahn,

Im Brechen noch die Augen fort und fort,

Und »Dank Emilia!« war sein letztes Wort.

So seine Wohnung wechselnd floh der Geist

Und ging, wohin noch niemals ich gereist;

Drum nicht errathen kann ich’s noch erzählen;

Ich führe kein Register über Seelen,

Noch mitzutheilen fühl’ ich mich getrieben

Die Meinung derer, die den Ort beschrieben.

Arcit ist kalt; sei Mars der Seele gnädig!

Und fernerhin nun von Emilia red’ ich.

Es heulte Palamon, Emilia schrie,

Und Theseus trug auf seinen Armen die

Besinnungslose aus der Leichenkammer.

Was hilft es mir vom tagelangen Jammer

Der Beiden gleichfalls tagelang zu klagen?

– Schwer hat ein Weib in solchem Fall zu tragen;

Wird ihr der Gatte durch den Tod genommen,

So fühlt ihr Herz sich sorgenvoll beklommen

Und Krankheit folgt nicht selten auf das Leid,

Von dem zuletzt sie nur der Tod befreit. –

Endlos die Schmerzen und die Thränen waren

Von altem Volk und Volk in jungen Jahren

Um des Thebaners Tod im weiten Kreise

Der ganzen Stadt. – Die Kinder wie die Greise

Beweinten ihn. Gewiß, seit man erschlagen

Vor Troja Hektor, wurden solche Klagen

Nicht mehr gehört. – Die Wangen sich zerfleischend,

Das Haar zerraufend, schrieen Weiber kreischend:

»Warum traf Dich der Tod? Du hattest Gold

Im Ueberfluß; Dir war Emilia hold!«

Theseus zu trösten war allein im Stand

Sein alter Vater Aegeus. Er verstand,

Daß in des Lebens buntem Wechselspiel

Noch immerdar die Wage stieg und fiel.

Daß Lust dem Leid und Leid der Freude weiche,

Bewies er durch Belege, durch Vergleiche.

»Wie Niemand« – sprach er – »je gestorben ist,

Der nicht zuvor gelebt hat eine Frist,

So lebt auch« – sprach er – »Niemand hier auf Erden,

Der nicht dem Tode muß zur Beute werden.

Die Welt ist eine Wallfahrt voller Leiden!

Wir sind die Pilger, kommen, wandern, scheiden;

Die Sorgen endet nur der Tod allein.«

Er schärfte dies dem Volk verständig ein

Nebst manchem Andern, um es zu belehren,

Im Unglück Trost dem Herrscher zu gewähren.

Aufs Eifrigste war Theseus nun bemüht,

Den Platz zu wählen, welcher für Arcit

Zur Ruhestatt von seinen Erdenresten

Dem Range des Verstorbnen nach am besten

Und passendsten und würdigsten erscheine.

Und er beschloß, in jenem grünen Haine,

Wo einst Arcit und Palamon entzweit

Gerungen hatten in der Liebe Streit,

Zu dem Arcit in Liebesgluth oft wallte,

Wo seines Herzens Klage widerhallte,

Den Scheiterhaufen für Arcit zu schichten,

Und dort die Leichenfeier zu verrichten.

Die alten Eichen ließ er niederhauen

Und niederhacken und befahl zu bauen

Aus ihren Stämmen einen Flammenstoß.

Nun war die Eile seiner Diener groß,

Um Alles herzurichten, wie befohlen.

Dann ließ die Leichenbahre Theseus holen

Und mit den reichsten, schwersten Goldgeweben,

So herrlich er sie nur besaß, umgeben.

Es lag in Gold gekleidet auf das Gleiche,

Mit weißen Handschuh’n angethan, die Leiche,

Um deren Haupt ein Lorbeerkranz sich wand,

Mit blankem, scharfem Schwerte in der Hand.

Ihr Angesicht enthüllte Theseus dann

Und fing vor Rührung laut zu weinen an.

Und als der Morgen anbrach, ward für Alle

Zur Schau gestellt sein Leichnam in der Halle,

Und rings ertönte Jammer und Geschrei.

Und schmerzbewegt kam Palamon herbei,

Im schwarzen Kleid, von Thränen ganz benetzt,

Das Haar voll Asche, seinen Bart zerfetzt,

Denn nach der weinenden Emilia war

Kein Jammervoll’rer in der ganzen Schaar.

Damit der Trauerzug dem Rang der Leiche

An Pomp und Pracht zur höchsten Ehr’ gereiche,

Ließ Theseus auf drei großen, weißen Rossen,

Von blanken Eisenpanzern rings umschlossen

Und mit dem Wappen von Arcit geziert,

Die Waffen, die im Leben er geführt,

Von Reitern tragen; und der erste Reiter

Hielt seinen Speer und seinen Schild ein zweiter;

Ein dritter führte seinen türk’schen Bogen

Und seinen Köcher, reich mit Gold bezogen.

So ritten still mit trübem Angesichte

Sie zu dem Haine, wie ich nun berichte:

Getragen ward die Bahre mit der Leiche

Vom höchsten Adel aus dem Griechenreiche;

Dem Hauptweg folgend, lenkten sie mit nassen,

Verweinten Augen langsam durch die Gassen

Der gänzlich schwarz behängten Stadt entlang,

Die überall zu trauern schien, den Gang.

Aegeus, der alte, ging zur rechten Hand,

Zu seiner linken Theseus sich befand,

Und Goldgefäße hielten sie in Händen,

Um Honig, Wein und Milch und Blut zu spenden.

Dann folgte Palamon im Freundeskreise;

Und in den Händen, wie es Brauch und Weise,

Zum Leichendienst die Feuerbrände tragend,

Zuletzt Emilia, schmerzerfüllt und klagend.

Lang war die Arbeit und die Mühe groß,

Bis aufgerichtet war der Flammenstoß,

Der grüne Wipfel bis zum Himmel reckte

Und zwanzig Faden breit die Arme streckte,

Das heißt: die Aeste hatten solche Länge.

Den Grund zu legen, wurde Stroh in Menge

Herbeigeschafft. Doch, wie die Gluth geschürt

Und welchen Namen jeder Baum geführt,

Den man gefällt, wie Fichte, Rüster, Eiche,

Platane, Linde, Dorn- und Haselsträuche,

Kastanie, Pappel, Esche, Lorbeer, Eibe,

Euch näher zu erzählen, unterbleibe.

Auch wo, von ihren Wohnungen vertrieben,

Die obdachlosen Waldesgötter blieben,

Und wie am Ort, wo sie gelebt in Frieden,

Hamadryaden, Faune, Nymphen schieden;

Wie Vögel und Gethier, von Furcht gepackt,

Geflohen, als die Bäume man gehackt;

Wie Waldesgrund, einst dicht belaubt, jetzt kahl,

Mit Schrecken sah den ersten Sonnenstrahl;

Wie Unterlagen man von Stroh errichtet,

Und trockne Reiser dreifach aufgeschichtet

Und grünes Holz, und wie von Specerei’n

Und goldnen Tüchern, kostbarem Gestein

Und blumenreichen Kränzen Alles voll;

Wie Duft aus Weihrauch und aus Myrrhen quoll,

Wie von Arcit darin die Erdenhülle

Gelegt in ihres Schmuckes reicher Fülle,

Wie nach dem Brauch der Zeit Emiliens Hand

Zuerst entzündete des Feuers Brand,

Wie sie in Ohnmacht fiel, als dies gethan,

Was sie gesprochen und geschrien im Wahn;

Wie sich die Flammen rasend rasch vermehrt,

Und was an Edelsteinen und an Werth,

Was sie an Kleidern, Schilden und an scharfen

Und langen Speeren in das Feuer warfen,

Wie becherweise Wein und Milch und Blut

Gegossen in des Feuers wilde Gluth;

Wie dreimal dann in weitgedehntem Bogen

Die Griechen reitend um das Feuer zogen,

Es links umkreisend, und wie dreimal tönte

Ihr Wehgeschrei, ihr Speergerassel dröhnte;

Wie dreimal scholl der Weiber Jammerklagen;

Wie heimwärts man Emilia getragen,

Und wie Arcit zu Aschenstaub zerfiel;

Wie in der Nacht darauf mit manchem Spiel

Die Griechen kürzten ihre Leichenwache –

Das zu erzählen, ist nicht meine Sache;

Noch wer von ihnen in des Ringkampfs Gang

Sich, nackt und ölgetränkt, den Preis errang;

Auch meld’ ich nicht, wie nach Athen zu Haus

Ein Jeder zog, sobald die Feier aus;

Denn rasch zum Schlusse denk’ ich hinzuwenden,

Das lang Erzählte nunmehr kurz zu enden.

Im Lauf der Jahre trocknete die Zeit

Der Griechen Thränen, und der Trauer Kleid

Beschloß man männiglich nicht mehr zu tragen;

Und in Athen – scheint mir – begann zu tagen

Ein Parlament, das mancherlei erwog

Und auch ein Bündniß in Betrachtung zog

Mit andern Staaten, falls dem anzuschließen

Sich die Thebaner willig finden ließen.

Vor Theseus zu erscheinen unverweilt,

Ward daher Palamon Befehl ertheilt,

Der, ahnungslos, weßhalb nach ihm gesandt,

Mit trauervollem Herzen und Gewand

Sich nach Athen begab, wie ihm befohlen.

– Doch für Emilia ließ ihn Theseus holen. –

Als Alle Platz genommen, Jeder stumm,

Und Herzog Theseus seinen Blick ringsum

Zunächst geworfen eine Weile lang,

Eh’ sich ein Laut der weisen Brust entrang,

Begann betrübt zu seufzen er im Stillen,

Und kündete dann also seinen Willen:

»Als einst der allerhöchste Lenker droben

Der Liebe schöne Kette hat gewoben,

War groß sein Ziel und seine Absicht klug;

Er wußte wohl, was er im Sinne trug.

Denn mit der schönen Liebeskette band

Er dauernd Feuer, Wasser, Luft und Land

In fester Gränzen wandellosem Ort.

Derselbe Fürst und Lenker« – fuhr er fort –

»Hat zugetheilt in dieser Welt voll Trauer

Besondern Tagen auch bestimmte Dauer

Für alle, die geboren sind auf Erden;

Und diese können nicht verlängert werden,

Wenn ihre Frist man auch beschränken kann.

Ich führe nicht Autoritäten an;

Denn längst hat die Erfahrung es gelehrt;

Indeß auch meine Meinung sei erklärt.

Wie man aus dieser Ordnung leicht erkennt,

Steht fest und ewig Gottes Regiment,

Und Jeder weiß, sofern er nicht ein Thor,

Daß aus dem Ganzen geht der Theil hervor.

Denn nicht ein Theil, ein Bruchstück ist’s gewesen,

Woraus Natur entstand, vielmehr ein Wesen

Von steter Dauer und Vollkommenheit;

Nur nach und nach sank sie zur Endlichkeit.

Mit weiser Vorsicht hat der Herr der Welt

So gut durch seine Satzung festgestellt,

Daß jedes Ding nach Classe wie nach Art

Durch Folge nur die Dauer sich bewahrt,

Und nicht auf ewig in sich fortbesteht,

Wie Ihr mit eignen Augen es erseht.

Zur Eiche blickt: wie war ihr Wachsthum lang

Seit aus dem Keime sie zuerst entsprang.

Lang ist ihr Leben, wie wir alle sehn,

Und doch – zuletzt muß dieser Baum vergehn!

Denkt: auch der harte Stein, den Tag für Tag

Der Fuß betritt, verschwindet nach und nach

Und liegt zuletzt uns nicht im Wege mehr.

Der breite Strom wird oftmals wasserleer,

Die großen Städte fallen und verschwinden;

Ihr seht es – Alles muß ein Ende finden.

Kein Mann, kein Weib kann diesem Loos entfliehn

Es kennt der Tod nicht zweierlei Termin;

Das heißt: ob alt ob jung, bedeutet wenig,

Denn sterben muß der Page wie der König!

Der stirbt im Bett, der wird des Meeres Beute,

Der bleibt im Feld – das wissen alle Leute.

Den gleichen Weg geht Alles in der Welt;

Wohl mag ich sagen, jedes Ding zerfällt.

Ist es nicht so von Jupiter beschlossen?

Er ist der Herr, dem jedes Ding entsprossen,

Der über Alles, was durch ihn gestaltet,

Bekanntlich auch nach eignem Willen schaltet.

Und kein Geschöpf kann diesem widerstreben,

Was auch sein Rang auf Erden und im Leben.

Mir scheint, es ist so weise, wie gescheidt,

Macht man zur Tugend die Nothwendigkeit.

Fügt Euch darin, daß noch kein Mensch hienieden

Dem Loos entrann, das ihm vorher beschieden.

Wer dies bemurrt, der lehnt sich als ein Thor

Und ein Rebelle gegen Gott empor.

Die größte Ehre sich ein Mann erwirbt,

Der in der Blüthe seiner Würde stirbt.

Dann bleibt sein guter Ruf ihm stets gewahrt,

Und Schmach den Freunden und ihm selbst erspart.

Weit freudiger sei dessen Tod begrüßt,

Der ehrenvoll ein junges Dasein schließt,

Als der des Greises, wenn erblaßt sein Ruhm

Und längst vergessen ist sein Ritterthum.

Den rühmlichsten und besten Tod erleidet,

Wer in dem Vollglanz seines Ruhmes scheidet.

Nur Eigensinn kann diesem widerstreben!

Was murren wir, anstatt uns zu ergeben,

Daß uns Arcit, des Ritterthumes Blume,

Entrissen ward in seinen höchsten Ruhme,

Als er des Leibes fauler Haft entflohn?

Weßwegen will sein Vetter Palamon,

Sein liebend Weib ihm dieses Glück nicht gönnen?

Weiß Gott, wie soll er ihnen danken können,

Daß sie sich selbst und seinen Geist so kränken?

– Doch kaum vermögen Andres sie zu denken! –

Was ist der langen Rede letzter Schluß?

Ich denke: Freude folge dem Verdruß!

Dankbar empor laßt uns die Hände heben

Zu Jupiter, eh’ wir uns fortbegeben.

Wir machen – rath’ ich – aus zwei dunklen Sorgen

Für immerdar den hellsten Freudenmorgen!

Und seht, wo diese Sorge ist am größten,

Da will zuerst auch helfen ich und trösten!

Schwester!« – so sprach er – »es ist fest beschlossen

Durch Beistimmung der Parlaments-Genossen,

Daß Deinem edlen Ritter Palamon,

Der Dir gedient so lange Jahre schon,

Seit Du ihn kennst, mit Willen, Herz und Hand,

Nun Deine Gnade werde zugewandt,

Um ihn als Gatten und als Herrn zu ehren!

Reich’ mir die Hand, denn so ist mein Begehren!

Zeig’ weiblich Mitleid! Als der Bruderssohn

Von einem Könige verdient er’s schon.

Wenn er ein armer Junggesell einst schien,

Und widerwärtig das Geschick für ihn,

So dient’ er Dir doch manches liebe Jahr,

Das mußt Du in Erwägung ziehn, fürwahr!

Drum sei auch Gnade jetzt für Recht erkannt!«

Zum edlen Ritter Palamon gewandt,

Sprach er: »Mich dünkt’s, nicht lange muß ich pred’gen,

Um zwischen uns die Sache zu erled’gen!

Komm her, und nimm die Dame bei der Hand!«

Und somit ward geschlossen jenes Band,

Das manchmal Ehe heißt und manchmal Heirath!

Und die Barone gaben ihren Beirath.

So mit Musik und aller Seligkeit

Hat Palamon Emilia gefreit.

Und Gott, der alle Welt gemacht und lenkt,

Hat nach Verdienst mit Segen sie beschenkt;

Denn Palamon auf immerdar zu Theil

Ward Freude, Reichthum und jedwedes Heil;

Stets zärtlich blieb Emilia ihm ergeben,

Und ihrem Dienste war geweiht sein Leben.

Nie Eifersucht und nie ein böses Wort,

Nie trübte Leid ihr Lebensglück hinfort.

So sei von Beiden mein Bericht geschlossen.

Behüt’ Euch Gott, Ihr Pilgerfahrtsgenossen!

Der Prolog des Müllers.

Vers 3111–3186.

Als so der Ritter den Bericht geendet,

Ward der Erzählung Beifall rings gespendet.

Schön sei und werth der Rückerinnerung,

Was vorgetragen – sprachen Alt und Jung,

Besonders aber alle feinern Herr’n;

Und lachend schwur der Wirth: »So hab’ ich’s gern!«

Das lob’ ich mir; der Sack ist aufgethan!

Laßt sehn, wer kommt als Folgender daran?

Das Spiel ist gut begonnen, das gesteh’ ich!

Kommt her, Herr Mönch, und seid Ihr dazu fähig,

Macht’s der Erzählung unsres Ritters gleich.

Der Müller, der, vor Trunkenheit ganz bleich,

Auf seinem Gaule turkelnd hing im Sitze,

Zog nicht den Hut und rückte nicht die Mütze,

Denn höflich gegen irgend wen war nie er.

Mit einer Stimme, wie Pilatus, schrie er

Und schwur bei Armen und bei Blut und Bein:

»Die herrlichste Geschichte fällt mir ein,

Durch welche die des Ritters übertroffen!«

Der Gastwirth sah, daß er in Bier besoffen

Und sprach: »Mein lieber Robert, laß es sein!

Räum’ einem Besseren den Vorrang ein,

Hör’ auf, und halte Frieden jetzt und Ruh’!«

Er aber sprach: »Gott straf’ mich, wenn ich’s thu’!

Laß mich erzählen, oder ich geh’ fort!«

»Zum Teufel,« – sprach der Wirth – »behalt’ das Wort!

Du bist ein Narr und hirnverwirrt im Rausche!«

»Nun« – sprach der Müller – »All’ und Jeder lausche!

Jedoch zunächst erklär’ ich Euch ganz offen,

– Die Stimme sagt es mir – ich bin besoffen,

Und sollt’ ich mich versprechen und mißsagen,

Das Bier von Southwark bitt’ ich anzuklagen.

Zum Besten laßt Legende mich und Leben

Vom Zimmermann und seinem Weibe geben,

Dem ein Scholar zurecht gerückt die Kappe.«

Der Landverwalter rief: »Schließ’ Deine Klappe!

Laß die besoff’ne, garst’ge Zoterei!

Denn sündhaft ist’s und große Narrenthei,

Jemanden zu beschimpfen und zu kränken

Und üblen Nachruf auf die Frau’n zu lenken.

Dir bleibt genug von Anderm zu erzählen!«

An Antwort ließ der Müller es nicht fehlen

Und sprach: »Nun, Oswald, lieber Bruder mein!

Wer keine Frau hat, kann kein Hahnrei sein!

Doch sag’ ich nicht, so sei’s mit Dir bestellt!

Viel gute Weiber leben auf der Welt.

Was nimmst an meinem Wort Du Aergerniß?

Ich hab’ ein Weib, so gut wie Du, gewiß;

Jedoch für meine Stiere vor dem Pflug

Nähm’ ich auf mich nicht mehr, als was genug,

Und denke von mir selbst nicht, ich sei einer,

Viel lieber will ich glauben, ich sei keiner.

Denn spürt ein Ehemann nicht zu genau

In Gottes Heimlichkeit und die der Frau,

Wird ihm auch Gottes Ueberfluß nie fehlen,

Und um den Rest braucht er sich nicht zu quälen.«

Der Müller wollte – um mich kurz zu fassen –

In seinen Worten sich nicht meistern lassen,

Und er erzählte seine Schandgeschichte,

Die ich Euch nunmehr wortgetreu berichte.

Indessen bitt’ ich, nehm’ kein Ehrenmann

– Um Gotteswillen – Aergerniß daran.

Was Jeder vorgetragen, muß ich eben,

Ob’s gut, ob’s schlecht, getreulich wiedergeben,

Will ich den Inhalt nicht zu sehr verkehren.

Drum, wer nicht Lust hat, weiter zuzuhören,

Schlag’ um das Blatt und treffe seine Wahl;

Denn kurz und lang sind hier in großer Zahl

Auch ehrbare Geschichten vorerzählt,

Worin Moral und Heiligkeit nicht fehlt.

Und greift Ihr fehl, legt es nicht mir zur Last!

Ihr wißt, der Müller war ein schlimmer Gast

Wie der Verwalter und manch’ Andre leider,

Und zotenhaft sind die Geschichten Beider.

Ihr seid gewarnt, daher müßt Ihr nicht schelten;

Was nur ein Spaß ist, darf als Ernst nicht gelten.

Die Erzählung des Müllers.

Vers 3187–3852.

In frühern Zeiten war in Oxenford

Ein reicher Filz und Zimmermann, der dort

Ein Kosthaus hielt, in welches ein Scholar

Von wenig Mitteln eingezogen war.

Er war der Kunst beflissen, doch daneben

Höchst eifrig der Astrologie ergeben,

Und gab, befragt darum zur rechten Stunde,

Auch durch gewisse Schlüsse sichre Kunde,

Ob Regen käme, oder Sonnenschein;

Und er verstand genau zu prophezei’n

Das künftige Geschick von Jedermann,

Ja, vieles mehr, als ich erwähnen kann.

Den flinken Niklaus hieß man den Scholaren;

In Liebeshändeln war er wohlerfahren

Und ein höchst schlauer und verschwiegner Gast,

Doch mädchenhaft in seinem Aeußern fast;

Und ohne Mitbewohner, ganz allein

Nahm er ein Zimmer in dem Kosthaus ein.

Mit süßen Kräutern war bedeckt die Flur;

Er selbst war süßer, als das Süßholz nur

Und Baldrian es irgend sind. – Man fand

Den Almagest und manchen Bücherband,

Ein Astrolabium, seiner Kunst geweiht,

Nebst Algorithmensteinen, wohl gereiht,

Im Sims zu Kopf des Bettes an der Wand;

Und roth behangen war sein Kleiderstand.

Und oben drüber hing die lust’ge Laute,

An deren Spiel er Abends sich erbaute.

Gar lieblich durch das ganze Zimmer klang,

Wenn Angelus ad virginem er sang

Und hinterdrein das Königslied begann;

Und Jeder pries sein lust’ges Stimmorgan;

Und so verging die Zeit für den Studenten

Nach Maße der Stipendien und Renten.

Der Zimmermann, seit kurzem erst vermählt,

War toll verliebt ins Weib, das er erwählt,

Und da sie – glaub’ ich – achtzehn Jahre kaum,

Hielt er aus Eifersucht sie scharf im Zaum.

Denn sie war wild und jung und er war alt,

Und Hörner wüchsen – dacht’ er – allzubald.

Roh an Verstand, war fremd ihm Catos Lehre,

Daß sich am besten Gleich und Gleich bewähre;

Man müsse sich stets angemessen paaren,

Oft läge Jung und Alt sich in den Haaren.

Doch in die Falle war der Mann gerathen

Und trug die Last, wie’s vor ihm Andre thaten.

Schön von Gesicht war seine junge Frau

Und, wie ein Wiesel, zart und schlank von Bau.

Von Seide war der Gürtel, den sie trug.

Und weiß, wie Morgenmilch, ihr Schürzentuch,

Das um die Lenden faltenreich geschlagen.

Bestickt, so vorn wie hinten, war am Kragen

Ihr weißes Hemd mit kohlenschwarzer Seide,

Und passend zu der Farbe von dem Kleide

War ausgesucht nicht minder auch das Band,

Das ihre weiße Haube rings umwand,

Die breite Seidenschleifen oben kränzten.

Doch wahrlich! lüstern ihre Augen glänzten.

Die beiden Brauen waren scharf gezogen,

Schwarz wie die Schlehen, lang und leicht gebogen,

Und schöner als ein junger Birnenbaum

Und zarter als des Widders Wollenflaum,

War sie für Jeden eine Augenweide.

Bestickt mit Messingperlen und mit Seide

Hing von dem Gurt die Lederbörse nieder;

Und Niemand sah, wenn er auch hin und wieder

Die ganze Welt entlang zu suchen ging’,

Solch lust’ges Weibsbild, solchen Schmetterling.

Und ihrer Wangen Farbe glänzte mehr

Als Rosenobel, frisch vom Tower her,

Und ihr Gesang scholl lustiger und freier,

Als selbst das Lied der Schwalben in der Scheuer.

Gern spielte sie und hüpfte höher selber

Als um die Mütter Zicklein oder Kälber;

Ihr Mund war süß, wie Meth und Honigbräu

Und Lageräpfel unter Stroh und Heu.

Vor Wohligkeit sie, wie ein Füllen, sprang,

Kein Pfeil war grader und kein Mast so schlank.

Ein Busenschloß, das wie ein Schildknopf breit,

Befestigte den Kragen an das Kleid,

Und hohe Schnürschuh’ trug sie an den Beinchen.

Sie war ein Primelchen, ein Herzensschweinchen

Für große Herr’n, im Bett mit ihr zu spaßen,

Und gut als Weib für jeden Hintersassen.

Nun, Herr, und nochmals, Herr, so fiel es aus,

Daß eine Tags der flinke Nikolaus

Mit dieser Frau verliebten Scherz begann,

Derweil in Osney war ihr Ehemann;

Und da die Schreiber voller Kniff’ und Pfiffe,

So macht’ er heimlich bei ihr Untergriffe

Und sagte: »Sei, Süßliebchen, mir zu Willen,

Ich muß vergehn, kann ich die Brunst nicht stillen!«

Um ihre Hüften seinen Arm er schlang,

Und sprach: »Herzliebste, sperre Dich nicht lang’,

Sonst geh’, bei meiner Seligkeit, ich drauf!«

Doch, wie ein wildes Füllen sprang sie auf,

Und rasch versteckte sie ihr Angesicht,

Und sprach: »Auf Ehre, küssen will ich nicht!

Laß sein, o Niklaus!« – rief sie – »laß es sein,

Soll ich nicht Holla! und zu Hülfe schrein!

Weg mit den Händen; guter Sitte wegen!«

Nun mußte Niklaus sich aufs Bitten legen

Und sprach mit solcher Ueberredungskunst,

Daß sie zuletzt ihm zugestand die Gunst.

Beim heil’gen Tom von Kent schwur sie den Eid,

Bei nächster, passender Gelegenheit,

Die sie erspähe, sei sie ihm zu Willen.

»Mein Mann« – sprach sie – »hat eifersücht’ge Grillen;

Drum sei verschwiegen und gedulde Dich,

Sonst fürcht’ ich sicher noch zu Tode mich!

Treib’ hierbei Alles heimlich und verborgen!«

»Nein,« – sagte Niklaus – »sei ganz ohne Sorgen;

Wer einem Zimmermann nicht Nasen dreht,

Der ging umsonst zur Universität!«

Darauf versprachen nochmals sie und schwörten,

Der Zeit zu warten, wie bereits wir hörten.

Als Nikolaus es so geführt zu Ende,

Schlang er den Arm ihr zärtlich um die Lende,

Ergriff die Laute, küßte herzlich sie

Und spielte dann die schönste Melodie.

Mit dieser guten Frau begab’s sich nun,

Daß sie, um Christi eignes Werk zu thun,

Zur Kirche ging an einem Feiertage.

Ganz frisch gewaschen nach der Arbeit Plage,

Schien neben ihr der helle Tag selbst düster.

Nun war in jener Kirche auch ein Küster,

Mit Namen Absalon. – Sein krauses Haar

Schien hell, wie Gold, und wie ein Fächer war

Es ausgespreizt in weitem, hohem Bogen,

Und zierlich war ein Scheitel durchgezogen.

Die Haut war roth, die Augen gänsegrau;

Paulsfenster trugen seine Schuh’ zur Schau,

In rothen Strümpfen er einherstolzirte.

Und das mit Spitzen reich und dick verzierte

Lichtblaue Wamms, das er am Leibe trug,

War voller Schick und saß ihm eng genug.

Darüber trug ein Chorhemd er, so weiß

Und glänzend, wie der Blüthenschnee am Reis.

Bei meiner Seel’! er war ein lust’ger Racker,

Schnitt Haar, rasirte, ließ zur Ader wacker,

War Quittungssteller und Verträgemacher,

Und tanzen konnt’ er in wohl zwanzigfacher

Manier – nach Oxfords Schule will das heißen –

Und auf und nieder seine Beine schmeißen.

Er spielte die Ribebe, die Ginterne

Und dazu sang so häufig er, wie gerne,

Mit lauter Stimme seine lust’gen Schwänke;

Und in der Stadt gab’s Wirthshaus nicht noch Schenke,

Wo er nicht seinen Schabernack vollführte,

Wenn eine schmucke Biermagd er dort spürte.

Doch leider ist zu sagen mir geboten,

Er f…te häßlich und riß schlimme Zoten.

Doch, trieb auch Absalon oft Scherz und Spaß,

Am Sonntag schwang er fromm das Räucherfaß,

Vor allen Kirchspiels-Frau’n, indem er scharf

Verliebte Blicke hin zu jeder warf,

Und auf das Weib vom Zimmermann vor Allen.

Sie anzusehen, war sein Wohlgefallen;

Sie sah so sauber, süß und lecker aus,

Ich wette, wie ein Kater auf die Maus,

Wär’ er auf sie gern schnurstracks zugesprungen.

Von liebendem Verlangen ganz durchdrungen,

Schien Absalon, der Küster, sich zu schämen,

Der Weiber Opfergaben anzunehmen;

Aus Höflichkeit – so sagt’ er – woll’ er keine.

Es kam die Nacht. – Beim hellen Mondenscheine

Nahm die Ginterne Absalon zur Hand.

Und, seinen Sinn auf Liebeslust gewandt,

Zog er höchst lüstern und begehrlich aus

Und schlich sich vor des Zimmermeisters Haus.

Und bald darauf, bevor gekräht der Hahn,

Schlich er zur Fensterlade sich heran,

Die in der Wand des Hauses angebracht,

Und sang mit zarter Stimme sanft und sacht:

»Herzliebchen mein – ist es der Wille Dein,

Gedenke mein – in Huld und sag’ nicht nein!«

Und dazu ließ er die Ginterne klingen.

Auf wacht der Zimmermann und hört ihn singen

Und ruft sein Weib und spricht: »Was, Alison,

Ist das da draußen nicht der Absalon,

Der an der Mauer singt von unserm Bau?«

Und ihrem Mann erwiderte die Frau:

»Weiß Gott, Johann! ich hör’ ihn Wort für Wort.« –

Wie Ihr es denken könnt, so ging es fort.

Von Tag zu Tage ward in sie verliebter

Der lust’ge Absalon, so daß betrübt er

Die ganze Nacht mitsammt dem Tag durchwachte,

Die Locken kämmt’ und sich fein sauber machte.

Er warb um sie durch Kuppler und durch Mägde,

Er schwur, ihr eigner Knecht zu sein, und pflegte

So trillerud wie die Nachtigall zu singen,

Ließ Nadeln, Meth und würzig Bier ihr bringen

Und heiße Waffeln; ja, er bot sogar

Selbst Gold ihr an, da sie ein Stadtkind war.

– Denn manches Weib gewinnt man nur durch Gaben,

Und dies will Küsse, jenes Prügel haben. –

Daß er vor ihr mit seiner Kunst sich brüste,

Spielt’ er Herodes auf dem Schaugerüste.

Vergeblich blieb’s in diesem Fall indessen,

Sie war in ihren Niklaus zu versessen;

Und Absalon konnt’ in das Bockshorn blasen;

Für alle Mühe drehte sie ihm Nasen,

All seinen Ernst verkehrte sie in Hohn

Und narrt’ und äffte stets nur Absalon.

Das Sprüchwort lügt nicht, es bleibt wahr genug,

Wenn es besagt: Wer nah’ ist, der ist klug

Und kann dem Fernen oft gefährlich werden.

Wohl mochte toll sich Absalon geberden,

Denn, da er fern von ihrem Angesicht,

Stand ihm der nahe Niklaus stets im Licht.

– Nun, zarter Niklaus, möge Dir’s gelingen,

Und Absalon laß Klagelieder singen! –

Und es geschah an einem Samstag nun,

Derweil ihr Mann in Osenay zu thun,

Daß Alison mit ihrem Nikolaus

Beisammen saß; und Beide machten aus,

Es solle Niklaus eine List erspähn,

Den eifersücht’gen Mann zu hintergehn,

Um, wenn das Spiel in guten Gang gebracht,

Bei ihr zu ruhn die liebe, lange Nacht.

– Darin glich sein Verlangen ganz dem ihren. –

Und ohne viele Worte zu verlieren,

Trug Nikolaus, der nicht zu zögern dachte,

In seine Kammer vorsorglich und sachte

Für einen Tag bis zweie Trank und Speisung.

Und sollte – so gab er ihr Unterweisung –

Nach Nikolaus der Eheherr sie fragen,

So müsse sie ihm unbefangen sagen:

Sie wisse Nichts. – Sie hätte tageslang

Ihn nicht gesehen; sicher sei er krank,

Da selbst der Dienstmagd Rufen und Geschrei

Noch sonder Antwort stets geblieben sei.

Und still verhielt vom Samstag an im Zimmer

Sich Nikolaus und that und trieb, was immer

Ihm wohlgefiel; er aß und schlief und trank

Den Sonntag durch bis Sonnenuntergang.

Schier Wunder nahm’s den dummen Zimmermann,

Was Niklaus fehle; und er sprach sodann:

»Beim heil’gen Thomas! ich befürchte sehr,

Mit unserm Niklaus geht es schief und quer!

Verhüt’ es Gott, daß er nicht plötzlich end’ge!

Fürwahr, die Welt ist jetzt solch unbeständ’ge;

Als Leiche stand heut’ in der Kirche da

Ein Mann, den Montags noch beim Werk ich sah!

Steh’ auf,« – sprach er zum Knecht – »nimm einen Stein,

Klopf’ an die Thür, beginne laut zu schrein!

Sieh’, wie es steht, und bringe kühn Bescheid!«

Empor sofort in aller Schnelligkeit

Der Knecht vor seine Kammerthüre lief

Und klopfte dann wie toll und schrie und rief:

»Was thut Ihr, Meister Niklaus? Werdet wach!

Wie könnt Ihr schlafen nur den ganzen Tag?«

Es war umsonst. Nichts regte sich. Jedoch

Er sah ganz unten an der Thür ein Loch,

Durch das die Katze hin und wieder lief;

In dieses steckte seinen Kopf er tief,

Bis er zuletzt ihn wirklich sah und fand.

Zum Himmel starrte Niklaus unverwandt,

Als ob er sich den neuen Mond betrachte.

Hinunter stieg der Knecht und hinterbrachte

Sofort dem Herrn, wie er gesehn den Mann.

Der Zimmermeister schlug sein Kreuz sodann

Und sprach: »Nun hilf uns, heil’ge Friedewid’!

Der Mensch weiß wenig, was mit ihm geschieht!

Der Mann fiel sicher durch Astronomie

In Tollheit oder sonst in Agonie!

Ich dachte lange schon, so würd’ es gehn.

In Gottes Heimlichkeit soll Niemand spähn;

Und stets gesegnet sei der schlichte Mann,

Der gar nichts Andres als sein Credo kann.

Man mag’s an jenem Astronomen lernen,

Der auf das Feld einst ging, um nach den Sternen

Zu gucken, um daraus zu prophezein,

Und in die Mergelgrube fiel hinein.

Die sah er nicht. – Doch leid thut mir, fürwahr!

Beim heil’gen Thomas! unser Herr Scholar;

Bald soll vergehn ihm die Studirerei,

Steht mir der Himmelskönig Jesus bei!

Gieb einen Stock zum Unterstemmen mir,

Du aber, Robert, hebst zugleich die Thür;

Aus seinen Studien will ich ihn schon bringen!«

Und zu der Kammerthüre Beide gingen.

Es war der Knecht ein kräftiger Gesell,

Aus ihren Angeln hob die Thür er schnell,

Und in das Zimmer fiel sie stracks hinein.

Doch still und stumm saß Niklaus, wie ein Stein,

Und auf gen Himmel starrt’ er unverrückt.

Der Zimmermeister hielt ihn für verzückt,

Erfaßte bei den Schultern ihn mit Macht

Und schrie, ihn heftig schüttelnd, aufgebracht:

»Was Nikolaus?! Was Mann?! Schau’ doch zur Erde!

Wach’ auf! an Christi Noth denk’ und Beschwerde!

Vor Elf und Hex’ bekreuz’ ich Dich!« – Und dann

Begann sofort er diesen Zauberbann,

Zuerst nach jeder Seite der vier Wälle

Und dann noch schließlich draußen vor der Schwelle:

»St. Benedict und Christus, Herr und Meister!

Beschützt dies Haus vor Nachtspuk und vor Geister!

Vorm weißen Gottseibeiuns schenket Ruh!

St. Peters Schwester, sprich, wo wohnest Du?«

Zuletzt begann der flinke Nikolaus

Zu seufzen, und er sagte: »Welch ein Graus!

Ist denn das Ende dieser Welt so nah’?«

Der Zimmermeister schrie: »Was sagst Du da?

Denk’, wie wir Handwerksleute, doch an Gott!«

»Hol’ einen Trunk mir!« – Nikolaus gebot –

»Dann sollst Du Dinge hören, die für Dich

So wichtig sind, gewißlich, wie für mich,

Und die bestimmt sind für kein andres Ohr!«

Der Zimmermeister ging, und kam empor

Mit starkem Bier in einem großen Krug;

Und als genommen Jeder seinen Zug,

Schloß Nikolaus die Kammerthüre wieder

Und setzte mit dem Zimmermann sich nieder

Und sagte: »Lieber, bester Wirth, Johann,

Bei Deinem Glauben schwöre mir, fortan

Streng mein Geheimniß bei Dir zu bewahren,

Denn Christi Rathschluß will ich offenbaren.

Und plauderst Du, soll es Dir schlimm bekommen!

Zur Strafe wird Dir der Verstand genommen,

Verräthst Du mich. – Drum sei auf Deiner Hut!«

»Verhüt’ es Christ, bei seinem heil’gen Blut!«

– So sprach der dumme Mann – »Ich bin kein Wäscher

Und – sag’ ich’s selbst gleich – auch kein Zungendrescher.

Sprich, was Du willst, bei mir ist’s gut verwahrt

Vor Weib und Kind, bei Christi Höllenfahrt!«

»Johann!« – sprach Niklaus – »Wahrheit liebt mein Mund!

Es wurde durch Astrologie mir kund,

Als ich den hellen Mond mir angeschaut,

Daß nächsten Montag, eh’ der Morgen graut,

Ein Regen fällt von solcher Macht und Wuth,

Nicht halb so schlimm ging’s her bei Noas Fluth.

In Zeit von einer Stunde wird die Welt

Ertränkt, sobald der grause Schauer fällt.

Der ganzen Menschheit geht es an den Leib!«

Der Zimmermeister schrie: »O, weh! mein Weib!

Weh, meine Alison! Soll sie ertrinken?!«

– Zu Boden wollt’ er schier vor Sorge sinken –

»Ist nichts zu thun dagegen?« – rief er aus.

»O, ja, weiß Gott!« – besagte Nikolaus –

»Wenn Du nach meinem Rath zu Werke gehst,

Und nicht auf Deinem eignen Kopf bestehst.

Was Salamo gesprochen hat, bleibt wahr:

Wer Rath annimmt, den reut es nimmerdar.

Willst Du Dich meiner Weisung anbequemen,

So will ich Euch zu retten unternehmen,

Sie, Dich und mich. Nicht Segel braucht’s, noch Mast.

Von Noas Rettung Du gehört wohl hast?

Ward er nicht von dem Herrn gewarnt, es werde

Durch Wasser ausgetilgt die ganze Erde?«

»Ja,« – sprach der Zimmermann – »das weiß ich lange.«

»Und hörtest Du« – frug Nikolaus – »wie bange

Und angst ihn damals seine Frau gemacht,

Bevor er glücklich sie ins Schiff gebracht?

Er hätte dazumal, bei meinem Leben!

All’ seine schwarzen Widder drum gegeben,

Wenn sie besessen ihren eignen Kahn.

Und weißt Du, was daher der beste Plan?

Das Ding geht hastig, und wir müssen eilen.

Ich kann nicht länger predigen und weilen,

Drum schaffe gleich – und richt’ es eilig aus –

Backtröge Du und Bütten in das Haus,

Für jeden eine, aber groß und gut,

Daß, wie im Schiff, wir schwimmen durch die Fluth!

Pack’ Nahrung bei, doch nur genügend eben

Für einen Tag. Das Weitre wird sich geben.

Sobald hereinbricht erst die Tageshelle,

Verlaufen auch die Wasser in der Schnelle.

Doch schwatze nicht zu Robert aus der Schule!

Denn Deinen Knecht und Deine Magd, die Jule,

Kann ich nicht retten. – Frage nicht, warum?

Gott ist geheimnißvoll, und ich – bin stumm.

Sei nicht verrückt und gebe Dich zufrieden,

Daß Dir, wie Noa, solche Huld beschieden.

Dein Weib errett’ ich, Du kannst ruhig sein!

Nun trolle Dich, und richt’ es schicklich ein!

Und wenn für sie und Dich und mich herbei

Geschleppt Du hast die Kübel, alle drei,

Dann hängst Du untern Dachstuhl unsre Tröge,

Damit, was vorgeht, Niemand sehen möge!

Und hast Du Alles, was ich sprach, bedacht

Und Lebensmittel auch herbei gebracht

Sowie ein Beil, die Stricke zu durchtrennen,

Damit, wenn’s Wasser kommt, wir schwimmen können,

Dann brich ein Loch hoch in den Giebelwall

Dicht bei dem Zaun vom Garten überm Stall,

Damit wir wissen, unsern Weg zu finden,

Sobald das Wasser anfängt zu verschwinden.

Flott schwimmst Du dann im nassen Elemente

So wie ein Entrich hinter seiner Ente.«

Dann ruf’ ich: »He, Johann! He, Alison!

Seid guten Muth’s! die Fluth verläuft sich schon!«

Und »Heil Dir, Meister Niklaus!« wirst Du sagen,

»Schön, guten Morgen! es beginnt zu tagen!«

»Und wie einst Noa und sein Weib, so werden

Wir Herren sein vom ganzen Land auf Erden.

Jedoch ein einz’ges Ding hab’ wohl in Acht,

Sei ernst gewarnt, daß in der ganzen Nacht,

Sobald gegangen wir selbdrei an Bord,

Keiner von uns verlauten läßt ein Wort,

Noch schrei und rufe, sondern bete stille;

Zu unserm Besten ist das Gottes Wille.

Du mußt von Deiner Frau gesondert hängen,

Denn Sünde darf sich zwischen Euch nicht drängen,

In Worten nicht, und auch nicht in der That.

Laß Dir’s gesagt sein. – Halte Dich parat!

Und morgen steigen wir, sobald es Nacht

Und alles schläft, in unsere Bütten sacht

Und bau’n auf Gottes Grundbarmherzigkeit. –

Doch nun geh’ fort. Ich habe nicht mehr Zeit

Hierüber lang und breit zu radebrechen.

Man sagt: den Weisen sende, statt zu sprechen.

Du bist so weise, Du brauchst keine Lehren;

Daß Du uns rettest, ist mein Hauptbegehren.«

Mit Ach und Weh zu seufzen nun begann

In seiner Noth der dumme Zimmermann,

Und im Vertrau’n erzählt’ er’s seiner Frau.

Doch sie verstand weit mehr als er genau,

Wohin die wunderliche Sache zielte.

Die bis zum Tod Erschrockene sie spielte

Und schrie: »O, Wehe! mach’ Dich schnell von hinnen,

Wir sind des Todes, wenn wir nicht entrinnen.

Ich bin Dein Weib und Dir getreu ergeben,

Geh’, lieber Mann, und rette unser Leben!«

Was hat die Liebe für gewalt’ge Macht!

Wie Einbildung schon Manchen umgebracht

Mit ihrem tiefen Eindruck auf die Geister,

So jammerte der dumme Zimmermeister.

Es dünkte wirklich ihm, daß wogen er

Schon Noas Sintfluth sähe, wie das Meer,

Und sein Süßliebchen, Alison, ertrunken.

Er jammerte, in Traurigkeit versunken,

Und ächzte, weinte, seufzte, stöhnte, fluchte;

Er machte sich rasch auf den Weg und suchte

Sich Bottich, Kübel dann und Backtrog aus

Und schaffte sie verstohlen in sein Haus,

Wo er am Dachstuhl heimlich fest sie band.

Drei Leitern fertigt er mit eigner Hand

Um auf den Sprossen zwischen beiden Stangen

Zum Balken in die Tröge zu gelangen,

Und füllte darauf jede der drei Wannen

Mit Käse, Brod und gutem Bier in Kannen;

Genug, um einen Tag davon zu leben.

Jedoch, bevor er sich ans Werk begeben,

Entsandt’ er seine Magd und den Gesellen

Nach London, eine Botschaft zu bestellen.

Und als der Montag endlich ging zur Ruh’,

Schloß ohne Licht er seine Hausthür zu

Und sah aufs Beste jede Sache vor.

Bald stiegen dann sie alle Drei empor

Und saßen stille für geraume Frist.

»Nun, Paternoster!« – sagte Niklaus – »Pst!«

Und »Pst!« sprach Jan, und »Pst!« sprach Alison.

Es murmelte Gebet und Devotion

Der Zimmermeister leise dann und lauschte

Und horchte, ob der Regen draußen rauschte?

Doch wie ein Bär schlief nach des Tages Müh’

Der Zimmermeister fest und tief schon früh,

Als – denk’ ich – kaum die Abendglocke tönte.

Im Herzen war er schwer bedrückt und stöhnte,

Und schnarchte häufig, denn sein Kopf lag schief.

Hinab die Leiter Niklaus schleunig lief,

Zog Alison ganz leise mit sich fort

Zu sich ins Bett und redete kein Wort.

Und, wo der Zimmermann gewohnt zu liegen,

Da trieben ihren Scherz und ihr Vergnügen

Jetzt fröhlich Alison und Nikolaus,

Und hielten wacker bei der Arbeit aus,

Bis daß die Glocken morgens »Laudes« rangen

Und Klosterbrüder vor dem Altar sangen.

Doch Absalon, dem Küster, der zur Zeit

Noch voller Liebe war und Liebesleid,

Gefiel es, diesen Montag mit viel Andern

Zum Zeitvertreib nach Osenay zu wandern.

Dort traf er einen Klosterbruder an

Und frug ihn heimlich nach dem Zimmermann.

Ihm aus der Kirche folgte rasch abseits

Der Mönch und sprach: »Seit Samstag sah bereits

Ich ihn beim Werk nicht. Möglich, daß befohlen

Ihm unser Abt hat, Zimmerholz zu holen.

Er ist gewohnt, nach Bauholz auszugehn

Und in der Scheuer über Nacht zu stehn.

Doch mag er auch in seinem Hause weilen;

Denn sichre Auskunft kann ich nicht ertheilen.«

Wohl war nun Absalon voll Fröhlichkeit.

»Die Nacht« – sprach er – »durchwach’ ich! Jetzt ist’s Zeit!

Denn das ist sicher, schon seit Tageslicht

Sah ich den Mann vor seiner Hausthür nicht.

Es muß gelingen! Nach dem ersten Krähen

Des Hahns will leise vor ihr Haus ich gehen;

Dort klopf’ ich heimlich an ihr Fenster an,

Und meiner Alison erzähl’ ich dann

All meine Liebesnoth, und – wie ich denke –

Wird mindestens ein Kuß mir zum Geschenke;

Denn eine Gunst mich sicherlich beglückt,

Mir hat der Mund den ganzen Tag gejückt;

Und einen Kuß will dies gewiß besagen.

Auch träumt’ ich in der Nacht von Festgelagen;

Drum schlaf’ ich jetzt ein Stündchen oder mehr,

Und heute Nacht geht’s wach und lustig her!«

Als kaum der erste Hahn gekräht, stieg schon

Aus seinem Bett der lust’ge Absalon

Und zog sich an, um prächtig auszuschauen;

Süßholz und Körner fing er an zu kauen,

Um schön zu riechen, wenn er bei ihr wäre,

Nahm in den Mund noch eine Liebesbeere,

Das sähe – dacht’ er – gar so zierlich aus,

Und schlich sich vor des Zimmermeisters Haus,

Vorm Fenster wartend, welches in der Wand

Nur etwa brusthoch überm Boden stand.

Er hustete und sprach im Flüsterton:

»Wie steht’s, mein Honigscheibchen, Alison?

Mein Vögelchen, mein süßer Zimmetstengel,

Wach’ auf mein Schatz, und sprich mit mir, mein Engel!

Du denkst wohl kaum an all mein Leid und Wehe,

Indeß vor Lieb’ ich schwitze, wo ich gehe;

Und wahrlich, Wunder ist’s nicht, daß ich schwitze.

Ich trau’re, wie ein Lämmlein nach der Zitze!

An Treu’ und Sehnsucht bin ich, Liebchen glaube,

Und an Verlangen wie die Turteltaube,

Und appetitlos wie ein Mädchen werd’ ich!«

»Hansnarre!« – sprach sie – »Gleich vom Fenster scheer’ Dich!

Hilf Gott, Gevatter, steh’ doch ab davon;

Bei Christ, zu tadeln wär’ ich, Absalon!

Du weißt, daß einem andern ich gewogen;

Drum trolle Dich; sonst kommt ein Stein geflogen!

Zum Teufel auch! laß schlafen mich und geh’!«

»Ach, ach!« – sprach Absalon – »und alle Weh’!

Daß solchen Lohn die Treue finden muß!

Gieb mir zum mindesten doch einen Kuß,

Zu Liebe mir und bei der Liebe Christi!«

»Und willst Du dann Dich packen?« – frug mit List sie.

»Ja, sicherlich, mein Schatz!« – sprach Absalon.

»Dann mach’ Dich fertig, denn ich komme schon.«

Auf seine Knie’ warf Absalon sich hin

Und sprach: »Welch Glückskind ich doch immer bin!

Denn hinterdrein giebt’s sicherlich noch mehr! –

Komm’ lieber Schatz, mein Vögelchen, komm’ her!«

Sie aber warf das Fenster auf im Nu,

»Nun rasch und eilig!« – rief sie »mache zu!

Sonst kommen noch die Nachbarn uns dazwischen.«

Den Mund begann sich Absalon zu wischen

– Pechkohlenschwarze, dunkle Nacht war’s noch –

Und aus dem Fenster steckte sie ihr L…

Wie’s gehen mußte, ging es auch. – Wahrhaftig,

Er küßte sie vorm bloßen H…… saftig,

Bevor er seines Irrthums noch gewiß. –

Zurück sprang er und frug sich: »Ging ich miß?«

Er wußte ja, daß Frauen ohne Bart,

Und dennoch war das Ding ganz rauh behaart.

»Pfui!« schrie er auf. – »Was that ich nur? O, weh!«

Rasch schloß das Fenster sie und rief: »Ade!«

Und Absalon zog trüb’ des Weges weiter –

»Ein Bart, ein Bart!« – schrie Nikolaus nun heiter –

»Pottsknochen! besser konnt’ es gar nicht gehn!«

Doch jedes Wort konnt’ Absalon verstehn

Und sprach, indem er sich die Lippen biß

Vor Wuth und Scham: »Dir zahl’ ich’s heim, gewiß!«

Wer rieb, wer scheuerte den Mund je so

Mit Sand und Staub, mit Lappen, Tuch und Stroh,

Wie Absalon jetzt sonder Unterlaß?

»Mich hole« – sprach er – »gleich der Satanas!

Weit lieber als die ganze Stadt – so dächt’ ich –

Wär’s mir, wenn meinen Schimpf nur erst gerächt ich!

O, weh! o, weh! wie war ich so verblendet!«

Die Liebe war erloschen und verendet

Seit jener Zeit, wo ihren A…. geküßt er,

Und keinen Deut gab für sie mehr der Küster.

Es war die Liebesabenteuersucht vorüber,

So gründlich war geheilt er von dem Fieber;

Er heulte nur wie ein geschlagnes Kind.

Hin durch die Straßen lief er dann geschwind

Zu einem Schmied, Gervasius geheißen,

Der in der Schmiede stets mit Pflügeschweißen

Und Messerschärfen mancherlei zu thun.

Und Absalon pocht an die Thüre nun

Und spricht: »Gervasius, öffne mir das Thor!«

»Wer bist denn Du?« – »Absalon steht davor!«

»Was, Absalon? Bei Christi Kreuzbeschwer!

Ei, benedicite, wo kommst Du her?

Was fehlt Dir nur? Gott weiß es, sicherlich

Hast Du ein schönes Mädchen auf dem Strich;

Bei St. Neot! Du weißt schon, was ich meine.«

Doch Absalon bewegte keine Steine

Von seinem Spiel und stand ihm keine Rede.

An seinem Rocken hatt’ er weit mehr Heede,

Als jener dachte. – »Lieber Freund, erweisen

Kannst Du mir eine Gunst. Das heiße Eisen

In Deiner Esse« – sprach er – »leih’ mir schnell,

Ich brauch’s und bring’ es wieder auf der Stell’.«

»Und wär’ es Gold« – so sprach Gervasius rasch –

»Und ungezählte Nobel in der Tasch’,

Dein soll es sein, so wahr wie ich ein Schmied!

Ei, Christi Fuß; was willst Du nur damit?«

»Das laß« – sprach Absalon – »Dich jetzt nicht quälen.

Ich werd’ es eines Tages Dir erzählen.«

Am kalten Ende faßte mit der Hand er

Das Eisen an, und aus der Thür verschwand er

Und ging zurück zum Haus vom Zimmermann,

Und an die Fensterlade pocht’ er an

Und hustete, wie er gethan zuvor.

Und Alison rief aus: »Wer steht davor?

Wer klopft hier an? – Ich glaub’, es ist ein Dieb!«

»Nein, Nein« – sprach er – »weiß Gott, mein süßes Lieb,

Es ist Dein Absalon, Dein Schmetterling!

Von Golde« – sprach er – »bring’ ich einen Ring.

Die Mutter gab ihn mir. Bei meinem Leben!

Hochfein ist er und schön gravirt daneben.

Ich schenk’ ihn Dir, willst Du mich nochmals küssen!«

Niklaus, der eben aufstand, um zu p…..,

Beschloß ihn rasch, bevor er ging, zu necken

Und seinen A…. zum Kuß hinauszustecken.

Er hatte rasch das Fenster aufgestoßen,

Und aus demselben hielt er seinen bloßen

Und dicken St…. bis an die Schenkelknochen.

Und gleich darauf, als Absalon gesprochen:

»Wo bist Du Vöglein? – Ich kann Dich nicht sehn!«

Ließ einen F… der flinke Niklaus gehn,

Als wär’ ein Donnerbolzen abgesendet.

War Absalon auch schier vom Streich geblendet,

Hielt er das Eisen dennoch fest, und heiß

Stieß er dasselbe Niklaus in den St….

Rings um die Kerbe, breit wie eine Hand

War ihm die Haut vom heißen Stahl verbrannt.

In Todesängsten schrie er jammervoll

Und zeterte vor Schmerz und Qual wie toll:

»Hilf! Wasser! Wasser! – Gott und alle Geister!«

Aus seinem Schlummer fuhr der Zimmermeister

Und hörte »Wasser!« schrein. Und kurz und gut,

Er dachte: »Weh’ mir! jetzt kommt Noas Fluth!«

Er sprang empor und hieb im Augenblicke

Mit seinem Beile mitten durch die Stricke.

Pardautz! Mit Brod und Bier und Allem fuhr

Der Zimmermann hernieder auf die Flur

Und lag besinnungslos dort auf der Schwelle.

Holla! Heraus! Herbei! schrie’n, auf der Stelle

Aufspringend, Alison und Nikolaus;

Schnell lief die ganze Nachbarschaft ins Haus,

So groß, wie klein, und gaffte staunend an

Den bleichen und besinnungslosen Mann,

Der durch den Fall gebrochen seinen Arm.

Doch mußte tragen er allein den Harm.

Denn, wenn er sprach, so widersprachen schon

Sofort ihm Nikolaus und Alison,

Und sagten jedem, er sei gänzlich toll.

Vor Noas Fluth sei er besorgnißvoll

Seit langer Zeit gewesen und im Wahn

Hätt’ er geschafft drei große Fässer an

Und oben in dem Dachstuhl aufgehängt,

Und sie um Gotteswillen arg bedrängt,

Mit ihm zu sitzen drin in Compagnie.

Und Alle lachten ob der Phantasie,

Und guckten dann und gafften hin zum Dach

Und trieben Scherz mit seinem Ungemach.

Was auch der Zimmermeister sprach und sagte,

Kein einz’ger war, der nach den Gründen fragte.

Durch Fluchen, Schwören, gänzlich unterdrückt,

Galt in der ganzen Stadt er für verrückt.

Sah ein Student den andern auf dem Wege,

Hieß es: »Der Mann ist toll, mein Herr College!«

Und Alle lachten über diese Possen.

So war des Weibes süßer Leib genossen,

Dem eifersücht’gen Zimmermann zum Torte,

Geküßt hat Abs’lon ihre Hinterpforte

Und a.. verbrannt ist Meister Nikolaus!

Glück auf die Reise! – mein Bericht ist aus.

Der Prolog des Landverwalters.

Vers 3853–3918.

Nachdem das Volk belacht den lust’gen Spaß

Vom Absalon und flinken Nikolas,

Gab’s zwar verschiedne Meinung bei den Leuten,

Obschon die Meisten lachten und sich freuten;

Und wohl gefiel im Ganzen der Bericht;

Nur einzig Oswald, dem Verwalter, nicht,

Dem etwas Groll im Herzen sitzen blieb,

Dieweil er selbst das Zimmerhandwerk trieb.

Und er begann zu tadeln und zu schelten:

»Mit einem Müller könnt’ ich Dir’s vergelten,

Den man trotz seines Hochmuths hintergangen,

Trüg’ ich nach liederlichem Zeug Verlangen.

Zu alt bin ich, um mitzuthun, indessen,

Graszeit ist hin, und Heu ist jetzt mein Fressen.

Dies weiße Haupt spricht laut von meinen Jahren,

Und mit dem Herzen steht’s wie mit den Haaren.

Doch, wie die Mispel hat die Eigenart,

Daß sie erst schmeckt, wenn man sie aufbewahrt

Und faulen läßt in Dünger oder Stroh,

Geht es uns Alten, fürcht’ ich, ebenso.

Bevor wir faul sind, sind wir nicht gereift,

Wir tanzen stets, so lang’ die Welt uns pfeift.

Der Lust ist nie der Prickel auszuziehn;

Der Kopf wird weiß, doch bleibt der Stengel grün

Wie bei dem Lauch. – Ist uns die Kraft vergangen,

Vergeht doch nicht das Wollen und Verlangen.

Fehlt uns das Können, greifen wir zum Wort,

Denn in der Asche glüht das Feuer fort;

Es glimmen nämlich von den Funken vier,

Prahlsucht und Zorn und Lügen und Begier,

Bis in das Greisenalter noch beständig,

Und machen unsre Glieder gar unbändig,

Und werden, meiner Treu, auch nicht erkalten.

So hab’ auch ich den Füllenzahn behalten.

Seit langen Jahren ist mein Lebensfaß

Schon angezapft und abwärts fließt das Naß.

Als ich geboren, schlug bereits Freund Hein

Das Spundloch auf und stieß den Zapfen ein.

Rasch rann der Strom des Lebens stets seither,

Daß nahezu mein ganzes Faß schon leer,

Es tropft und sickert nur mehr von den Dauben.

Die dumme Zunge nur kann sich erlauben,

Von Jugendsünden, die uns einst erfreuten,

Kindisch zu schwätzen, bei uns alten Leuten.«

Als unser Wirth ersah, daß der Sermon

Zu Ende war, sprach er im Herrscherton:

»Was ist der langen Rede Zweck gewesen?

Willst Du den ganzen Tag die Bibel lesen?

Der Teufel macht Verwalter zu Pastoren

Und Schuhflicker zu Schiffern und Doctoren!

Erzähle frisch und zögre nicht und stocke!

Dort ist schon Deptford und halb acht die Glocke!

Dort Greewich, wo manch böses Volk zu Haus!

Daß Du beginnst, erheischt die Zeit durchaus.«

»Nun, Herren!« – der Verwalter Oswald sprach –

»Ich bitt’ Euch alle, tragt es mir nicht nach,

Wenn ich den Hut zurecht ihm etwas setze.

Für Hiebe, Hiebe – so steht’s im Gesetze!«

Vom trunknen Müller uns gemeldet ward,

Wie einen Zimmermeister man genarrt;

Aus Spott wohl, denn ein solcher bin ich eben.

Doch, mit Verlaub, ich will’s ihm wiedergeben

Und grade wie der Flegel will ich sprechen!

Mög’ er – Gott geb’ es! – seinen Nacken brechen!

Nach Splittern will in meinem Aug’ er spähn,

Und kann den Balken nicht im eignen sehn!

Die Erzählung des Landverwalters.

Vers 3919–4322.

Bei Trumpington nicht fern von Cambridge fließt

Ein Bach; und unweit einer Brücke siehst

Du eine Mühle liegen an dem Bache.

Dort war – ich melde eine wahre Sache –

Seit langer Zeit ein Müller schon zu Haus.

Er spreizte stolz sich wie ein Pfauhahn aus;

Er konnte pfeifen, fischen, schießen, ringen,

Die Netze flicken und den Becher schwingen.

Eine Pavade von gewalt’ger Länge

Trug, scharfgeschliffen, er am Wehrgehänge.

Im Hosensack er einen Puffer führte,

Und in Gefahr kam, wer ihn nur berührte.

Ein Sheffield-Messer trug er in dem Strumpf.

Sein Kopf war rund und seine Nase stumpf.

Kahl war sein Schädel wie ein Affensteiß.

Auf jedem Markt schrob er empor den Preis.

Wenn man ihn nur berührte mit der Hand,

Schwur er gleich Rache, die man bald empfand.

Selbstredend war ein Dieb von Korn und Mehl er,

Doch ein geriebner und durchtriebner Stehler.

Den stolzen Simkins hieß man ihn mit Namen.

Ein Weib besaß er aus höchst edlem Samen;

Ihr Vater war der Pfaffe von dem Städtchen,

Erziehen ließ im Kloster er das Mädchen

Und gab ihr mit viel kupferne Geschirre,

Damit er Simkins, sie zu freien, kirre;

Denn, da er Freisaß, sei ihm Standes wegen

– Sprach Simkins – sehr an Jungfernschaft gelegen,

Und ohne Mitgift wollt’ er keine frein.

Stolz war sein Weib und wie ein Elsterlein

So schwatzhaft. – Aber herrlich war die Schau,

Wenn – er voran und hinterdrein die Frau –

An Fest- und Feiertagen alle beide

Zur Kirche gingen, sie im rothen Kleide

Und hochbemützt in rothen Strümpfen er.

Wenn je ein Bursch so frech gewesen wär’,

Sie anders wie »Madam« zu tituliren,

Mit ihr zu scherzen oder zu charmiren,

Erschlagen hätte Simkins solchen Strolch

Mit seinem Degen, Messer oder Dolch.

– Gefährlich ist der Eifersücht’gen Grimm,

Und ihre Weiber haben’s immer schlimm. –

Zwar etwas schmierig, doch voll Dignität

War sie wie Wasser, das im Graben steht.

Geneigt war sie zum Aerger und zum Schelten,

Und dachte jeder Dame gleich zu gelten

An Herkunft, und weil Bildung sie empfing

Im Nonnenstift, wo sie zur Schule ging.

Ein Töchterchen von zwanzig Jahren hatten

In ihrer Ehe nur erzeugt die Gatten,

Den Buben in der Wiege ausgenommen,

Der vor sechs Monden hinterdrein gekommen.

Dick war das Mädchen und von gutem Bau,

Die Nase stumpf, die Augen klar und grau,

Die Hüften breit, die Brüste rund und voll,

Und schön ihr Haar, wenn ich nicht lügen soll.

Zur Erbin hatte, da das Kind so schön,

Der Pfaffe sein Großtöchterchen ersehn,

Auch ihr an Vieh und Gütern jeder Art

Im Heirathsfall das Eigenrecht gewahrt.

Er wünschte für sie einen Eh’genossen,

Aus altem Blut und gutem Haus entsprossen.

Antheil gebührt vom heil’gen Kirchengut

Der Descendenz vom heil’gen Kirchenblut.

Ihm schien’s, sein heilig Kirchenblut zu ehren,

Erlaubt, vom heil’gen Kirchengut zu zehren.

Des Müllers Mahlverdienst war zweifellos

An Malz und Weizen rings im Lande groß.

Besonders war in Cambridge dies der Fall,

Wo ein Colleg, genannt die Söller Hall’,

Zur Mühle sämmtliches Getreide sandte.

Indessen eine schwere Krankheit bannte

Den Schaffner an sein Bett, und Jedermann

Sah seinen Tod als unvermeidlich an.

War nun der Müller schon vorher ein Stehler,

So stahl jetzt hundertfach an Korn und Mehl er,

Und wenn er’s früher noch mit Maß betrieb,

So war er jetzt der unverschämt’ste Dieb.

Doch ob der Rector schalt und schrie Hallo!

Das kümmerte den Müller nicht ein Stroh;

Er schwur und tobte, Lügner seien Alle!

Nun wohnten damals in der Söller Halle,

Von der ich schon gesprochen, zwei Scholaren,

Die arm, doch jung und übermüthig waren,

Und die, stets aufgelegt zu Scherz und Spaß,

Den Rector quälten sonder Unterlaß,

Mit ihrem Korn zur Mühle hin zu gehn,

Um sich das Mahlen selber anzusehn.

Sie beide wollten ihren Hals dran setzen,

Im Falle durch Gewalt und List beim Metzen

Der Müller sie nur um ein Maß beraubte.

So kam es, daß der Rector es erlaubte.

Johann und Alein hießen die Scholaren,

Aus Strother, hoch vom Norden her, sie waren,

Doch, wo die Stadt liegt, ist mir unbekannt.

Als Alein darauf Alles nun in Stand

Gerichtet, lud er seinen Sack aufs Pferd,

Und Hans und er ergriffen Schild und Schwert,

Und, da der Wege kundig war Johannes,

Ging ohne Führer eilig fort sodann es,

Bis an die Mühle sie den Sack gebracht.

Und Alein sprach: »Heil, Simon! Ei, was macht

Dein schmuckes Weib und Töchterlein? Sag’ an!«

»Willkommen mir, Herr Alein und Johann!

Nun, meiner Treu,« – sprach Simkins – »was soll’s geben?«

»Simon,« – sprach Hans – »die Noth lehrt beten eben;

Sich selbst bedient, wer eines Knechts entbehrt,

Sonst ist ein Narr er, wie der Weise lehrt.

Der Küchenmeister stirbt bald, wie ich wähne,

Ihm wackeln schon im Kopf die Backenzähne,

Weßhalb statt seiner ich und Alein gingen,

Das Korn gemahlen wieder heim zu bringen.

Wir bitten, eile! denn es drängt uns fort.«

»Das wird besorgt« – sprach Simkins – »auf mein Wort!

Doch wie wollt Ihr Euch nur die Zeit vertreiben?«

»Bei Gott!« – sprach Hans – »ich will am Trichter bleiben;

Ich sah noch nie, bei meines Vaters Blut!

Wie man das Korn hinunterschütten thut,

Und wie’s im Trichter schüttelt hin und her!«

»Nun, Hans!« – sprach Alein – »ist das Dein Begehr,

Mach’ ich’s wie Du und stell’, bei meiner Seel’!

Mich unten auf, zu sehen, wie das Mehl

Zum Loch hinaus und in den Kasten fällt;

Denn, wie mit Dir, ist es mit mir bestellt:

Ich bin als Müller fast so dumm wie Du!«

Der Müller aber hörte lachend zu

Und dachte: »Das sind alles nichts als Lügen,

Sie denken, Niemand könne sie betrügen;

Doch, meiner Treu’! ich übertölp’le sie

Trotz aller Schlauheit und Philosophie!

Je mehr sie kommen mit solch krummen Schlichen,

Je mehr und mehr wird von mir eingestrichen,

Und statt des Mehls bekommen sie die Klei’!

Daß ein Gelehrter nicht der Schlau’ste sei,

Ward schon dem Wolf bewiesen durch das Pferd.

All’ ihre Kunst ist keinen Strohhalm werth.«

Und aus der Thüre schlich der Müller sachte,

Sobald er sah, daß es kein Aufsehn machte,

Und spähte hin und her, bis er gefunden,

Wo der Scholar das Rößlein angebunden,

Das hinten unter einer Laube stand.

Rasch schlich er sich heran und strich gewandt

Dem Gaule dann rasch übern Kopf den Zaum.

Der Hengst begann durch dick und dünn, als kaum

Er frei sich spürte, wiehernd fort zu springen

Dem Moore zu, wo wilde Mähren gingen.

Der Müller kehrte heim und sprach kein Wort,

In seiner Arbeit fuhr er munter fort

Und trieb mit den Studenten Schabernack.

Kaum war das Mehl gemahlen und im Sack,

Ging Hans hinaus, daß nach dem Gaul er sähe;

Doch der war fort, und Hans schrie: »Alle Wehe!

Ach, Alein, eile, komm’ in aller Schnelle!

Um Gottes Willen, hilf mir auf der Stelle!

Ach! unser Rector hat sein Pferd verlor’n!«

Im Augenblicke gingen Mehl und Korn

Und jede Vorsicht Alein aus dem Sinn;

»Wo ist der Gaul?« – schrie er – »wo lief er hin?«

Gleichzeitig rann die Müllerin hervor:

»Da läuft, so rasch es laufen kann, im Moor«

– Rief sie – »mit wilden Mähren Euer Pferd!

Und andern Lohn ist auch die Hand nicht werth,

Die es so liederlich hier angebunden!«

»Alein,« – rief Hans – »wirf doch, bei Christi Wunden!

Dein Schwert von Dir; es wiegt, Gott mag es wissen,

Schwer wie ein Reh! Ich hab’ es weggeschmissen!

Es darf, bei Gott, das Pferd uns nicht entkommen!

Warum hast Du’s nicht in den Stall genommen?

Verdammter Alein! ach, Du bist ein Thor!«

In Hast und Eile rannten hin zum Moor

Die zwei Scholaren, Alein und Johann.

Der Müller sah’s, und ging sogleich daran,

Ein halbes Scheffel Mehl sich auszusacken

Und hieß der Frau draus einen Kuchen backen.

Er sprach: »Wie schlau auch der Studenten Art,

Ein Müller putzt selbst ihnen noch den Bart

Trotz ihrer Weisheit! – Kinder, viel Vergnügen!

Da gehn sie hin! Nur immerzu! – Sie kriegen,

Bei meiner Treu’, so leicht den Gaul nicht wieder!«

Die dummen Schüler liefen auf und nieder

Mit »Halt! – Steh’ still! – Komm, komm! – Hussa, mein Thier!

Geh’, pfeife Du, ich steh’ und fass’ ihn hier!«

Doch, kurz und gut, es war schon finstre Nacht,

Bevor sie noch trotz aller Müh’ und Macht

In einen Graben ihren Gaul gehetzt

Und eingefangen ihn zuguterletzt.

So matt und naß wie Thiere nach dem Regen,

Kroch Hans hervor mit Alein, dem Collegen.

»Weh’ sei dem Tag,« – sprach Hans – »der mich geboren!

Zu Schimpf und Schande sind wir auserkoren!

Gestohlen ist das Korn! Mit Spott beladen

Wird uns der Rector und die Kameraden,

Und ach! der Müller wohl vor allen Dingen!« –

So klagte Hans, als Beide fürbaß gingen

Der Mühle zu, den Braunen an der Hand,

Derweil der Müller vor dem Feuer stand.

Im Dunkeln konnten sie nicht weiter ziehn,

Drum baten sie um Gotteswillen ihn

Um Essen und um Herberg für ihr Geld.

Der Müller sagte: »Nun, wie’s steht und fällt,

Und wie es ist, sei es Euch gern gewährt.

Mein Haus ist eng, doch Ihr seid hochgelehrt;

Durch Argumente dehnt Ihr einen Raum

Zur Meile aus, der zwanzig Fuß breit kaum.

Wir wollen sehn, ob Euch der Platz gereicht?

Sonst sprecht ihn größer, Eurer Kunst ist’s leicht!«

Hans sagte: »Simon, bei St. Cuthberts Blut!

Dein Witz ist trefflich und die Antwort gut;

Ich hörte sagen: ist die Wahl bedingt,

Nimm, was Du findest oder man Dir bringt;

Doch, lieber Wirth, ich bitte Dich, jetzt denke

Vor allem an die Speisen und Getränke.

Sieh’, hier ist Geld, das willig wir verspenden,

– Man lockt die Falken nicht mit leeren Händen –

Und unsern vollen Preis bezahlen wir.«

Der Müller schickte gleich nach Brod und Bier

Zur Stadt die Tochter und hing an den Heerd

Die fette Gans und band dann fest ihr Pferd.

Mit Tüchern von Chalons und feinem Leinen

Bedeckt’ er drauf ihr Bett, das von dem seinen

Zehn bis zwölf Fuß etwa entfernt nur war. –

Nun schlief – in ihrem eignen Bette zwar –

Doch dicht dabei im selben Kämmerlein

Die Tochter, und nicht anders konnt’ es sein,

Denn Herbergszimmer waren nicht im Hause.

Vergnüglich saßen sie beim Abendschmause

Und tranken weidlich starkes Bier dazu,

Und gingen gegen Mitternacht zur Ruh’.

Der Müller hatte mächtig pokulirt,

Nicht roth, nein weiß war sein Gesicht lackirt;

Mit Schlucken sprach er und mit Nasenzwang,

Als sei an Schnupfen er und Leibweh krank,

Und ganz betrunken sich zu Bette wälzt’ er.

Auch seine Frau stieg, plappernd wie die Elster,

Vergnügt und lustig in das Bett geschwind.

Zu Füßen stand die Wiege mit dem Kind,

Um es zu tränken und in Schlaf zu wiegen;

Und, da kein Tropfen Bier mehr in den Krügen,

Ging auch zu Bett die Tochter, und alsdann

Zu Bette gingen Alein und Johann.

Auf keinen Schlaftrunk konnten sie mehr hoffen;

Rein war das Bier vom Müller ausgesoffen,

So daß er schnarchte wie ein Gaul im Traum;

Und auch sein Schwanzend hielt er nicht im Zaum.

Sein Weib sang kräftig ihren Rundreim mit,

Man hörte schnarchen sie auf tausend Schritt’,

Und auch die Dirne schnarcht par compagnie.

Ins Ohr drang Alein diese Melodie,

Er weckte Hans und sprach: »Wie? schläfst denn Du?

Horchtest Du je solch einem Singsang zu?

Welch ein Concert wird aufgeführt von Allen!

Auf ihre Leiber möge Feuer fallen!

So Gräuliches hab’ ich noch nie vernommen,

Doch soll es ihnen schließlich schlimm bekommen!

Für diese Nacht ist nicht an Schlaf zu denken;

Jedoch, was thut’s? Mich soll es wenig kränken;

Denn, Hans,« – sprach er – »der Kuckuk soll mich holen!

Gelingt’s mir nicht, die Dirne zu versohlen.

Wir dürfen uns entschädigen, Johann,

Denn ein Gesetz besagt: ein Jeder kann,

Sofern ein Unrecht man an ihm begangen,

Mit Fug und Recht dafür Ersatz verlangen.

Der Müller stahl das Korn uns, das ist klar,

Und da ein Unrecht zugefügt mir war,

Gebührt mir ein Ersatz auch, unbestritten,

Für meinen Schaden, welchen ich erlitten;

Bei Gottes Seele, das ist ausgemacht!«

»Nun, Alein,« – sagte Hans – »nimm Dich in Acht,

Der Müller kommt mir höchst gefährlich vor,

Störst Du ihn plötzlich aus dem Schlaf empor,

Spielt er uns beiden sicher eine Tücke!«

»Das kümmert mich« – sprach Alein – »keine Mücke!«

Stand auf und kroch zur Dirne in das Nest.

Auf ihrem Rücken schlief sie tief und fest,

Und bei ihr war er, ehe sie’s erspäht,

Und, um zu schreien, war es schon zu spät,

Denn – kurz und gut – sie gingen gleich daran.

Vergnügtes Spiel! – Jetzt sprech’ ich von Johann.

Ganz still lag Hans für eine kurze Zeit

Und machte sich viel Weh’ und Herzeleid.

»Ach!« – sprach er – »dieses ist ein Schelmenstreich!

Ich selber – dünkt mich – bin dem Affen gleich.

Mein Freund entschädigt sich für seinen Harm,

Des Müllers Tochter hält er in dem Arm,

Und für sein Wagestück hat er Vergnügen,

Doch wie ein Strohsack muß im Bett ich liegen,

Wird eines Tags erzählt der lust’ge Scherz,

Gelt’ ich als Narr und Dummbart allerwärts.

Bei meiner Treu’! auch ich will etwas wagen;

Denn wer nicht wagt, gewinnt nicht, hört’ ich sagen.«

So stand er auf und schlich zur Wiege sachte,

Hob sie empor mit leiser Hand und brachte

Sie zu den Füßen seines Betts behende.

Bald machte mit dem Schnarchen auch ein Ende

Die Müllerin, verließ das Bett und p…..

Und tappte sich zurück, jedoch vermißte

Die Wiege, denn die stand nicht länger da.

»O, weh!« – sprach sie – »ich irrte mich beinah’,

Ums Haar stieg ich ins Bett zu den Scholaren!

Grundgüt’ger Gott! da wär’ ich faul gefahren!«

So ging sie fort, bis sie die Wiege fand

Und tappte dann sich weiter mit der Hand

Zum Bette hin, der Wiege nebenbei;

Und dachte nun, daß sie ganz richtig sei;

Denn, da es dunkel, war sie nicht im Klaren,

Doch – kurz und gut – sie kroch zu dem Scholaren

Und lag ganz still und fing zu schlafen an.

Nach kurzer Zeit erhob sich dann Johann

Und kniete sich mit Macht aufs gute Weib.

Nicht oft genoß sie solchen Zeitvertreib,

Denn hart und tief stieß er hinein wie toll.

So lebten die Scholaren freudenvoll,

Bis daß der Hahn zum dritten Mal gekräht.

Und Alein, der die ganze Nacht genäht,

War matt geworden um die Morgenzeit,

Und sprach: »Mein Miekchen, meine süße Maid!

Leb’ wohl! ich muß von hinnen; es wird Tag.

Doch, wo ich reiten oder gehen mag,

Der Deine bleib, bei meiner Seligkeit, ich!«

»Nun, mein Herzliebster,« – sprach sie – »Gott geleit’ Dich!

Doch, eh’ Du gehst, sag’ ich Dir noch ein Wort.

Eilst heimwärts Du aus unsrer Mühle fort,

Vergiß nicht, bei der Thür umher zu suchen.

Du findest hinter dieser einen Kuchen,

Halbscheffelgroß aus Deinem Mehl gebacken.

Ich selbst half Vater es bei Seite packen.

Gott schütze Dich, Du herzgeliebter Mann!«

Und mit dem Wort fing sie zu weinen an.

Und Alein geht und denkt, bevor es helle,

Kriech’ ich zu Hans in meine Lagerstelle.

Doch, da er dort die Wiege stehen fand,

Sprach er: »Gott weiß! ich habe mich verrannt!

Mein Kopf ist wüst; ich trieb es gar zu fleißig

Die Nacht hindurch; drum ging ich fehl, das weiß ich,

Denn an der Wiege merk’ ich ganz genau:

Hier schläft der Müller und die Müllersfrau.«

Er tastete dann teufelmäßig schief

Sich hin zum Lager, wo der Müller schlief;

Und in dem Glauben, bei Johann zu sein,

Stieg zu dem Müller er ins Bett hinein,

Und schüttelt’ ihn und faßt’ ihn bei dem Schopf

Und sprach: »Johann, wach’ auf, Du Schweinekopf!

Bei Christi Seel’! das war ein Hauptvergnügen!

Beim heiligen Jakobus! ohne Lügen

Hab’ dreimal ich in dieser kurzen Nacht

Des Müllers Tochter kerzengrad bedacht,

Indessen feige Deine Zeit verpaßt Du!«

»Ha! falscher Buhler!« – schrie der Müller – »hast Du?!

O, falscher Erzverräther von Student!

Ich bring’ Dich um, bei Gottes Sakrament!

Wie? zu entehren hast Du Dich erfrecht

Mein Kind aus solchem nobelen Geschlecht?!«

Und damit griff er Alein an den Hals,

Doch grimmig faßte der ihn ebenfalls,

Schlug mit der Faust ihm auf die Nase, daß

Sofort von Blut die ganze Brust ihm naß;

Und mit zerbrochnem Mund und Nasenbeine

Wälzten sich Beide wie im Dreck die Schweine.

Herüber und hinüber ging das Spiel,

Bis über einen Stein der Müller fiel,

Und rücklings auf das eigne Weib hinsank.

Die wußte Nichts von diesem dummen Zank,

Denn eben eingeschlafen war sie tief

Bei Hans, der selbst die ganze Nacht nicht schlief.

Doch plötzlich wurde durch den Fall sie wach.

»Beim heil’gen Kreuz von Bromeholm!« – sie sprach –

»In manus tuas, Herr! – Ich bitte Dich,

Simon! wach’ auf! der Böse reitet mich!

Ich bin halb todt; mir ist das Herz gebrochen!

Es liegt mir schwer auf Leib und Kopf und Knochen!

Hilf Simon! die Studenten sind in Streit!«

Zum Bett hinaus sprang Hans mit Schnelligkeit,

Und hin und her begriff er alle Wände,

Zu fühlen, ob er einen Stock nicht fände.

Auch sie sprang auf und, besser mit dem Ort

Als Hans bekannt, fand sie den Stock sofort.

Und sie erspähte – denn ein Schimmerschein

Fiel von dem Monde durch ein Loch hinein –

Am Boden zwei Gestalten bei dem Licht,

Doch sie erkannte, wer sie waren, nicht.

Ein weißes Ding nur sah ihr Auge funkeln,

Und da nun dieses weiße Ding im Dunkeln

Einer Scholarenzipfelnachtmütz’ glich,

Sie mit dem Stocke nah’ und näher schlich;

Doch statt auf Alein, dem es zugedacht,

Schlug auf des Müllers Kahlkopf sie mit Macht.

Zu Boden fallend, rief er: »Ach, ich sterbe!«

Doch die Scholaren prügelten ihn derbe

Und gingen fort, um Pferd und Mehl zu suchen,

Und holten bei der Thüre sich den Kuchen,

Halbscheffelgroß aus ihrem Mehl gebacken,

Und kehrten flugs der Mühle ihre Nacken.

So ward’s dem stolzen Müller heimgezahlt.

Es war das Korn von ihm umsonst gemahlt,

Den Abendschmaus bestritt er ganz allein

Und Beider Prügel hatt’ er obendrein,

Und Weib und Tochter waren ihm geschändet.

Seht! wie die Falschheit eines Müllers endet!

Und daher ist das Sprüchwort keine Lüge:

Daß ein Betrüger sich stets selbst betrüge,

Sowie: daß unrecht Gut nicht gut gedeihe!

Nun, Gott in seiner Majestät verleihe

Euch seinen Segen. – Rückgezahlt hiemit

Hab’ ich’s dem Müller – und jetzt sind wir quitt!

Der Prolog des Kochs.

Vers 4323–4362.

Der Koch aus London lauschte voll Entzücken,

Als kratzte der Verwalter ihm den Rücken.

»Aha!« – rief er – »bei Christi Kreuz und Wunden!

Der Müller hat es scharf herausgefunden,

Was schließlich werth ist alle Gastfreiheit.

Wohl sprach schon Salamo vor langer Zeit:

Jedwedem Herberg geben in der Nacht,

Hat Manchen manchmal in Gefahr gebracht;

Und wohl ist es der Ueberlegung werth,

Wem man den Zutritt in sein Haus gewährt.

Doch schlage mich mit Sorgen Gottes Hand!

Hört’ ich, seitdem ich Hodge von Ware genannt,

Von einem Müller, den man mehr geneckt,

Und der im Dunkeln besser zugedeckt!

Doch Gott verhüte, daß wir hiemit enden!

Seid Ihr geneigt, auch mir Gehör zu spenden,

Erzähl’ ich Euch, obschon ein armer Mann,

Jetzt einen Schwank, so gut ich weiß und kann,

Der einst in unsrer Stadt sich zugetragen.«

»Das sei gewährt!« – begann der Wirth zu sagen –

»Erzähle, Roger! aber mach’ es gut!

Bei Dir floß für Pasteten manches Blut,

Bei Dir stand zweimal kalt und zweimal heiß

Schon mancher Jack von Dover zum Verschleiß!

Ob Deiner Petersilie Dich verfluchte

Schon mancher Pilger; und, wer je versuchte

Von Deiner Stoppelgans, der fluchte schlimmer,

Denn voller Fliegen war Dein Laden immer.

Ich bitte, edler Roger, komm’ zur Sache,

Und sei nicht böse, wenn ich Späße mache;

Die Wahrheit ist in Scherz und Spiel erlaubt!«

»Ganz wahr!« – sprach Roger – »doch bei meinem Haupt!

Auf vlämisch sagt man: Wahr Spiel, quade spel!

Drum, Harry Bailly, hoff’ ich, meiner Seel’!

Daß von Dir selbst nicht übel aufgefaßt wird,

Sprech’, eh’ wir scheiden, ich von einem Gastwirth.

Ich zahl’ es Dir, wenn nicht im Augenblick,

Vor unsrer Trennung sicherlich zurück.«

Und dabei lustig lachend, hob er dann,

Wie nunmehr folgt, mit der Erzählung an.

Die Erzählung des Kochs.

Vers 4363–4420.

In einem Laden und Proviantverkauf

In unsrer Stadt hielt sich ein Lehrling auf;

Ein kleiner, strammer Bursch voll loser Streiche

Und lustig wie ein Goldfisch in dem Teiche,

Braun wie die Beere, schwarzgelockt von Haaren;

Und da er in der Tanzkunst wohl erfahren,

So wurde Schwärmer Perkin er genannt.

Dabei saß er so voller Liebestand,

Wie je voll Honig eine Wabe saß,

Und gerne trieben Dirnen mit ihm Spaß.

Er sang und sprang auf allen Hochzeitsfesten.

Das Wirthshaus liebt’ er; aber nicht zum besten

Den Laden. Gab’s in Chepe was zu sehn,

So lief er fort und ließ den Laden stehn,

Und sah’ sich’s an, und drehte sich im Tanz;

Doch heimzukehren, das vergaß er ganz.

Er sammelte dann seine Schwefelbande

Und tanzte, sang und trieb viel Affenschande

Und kam auch häufig für ein Stelldichein

Zum Würfelspiel mit ihnen überein.

Denn keinen Lehrling in der Stadt man fand,

Der je so gut das Würfelspiel verstand,

Wie Perkin that; auch war er nebenbei

Mit dem gemausten Gelde äußerst frei;

Denn in dem Laden fand zu seinem Schrecken

Sein Meister oftmals gänzlich leer die Trecken.

Denn, sicher, wenn ein Lehrling gerne schwärmt,

Die Würfel und die Dirnen liebt und lärmt,

Das wird im Laden bald bemerkt vom Herrn,

Hält er auch selbst sich von dem Treiben fern.

Zu Diebereien führen Saufgelage,

Ob man Ginterne, ob Ribebe schlage;

Und Schwärmerei und Ehrlichkeit bestehn

Nicht lang zusammen, das kann Jeder sehn.

Vom lust’gen Lehrling war jedoch im Haus

Des Meisters nahezu die Lehrzeit aus,

In der gescholten er bei Tag und Nacht

Und oft nach Newgate wegen Lärms gebracht.

Doch ward von seinem Herrn zuguterletzt

Ihm eines Tags der Laufpaß aufgesetzt;

Denn der besann sich auf das alte Wort:

Den faulen Apfel wirf vom Lager fort,

Wenn Du den Rest vor Fäulniß willst bewahren.

Auch beim Gesinde kann man dies erfahren;

Besser entläßt man einen bösen Knecht,

Eh’ alle andern ebenmäßig schlecht.

Weßhalb den Lehrling auch sein Herr entließ

Und ihn mit Schimpf aus seinem Hause stieß.

So ward der lust’ge Lehrling fortgejagt,

Und mag nun lärmen, wie es ihm behagt.

Doch, wie dem Stehler nie der Hehler fehlt,

Der ihm, wo was zu mausen ist, erzählt

Und der ihm borgt und der mit ihm verschwendet,

So wurden schleunigst Zeug und Bett verpfändet

An einen solchen Gauner und Cumpan,

Der stets bei allem Unfug oben an,

Und dessen Frau, trieb sie auch scheinbar Handel,

Ihr Brod gewann durch schlechten Lebenswandel.

* * * * * *

(Unvollendet geblieben.)

Der Prolog des Gechtsgelehrten.

Vers 4421–4518.

Der Wirth ersah, daß ihren Tagesbogen

Die Sonne schon zum vierten Theil durchzogen,

Seit etwas mehr, als einer halben Stunde.

Nicht hochgelehrt, besaß er dennoch Kunde,

Daß es der achtundzwanzigste heut’ sei,

Vom Mond April, dem Herolde vom Mai;

Und da er sah, daß aller Bäume Schatten

Dasselbe Maß in ihrer Länge hatten

Wie ihre Körper, die der Schatten Grund,

So ward durch diesen Umstand es ihm kund,

Daß Phöbus, leuchtend an dem Himmelspfade,

Erklommen hatte fünfundvierzig Grade;

Und daher, in Betracht von Zeit und Ort,

Sei es zehn Uhr, so schloß er weiter fort.

Den Gaul umwendend, hielt er plötzlich an

Und sprach: »Ihr Herr’n, ich warn’ Euch, Mann für Mann,

Vergangen ist des Tages vierter Theil!

Bei Sanct Johann und Gottes Gnadenheil,

So viel Ihr könnt, nehmt wohl der Zeit in acht!

Sie wird, Ihr Herr’n, verschwendet Tag und Nacht;

Wir lassen sie, ob wir im Schlafe liegen,

Ob sorglos wachen, ungenützt verfliegen,

Und, wie der Strom, der von den Bergen nieder

Zur Ebne läuft, so kehrt sie niemals wieder.

Denn Seneca und andre Weisen sagen,

Daß schwerer Zeit- als Geldverlust zu tragen;

Verloren Gut sei wieder zu erringen,

Die Zeit verlieren, müsse Schande bringen.

So spricht er. Nun, fürwahr, zurückgeschafft

Wird Zeit so wenig wie die Jungfernschaft,

War Lisbeth lüstern ihrer überdrüssig;

Und darum laßt uns faul nicht sein und müßig!

Herr Rechtsgelehrter, bei dem Heil der Seelen!

Ihr müßt,« – sprach er – »wie ausgemacht, erzählen.

Aus freien Stücken habt Ihr beigepflichtet,

Und so bin ich’s, der in der Sache richtet.

Das Wort, das Ihr verpfändet, löset ein,

Wollt pflichtgetreu Ihr bis ans Ende sein!«

»De par dieu! jeo assente! mein Versprechen,

Herr Wirth,« – sprach er – »pfleg’ ich nicht leicht zu brechen.

Versprechen gleichen Schulden, und bezahlen

Will ich die meinen, ohne viel zu prahlen.

Denn, wer den Andern will Gesetze geben,

Der muß zunächst auch selber danach leben.«

So steht’s im Text. – Indessen sag’ ich frei,

Im Augenblick fällt mir nichts Gutes bei.

Denn Chaucer hat – obwohl im Versebau

Und Reim oft liederlich und ungenau –

In solchem Englisch, wie er eben kann,

Erzählt schon Alles. Das weiß Jedermann.

Und, lieber Freund, steht’s nicht in einer Schrift,

In einer andern man es sicher trifft.

Denn über Liebe hat er mehr gedichtet,

Als selbst Ovid vor langer Zeit berichtet

In den Epistolis. – Soll ich mich quälen,

Was schon erzählt ist, nochmals zu erzählen?

»Halcyone und Ceix« schrieb zur Zeit

Der Jugend er, und später weit und breit

Von Liebe vieler edler Herr’n und Damen.

Schaut in sein dickes Buch hinein, mit Namen

»Die Heiligen-Legende von Cupido«.

»Thisbe von Babylon, das Schwert der Dido,

Die um Aeneas starb, Lucretias Wunden,

Der Baum der Phyllis, die den Tod gefunden,

Durch Dich, Demophoon, sind vorgetragen

Der Dejanira, der Hermione Klagen,

Der Ariadne, der Hypsipyle –

Das wüste Eiland mitten in der See;

Leander, der für Hero starb im Meer;

Schön’ Helena, betrübt und thränenschwer;

Der Briseis, der Laodomia Leid,

Der Königin Medea Grausamkeit

An ihren Kindern, welche sie erhenkt,

Weil, falscher Jason, Du sie schwer gekränkt;

Die Tugend der Penelope, Alceste

Und Hypermnestra preist er dort aufs beste.

Doch, sicherlich, mit keinem Wort beschrieben

Seht Ihr von ihm, was Canace getrieben,

Und wie gesündigt mit dem Bruder sie.

– Zu solchen Schandgeschichten sag’ ich: Pfui! –

Auch nicht von Tyrius Appolonius,

Noch wie das Scheusal, Fürst Antiochus,

Der eignen Tochter Schänder ist gewesen;

Denn nur mit Schaudern kann man davon lesen,

Wie er sie hingeschmissen auf das Pflaster.

Weßhalb mit Absicht den Entschluß gefaßt er,

Nie wolle von so gräulichen Geschichten

In seinen Schriften er ein Wort berichten.

Drum wiederholen möcht’ ich solche nicht.

Jedoch, was trag’ ich heute vor? – Verglicht

Ihr mich den Musen, die man Pieriden

Genannt hat, wär’ ich kaum damit zufrieden.

– Metamorphoseos wissen, wie’s gemeint. –

Doch keinen Knochen scheert’s mich, wenn es scheint,

Als trät’ ich in die Spur von Chaucers Ferse.

Ich spreche Prosa, ihm laß ich die Verse.«

Und ernst begann mit freundlichem Gesichte

Er, wie Ihr hören werdet, die Geschichte.

Die Erzählung des Gechtsgelehrten.

Vers 4519–5582.

O herbes Leid der Armuth! mit den Schmerzen

Von Hunger, Durst und Kälte stets verbunden

Betteln zu gehn, beschämt Dich tief im Herzen,

Und thust Du’s nicht, wird die verhüllten Wunden

Die Noth entblößen und der Welt bekunden.

Trotz allem Stolz mußt Du Dein Brod mit Sorgen

Erbetteln, stehlen oder Dir erborgen.

Du tadelst Christum und erbittert klagst Du,

Unrecht vertheilt sei alles Gut im Leben.

Sündhaft beneidend Deinen Nachbar, sagst Du:

Ihm sei so viel und Dir sei nichts gegeben.

Noch oft – sprichst Du – wird er mit Zähnebeben

Bereuen, wenn ihn Höllenflammen fassen,

Daß er den Dürft’gen in der Noth gelassen.

Von einem Weisen höre die Betrachtung:

Wohl, der zum Tod, Weh’, der zur Noth erkoren,

Dein eigner Nachbar straft Dich mit Verachtung,

Dein Ansehn ist, sobald Du arm, verloren!

Dem Spruch des Weisen öffne Deine Ohren:

Betrübt und elend sind der Armuth Tage,

Drum hüte Dich vor solcher scharfen Plage!

Den Armen alle seine Brüder hassen,

Und seine Freunde halten sich ihm fern!

O, reiche Kaufherr’n! fröhlich könnt Ihr prassen,

O, kluges Volk! o, hochgelehrte Herr’n!

In Eurem Becher fehlt die Eins; doch gern

Werft Ihr die Sechse, und gewinnt das Ganze,

Und geht an Weihnachtstagen froh zu Tanze.

Nach Land nur sucht und stets strebt nach Gewinn Ihr,

Ihr seid die Väter jeder Neuigkeit,

Regierungen und Fürsten habt im Sinn Ihr,

Und sprecht von Frieden und erzählt von Streit.

Ich käme wahrlich in Verlegenheit,

Hätt’ ich von einem Kaufmann nicht vor Jahren,

Was ich Euch jetzt erzählen will, erfahren.

In Syrien wohnten einstmals Trafikanten,

Die reich, doch treu und ehrlich auch dabei,

Weit in das Ausland bunte Seide sandten

Nebst Goldbrokat und feiner Spezerei;

Und da die Waare trefflich war und neu,

Trieb auch mit ihnen aus der Näh’ und Ferne

So Kauf wie Verkauf Jedermann stets gerne.

Und es geschah, daß einst auf ihren Zügen

Die Handelsleute sich nach Rom gewandt,

Bedacht auf Kundschaft, sowie zum Vergnügen.

Sie hatten keine Botschaft hingesandt,

Nein, nahmen selber das Geschäft in Hand,

Und hatten, als in Rom sie angekommen,

Dort nach Gefallen ihr Quartier genommen.

So lebten diese Kaufherr’n eine Zeit

In jener Stadt nach Neigung und Gefallen,

Und hörten von Constantias Herrlichkeit,

Der Kaiserstochter, aus dem Mund von Allen

Fast Tag für Tag das höchste Lob erschallen;

Denn Jedermann war voll von ihrem Preise,

Und alle sprachen in derselben Weise.

Denn rings im Volke pflegte man zu sagen:

Es hat der Kaiser, welchen Gott behüte,

Ein Töchterlein, wie seit den Schöpfungstagen

Gewiß nicht eine zweite jemals blühte

An Leibesschönheit und an Herzensgüte.

Ich wollte, Gott blieb’ Schirmer ihrer Ehre,

Und daß Europas Königin sie wäre.

In ihr ist Schönheit ohne Stolz; und Jugend

Ganz ohne Uebermuth und Ziererei,

Denn ihres Wandels Führerin ist Tugend

Und Demuth Zähmerin der Tyrannei.

Von Höflichkeit ist sie das Konterfei,

Ihr edles Herz ist eine heil’ge Kammer

Und ihre Hand die Trösterin im Jammer.

Getreu wie Gott war, was sie hinterbrachten.

– Doch laßt zur Sache mich zurück jetzt gehn! –

Die Kaufherr’n ließen rasch ihr Schiff befrachten,

Nachdem dies edle Wesen sie gesehn,

Und heim nach Syrien ihre Segel wehn;

Und trieben ihr Geschäft dort wie vorher

Und lebten froh – was braucht’s der Worte mehr?

Nun standen aber diese Handelsherr’n

Bei Syriens Sultan hoch in Gunst und Gnaden.

Zu Lust und Kurzweil hatt’ er oft und gern

Sie, wenn sie heimgekehrt von ihren Pfaden,

Freundlich und höflich zu sich eingeladen,

Um zu erzählen, was in fremden Landen

Sie Wunderbares und Besondres fanden.

So sprachen unter manchen andern Dingen

Auch von Constantia diese Kaufherr’n dort,

In deren Lob sie rühmend sich ergingen.

Der Sultan, eifrig lauschend ihrem Wort,

Gewann sie lieb und lieber immerfort,

Ihr Bild beständig ihm vor Augen schwebte,

An sie nur dacht’ er, nur für sie er lebte.

Vielleicht war es im großen Buch geschrieben,

Das man den Himmel nennt, bevor zur Welt

Er selbst gekommen, daß durch treues Lieben

Des Todes Loos ihm in der Zukunft fällt.

Denn spiegelklar ist an dem Sternenzelt

Vorausgesagt für den, der lesen kann es,

– Bei Gott! – das Schicksal eines jeden Mannes.

In Sternenschrift war, ehe sie gewesen,

Von Julius und Pompejus demgemäß,

Von Hector und Achill der Tod zu lesen,

Von Simson, Turnus und von Sokrates,

Von Thebens Helden und von Herkules.

Doch Menschenwitz entbehrt zu sehr der Schlauheit,

Und Niemand liest sein Schicksal mit Genauheit.

Der Sultan seinen Rath zusammenrief

Und – daß ich’s Euch mit kurzen Worten sage –

Er machte kund, daß so unendlich tief

Er Lustverlangen nach Constantia trage,

Daß ihr Besitz nur, oder Tod die Frage;

Gemessene Befehle gab er Allen,

Rasch auf ein Rettungsmittel zu verfallen.

Verschiedne riethen zu verschiednen Dingen,

Die Argumente flogen hin und her;

Man wußte scharfe Gründe vorzubringen,

Der rieth zur List, und zur Magie rieth der.

Doch kam man schließlich überein, daß er,

Dieweil ein jedes andre Mittel fehle,

Am besten thäte, wenn er sich vermähle.

Doch sahen sie auch hierin Schwierigkeiten,

Und aus verschiednen Rechtsbedenken zwar;

Denn zwischen beiden gäb’s Verschiedenheiten

In ihrem Glauben, machten sie ihm klar.

Ein Christenfürst gestatte nicht, fürwahr,

Es seinem Kinde, im Gesetz zu leben,

Das Mohamed, unser Prophet, gegeben.

Er sprach: »Eh’ ich Constantia verliere,

So tret’ ich selber in der Christen Bund.

Ich traf die Wahl; ich bin und bleib’ der Ihre,

Mit Gegengründen haltet Euren Mund!

Mein Leben rettet, und macht mich gesund!

Besitz’ ich sie, so find’ ich auch Genesung,

Sonst bringt mein Leid mir Tod noch und Verwesung.«

Was braucht es hier noch langer Redewendung?

Durch Botschaft und Verhandlung ward gemacht,

Daß durch des Papstes eigene Verwendung

Und durch der Kirche und der Ritter Macht

– Die stets um Christi willen sind bedacht,

Den Mohamedanismus zu zerstören –

Man den Vertrag schloß, der sogleich zu hören

Der Sultan, die Barone und wer zähle

Zu den Vasallen müßten Christen sein,

Bevor er mit Constantia sich vermähle;

Gewisses Gold – wie viel, fällt mir nicht ein –

Sei ihm gewährt durch wohlverbürgten Schein.

Das sei Vertrag, so schwur man beiderseitig.

– Leb’ wohl Constantia! Gottes Hand geleit’ Dich!

Schon Mancher – glaub’ ich – sich im Voraus freute,

Zu hören von der Pracht und von dem Glanze,

Welche der Kaiser und die Edelleute

Ersonnen für sein Töchterlein Constanze.

Doch unausführbar ist, daß ich das ganze

Hierbei ins Werk gesetzte Festgepränge

In kurze Worte hier zusammendränge.

Bischöfe, Ritter und aus höchsten Ständen

Viel Herr’n und Damen ihr zu Seite gehn

Nebst anderm Volk – und damit laßt mich enden. –

Der Stadt gab man zu wissen und verstehn,

In größter Andacht solle jeder flehn

Zu Christ, damit er gnädig sich beweise

Dem Ehebund, und segne ihre Reise.

Es kam für sie der Trennungstag heran.

Der Tag des Unheils – sag’ ich – war gekommen,

Und ohne Zögern hatte Jedermann

Die Rüstung für die Reise vorgenommen.

Constantia, bleich und sorgenvoll beklommen,

Stand auf vom Lager, um sich anzukleiden,

In das ergeben, was nicht zu vermeiden.

Ach! kann es Wunder nehmen, daß sie weinte?

Zu fremdem Volk ward sie hinausgesandt,

Fern von der Freundschaft, die es zärtlich meinte,

Und hingegeben in Gewalt und Hand

Von einem Manne, den sie nie gekannt.

– Gut sind und waren Gatten von jeher,

Das wissen Frau’n. – Was braucht’s der Worte mehr? –

»Vater,« – sprach sie – »Dein armes Kind Constanze,

Dein Töchterlein, das Dir so lieb und werth;

Und Mutter, die nach Christ mehr als die ganze

Und weite Welt ich folgsam stets verehrt,

Constantia bittet, Eure Huld gewährt

Ihr fernerhin! – Nach Syrien muß ich gehen!

Und nimmer, ach, werd’ ich Euch wiedersehen!«

»Ach! unter den Barbaren soll ich leben!

Und ich muß thun, was Euer Wille ist.

Wie uns Dein Tod Erlösung hat gegeben,

So gieb mir Stärke zur Erfüllung, Christ!

Elend bin ich für meines Lebens Frist,

Zu Leid und Knechtschaft ist das Weib geboren,

Und einem Mann zur Sclavin auserkoren.«

Gewiß, als Pyrrhus brach durch Trojas Wall,

Als Ilion brannte, Theben man bezwungen,

Als Rom erzitterte vor Hannibal,

Der dreimal Sieg im Römerkampf errungen,

Ward nicht soviel und nicht so schmerzdurchdrungen

Geweint, als bei dem Abschied in der Kammer;

Doch Scheiden galt’s. Was half da aller Jammer?

O, grause Macht, Bewegerin der Sphären,

Die täglich Alles wirbelnd mit sich reißt,

Und strebt, von Ost nach Westen zu verkehren,

Was die Natur auf andre Wege weist.

Im wilden Aufruhr, der am Himmel kreist,

Verkündete im Voraus schon beim Scheiden

Der grimme Mars der Ehe künft’ge Leiden.

O, unheilvollste Ascedenz von allen,

Wo der Regent, ach, hülflos und entthront,

Vom Winkel in das dunkle Haus gefallen!

O, Mars! o, Atazir! – Du, bleicher Mond,

Von Unglück bleibt nicht Deine Bahn verschont!

Wo Du Dich zudrängst, ist für Dich kein Bleiben,

Wo Du gern bliebest, mußt Du weiter treiben!

Kaiser von Rom! Du handeltest nicht weise.

War denn kein Philosoph in Deinem Land?

Ist jeder Tag denn gleich? Wählt man zur Reise

Für Leute von so hohem Rang und Stand

Die Zeit nicht aus? War gänzlich unbekannt

Die Wurzel der Geburt in diesem Falle?

– Ach, dumm und träge sind wir leider Alle! –

Zu Schiffe war man feierlich gezogen

Mit der betrübten, schwermuthsvollen Maid.

»Nun bleibe Jesus Christus Euch gewogen!«

Sprach sie und zwang sich zur Gelassenheit.

»Leb’ wohl Constantia!« – scholl es weit und breit.

Und so verlass’ ich sie auf Meerespfaden

Und spinne weiter der Geschichte Faden.

Längst hatte schon des Sultans lastervolle

Und böse Mutter ausgespäht, daß er

Den alten Opferbrauch verlassen wolle,

Und ihre Räthe rief sie zu sich her.

Ein jeder kam und frug, was ihr Begehr.

Und als mit Ehrfurcht Alles stand im Kreise,

Ließ sie sich nieder und sprach solcher Weise:

»Ihr wißt es, Herr’n! mein Sohn« – so hub sie an –

»Steht auf dem Punkte, in den Staub zu treten

Die heil’gen Satzungen des Alkoran

Von Mohamed, dem göttlichen Propheten.

Bei Gott beschwör’ ich’s! Wahrlich, besser thäten

Sie, aus dem Leibe mir das Herz zu reißen,

Als aus der Brust, was Mohamed geheißen!«

»Für Körperknechtschaft sollten wir und Pein

Nach diesen neuen christlichen Gesetzen

Und für der Hölle Qualen hinterdrein

Den alten Glauben Mohameds verletzen?!

Nein! wollt Ihr, Herr’n, Vertrauen in mich setzen,

Und willig sein, zu thun, was ich Euch sage,

Befrei’ ich Euch für immer aus der Lage!«

Und Jeder stimmte bei im ganzen Kreise.

Auf Tod und Leben stets ihr beizustehn,

Beschworen sie, und in der besten Weise

Mit Rath und That ihr an die Hand zu gehn,

Um auszuführen, was sie vorgesehn,

Und ihren Plan enthüll’ ich einem Jeden,

Denn solcher Weise fuhr sie fort zu reden:

»Laßt scheinbar uns zum Christenthum bekehren!

– Kalt Wasser wird uns wenig drückend sein –

Durch Schmauserei’n will ich den Sultan ehren;

Doch tränk’ ich es ihm hoffentlich noch ein.

Denn, mag sein Weib getauft sein noch so rein,

Nicht leicht soll sie des Blutes Roth verwaschen,

Und hätte sie voll Quellen ihre Taschen!«

O, Sultanin! boshaftes Ungeheuer,

Semiramis die Zweite! – Mannweib! – gleich

Der Schlange, die gebannt ins Höllenfeuer,

Bist eine Schlange Du im Weiberreich!

Heimtückisch Weib! Was immer unschuldsreich

Und tugendhaft nur ist, verfolgst Du wüthend,

Stets Bosheit in dem Lasterneste brütend!

O, Satan! seit der Zeit, da Du vertrieben

Aus unserm Erbtheil, ist Dein Neid stets wach;

Du lenkst noch stets die Weiber nach Belieben,

Du triebst durch Eva uns in Tod und Schmach!

Jetzt stellst Du dieser Christenehe nach!

Wenn Du betrügen willst – beklagt’s und merkt’s Euch! –

Gebrauchst die Weiber immer Du als Werkzeug!

Die Sultanin, auf die ich also schmäle,

Ließ seines Weges weiterziehn den Rath,

Und hatte – daß ich’s kurz und gut erzähle –

Dem Sultan eines Tages sich genaht,

Und sagte: sie bereue in der That

Ihr langes Heidenthum und trüg’ Verlangen,

Aus Priesters Hand die Taufe zu empfangen.

Und bat ihn, daß er ihr die Ehre gönne,

Für alle Christen eine Festlichkeit

Ins Werk zu setzen, wie sie bestens könne.

– Der Sultan war zu kommen gern bereit,

Und, niederknieend voller Dankbarkeit,

Konnt’ er vor Freude kaum auf Worte sinnen.

Sie küßte ihn und ging alsdann von hinnen.

In Syrien stieg indeß im Feierzuge

Die Christenschaar vom Schiff hinab zum Strand.

Zu seiner Mutter ward im raschen Fluge

Und rings durchs Reich des Sultans Wort gesandt:

Es zöge zweifellos sein Weib ins Land,

Und zu des Reiches Ehre ließ er bitten,

Daß ihrer Herrin sie entgegenritten.

Welch ein Gedränge! welche Augenweide!

Als Syrer nun vereint mit Römern sind.

Des Sultans Mutter, strahlend von Geschmeide,

Erwies sich ihr so liebevoll gesinnt,

Wie eine Mutter ihrem liebsten Kind;

Und hin zur Stadt, die nahebei gelegen,

Sah man den Zug sich feierlich bewegen.

Selbst der Triumph des Julius, – so dächt’ ich –

Obschon Lucan viel Lärmens macht davon,

War nicht so sehenswerth und nicht so prächtig,

Wie die Versammlung dieser Procession.

Die Sultanin, die Hexe, der Scorpion,

Indessen wetzte, Schmeichelei’n im Munde,

Bereits den Stachel für die Todeswunde.

Der Sultan selber kam nach kurzer Zeit

In einer Pracht, die schwerlich zu beschreiben,

Er grüßte sie mit Lust und Seligkeit;

Und Beide mögen sich die Zeit vertreiben;

Mich aber laßt beim Kern der Sache bleiben.

Am Ende meinte Jedermann, er hätte

Genug geschwärmt, und Alles ging zu Bette.

Bald war die Zeit zu dem erwähnten Feste

Der alten Sultanin herangerückt;

Und alle Christen hatten sich aufs Beste,

So alt wie jung, für dieses Fest geschmückt.

Doch nicht den Prunk, der jedes Aug’ entzückt,

Noch alle Leckerbissen kann ich malen.

– Nur allzutheuer mußten sie’s bezahlen. –

O, unverhofftes Leid! vom Glück des Lebens

Die stete Folgerin, mit Bitterkeit

Vermischst du alle Freudigkeit des Strebens,

Als Enderin von unsrer Fröhlichkeit!

Hört meinen Rath! – zu eigner Sicherheit

Tragt es im Sinn: – es folgt auf frohe Tage

Stets Leid und Weh und unverhoffte Plage!

Mit einem Worte sei es ausgesprochen:

Der Sultan und die Christen, Mann für Mann,

Wurden beim Fest erschlagen und erstochen,

Obschon dem Tod Constantia entrann.

Die Sultanin, das böse Weib ersann

Mit ihrer Freunde Hülfe diese Schandthat,

Durch die sie jetzt das Reich in ihrer Hand hat.

Die Syrer, welche an dem Sultan hingen

Und seinen Glaubenswechsel mitgemacht,

Erschlug man gleichfalls. Da galt kein Entspringen!

Constantia aber – Gott! wer hätt’s gedacht? –

Ward in ein steuerloses Schiff gebracht,

Und man befrug sie: ob den Weg sie wüßte

Von Syrien heimwärts nach Italiens Küste?

Mit ihren Schätzen, die sie mit sich brachte

Und ihren Kleidern – wie ich zugesteh’ –

Und Nahrungsmitteln man sie reich bedachte,

Und dann ging’s in die salz’ge Fluth der See.

Constantia, holde, gütereiche Fee,

O, Kaiserstochter, mir so lieb und theuer,

Es sei der Herr, der Alles lenkt, Dein Steuer!

Sich segnend, weinte jammernd sie und schrie:

Empor zu Christi heil’gem Kreuzesstamme:

»O heilig Holz! Du Gnadenquelle! wie

Erbarmungsvoll mit rothem Blut vom Lamme

Die Welt gereinigt ward vom Sündenschlamme,

So aus des Bösen Klauen mich errette,

Wird Meerestiefe mir zum Todtenbette!«

»Siegreicher Baum, der Treue Schutz und Hort!

Der Du allein, zu tragen, werth befunden,

Das weiße Lamm, vom Speeresstich durchbohrt,

Den Himmelskönig mit den frischen Wunden;

Der Du die Höllenfeinde überwunden,

Du Gliederträger ew’ger Lieb’ und Treue,

Errette mich und gieb mir Zeit zur Reue!«

Vom griech’schen Meer bis zu Marokkos Thor

Schwamm Jahr und Tag die Creatur indessen,

Wie sie das Schicksal dazu auserkor.

Mit mancher Thräne netzte sie ihr Essen,

Bald todesbang, von Hoffnung bald besessen,

Sie triebe durch der Wogen wilde Brandung

Dem Ufer zu, das ihr bestimmt zur Landung.

Wie kam’s, daß sie entrann? wird Mancher sagen;

Wie kam’s, daß sie nicht gleichfalls umgebracht?

Doch laßt zur Antwort mich dagegen fragen:

Wer hat denn Daniel aus der Grube Nacht

Errettet? Wer den Löwen zahm gemacht,

Der außer ihm nicht Herrn noch Knecht verschonte?

Niemand als Gott, der ihm im Herzen wohnte!

Damit wir sähen seine mächt’gen Werke,

Hat Gott an ihr in Wundern sich bewährt.

O, Jesus Christus! Theriakstrank voll Stärke!

Du kennst – das weiß, wer in der Schrift gelehrt –

Die Mittel, daß zum guten Ende kehrt

Ein jedes Ding, ob’s noch so dunkel läge.

Doch Menschenwitz begreift nicht Deine Wege.

Nun, da sie auf dem Feste nicht erschlagen,

Wer schützte vorm Ertrinken sie zur See?

Wer schützte Jonas in des Fisches Magen,

Bis daß er ausgespie’n bei Niniveh?

Niemand als Gott! – das wisse, das versteh’! –

Er schützte die Hebräer vor den Wogen,

Als trocknen Fußes sie durchs Meer gezogen!

Wer lenkt die Sturmesgeister durch sein Wort,

Wenn ihre Macht durch Land und Meere wüthet,

Aus Ost und West, aus Süden und aus Nord?

Wer hat die See, das Land, den Baum behütet?

Gewiß nur Er! denn Er allein gebietet.

Und so war Er auch dieses Weibes Retter

Bei Tag und Nacht in jedem Sturm und Wetter.

Ging Trank und Speise denn zu Ende nie,

Daß länger als drei Jahr’ ihr Vorrath währte?

Wer speiste die ägyptische Marie

In Wüstenklüften? – Jesus Christ! – Er nährte

Fünftausend Mann, als wunderbar er mehrte

Die beiden Fische und fünf Laibe Brod.

Gott gab dem Weibe Füll’ in ihrer Noth!

So trieb hinein in unsern Ocean,

Durch unser weites Meer sie bis zum Strande

Von einem Ort, den ich nicht nennen kann;

Doch war es oben im Northumberlande,

Wo sich ihr Schiff so festgerannt im Sande,

Daß es durch keine Fluth mehr loszutreiben.

Gott war gewillt, dort sollte sie verbleiben.

Der Commandant des nahen Schlosses kam

Das Wrack zu untersuchen, zu besehen;

Und vor sich fand dies Weibsbild voller Gram

Er dort inmitten ihrer Schätze stehen.

In ihrer Sprache bat sie unter Flehen,

Ihn um die Gnade, sie sofort zu tödten

Und zu befrein aus allen ihren Nöthen.

Ein mangelhaft Latein nur sprach sie freilich;

Jedennoch sie der Commandant verstand.

Rasch sein Geschäft beschließend, nahm er eilig

Das arme Weibsbild mit sich an das Land.

Dem Gottessohne dankte sie am Strand

Auf ihren Knie’n. Doch Güte nicht, noch Schrecken

Bewog sie, ihre Herkunft zu entdecken.

Sie sprach: ihr Sinn sei so verwirrt im Meer,

Und dunkel sei ihr Alles, was verflossen.

Der Commandant war so gerührt, daß er,

Sowie sein Weib, in Thränen sich ergossen.

Stets fleißig, suchte sie, ganz unverdrossen,

Jedem zu dienen, Jedem zu gefallen,

Und, kaum gesehn, war sie beliebt bei Allen.

Der Mann, sein Weib Hermgilde, wie das ganze

Gebiet lag noch in Heidenthum und Nacht.

Doch zärtlich liebte Hermegild’ Constanze,

Die in Gebeten ihre Zeit verbracht,

Und unter bittren Thränen oft gewacht,

Bis Jesus Christ in Gnaden ihr gewährte,

Daß sich die Dame Hermegild’ bekehrte.

Doch Christen wurden nicht im Land gelitten.

Längst trieben sie aus dieser Gegend fort

Die Heiden, als die Herrschaft sie erstritten

Zu Land und Meer vom ganzen flachen Nord.

Und Wallis wählte sich zum Zufluchtsort,

Um mittlerweile dort im Land zu wohnen,

Das Volk der alten, christlichen Bretonen.

Doch waren sie nicht Mann für Mann vertrieben.

Es gab noch einige, die Gott dem Herrn

Im Heidenlande heimlich treu geblieben,

Und dreie wohnten von dem Schloß nicht fern.

Blind war der eine. Doch der Augenstern,

Der in der Blindheit Nacht noch leuchtend funkelt,

Das Licht der Seele war ihm nicht verdunkelt.

An einem Sommertag, als hell im Glanze

Die Sonne schien, ergingen sich am Meer

Der Commandant, sein Weib, sowie Constanze;

Und es begab sich, als sie froh umher

Dort wanderten, daß sie von ungefähr

Den armen und vor Alter tief gebückten,

Stockblinden Mann auf ihrem Weg erblickten.

»Gieb, Hermegilde!« – sprach der blinde Britte –

»In Christi Namen, meinen Augen Licht!«

Die Dame fuhr zusammen bei der Bitte;

Ihr Gatte wußte, daß sie Christin, nicht;

Und sie zu tödten, war vielleicht ihm Pflicht.

Doch kühn hieß sie Constanze, Christi Willen

Als Tochter seiner Kirche zu erfüllen.

Erschrocken sah ihr Werk der Commandant

Und frug: »Was hat dies Alles zu bedeuten?«

Constanze sprach: »Herr! das ist Christi Hand!

Er kommt als Retter zu Euch Heidenleuten!«

Und sie begann, den Glauben ihm zu deuten,

Und, eh’ die Sonne niedersank, bekehrte

Sie diesen Mann, daß Christus er verehrte.

Der Commandant, zwar Herr nicht und Gebieter

Von jenem Platz, wo er Constantia fand,

War lange Winter schon der Veste Hüter

Für König Alla von Northumberland,

Den klugen Herrscher, dessen mächt’ge Hand

Schottland bezwang, wie Mancher wohl vernommen;

Doch auf die Sache laßt zurück mich kommen.

Satan, stets auf der Lauer zu betrügen,

Sah von Constantia die Vortrefflichkeit,

Und hatte, um ihr Unheil zuzufügen,

In jener Stadt die Saat der Lüsternheit

In eines jungen Ritters Herz gestreut,

So daß es ihm unmöglich schien, er lebe,

Wenn sie ihm nicht zu Willen sich ergäbe.

Er warb um sie; doch da er nichts gewann,

Und sie zu keiner Sünde zu verleiten,

Beschloß er sich zu rächen und ersann

Den Plan, ihr Tod und Schande zu bereiten.

Heimlich bei Nacht wußt’ er ins Haus zu gleiten

– Der Commandant war fort, erfuhr er sicher –

Und in die Kammer Hermegildens schlich er.

Ermüdet von Gebeten, schlief indessen

Constantia; auch Hermegilde schlief.

Der Ritter, der vom Satanas besessen,

Schlich an ihr Bett, und dann durchschnitt er tief

Die Gurgel Hermegildens, und entlief,

Das Messer lassend an Constantias Seite,

– Ihn möge Gott verdammen! – in das Weite.

Es kam, als sich dies eben zugetragen,

Mit König Alla heim der Commandant,

Und sah sein Weib erbarmungslos erschlagen;

Und weinend und die Hände ringend stand

Er vor dem Bett, als er das Messer fand,

Mit Blut besudelt, in Constantias Nähe,

Die sprachlos lag und sinnverwirrt vor Wehe.

Dem König Alla ward darauf der ganze

Umstand erzählt, nebst wo und wie und wann

Im Schiff er aufgefunden einst Constanze,

Wie ich dies alles Euch schon kund gethan.

Der König hörte mitleidsvoll es an,

Und war betrübt, daß dieses holde Wesen,

Zu solchem herben Mißgeschick erlesen.

So wie ein Lamm zur Schlachtbank trat geduldig

Die Unschuldsvolle vor den König hin.

Der falsche Ritter, selbst der Mordthat schuldig,

Verklagte sie als Missethäterin.

Die Leute murrten; denn nach ihrem Sinn

War es unmöglich, daß die Allbeliebte

– So sprachen sie – solch schnöde That verübte.

Man wußte, sie war immer tugendhaft,

Und Niemand liebte Hermegilde besser.

Das ganze Haus trug davon Zeugenschaft,

Nur der nicht, dessen Hand geführt das Messer.

Verdächtig schien dem König dies. Indeß er

Beschloß, der Sache auf den Grund zu dringen

Und so die Wahrheit an das Licht zu bringen.

Nicht kämpfen kannst Du, und, o weh’, kein Ritter,

Arme Constantia, sich für Dich erbot!

Nur einer bleibt Dir. – Für die Menschheit litt er,

Satanas bindend, den Erlösungstod.

Er sei Dein starker Ritter in der Noth!

Denn, Unschuldsvolle, hilft Dir Christ nicht heute

Mit Wunderhand, bist Du des Todes Beute!

Und betend, kniet zu Boden sie und klagt:

»O, ew’ger Gott! Erretter der Susanna

Vor falschem Leumund! Gnadenreiche Magd!

– Maria, mein’ ich, – Tochter von St. Anna,

Vor deren Kind die Engel ihr Hosiannah

Gesungen, lasse schuldlos mich nicht sterben!

Sei Du mein Schutz; denn sonst muß ich verderben!«

Sah’t Ihr bisweilen nicht im Volksgewühl

Ein Angesicht, erblaßt und fahl und bange?

Der muß es sein! – Für Jedermanns Gefühl

Verkündet es die Farbe seiner Wange –

Der Hoffnungslose auf dem letzten Gange!

Und unter den Gesichtern rings im Kreise

Blickte Constantia in derselben Weise.

O, Königinnen, die Ihr lebt im Glücke,

O, Fürstinnen und Damen insgemein,

Zeigt etwas Mitleid ihrem Mißgeschicke!

Seht! eines Kaisers Tochter steht allein,

Und Niemand mag ihr Rath und Hülfe leihn!

Ein Königsblut, von Land und Freund geschieden,

Bleibt in der Noth verlassen und gemieden!

Der König Alla, edel stets und bieder,

Das tiefste Mitleid in dem Herzen trug;

Das Wasser rann ihm aus den Augen nieder.

Rasch brachte man auf sein Geheiß ein Buch.

»Beschwört der Ritter,« – sprach er – »daß erschlug

Constantia dieses arme Weib, so will ich

Mein Urtheil fällen, wie es recht und billig!«

Und auf das Buch, gefüllt mit heil’gen Zeichen,

Das man gebracht, beschwor der Ritter dann

Constantias Schuld. – Doch, Wunder sonder Gleichen!

Seht! – eine Hand packt ihn beim Nacken an,

Und wie ein Stein zu Boden fällt der Mann!

Die Augen, berstend, sich im Kopf verdrehen

Im Beisein Aller, die im Kreise stehen!

Und eine Stimme hört man nah’ und fern,

Die spricht: »Du hast verläumdet durch Dein Lügen

Der Kirche heil’ge Tochter vor dem Herrn;

Das thatest Du! und dies mag Dir genügen!«

Rings malt Entsetzen sich in allen Zügen,

Vor Furcht und Schrecken weiß sich kaum zu fassen

Das Volk, und nur Constantia bleibt gelassen.

Groß war die Furcht und groß war auch die Reue

Von denen, die bereits sie schuldig hießen

Und angezweifelt hatten ihre Treue.

Und durch dies Wunder – um es kurz zu schließen –

Und durch Vermittlung von Constanze ließen

Der König und viel Andre sich bekehren;

Wofür wir Christum dankerfüllt verehren.

Dann ward, wie König Alla dies geboten,

Der falsche Ritter rasch dem Tod geweiht.

– Und doch – Constantia weinte um den Todten! –

Von Alla aber wurde mit der Zeit

Durch Christi Gnade feierlich gefreit

Dies fromme Weib im reinsten Schönheitsglanze.

– So machte Christ zur Königin Constanze.

Wer war von Zorn und Haß wohl je so wild,

Wie – daß ich strenge bei der Wahrheit bleibe –

Des Königs böse Mutter Donegild!

Ihr brach schier das verruchte Herz im Leibe,

Als sie erfuhr, daß sich ihr Sohn zum Weibe

Ein unbekanntes und wildfremdes Wesen

Ihr zum Verdruß und Aerger auserlesen.

Mich drängt es nicht, von Spreu und Stroh so langen

Bericht zu machen wie von Kern und Korn.

Soll ich erzählen von dem Prunk und Prangen

Der Hochzeit? und wer hinten ging, wer vorn?

Wer die Trompete blies und wer das Horn?

Bleibt der Beschreibung Frucht nicht stets im Ganzen

Nur: Essen, Trinken, Singen, Spielen, Tanzen?

Zu Bett sie gingen, wie der Pflicht sie’s schuldig.

– Wenn’s sein muß, fügt trotz aller Heiligkeit

Ein jedes Weib sich in der Nacht geduldig,

Wird das Vergnügen zur Nothwendigkeit. –

Für Leute, die mit Ringen sich gefreit,

Ist es erlaubt, daß sie der Sache wegen

Die Heiligkeit etwas bei Seite legen.

Ein männlich Kind empfing sofort ihr Leib.

Doch, da in Schottland Krieg und Streit entglommen,

Zog Alla vor den Feind, indeß sein Weib,

Vom Commandanten in das Haus genommen,

In eines Bischofs Schutze, angstbeklommen,

Doch fromm und gottergeben, so wie immer,

Des Kindsbetts harrte still in ihrem Zimmer.

Die Zeit war da. – Ein Knabe kam zur Welt,

Den in der Taufe sie Mauritius nannte.

Die Freudenbotschaft schrieb sogleich ins Feld

Dem Könige der treue Commandante.

Indem er nebenbei ihm Meldung sandte,

Wie Alles ginge und wie Alles stände;

Und gab den Brief in eines Boten Hände.

Der Bote, der auf seinen Vortheil sann,

Ritt zu des Königs Mutter mit der Kunde.

»Madam!« – hub er mit Schmeichelgrüßen an –

»Gewiß, Ihr segnet tausendmal die Stunde,

Und danket Gott mit Herzen und mit Munde!

Ein Knäblein wiegt die Königin im Schoß,

Und Glück und Jubel sind im Lande groß.«

»Seht, diesen Brief, in dem von allen Dingen

Die Meldung wohlversiegelt ist gemacht,

Soll ich dem König schleunigst überbringen:

Euch treu ergeben bleib’ ich Tag und Nacht!«

Donilde sprach: »So ist’s nicht abgemacht!

Bis morgen sollst Du hier der Ruhe pflegen,

Und mir das Weitre will ich überlegen.«

Der Bote trank sich steif in Bier und Wein,

Und heimlich ward aus seinem Sack gehoben

Ihm dieser Brief. – So feste schlief das Schwein! –

Ein Konterfei, von Lügen ganz durchwoben,

Ward schlau gemacht und schleunigst unterschoben,

Und an den König Alla abgesandt;

Und hören sollt ihr, was im Briefe stand.

Es sei – so schrieb man ihm – sein Weib entbunden

Von einer solchen Teufelscreatur:

Bei ihr zu bleiben, sei im Schloß befunden

Nicht Einer von so muthiger Natur.

Durch Hexerei und Zauberkünste nur

Sei’s möglich, daß ihr dieser Balg beschieden.

Sie sei verhaßt und ringsumher gemieden.

Der König las den Brief. Jedoch kein Wort

Verrieth den Kummer, der sein Herz bedrängte,

Und eigenhändig schrieb er heim sofort:

»Willkommen sei, was immer Christ mir schenkte!

Recht ist gelenkt, was Gottes Hand je lenkte,

Für den, der glaubt; denn unser Wunsch und Neigen

Muß, Herr und Gott, vor Deinem Willen schweigen!«

»Sorgt für mein Kind, ob’s schön, ob’s garstig ist!

Sorgt für mein Weib, bis wir nach Hause kehren!

Den Erben, der mir mehr gefällt, kann Christ

Durch seine Gnade immer noch bescheeren!«

Er siegelte dann unter stillen Zähren

Den Brief und gab ihn in des Boten Hände.

– Der Bote ging, und damit war’s zu Ende.

O, Bote, Jammerbild der Trunkenheit!

Dick ist Dein Hauch, es zittern Deine Glieder!

Du bist Verräther jeder Heimlichkeit

Und plapperst Alles wie die Elster wieder!

Dein Angesicht wird blässer stets und müder,

Dein Sinn ist fort und bei Dir, zweifelsohne,

Sitzt Trunkenheit als Herrscherin im Throne.

O, Donegilde! nicht in Worte fass’ ich

All Deine Bosheit, Deine Tyrannei!

Dem Bösen in der Hölle überlass’ ich

Dich und die Schildrung der Verrätherei!

Pfui! Unmensch! Pfui! – bei Gott, ich sag’ es frei –

Du wallst auf Erden, aber, pfui! Du Hexe,

Dein böser Geist ist höllisches Gewächse!

Der Bote lenkte wieder auf der Reise

Zum Hof der Königsmutter seinen Gang.

Und froh gewährte sie in jeder Weise

Ihm wiederum den ehrendsten Empfang.

Er füllte sich den Bauch mit Speis’ und Trank.

Und schnob und schnarchte, und im Schlaf verbrachte

Die ganze Nacht er, bis der Morgen lachte.

Und wiederum ward ihm der Brief gestohlen,

Und wiederum schrieb man ein Konterfei:

Daß es dem Commandanten anbefohlen

Vom Könige bei Galgenstrafe sei,

Es hätte, wenn dahin der Tage drei

Und noch drei Stunden ohne weit’res Säumen

Constantia des Königs Land zu räumen.

An Bord des Schiffs, das sie gebracht ans Land,

Sei sie, ihr Sohn, und was ihr eigen wäre,

Ins Meer hinauszustoßen von dem Strand,

Und zu bedrohn, daß sie nie wiederkehre. –

Constantia, ach! Dich haben sicher schwere

Und trübe Träume jene Nacht umsponnen,

Als Donegilde dieses ausgesonnen!

Der Bote ging, sobald er Morgens wachte,

Zum Commandanten nächsten Wegs aufs Schloß,

Dem er den Brief des Königs überbrachte.

Er las das Schreiben, und sein Schmerz war groß.

»O, weh’ mir!« – rief er – »welches herbe Loos!

Wie kann die Welt nur, Herr und Christ, bestehen,

Wenn, ach! so Viele sündhaft sich vergehen?«

»Allmächt’ger Gott! wie kann’s Dein Wille sein,

Der Du doch Allen ein gerechter Richter,

Daß Unschuld leide solche Noth und Pein,

Und stets im Glücke sitzen Bösewichter!

Gute Constantia! Weh’ ist mir!« – so spricht er –

»Schmachvoll zu sterben, oder Dich zu quälen,

Kein andrer Weg bleibt übrig mir zu wählen!«

Im Schlosse weinten Alt und Jung vor Sorgen,

Als man des Herrn verfluchten Brief empfing,

Zum Schiff indessen an dem dritten Morgen

Constantia bleich, doch gottergeben, ging;

Und trug, was Christus über sie verhing.

Am Strande knie’nd, sprach sie zu Gott gewendet:

»Willkommen sei, was mir der Herr gesendet!«

»Als unter Euch ich hier gelebt im Lande

War vor Verläumdung schon mein Retter Er!

Er kann mein Retter sein aus Noth und Schande,

Ist mir das Wie auch unklar, auf dem Meer;

Er ist so stark noch heute wie seither!

O, Gott und Mutter, Beide mir so theuer,

Seid Ihr mein Segel und seid Ihr mein Steuer!«

Der kleine Sohn lag weinend ihr im Arm,

Und, knieend, sprach sie mitleidsvoll zum Kinde:

»Still! Söhnchen, stille! – Dir geschieht kein Harm!«

Vom Kopf zog sie den Schleier, daß als Binde

Sie schützend ihn um seine Aeuglein winde,

Und lullte wiegend in den Schlaf ihn dann,

Und warf die Blicke flehend himmelan.

»Mutter!« – sprach sie – »Maria, keusche Magd!

Weil eines Weibes Sünde das Verderben

So wie den Tod in diese Welt gebracht,

Sahst Du am Kreuze Deinen Sohn und Erben

Mit eignen Augen hängen, leiden, sterben!

Kann alles Weh und alles Leid auf Erden

Mit Deinem Schmerze je verglichen werden?«

»Vor Deinen Augen ward Dein Kind erschlagen!

Und meines lebt noch! – Jungfrau, hehr und mild,

Zu der Betrübte ihren Jammer klagen,

Du heller Tagesstern, Du Zufluchtsschild,

Du schöner Mai, Du reinster Keuschheit Bild!

Beschütz’ mein Kind! Du schützest mit Erbarmen

Die Schutzbedürft’gen, Leidenden und Armen.«

»Mein lieber, kleiner Sohn! – O, weh’! was that er,

Auf dem doch wahrlich keine Sünde ruht,

Daß ihn ins Elend stieß sein harter Vater?

Ach, Commandant!« – sprach sie – »sei lieb und gut,

Mein Söhnchen nimm zu Dir in Haus und Hut!

Und darfst Du’s nicht, und mußt Du mir’s verneinen,

Küss’ in des Vaters Namen meinen Kleinen!«

»Leb’ wohl, erbarmungsloser Mann!« – so sagend,

Warf sie die Blicke rückwärts in das Land,

Sprang auf, und, kosend in den Armen tragend

Ihr kleines Kind, ging sie zum Schiff am Strand,

Wo alles Volk, nachdrängend, sie umstand.

Sich fromm bekreuzend, rief ein Abschiedswort

Sie Allen zu, und stieg sodann an Bord.

Nicht an Proviant gebrach es für die Zeit

Der langen Reise durch die Meerespfade,

Und was auch sonst noch von Nothwendigkeit

Enthielt das Schiff – gedankt sei Gottes Gnade! –

Nun, führ’ sie heim, allmächt’ger Gott! – Nicht schade

Ihr Wind und Wetter! – Diesen Wunsch gewähre,

Treibt ihres Wegs sie weiter durch die Meere!

Es kam, nachdem sich dieses zugetragen,

Zu dem besagten Schloß der König bald.

Nach Weib und Kind begann er gleich zu fragen.

Den Kommandanten überlief es kalt;

Er meldete den ganzen Sachverhalt,

Mit welchem ich bereits bekannt Euch machte,

Und Brief und Siegel er dem König brachte.

Und sprach: »Mein Herr, wie Ihr es anbefohlen

Bei Todesstrafe, so hab’ ich’s gemacht!«

Die Folter ließ man für den Boten holen,

Und zum Geständniß ward er rasch gebracht,

Wo er sich aufgehalten Nacht für Nacht;

Und aus der Untersuchung bald erhellte,

Wo dieser Born des Mißgeschickes quellte.

Man wußte, welche Hand den Brief geschrieben,

Und wer die giftig böse That ersann

Zwar ist das Wie mir unbekannt geblieben,

Doch lesen kann die Folgen Jedermann:

Als Hochverräth’rin ward der Mutter dann

Vom Könige der Todesstreich gegeben.

– So elend schloß Frau Donegildes Leben! –

Die Sorge, welche König Alla quälte

Bei Tag und Nacht um Gattin und um Kind,

Wohl keine Zunge je getreu erzählte.

Drum zu Constanze wend’ ich mich geschwind.

Die Leidensvolle trieb durchs Meer der Wind

Fünf Jahr’ und länger, eh’ durch Christi Gnade

Ihr Nachen sich genähert dem Gestade.

Es trieb zu einem heidnischen Kastelle

– Von dem mein Text den Namen nicht enthält –

Constantia und ihr Kind zuletzt die Welle.

Allmächt’ger Gott! Erretter aller Welt!

Beschütze sie mit ihrem Kind! sonst fällt

Sie in der Heiden Hand und büßt ihr Leben

Vielleicht dort ein. – Doch hört, was sich begeben.

Vom Schloß herab stieg Mancher und beschaute

Das Schiff, in dem Constantia sich genaht;

Und eines Tages, als der Abend graute,

Bestieg – Gott strafe seine Missethat! –

Des Fürsten Vogt, ein Dieb und Renegat,

Das Schiff, damit zu schnöder Lust und Minne

Er durch Gewalt und Drohung sie gewinne.

Wohl schrie mit ihrem Kind das wehbedrängte

Und arme Weib. Jedoch nicht hülflos blieb

Sie in der Noth. – Die heil’ge Jungfrau schenkte

Ihr Kraft und Muth, und, mächtig ringend, trieb

Sie bis zum Rand des Schiffes jenen Dieb,

Der über Bord fiel und ertrank im Meere;

Und unbefleckt erhielt ihr Christ die Ehre.

O, faule Lust der Ueppigkeit, hier endest

Du nach Verdienst! Du bringest Schmach und Tod

Dem Leib sowohl, wie Du den Sinn verblendest;

Auf blinde Lüste folgen Pein und Noth!

Wohl mag der Mensch bedenken, was ihm droht.

Nicht nur die That, nein, schon die That zu denken,

Kann Tod und Elend auf den Schuld’gen lenken!

Wer stählte für den Kampf des Weibes Nerven,

Als mit ihr rang der falsche Renegat?

Wie konnte David je zu Boden werfen

Den unermeßlich langen Goliath,

Wie er es jung und ungerüstet that?

Wie blickte furchtlos er empor zum Riesen?

Nun – durch die Gnade, die ihm Gott bewiesen.

Wer flößte Judith Muth und Kühnheit ein,

Als Holofernes sie erschlug im Zelte,

Um Gottes Volk vom Elend zu befrein?

Die Antwort auf die Fragen, die ich stellte,

Bleibt immer die: den Geist der Kraft gesellte

Zu ihnen Gott, und, wie zu ihrem Werke,

Gab auch Constantia Er die Kraft und Stärke!

Es trieb ihr Schiff dann durch die Meeresenge

Von Jubaltar und Septa weiter fort,

Und schwamm umher der Breite nach und Länge

Manch lieben Tag gen Ost, West, Süd und Nord;

Bis Christi Mutter, der Bedrängten Hort,

Endloser Güte voll, es so gewendet,

Daß sich die Zeit naht, wann ihr Leiden endet.

Auf kurze Frist sei nunmehr von Constanze

Nach Rom um Kaiser unser Blick gewandt,

Dem längst der Christen Mord, sowie das ganze

Geschick der Seinen brieflich schon bekannt;

Und was sein Kind durch die Verrätherhand

Der alten Mutter Sultanin ertragen,

Als auf dem Fest sie allesammt erschlagen.

Der Kaiser gab dann Vollmacht und befahl

Einem der Senatoren, daß als Führer

Mit manchen Herr’n – Gott weiß, wie groß die Zahl? –

Zu Feld’ er zög’ zur Züchtigung der Syrer.

Worauf mit Mord und Brand auch nach Gebühr er

Das Land manch lieben langen Tag verheerte,

Bis er dann schließlich wieder heimwärts kehrte.

So segelte nach Rom in voller Glorie

Als Sieger der Senator mit dem Heer,

Und traf das Schiff – so meldet die Historie –,

Worin Constanze, treibend auf dem Meer.

Indessen, wer sie sei und wo sie her,

Erfuhr er nicht; denn nicht verrathen wollte

Sie ihren Stand, und wenn sie sterben sollte.

Es brachte sie nach Rom zu seinem Weibe

Mit ihrem Kinde der Senator hin,

Daß sie bei ihnen wohne und verbleibe.

So zog aus Leid die Himmelskönigin,

Wie manche vor ihr, diese Dulderin,

Die, heil’gen Werken immer hingegeben,

Noch lange führte dort ein frommes Leben.

Daß des Senators Weib verwandt ihr sei

Und ihre Muhme, konnte sie nicht wähnen;

Und ich erzähl’ es hier nur nebenbei.

Zu König Alla muß ich, der mit Thränen

Sein Weib bejammert unter stetem Sehnen,

Indem Constantia ich in Schutz und Händen

Von dem Senator lasse, nun mich wenden.

Es fühlte sein Gewissen eines Tages

Der König durch den Muttermord bedrängt,

Und hatte – daß ich kurz und schlicht Euch sag’ es –

Nach Rom zur Sühne seinen Schritt gelenkt,

Um dort zu büßen, was der Papst verhängt,

Und um von Christ für das, was er begangen,

Durch sein Gebet Verzeihung zu erlangen.

Durch Höflinge, die ihm Quartier bereitet,

War das Gerücht von Allas Pilgerfahrt

Rasch durch die ganze Stadt hindurch verbreitet;

Und der Senator, dem sich beigeschaart

Viel Edelleute, ritt nach Brauch und Art

Dem Könige der Ehr’ und Ehrfurcht wegen

Und Pompes halber aus der Stadt entgegen.

Geehrt ward König Alla auf das Beste

Von dem Senator, ob der König schon

Darin nicht nachstand; denn zu einem Feste

Lud er ihn ein, bevor zwei Tage flohn;

Und in Begleitung von Constantias Sohn

– Daß ich es kurz Euch nach der Wahrheit sage –

Ging der Senator zu dem Festgelage.

Zwar ist behauptet worden, daß Constanze

Sich vom Senator diese Gunst erbat.

Nun, das mag sein, mag nicht sein; denn das Ganze

Kommt drauf hinaus: zum Fest ging in der That

Constantias Sohn, und nach der Mutter Rath

Hielt er beim Mahle, wenn ein Gang geendet,

Stets auf den König seinen Blick gewendet.

Der König sah verwundert auf den Knaben,

Und den Senator sprach er also an:

»Wen mag dies schöne Kind zum Vater haben?«

Und jener sprach: »Bei Gott und St. Johann!

Die Mutter kenn’ ich, aber nicht den Mann.«

Und dann gab er dem König Alla Kunde

Von diesem Knaben und von seinem Funde.

»Bezeug’ es Gott!« – sprach der Senator – »nie

Sah oder fand ich noch in meinem Leben

Weib, Wittwe, Mädchen oder Frau, wie sie

So tugendhaft und also Gott ergeben.

Weit lieber würde sonder Furcht und Beben

Sie sich den Dolch in ihren Busen senken,

Als einem Manne ihre Gunst je schenken!«

Wohl kaum ein Wesen auf dem Erdenrunde

So seiner Mutter, wie der Knabe, glich.

Und Alla, welcher tief im Herzensgrunde

Constantias Bild bewahrte, dachte sich,

Daß sie des Kindes Mutter; und er schlich

Von dem Bankette seufzend dann von hinnen,

Um in der Stille weiter nachzusinnen.

»Fürwahr, Phantome des erhitzten Blutes

Verwirren mir« – so sprach er – »den Verstand!

Mein Weib ist todt, und in der Salzfluth ruht es.«

Doch Gegengründe lagen auch zur Hand.

»Wer weiß,« – sprach er – »ob Christus, der gesandt

Mein Weib mir einst zur See, aus meinem Lande

Sie nicht geführt hat abermals zu Strande?«

Und der Senator ging mit Alla dann

Des Abends heim, dies Wunder aufzuklären;

Und eilig schickte zu Constantia man,

Den König zu empfangen und zu ehren.

– Zu tanzen – glaubt mir – trug sie kein Begehren,

Die Füße wollten ihr den Dienst versagen,

Als diese Botschaft man ihr zugetragen. –

Als weinend sich vor diesem Weib verbeugte

Der König, blieb kein Auge thränenleer,

Der erste Blick auf sie ihn überzeugte,

Sie war sein Weib, da galt kein Zweifel mehr.

Doch stumm verblieb sie wie ein Baum; denn schwer

Und trüb das Herz ihr die Erinnrung machte,

Als sie des unbarmherz’gen Manns gedachte.

Bewußtlos sank sie zweimal hin zur Erde;

Und, sich entschuld’gend, schrie er jämmerlich:

»Von Gott und allen seinen Heil’gen werde

Nie meiner Seele Gnade, fühle mich

An Deinem Harm nicht ganz so schuldlos ich,

Wie unser Sohn, das Abbild Deiner Züge!

Und hole mich der Böse, wenn ich lüge!«

Lang’ schluchzten sie, eh’ Ruh’ in ihre Herzen

Nach so viel Gram und Leid zurückgekehrt.

Groß war das Mitleid; aber ihre Schmerzen

Das Klagen und das Jammern nur vermehrt.

Mir sei, davon zu schweigen, drum gewährt;

Denn überdrüssig bin ich, von den Sorgen

Euch zu erzählen bis zum nächsten Morgen.

Doch als die Wahrheit endlich ihr bewußt,

Daß Alla schuldlos war an ihren Leiden,

Drückt’ sie ihn hundertmal an ihre Brust,

Und, abgesehn von ew’gen Himmelsfreuden,

Genoß je solche Wonne wie die Beiden

Gewiß kein Mensch, noch sah, noch wird er sehen

Ein gleiches Glück, so lang’ die Welten stehen.

Die Pein zu enden, welche sie erlitten,

Ersuchte sie in Demuth den Gemahl,

Er möge dringend ihren Vater bitten,

Es wolle nächsten Tages, je nach Wahl,

In Gnaden ihm zu einem Mittagsmahl

Die Ehre Seine Majestät erzeigen,

Jedoch von ihr, bat sie ihn, streng zu schweigen.

Man sagt zwar, daß Mauritius mit der Bitte

Zum Kaiser ging. – Mir aber scheint es klar,

Der König Alla wußte wohl, was Sitte.

Für solchen hohen Souverain, fürwahr,

Die Blüthe der gesammten Christenschaar,

Wird doch kein Kind zum Boten auserlesen!

Er selbst ging hin. – So, denk’ ich, ist’s gewesen.

Der Kaiser, diese Bitte gern gewährend,

Versprach, zum Mahl zu kommen. Doch sein Blick

Fiel – wie ich las – auf jenes Kind fortwährend,

Und an die Tochter dacht’ er oft zurück.

Und Alla kehrte heim, daß mit Geschick,

So weit es möglich, Alles auf das Beste

Er ordnend vorbereite zu dem Feste.

Der Tag ist da. – Im Festschmuck hoch zu Rosse

Dem Kaiser frohen Sinns entgegenziehn

Sowohl Constantia wie ihr Eh’genosse.

Doch kaum erspäht sie auf der Gasse ihn,

Springt sie vom Pferd und ruft auf ihren Knie’n:

»Ging, Vater, die Erinnrung ganz verloren

Dir an die Tochter, die Dein Weib geboren?«

»Ich bin die Tochter!« – spricht sie – »bin Constanze,

Die in das Land der Syrer Du gesandt.

Ich bin es, Vater, die im Wellentanze

Den Tod, den man mir zugedacht, nicht fand!

Reich mir in Gnaden Deine Vaterhand!

Du wirst mich nicht zu Heiden wieder senden;

Nein! Alla Dank für seine Güte spenden!«

Vom Wiedersehn der Drei vermag ich nicht

Die Rührung und die Freude mitzutheilen.

Zu Ende bringen muß ich den Bericht;

Der Tag rückt vor, zum Schlusse will ich eilen!

Beim Mittagsmahle lass’ ich sie verweilen

In tausendfachem, größerem Entzücken,

Als ich vermag in Worten auszudrücken.

Doch wie zum Kaiser späterhin im Leben

Vom Papst das Kind Mauritius gemacht,

Wie, Christi Kirche ehrend, fromm ergeben

Gelebt er hat, das laß ich außer Acht;

Allein Constantia kommt hier in Betracht.

In alten Römergesten steht indessen

Mauritius’ Leben; doch ich hab’s vergessen.

Und mittlerweile war der Tag gekommen,

An welchem Alla sich zurückgewandt

Nach Engeland, wo er mit seinem frommen,

Geliebten Weibe Glück und Ruhe fand.

Doch, glaubt mir, nur von flüchtigem Bestand

Ist Erdenglück. Es kommt und ist geschwunden

Wie Meeresfluth im Wechselspiel der Stunden.

Wer freut sich dauernd ungetrübter Tage,

An denen sein Gewissen ruhig schlägt,

Von Zorn und Drang und anverwandter Plage,

Von Neid und Stolz und Hitze nicht bewegt?

Ich habe die Betrachtung eingelegt,

Weil auch für Alla und Constanze Frieden

Und Seligkeit nur kurze Zeit beschieden.

Tribut dem Tod muß Hoch und Niedrig geben!

Und so schied etwa auch nach Jahresfrist

Der König Alla aus dem Erdenleben,

Von seinem Weib betrauert und vermißt.

Sei seiner Seele gnädig, Gott und Christ!

Von ihr bleibt mir nur schließlich mitzutheilen,

Daß sie beschloß, nach Rom zurückzueilen.

Hier fand das fromme Wesen alle theuern

Und lieben Freunde lebend und gesund.

Hier fand sie Ruhe nach den Abenteuern,

Sah ihren lieben Vater wieder, und

Sank in die Kniee nieder auf den Grund,

Und dankte hunderttausendmal mit Rührung

Und unter Thränen Gott für seine Führung.

Es lebten Alle fromm und tugendsam,

Beständig heil’gen Werken zugewendet,

Bis schließlich sie der Tod von hinnen nahm.

Und so lebt wohl! – Denn die Erzählung endet.

Nun, Jesus Christus, dessen Hand uns sendet

Nach Leiden Freuden, schenke Huld und Gnade

Auch uns Gefährten auf dem Pilgerpfade!

Der Prolog des Schiffers.

Vers 5583–5610.

Hoch in den Bügeln stand der Wirth und sprach:

»Hört, guten Leute, meiner Meinung nach

War die Erzählung überaus gelungen.

Herr Pfarrer!« – rief er – »tragt, wie ausbedungen,

Uns etwas vor! Denn – bei des Herrn Gebein! –

Manch guter Schwank fällt Euch Gelehrten ein

– Bei Gottes Würde! – wie ich wohl erseh’!«

Der Pfarrer sprach: »Ei, benedicite!

Was fehlt dem Mann, so lästerlich zu schwören?«

»O!« – schrie der Wirth – »Mein Hans! läßt Du Dich hören?

Ich witt’re, gute Herren, in der Luft

Von einem Lollhard, scheint es mir, den Duft.

Bei Christi Seelenleiden! gebet Acht,

Mit einer Predigt werden wir bedacht

Noch allesammt von diesem Lollhard hier!«

»Nein,« – rief der Schiffer – »das verbitt’ ich mir!

Bei meines Vaters Seele! mit Sermonen

Und Bibelglossen soll er uns verschonen.

Wir glauben Alle hier an Gott, den Herrn.

Er aber möchte Streit und Hader gern

Und Unkraut säen in die reine Saat.

Fürwahr, mein Wirth, mir scheint’s der beste Rath:

Ich, lust’ger Kerl, erzähle nunmehr weiter

Und rasseln mit der Schelle will ich heiter,

Daß munter bleibt die ganze Compagnie.

Ich werde sicher von Philosophie,

Juristerei und Medicin Nichts sagen,

Denn viel Latein beschwert nicht meinen Magen!«

Die Erzählung des Schiffers.

Vers 5611–6044.

Einst war ein Handelsherr in St. Denis,

Dem vieles Geld den Ruf der Weisheit lieh.

Von wunderbarer Schönheit war sein Weib

Und höchst erpicht auf Lust und Zeitvertreib;

Was weit mehr kostet, als die Reverenzen

Und Artigkeiten junger Herrn bei Tänzen

Und Festen werth sind. Denn von Unbestand

Und flücht’ger, als der Schatten an der Wand,

Ist solches Mienenspiel und solcher Gruß.

Doch wehe dem, der dafür zahlen muß!

Ein dummer Ehemann muß dennoch zahlen!

Er muß uns kleiden, daß im Schmuck wir strahlen,

Und schön geputzt uns seiner Ehre wegen

In solchem Staat beim lust’gen Tanz bewegen.

Sollt’ er die Mittel uns dazu versagen,

Und über Kosten und Verluste klagen,

Vielleicht sogar uns der Verschwendung zeihn,

So muß ein Anderer schenken oder leihn

Uns Gold dazu – und das bringt oft Gefahr.

Es ging beim edlen Kaufmann eine Schaar

Verschiedner Gäste täglich ein und aus.

Kein Wunder war es. Stattlich war sein Haus

Und schön sein Weib. – Doch lauschet meinem Wort!

Man konnte neben andern Gästen dort

Auch einen schönen, kecken Mönch gewahren,

Dem Alter nach von etwa dreißig Jahren,

Der dieses Haus stets zu besuchen pflegte.

Zu diesem jungen, schönen Mönche hegte

So große Neigung jener gute Mann,

Seit die Bekanntschaft beiderseits begann,

Daß dieser Mann dort so vertraut verkehrte,

Wie man es je dem besten Freund gewährte.

Und da noch fernerweitig dieses Paar

In einem Dorf zur Welt gekommen war,

So redete der Mönch den guten Mann

Beständig nur als seinen Vetter an,

Und dieser widersprach ihm darin nicht.

Nein, wie der Vogel, wenn der Tag anbricht,

War er vergnügt und froh von Herzensgrund.

So hatten miteinander sie den Bund

Geschlossen und ihr Wort darauf gegeben,

In Brüderschaft für immerdar zu leben.

Höchst generös war immer Dan Johann,

Zumal in jenem Hause, und er sann

Auf das, was Kosten und Vergnügen machte.

Bis auf den letzten Pagen hin bedachte

Er nach dem Rang das ganze Hausgesinde

Mitsammt dem Herrn und gab als Angebinde,

Was passend war, betrat er nur die Schwelle;

Und wie ein Vogel bei der Morgenhelle

War Jedermann, sobald er kam, vergnügt.

Nichts mehr davon! – was ich gesagt, genügt.

Einst schickte nun sich dieser Handelsmann

Geschäfte halber zu verreisen an;

Nach Brügge dachte nämlich er zu gehn,

Um dort verschiedne Waaren zu erstehn.

Doch vorher sandt’ er Botschaft nach Paris

An Dan Johann, den er ersuchen ließ,

Mit ihm und seiner Frau auf alle Weise

Noch ein paar Tage vor der Brügger Reise

In St. Denis vergnüglich hinzubringen.

Der Abt des Klosters ließ in solchen Dingen

Stets dem besagten Mönche freie Hand.

Ihm war, als einem Manne von Verstand,

Das Amt verliehen, zu verschiednen Zeiten

Die Scheunen und Gehöfte zu bereiten;

Und somit kam nach St. Denis er schnell.

Wie sehr war der galante Junggesell,

Der theure Vetter Hans, daselbst willkommen!

Geflügel hatt’ er für sie mitgenommen,

Ein Krüglein Malvasier, ein Fläschchen auch

Voll Toskerwein. – Ei, ja! das war sein Brauch. –

Und damit überlaß ich auf zwei Tage

Den Mönch und Kaufmann ihrem Zechgelage.

Es überschlug sodann am dritten Morgen

Der Kaufmann seinen Geldbedarf mit Sorgen.

Drum ging er eilig in sein Lagerhaus

Und rechnete dort wohlbedächtig aus,

Wie es in diesem Jahre mit ihm stand,

Und wie sein Geld verthan und angewandt,

Und ob er »Gut« behalten oder »Schuld«.

Er legte nieder auf sein Rechenpult

Viel Bücher und viel Beutel voller Geld.

Doch Schatz und Kasse fand er reich bestellt.

Drum schloß er eiligst seine Thüre zu,

Damit er ohne Störung, ganz in Ruh,

Vollenden könne seine Rechnerei;

Und saß daran bis Primezeit vorbei.

Auch Dan Johann war früh am Morgen wach

Und ging im Garten auf und ab und sprach

Sein Frühgebet in salbungsvoller Weise.

Zum Garten aber, wo er ging, schlich leise

Das gute Weibchen etwas später auch

Und grüßte dort ihn nach gewohntem Brauch.

Ein kleines Mädchen hatte zur Begleitung

Sie an der Hand, das sie in Zucht und Leitung

Noch leicht zu halten wußte mit der Ruthe.

»Ach, Dan Johann, ist Euch nicht wohl zu Muthe,

Daß Ihr so zeitig« – frug sie – »aufgewacht«?

»Fünf Stunden Schlaf genügen in der Nacht,

Geliebte Nichte,« – sprach er – »ganz vollkommen,

Die bleichen Ehekrüppel ausgenommen;

Solch’ alte Kerle liegen freilich fest

Wie abgehetzte Hasen in dem Nest,

Wenn sie von Hunden rings umgeben sind.

Doch sprich, warum so blaß, mein liebes Kind?

Du bist gewiß von unserm guten Mann

So strapazirt, seitdem die Nacht begann,

Daß Du nunmehr der Ruhe pflegen mußt.«

Und bei dem Scherze lacht er voller Lust

Und ward ganz roth vom Einfall, den er hegte.

Die Schöne schüttelnd ihren Kopf bewegte

Und sprach: »Weiß Gott, mein theurer Vetter, Ihr

Habt Euch geirrt. So steht es nicht mit mir.

Bei Gott, der mir gegeben Seel’ und Leib,

Im ganzen, weiten Frankreich hat kein Weib

Geringre Lust zu solchen bösen Dingen.

Ich aber habe Weh und Ach zu singen,

Daß ich zur Welt kam. Doch ich darf nicht wagen,

Was mich bedrückt, je einem Mann zu klagen.

Entfliehen möcht’ ich wahrlich aus dem Land,

Ja, mich entleiben mit der eignen Hand,

So quält und ängstigt mich mein Mißgeschick!«

Starr richtete der Mönch auf sie den Blick

Und sprach: »Ach, Nichte, wollte Gott verwehren,

Daß Du, weil Furcht und Sorgen Dich beschweren,

Dich selbst entleibtest! Nein, Du mußt erzählen,

Was Dich bedrängt. Dir soll mein Rath nicht fehlen.

Ich helfe Dir, vertraust Du mir die Sorgen.

Bei mir ist Dein Geheimniß gut geborgen.

Ich schwöre Dir auf mein Brevier den Eid

Der unverbrüchlichsten Verschwiegenheit,

So lang ich lebe; mag, was will, geschehn!«

»Dazu« – sprach sie – »will ich mich auch verstehn!

Bei Gott beschwör’ ich und auf Dein Brevier

Ich werde nie, was mir vertraut von Dir,

Verrathen, ob man mich in Stücke risse,

Ja, führ’ ich selbst zur Hölle. – Dennoch wisse

Daß Vetterschaft und bloße Freundschaft nicht,

Nein Liebe nur und Neigung aus mir spricht.«

So schwuren und so küßten sich die zwei

Und dann begann sofort die Plauderei.

»Mein Vetter« – sprach sie – »wäre hier der Ort

Und hätt’ ich Zeit, so theilt’ ich Dir sofort

Jetzt die Legende meines Lebens mit,

Und Alles, was im Ehestand ich litt,

Wenngleich mein Mann Dein eigner Vetter ist.«

»Beim Heiligen Martinus und bei Christ!«

– Entgegnete der Mönch – »er ist mein Vetter

Nicht mehr, als an den Bäumen hier die Blätter!

Bei St. Denis von Frankreich! so genannt

Hab’ ich ihn nur, weil ich mit Dir bekannt

Zu werden wünschte. Denn auf Erden giebt

Es keine Frau, die ich wie Dich geliebt.«

Bei meiner Profession will ich’s beschwören!

Doch eh’ Dein Mann herunter kommt, laß hören,

Was Dich bedrängt? Komm, spute Dich! Erzähle!

»O Hans!« – sprach sie – »Geliebter meiner Seele,

Weit lieber schwieg’ ich, als mein Leid zu klagen,

Doch muß heraus, was länger nicht zu tragen.«

Mein Gatte, dünkt mich, ist der schlimmste Mann,

Den’s je gegeben, seit die Welt begann.

Doch schickt sich’s nicht, daß ich als Ehefrau

Dir unsre Heimlichkeiten anvertrau.

Gott schütze mich, es jemals zu verrathen,

Was wir im Bett und sonst mitsammen thaten;

Da eine Frau nur das, was ehrenvoll,

Von ihrem Ehemann erzählen soll.

Nur Dir allein, so wahr mich Gott beschütze.

Will ich vertraun: er ist zu gar nichts nütze

Und überhaupt nicht eine Fliege werth.

Der größte Geizhals ist er, und gewährt

Mir keinen Wunsch in Hinsicht der sechs Sachen,

Die mich so froh, wie alle Weiber, machen.

Wir wünschen nämlich, unser Gatte sei

Reich, weise, keck und mit dem Gelde frei,

Treu seinem Weibchen und im Bette munter.

Doch bei dem Herrn, der für uns litt, mitunter

Muß ich mich putzen seiner Ehre wegen,

Und bin um hundert Franken jetzt verlegen,

Die nächsten Sonntag ich bezahlen muß.

Ach, wär’ ich nie geboren! Der Verdruß

Bringt mich noch um. Denn, wenn’s mein Mann vernimmt

– Und Schwätzereien giebt es ganz bestimmt –

Bin ich verloren. Lasse Dich erflehn!

Leih’ mir das Geld, sonst ist’s um mich geschehn!

Ich sage, Herr, leih mir die hundert Franken!

Pardi! ich will Dir redlich dafür danken,

Nur mußt Du mir die Bitte nicht versagen.

Auf Tag und Stunde wird es abgetragen.

Ich stehe Dir zu Diensten jeder Zeit

Und bin zu Allem, was Du willst, bereit.

Und Gott bestrafe, brech’ ich Dir mein Wort,

Wie Ganelon von Frankreich mich sofort.

Der edle Mönch gab Antwort ihr und rief:

»Geliebte, theure Frau, ich trage tief

In meinem Herzen um Dich Schmerz und Leid,

Und ich verspreche Dir auf Wort und Eid,

Sobald Dein Mann nach Flandern geht von dannen,

Will ich sofort all’ Deine Sorgen bannen,

Und hundert Franken hast Du in den Händen.«

Und damit griff er sie an beide Lenden

Und herzte sie und küßte sie und sprach:

»Geh’ fort in aller Stille, und hernach

Mach’ unser Essen möglichst rasch bereit,

Denn mein Cylinder zeigt schon Primezeit;

Und traue mir, wie ich auf Dich vertrau’!«

»Das walte Gott!« – erwiderte die Frau,

Und so vergnügt wie eine Elster lief

Sie schnell zu ihren Köchen hin und rief,

Sich zu beeilen mit dem Mittagsschmaus.

Dann rannte schleunigst sie zum Lagerhaus,

Zu ihrem Mann und klopfte kräftig an.

Und »Qui est là?« erwiderte der Mann.

»Ich bin es, Peter!« – sprach sie – »Ei, wie lange

Willst Du noch fasten? Bist Du stets im Gange

Mit Deinen Büchern, Zahlen und Papieren?

Der Teufel möge rechnen und addiren!

Zufrieden sei mit dem, was Gott Dir gab;

Laß Deine Beutel stehn und komm’ herab.

Schämst Du Dich nicht, daß Dan Johann so spät

Am hellen Tage stets noch nüchtern geht?

Komm! hör’ die Messe, und zu Tische dann.«

»Weib, Du kannst nicht begreifen« – sprach ihr Mann –

»Wie wunderlich oft die Geschäfte gehn.

Sieh’, von uns Handelsleuten finden zehn

– Gott und St. Ivo können Zeugen sein –

Von zwanzigen nur höchstens ihr Gedeihn,

Selbst wenn wir uns bis an das Alter plagen.

Doch scheinbar fröhlich müssen wir uns schlagen,

So gut es eben gehn will, durch die Welt,

Und Niemand weiß, wie es um uns bestellt,

Bis daß wir sterben, oder uns ganz leise

Unter dem Vorwand einer Pilgerreise

Von dannen drücken. Drum, scharf aufzupassen

In dieser Welt, darf ich nicht unterlassen,

Denn Glück und Unglück gehn im Handelsstand

Zu unserm Schrecken immer Hand in Hand.

Ich reise morgen in der Früh’ nach Flandern

Und werde heim, sobald als möglich, wandern.

Drum, liebes Weibchen, nimm mein Hab und Gut,

Ich bitte Dich, in Obacht und in Hut.

Sei frei und freundlich gegen Deine Gäste

Und lenk’ und leite Du das Haus aufs Beste.

Dein Vorrath reicht in jeder Hinsicht aus,

Um sparsam zu verwalten uns das Haus –

Es fehlt Dir nicht an Kleidern und Proviant,

Und Silbergeld bekommst Du in die Hand.«

Und mit den Worten schloß er seine Thür,

Stieg rasch hinab und hörte nach Gebühr

In aller Eile dann die Messe sagen.

Nun wurden flink die Speisen aufgetragen;

Man setzte sich, und reichlich ward sein Essen

Dem würd’gen Mönch vom Kaufmann zugemessen.

Nach Tisch nahm Dan Johann den Handelsmann

Ganz insgeheim bei Seite und begann:

»Mein lieber Vetter, wie die Sachen stehn,

Hast Du im Sinn nach Brügge fortzugehn.

Mag Dich St. Augustin und Gott geleiten!

Mit Vorsicht, Vetter, bitt’ ich Dich zu reiten,

Und halte bei der heißen Jahreszeit

Stets auf Diät und große Mäßigkeit.

Doch wozu sollen viele Worte nützen?

Leb’ wohl, mein Vetter, mag Dich Gott beschützen!

Fällt etwas vor, darfst Du bei Tag und Nacht,

Vorausgesehen, daß in meiner Macht

Die Sache liegt, frei über mich befehlen.

Du kannst in jeder Hinsicht auf mich zählen.

Doch eines noch! Sollt’ es Dir möglich sein,

Mir hundert Franken, eh’ Du gehst, zu leihn,

So möcht’ ich auf zwei Wochen sie erborgen.

Ich habe einen Viehkauf zu besorgen

Für eine unsrer Klostermeierei’n

– Ach gäbe Gott, es könnte Deine sein. –

Für tausend Franken ließ ich nicht verstreichen

Nur einen Tag, die Schulden zu begleichen.

Doch bitte, schweige von der Sache still,

Da ich das Vieh noch heute kaufen will.

Und damit, lieber Vetter, gute Reise!

Grand mercy für Bewirthung und für Speise!«

»O, lieber, bester Vetter Hans!« – begann

Mit Freundlichkeit der edle Handelsmann –

»Die Bitte scheint mir in der That sehr klein.

So viel an Gold Du immer willst, ist Dein.

Gold oder Waaren, Alles steht Dir frei,

Und – schütz’ Dich Gott! – nicht gar zu blöde sei!

Indessen eins ist Dir bekannt genug:

Für einen Kaufmann ist das Geld sein Pflug.

Soliden Namen wird gern creditirt,

Doch ist’s kein Spaß, wenn man sein Geld verliert.

Erstatte mir’s zur bestgelegnen Zeit,

Soweit ich kann, bin ich gern dienstbereit.«

Die hundert Franken ging er dann zu holen

Und gab das Geld an Dan Johann verstohlen,

So daß vom Darlehn nie ein Mensch erfuhr,

Wie Dan Johann und unser Kaufmann nur.

Es tranken, schwatzten, scherzten dann die Zwei,

Bis Dan Johann zurückritt zur Abtei.

Der Morgen kam, und hin nach Flandern ritt

Der Handelsmann und nahm den Lehrling mit.

Vergnügten Sinns kam er in Brügge an,

Wo unverzüglich sein Geschäft begann;

Er zahlte bar, nahm Waaren auf Credit,

Wogegen Tanz und Würfel er vermied,

Denn, kurz gesagt, kaufmännisch war sein Wandel;

Und weiter nachgehn mög’ er seinem Handel!

Sobald der Kaufmann länger nicht am Platze,

Kam, blank rasirt mit wohlgeschorner Glatze,

Am nächsten Sonntag Dan Johann sofort

Nach St. Denis; und froh war Jeder dort

– Der kleinste Page selbst nicht ausgenommen –,

Daß Dan Johann sobald zurückgekommen.

Und kurz und gut, bald war es ausgemacht,

Für hundert Franken solle diese Nacht

Das schöne Weib er in die Arme schließen

Und sein Vergnügen frei mit ihr genießen.

Und rasch war ausgeführt, was sie beschlossen.

Sie trieben lustig ihre Liebespossen

Die ganze Nacht; und als der Morgen tagte,

Ging Dan Johann, und dem Gesinde sagte

Er Lebewohl; doch machte sich im Haus,

Noch in der Stadt kein Mensch ein Arg daraus.

– Zum Kloster reiten, und wohin er will,

Mag Dan Johann. Ich schweige von ihm still. –

Der Kaufmann kehrte, als die Messe aus,

Nach St. Denis zurück und ließ im Haus

Es sich bei seinem Weibe wohl behagen,

Erzählte, wie den Preis man aufgeschlagen,

Und daß für zwanzigtausend Thaler Geld

Er einen Wechsel auf sich ausgestellt,

Für dessen Zahlung er nunmehr zu sorgen.

Das Geld von seinen Freunden zu erborgen,

Hin nach Paris der Kaufmann daher ritt

Und nahm die Barschaft, die er hatte, mit.

Jedoch, da Freundschaft ihm nicht Ruhe ließ,

Beschloß er, angekommen in Paris,

Zu allernächst zum Vetter Hans zu gehn,

Nicht um auf seine Fordrung zu bestehn,

Nein, um zu wissen, wie er sich befände,

Und ihm zu sagen, wie sein Handel stände,

Wie Freunde thun, wenn sie zusammen kommen.

Von Dan Johann höchst gastfrei aufgenommen,

Begann er zu erzählen breit und lang:

Er habe seine Waaren – Gott sei Dank! –

Zu mäß’gem Preis erkauft und auch geborgen;

Doch müsse Wechsel er sich noch besorgen,

Wie’s bestens ginge. Wenn ihm das geglückt,

Sei er vergnügt und länger nicht gedrückt.

Und Dan Johann sprach: »Nun, erfreulich ist,

Daß Du gesund zurückgekommen bist.

Auf Seligkeit! Ich gäbe Dir sogleich

Gern zwanzigtausend Thaler, wär’ ich reich!

Du liehst Dein Gold so freundlich mir und gern

Noch kurz zuvor. Ich sage bei dem Herrn

Und bei St. Jakob Dir den besten Dank!

Doch heimgezahlt hab’ ich in Deine Bank

Dasselbe Gold an unsre gnäd’ge Frau;

Dein Weib wird sich der Sache noch genau

Durch Zeichen, die ich nennen kann, entsinnen.

Doch, mit Erlaubniß, jetzt muß ich von hinnen.

Mein Abt hat vor, gleich in die Stadt zu gehn,

Und ich muß mit. Leb’ wohl, auf Wiedersehn!

Mein lieber Vetter; meinen Gruß entrichte

An Deine Gattin, meine süße Nichte!«

Der kluge, höchst geriebne Handelsmann

Erborgte Geld sich in Paris sodann,

Und kaufte dafür Wechsel oder Schein

Sich gegen bar von Lombardhändlern ein.

Und wie ein Specht so froh und wohlgemuth

Zog er nach Haus. – Die Sachen standen gut;

Denn durch die Reise macht’ er immerhin

Wohl netto tausend Franken an Gewinn.

Sein Weib lief ihm entgegen bis zum Thor,

Wie es ihr Brauch gewesen stets zuvor,

Und fröhlich waren in der Nacht die zwei;

Denn er war reich und gänzlich schuldenfrei.

Und noch einmal umschlang beim Tageslicht

Der Kaufmann sie und küßt’ ihr Angesicht,

Und trieb von Neuem hart mit ihr sein Spiel.

»Nicht mehr!« – rief sie – »Bei Gott, es wird zu viel!«

Und regte doch ihn stets von Frischem an.

Zuletzt jedoch ergriff das Wort ihr Mann

Und sprach: »Bei Gott! ich bin auf Dich nicht gut

Zu sprechen, Frau, wie leid es mir auch thut.

Weißt Du warum? Mir scheint, bei Gott, Du bist

Allein die Schuld, daß beinah’ einen Zwist

Ich heute mit dem Vetter angefangen.

Warum verschwiegst Du, eh’ ich fortgegangen,

Daß er mit seinem Zeichen hundert Franken

Dir heimgezahlt? Er schien mir’s schlecht zu danken,

Daß ich zu ihm von meinen Wechseln sprach

– So mußt’ ich glauben seiner Miene nach. –

Denn ihn daran zu mahnen, lag, beim Herrn

Und Himmelskönig, mir die Absicht fern.

Ich bitte, Frau, dergleichen thu’ nicht mehr!

Erzähle mir bei jeder Wiederkehr,

Ob Dir ein Schuldner etwa unterdessen

Sein Geld bezahlt hat. – Solltest Du’s vergessen,

Könnt’ ich es leicht zum zweitenmal verlangen.«

Sein Weib jedoch blieb ohne Furcht und Bangen.

»Mein Zeugniß stell’ ich« – sagte sie verwegen –

»Dem falschen Mönche, Dan Johann, entgegen.

Von seinem Zeichen hab’ ich nichts gesehn.

Er gab mir Geld, das muß ich zugestehn.

– Daß ihm ins Maul das Donnerwetter schlage! –

Denn, weiß es Gott, ich dachte sonder Frage,

Er gäbe, seiner Freundschaft eingedenk,

Das Geld mir ehrenhalber zum Geschenk

Aus Vetterschaft, sowie für belle chère,

Die er bei uns genossen hat zeither.

Jetzt seh’ ich, daß auf Irrthum es beruht;

Von mir die Antwort ist drum kurz und gut:

Saumsel’ge Schuldner hast Du mehr, als mich,

Doch abgetragen wird es sicherlich

Von Tag zu Tag, und sollt’ es unterbleiben,

Kannst Deiner Frau Du es aufs Kerbholz schreiben.

Ich zahl’ es Dir, sobald ich irgend kann;

Denn Alles wandt’ ich, meiner Treu’, schon an

Zu Schmuck und Putz. – Ich habe Nichts verschwendet,

Nein, Alles Dir zu Ehren nur verwendet.

Um Gottes willen, sei nicht böse weiter,

Nein, küsse mich und sei vergnügt und heiter,

Laß meinen frischen Leib Dir wohlbehagen,

Denn nur im Bette denk’ ich’s abzutragen.

Mein lieber, theurer Gatte, ach, vergieb,

Komm’ dreh’ Dich um und hab’ mich wieder lieb!«

Der Kaufmann sah, ihm hülfe hier kein Schelten,

Und ließ als Thorheit eine Sache gelten,

Die für ihn unabänderlich erschien.

»Nun, liebe Frau,« – sprach er – »Dir sei verziehn!

Doch hüte Dich, willst Du nicht kläglich enden,

Mein Hab und Gut in Zukunft zu verschwenden.«

Und damit schließ’ ich. – Aber Gott erfreue

Uns mit Geschichten lebenslang aufs Neue.

Der Prolog der Priorin.

Vers 6045–6062.

»Sehr gut erzählt, beim Corpus Domini!

Mein edler Schiffer!« – unser Gastwirth schrie. –

»Lang’ lasse Gott die Küsten Dich befahren,

Doch eine Last von tausend schlimmen Jahren

Geb’ er dem Mönch! – Aha, Gefährten, seht,

Welch eine Nase diesem Mann gedreht

Und seiner Frau. Beim heil’gen Augustin!

In Euer Haus sucht keinen Mönch zu ziehn!

Genug davon! Jetzt gilt es, auszuwählen,

Wen trifft zunächst die Reihe zum Erzählen

Aus unserm Kreise.« Und mit diesem Wort

Fuhr er so höflich wie ein Fräulein fort:

»Frau Priorin, wollt Ihr die Gunst uns schenken;

Und sollte mein Ersuchen Euch nicht kränken,

So möcht’ ich wähnen, es sei angezeigt,

Daß Ihr erzählt, falls Ihr dazu geneigt.

Wollt Ihr Euch, edle Frau, dazu bequemen?«

»Recht gern!« – sprach sie und ließ sich so vernehmen.

Die Erzählung der Priorin.

Vers 6063–6300.

Herr, unser Herr! wie weithin ist gedrungen

Durch alle Lande auf dem Erdenrund

Dein heil’ger Name. Dir wird Lob gesungen

Von würd’gen Männern, und es macht der Mund

Der jungen Kinder Deine Güte kund.

Zu Deinem Preise lallt oft unbewußt

Bereits der Säugling an der Mutter Brust.

Drum sei, soweit mir Kraft dazu gegeben,

Erzählt die folgende Begebenheit,

Dich und die weiße Lilie zu erheben,

Die Dich gebar als unbefleckte Maid;

Mehrt auch mein Lob nicht ihre Herrlichkeit;

Denn sie ist nach dem Heiland, ihrem Sohne,

Der Güte Wurzel und der Ehre Krone.

O, Maid und Mutter! Flammenbusch des Moses,

Im Feuer lodernd, und doch unversehrt!

Du, der die Gottheit durch ein makelloses

Empfängniß ihren heil’gen Geist gewährt,

Wodurch des Vaters Weisheit Dir bescheert,

Als er erleuchtet Deine reine Seele;

O, helfe mir, daß ich Dein Lob erzähle!

O, Jungfrau, keiner Zunge kann gelingen,

Je Deine Demuth, Tugend und Geduld

Und Herrlichkeit und Güte zu besingen.

Oft kommst Du uns zuvor in Deiner Huld,

Noch eh’ wir bitten, und Du führst aus Schuld

Durch Dein Gebet mit gütereichem Sinn

Zu Deinem lieben, theuren Sohn uns hin.

O, Segensherrin, wie soll mir es glücken,

Zu preisen Deine Würde, wie Gewalt?

Ich bin zu schwach. Mich wird die Last erdrücken,

Denn wie ein Kind, das kaum zwölf Monat’ alt,

Anstatt zu sprechen, unverständlich lallt,

So geht es mir. Drum, bitt’ ich Dich, gewähre

Mir Deinen Beistand, daß mein Lied Dich ehre!

In einer Stadt von christlichen Asiaten

Lag einst ein Judenviertel, welches zwar

Geduldet ward vom Landespotentaten

Aus Wucherei und Goldgier; doch es war

Verhaßt bei Gott und seiner Christen Schaar.

Man konnte durch die Gasse gehn und reiten,

Die offen war und frei nach beiden Seiten.

Zu einer kleinen Schule, die dort in der

Erwähnten Gasse ganz am Ende stand,

Ward Jahr für Jahr ein Haufen junger Kinder

Aus christlichem Geblüte hingesandt,

Und lernte dort, was Sitte war im Land,

Und das besagt: zu singen und zu lesen,

Wie stets bei Kindern dieses Brauch gewesen.

Zu dieser Schule pflegte, unter andern,

Auch einer Wittwe siebenjähr’ger Sohn

Als kleiner Zögling Tag für Tag zu wandern;

Und vor dem Bild der Jungfrau beugte schon,

Wenn er vorüber ging, mit Devotion

Der Knabe, wie man ihm gelehrt, das Knie,

Und betete: Gegrüßt sei’st Du, Marie.

Die theure Mutter Christi zu verehren,

War von der Wittwe schon ihm eingeprägt;

Und er vergaß es nicht, da frühe Lehren

Ein schlichtes Kind leicht zu behalten pflegt.

Jedoch in mir erwacht hierbei und regt

Sich an St. Niklaus die Erinnerung,

Der unsern Herrn gepriesen schon so jung.

Mit seinem ABCbuch saß fortwährend

Der Knabe in der Schule auf der Bank,

Wenn man, den Kindern die Response lehrend,

Daselbst das »Alma redemptoris« sang.

Er lauschte, näher rückend, oft und lang

Auf Worte, wie auf Noten eifrig hin,

Und rasch blieb ihm der erste Vers im Sinn.

Doch die Bedeutung war ihm noch verschlossen.

Er war zu jung, Lateinisch zu verstehn.

Drum bat er einstmals einen Schulgenossen

Auf seinen Knieen unter heißem Flehn,

Als Uebersetzer ihm zur Hand zu gehn,

Das Lied in seiner Mundart ihm zu lehren,

Und den Gebrauch desselben zu erklären.

Der Bursche, welcher älter war an Jahren

Als jener, sprach: »Die heil’ge Jungfrau preist

Man durch dies Lied, soweit ich es erfahren.

Es ist ein Gruß, doch ein Gebet zumeist,

Das hülfreich sich in Todesnoth erweist,

Doch viel versteh’ ich nicht von diesen Dingen.

Ich lerne nicht Grammatik, sondern Singen.«

»Wie?« – frug die kleine Unschuld – »ist zum Preise

Der Mutter Christi dieses Lied gemacht?

Dann will ich Alles thun, mir Wort und Weise

Noch einzuprägen vor der heil’gen Nacht.

Ja, würde täglich dreimal eine Tracht

Von Prügeln mir beim ABC gegeben,

Ich lern’ es doch, die Jungfrau zu erheben.«

Nun lehrte auf dem Schulweg alle Tage

Ihm sein Gefährte heimlich den Gesang,

Bis er die Worte nebst der Töne Lage

Wohl aufgefaßt, und es mit reinem Klang

Aus voller Kehle täglich zweimal sang,

Heim von der Schule und zur Schule hin;

Denn Christi Mutter lag ihm stets im Sinn.

Wie schon erwähnt ist, mußte nothgedrungen

Zur Schule durch das jüdische Quartier

Der Kleine gehn, und heiter ward gesungen

Von ihm auch »Alma redemptoris« hier.

Sein ganzes Herz war so erfüllt von ihr,

Daß unwillkürlich er den Weg entlang

Zur Mutter Christi betete und sang.

Der Urfeind, Satan, aber, diese Schlange,

Die sich zum Wespennest der Juden Herz

Erkoren hat, schwoll auf und sprach: »Wie lange,

Ebräer, duldet ihr den frechen Scherz,

Daß durch die Gassen auf- und niederwärts

Zu Eurem Hohn ein Bube solche Lieder

Zu singen wagt, die dem Gesetz zuwider?«

Den unschuldsvollen Knaben zu ermorden,

Verschwor die Judenschaft sich alsobald.

Es lag ein Mörder, der gedungen worden,

In einer Gasse schon im Hinterhalt.

Der Knabe kam. – Ihn packte mit Gewalt

Und schnitt ihm seine Gurgel ab der Bube

Und warf den Leichnam in die nächste Grube.

Ja, in ein Senkloch, wo des Koths entluden

Sich die Ebräer, warf er ihn hinein.

O, Ihr Herodesse! Verfluchte Juden!

Was wird die Strafe solches Frevels sein?

Mord will heraus – und hier zumal wird schrein

Das Blut zum Himmel, damit Gottes Ehre

Sich auf der Welt verbreite und vermehre.

O, Märtyrer, der unbefleckt geblieben,

Du gehst nunmehr dem weißen Lamm voran,

Und stimmst – wie dies in Patmos aufgeschrieben

Vom großen Evangelisten St. Johann –

Ein neues Lied im Himmel vor ihm an

Mit jenen Auserwählten im Verband,

Die nimmerdar ein fleischlich Weib erkannt.

Die ganze Nacht durchwachte, harrend immer,

Die arme Wittwe. – Doch ihr Kind blieb fort.

Und bleich vor Furcht ging sie beim Tagesschimmer

Zur Schule hin und suchte rings im Ort

Nach ihrem Kleinen emsig hier und dort.

Und so erfuhr sie schließlich durch ihr Spähen,

Daß man im Ghetto ihn zuletzt gesehen.

Im Mutterbusen Leid und Jammer hegend,

Und halb von Sinnen, ging die Wittwe dann

Auf Suche aus, jedweden Ort erwägend,

Wo sie den Kleinen etwa finden kann,

Und rief die güt’ge Mutter Christi an;

Bis sie, entschlossen, nach ihm das verfluchte

Quartier der Juden noch zuletzt durchsuchte.

Dort hub sie an, zu fragen und zu flehen,

Und ging in jedes Judenhaus hinein

Und bat zu sagen, ob sie nicht gesehen

Ihr kleines Kind? Und Alle sprachen: Nein!

Doch gab ihr Jesus den Gedanken ein,

Nach ihm zu rufen nahe bei der Stelle,

Wohin geschleppt ihn jener Mordgeselle.

O, großer Gott! zum Herold Deines Ruhmes

Machst Du der Unschuld Mund. Sieh’! Deine Macht

Wird von dem Glanzrubin des Märtyrthumes,

Der Keuschheit reinstem Demant und Smaragd,

Selbst mit zerschnittner Kehle kund gemacht!

Denn laut und deutlich durch den Platz erklingt,

Wie er sein »Alma redemptoris« singt.

Da dieses alle christlichen Genossen,

Die durch die Straßen gingen, Wunder nahm,

So sandten sie sofort zu dem Profoßen

Der augenblicklich auch zur Stelle kam,

Und Christ, den Himmelskönig lobesam,

Mit seiner allverehrten Mutter pries,

Und dann die Juden schleunigst binden ließ.

Emporgehoben unter Jammerklagen

Ward dann das Kind, das stets mit lautem Ton

Sein Lied noch sang, und zur Abtei getragen

In großer, feierlicher Procession.

Ohnmächtig lag die Mutter bei dem Sohn,

Und schwer nur schien den Leuten zu gelingen,

Die neue Rahel von ihm fortzubringen.

Durch einen Tod, der voller Schimpf und Qualen,

Ließ der Profoß sofort die Judenbrut,

Die darum wußte, für den Mord bezahlen.

Zu dulden war nicht solcher Frevelmuth;

Und den trifft Uebel, welcher Uebel thut.

Nach dem Gesetze ward von wilden Pferden

Das Pack geschleift, um dann gehängt zu werden.

Die kleine Unschuld lag auf seiner Bahre,

Und, ehe man die Leiche beigesetzt,

Sang mit den Klosterbrüdern vorm Altare

Der Abt die Messe; und dann ward zuletzt

Das Kind mit heil’gem Wasser noch benetzt.

Doch kaum fiel der geweihte Tropfen nieder,

Sang es: »O, Alma redemptoris« wieder.

Der Abt, ein Mönch von heilig frommen Sitten,

Wie Mönche oft – wenn auch nicht immer – sind,

Beschwor den Kleinen und hub an zu bitten:

»Bei dem dreiein’gen Gotte, sag’ geschwind,

Was ist Dir widerfahren, liebes Kind?

Durchschnitten ist Dir – seh’ ich – Deine Kehle.

Was ist der Grund, daß Du noch singst? Erzähle!«

»Bis auf den Wirbel ist mein Hals durchschnitten!«

– Sprach dieses Kind – »Längst hätt’ ich nach der Art

Der Menschenkinder schon den Tod erlitten,

Doch Christus – wie die Schrift Euch offenbart –

Will, daß sein Ruhm für ew’ge Zeit gewahrt,

Und läßt mich, mein Gebet ihr darzubringen,

Der theuren Mutter, noch: ›O, Alma‹ singen.«

»Die Mutter Gottes, diese Gnadenquelle,

Hab’ ich verehrt aufs Höchste lebenslang.

Sie war bei meiner Todesnoth zur Stelle,

Und hieß mich singen ihren Lobgesang.

Doch schien es mir, als ich im Tode rang,

Und ich das Lied sang, wie ich immer pflegte,

Daß sie ein Korn mir auf die Zunge legte.«

»Und deßhalb muß ich singen, immer singen

Zur Ehre dieser segensreichen Magd,

Bis von der Zunge dieses Korn zu bringen

Gelungen ist.« »Ich will« – hat sie gesagt –

»Dich nicht verlassen, sei nur unverzagt,

Mein lieber Sohn. Ich hole Dich bestimmt,

Wenn man das Korn von Deiner Zunge nimmt.«

Gleich nahm der heil’ge Mönch, der Abt vom Kloster,

Das Korn von seiner Zunge, und sodann

Schied von der Erde friedlich und getrost er.

Starr sah’, indem wie Regen niederrann

Sein Thränenstrom, der Abt dies Wunder an,

Und fiel in Ohnmacht, und wie angekettet

Lag er bewußtlos auf der Flur gebettet.

Und weinend sanken alle Mönche nieder

Und priesen Christi Mutter im Verein.

Und hinterher erhoben sie sich wieder,

Und in ein Grab von weißem Marmelstein

Versenkten sie des Märtyrers Gebein.

Dort ruht er sanft. Und möge Gott uns segnen,

Daß ihm im Himmel einst auch wir begegnen!

O, junger Hugh von Lincoln, uns entrissen

Nicht minder durch verfluchter Juden Hand

In jüngstvergangnen Zeiten, wie wir wissen,

Sei für uns Sünder voller Unbestand

Dein Fürgebet zum gnäd’gen Gott gesandt,

In uns die Gnadengabe zu vermehren,

Maria, seine Mutter, zu verehren!

Prolog zu Sire Thopas.

Vers 6301–6321.

Ernst zum Verwundern blickte vor sich nieder

Beim Schlusse des Mirakels Jedermann.

Zuerst gewann der Wirth die Fassung wieder,

Sah mich zunächst mit seinen Blicken an

Und frug darauf: »Was bist Du für ein Mann?

Du scheinst mir einem Hasen auf der Spur,

Denn auf die Erde starrst Du immer nur.

Komm’, rücke näher und erheitre Dich!

Ich bitte, Herr’n, räumt ihm ein Plätzchen ein:

Von Leibesumfang ist er ganz wie ich.

Dies muß für jedes Weibsbild, schmuck und fein,

Die wahre Puppe zum Umarmen sein!

Doch Koboldhaftes liegt in seinen Zügen,

Mit keinem Scherze macht er uns Vergnügen.

Gieb uns sofort, wie es die Andern thaten,

Zum besten einen lustigen Bericht!«

»Mein Wirth!« – sprach ich – »da bist Du schlecht berathen,

Denn andere Geschichten weiß ich nicht,

Wie höchstens nur ein altes Reimgedicht.«

»Schon gut!« – sprach er – »ich seh’ an Deinen Mienen,

Du wirst uns schon mit guter Kost bedienen.«

Der Keim von Sire Thopas.

Vers 6322–6526.

Ihr Herren, hört mich gütigst an,

Denn melden will ich verament,

Euch einen lust’gen Spaß.

Von einem braven Rittersmann,

Der manchen Streit und Strauß gewann,

Mit Namen Sire Thopas.

Zur Welt kam er am fernen Strand

Jenseits des Meers im Flanderland,

Die Stadt hieß Popering.

Es war ein Mann von freiem Stand

Sein Vater, der aus Gottes Hand

Die Herrschaft dort empfing.

Sire Thopas war ein tapfrer Wicht,

Wie Franzbrod weiß war sein Gesicht,

Und scharlachroth sein Blut;

Und rosig war – ich lüge nicht –

Sein Mund, und war die Nase schlicht,

So stand sie ihm doch gut.

Von Corduan sein Schuhwerk war

Und saffrangelb hing Bart und Haar

Bis auf den Gurt ihm kraus.

Aus Brügge kam sein Hosenpaar,

Für seinen Goldrock gab er baar

Viel Genueser aus.

Das wilde Reh zu jagen, strich

Und auf der Falkenbeize schlich

Er überall umher.

Als Bogenschütz ihm keiner glich,

Bei jedem Ringkampf, sicherlich,

Gewann den Hammel er.

Nach ihm hat manche schöne Maid,

Anstatt zu schlafen, voller Leid

Aus par amour gegirrt.

Doch glich an süßer Züchtigkeit

Dem Blümchen er, das mit der Zeit

Zur Hagebutte wird.

Erzählen will ich Euch nunmehr,

Wie eines Tags von ungefähr

Sire Thopas stieg zu Pferd.

Auf seinem grauen Hengst ritt er,

Und trug in seiner Hand den Speer

Und in dem Gurt das Schwert.

So ritt durch einen Wald er fort

– Viel wilde Thiere gab es dort,

Ja, Hasen gab’s und Reh’ –.

Er ritt nach Ost, er ritt nach Nord

Und ihm passirte – auf mein Wort! –

Beinah’ ein großes Weh.

Dort wuchsen Kräuter groß und klein

Bei Baldrian und Nägelein

Und Süßholz und Muskat,

Von dem die Nuß ins Bier hinein

– Mag’s frisch, mag’s abgestanden sein –

Ich Euch zu werfen rath’.

Dort tönte lust’ger Vögel Sang;

Es pfiff den ganzen Tag entlang

Der Specht, sowie der Fink,

Die Melodie der Drossel klang,

Von Ast zu Ast sich gurrend schwang

Die Turteltaube flink.

Und als der Drossel Lied erscholl

Ward windelweich und liebevoll

Es Sire Thopas zu Muth.

Er stachelte sein Roß wie toll,

Und von den Flanken rieselnd quoll

Dem Gaule Schweiß und Blut.

Doch müde ward Sire Thopas bald,

Zu reiten durch den grünen Wald

Mit solchem Ungestüm.

An einem Platze macht’ er Halt,

Und als sein Roß er angeschnallt,

Gab er auch Futter ihm.

»Heil’ge Maria, ach, erbarm’

Dich meiner in dem Liebesharm,

Der mich bedrängt so schwer.

Ich träumte Nachts, ich hielte warm

Die Elfenkönigin im Arm,

Und daß mein Schatz sie wär’.«

»Es ist die Elfenkönigin,

Der ich in Lieb’ ergeben bin.

Auf keine andre lenk’ ich hin – die Wahl,

Kein Weib im Land begehrt mein Sinn,

Nur nach der Elfenkönigin

Durchreit’ ich Berg und Thal.«

Dann stieg zu Roß und jagte keck

Er wieder durch Morast und Dreck,

Und suchte zu erspähn

Der Elfenkönigin Versteck,

Und kam nach langem Ritt zum Zweck

Und fand das Land der Fee’n.

Dort war er nun nach Nord und Süd

Mit seinem Mund zu spähn bemüht

In manchen wilden Wald.

Doch Keinen fand er; denn es mied

So Weib wie Kind in dem Gebiet

Aus Furcht den Aufenthalt.

Bis er vor einem Riesen stand;

Es nannte sich Sire Olephant,

Der Wütherich und sprach:

»Räumst Du mein Reich nicht, junger Fant,

Ist’s um Dein Roß – bei Termagant! –

Durch einen Keulenschlag – geschehn;

Bei Harfenspiel und Symphonie

Und Pfeifenklängen wohnt allhie

Die Königin der Feen.«

Sire Thopas sprach: »Mit Schild und Wehr

Komm’ morgen früh ich wieder her

Zum Kampfe, meiner Treu’!

Und, par ma foi, ich hoffe sehr

Du fühlst durch meinen lust’gen Speer

Noch bitterliche Reu. – Den Bauch

Durchstech’ ich Dir, wenn mir’s gelingt,

Und mache Dich, eh’ Abend sinkt,

Zu meinem Sclaven auch.«

Sire Thopas eilte rasch zurück.

Ihm schleuderte manch Felsenstück

Der Riese hinterdrein.

Sire Thopas aber mied mit Glück,

Durch Gottes Huld und sein Geschick,

Vorsichtig jeden Stein.

Doch hört, Ihr Herr’n, denn mehr ergötzt

Als Nachtigallensang Euch jetzt

Ganz sicherlich mein Reim.

Sire Thopas spornt den Gaul und hetzt

Durch Berg und Thal, bis er zuletzt

Gelangte wieder heim.

Die Sänger rief er dann herbei,

Damit er aufgeheitert sei,

Bekämpf’ er im Turnier

Den Riesen mit den Köpfen drei

Aus par amour und nebenbei

Der Dame zum Pläsir.

»Ihr Sänger,« – sprach er – »seid bereit

Und singt, zu kürzen mir die Zeit,

Umgürt’ ich mich mit Stahl,

Romanzen voller Liebesleid

Und Lieder voller Herrlichkeit

Von Papst und Cardinal.«

Die Becher trugen sie hinein,

Sie holten Meth, sie brachten Wein

Und Backwerk allerhand,

Wie Honigbrod voll Spezerei’n,

Süßholz und Kümmel und sehr fein

Gestoßnen Zuckerkand.

Er kleidete mit eigner Hand

Den Leib in feinste Leinewand,

Und Arm und Beine steckt’

In Wamms und Hosen er und band

Den Harnisch über sein Gewand,

Damit die Brust gedeckt.

Ein Panzerhemd er drüber that,

Das aus dem stärksten Eisendraht

Von Judenhand gemacht.

Zum Schmucke zog er fernerweit

Ein lilienweißes Wappenkleid

Darüber für die Schlacht.

Im Schilde, das wie Gold so roth,

Mit Augen von Karfunkeln droht

Ein Eberkopf voll Groll.

Er schwur bei Bier, er schwur bei Brod,

Den Riesen schlüg’ er sicher todt,

Es komme, was da woll’!

Es war gemacht sein Stiefelpaar

Aus cuirbouly, aus Messing war

Sein Helm; aus Elfenbein

Des Schwertes Scheide, und fürwahr

Sein Fischbein-Sattel glänzte klar,

Wie Mond und Sonnenschein.

Sein Speer, ganz haarscharf zugespitzt

Und aus Cypressenholz geschnitzt,

Statt Frieden Krieg versprach.

Sein Roß war apfelgrau und ging

Auf seinem Wege sanft und flink

Im Trabe wohlgemach – einher.

Und hiermit schließt mein erster Sang,

Doch dünkt’s Euch Herren nicht zu lang,

Erzähl’ ich Euch noch mehr.

Par charité! nicht länger plauscht,

Ihr Herr’n und Damen, hört und lauscht

Jetzt sämmtlich auf mein Wort.

Von Schlachten und von Rittersinn,

Von Galant’rie und Weiberminn’

Bericht’ ich Euch sofort.

Sprecht von Romanzen Ihr, gewiß

Erwähnt Ihr Hornchild, Ipotis,

Sire Libeux, Pleindamour,

Sire Guy, Sire Bevis; doch die Blum’,

Der Stolz, die Zier vom Ritterthum,

Das ist Sire Thopas nur.

Er schwang sich auf sein gutes Roß

Und eilends er von hinnen schoß

Wie Funken aus dem Schlot.

Sein Helmschmuck war und Wappenknauf

Ein Thurm mit einer Lilie drauf.

– Beschütz’ ihn Gott in Noth! –

Da er auf Abenteuer aus

Gezogen war, schlief statt im Haus

Er stets im Mantel nur.

Sein Kopfpfühl war sein Helm. Sein Roß

Stand ihm zur Seite und genoß

Die Kräuter auf der Flur.

Er selbst trank Wasser aus dem Quell,

Wie einst der Ritter Percivell,

Der Ehrenmann, gethan;

Bis eines Tags – – –

Der Prolog zu Melibeus.

Vers 6527–6574.

»Bei Gottes Würdigkeit, nichts mehr davon!«

– Rief unser Wirth – »Ich bin so müde schon

Von Deiner dummen, faden Leierei,

Daß meine Ohren – stehe Gott mir bei! –

Mir schmerzen von den abgeschmackten Sachen.

Der Teufel möge solche Reime machen!

Das nenn’ ich Knüppelreime!« – sprach der Wirth.

»Wie so?« – frug ich – »Soll ich denn unbeirrt

Nicht forterzählen, wie ein andrer Mann,

Da dies der beste Reim ist, den ich kann?«

»Bei Gott!« – rief er – »ganz grad’ heraus erklärt,

Nicht einen Deut ist Dein Gereime werth,

Nur Zeitverschwendung ist’s! Mit einem Wort,

Mein lieber Herr, Du reimst nicht weiter fort.

Laß sehen, weißt Du keine Thatgeschichten,

Und sei es auch in Prosa, zu berichten,

Die lehrhaft sind und lustig obendrein?«

»Recht gern,« – sprach ich – »bei Christi süßer Pein!

In Prosa weiß ich etwas vorzutragen,

Und, wie ich denke, soll es Euch behagen,

Sitzt Ihr nicht allzustrenge zu Gerichte.

Es ist die sittsamste Moralgeschichte;

Doch daß sie auch von Andern wird erzählt

In andrer Weise, sei Euch nicht verhehlt.

Ihr wißt gar wohl, daß jeder Evang’list

Vom Leiden unsres Herren, Jesu Christ,

Nicht immer grade wie der andre schreibt,

Wenn ihre Meinung auch dieselbe bleibt.

Sie stimmen in den Sachen überein,

Mag auch ihr Ausdruck oft verschieden sein.

Der schildert kurz, und jener schildert lang

Uns Christi jammervollen Kreuzesgang,

Doch gleichen Sinns, wie man nicht zweifeln kann,

Sind Mark, Matthäus, Lukas und Johann.

Und daher bitt’ ich insgesammt Euch, Herr’n,

Zeih’t mich nicht gleich der Willkür, insofern

Mehr Sprüche, als Ihr früherhin vernommen,

In der Erzählung Euch zu Ohren kommen.

Dem kleinen Schriftstück dadurch mehr Effect

Zu geben, hab’ ich einzig nur bezweckt.

Hört Ihr mich drum mit andern Worten reden

Wie Ihr gewohnt seid, bitt’ ich dennoch Jeden

Mich darum nicht zu tadeln; denn ich weiche

Vom Sinn nicht ab. Die Meinung ist die gleiche

Mit jener kleinen Abhandlung geblieben,

Nach welcher ich dies lust’ge Stück geschrieben.

Drum, darf ich bitten, was ich sage, hört,

Und auserzählen laßt mich ungestört!«

Die Erzählung von Melibeus.

Ein junger Mann, mit Namen Melibeus, reich und mächtig, zeugte mit seinem Weibe, Prudentia mit Namen, eine Tochter, die man Sophia hieß. Und eines Tages geschah, daß er zum Zeitvertreib aufs Feld hinaus, sich zu ergötzen, ging. Er ließ sein Weib und Töchterlein im Hause, von dem die Thüren fest verschlossen waren. Vier seiner alten Feinde hatten es erspäht und setzten Leitern an des Hauses Wände und durch die Fenster stiegen sie hinein; und dann verwundeten sie seine Tochter an fünf verschiedenen Stellen tödtlich mit fünf Wunden, das heißt an ihren Füßen, ihren Händen, an ihren Ohren und an Mund und Nase, und ließen sie für todt und gingen fort. Als Melibeus, wieder heimgekehrt, das Unglück sah, zerriß er wie ein Toller seine Kleider und hub zu weinen und zu schreien an.

Prudentia, sein Weib, so weit sie’s wagen durfte, ersuchte ihn mit Weinen aufzuhören; indeß er schrie und weinte immer mehr.

Dies edle Weib, Prudentia, besann sich auf eine Stelle im Ovid, aus jenem Buche, genannt der Liebe Heilung, worin er sagt: der ist ein Narr, der eine Mutter stört, wenn sie des Kindes Tod beweint, eh’ sie sich eine Zeit lang satt geweint; und dann soll sich der Mann befleißen, sie zu trösten mit Liebesworten, und er soll sie bitten, mit Weinen aufzuhören.

Aus welchem Grunde dieses edle Weib, Prudentia, geduldig es ertrug, daß eine Weile lang ihr Gatte schrie und weinte. Und als sie ihre Zeit gekommen sah, sprach sie zu ihm in dieser Art:

»Ach, Herr! Du machst Dich selber einem Narren gleich! Gewiß es ziemt nicht einem weisen Manne, daß er sich solche große Sorgen mache.« Denn deine Tochter wird durch Gottes Gnade genesen und es überstehn. Und ständ’ es so, daß sie gestorben wäre, darfst Du Dich doch nicht selbst um ihren Tod zerstören. Denn so spricht Seneka: »Ein weiser Mann soll nicht zu sehr den Tod von seinen Kindern bejammern, sondern mit Geduld ihn tragen, so gut wie er den eigenen Tod erwarten muß.«

Doch Melibeus Antwort gab und sprach: »Wer könnte wohl das Weinen unterlassen, wenn also groß der Grund zum Weinen ist. Selbst Jesus Christus, unser Herr, beweinte den Tod von seinem Freunde Lazarus.«

Prudentia entgegnete: »Fürwahr, ich weiß, gemäßigt Weinen ist uns nicht verboten. Darf man betrübt mit den Betrübten sein, so ist gewiß zu weinen auch erlaubt. Apostel Paulus an die Römer schreibt: Der Mensch soll sich erfreuen mit den Frohen und weinen mit dem Volke, welches weint. Doch wenn gemäßigt Weinen auch erlaubt ist, ist ungemäßigt Weinen doch verboten. Im Weinen ist das rechte Maß zu halten, gemäß dem Spruch, den Seneka uns lehrt. Ist todt Dein Freund – so spricht er – so laß Dein Auge nicht zu feucht von Thränen, noch zu trocken sein; und wenn die Thränen Dir ins Auge kommen, so lasse sie nicht fallen. Und wenn ein Freund von Dir geschieden ist, so suche einen andern Freund zu finden. Denn das ist größre Weisheit, als zu weinen um Deinen Freund, den Du verloren hast. Was kann Dir dieses nützen? Und deßhalb – läßt Du Dich durch Weisheit leiten – treib Deine Sorgen aus dem Herzen fort! Erinnere Dich, was Jesus Sirach sagt: Ein fröhlich Herze macht das Alter lustig, doch ein betrübter Muth vertrocknet das Gebein. Auch sagt er: Sorgen in dem Herzen haben schon um sein Leben manchen Mann gebracht. Salamo sagt: Wie Motten in der Schafe Pelz die Kleider schädigen und der kleine Wurm den Baum, so schädigt Sorge auch das Herz des Menschen. Deswegen sollen wir den Tod von unsern Kindern so wie von unserm zeitlichen Besitz mit Langmuth tragen. Erinnere des geduldigen Hiob Dich. Als seine Kinder er verloren hatte und sein irdisch Gut, sprach dennoch er: Von meinem Herren ward es mir gegeben, von meinem Herren ward es mir genommen; wie es mein Herr gewollt hat, so ist’s recht; gesegnet sei der Name meines Herrn!«

Auf alle diese Sachen seinem Weibe, Prudentia, Antwort gebend, Melibeus sprach: »All’ Deine Worte sind so wahr wie nützlich.« Doch ist mein Herz also von Sorgen schwer, daß ich nicht weiß, was ich beginnen soll.

»Laß rufen« – sprach Prudentia – »alle treuen Freunde und wer von der Verwandtschaft weise ist. Erzähle ihnen Deinen Fall und horche, was sie im Rathe Dir zu sagen haben, und richte Dich nach ihrem Urtheilsspruch. Salamo sagt: Befolgst Du weisen Rath in allen Dingen, wirst Du es niemals zu bereuen haben.«

Auf diesen Rathschlag seines Weibes, Prudentia, ließ Melibeus eine Versammlung dann zusammenrufen von unterschiedenen Leuten, wie Doktoren und Aerzten, alt und jungem Volke und einigen von seinen alten Feinden, die – ausgesöhnt mit ihm, so wie es schien – in seiner Gunst und Gnade wieder standen. Und gleicher Weise kamen auch zu ihm etwelche seiner Nachbaren, die ihn aus Furcht mehr als aus Liebe ehrten, wie solches oft geschieht. Auch manche zungenfert’ge Schmeichler kamen und im Gesetz gelehrte, kluge Advokaten.

Und als dies ganze Volk vorsammelt war, erklärte Melibeus ihm in sorgenvoller Weise seinen Fall. Und nach der Art von seinem Vortrag schien es, als ob er grimmen Zorn im Herzen trage, bereit an seinen Feinden sich zu rächen, und wünsche, daß sofort der Krieg beginne.

Nichtsdestoweniger erbat er sich doch ihren Rathschlag in Betreff der Sache.

Ein Wundarzt trat hervor und mit Erlaubniß und Genehmigung von denen, welche weise waren, sprach er zu Melibeus, was Ihr hören sollt: »Herr! –« sagte er – »uns Aerzten steht es an, daß wir an Jedermann das Beste thun, was wir vermögen, wenn herbeigerufen, und daß wir den Patienten keinen Schaden thun. Daher geschieht es manches Mal, daß, wenn zwei Leute gegenseitig sich verwundet haben, derselbe Wundarzt beide heilt; und so ist’s nicht mit unsrer Kunst verträglich, Partei zu nehmen und den Streit zu nähren. Doch sicherlich, was Eurer Tochter Heilung anbetrifft, so werden wir bei Tage wie bei Nacht stets unsere Pflicht so aufmerksam erfüllen, daß sie mit Gottes Hilfe bald gesund und heil soll werden, wenn es möglich ist.«

Ganz in derselben Weise sprachen die Doktoren, indeß gebrauchten sie der Worte mehr und sagten: wie durch Gegensätze man die Krankheit banne, so sei auch Streit in gleicher Art zu heilen.

Die Neider unter seinen Nachbarsleuten und seine heuchlerischen Freunde, die sich zum Scheine mit ihm ausgesöhnt und seine Schmeichler heuchelten zu weinen und übertrieben und vergrößerten in reichem Maße seine Sache, indem sie Melibeus höchlichst priesen ob seiner Kraft und seiner Mächtigkeit, ob seiner Freunde und ob seiner Güter, und seiner Gegner Macht verachteten; und ohne Rückhalt riethen sie ihm an, er müsse sich an seinen Feinden rächen und gegen sie sofort den Krieg beginnen.

Ein weiser Advokat erhob sich dann und mit Erlaubniß und Genehmigung von denen, so weise waren, sprach er: »Die Angelegenheit, die uns an diesem Ort vereint, ist ein gar schwer gewichtig Ding und sehr bedeutungsvoll, sowohl der Schlechtigkeit und Bosheit wegen, so ausgeübt, als auch nicht minder aus dem Grunde, daß großer Nachtheil noch aus dieser Sache in spätrer Zeit vielleicht entstehen kann, sowie auch ferner in Betracht des Reichthums und der Macht der gegenseitigen Parteien. Aus welchem Grund es höchst gefährlich wäre, in dieser Sache sich zu irren. Daher ist dieses unsre Meinung, Melibeus: Wir rathen Dir vor allen Dingen, daß Du gleich Dein Bestes thust, um Deine eigene Person zu sichern in solcher Weise, daß es an Kundschaft nicht noch Wache Dir ermangle, um Deinen Leib zu schützen. Und darnach rathen wir Dir an, Dein Haus hinreichend mit Besatzung zu versehen, die wohl im Stande ist, nicht minder Deinen Leib als Deine Wohnung zu vertheidigen. Indessen, ob es nützlich, Krieg zu führen und unverzüglich Rache auszuüben, darüber können in so kurzer Zeit wir nicht entscheiden. Deßwegen bitten wir um Frist und Muße zur Ueberlegung, ehe wir entscheiden. Denn sagt nicht das gemeine Sprüchwort schon: Wer rasch entscheidet, wird es rasch bereuen. Auch spricht das Volk: Der ist ein weiser Richter, der rasch die Sache aufzufassen weiß, indessen Zeit sich zur Entscheidung gönnt. Zwar geb’ ich zu, daß alles Zögern höchst verdrießlich ist, jedoch wenn man sein Urtheil geben soll, so ist es nicht zu tadeln; dann ist es angemessen und durchaus vernünftig. Das zeigte Jesus Christus, unser Herr, durch eignes Beispiel. Denn als man das auf Ehebruch ertappte Weib ihm gegenüber stellte, war er sich zweifelsohne wohl bewußt, was er als Antwort ihnen sagen wollte; jedoch nicht plötzlich wollte er sie geben und darum schrieb er, Untersuchung pflegend, zuvor erst zweimal in den Sand. Aus diesen Gründen bitten wir um Ueberlegung und darauf werden wir mit Gottes Gnade Dir etwas rathen, was Dir nützen soll.«

Das junge Volk erhob sich wie ein Mann, und der Versammlung Mehrzahl spottete des alten weisen Mannes und fing zu lärmen an und sagte: »Recht so, wie man das Eisen schmieden muß, so lang es warm, recht so soll auch ein Mann die Unbill rächen, so lang’ dieselbe frisch und neu noch ist«; und dann mit lauter Stimme schrieen sie: »Krieg, Krieg!« Auf sprang indessen einer jener alten Weisen, und gab mit seiner Hand ein Zeichen, daß alles schweige und Gehör ihm schenke. »Ihr Herren!« – sprach er – »es giebt manchen Mann, der schreit: Krieg! Krieg! und weiß dabei nur wenig, was Krieg besagen will. Anfangs hat Krieg so großen, weiten Eingang, daß Jeder, dem gelüstet Krieg zu führen, ein solches leicht vermag: indessen wie das Ende sich gestalten werde, ist sicherlich so leicht zu wissen nicht: Fürwahr, wenn erst ein Krieg begonnen hat, so findet manches ungeborne Kind der Mutter durch eben diesen Krieg den Tod schon früh, oder lebt sorgenvoll und stirbt im Elend; und darum sollte, eh’ ein Krieg begonnen wird, man große Ueberlegung pflegen und großen Rath zuvor darüber halten.« Und als der alte Mann dann seine Rede durch weitre Gründe zu verstärken dachte, begann mit einemmal beinah’ das ganze Volk sich zu erheben, und, seine Rede unterbrechend, hießen sie ihm oftmals seine Worte abzukürzen. Wer zu dem Volk von einer Sache spricht, die es nicht hören mag, deß Predigt wird dem Volke stets mißfallen. Denn Jesus Sirach sagt: Musik im Trauerhause sei ein lustig Ding. Das heißt: Man redet vor dem Volk vergeblich, wenn ihm die Rede nicht gefällt, wie man vergeblich singt, vor dem, der weint.

Und als daher der alte Mann ersah, daß ihm die Hörer fehlen würden, so setzte er sich schamvoll nieder. Denn es sagt Salamo: Wenn man Dir nicht Gehör schenkt, spare Deine Worte. »Ich sehe wohl,« – sprach dieser weise Mann – »daß das gemeine Sprüchwort Recht behält: es fehlt an gutem Rathe, wenn man ihn bedarf.«

Doch waren in des Melibeus Rath auch manche Leute, die ihm heimlich in das Ohr zu dieser oder jener Sache riethen, dagegen öffentlich ihm grade widerriethen. Als Melibeus nun gehört, daß sich der größte Theil von seiner Rathsversammlung in Uebereinstimmung befand, daß er den Krieg beginnen solle, trat er sofort auch ihrer Meinung bei und billigte den Urtheilsspruch vollkommen.

Als aber Frau Prudentia ersah, daß ihres Mannes Absicht dahin ziele, an seinen Feinden sich zu rächen und Krieg mit ihnen anzufangen, sprach diese Worte sie zu ihm: »Mein Herr!« – so sagte sie – »ich bitte Dich, so herzlich als ich kann und darf, verfahre nicht mit übergroßer Hast und gieb um jeden Preis auch mir Gehör. Petrus Alphonsus sagt: Wenn man Dir Gutes oder Uebles thut, so eile nicht, es wieder zu vergelten, denn Du wirst Deine Freunde dann behalten und Deine Feinde haben länger Furcht. Das Sprüchwort sagt: Am besten eilt, wer klug zu warten weiß, und Böses erntet, wer das Böse sä’t.«

Worauf indessen Melibeus seinem Weibe Prudentia zur Antwort gab: »Ich denke nicht, nach Deinem Rathe mich zu richten aus mancher Ursache und manchen Gründen. Denn Jeder würde sicher von mir denken, ich sei ein Thor, wenn ich um Deines Rathes willen an Sachen ändern wollte, die von so vielen weisen Leuten beschlossen sind und ausgemacht. Zum zweiten aber sage ich, ein jedes Weib ist böse und nicht ein einziges gutes unter allen. Denn unter tausend Männern – so sagt Salamo – hab’ ich wohl einen guten Mann gefunden; doch unter allen Weibern fand ich nie ein gutes. – Wenn ich von Deinem Rath mich leiten ließe, so würd’ es sicher außerdem noch scheinen, als ob ich Dir die Herrschaft über mir gegeben, und Gott verhüte, daß dem also sei. Denn Jesus Sirach sagt: Sobald ein Weib die Oberherrschaft hat, so handelt ihrem Manne sie zuwider; und Salamo sagt: Gieb nie in Deinem Leben Deinem Weibe, noch Deinen Kindern oder Freunden Macht über Dich, denn besser ist es, daß Deine Kinder Dich um ihre Nothdurft bitten, als daß Du selbst in Deiner Kinder Hand Dich giebst.

Und wollte ich in dieser Sache jetzt nach Deinem Rathe auch zu Werke gehn, so müßte es so lang’ verschwiegen bleiben, bis daß die Zeit kommt, wo man’s wissen darf. Und dieses dürfte kaum geschehen können, wenn ich von Dir berathen worden bin. [Geschrieben steht: Geschwätzigkeit der Weiber verbirgt nur das, was ihnen unbekannt ist. Auch sagt der Philosoph noch fernerweit: In bösem Rath sind alle Weiber den Männern weit voraus; und das sind meine Gründe, weßhalb ich Deinen Rathschlag nicht begehre.«]

Als Frau Prudentia voller Freundlichkeit mit großer Sanftmuth alles angehört, was ihr zu sagen ihrem Mann beliebte, erbat sie sich von ihm Erlaubniß, auch ihrerseits zu reden und sprach in dieser Art: »Mein Herr, – begann sie – was den ersten Eurer Gründe anbelangt, so ist darauf die Antwort leicht gegeben. Denn ich behaupte, es sei keine Thorheit, Entschlüsse dann zu ändern, wenn sich die Sache selbst geändert hat, oder in einem andern Lichte uns erscheinet, denn zuvor. Und ich behaupte ferner noch, daß, hättet Ihr gelobt selbst und geschworen, ein Unternehmen auszuführen, jedoch gerechter Ursach’ willen solches unterlaßt, aus diesem Grunde dennoch Niemand sagen soll, daß Ihr eidbrüchig und ein Lügner seid. Das Buch besagt: Ein weiser Mann verliere nichts dabei, wenn er den Sinn zu etwas Besserm kehre. Auch in dem Fall, daß Euer Unternehmen von einer großen Menge Volks berathen und beschlossen worden ist, befolgt ihr dennoch, was Euch vorgeschlagen, nur insofern Euch solches selbst behagt; denn jeder Sache Nützlichkeit und Wahrheit wird besser von den Wenigen erkannt, die weise und vernünftig sind, als von der Menge, in der Jeder schreit und Beifall dem klascht, welches ihm gefällt. Fürwahr, solch große Menge ist nicht ehrlich. Und nun zu Eurem zweiten Grunde: Wenn Ihr besagt, daß alle Weiber böse seien, dann – mit Verlaub – müßt Ihr auch folgerichtig sie allesammt verachten; dagegen sagt das Buch: Wer Jedermann verachtet, der mißfällt auch Jedem. Und Seneka besagt: Wer nach der Weisheit streben will, muß Niemanden mißachten, dagegen frohen Sinns und ohne Stolz und Anmaßung die Kenntniß lehren, die ihm eigen ist, und sich nicht schämen, Dinge, die er nicht versteht, von Leuten zu erfahren und zu lernen, welche geringer als er selber sind. Und, Herr, daß manches gute Weib gelebt hat, ist leichtlich zu erweisen. Denn, Herr, gewißlich, der Herr Jesus Christ würde sich nimmermehr erniedrigt haben, daß durch ein Weibsbild er geboren würde, wenn alle Weiber schlecht gewesen wären. Und hinterher, der großen Güte wegen, die in Weibern ist, erschien auch der Herr Jesus Christ, als er vom Tod zum Leben auferstanden war, noch einem Weibe lieber als den Jüngern. Und wenn auch Salamo besagt, er hätte nie ein gutes Weib gefunden, so folgt daraus noch keineswegs, daß alle Weiber böse sind. Denn ob er nie ein gutes Weib gefunden, so fand, gewißlich, mancher andre Mann doch manches Weib voll Güte und voll Treue. Wahrscheinlich aber war die Meinung Salamos, daß er kein Weib von ganz vollkommner Güte gefunden habe; das heißt: kein Wesen ist vollkommen gut, als Gott allein, wie er es selbst im Evangelium lehrt. Denn da ist keine Creatur so gut, daß ihr an der Vollkommenheit von ihrem Gott und Schöpfer nicht etwas mangele. – Der dritte Eurer Gründe ist dann dieser: Ihr sagt, wenn Ihr durch meinen Rath Euch leiten ließet, so würde es erscheinen, als ob Ihr mir die Herrschaft und Regierung gegeben hättet über Euere Person. Herr! mit Verlaub, dem ist nicht so. Denn dürfte man sich nur von solchen rathen lassen, die über unsere Person die Herrschaft und Regierung haben, so würde man nicht oft berathen sein. Denn wer sich Rath zu einem Zweck erbittet, der hat noch stets die freie Wahl, ob er dem Rathe folgen will, ob nicht. Und nun zum vierten Grunde, wo Ihr sagt, daß die Geschwätzigkeit der Weiber nur das, was ihnen unbekannt, verberge. Herr! Diese Worte gelten nur für Weiber, die Schwätzerinnen und verdorben sind, von denen man gesagt hat, daß drei Dinge den Mann aus seinem eigenen Hause jagen, nämlich: Rauch, Regen und die bösen Weiber. Von solchen Weibern sagt auch Salamo: es sei weit besser, daß man in der Wüste, als mit der Zänkerin beisammen wohne. Und mit Erlaubniß, Herr! das bin ich nicht. Denn oft genug habt Ihr erprobt, wie viel Geduld und Schweigsamkeit ich habe und wie ich solche Sachen hüten kann und wahren, die man geheimnißvoll verbergen soll. Und nunmehr, was den fünften Grund betrifft. Obschon Ihr sagt, daß in bösem Rathe die Weiber überlegen sind den Männern, so hält – weiß Gott! – hier dieser Grund nicht Stich. Denn so müßt Ihr’s verstehen. Ihr fragt um Rath, was Böses zu begehen, und wenn Ihr Böses unternehmen wollt, und Euer Weib hält Euch von dieser bösen Absicht dann zurück, so ist, gewißlich, Euer Weib dafür weit mehr zu loben als zu tadeln. So müßt den Philosophen ihr verstehn, wenn er besagt, daß bei bösem Rathe das Weib dem Manne überlegen sei. Wenn Ihr ein jedes Weib und ihre Gründe tadelt, so kann ich Euch durch manches Beispiel zeigen, daß viele gute Weiber lebten und noch leben, und daß ihr Rath heilsam und nützlich ist. Seht Jakob an, der durch Rebekkas, seiner Mutter, Rath den Segen seines Vaters sich gewann, sowie die Herrschaft über seine Brüder. Durch ihren guten Rath befreite Judith die Stadt Bethulia, in der sie wohnte, aus Holofernes’ Hand, der sie belagerte und ganz zerstören wollte. Abigail befreite Nabal, ihren Mann, vom König David, der ihn tödten wollte, und sie beruhigte den Zorn des Königs durch ihren Witz und ihren guten Rath. Esther hob Gottes Volk durch guten Rathschlag hoch empor unter der Herrschaft Königs Ahasverus. Auch noch von manchen andern guten Weibern, die gleichfalls reich an gutem Rath gewesen, vermöchte man zu lesen und zu sprechen. Und fernerweit: als unser Herr den Adam, den Vater unsres Stamms erschaffen hatte, sprach er in dieser Weise: Es ist nicht gut, ein Mann allein zu sein; laßt uns darum ihm eine Hülfe machen, welche ihm selber gleich ist. Hieraus könnt Ihr ersehen, wären Weiber nicht gut und nicht ihr Rathschlag werth und nützlich, so würde Gott sie nicht erschaffen haben und hätte sie anstatt Gehülfinnen des Mannes vielmehr Verderberinnen des Manns genannt. Und einst sprach in zwei Versen ein Gelehrter: Was ist besser als Gold? – Jasper! – Was ist besser als Jasper? – Weisheit! Was ist besser als Weisheit? – Das Weib! – Und was ist besser als ein gutes Weib? – Nichts!! – Und Herr! aus manchen andern Gründen könnt Ihr sehn, daß viele Weiber gut sind und daß ihr Rath heilsam und nützlich ist. Und deßhalb, Herr! wollt meinem Rath Ihr traun, so will ich Eure Tochter heil und gesund zurück Euch geben, und werde manches andre für Euch thun, von dem Ihr große Ehre haben sollt.«

Als Melibeus diese Worte seines Weibes Prudentia vernommen hatte, sprach er: »Ich sehe wohl, das Wort von Salamo hat Recht: Ein freundlich Wort zu guter Zeit ist Honigseim; denn es ist für die Seele Süßigkeit und giebt Gesundheit unserm Leibe. Und, Weib! um Deiner süßen Worte willen und weil ich Deine große Weisheit und Deine große Treue erprobt und wohl bewährt gefunden habe, will ich in allen Dingen mich nach Deinem Rathe richten.«

»Nein, Herr!« – sprach Frau Prudentia – »da Ihr mir versprecht, daß Ihr durch meinen Rath Euch leiten lassen wollt, will ich Euch lehren, wie bei der Wahl von Räthen zu verfahren sei. Zunächst erfleht vom lieben Gott, in Demuth bei allen Werken Euer Rath zu sein; und daß er seinen Rath und Trost Euch gebe, betragt Euch so, wie es Tobias seinem Sohne lehrte: Gott, Deinen Herren, segne jeder Zeit und bitte ihn, Dich auf dem graden Wege zu erhalten, und all Dein Denken sei in ihm auf immerdar. Auch St. Jakobus sagt: Ermangelt Jemand unter Euch der Weisheit, so bittet Gott darum.

Und hinterher müßt Rath Ihr bei Euch selber pflegen und die eigenen Gedanken wohl erwägen in solchen Dingen, die Euch nützlich scheinen. Das aber müßt Ihr aus dem Herzen bannen, was gutem Rath zuwider ist, und das heißt: Zorn und Neid und Uebereilung. Zum ersten: wer bei sich selbst zu Rathe gehen will, muß ohne Zorn sein; das ist sicherlich aus manchen Gründen nöthig. Der erste ist: daß, wer von Zorn erfüllt und rachbegierig ist, der glaubt, er könne thun, was unthunlich ist. Und zweitens: wenn man zornig ist und böse, kann man nicht überlegen, und wo die Ueberlegung fehlt, fehlt Rath. Zum dritten aber sagt uns Seneka, daß der, so zornig ist und wuthentbrannt, nur tadelnswerthe Dinge spricht und Andere durch schlimme Worte zu Zorn und Aerger reizt. Und Herr! Begehrlichkeit treibt gleichfalls aus dem Herzen fort. Denn der Apostel spricht, daß die Begehrlichkeit die Wurzel alles Uebels sei. Und glaubt mir wohl: ein habsücht’ger Mann denkt an nichts weiter, als an das Ziel von seiner Habsucht zu gelangen, und sicher wird er nie befriedigt sein; denn mit dem Ueberfluß an Reichthum wächst auch die Begehrlichkeit noch mehr. Und Herr! auch Uebereilung müßt Ihr aus dem Herzen bannen, denn für das Beste könnt Ihr sicherlich nicht den Gedanken halten, der plötzlich sich in Eurem Herzen regt; vielmehr müßt Ihr ihn oftmals überlegen, denn, wie ich vorhin schon gesagt, das Sprüchwort heißt: Wer rasch entscheidet, der wird rasch bereun. Herr! Ihr seid nicht immer in der gleichen Stimmung, denn, sicherlich, Ihr haltet eine Sache oft für gut, die später Euch als Gegentheil erscheint. Und habt Ihr bei Euch selber Rath gepflogen und dann durch weise Ueberlegung ausgefunden, was Euch das Beste scheint, dann rath’ ich Euch, es ganz geheim zu halten. Vertrauet Keinem Eure Absicht an, wenn Ihr nicht sicher glaubt, daß Ihr durch Mittheilung die eigne Lage sehr verbessern könnt. Denn Jesus Sirach sagt: Nicht Deinem Freunde noch Deinem Feinde offenbare Dein Geheimniß je und Deine Thorheit; denn man hört Dir wohl zu und merket drauf und stimmt Dir bei in Deiner Gegenwart, doch spottet Deiner, wenn Du nicht zugegen. Ein anderer Gelehrter sagt: daß Du nur selten Jemand finden wirst, der Dein Geheimniß zu bewahren weiß. Das Buch besagt: Hältst Du in Deinem Herzen den Entschluß, bewahrst Du ihn in einem sichern Kerker; doch theilst Du ihn an Jemand anders mit, so wird er Dich in seiner Schlinge haben. Und deßhalb thut Ihr besser, Euren Rath im Herzen zu verbergen, als Jemanden zu bitten, was Ihr ihm vertraut, geheim zu halten und davon zu schweigen. Denn so sagt Seneka: Kannst Du nicht Deinen eignen Rath bei Dir behalten, wie wagst Du, einen Andern dann zu bitten, daß Dein Geheimniß er bei sich bewahre? Indessen, wenn Du wirklich glaubst, daß Deine Lage durch die Mittheilung an Andere sich günstiger gestalten kann, so solltest Du in dieser Weise reden: Zunächst darfst Du Dir nicht den Anschein geben, ob Krieg, ob Frieden, oder dies und das Dir lieber sei; nein, Deine Absicht darfst Du ihm nicht zeigen. Vertraue darauf, daß im Allgemeinen die Rathgeber auch Schmeichler sind und namentlich die Räthe großer Herren; denn sie sind stets weit mehr bemüht, in wohlgefäll’gen Worten das zu sagen, was ihrer Herren Neigung meist entspricht, als Worte, welche treu und nützlich sind, und daher sagt man, daß der reiche Mann, der sich nicht selbst zu rathen weiß, nur selten einen guten Rathschlag höre. Sodann zieh’ in Betracht, wer Deine Freunde, Deine Feinde sind. Und was die Freunde anbetrifft, bedenke, wer wohl der treuste und klügste sei, der älteste und best’ im Rath erprobte. Bei ihnen suche Rath, wie es der Fall erheischt. Ich sage: Zu den treuen Freunden geht zunächst, Euch Rath zu holen. Denn so spricht Salamo: Wie sich das Herz des Wohlgeruches freut, so lieblich ist des treuen Freundes Rath der Seele. Und gleichfalls sagt er: Nichts ist dem treuen Freunde zu vergleichen; denn sicher Gold und Silber haben nicht den Werth, wie eines treuen Freundes guter Wille. Und ferner sagt er: Ein treuer Freund ist eine feste Burg, und wer ihn findet, findet einen Schatz. Dann müßt Ihr darauf sehen, daß Eure treuen Freunde klug und schweigsam sind; denn – sagt das Buch – frag’ immer die um Rath, so weise sind. Und aus demselben Grunde sollt Ihr zu Eurem Rathe Freunde rufen, die alt genug und viel erfahren sind und wohl erprobt, um guten Rath zu geben. Denn – wie das Buch sagt – ist alle Weisheit bei den alten Leuten und alle Klugheit in der langen Zeit. Und Tullius sagt: daß große Dinge nicht durch Kraft verrichtet werden, noch durch Geschicklichkeit des Leibes, sondern durch guten Rath, durch Ansehn der Personen und durch Wissen, drei Dinge, welche nicht das Alter schwächt, die sich vielmehr von Tag zu Tag vermehren und verstärken. Dann soll Euch dies zur allgemeinen Richtschnur dienen: Zuerst müßt Ihr in Euren Rath nur wenige vertraute Freunde rufen. Denn Salamo sagt: Viele Freunde nenne Dein; doch unter tausenden erwähle einen zum Berather. Denn wenn Du anfangs Deine Absicht auch nur wenigen vertraust, kannst Du doch später, wenn es nöthig ist, sie manchen andern Leuten noch erzählen. Doch siehe stets darauf, daß Deine Rathgeber die drei Bedingungen erfüllen, welche ich erwähnt, das heißt, daß weise sie und treu und voll Erfahrung sind. Und handle nicht in jeder Noth nach einem Rath allein; denn oftmals ist es nützlich, daß Viele Dich berathen. Denn Salamo besagt: Wo viele Rathgeber sind, da ist das Heil. Nun, da ich Euch gesagt, bei welchen Leuten Ihr Euch Rath erholen sollt, will ich Euch lehren, welcher Rath zu meiden ist. Zunächst müßt Ihr den Rath der Thoren fliehn. Denn Salamo sagt: Nimm keinen Rath von einem Thoren an; denn er räth Dir nach eigener Lust und Neigung. Das Buch besagt: des Thoren Eigenschaft ist diese: Er denkt von einem Jeden alles Schlimme und alles Gute denkt er von sich selbst. So sollst Du auch den Rath von Schmeichlern fliehen, die sich mehr Mühe nehmen, Dein eignes Ich zu preisen, als Dir der Dinge Wahrheit kund zu thun. Deßhalb sagt Tullius: die größte Pest der Freundschaft ist die Schmeichelei. Und daher thut es Noth, daß mehr als irgend wen Du Schmeichler meidest. Das Buch sagt: flüchte und fliehe eher vor süßen Worten schmeichlerischer Preiser, als vor den bittern Worten Deines Freundes, der Dir die Wahrheit sagt. Salamo spricht: Des Schmeichlers Worte sind der Unschuld Schlinge; und ferner noch: Wer seinem Freunde süße Schmeichelworte giebt, der legt ein Fangnetz ihm vor seine Füße. Und daher sagt auch Tullius: Leih’ nicht Dein Ohr den Leuten, die Dir schmeicheln und laß durch ihre Worte Dich nicht leiten. Und Cato sagt: Sieh Dich wohl vor und fliehe süße und gefäll’ge Redensarten und meide Deiner alten Feinde Rath, selbst wenn Du Dich mit ihnen ausgesöhnt hast. Das Buch sagt: Niemand kehrt mit Sicherheit in seines alten Feindes Gunst zurück. Und Aesop spricht: Vertraue nicht dem Manne, mit welchem Du in Krieg und Feindschaft lebtest, und sage ihm von Deiner Absicht nichts. Und Seneka sagt uns den Grund, warum: Dort, wo ein großes Feuer lang gewährt – so spricht er – bleibt etwas Dunst und Hitze stets zurück. Und deßhalb räth uns Salamo: Auf Deinen alten Feind vertraue nimmermehr. Denn sicherlich, selbst dann, wenn sich Dein alter Feind mit Dir versöhnt hat und Dir die demuthsvollste Miene zeigt und selbst vor Dir sein Haupt beugt, trau’ ihm nimmer.

Denn solchen Schein der Demuth nimmt er zu seinem eignen Nutzen an, nicht weil er Liebe für Dich hegt; nur weil er glaubt durch solchen Schein der Haltung den Sieg davon zu tragen, welchen über Dich in Kampf und Streit er nicht gewinnen konnte. Petrus Alphonsus sagt: Schließ keinen Bund mit Deinen alten Feinden, denn Freundlichkeit, die ihnen Du erweist, verkehren sie in Bosheit. Und ebenso mußt Du den Rath von Denen meiden, die Deine Diener sind und große Ehrerbietung Dir erzeigen, die sie vielleicht aus Furcht nur heucheln, nicht aus Liebe hegen. Und daher spricht ein Philosoph: Niemand ist dem vollkommen treu ergeben, vor dem er sich in hohem Maße fürchtet. Und Tullius sagt: Kein Kaiser hat so große Macht, daß er bestehen kann, wenn nicht sein Volk mehr Liebe zu ihm hat, als Furcht. Den Rath Betrunkener mußt Du gleichfalls meiden, denn kein Geheimniß können sie verbergen. Salamo sagt: Kein Schweigen ist, wo Trunkenheit regiert. Auch hege stets Verdacht bei Rathschlägen von solchen Leuten, die im Geheimen Dir zu einer Sache und öffentlich zum Gegentheile rathen. Denn Cassiodorus sagt: Die Art, den Feind zu hindern, sei höchst schlau, wenn heimlich man das Gegentheil bezwecke von dem, was öffentlich zu thun man scheine. Du sollst ingleichen Argwohn hegen bei den Rathschlägen der Bösen, denn ihr Rath ist immer voll Betrug. Und David sagt: Gesegnet ist der Mann, der nicht dem Rathe böser Leute folgt. Auch sollst den Rath von jungem Volk Du meiden, dieweil – wie Salamo uns sagt – ihr Rath nicht reif ist. Nun Herr! da ich gezeigt Euch habe, von welchen Leuten Ihr nicht Rath sollt holen und welcher Leute Rath Ihr fliehen sollt, will ich Euch weisen, wie Ihr nach der Lehre des Tullius Euren Rath prüfen sollt. Was Eure Rathgeber betrifft, so müßt Ihr manche Dinge in Erwägung ziehn. Zu allererst mußt Du erwägen, daß in der Sache, so Du vorhast und für welche Du Rath Dir holen willst, Du nur die reine Wahrheit sprichst und aufrechthältst. Das heißt: erzähle treulich Deine Angelegenheit, denn, wer falsch redet, kann in einer Sache, in der er lügt, nicht wohl berathen werden.

Und darnach mußt die Dinge Du bedenken, die Deinem Zweck entsprechen; wie weit Du handeln willst nach Deiner Freunde Rath und inwiefern es der Vernunft gemäß und Deine Macht dazu genügend ist und ob der größte und der bess’re Theil von Deinen Räthen Dir in der Sache beistimmt oder nicht? Und dann bedenke, was dem Rathe folgt, ob etwa Friede, Krieg, Haß, Gnade, Nutzen oder Schaden und was noch sonst, und unter allen wähle Dir das Beste und laß das Andere ruhn. Sodann bedenke, worin der Grund der Sache liegt, die Du berathen hast, und welche Frucht daraus entspringen mag und reifen? Und auch den Grund der Sache mußt Du untersuchen. Und hast Du den Beschluß geprüft, wie ich gesagt, und welche Seite besser und mehr nützlich sei, und hast durch kluge, alte Leute es erprobt, dann bedenke, ob Du es auch vollführen und zum guten Ende bringen kannst? Denn gute Gründe giebt es, daß man nichts unternehmen soll, was man nicht auch vollbringen kann, wie sich’s gebührt; nein, keine Last darf Jemand auf sich nehmen, die er zu tragen nicht im Stande ist. Denn – wie das Sprüchwort sagt: Wer allzuviel umfaßt, bringt wenig heim. Und Cato sagt: Versuche nur zu thun, wozu die Kraft Du hast, damit die Last nicht allsosehr Dich drücke, daß Du die Sache liegen lassen mußt, die Du begonnen. Und bist Du zweifelhaft, ob Du ein Ding vollführen kannst, ob nicht, dann laß es lieber, als es anzufangen. Und Petrus Alfonso sagt: Hast Du die Macht, ein Ding zu thun, das Dich gereuen kann, so ist es besser: nein als ja. Das heißt: weit besser ist, die Zunge still zu halten, als zu sprechen. Denn, wenn Dich bess’re Gründe überzeugen, daß ein Werk, das Du die Macht zu thun hast, Dich späterhin gereuen werde, so laß es liegen und beginn’ es nicht. Recht haben die, so Jedermann verbieten, eine Sache zu unternehmen, wenn es in Zweifel steht, ob ausführbar dieselbe ist, ob nicht. Und wenn Ihr Euren Rath alsdann geprüft habt, wie ich vorhin gezeigt, und wohl wißt, daß Ihr im Stande seid, das Unternehmen durchzuführen, dann nehmt es ernstlich, bis das Ziel erreicht ist.

Nun ist es Grund und Zeit, daß ich Euch zeige, wann und weßwegen Ihr ohne Tadel Euern Entschluß verändern könnt. Gewiß, man darf die Absicht und den Rath dann ändern, sobald der Grund dazu hinwegfällt und sobald ein neuer Grund dafür sich weist. Denn das Gesetz besagt: Für Sachen, welche neu entstanden sind, geziemt sich neuer Rath. Es sagt auch Seneka: Wenn Dein Entschluß zu Deiner Feinde Ohren kommt, so ändre Deinen Rath. Und Deine Ansicht magst Du dann auch wechseln, wenn Du gefunden hast, daß – sei’s durch Irrthum oder andre Gründe – Schaden und Harm Dir daraus kommen kann. Auch in dem Falle, daß Dein Beschluß und seine Gründe nicht ehrenwerther Art sind, ändre Deinen Rath; denn die Gesetze sagen: Im Fall ein Vorhaben ehrlos, desgleichen unausführbar sei, daß es gehalten und vollbracht nicht könne werden, so habe es auch keinen Werth. Und dies nimm für die allgemeine Regel: Jeder Beschluß, der also stark befestigt worden ist, daß er aus keinem Grund – was auch geschehen möge; – sich wieder ändern läßt, solch ein Beschluß – ich sage es – ist schlecht.«

Als dieser Melibeus nun die Lehren von seiner Frau Prudentia vernommen hatte, gab er in dieser Weise Antwort: »Frau!« – hub er an – »Ihr habt mich bis zu dieser Zeit im Allgemeinen wohl und passend unterrichtet, wie bei der Wahl und bei dem Ausschluß meiner Räthe ich handeln soll; nun aber möcht’ ich gern, daß Ihr geneigtet, mir insbesondre noch zu sagen, was Euch bedünkt und was Ihr von den Räthen haltet, die wir in unsrer gegenwärt’gen Lage wählten«. »Mein Herr!« – sprach sie – »ich bitte Euch in aller Demuth, daß Ihr nicht hartnäckig Euch gegen meine Gründe auflehnt und Euch nicht mißvergnügt im Herzen macht, selbst wenn ich sagte, was Euch nicht gefiele. Gott weiß, nach meiner Absicht sprech’ ich nur zu Eurem Besten, zu Eurer Ehre, Eurem Nutzen und daher hoffe ich auch fest, daß Eure Güte in Geduld es aufzunehmen wissen werde. Und darin traut mir« – sprach sie – »daß in diesem Falle Ihr den gepflognen Rath nicht eigentlich Berathung nennen könnt, vielmehr nur einen Vorschlag und Beschluß der Thorheit, wobei in mancher Weise Ihr geirrt habt. Zunächst und fernerhin habt Ihr geirrt in der Berufung Eurer Rathgeber, da Ihr zuerst nur wenig Leute zu Euerer Berathung hättet wählen sollen, um späterhin, im Fall es nöthig war, an mehrere die Sache kund zu thun. Doch sicher ist, Ihr rieft in Euren Rath urplötzlich eine Menge Volks, sehr lästig und verdrießlich anzuhören. Daher habt Ihr geirrt; denn da, wo Ihr zu Eurem Rath nur Eure treuen, alten, weisen Freunde laden solltet, habt Ihr fremdes, junges Volk herbeigerufen, nebst falschen Schmeichlern, ausgesöhnten Feinden und Leuten, die Euch Ehrfurcht zollen, doch nicht lieben. Und auch darin habt Ihr geirrt, daß Ihr zu der Berathung Zorn, Neid und Uebereilung mitgebracht habt, die alle dreie einem nützlichen und ehrenhaften Rath zuwiderlaufen, und weder Ihr noch Eure Räthe habt, wie Ihr solltet, diese dreie ausgerottet und zerstört. Und dann habt Ihr geirrt, daß Euren Räthen Ihr Eure Lust und Neigung offenbart habt, gleich Krieg zu führen und Euch gleich zu rächen; und da aus Euren Worten sie erspäht, auf welche Seite ihr Euch neigtet, so riethen sie Euch mehr nach Eurer Neigung und weniger zu Eurem Nutzen. Ihr irrtet auch, dieweil es scheint, daß Euch genügend war, Euch nur von diesen Räthen Rath zu holen und das mit wenig Vorsicht; wogegen in so ernster, schwerer Frage wohl mehre Rathgeber und weitre Ueberlegung nöthig waren, um Euer Unternehmen auszuführen.

Ihr irrtet auch, denn Ihr habt Euren Rath nicht in der Art und in der vorbesagten Weise geprüft, wie es für diese Sache sich gebührt. Ihr irrtet auch, dieweil Ihr zwischen Euren Räthen nicht einen Unterschied gemacht habt; das heißt: nicht zwischen treuen Freunden und Euren Räthen voll Verstellungskunst. Ihr kanntet nicht die Meinung Eurer treuen Freunde, welche alt und weise sind; in einen Mischmasch warft Ihr alle Worte und schenktet Euer Herz der Mehrzahl und der stärkeren Partei, und stimmtet dieser zu. Und sintemal Ihr wißt, daß man beständig eine größre Zahl von Thoren als von Weisen findet und daß man bei Berathungen mit Schaaren und mit Massen Volks weit eher auf die Zahl als auf die Weisheit der Personen achtet, so seht Ihr wohl, daß stets die Thoren in solchen Rathsversammlungen die Oberhand behalten.«

Und Melibeus antwortete und sprach: »Wohl will ich eingestehn, daß ich geirrt. Doch da Du vorhin mir erzählt hast, daß der nicht tadelnswerth ist, welcher den Entschluß aus guten Gründen in gewissen Fällen wechselt, bin ich bereit, nach Deinem Rathe auch meinen abzuändern. Das Sprüchwort sagt: zu sündigen ist menschlich; doch lange in der Sünde zu beharren, ist wohl ein Werk des Teufels sicherlich.«

Auf dieses Wort entgegnete die Frau Prudentia und sprach: »Nun untersuchet Euren Rath genau, und laßt uns sehn, wer am vernünftigsten gesprochen hat und wer die beste Lehre uns gegeben? Und insoweit die Prüfung nöthig ist, laßt mit den Aerzten und Doctoren uns beginnen, die in der Angelegenheit zuerst gesprochen haben. Ich sage, daß die Aerzte und Doctoren Euch so verständig Rath ertheilten, wie sie sollten; auch haben sie in ihrer Rede weislich gesagt, daß es zu ihrem Berufe gehöre, Jedem Ehre und Nutzen zu schaffen, Niemanden zu kränken und nach ihrer Kunst sich zu befleißen, diejenigen zu heilen, so in ihrer Obhut stehn. Und, Herr, wie sie Dir weislich und verständig Antwort gaben, so sage ich nicht minder, daß sie auch hoch und königlich für ihre edle Rede belohnt werden sollten, auch aus dem Grunde, daß sie um so mehr Aufmerksamkeit und Thätigkeit zur Heilung Eurer lieben Tochter aufwenden mögen. Denn obschon sie Eure Freunde sind, solltet Ihr es nicht leiden, daß sie Euch umsonst dienen, sondern Ihr solltet sie um so mehr belohnen und ihnen Eure Großmuth zeigen. Und was die Meinung anbelangt, die von den Aerzten in diesem Fall geäußert wurde; nämlich, daß man in Krankheitsfällen den Gegensatz durch Gegensatz verbannt, so möchte ich gern wissen, wie Ihr den Text versteht und was Ihr von ihm denkt.«

»Nun,« – sagte Melibeus – »ich habe es in dieser Art verstanden, daß grade wie sie mir ein Leides zugefügt, ich sie mit einem andern treffen sollte, und wie sie sich an mir gerächt und mich beleidigt haben, so soll auch ich mich rächen und ihnen Schaden thun; dann heile ich ein Leiden durch das andre.«

»Schau! schau!« – rief Frau Prudentia – »wie leicht ist Jedermann bereit, nach eigner Lust und Neigung zu verfahren.

Gewiß in dieser Art darf nicht der Aerzte Wort verstanden werden. Denn Schlechtigkeit ist nicht der Gegensatz von Schlechtigkeit, Gewalt nicht von Gewalt und Unrecht nicht von Unrecht; sie sind vielmehr nur Aehnlichkeiten; deßhalb wird eine Gewaltthat nicht durch eine andere verbannt, ein Unrecht durch ein zweites Unrecht nicht, denn jedes dieses verschlimmert und vermehrt das andere nur. Nein, sicherlich, der Aerzte Wort muß dieser Art verstanden werden: das Gute und das Ueble sind zwei Gegensätze, der Krieg und Frieden sind es, Rache ist’s und Dulden, Eintracht und Zwietracht, sowie vieles Andre. Und diesen stimmt St. Paulus, der Apostel, an manchen Stellen bei. Er sagt: Vergeltet Böses nicht mit Bösem und Fluch mit Fluch; sondern überwindet das Böse durch das Gute und segnet die, so Euch verfolgen. Und an vielen andern Stellen räth er zum Frieden und zur Eintracht. Doch nun will ich zu Euch vom Rathschlag sprechen, der durch den Advokaten Euch gegeben ward und von den weisen und den alten Leuten, die alle übereingestimmt in dem, was Ihr zuvor gehört, daß nämlich Ihr vor allen Dingen Euch befleiß’gen solltet, Euch selbst zu schützen und Euer Haus in guten Stand zu setzen, und welche sagten, daß Ihr in diesem Falle mit Vorbedacht und reifer Ueberlegung zu Werke gehen müßtet. Und Herr, was nun den ersten Punkt betrifft, auf welche Art Ihr Euere Person zu schützen habt, so müßt Ihr klar begreifen, daß, wer Krieg führt, auch desto mehr vor allen Dingen andächtig und in Demuth beten sollte, daß Jesus Christ in seiner Gnade ihm solchen Schutz verleihe, und ihm der höchste Helfer sei in seiner Noth. Denn, sicherlich, in dieser Welt ist Niemand, der wohlberathen wäre ohne den Beistand unseres Herren, Jesu Christ. Mit dieser Meinung stimmt David, der Prophet, auch überein, indem er sagt: wenn Gott die Stadt nicht schützet, so wachet der Wächter umsonst. Nun, Herr, darauf sollt ihr den Schutz Euerer Person, Eueren treuen Freunden anvertrauen, die als erprobt erkannt sind, und von ihnen sollt Ihr Beistand begehren, um Euere Person zu schützen. Denn Cato sagt: Bedarfst Du Hülfe in der Noth, frag’ Deinen Freund, denn es giebt keinen bessren Arzt, als einen treuen Freund. Und dann müßt Ihr Euch fern von fremden Leuten und von Lügnern halten, deren Gemeinschaft Euch verdächtig scheinen sollte. Denn Petrus Alphonsus sagt: Geh’ niemals eines Weges mit dem fremden Mann, wenn Du ihn nicht geraume Zeit gekannt hast; und fällst durch Zufall ohne Deinen Willen Du mit ihm in Gesellschaft, so forsche schlau, wie Du vermagst, durch Unterhaltung sein früheres Leben aus und halte Deinen Weg vor ihm geheim, indem Du sprichst: Du wollest dahin gehen, wohin Du nicht willst; und hält er einen Speer, so gehe ihm zur Rechten, und führet er ein Schwert, so geh’ zur linken Seite.

Und fernerhin müßt Ihr Euch vorsorglich vor allem solchen Volke hüten, von dem ich vorhin sprach, und sie und ihren Rathschlag meiden. Und außerdem betragt Euch in der Art, daß Ihr aus Ueberschätzung Eurer eignen Kraft die Gegner nicht verachtet und ihre Macht nicht zu gering veranschlagt und nicht den Schutz der eigenen Person aus Uebermuth versäumt; denn jeder Weise fürchtet seinen Feind. Salamo sagt: Wohl dem, der sich vor allem fürchtet; denn wahrlich, wer durch seines Herzens Hartnäckigkeit und seinen Steifsinn zu große Anmaßung besitzt, dem wird es übel gehen. Dann müßt Ihr ferner allen Hinterhalten und aller Auskundschafterei zuvorzukommen suchen. Denn Seneka sagt: daß der weise Mann, welcher Unheil kommen sieht, das Unheil vermeide, und in Gefahr komme nicht der, so die Gefahr zu fliehen wisse. Und ob es Dir gleich scheint, daß Du an einem sichern Platze seist, so sollst Du dennoch stets Dein Bestes thun, Dich selbst zu schützen, das heißt: versäume nicht, für Deine Sicherheit zu sorgen, nicht nur bei Deinem größten Feinde, nein, bei dem kleinsten auch. Ovid besagt: Das kleine Wiesel tödtet den großen Bullen und den wilden Hirsch. Und das Buch sagt: Ein kleiner Dorn sticht selbst den König und selbst ein Hündchen packt das wilde Schwein. Indessen sag’ ich nicht, Du sollst so feige sein, und ungegründete Besorgniß hegen. Das Buch sagt: daß Manche die Betrüger selbst belehren aus übergroßer Angst, daß sie betrogen werden könnten. Doch sieh’ Dich vor, nicht vergiftet zu werden, und meide deßhalb die Gemeinschaft der Spötter, denn – sagt das Buch – zieh’ mit den Spöttern nicht desselben Weges und meide ihre Worte wie das Gift.

Was nun den zweiten Punkt betrifft, daß Eure weisen Räthe Euch ermahnten, das Haus mit ganzem Fleiße auszurüsten, so möchte ich gern wissen, wie diese Worte Ihr verstanden habt und was Euch von denselben dünkt?«

Melibeus sprach und gab zur Antwort: »Gewiß, in dieser Art verstand ich es, daß ich mein Haus mit Thürmen versehen sollte, wie sie Schlösser und derartige Gebäude haben, und auch mit Waffen und Geschütz, durch welche ich mich selber und mein Haus so schützen und vertheid’gen kann, daß sich die Feinde fürchten sollten ihm zu nahn.«

Hierauf entgegnete sogleich Prudentia: »Die Ausrüstung von hohen Thürmen und von hohen Bauten erfordert große Kosten und viel Arbeit; und wenn Ihr sie vollendet habt, so sind sie keinen Strohhalm werth, falls sie nicht auch von treuen, alten, weisen Freunden vertheidigt werden. Und lerne zu verstehen, daß die größte und stärkste Besatzung, die ein weiser Mann sich halten kann, um sich und seine Habe zu beschützen, darin besteht, daß er beliebt bei seinen Unterthanen und seinen Nachbarn ist. Denn Tullius sagt: es gäbe keine Garnison, welche man nicht besiegen und vernichten könne, und Herr sei, wer der Bürger und des Volkes Liebe habe.

Nun, Herr, zum dritten Punkt! Als Eure alten, weisen Räthe sagten, daß Ihr nicht rasch und übereilt in dieser Sache verfahren solltet, dagegen Euch mit großem Fleiß und großer Ueberlegung wohl rüsten und versorgen, da sprachen sie – so dünkt mich – durchaus wahr und äußerst weise. Denn Tullius sagt: Zu jeder Sache, eh’ Du sie beginnst, bereite Dich mit großem Fleiße vor.

Drum rathe ich und sage Dir: im Rache nehmen, wie in Krieg und Schlacht und in der Zurüstung bereite Dich wohl vor, eh’ Du beginnst, und thue es mit großer Ueberlegung. Denn Tullius sagt: Bei langer Vorbereitung auf die Schlacht erfolgt der Sieg in Kürze. Und Cassiodorus sagt: Je länger die Besatzung in Bereitschaft steht, je stärker ist sie.

Nun laßt uns von dem Rathschlage sprechen, den Eure Nachbarn gaben, die Euch zwar Ehrfurcht zollen, doch nicht lieben, und Eure alten Feinde, die sich ausgesöhnt, die Schmeichler, die Euch öffentlich zu diesem und insgeheim zum Gegentheile rathen, und auch das junge Volk, das Euch anrieth, Euch zu rächen und Krieg im Augenblicke zu beginnen. Gewiß, mein Herr, wie ich zuvor gesagt, Ihr habt Euch sehr geirrt, in solcher Weise derartig Volk in Euren Rath zu rufen, da diese Rathgeber durch die zuvor erwähnten Gründe genügsam schon getadelt sind. Doch nunmehr laßt uns darauf näher eingehn.

Zunächst müßt Ihr der Lehre des Tullius folgen. Es thut gewiß nicht Noth, der Wahrheit dieser Sache oder dem Grunde der Berathung näher nachzuforschen, denn wohl bekannt ist, wer sie waren, so Euch die Unbill und die Bosheit zugefügt, wie hoch die Zahl der Uebelthäter war, und wie sie alles Unrecht und alle Schlechtigkeit vollbracht. Ihr müßt nunmehr die andere Bewandtniß prüfen, von welcher eben dieser Tullius das folgende hinzufügt. Denn Tullius macht es klar, was unter ›Consentaneum‹ zu verstehen sei; das heißt: wer sie und was sie und wieviel sie waren, die Deinem Rath in Deinem Eigensinn, Dich ungesäumt zu rächen, beigestimmt. Und laßt uns auch betrachten, wer sie und was sie und wieviel sie waren, die Euren Widersachern zugestimmt. Was nun den ersten Punkt betrifft, so ist es wohl bekannt, welch eine Sorte Volk es war, die Deinem Eigensinne beigestimmt. Denn, wahrlich, alle, die zu raschem Krieg Euch riethen, sind nicht Eure Freunde. Laßt uns nun erwägen, wer sie sind, die Ihr als Freunde Euerer Person so hoch geschätzt habt. Denn mögt Ihr noch so mächtig und so reich sein, so steht Ihr doch allein. Gewiß, Ihr habt kein andres Kind als Eure Tochter, Ihr habt nicht Brüder, Vettern, andre nahe Anverwandte, um derenwillen Eure Feinde aus Furcht es unterlassen sollten, mit Euch zu streiten und Euch zu vernichten. Auch wißt Ihr, das Ihr Euren Reichthum unter manche Genossen zu vertheilen habt und daß, wenn Jeder erst sein Theil erhalten hat, sie sich nur wenig darum kümmern werden, Euren Tod zu rächen. Doch Deiner Feinde Zahl ist drei, und sie besitzen viele Brüder, Kinder, Vettern und andre nahe Sippe; und hättest Du von ihnen selbst auch zwei bis drei erschlagen, so bleiben doch genug, um ihren Tod zu rächen und Dich zu tödten. Und sollte Euere Verwandtschaft auch weit zuverlässiger und sicherer sein, als die von Euren Gegnern, so ist sie doch nur weitläufig mit Dir verwandt; sie ist entfernte Sippe, während die Angehörigen von Deinen Feinden zu ihrer nahen Sippe zählen. Und wahrlich in der Beziehung ist ihre Lage besser als die Eure. Dann laßt uns auch betrachten, ob der Rath von denen, so Euch zu rascher Rache riethen, wohl der Vernunft entspricht? Nun, wie Ihr wüßt, das thut er sicher nicht; denn nach Vernunft und Recht darf Keiner selbst an Jemand Rache nehmen, sondern nur der Richter, unter dessen Gerichtsherrschaft es steht, und der ermächtigt ist, Vergeltung bald schnell, bald langsam auszuüben, je wie es das Gesetz verlangt. Und überher mußt Du bei diesem Worte, das Tullius ›Consentaneum‹ nennt, noch erwägen, ob Deine Kraft und Macht ausreichend und genügend seien zu Deinem Eigensinn und dem von Deinen Räthen. Und hier, wahrhaftig, kannst Du wieder sagen: Nein! Denn es gebührt sich wohl mit Recht zu sagen, daß wir nur das vollführen sollten, was uns mit Recht zu thun erlaubt ist; und daher dürfen wir aus eigner Machtvollkommenheit auch rechtlich niemals Rache nehmen. Drum müßt Ihr einsehn, daß Eure Macht für Euren Eigensinn nicht hinreicht, noch sich mit ihm verträgt.

Nun lasset uns den dritten Punkt noch prüfen, den Tullius ›Consequens‹ benennt. Du mußt verstehen, daß die Rache, welche Du zu nehmen beabsichtigst, die Consequenz hat, daß weitre Rache daraus folgt, sowie Gefahr und Streit und mancherlei von Schäden sonder Zahl, die wir für jetzt nicht übersehen können.

Und was den vierten Punkt betrifft, den Tullius ›quid gignatur‹ nennt, mußt Du betrachten, daß dieses Unrecht, welches man Dir zugefügt, durch den Haß Deiner Feinde erzeugt worden ist, und daß die Rache dafür wiederum andere Rache erzeugt und viele Sorgen und Verschwendung reichen Gutes, wie ich zuvor gesagt. Nun, Herr, in Anbetracht des Punktes, den Tullius ›causa‹ nennt und der der letzte Punkt ist, mußt Du verstehen, daß dieses Unrecht, welches Du empfingst, verschiedene Gründe hat, welche die Gelehrten oriens und efficiens nennen und causa longinqua und causa propinqua; das heißt: der ferne und der nahe Grund. Der ferne Grund ist der allmächt’ge Gott, da Er der Grund von allen Dingen ist. Der nahe Grund sind Deine drei Feinde. Der zufällige Grund war Haß, der wesentliche Grund sind die fünf Wunden Deiner Tochter, und der formale Grund die Weise ihres Handelns, sofern sie Leitern nahmen und in Deine Fenster stiegen. Und der finale Grund war die Ermordung Deiner Tochter, obschon nicht alles ausgeführt ward, was in der Absicht lag. Indeß vom fernen Grund zu sagen, zu welchem Ende sie dies führen wird und was aus ihnen in diesem Falle schließlich werden mag, das bin ich nur zu rathen und vorauszusetzen fähig. Doch wohl darf ich vermuthen, daß sie zu einem schlimmen Ende kommen werden, denn das Buch der Verordnungen sagt: Selten und mit großer Mühe werden Sachen zu einem guten Ende gebracht, welche schlecht begonnen wurden. Nun, Herr, wenn man mich fragen wollte, warum Gott es zugelassen hat, daß Euch Menschen solche Schlechtigkeit zugefügt haben, so kann ich keine Antwort darauf geben, weil mir die Wahrheit darüber unbekannt ist. Denn der Apostel sagt: Von großer Tiefe ist die Weisheit und Erkenntniß unseres Herrn, des allmächtigen Gottes; unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege. Indessen durch verschiedene Erwägungen und Schlüsse halte ich daran fest und glaube, daß Gott, der voller Gerechtigkeit und Weisheit ist, dieses Ereigniß aus gerechten und vernünftigen Gründen zugelassen habe.

Deine Name ist Melibeus; das heißt: ein Mann, der Honig trinkt. Du hast so vielen Honig der süßen, zeitlichen Reichthümer und der Freuden und Ehren dieser Welt getrunken, daß Du berauscht bist, und Jesus Christ, Deinen Schöpfer, vergessen hast. Du hast ihm nicht die Achtung und Ehrerbietung erwiesen, die Du ihm schuldest; noch hast Du das Wort Ovids beachtet, welcher sagt: Unter dem Honig Deiner leiblichen Güter ist das Gift verborgen, welches die Seele tödtet. Und Salamo sagt: Findest Du Honig, so iß sein genug; denn issest Du im Uebermaß, so wirst Du ihn ausspeien und dürftig und arm sein. Und vielleicht verachtet Dich Christ und hat sein Antlitz und seine Ohren der Barmherzigkeit von Dir abgewendet und hat zugegeben, daß Du in dieser Weise für dasjenige gestraft werdest, worin Du gesündigt hast. Du hast gesündigt gegen unsern Herrn, Jesus Christus; denn sicherlich hast Du erlaubt den drei Feinden der Menschheit, das heißt: dem Fleische der Welt und dem Teufel in Dein Herz einzusteigen durch die Fenster Deines Körpers und hast Dich nicht hinreichend vertheidigt gegen ihre Angriffe und Versuchungen, so daß sie Deine Seele an fünf Stellen verwundet haben; das heißt: die Todsünden sind durch die fünf Sinne in Dein Herz eingestiegen; und in gleicher Weise hat unser Herr, Jesus Christus, es gewollt und zugegeben, daß Deine drei Feinde durch die Fenster Deines Hauses eingestiegen sind und Deine Tochter in der bereits erwähnten Art verwundet haben.«

»Gewiß,« – sprach Melibeus – »ich sehe wohl, daß Ihr Euch große Mühe gebt, in dieser Art mich zu bereden, daß ich mich nicht an meinen Feinden rächen soll, indem Ihr hin auf die Gefahren und die Uebel weist, die aus der Rache kommen können. Doch wer bei jeder Rache alle Uebel und Gefahren bedenken will, so aus dem Rachenehmen kommen können, der würde niemals Rache nehmen, und dieses wäre schlimm. Denn durch Vergeltung werden die bösen Menschen von den guten abgesondert; und die, so bösen Willen hegen, bezähmen ihre böse Absicht, wenn sie die Strafe und die Züchtigung von Uebelthätern sehen.«

Hierauf erwiderte Prudentia: »Ich stimme Euch gewißlich bei, daß durch Vergeltung viel Uebel und viel Gutes kommen mag. Jedoch Vergeltung steht nicht Jedem zu, vielmehr allein den Richtern, sowie denen, an die Gewalt verliehen gegen Missethäter ist; und überdies behaupte ich, daß gradeso wie einer sich versündigt, der Rache gegen einen Andern nimmt, nicht minder auch der Richter sündigt, wenn er nicht die straft, welche es verdienen. Denn dies sagt Seneka: Das ist ein guter Meister, der die Widerspenst’gen straft! Und Cassiodorus sagt: Ein Mensch hütet sich vor Ausschreitungen, wenn er weiß, daß solche den Richtern mißfallen und den Fürsten. Ein Andrer sagt: Der Richter, welcher Furcht hegt Recht zu sprechen, macht die Leute widerspenstig. Und der Apostel Paulus sagt in seinem Briefe, den er an die Römer schrieb: Die Obrigkeit trägt nicht den Speer umsonst, sondern um die zu strafen, welche Böses thun, und um die guten Menschen zu beschützen. Wenn Ihr an Euren Feinden Rache nehmen wollt, müßt Ihr Euch an den Richter wenden der über sie Gewalt besitzt, und er wird sie bestrafen, so wie es das Gesetz verlangt und fordert.«

»Ach!« – sagte Melibeus – »solche Rache gefällt mir nicht, Da ich mich jetzt entsinne und bedenke, wie mich das Glück von Kindheit an gehegt und mir in mancher Fährlichkeit geholfen hat, so will ich es erproben und, wie ich denke, wird es mit Gottes Hülfe mir zur Seite stehn, um meine Schmach zu rächen.« Prudentia sprach: »Fürwahr, wollt Ihr nach meinem Rath zu Werke gehn, so sollt Ihr keineswegs das Glück versuchen, nein, Ihr dürft nicht dem Glücke trauen, noch vor ihm Euch beugen, denn nach den Worten Senekas gelangen Dinge, die thöricht und in Hoffnung auf das Glück begonnen sind, zu keinem guten Ende. Und eben dieser Seneka besagt: Je heller und je glänzender das Glück ist, um desto eher und desto rascher bricht es. Vertrauet nicht darauf; es ist nicht treu noch standfest; denn meinst Du seiner Hülfe sicher und gewiß zu sein, so wird es Dich verlassen und betrügen. Und wenn Ihr sagt, daß Euch das Glück von Kindheit an gehegt hat, so sage ich, daß dieserhalb Ihr umsomehr ihm sowie seinem Witz nicht trauen solltet. Denn es sagt Seneka: Der Mann, der durch das Glück verhätschelt ist, macht sich zu einem großen Thoren. Nun, da Ihr Euch zu rächen wünschet und verlangt, und Rache, welche durch den Richter ausgeübt wird, Euch mißfällt, und solche Rache, die in der Hoffnung auf das Glück genommen wird, gefährlich ist und ungewiß, so bleibet Euch kein andres Mittel, als Eure Zuflucht bei dem höchsten Richter zu nehmen, der alle Schlechtigkeit und Bosheit rächt. Er wird Euch rächen, wie er selbst bezeugt, indem er spricht: Mir laßt die Rache, ich will sie vollziehen!«

Zur Antwort gab ihr Melibeus: »Wenn ich die Schlechtigkeit nicht räche, die mir von Menschen angethan ist, so lade ich dadurch die Leute ein, die Unrecht mir gethan, und fordre dadurch auch die andern auf, mir wieder etwas Böses zuzufügen. Denn geschrieben steht: Wenn Du für alles Unrecht keine Rache nimmst, so ladest Du die Gegner ein, Dir eine neue Bosheit zuzufügen; und wenn ich ruhig es ertrüge, so würde man mir soviel Böses thun, daß ich es weder tragen noch ertragen könnte, und würde tief erniedrigt sein und so gehalten werden. Denn Manche sagen: Wer viel erträgt, dem wird so Manches überkommen, daß er es schließlich nicht mehr tragen kann.«

Prudentia sprach: »Fürwahr, ich räume ein, daß übermäß’ge Duldung zwar nicht gut ist, indessen daraus folget nicht, daß Jedermann, dem Böses zugefügt ist, die Rache auf sich selber nehmen sollte, denn sie gehört und sie gebührt allein den Richtern, die Ungerechtigkeit und Kränkung strafen sollen, und daher sind die beiden Schriftbelege, die Ihr zuvor erwähnt habt, in Hinsicht auf die Richter nur verstanden; denn wenn sie gegen Schlechtigkeit und Unrecht sich übermäßig duldsam zeigen, so fordern sie nicht nur die Leute auf, ein neues Unrecht zu begehen, nein, sie befehlen ihnen solches an; wie auch ein weiser Mann sagt, daß der Richter, wenn er die Sünder nicht bestraft, den Leuten anbefiehlt und heißt, zu sündigen. Und die Richter und die Obrigkeiten könnten in ihrem Lande soviel von den Widerspenstigen und Uebelthätern zu leiden haben, daß diese durch solche Duldung im Laufe der Zeit an Stärke und Macht so wachsen würden, daß sie im Stande wären, die Richter und die Obrigkeit von ihren Stellen zu verdrängen und sich zuletzt von ihrer Oberherrschaft loszusagen. Doch setzen wir den Fall, daß es Euch freigestellt sei, Euch zu rächen, so sage ich, daß Ihr nicht Kraft und Macht genug besitzt, es jetzt zu thun. Denn zieht Ihr in Vergleichung Eurer Gegner Macht, so werdet Ihr in mancher Hinsicht finden, daß ihre Lage, wie ich Euch zuvor gezeigt, weit besser als die Eure ist; und daher sage ich, daß es für Euch jetzt gut sei, zu ertragen und in Geduld zu warten. Ihr wißt auch ferner, daß ein allgemeiner Spruch besagt: daß es Tollkühnheit sei für einen Mann, mit Mächtigern und Stärkeren zu kämpfen, und gegen einen Mann von gleicher Macht zu streiten, und das will sagen, der an Stärke gleich ist, sei gefährlich; und mit dem Schwächeren zu streiten, das sei Thorheit; weßhalb ein Mann den Streit vermeiden soll, soviel er kann. Denn Salamo sagt: Dem Mann gereicht zur großen Ehre, wenn er von Lärm und Streit sich freihält. Und kommt es vor, daß Dich ein Mann beleidigt hat, der mächt’ger ist, als Du bist, so bemühe und befleißige Dich lieber, das Uebel zu heilen als Dich dafür zu rächen. Denn Seneka sagt, daß derjenige sich einer großen Gefahr aussetze, welcher mit einem größeren Mann, als er selber, streite. Und Cato sagt: Wenn ein Mann von höherem Rang und Stande oder von größrer Macht, als Du, Dich kränkt und Dich beleidigt, dulde es; denn der Dich einst gekränkt hat, mag in spätrer Zeit Dir helfen und Dich unterstützen. Indeß gesetzt, Ihr hättet Macht und Freiheit Euch zu rächen, so sag’ ich doch, es giebt gar manche Gründe, um Euch zurückzuhalten, Rache auszuüben und Euch geneigt zu machen, das Unrecht, welches man Euch angethan hat, in Geduld zu tragen. Zuerst und fernerhin betrachtet wohl die Fehler Eurer eigenen Person, für welche Gott, wie ich zuvor gesagt, Euch diese Trübsal dulden läßt. Es sagt der Dichter, daß wir in Geduld die Widerwärtigkeiten, so uns überkommen, tragen sollen und wohl bedenken und erwägen, daß wir es wohl verdient, wenn sie uns treffen. Und St. Gregorius sagt, daß einem Manne, welcher die Anzahl seiner Sünden und seiner Fehler wohl erwägt, die Trübsal, die er leidet, weit geringer scheine. Und je mehr er seine Sünde für schwer und drückend hält, je leichter und je sanfter wird die Strafe ihm erscheinen. Daher mußt Du Dein Herz bezwingen und es beugen, das Joch von unserm Herren, Jesus Christ, zu tragen, wie es St. Peter sagt in seinen Briefen. Jesus Christ hat für uns gelitten – sagt er – und uns ein Vorbild gelassen, daß ihr sollt nachfolgen seinen Fußstapfen, welcher keine Sünde gethan hat, ist auch kein Betrug in seinem Munde erfunden. Welcher nicht wieder schalt, da er gescholten wurde, nicht dräuete, da er litt. Auch die Ergebung, welche die Heiligen im Paradiese in Trübsal zeigten, so ohne Schuld und ohne Fehler sie traf, sollte in Euch Geduld erwecken. Und ferner sollt Ihr Euch befleißen, Geduld zu lernen, weil die Trübsal dieser Welt nur eine kurze Weile währt und bald vorbei ist, die Freude aber, die der Mensch durch Geduld im Leiden erlangt, von langer Dauer ist. Darum spricht in seinem Briefe der Apostel: Die Freude Gottes ist von langer Dauer, und das will sagen, sie ist immerwährend. Deßwegen glaubt und haltet fest: der ist nicht gut gepflegt, noch gut erzogen, der nicht Geduld besitzt, noch lernen will. Denn Salamo sagt, daß Weisheit und Verstand des Mannes erkannt nur werde durch Geduld. Und andern Ortes sagt er, daß wer geduldig sei, mit großer Klugheit auch sich selbst regiere. Und eben dieser selbe Salamo sagt auch: Der zornige und grimmige Mann macht Lärm, doch der geduld’ge stillet und beschwichtigt ihn. Auch sagt er: Es ist werthvoller, Geduld zu haben, als sehr stark zu sein. Und der sein eignes Herz in Herrschaft hält, ist mehr zu preisen, als der durch Kraft und Stärke große Städte nimmt. Und daher sagt in seinem Briefe der heilige Jakobus, daß die Geduld das große Mittel sei, vollkommen uns zu machen.«

»Gewiß,« – sprach Melibeus – »ich gestehe zu, Prudentia, daß die Geduld Vollkommenheit bewirkt; indessen kann nicht Jeder sein, wie Ihr es wünscht. Nein, ich gehöre nicht zur Zahl der ganz vollkommnen Menschen, dieweil mein Herz nicht eher Frieden hat, bis daß die Zeit für meine Rache da ist. Und wenn für meine Feinde höchst gefährlich war, mir Uebles anzuthun, so achteten sie der Gefahr doch nicht und führten muthig ihre Absicht aus; und deßhalb, dünkt mich, sollte man auch mich nicht tadeln, wenn ich mich um meiner Rache willen in unbedeutende Gefahr begebe, obschon ich eine große Ausschreitung begehe, indem ich nämlich einen Schimpf durch einen andern räche.«

»Ach!« – sagte Frau Prudentia – »Ihr sprecht, was Euch gefällt. Jedoch in keinem Fall der Welt soll je ein Mann Gewalt und Ausschreitung begehn, um sich zu rächen. Denn Cassiodorus sagt: Wer durch Gewalt sich rächt, der thut nicht minder übel, als jener, der Gewalt zuerst verübt. Darum sollt Ihr Euch nach des Rechtes Ordnung rächen, das heißt durch das Gesetz und nicht durch Ausschreitung und durch Gewalt. Und wollt Ihr die Gewaltthat Eurer Gegner auf andre Weise rächen, als das Recht befiehlt, so sündigt Ihr. Daher sagt Seneka, daß Bosheit nie ein Mann durch Bosheit rächen solle. Und wenn Ihr sagt, das Recht erlaube einem Mann, sich vor Gewaltthat durch Gewalt zu schützen, und gegen Kampf durch Kampf, so habt Ihr dann gewißlich Recht, wenn die Vertheidigung sofort geschehen ist und ohne Aufschub odes langes Zögern, und nur um sich zu schützen, nicht zu rächen. Und es gebührt sich, daß ein Mann in seiner Selbstvertheidigung so mäßig sich beweise, daß Niemand Grund hat, ihn zu tadeln wegen Unfug und Gewalt, wenn er sich selbst beschützt hat; denn solches wäre wider die Vernunft. Pardi! Ihr wißt sehr wohl, daß Ihr Euch jetzt nicht zu vertheidigen denkt zu Eurem Schutz, vielmehr Euch rächen wollt. Und Ihr beweist, daß Ihr nicht Willens seid, in Eurem Thun gemäßigt zu verfahren; und dafür ist Geduld – so denk’ ich – gut. Denn Salamo besagt: Wer nicht geduldig ist, hat großen Harm zu tragen.«

»Gewiß,« – sprach Melibeus – »ich gebe zu, wenn man ungeduldig und böse über Sachen wird, die uns nichts angehn, so ist’s kein Wunder, wenn uns Harm geschieht. Denn das Gesetz besagt, daß Jener schuldig sei, der unberufen sich in etwas menge; und es sagt Salamo: Der Mann, der sich in Zank und Streit von Andern mischt, gleicht Jemandem, der einen fremden Hund beim Ohre faßt. Denn, wie der Mann, der einen fremden Hund beim Ohre faßt, von ihm gebissen wird, ganz in derselben Weise ist es auch natürlich, daß den Schaden trägt, wer sich aus Ungeduld in andrer Leute Zank hineinmengt, der ihn nichts angeht. Doch Ihr wißt wohl, daß mir diese That, mein Kummer und mein Leiden will das sagen, sehr nahe geht; und deßhalb ist es nicht verwunderlich, wenn ich ungeduldig und böse bin; und – mit Verlaub – ich kann nicht sehn, wie es mir schaden könnte, wenn ich Rache nehme, denn ich bin reicher, sowie mächtiger, als meine Feinde sind. Auch ist es Euch bekannt, daß Alles auf der Welt durch Geld und den Besitz von vieler Habe regiert wird; und Salamo sagt: Jedes Ding gehorcht dem Gelde.«

Doch als Prudentia hörte, wie ihr Gatte sich seines Reichthums und seines Geldes, der Gegner Macht verkleinernd, selber rühmte, nahm sie das Wort und sprach in dieser Weise: »Gewißlich, lieber Herr, ich gebe zu, daß Ihr so reich wie mächtig seid, und auch daß Reichthum gut ist, sofern auf rechte Weise er erlangt ward und gut verwendet wird. Denn wie der Körper des Menschen nicht ohne Seele leben kann, so kann man ohne zeitlichen Besitz nicht leben, und Reichthum kann uns große Freunde schaffen. Und daher sagt Pamphilus: Ist eines Rinderhirten Tochter reich, so kann sie unter tausend Männern wählen, wen sie zu ihrem Gatten haben will; sie wird von Tausenden dann nicht verschmäht und abgewiesen werden. Und dieser Pamphilus sagt auch: Wenn Du recht glücklich bist, das heißt, sehr reich, so wirst Du viele Freunde und Genossen finden; doch wechselt einst das Glück und wirst Du arm, dann Freundschaft und Genossenschaft lebt wohl! Du wirst allein stehn oder zur Gesellschaft nur die Armen haben. Und außerdem sagt Pamphilus, daß man die Leute, die durch Familienbande mit uns verknüpft sind, durch Reichthum adeln und erheben könne. Und wie durch Reichthum vieles Gute kommt, so kommt durch Armuth manches Leid und Uebel; denn große Armuth zwingt den Menschen oft das Uebele zu thun. Und Cassiodorus nennt daher die Armuth eine Mutter des Verderbens, das heißt: die Mutter von unsrer Schande und von unserm Untergange. Petrus Alphonsus sagt daher: Wohl ist die größte Widerwärtigkeit der Welt, wenn ein durch Stamm und Abkunft freier Mann, gezwungen durch die Armuth, die Gaben seiner Feinde essen muß. Und gleicher Weise sagt auch Innocenz in einem seiner Bücher, indem er spricht: Die Lage eines armen Bettlers ist kummervoll und unglücklich; denn bettelt er nicht um sein Brod, so muß er Hungers sterben, und bettelt er, stirbt er vor Scham, und doch die Noth wird ihn, zu betteln, zwingen. Und darum sagt auch Salamo, daß Sterben besser sei, als solche Armuth. Und dieser selbe Salamo sagt ferner: Weit besser ist’s, den bittern Tod zu sterben, als solcher Art zu leben. Durch diese Gründe, die ich Euch genannt und noch durch viele andre, die ich nennen könnte, gesteh’ ich zu, daß Reichthum gut für jene sei, die solchen wohl erworben haben und ihn in rechter Art zu brauchen wissen; und ich will Euch deßwegen zeigen, wie Ihr verfahren müßt, um Reichthum anzusammeln und welcher Art Ihr ihn gebrauchen sollt. Zuerst sollt Ihr ihn ohne große Gier erlangen mit guter Weile, nach und nach, nicht aber überhastig; denn ein Mann, den es nach Reichthum allzusehr verlangt, ergiebt sich leicht dem Diebstahl oder andern Uebelthaten. Und darum sagt uns Salamo: Wer zu sehr eilt, um schleunig reich zu werden, kann seine Unschuld nicht bewahren. Auch sagt er: Reichthum, welcher eilig kommt, vergeht auch schnell; indessen Reichthum, welcher nach und nach gesammelt ist, stets wachsen und sich mehren wird. Und Reichthum, Herr, sollt Ihr erwerben durch Eueren Verstand und Eure Arbeit zu Eurem Nutzen und ohne irgend einem andern Menschen deßwegen Unrecht oder Harm zu thun. Denn das Gesetz spricht: Es macht sich Niemand selber reich, wenn er einem Andern Schaden thut, das heißt, daß es Natur mit Recht verbiete und verwehre, durch Schaden Anderer sich reich zu machen. Und Tullius sagt, daß Sorge nicht, noch Todesfurcht, noch was dem Menschen sonst begegnen kann, so gegen die Natur geht, als wenn ein Mensch durch Schaden Andrer den eignen Nutzen zu vermehren suche. Und wenn auch zwar die Mächtigen und Großen leichter als Du zu Reichthum kommen, so sollst Du doch nicht faul und langsam sein, Dir Vortheil zu erschaffen, denn dieser Art wirst Du dem Müßiggang entfliehn. Denn Salamo sagt, daß Müßiggang viel Böses lehre. Derselbe Salamo besagt: Wer arbeitet und seinen Acker baut, wird Brod essen, doch wer träge ist und sich zu keinem Handel und Geschäfte hält, der wird in Armuth sinken und vor Hunger sterben. Und der, so faul und lässig ist, kann nie die rechte Zeit für seinen Vortheil finden. Ein Versemacher sagt, daß sich der Faule im Winter entschuldige, dieweil es kalt sei, und im Sommer der starken Hitze wegen. Aus diesem Grunde redet Cato: Wachet und gebt Euch nicht zu vielem Schlafe hin, denn Uebermaß an Ruhe nährt und brütet manches Laster. Und deßhalb sagt der heilige Hieronymus: Thut etwas Gutes, damit Euch nicht der Teufel, unser Feind, im Müßiggange finde, denn nicht zu seinen Werken nimmt der Teufel leicht, wen er in guten Werken thätig findet. Daher müßt Ihr, um Reichthümer zu erlangen, die Trägheit fliehen. Und hinterher sollt Ihr den Reichthum, den Ihr durch Arbeit und Verstand gewonnen habt, in solcher Weise brauchen, daß Euch die Menschen nicht für karg und allzu sparsam halten, und nicht für thöricht großartig, das heißt, verschwenderisch; denn wie man einen geiz’gen Menschen ob seiner Filzigkeit und Kargheit tadelt, so ist auch der zu tadeln, der verschwendet. Und drum sagt Cato: Gebrauche Deinen Reichthum, den Du gewonnen hast, in solcher Art, daß Niemand Grund hat, Dich einen Geizhals oder Filz zu nennen, denn eine große Schande ist für Jeden: ein leeres Herz bei einer vollen Börse. Auch sagt er noch: Die Güter, welche Du erworben hast, gebrauch’ mit Maß, und das will heißen: gieb sie mäßig aus; denn die, so ihre Habe thöricht verthuen und verschwenden, werden, wenn gar nichts mehr ihr eigen ist, die Güter andrer Leute wegzunehmen suchen. Ich sage nun, daß Ihr den Geiz vermeiden sollt, indem Ihr solcher Art den Reichthum braucht, daß man nicht sagen kann, es läge Euer Schatz begraben, nein daß Ihr ihn in Eurer Macht und Euren Händen habt. Denn ein weiser Mann tadelte den Geizigen durch diese beiden Verse: Weßwegen und wozu begräbt ein Mann sein Gut aus großem Geiz, wenn ihm bewußt ist, daß er sterben muß? denn in dem gegenwärt’gen Leben ist das Ende eines jeden Manns der Tod. Und warum und zu welchem Zwecke verbindet und verknüpft er sich so fest mit seinem Gut, daß, ihn davon zu trennen und zu scheiden, sein sämmtlicher Verstand nicht fähig ist, obwohl er weiß, daß er bei seinem Tode aus dieser Welt gar nichts von hinnen trägt? Und daher sagt St. Augustin, daß ein Geiziger der Hölle gleiche, die auch, je mehr sie schluckt, je mehr Begierde hat, zu schlucken und zu schlingen. Und so wie Ihr zu meiden sucht, ein Geizhals oder Filz genannt zu werden, so sollt Ihr Euch auch derart halten und betragen, daß man Euch nicht ›Herr Hans Verschwender‹ heißt. Daher sagt Tullius: Die Güter Deines Hauses sollten niemals so fest und so geheim gehalten werden, daß sie die Güte und das Mitleid nicht zu öffnen wüßten, das heißt: sie unter die Bedürftigen zu theilen; noch sollte Deine Habe je so offen sein, daß sie zum Gut der Allgemeinheit werde. Auch müßt Ihr ferner beim Erlangen und beim Gebrauche Eures Reichthums drei Dinge stets in Eurem Herzen haben, und diese sind: Gott, unser Herr, Gewissen und ein guter Ruf. Erst sollt Ihr Gott in Eurem Herzen tragen, und nicht für Schätze dürft Ihr etwas thun, das Gott, unserm Schöpfer, irgend wie mißfallen könnte. Denn nach dem Worte Salamos ist es weit besser, bei Gottes Liebe wenig Gut zu haben, als durch das viele Gut die Liebe unsres Herrn und Gottes zu verlieren. Und der Prophet sagt, daß es besser sei, ein guter Mann zu sein und wenig Gut und Geld zu haben, als ein Bösewicht bei großem Reichthum. Doch sag’ ich ferner, daß Ihr Euch stets bestreben solltet, reich zu werden, sofern Ihr dabei Euch ein gutes Gewissen bewahrt. Und der Apostel sagt, daß in der Welt uns Nichts so große Freude machen sollte, als wenn uns das Gewissen ein gutes Zeugniß giebt. Auch sagt der Weise: Das Innere des Menschen ist sehr gut, wenn im Gewissen keine Sünde steckt. Sodann müßt Ihr bei dem Erwerb und dem Gebrauch von Reichthum sehr große Sorge tragen und Euch streng bemühn, daß Ihr den guten Namen Euch erhaltet und bewahrt. Denn Salamo sagt: Ein gut Gerücht ist köstlicher, denn großer Reichthum; und so sagt er an einer andern Stelle: Bestrebe Dich mit großem Fleiß, Dir Deinen guten Namen und Deine Freunde zu erhalten, denn diese halten länger bei Dir aus als Schätze und ob sie noch so kostbar sind. Und sicherlich, ein Edelmann kann der nicht heißen, der unterläßt, nächst Gott und ruhigem Gewissen auch seinen guten Namen zu bewahren. Und Cassiodorus sagt, daß es ein Merkmal eines edlen Herzens sei, wenn Jemand liebe und den Wunsch besäße, sich einen guten Namen zu erhalten. Und deßhalb sagt St. Augustin: zwei Dinge seien nöthig und erforderlich: ein gut Gewissen und ein guter Ruf; das heißt: ein gut Gewissen für Dich selber und guter Ruf für Deine Nachbarn draußen. Und wer dem eignen ruhigen Gewissen so sehr vertraut, daß er darüber seinen guten Namen oder Ruf geringschätzt und nicht achtet und unbesorgt ist, diesen zu bewahren, ist nur ein roher Kerl. Nun, Herr, ist Euch von mir gezeigt, wie Ihr verfahren sollt, um Reichthum zu erwerben und wie Ihr ihn gebrauchen sollt; und wohl ersehe ich, daß bei dem Vertrau’n, das Ihr auf Euren Reichthum habt, Ihr Willens seid, zu kriegen und zu kämpfen. Ich rathe Euch, daß Ihr nicht Krieg und Schlacht beginnt in dem Vertrau’n auf Euren Reichthum, denn er genügt nicht, um den Krieg zu unterhalten. Und deßhalb sagt ein Philosoph: Wer Krieg wünscht und ihn führen will, kann nie genug besitzen, dieweil, je mehr er hat, je mehr er zahlen muß, um Sieg und Ehre zu erkaufen. Und es sagt Salamo: Je größern Reichthum Jemand hat, jemehr Verzehrer hat er. Und, theurer Herr, wenn es auch sein mag, daß Ihr durch Euren Reichthum über vieles Volk gebietet, so ist es weder gut noch ziemlich, Krieg zu machen, wenn Ihr mit Nutzen und mit Ehre in andrer Weise Frieden halten könnt, denn der Sieg der Schlachten, so in dieser Welt geschlagen werden, liegt weder in der Ueberzahl noch Masse an Kriegsvolk, noch in der Tapferkeit der Mannen, dagegen in der Hand von Gott, dem allgewalt’gen Herrn. Weßhalb auch Judas Makkabäus, der ein Gottesritter war, als er mit einem Gegner kämpfen sollte, der mehr an Zahl und größre Massen Volks besaß und stärker war als dieses Makkabäus Heer, sein kleines Häuflein also tröstete und sprach: Ebenso leicht kann Gott, unser allmächtiger Herr, der kleinen Schaar den Sieg verleihen, wie der großen Menge, denn Schlachtensieg hängt nicht von starken Heeren ab, er kommt allein durch Gott, den Herrn im Himmel. Und, theurer Herr, dieweil kein Mensch Gewißheit hat, ob Gott ihm Sieg verleihen werde oder nicht – wie Salamo gesagt hat – so sollte Jedermann sich höchlichst scheuen, Krieg zu beginnen. Und da in Schlachten viel Gefahren sind, und es sich manchmal wohl ereignen kann, daß auch der Große wie der Kleine darin getödtet wird, und da geschrieben steht im zweiten Buch der Könige: Der Schlachten Führung ist ein Wagestück und ungewiß; und da im Kriege die Gefahren groß sind, so sollte Jeder auch den Krieg vermeiden und ihn fliehn, soviel er irgend nur vermag. Denn wer sich in Gefahr begiebt – sagt Salamo – kommt darin um.«

Nachdem in dieser Art die Frau Prudentia geredet hatte, entgegnete ihr Melibeus und sprach: »Ich sehe, Frau Prudentia, durch Eure schönen Worte und durch Eure Gründe, die Ihr mir gezeigt habt, daß Ihr den Krieg nicht liebt; doch habe ich bislang nicht Euren Rath gehört, wie ich in dieser Sache handeln soll.«

»Gewiß,« – sprach sie – »ich rathe Euch, daß Ihr mit Euren Gegnern Euch verständigt und Frieden haltet. Denn St. Jakobus sagt in seinem Briefe, daß durch Eintracht und Frieden Reichthum gewonnen wird, durch Hader und Streit aber zu Grunde gehe. Und deßhalb spricht auch unser Herr, Jesus Christ, zu seinen Aposteln in dieser Weise: Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen.«

»Ah!« – sagte Melibeus – »nun sehe ich klar, daß Ihr nicht meine Ehre und meine Würde schützt. Ihr wißt sehr wohl, daß meine Gegner den Streit und Kampf durch ihre Uebelthat begonnen haben; auch seht Ihr klar, daß sie mich nicht um Frieden bitten und ersuchen, und nicht verlangen, mit mir versöhnt zu sein. Wollt Ihr denn, daß ich mich so erniedrige, daß ich mich ihnen unterwerfe und sie um Gnade bitte? Fürwahr, das wäre nicht nach meinem Sinn. Denn wie man sagt, daß allzugroße Einfalt Verachtung zeuge, so geht es auch zu großer Demuth und Sanftmüthigkeit.«

Nunmehr fing Frau Prudentia an, sich ärgerlich zu stellen, und sagte: »Gewiß, Herr, mit Verlaub! ich liebe Euren Ruhm und Euren Nutzen wie meinen eigenen, und habe dieses stets gethan, und keiner sagte je das Gegentheil. Doch hätte ich gesagt, Ihr solltet Friede und Versöhnung Euch erkaufen, so hätte ich mich wenig nur vergriffen und versprochen. Denn der Weise sagt, Uneinigkeit beginnt durch Andere, doch die Versöhnung durch Dich selbst. Und der Prophet sagt: Das Böse fliehe und das Gute thue! Den Frieden suche und erhalte, so viel an Dir liegt. Doch sag’ ich nicht, daß Ihr bei Euren Gegnern eher um Frieden bitten solltet, als sie bei Euch; denn ich weiß wohl, Ihr seid so eigensinnig, daß Ihr um meinetwillen niemals etwas thut; und es sagt Salamo: Den, welcher ein zu hartes Herz besitzt, trifft schließlich Unglück und Verderben.«

Als Melibeus seine Frau Prudentia anscheinend böse sah, sprach er in dieser Weise: »Frau, ich bitte Euch, laßt Euch nicht kränken, was ich sage; denn ich weiß gar wohl, daß ich in Zorn und Aerger bin, und dieses ist kein Wunder; und wenn man zornig ist, vergißt man, was man thut und spricht. Daher sagt der Prophet, daß trübe Augen nicht klar sehen. Doch sag’ und rathe mir, was Dir gefällt; ich bin bereit, zu thuen, was Du wünschest. Und wenn Ihr mich ob meiner Thorheit scheltet, so kann ich Euch dafür nur loben und verehren. Denn Salamo sagt, daß, wer den Thoren tadelt, größre Gnade finden soll, als der durch süße Worte ihn betrügt.«

Dann sagte Frau Prudentia: »Wenn ich dem Anschein nach mich böse zeige, geschieht es nur zu Eurem großen Nutzen. Denn Salamo sagt: Es ist besser einen Thoren für seine Unvernunft zu schelten und zu tadeln, als ihn in seiner Thorheit zu bestärken und zu loben und über seinen Unverstand zu lachen. Und ebenso sagt dieser Salamo, daß durch das strenge Antlitz eines Mannes, das heißt, durch seine ernste Haltung und Geberde, der Thor gezüchtigt und verbessert werde.«

Dann sagte Melibeus: »Ich werde keine Antwort geben können auf soviel schöne Gründe, wie Ihr sie mir gezeigt und vorgeführt habt. Sagt Euren Willen und Eure Meinung mir in aller Kürze, und ich bin ganz bereit, ihn zu vollziehn und zu erfüllen.«

Darauf enthüllte Frau Prudentia ihm ihren ganzen Willen und begann: »Ich rathe Euch vor allen Dingen, machet Frieden zwischen Gott und Euch, und seid versöhnt mit ihm und seiner Gnade; denn – wie ich Euch zuvor gesagt – Gott hat Euch dieses Ungemach und diese Trübsal um Eurer Sünden willen auferlegt. Und wenn Ihr thut, was ich Euch sage, so wird Gott die Widersacher zu Euch senden und vor Eure Füße niederfallen lassen, bereit, nach Eurem Willen und Befehl zu thun. Denn Salamo sagt: Wenn dem Herren des Menschen Wege wohlgefallen, so wandelt er die Herzen seiner Feinde und zwingt sie, ihn um Frieden und um Gnade anzuflehn. Und darum bitt’ ich Dich, laß mich mit Deinen Feinden heimlich sprechen, denn sie sollen es nicht wissen, daß es mit Eurem Willen und Eurer Zustimmung geschieht; und wenn ich ihren Willen und ihre Absicht kenne, vermag ich dann Dir zuverlässiger zu rathen.«

»Frau!« – sagte Melibeus – »thut, was Ihr wollt und wie es Euch beliebt. Ich stelle mich gänzlich unter Eure Leitung und unter Eueren Befehl.«

Als Frau Prudentia den guten Willen ihres Gatten sah, ging sie in sich zu Rathe und dachte nach, wie diese Sache sie zu einem guten Ausgang bringen könne. Und als sie ihre Zeit gekommen sah, entsandte sie zu seinen Gegnern Botschaft, in Heimlichkeit zu ihr zu kommen, und zeigte ihnen in verständ’ger Weise den großen Vortheil, welcher durch den Frieden kommt, und die Gefahren und die großen Leiden, welche durch Krieg entstehen; und sagte ihnen in vernünft’ger Art, wie tiefe Reue sie empfinden müßten wegen des Unrechts und der Kränkungen, so sie dem Melibeus, ihrem Herrn, und ihr und ihrer Tochter zugefügt. Und als sie diese wohlgemeinten Worte der Frau Prudentia hörten, waren sie hocherstaunt und so entzückt, und hatten über sie so große Freude, daß es ein Wunder, zu erzählen, ist. »O, Dame!« – sprachen sie – »Ihr habet uns gezeigt der Sanftmuth Segen nach den Worten des Propheten David; denn die Versöhnung, der wir in keiner Weise würdig sind und die in großer Demuth und Zerknirschung wir erbitten sollten, Ihr bietet sie aus großer Güte selbst uns an. Nun sehen wir es klar, wie ächt und groß die Weisheit Salamonis ist, wenn er besagt, daß man durch liebe Worte seine Freunde mehre und Widerspänst’ge sanft und folgsam mache. Gewißlich,« – sprachen sie – »wir stellen unsre That und unsre ganze Sache durchaus in Euren guten Willen, und sind bereit, dem Worte und Befehl von Melibeus, unserm Herrn, zu folgen. Und deßhalb bitten und ersuchen wir Euch, theure, güt’ge Dame, so demüthig wir können und vermögen, daß Eurer großen Güte es gefallen möge, nun durch die That auch Eure guten Worte zu erfüllen. Wir sehen und gestehen ein, wir haben weit über alles Maß hinaus den Melibeus, unsern Herrn, beleidigt und gekränkt, und zwar so sehr, daß wir nicht Macht besitzen, ihn dafür zu entschädigen; und deßhalb binden und verpflichten wir uns mit allen unsern Freunden, all seinen Willen und Befehl zu thun. Vielleicht jedoch hat er so schweren Aerger und solchen Zorn ob unserer Beleidigung noch gegen uns, daß er uns solche Strafe aufzulegen denkt, die zu ertragen wir nicht fähig sind; und deßhalb, edle Dame, flehen wir zu Eurem weiblichen Erbarmen, in dieser Noth es derart einzurichten, daß wir und unsre Freunde nicht enterbt und nicht zerstört durch unsre Thorheit werden.«

»Gewiß,« – sprach Frau Prudentia – »es ist ein hartes, höchst gefährlich Ding, wenn sich ein Mann dem Urtheil und der willkürlichen Entscheidung seines Feindes so gänzlich unterwirft und in Gewalt und Macht desselben sich begiebt; denn es sagt Salamo: Gehorchet mir und nehmt es Euch zu Herzen! Laß den Sohn, die Frau, den Bruder und den Freund nicht Gewalt über Dich haben, solang’ Du lebst. Nun da er es verbietet, selbst dem Bruder und dem Freunde über unsern Leib Gewalt zu geben, so untersagt er aus noch stärkern Gründen, sich seinen Feinden zu ergeben. Nichtsdestoweniger rath’ ich Euch an, nicht meinem Herren zu mißtrauen, denn ich weiß sicher und bestimmt, er ist gutmüthig, sanft, großherzig, höflich und nicht begierig noch erpicht auf Gut und Reichthum; denn er wünscht nichts auf dieser Welt als Ehre nur und Ehrerbietung. Auch weiß ich fernerhin und bin gewiß, daß er nichts ohne meinen Rath in diesem Falle thun wird; ich aber will es so zu machen wissen, daß durch die Gnade Gottes, unsres Herrn, Ihr miteinander Euch versöhnen sollt.«

Dann sagten sie mit einer Stimme: »Verehrte Dame! wir stellen uns und unsre Güter völlig in Eure Neigung und in Euren Willen, und sind bereit, an jedem Tag zu kommen, den Eure Hoheit liebt, uns zu bestimmen oder festzusetzen, um durch Verpflichtung und Verschreibung uns zu binden, so stark, wie’s Eurer Gütigkeit gefällt, den Willen zu vollziehn von Euch und unserm Herren Melibeus.«

Als Frau Prudentia die Worte dieser Leute vernommen hatte, befahl sie ihnen, heimlich fortzugehn, und kehrte dann zurück zu ihrem Hausherrn Melibeus und sagte ihm, wie reuig sie seine Gegner gefunden hätte, welche ihre Sünde und ihr Vergehen demüthig bekannt, und wie bereit sie wären, alle Strafe zu erdulden, indem sie nur um Gnade ihn ersuchten und um Erbarmen flehten.

Dann sagte Melibeus: »Derjenige ist wahrlich werth, Vergebung und Verzeihung für seine Sünde zu empfangen, der sie nicht entschuldigt, vielmehr, um Nachsicht bittend, sie eingesteht und bereut. Denn Seneka sagt: Wo Bekenntniß ist, da giebt es auch Vergebung und Verzeihung; denn das Bekenntniß ist der Unschuld Nachbar. Und so verspreche und versichre ich, den Frieden zu erhalten. Doch ist es gut, daß wir nichts ohne Beistimmung und ohne Willen unsrer Freunde thun.«

Nun war Prudentia höchst freudevoll und froh und sprach: »Gewiß, mein Herr, Ihr gabt mir eine liebe, rechte Antwort! Denn wie durch Rath und Beistimmung und Hülfe Eurer Freunde zur Rache und zum Krieg Ihr angestachelt seid, so sollt Ihr gleicher Weise nicht ohne ihren Rathschlag Euch verständigen und Frieden mit den Widersachern schließen. Denn das Gesetz besagt: Nichts ist so gut in seiner Art, als daß auch der den Knoten wieder löst, der ihn geschürzt hat.«

Dann sandte Frau Prudentia ohne Zögern und Verweilen ihre Botschaft zu der Verwandtschaft und den alten Freunden, so treu und weise waren, und sagte ihnen auf Geheiß in Gegenwart von Melibeus alle Sachen, die schon zuvor erzählt sind und erklärt, und bat sie, Rath und Meinung abzugeben, was in dem Fall am füglichsten zu thun sei. Und als des Melibeus Freunde den besagten Gegenstand in Ueberlegung und in Rath gezogen hatten und ihn mit Emsigkeit und großem Fleiß geprüft, gaben sie ihre volle Zustimmung, den Frieden und die Ruhe zu erhalten, und Melibeus solle seine Feinde mit gutem Herzen bei ihm zur Gnade und Vergebung kommen lassen.

Und als dann Frau Prudentia ersah, daß ihres Herren Melibeus Meinung und seiner Freunde Rath mit ihrer Absicht und mit ihrem Willen in Einklang stände, ward sie in ihrem Herzen wunderfroh und sprach: »Es giebt ein altes Sprüchwort, welches sagt: Das Gute, was Du heute thuen kannst, vollbringe, und laß es und verschieb’ es nicht auf morgen! Und deßhalb sag’ ich, sendet Boten, die klug sind und verschwiegen, an Eure Gegner und lasset ihnen sagen, daß, wenn sie über Frieden und Verständigung mit Euch verhandeln wollten, so möchten ohne Zögern und Verzug sie zu uns kommen.«

Dieses wurde in der That so ausgeführt. Und als die Sünder, welche ihre Thorheit reute, das heißt, die Gegner von Melibeus, vernommen hatten, was diese Boten ihnen sagten, waren sie höchst erfreut und froh, und antworteten voll Sanftmuth und voll Güte, ihrem Herren Melibeus und seinem ganzen Kreise erkenntlich dankend, und schickten sich gleich ohne Zögern an, mit diesen Boten fortzugehn und dem Befehl von ihrem Herren Melibeus zu gehorchen. Sie zogen graden Wegs zum Hof des Melibeus und nahmen einige treue Freunde mit, sie zu beglaubigen und für sie zu bürgen. Und als sie in die Gegenwart des Melibeus gekommen waren, sprach er zu ihnen diese Worte: »Es stehet so und ist erwiesen, daß Ihr ohne Grund und ungeschickter, unvernünft’ger Weise mir großes Leid und Unrecht zugefügt habt, sowie auch meiner Frau Prudentia und meiner Tochter gleichfalls; denn Ihr seid mit Gewalt mir in das Haus gedrungen, und solchen Schimpf habt Ihr mir angethan, daß Jedermann wohl einsieht, daß Ihr den Tod verdient habt; und deßhalb will ich von Euch hören und wissen, ob Ihr die Züchtigung, die Strafe und die Rache für diese Uebelthat in meinen und in den Willen meines Weibes stellen wollt, ob nicht?«

Dann antwortete der Klügste von den Dreien für Alle und sprach: »Herr! wir wissen wohl, daß wir unwürdig sind, zum Hofe eines so großen und so edlen Herrn, als Ihr seid, hinzukommen; denn wir haben so gröblich uns vergangen und sind so sündenvoll und schuldbeladen vor Eurer Hoheit, daß wir, fürwahr, den Tod verdienet haben; jedoch, da Eure große Güte und Barmherzigkeit die ganze Welt von Euch bezeugt, so unterwerfen wir uns der Vortrefflichkeit und Milde Eurer gnäd’gen Hoheit und sind bereit, in Allem Euren Befehlen zu gehorchen, indem wir Euch ersuchen, daß Ihr aus mitleidsvoller Gnade unsre große Reue und tiefe Unterthänigkeit betrachten und uns Vergebung für unser schmähliches Vergehen und unsre Uebelthat gewähren wollt. Denn wir wissen wohl, daß Euere edle Huld und Gnade im Guten größer ist, als unsre Schuld und Uebelthat im Bösen, obschon wir uns verfluchter und verdammter Weise höchst schuldig gegen Eure Hoheit machten.«

Höchst gütig hob sie Melibeus dann vom Boden auf, empfing von ihnen ihr Versprechen und Gelübde durch Eid und Pfand und Bürgen und bestimmte ihnen einen Tag, an seinen Hof zurückzukehren und Spruch und Urtheil zu gewärtigen und anzunehmen, das Melibeus aus den vorbesagten Gründen, an ihnen zu vollstrecken denke. Dies abgemacht, ging Jedermann nach Haus.

Und als dann Frau Prudentia ihre Zeit gekommen sah, befrug sie ihren Herren Melibeus, welche Rache er an seinen Gegnern auszuüben denke?

Worauf ihr Melibeus Antwort gab und sprach: »Gewiß, ich hege den Gedanken und die Absicht, ihnen zu nehmen, was sie je besaßen und in Verbannung sie auf ewig dann zu schicken.«

»Nun, sicherlich,« – sprach Frau Prudentia – »der Urtheilsspruch wäre grausam und höchlichst wider die Vernunft. Denn Ihr seid reich genug, und Ihr bedürft der Habe andrer Leute nicht. Und Ihr könnt Euch auf diese Weise leicht den Namen eines neid’gen Manns erwerben, was eine lästerliche Sache ist, die jeder gute Mensch stets meiden sollte; denn nach dem Spruche des Apostels ist Begehrlichkeit die Wurzel alles Uebels. Und besser wäre es für Euch daher, von Eurem Gute Vieles zu verlieren, als wie die Habe Andrer in solcher Art zu nehmen. Denn besser ist’s, mit Würde zu verlieren, als wie durch Schlechtigkeit und Schande zu gewinnen. Und Jeder sollte mit Fleiß und Emsigkeit erstreben, sich einen guten Namen zu verschaffen. Und nicht allein soll er stets thätig sein, den guten Namen zu bewahren, nein, immer sich bestreben, das zu thun, wodurch den guten Namen er erneuern kann; denn aufgeschrieben steht, daß jeder gute Ruf und Name bald schwindet und vergeht, wenn er nicht stets von Neuem aufgefrischt wird. Und wenn Ihr sagtet, daß Ihr Eure Gegner verbannen wollt, so scheint mir das ganz wider die Vernunft und alles Maß in Anbetracht der Macht, die sie Euch selbst gegeben haben. Geschrieben steht, daß der verdiene, sein Vorrecht zu verlieren, der die Gewalt und Macht mißbraucht, so ihm verliehen ist. Und setzte ich den Fall, Ihr könntet diese Strafe ihnen durch das Recht und die Gesetze auferlegen, was ich bezweifle, so sag’ ich dennoch, Ihr dürft es nicht zur Ausführung gelangen lassen, weil dies zum Krieg zurückzukehren hieße, wie zuvor. Und wenn Ihr daher wollt, daß diese Leute Euch gehorchen sollen, so müßt Ihr höflicher entscheiden, das heißt, Ihr müßt ein leichtres Urtheil ihnen geben. Geschrieben steht: Dem, der am freundlichsten befehlen kann, wird man am Besten auch gehorchen. Und deßhalb bitt’ ich Euch, in diesem Fall der Noth und der Nothwendigkeit das eigne Herz zu überkommen. Denn Seneka sagt: Der, so sein Herz besiegt, ist zweimal Sieger. Und Tullius sagt: Nichts ist empfehlenswerther für den großen Herrn, als daß er sanft und güt’gen Herzens ist und sich mit Leichtigkeit beruhigen läßt. Und daher bitt’ ich, unterlaßt es jetzt, in dieser Weise Euch zu rächen, damit der gute Name Euch gewahrt und Euch erhalten bleibe und damit man Grund und Ursache habe, ob Eurer Güte und ob Eures Mitleids Euch zu preisen, und auch damit Ihr selber keinen Grund habt, das zu bereuen, was Ihr thut. Denn Seneka sagt: Es siegt in übler Art, wer nach dem Siege seinen Sieg bereut. Deßwegen bitt’ ich Euch, hegt in dem Herzen Mitleid zu diesem Zweck und Ende, damit Gott, der Allmächtige, mit Euch in seinem Schlußgerichte Mitleid habe. Denn St. Jakobus sagt in seinem Briefe: Es wird aber ein unbarmherzig Gericht über den gehen, der nicht Barmherzigkeit gethan hat.«

Als Melibeus diese trift’gen Gründe der Frau Prudentia hörte und ihre weisen Lehren und Ermahnungen, begann sein Herz dem Willen seines Weibes sich zu fügen, und in Betracht von ihrer treuen Absicht, bezwang er sich und stimmte willig ein, nach ihrem Rath zu handeln, und dankte Gott, von welchem alle Güte und alle Tugend kommt, daß er ihm ein so klug, verständig Weib gesandt. Und als der Tag kam, an welchem seine Gegner in seiner Gegenwart erscheinen sollten, sprach er zu ihnen freundlichst dieser Art: »Mag es auch sein, daß Ihr durch Euren Stolz und Eure Anmaßung und Thorheit und Unbedacht und Lässigkeit Euch übel aufgeführt und gegen mich Euch sehr vergangen habt, so macht mich Eure Demuth, die ich sehe, sowie die reuevolle Sorge über Eure Schuld dennoch geneigt zu Gnade und Erbarmen. Drum nehm’ ich Euch in meine Huld zurück, und ich verzeihe Euch die Kränkung und Schmähung und das Unrecht völlig, das Ihr den Meinen sowie mir gethan, zu diesem Zweck und Ende, damit uns Gott in seinem endlosen Erbarmen zur Zeit des Todes unsre Schuld vergebe, die wider ihn in dieser Welt voll Elend wir verübt. Denn, zweifelsohne, sind betrübt und reuevoll wir über unsre Schuld und unsre Sünden, die wir gethan vorm Angesicht des Herrn; ist er so edel und so gnadenvoll, daß er uns unsre Schuld vergiebt und uns zum Heile führt, das nimmer endet. Amen!«

Der Prolog des Mönches.

Vers 6575–6676.

Als ich mit Melibeus und der frommen

Prudentia nunmehr zum Schluß gekommen,

Sprach unser Wirth: »Mein Wort darauf, als Mann,

Und bei dem theuren corpus Madrian!

Mir wäre lieber, als ein Faß voll Bier,

Mein Weibchen hätte zugehört mit mir

Dem, was von Frau Prudentia Ihr erzählt,

Da ihr Geduld in jeder Hinsicht fehlt.«

Gott’s Knochen! wenn ich meine Knechte hau’,

Bringt mir die dicksten Knüttel meine Frau

Und schreit: »Gieb jedem Hunde seinen Theil,

Brich ihm den Hals, laß keinen Knochen heil!«

Und sollte von den Nachbarn Jemand wagen,

Ihr rücksichtslos den Vortritt zu versagen,

Und grüßt’ er sie gar in der Kirche nicht,

So springt zu Hause sie mir ins Gesicht

Und ruft: »Du feige Memme! räch’ Dein Weib!

Gieb mir Dein Messer! Bei des Herren Leib!

Nimm meine Kunkel hin und spinne Du!«

So setzt sie mir bis spät am Abend zu.

»Ach!« – ruft sie aus – »warum ward ich erschaffen

Für eine Memme, einen feigen Affen,

Der sich beschimpfen läßt von jedem Knecht,

Statt zu vertheid’gen seines Weibes Recht?«

Das ist mein Leben, das ich mit ihr führe.

Will ich nicht fechten, muß ich aus der Thüre

Mich drücken, sonst hab’ ich verspielt; es sei

Dann, ich wär’ tollkühn, wie ein wilder Leu.

Sie reizt mich, weiß ich sicher, noch zum Mord

Und eines Tages muß ich von hier fort.

Ein böses Messer führ’ ich in der Hand,

Obgleich ich ihr noch niemals widerstand.

Stark ist ihr Arm, und das wird Jeder finden,

Der wagen wollte, mit ihr anzubinden.

Doch sprechen wir nicht von der Sache weiter.

»Herr Mönch,« – sprach er – »seid aufgeräumt und heiter

Denn zu erzählen – auf mein Wort – habt Ihr!

Seht, Rochester ist nicht mehr weit von hier.

Vorwärts, mein Herr! verderbt uns nicht das Spiel!

Indeß, bei meiner Treue! mir entfiel

Ganz Euer Name. Heißt Ihr Dan Johann,

Heißt Ihr Dan Thomas oder Dan Alban?

Von welcher Art seid Ihr, aus welchem Haus?

Ihr seht, bei Gott, höchst frisch und blühend aus;

Auf einer noblen Weide müßt Ihr gehn,

Kein Geist und Büßer kann hier vor mir stehn!

Bei meiner Treu’! Ihr seid ein Officiant,

Ein Meßner oder Meister vom Proviant.

Bei meines Vaters Seele! grad heraus,

Ihr seid ein Meister und ein Herr zu Haus;

Nicht ein Novize, nicht ein Klosterbruder,

Nein, klug und weise führt Ihr selbst das Ruder.

Den Muskeln und den Knochen sieht man’s an,

Ihr seid ein wohl- und hochgestellter Mann,

Und in der Hölle schenke Gott ihm Lohn,

Der Euch zuerst beschwatzt zur Religion.

Zum Tretehahn scheint Ihr wie ausgewählt,

Wenn’s bei der Kraft an Angebot nicht fehlt.

Wär’t Ihr mit Lust dem Zeugungswerk ergeben,

Euch dankten viel Geschöpfe wohl das Leben.

Wie geht Ihr in der Kutte nur einher?

Ach, lieber Gott! wenn ich der Papst nur wär’,

So solltest Du, wie jeder Mann von Mark,

Sei ihm das Haupt beschoren noch so stark,

Ein Weibsbild freien. Denn wo bleibt die Welt,

Wenn alles Korn nur die Rel’gion erhält?

Wir armen Laien müssen Krüppel bleiben,

Da schwache Bäume schlechte Sprossen treiben.

Und daher kommt’s, daß unsre Kinder schwach

Und ohne Kraft sind für das Zeugungsfach.

Und deßhalb sind die Weiber immer hold

Der Geistlichkeit, die stets mit Venusgold

Zu zahlen pflegt, indeß wir Laien eben,

Gott weiß es, nichts als Luxenburger geben.

Doch hoff’ ich nicht, daß Euch mein Scherz mißfiel.

Es heißt ja: oft steckt Wahrheit in dem Spiel.«

Der würd’ge Mönch nahm Alles ruhig hin

Und sprach: »Soweit ich dazu fähig bin,

Will ich sehr gern an ehrbaren Geschichten

Euch eine, ja selbst zwei bis drei, berichten.

Und leiht Ihr mir ein aufmerksames Ohr,

Trag’ ich das Leben von St. Eduard vor;

Sonst mach’ ich mit Tragödien den Beginn,

Denn wohl ein hundert stecken mir im Sinn.«

Wie uns die alten Bücher unterrichten,

Bezeichnet als Tragödien man Geschichten

Von solchen Leuten, die vom höchsten Glück

Gefallen sind ins tiefste Mißgeschick,

Und in das Elend und den Tod getrieben.

Meist sind sie in Hexametern geschrieben,

Das heißt in Versen, die sechs Füße zählen;

Doch kann man auch ein andres Versmaß wählen

Und häufig wird auch Prosa angewandt.

Dies lasset Euch genügen vor der Hand;

Nun hört mir zu, sofern es Euch gefällt.

Doch eine Bitte sei zuvor gestellt:

Zähl’ ich nicht immer nach dem Zeitverlauf

Die Päpste, Kaiser oder Kön’ge auf,

Und sollte diesen ich zu früh, und jenen

Zu spät vielleicht dem Alter nach erwähnen,

Wie es mir eben einfällt, so verzeiht

Mir gütigst meine Ungelehrsamkett.

Die Erzählung des Mönches.

Vers 6677–7452.

Ich werde nach Tragödienart beklagen

Die Leiden derer, die aus hohem Stand

In Elend fielen, und der Last erlagen,

Nachdem auf Rettung jede Hoffnung schwand.

Hat sich Fortuna erst zur Flucht gewandt,

Kann ihrem Rad kein Mensch den Lauf verwehren.

Drum laßt von mir des Glückes Unbestand

Euch durch manch altes, treues Beispiel lehren.

Lucifer.

Von Lucifer sollt Ihr zunächst erfahren,

Obschon er Engel und kein Mensch gewesen.

Zwar lenkt Fortuna nicht die Himmelsschaaren,

Doch in die Hölle stürzte Lust zum Bösen

Für ew’ge Zeiten dies erhab’ne Wesen.

O, Lucifer, Du glänzendster von Allen,

Nun bist Du Satan. Nichts kann Dich erlösen

Vom Elend, welchem Du anheimgefallen.

Adam.

Seht Adam, der von Gott mit eignen Händen

Erschaffen ward einst auf Damaskus’ Flur

Und nicht erzeugt aus schmutz’gen Menschenlenden.

Der, abgesehn von einem Baume nur,

In Eden herrschte. Keine Creatur

Stand höher, bis ihn eigenes Verschulden

Vertrieb vom Gottesgarten der Natur,

Sich abzumühn und Höllenqual zu dulden.

Simson.

Betrachtet Simson, welcher ungeboren

Vom Engel schon der Welt verkündigt war,

Den Gott in seiner Allmacht auserkoren

Zu hohem Ruhm, so lang’ sein Augenpaar

Noch Licht besaß. Denn aus der Männer Schaar

Glich keiner ihm an Kraft und kühnem Wagen,

Bis daß er sein Geheimniß offenbar

Dem Weib gemacht, und dann sich selbst erschlagen.

Der edle Simson war’s, der starke Held,

Der einen Löwen mit der Hand bezwang

Und würgte, als er wehrlos übers Feld

Des Weges schritt auf seinem Hochzeitsgang.

Doch seines Räthsels Lösung ihm entrang

Durch Schmeichelei’n sein Weib, das ungetreue,

Verrieth ihn seinen Feinden, und zum Dank

Verließ sie ihn und freite dann aufs Neue.

Dreihundert Füchse hatt’ er eingefangen,

Die mit den Schwänzen er zusammenband,

Nachdem an jeden Fuchsschweif er gehangen

In seinem Jähzorn einen Feuerbrand.

Verheert ward jedes Kornfeld rings im Land

Und jeder Wein- und Oelberg durch die Meute,

Und mit dem Eselskinnbein in der Hand,

Als einz’ger Waffe, schlug er tausend Leute.

Von Durst gequält, als sie erschlagen waren,

Bat er zu Gott, erschöpft und todesbang,

Er möge ihn erretten und bewahren

Durch einen Trunk vor sicherm Untergang.

Und aus dem todten Eselskinnbein sprang

Sofort aus einem Backenzahn die Quelle.

So sandte Gott ihm den Erquickungstrank.

– Im Buch der Richter findet Ihr die Stelle.

Von Gazas Thoren riß er Nachts die Flügel,

Trotz aller Stadtphilister Widerstand,

Gewaltsam aus, und trug auf einen Hügel

Sie bis zur Spitze mit gewalt’ger Hand,

Damit sie Jeder sähe rings im Land.

O edler Simson, hätte, tapfrer Streiter,

Dir Dein Geheimniß nicht ein Weib entwandt,

So gliche Keiner Dir auf Erden weiter.

Die Vorschrift eines Engels hieß ihn meiden

Den Wein und Cider, und sich nimmerdar

Sein Haupt zu scheeren oder zu beschneiden.

Denn seine Stärke lag in seinem Haar.

In Israel regierte Jahr für Jahr

Er über zwanzig Winter Land und Leute.

Doch brachten ihn die Weiber in Gefahr,

Was unter manchen Thränen er bereute.

Denn als sein Kebsweib Delila kaum hörte,

Daß alle Kraft ihm durch sein Haar verliehn,

Verrieth ihn die durch Feindesgold Bethörte,

Und als er schlummernd lag auf ihren Knie’n,

Schnitt sie, um seine Kraft ihm zu entziehn,

Das Haar ihm ab, und übergab den Händen

Des Feindes den Geschwächten, welcher ihn

Mit Stricken band, um ihn sodann zu blenden.

So lang’ sein Haar er trug, war Keiner stärker.

Ihm konnten keine Banden widerstehn.

Nun aber sitzt gefangen er im Kerker,

Und muß gezwungen dort die Mühle drehn.

O, Richter, einst so hoch und angesehn,

O, edler Simson, stärkster Mann von Allen,

Wohl mögen in den blinden Augen stehn

Die Thränen Dir, denn tief bist Du gefallen!

Hört, wie sein Dasein elend er beschlossen!

Ein Fest ward von dem Feinde angestellt

Im reichgeschmückten Tempel, wo mit Possen

Der Aermste sie gezwungen unterhält.

Doch wurde bitter ihre Lust vergällt.

Denn um zwei Pfeiler schlingt er seine Hände.

– Sie stürzen, und der ganze Tempel fällt,

Und mit den Feinden fand auch er sein Ende.

Die Fürsten alle, will ich damit sagen,

Und noch Dreitausend wurden überher,

Beim Sturz des Tempels vom Gestein erschlagen.

Von Simson aber red’ ich nun nicht mehr.

Doch zeigt dies alte Beispiel Euch, wie sehr

Es Noth thut, nicht vor Weibern auszuprahlen,

Was man geheim zu halten wünscht; denn schwer

Muß man es sonst mit Leib und Leben zahlen.

Herkules.

Von Herkules’, des Weltbezwingers, Ruhme

Zeugt manches Werk, das seiner Hand geglückt.

An Manneskraft war er der Vorzeit Blume.

Er schlug den Löwen, dessen Haut ihn schmückt,

Hat der Centauren Uebermuth erdrückt,

Die grausigen Harpyen überwunden,

Des Drachen goldne Aepfel abgepflückt,

Und Cerberus den Höllenhund gebunden.

Busiris, den Tyrannen, schlug er nieder,

Und gab den Rossen sein Gebein zum Schmaus.

Er schlug die gift’ge, feuerspei’nde Hyder,

Und brach ein Horn dem Acheloos aus,

Den Cacus hat in seinem Felsenhaus,

Antäus hat, den Riesen, er erschlagen,

Dem grimmen Eber gab er den Garaus,

Und hat des Himmels schwere Last getragen.

Es lebte Keiner seit der Welt Beginne,

Der so viel Ungeheuer überwand.

Es war der Ruf von seinem Biedersinne

Und seiner Stärke weit und breit bekannt.

Von ihm durchzogen wurde jedes Land.

Es war an Kraft ihm Niemand zu vergleichen.

Je einen Pfeiler pflanzt’ er an dem Rand

Der Erde auf als Grenz- und Ruhmeszeichen.

Als Kebsweib lebte mit dem edlen Helden

Die Dejanira, eine junge Maid,

Frisch wie der Mai, und gab, wie Schreiber melden,

Ihm einst ein neues, buntgeschecktes Kleid.

Doch war in Gift von solcher Wirksamkeit

Das Hemd getränkt – o Jammer und Entsetzen! –

Daß ihm schon nach zwölf Stunden Tragezeit

Das Fleisch von seinen Knochen fiel in Fetzen.

Zwar manche Schreiber auch der Ansicht huld’gen,

Daß Nessus ihm das gift’ge Hemd gesandt,

Nun, das mag sein. – Ich will sie nicht beschuld’gen.

Er trug auf nacktem Leibe das Gewand,

Bis schwarz vom Gift ihm alles Fleisch gebrannt;

Und hoffnungslos, das Uebel abzuwenden,

Begrub er sich in glüh’nder Kohlen Brand,

Um nicht durch Gift unehrenvoll zu enden.

So ist der edle Herkules gestorben.

Sieh’, wer vertraut dem Glück noch fernerweit?

Wie oft fällt der, den alle Welt umworben,

Bevor er’s denkt, in tiefste Niedrigkeit.

In Selbsterkenntniß liegt die Männlichkeit!

Laßt vor dem schmeichlerischen Glück Euch warnen;

Es wartet nur auf die Gelegenheit,

Die Menschen unvermuthet zu umgarnen.

Nebukadnezar.

Des Königes Nebukadnezars Macht,

Der Schätze unermeßlichen Bestand,

Des Scepters Ruhm, des Thrones Glanz und Pracht,

Macht keine Zunge je getreu bekannt.

Zweimal hat er Jerusalem berannt,

Und das Geräth des Tempelheiligthumes

Geplündert und nach Babylon gesandt,

Der auserwählten Hauptstadt seines Ruhmes.

Die schönsten Fürstenkinder Israels wählte

Zu Sclaven er, nachdem beschnitten war

Zuvor ein jeder Knabe; und es zählte

Auch unter Andern Daniel zu der Schaar,

Der Weiseste von Allen, welcher klar

Auslegen konnte, wie geschickt erläutern

Den Traum des Königs, was mißlungen war

Bislang Chaldäas ersten Zeichendeutern.

Ein Standbild ließ der stolze König gießen

Aus reinem Golde, sechzig Ellen lang

Und sieben breit, das ehrfurchtsvoll zu grüßen

Er Alt und Jung im ganzen Lande zwang.

Wer nicht gehorchte, fand den Untergang

In einem Flammenofen. Doch entschlossen,

Sich nimmerdar zu beugen solchem Zwang,

Blieb Daniel mit seinen zwei Genossen.

Der stolze Fürstenkönig schien zu glauben,

Es könne Gottes Allmacht nimmermehr

Ihn seiner Würde und Gewalt berauben.

Doch plötzlich traf des Himmels Hand ihn schwer.

Ihm schien, daß er zum Thier geworden wär’;

Und lange Zeit von diesem Wahn besessen,

Lief mit dem Vieh im Regen er umher,

Um wie ein Ochse Gras und Heu zu fressen.

Zu Adlersfedern wuchsen seine Haare,

Zu Vögelklau’n die Nägel seiner Hand.

Doch ward ihm gnädig im Verlauf der Jahre

Zurückgeschenkt vom Himmel der Verstand.

Er dankte Gott, von Thränen übermannt;

Und mied fortan des Lasters Sündenpfade.

Und noch bevor er Ruh’ im Grabe fand,

Erkannt’ er, Gott sei voller Macht und Gnade.

Belsazar.

Sein Erbe Belsazar bestieg den Thron,

Nachdem des Vaters Lebenstag geendet.

Jedoch sein Schicksal warnte nicht den Sohn.

Er war durch Stolz und Uebermuth verblendet,

Ja, Götzen selbst hat Opfer er gespendet;

Es wuchs sein Hochmuth stets mit seinem Glücke.

Doch als sich dieses von ihm abgewendet,

Fiel plötzlich auch sein ganzes Reich in Stücke.

Zu einem Feste lud er aus dem ganzen

Gebiet des Reiches einst den Adel ein;

Und ihn zu ehren, rief er seine Schranzen

Und sprach: »Sogleich bringt das Gefäß herein,

Das mein erhabner Vater aus dem Schrein

Des Tempels in Jerusalem genommen,

Den hohen Göttern unsern Dank zu weihn,

Daß uns der Ahnen Ehren überkommen!«

Begierig tranken aus den edlen Krügen

Sein Weib, die Concubinen und die Schaar

Der Edelleute Wein in vollen Zügen;

Doch auf zur Mauer starrte Belsazar,

Und vor Entsetzen sträubte sich sein Haar;

Denn eine Hand fuhr eilig hin und wieder

Und schrieb, obwohl kein Arm zu sehen war,

Die Worte: »Mene tekel phares« nieder.

Von keinem Magier ward im ganzen Lande

Der Sinn von diesen Worten klar gemacht.

Allein nur Daniel war dazu im Stande,

Und sprach: »O, Fürst! Dein Vater war mit Macht,

Mit Ehre, Ruhm und Schätzen reich bedacht;

Doch als er Gott in seinem Stolz vergessen,

Hat ihn der Herr in schweres Leid gebracht,

Und seines Reichs beraubt, das er besessen.«

»Von menschlicher Gesellschaft ausgeschlossen,

Durchlief in Wind und Wetter er die Flur,

Fraß Heu, und Esel hatt’ er zu Genossen,

Bis er durch Gnade, durch Vernunft erfuhr,

Daß Gott im Himmel jede Creatur

Und jedes Reich nach seinem Willen lenkt.

Worauf ihm Macht und menschliche Natur

In seinem Mitleid Gott zurückgeschenkt.«

»Auch Du, sein Sohn, hast Dich, durch Stolz verblendet,

Obschon Dir alle diese Dinge klar,

Von Deinem Gott als ein Rebell gewendet.

Du wagtest frech und jeder Sitte bar,

Mit Deinen Weibern, Deiner Dirnen Schaar

Aus diesen heil’gen Bechern Wein zu trinken,

Du brachtest Götzen Frevelopfer dar,

Und wirst dafür ins tiefste Elend sinken.«

»O, glaube mir, die Hand, die aufgeschrieben

Ihr ›Mene tekel phares‹ an die Wand,

Hat Gott geschickt. Es wird Dein Reich zerstieben.

Dein Thron ist hin. Du bist zu leicht erkannt.

An Meder und an Perser fällt Dein Land!«

Er sprach’s. – Der König aber ward erschlagen

In selber Nacht. Worauf Darius’ Hand

Dann seinen Scepter wider Recht getragen.

Seht, edle Herren, dieses Beispiel lehret,

Es biete Herrschaft keine Sicherheit.

Wenn Euch Fortuna ihren Rücken kehret,

Verschwinden Reichthum, Macht und Herrlichkeit,

Ja, Freunde macht zu Feinden selbst das Leid.

Rasch weiß das Unglück – scheint mir – zu vertreiben

So Groß wie Klein; und wahr wird alle Zeit

Dies alte weitbekannte Sprüchwort bleiben.

Zenobia.

Zenobia, Palmyras Königin,

Ward von den Persern rühmend stets besungen.

In Hinsicht auf Geburt und Edelsinn

Hat ihr die Palme nie ein Mensch entrungen.

Sie war aus Persiens Königsblut entsprungen.

Kaum schön zu nennen war sie, doch voll Kraft

Hat sie die Waffen mit Geschick geschwungen,

Und von Gestalt war sie untadelhaft.

Ihr galt – erzählt man – seit der Kindheit Tagen

Der Weiber Thun und Schaffen für gering.

Den Wald durchzog sie, um den Hirsch zu jagen,

Und wenn das Wild dem scharfen Pfeil entging,

Erhaschte sie’s im raschen Laufe flink.

Herangewachsen, bändigte sie Tiger

Und Bären, ja selbst Löwen, die sie fing,

Und blieb in jedem Kampf mit ihnen Sieger.

Sie pflegte Nachts die Berge zu durchstreifen,

Im Busch zu schlafen und mit kühner Hand

Das Raubthier in der Höhle zu ergreifen.

Von ihr ward jeder Jüngling übermannt,

Der ihr im Kampfe gegenüber stand.

Ihr Arm warf selbst die stärksten Männer nieder;

Das Mädchenthum hat Keiner ihr entwandt,

Denn sich zu binden, war ihr stets zuwider.

Doch wählte schließlich auf der Freunde Rath

Sie zum Gemahl nach langem Widerstreben

Den edlen Landesfürsten Odenat.

Und Ihr müßt wissen, ganz wie sie war eben

Auch er dem Kampfe und der Jagd ergeben.

Indessen war, wenn auch in Furcht und Scheu

Sie sich verbanden, reich beglückt ihr Leben

Und beiderseitig voller Lieb’ und Treu.

Nur eine Sache macht’ ihn sehr verdrossen,

Daß sie ihm nur, damit die Welt vermehrt

Durch die Geburt von einem Leibessprossen,

Mit ihr den Beischlaf zu vollziehn, gewährt.

Ward ihr indessen keine Frucht bescheert

Durch diesen Act, so ließ sie ihn vollbringen

Zum zweiten Male, was sein Herz begehrt;

Doch nie dazu aus Furcht vor ihm sich zwingen.

Sobald ein Kind hingegen sie empfangen,

War auch vorbei das Liebesspiel für ihn,

Und erst, wenn vierzig Tage hingegangen,

Ließ sie noch einmal ihn den Act vollziehn.

Wie sehr er bat, wie aufgebracht er schien,

Es half ihm nichts. Sie pflegte nur zu sagen,

Daß es ein Schimpf sei, sich zu unterziehn

Dem Zeugungswerk aus Lust und Wohlbehagen.

Zwei Söhne waren Früchte der Vermählung,

Die sie erzog zu Tugend und Verstand.

Doch um zurückzukehren zur Erzählung,

Muß ich Euch sagen, daß in keinem Land

Der Erde man ein Wesen jemals fand,

So würdig, weise, maßvoll von Betragen,

Die Muth mit feiner Sitte so verband,

Und die so tapfer sich im Kampf geschlagen.

Ich könnte nie genügend Euch erzählen

Von aller Kleider und Geräthe Pracht.

Sie schmückte sich mit Gold und mit Juwelen,

Und hatte trotz der Leidenschaft zur Jagd

Zu eigen manche Sprache sich gemacht,

Und mit dem Lesen guter Bücher gerne

Die Stunden ihrer Muße hingebracht,

Damit sie, tugendhaft zu leben, lerne.

Doch um die Sache nicht zu breit zu treten:

Erobert hatte dieses tapfre Paar

Manch großes Reich mit manchen schönen Städten

Im Orient, wo Romas stolzem Aar

Die ganze Gegend unterthänig war;

Und hielten fest mit starker Hand die Beute,

Und nie verjagte sie der Feinde Schaar,

So lang’ des Lebens Odenat sich freute.

Wer lesen will, wie König Sapors Macht

Und andrer Fürsten Heere sie geschlagen,

Aus welchen Gründen sie den Krieg gemacht,

Und was sich Alles darin zugetragen,

Wie sie, besiegt, in spätern Lebenstagen

Gefangenschaft und Ungemach ertrug,

Dem rath’ ich an, Petrarka zu befragen,

Denn, auf mein Wort! er schreibt davon genug.

Selbst nach dem Tod von Odenat hielt kräftig

Sie der Regierung Zügel in der Hand.

Mit ihren Feinden kämpfte sie so heftig,

Daß jeder Fürst und König rings im Land

Sich freute, wenn er Gnade vor ihr fand,

Ja, lieber, als den Krieg mit ihr zu wagen,

Des Friedens halber sich mit ihr verband,

Und ungestört sie reiten ließ und jagen.

Galien sogar, und später Claudius,

Die nacheinander Romas Kaiser waren,

Besaßen nicht den Muth und den Entschluß,

Sich auszusetzen solchen Kriegsgefahren.

Es mieden Syriens und Aegyptens Schaaren,

Armenier und Araber jede Schlacht

Aus Furcht, daß sie von ihrem Heer zu Paaren

Getrieben würden oder umgebracht.

Die Söhne prangten stolz im Königskleide

Als Erben von des Vaters weitem Land.

Als Heremann und Timolos sind beide

Dem ganzen Volk der Perser wohl bekannt.

Doch Galle mischt dem Honig stets die Hand

Fortunas bei, und wie das Glück sich wendet,

Erfuhr die mächt’ge Fürstin, die – verbannt

Aus ihrem Reich – in Noth und Schmach geendet.

Denn als des Aurelianus starke Hand

Die Kaiserkrone Roms davon getragen,

Beschloß er gleich, von Rachedurst entbrannt,

Mit den Legionen einen Krieg zu wagen.

Und hat Zenobia – um es kurz zu sagen –

Besiegt, gefangen, und ihr Reich verheert;

Ließ mit den Söhnen sie in Fesseln schlagen,

Worauf nach Rom er dann zurückgekehrt.

Ihr goldner mit Gestein verzierter Wagen

Ward von dem großen Römer Aurelian

Mit andrer Beute, die davon getragen,

Zur Schau gestellt in Rom für Jedermann.

Sie aber schritt, als der Triumph begann,

Im Kronenschmuck von ihrer Königswürde

Und steinbesetztem Prachtgewand voran,

Den Hals beschwert durch goldner Ketten Bürde.

Fortuna, ach! – Sie, die in ihrer Kraft

So Könige wie Kaiser einst bezwungen,

Wird jetzt – o, Schmach! von allem Volk begafft.

Sie, die behelmt im Schlachtenbraus gerungen,

Der mancher Sturm auf Thurm und Stadt gelungen,

Trägt jetzt der Knechtschaft grobes Kopfgewand;

Sie, die den blüh’nden Scepter einst geschwungen,

Spinnt jetzt ums Brod, die Kunkel in der Hand.

Peter von Spanien.

Mit Recht beklagt man Deinen Jammertod

Hispaniens Stolz, o, edler, würd’ger Peter,

Dem Ehren einst Fortuna reichlich bot.

Dein Bruder trieb Dich aus dem Land, und später

Verlockte hinterlistig durch Verräther

Er Dich aus Deiner Festung in sein Zelt,

Wo Dir mit eigner Hand der Missethäter

Das Leben nahm, die Herrschaft und das Geld.

Im weißen Felde klebt ein schwarzer Aar

An einem feuerrothen Leimstock feste,

Von dem die schnöde That ersonnen war;

Und ausgebrütet ward’s im schlimmen Neste.

Nicht Karls Ol’vier thats, der ehrenfeste,

Nein, Olivier aus dem Bretagnerland;

Ein Ganelon, den man durch Geld erpreßte,

Bot zum Ruin des Königs seine Hand.

Pedro, König von Cypern.

O edler Pedro, Cyperns Königsheld,

Der tapfer Alexandrien bezwungen,

Du Züchtiger der ganzen Heidenwelt,

Vasallen haben Dich, von Neid durchdrungen,

Weil Du Dir hohen Ritterruhm errungen,

In Deinem Bette Morgens umgebracht.

So wird Fortunas Rad herumgeschwungen;

Und heute weint, wer gestern noch gelacht.

Barnabo Visconti.

Vom großen Barnabo Visconti sei,

Dem Herrscher Mailands, Euch Bericht gegeben.

Du Gott der Lust, Du Fluch der Lombardei!

Wer wagte je, so hoch empor zu streben?

Der Sohn des eignen Bruders, der daneben

Als Schwiegersohn Dir doppelt anverwandt,

Nahm Dir in Deiner Kerkerhaft das Leben;

Wie und weßwegen blieb mir unbekannt.

Hugolin von Pisa.

Kaum melden kann mein Mund vor Leid und Wehe

Graf Hugolin von Pisas Höllenpein.

Es steht ein Thurm in Pisas nächster Nähe;

Dort sperrte man ihn als Gefangnen ein,

Mitsammt drei Kindern, noch so zart und klein,

Daß kaum das älteste fünf Jahre zählte.

Ach, Schicksal, das für solche Vögelein

Solch einen Ort zum Käfig auserwählte.

Er war verdammt, in seiner Haft zu sterben,

Denn Roger, Pisas Bischof, war bedacht,

Ihn unter falschem Vorwand zu verderben;

Weßhalb das Volk zum Aufstand er entfacht.

So ward er zum Gefangenen gemacht,

Wie ich bereits Euch vorhin kund gegeben;

Zwar wurde Trank und Nahrung ihm gebracht,

Doch arm und schlecht und kaum genug zum Leben.

Als einst die Stunde kam, in der zuvor

Ihm stets sein Mahl der Wärter zugetragen

Vernahm er, daß verschlossen ward das Thor.

Er schwieg – indeß sein Herz begann zu zagen,

Und konnte sich der Ahnung nicht entschlagen,

Daß er bestimmt zum Hungertode sei.

»Weh’! daß mich meiner Mutter Schoß getragen!«

– Rief er, und weinte bitterlich dabei.

Sein jüngster Knabe von drei Jahren sprach:

»Sag’ Vater, warum Deine Thränen fließen?

Bringt nicht der Wärter uns die Suppe? Ach!

Soll ich kein einzig Stückchen Brod genießen?

Ich kann vor Hunger nicht die Augen schließen.

Gern schlief’ auf ewig, lieber Gott, ich ein,

Damit die Schmerzen mich in Ruhe ließen;

Jedoch das Liebste würde Brod mir sein.«

So klagte Tag für Tag das Kind sein Leiden,

Bis es im Schoß des Vaters niedersank.

»Leb’ wohl, mein Vater!« – rief es – »ich muß scheiden!«

Und starb, indem es küssend ihn umschlang.

Der Vater sah’s, und biß im Schmerzensdrang

Sich vor Verzweiflung in die beiden Arme.

»O, weh’ mir!« – rief er – »Deines Rades Gang,

O, falsches Glück, ist Schuld an meinem Harme!«

Die Kinder wähnten, daß er Hunger leide,

Als er vor Jammer in den Arm sich biß.

»Ach, Vater, unterlass’ es!« – riefen beide –

»Nimm von uns Zweien doch das Fleisch und iß

Dich satt daran; denn Dir gehört’s gewiß;

Du gabst es uns!« – so baten sie und riefen,

Bis nach zwei Tagen sie der Tod entriß

Vom Schoß des Vaters, wo sie sanft entschliefen.

Und in Verzweiflung mußte Hungers sterben

Auch Pisas mächt’ger Graf nach kurzer Zeit.

Fortuna riß vom Glanz ihn ins Verderben.

Hier endet die Tragödie. Aber seid

Ihr, mehr zu hören, willig und bereit,

Mögt Ihr Italiens großen Dichter fragen,

Der Dante heißt. – Er kann Euch weit und breit

Von Punkt zu Punkt darüber Alles sagen.

Nero.

Ist Nero auch so lasterhaft gewesen

Wie je ein Teufel in der Hölle Schlund,

War dennoch – wie im Sueton wir lesen –

Ihm unterthan in Osten, Westen und

In Nord und Süd das weite Weltenrund.

Er liebte sehr, mit Schmuckwerk sich zu zieren,

Und seine Kleider glänzten reich und bunt

Von Perlen und Rubinen und Saphiren.

An Stolz und Pracht und üppigem Behagen

Glich ihm kein Kaiser je zuvor im Land.

Wenn er sein Kleid nur einen Tag getragen,

Ward abgethan für immer das Gewand.

Er fischte, wenn er Lust dazu empfand,

Im Tiberstrom mit vielen goldnen Netzen;

Ihm war Fortuna freundlich zugewandt,

Und seine Launen macht’ er zu Gesetzen.

Einst hieb die Senatoren er zusammen,

Sich zu belust’gen an dem Wehgeschrei;

Er setzte Rom aus Uebermuth in Flammen,

Erschlug den Bruder, lag der Schwester bei.

Von jedem Band der Kindesehrfurcht frei,

Schnitt dieses Scheusal – Wehe über Wehe! –

Sogar der eignen Mutter Leib entzwei,

Daß er den Ort, der ihn empfangen, sähe.

Er weinte bei dem Anblick keine Zähren.

»Sie war ein schönes Weib!« – sprach er allein

Wie konnte – läßt dies Räthsel sich erklären? –

Er Richter ihrer todten Reize sein?

Und als er dies vollbracht, verlangt’ er Wein

Und trank ihn aus mit ruhigem Gebahren.

Ach! tief frißt sich das Gift des Lasters ein,

Wenn Herrschermacht und Grausamkeit sich paaren.

Des Kaisers Lehrer, der ihn in der Jugend

Zur Wissenschaft und Höflichkeit erzog,

Galt als die Blume der Moral und Tugend

In jener Zeit – sofern mein Buch nicht log. –

So lang’ des Lehrers Einfluß überwog,

Schien er verständnißvoll und wohlgerathen,

Doch wuchs in ihm, je mehr die Zeit verflog,

Der Hang zur Herrschsucht und zu Missethaten.

Vor diesem Seneka, von dem wir sprechen,

In steter Furcht der Kaiser Nero stand,

Verständig strafte Laster er und Schwächen

Durch ernste Worte statt mit grober Hand.

»Ein Kaiser« – sprach er – »soll stets unverwandt

Nach Tugend streben und Gewalt vermeiden.«

Doch für dies Wort ließ Nero wuthentbrannt,

In einem Bad die Adern ihm durchschneiden.

Daß er vor seinem Meister mit Verehrung

In seiner Jugendzeit das Haupt gesenkt,

Erschien ihm späterhin als Selbstentehrung,

Weßhalb den Tod er über ihn verhängt.

Doch Seneka, dem freie Wahl geschenkt,

Zog vor, das Bad mit seinem Blut zu röthen,

Daß andre Qualen von ihm abgelenkt.

Seht, so ließ Nero seinen Lehrer tödten!

Indeß, Fortuna selber ward verdrießlich,

Als Neros Hochmuth immer wuchs und schwoll.

Zwar war er stark, doch sie blieb stärker schließlich,

Und dachte so: Bei Gott! nicht länger soll

Ein solcher Mann, der aller Laster voll,

Die Krone tragen, oder Kaiser heißen.

Bei Gott! ganz unerwartet soll mein Groll

Ihn treffen und von seinem Throne reißen.

Zur Nacht empörte wider seine Laster

Sich einst das Volk. Jedoch zu rechter Zeit

Schlich aus der Thüre heimlich sich in Hast er

Und suchte bei Bekannten Sicherheit,

Doch wo er immer klopft und fleht und schreit,

Man riegelte die Thüre fest von innen;

Ihn aufzunehmen war kein Mensch bereit;

Das sah er ein, und zog enttäuscht von hinnen.

Und lärmend zog des Pöbels Schaar heran;

Und ihm zu Ohren diese Worte drangen:

»Wo ist der falsche Nero, der Tyrann!?«

Vor Furcht war die Besinnung ihm vergangen

Und zu den Göttern fleht er voller Bangen

Um Hülfe – aber keine Rettung kam;

So daß zuletzt, von Todesfurcht umfangen,

Er ein Versteck im nächsten Garten nahm.

Er fand, sobald den Garten er betrat,

Zwei Männer, die dort um ein Feuer lagen,

Das lodernd flammte, und die beiden bat

Er flehentlich, sein Haupt ihm abzuschlagen

Und zu verbergen, um nicht zu ertragen,

Daß seine Leiche zum Gespött gemacht,

Doch mußte schließlich er sich selbst erschlagen;

Wozu Fortuna schadenfroh gelacht.

Holofernes.

Nie hat ein Feldherr königlicher Heere

So viele große Länder unterjocht;

Nie war ein Mann, der auf dem Feld der Ehre

Mit solcher Kraft in jenen Zeiten focht,

Der prahlerischer je auf Ruhm gepocht,

Als Holofernes, den mit Wollustschlingen

Fortuna anfangs schmeichlerisch umflocht,

Um ihn dann plötzlich um den Hals zu bringen.

Gefürchtet war er rings in allen Ländern;

Die Völker büßten Gut und Freiheit ein.

Er zwang sie, ihren Glauben abzuändern,

Ihr Gott – befahl er – solle nur allein

Für alle Zeit Nebukadnezar sein.

Es konnte seinem Willen widerstehen

Bethuliens starke Veste nur allein,

Wo Eliachim das Priesteramt versehen.

Dies aber war des Holofernes Ende:

Im Lager schlief er, weinberauscht zur Nacht

In seinem großen Zelte, als behende

Sich Judith einschlich, die trotz seiner Macht

Und seines Pomps im Schlaf ihn umgebracht

Und dann, nachdem sein Haupt sie abgeschlagen,

Sich ungesehen aus dem Staub gemacht,

Um seinen Kopf in ihre Stadt zu tragen.

Antiochus.

Was soll ich von der Pracht und Majestät

Des Königes Antiochus Euch sagen?

Wie er, hat Niemand sich vor Stolz gebläht,

Noch jemals sich so lasterhaft betragen.

Ihr mögt das Makkabäerbuch befragen.

Dort stehn die stolzen Worte, die er sprach.

Dort seht Ihr, wie er vom Geschick geschlagen

Auf einem Hügel starb in Noth und Schmach.

Er pflegte stolz sich auf sein Glück zu steifen,

Und glaubte schier in seinem Uebermuth,

Er könne mit der Hand die Sterne greifen,

Die Berge wiegen, und des Meeres Fluth

Beherrschen – und beschloß aus Haß und Wuth

Das Volk Jehovas gänzlich zu vernichten.

Er ließ es grausam martern bis aufs Blut,

Und wähnte stolz, ihn könne Gott nicht richten.

Doch als Timotheus und Nikanor

Der Macht des Judenvolkes unterlagen,

Erschwoll sein Haß gewalt’ger, denn zuvor.

Und eiligst ließ er schmieren seinen Wagen,

Um spornstreichs nach Jerusalem zu jagen;

Und fluchte höchst verächtlich und er schalt,

Sie sollten schwer an seinem Zorne tragen.

Indeß zu Schanden ward sein Vorsatz bald.

Zur Strafe für sein Drohen schlug ihn kläglich

Mit unheilvollen Wunden Gottes Hand.

In seinem Innern ward ganz unerträglich

Ihm das Gedärm zerrissen und verbrannt,

So daß er die gerechte Strafe fand

Für Qualen, die er Andern auferlegte.

Doch trotz der Schmerzen blieb er unverwandt

Bei dem verruchten Vorsatz, den er hegte.

Auf sein Geheiß stand bald sein Heer gerüstet;

Doch unerwartet ward ein Ziel gesetzt

All seinem Stolz, mit dem er sich gebrüstet.

Vom Wagen stürzend, ward er schwer verletzt,

Sein Leib zerschmettert, seine Haut zerfetzt.

Zum Gehen weder fähig noch zum Reiten,

Trug ihn in einer Sänfte man zuletzt

Mit wundem Rücken und gebrochnen Seiten.

Denn Gottes Zorn schlug ihn mit schwerer Plage.

Von eklen Würmern ward sein Leib verzehrt,

In Folge dessen er bei Nacht und Tage

So gräßlich stank, daß vom Geruch beschwert,

Die Dienerschaft den Rücken ihm gekehrt,

Die voller Abscheu dem Gestank entrannte,

So daß er endlich, durch sein Leid belehrt,

Die Allmacht Gottes weinend anerkannte.

Dem ganzen Heer und auch ihm selbst zumal

Ward unerträglich der Gestank der Wunden;

Unmöglich war’s, trotz seiner Höllenqual,

Noch einen Träger für ihn auszukunden.

Auf einem Berge hat den Tod gefunden

Der Räuber und der Mörder, dessen Hand

Die Menschheit so gemartert und geschunden.

Das war die Strafe, die sein Hochmuth fand.

Alexander.

Schon oft erzählt ist Alexanders Leben.

Bald mehr, bald weniger davon bekannt

Ist jedem Manne, dem Verstand gegeben.

Das Facit bleibt, daß er mit starker Hand

Den ganzen Weltkreis rühmlich überwand,

Daß er der Menschheit Stolz zu Boden drückte,

Wohin er kam, bis zu der Erde Rand,

Und Friedensboten jedes Volk ihm schickte.

Mit ihm verglichen werden kann kein Held

Und kein Erobrer, den es je gegeben.

Aus Furcht vor ihm erbebte rings die Welt.

Frei war sein Sinn und ritterlich sein Leben.

Und Ehre gab als Erbtheil ihm daneben

Fortunas Gunst. Nichts hemmte, als die Lust

Zu Wein und Weibern, je sein kühnes Streben,

Und Löwenmuth beseelte seine Brust.

Was nützt es seinem Ruhme, Euch zu melden,

Wie er Darius überwand und schlug,

Wie Kön’ge, Fürsten, Herzoge und Helden

Zu Hunderttausend er ins Elend jug.

So weit ein Roß je einen Reiter trug,

War sein die Welt. Was bleibt hinzuzufügen?

Nie schrieb’ ich und erzählte nie genug

Von seinen Thaten, seinen Ritterzügen.

Zwölf Jahre lang saß er auf seinem Thron,

Und war – wie uns schon Makkabäus lehrte –

Des ersten Griechenkönigs Philipp Sohn.

O, edler Alexander, Dir bescheerte

Ein schlimmes Loos Fortuna; denn sie kehrte

Zur Eins des Würfels Sechs, und ihr entfloß

Nicht eine Thräne, als Dich Gift verzehrte,

Das Freundeshand in Deinen Becher goß.

Wer aber leiht mir Thränen, diesen Fall

Von Edelmuth und Freisinn zu beklagen?

Ihm unterthänig war das Weltenall;

Doch schien, beseelt von Muth und kühnem Wagen,

Er mit noch höhern Plänen sich zu tragen.

Indeß, was soll ich von dem Unbestand

Des Glückes und vom Gifte weiter sagen,

Als daß den Tod durch Beider Schuld er fand.

Julius Cäsar.

Durch Klugheit, Muth und unverdross’nes Streben

Verstand zur Majestät aus niederm Stand

Sich Julius, der Erobrer, zu erheben,

Der durch Verträge, wie mit starker Hand

Den ganzen Occident zu Meer und Land

Gezwungen hat, Tribut an Rom zu zollen,

Und welchen Rom als Herrscher anerkannt,

Bis daß Fortuna anfing ihm zu grollen.

Pompejus, Deinem Schwiegervater, standest

Du gegenüber in Thessaliens Feld,

O, mächt’ger Cäsar, und Du überwandest

Die Ritter, welche jeder Gau gestellt,

Soweit der Tag den fernsten Ost erhellt.

Mit einem Häuflein Krieger war entronnen

Pompejus zwar, doch war des Orients Welt,

Dank Deinem Glück, durch diese Schlacht gewonnen.

Pompejus, Roms Beherrscher, zu beweinen,

Sei eine kleine Weile mir erlaubt.

Verrätherisch hat einer von den Seinen

Ihn seines Lebens auf der Flucht beraubt.

Wodurch er Julius zu erfreu’n geglaubt,

Dem er das Haupt des Feindes eingehändigt.

Pompejus, Du des Orients Oberhaupt,

Hast schmählich, ach! in dieser Art geendigt.

Als triumphirend darauf Julius

In Rom, bekrönt mit Lorbeern eingezogen,

Geschah’s nach ein’ger Zeit, daß Cassius

Und Brutus, die, durch Neid dazu bewogen,

Längst im Geheimen Rachepläne pflogen,

Sich wider ihn verschworen, und den Ort,

Wo sie die Dolche wider ihn gezogen

Zum Todesstreiche, nenn’ ich Euch sofort.

Als nämlich Julius, wie sein Brauch es war,

Zum Capitolium eines Tags gegangen,

Ward er vom falschen Brutus und der Schaar

Von seinen andern Feinden dort empfangen,

Die alsobald die Dolche auf ihn schwangen.

Er fiel, durch manche Wunde bald entseelt.

Doch nur ein Dolchstich oder zwei entrangen

Ihm einen Seufzer – wie mein Buch erzählt.

So voller Mannesmuth und so beherzt

War Julius und so sittlich von Betragen,

Daß er, wie auch die Todeswunde schmerzt,

Den Mantel um die Hüften noch geschlagen,

Um nicht zur Schau die Heimlichkeit zu tragen.

In Ohnmacht liegend, rang er mit dem Tod;

Doch selbst im Sterben wollt’ er nicht entsagen

Der kleinsten Pflicht, die Sittsamkeit gebot.

Zur weitern Einsicht kann ich Euch empfehlen:

Lucanus, Valerian und Sueton,

Die Wort für Wort Euch klar genug erzählen,

Wie diese zwei Bewerber um den Thron

Das Glück verzog und dann verließ mit Hohn.

Wie kurze Zeit Fortunas Launen währen,

Wie wenig ihr zu trauen ist, kann schon

Euch das Geschick der Welterobrer lehren.

Krösus.

Des weisen Lyderkönigs Krösus Macht

Erfüllte Cyrus selbst mit Furcht und Zagen;

Doch wurde bald sein Stolz zu Fall gebracht:

Gefangen, ward zum Holzstoß er getragen.

Doch sieh, das Feuer ward rasch ausgeschlagen

Durch Regenströme, so daß er entkam.

Fortuna aber sann auf neue Plagen,

Bis daß am Galgen er sein Ende nahm.

Denn kaum entronnen, war sein ganzes Sinnen

Dem Kriege gleich aufs Neue zugewandt.

Er dachte: ließ Fortuna ihn entrinnen,

Als ihre Gunst den Regen ihm gesandt,

Sei, ihn zu tödten, auch kein Feind im Stand.

Und durch ein Traumbild, das ihn Nachts umschwebte,

Gewann sein Stolz so sehr die Oberhand,

Daß er fortan stets Rachepläne webte.

Auf einem Baume saß er, wie ihm deuchte,

Wo Jupiter ihm Rücken wusch und Schoß,

Und Phöbus ihm ein schönes Handtuch reichte,

Sich abzutrocknen – und sein Stolz war groß.

Und über das ihm zugedachte Loos

Ließ er von seiner Tochter sich belehren,

Und da ihr offen lag der Zukunft Schoß,

Begann den Traum sie also zu erklären:

»Der Baum« – so sprach sie – »stellt den Galgen dar,

Und Jupiter bedeutet Schnee und Regen,

Und Phöbus’ weißes Handtuch ist ganz klar

Als Strahlenschein der Sonne auszulegen:

Dem Galgen gehst, mein Vater, Du entgegen;

Dich wäscht der Regen, trocknet Sonnenbrand.«

So wußte klar sein Schicksal zu erwägen

Die Tochter, welche Phania genannt.

Der stolze König Krösus ward gehangen.

Ihm half zu Nichts des Thrones Herrlichkeit.

Der Stoff zu Klagen wär’ schon ausgegangen

Längst der Tragödie, wenn mit Plötzlichkeit

Die stolzen Reiche nicht zu jeder Zeit

Fortuna wüßte in den Staub zu strecken.

Sie flieht, sobald man ihr Vertrauen leiht,

Um ihr Gesicht in Wolken zu verstecken.

Der Prolog des Nonnenpriesters.

Vers 7453–7506.

»Ha!« – rief der Ritter – »Herr, Nichts mehr davon!

Was Ihr gesagt habt, ist genügend schon,

Und mehr als das! – Mich dünkt, an eignen Plagen,

So klein sie sind, hat man genug zu tragen.

Mir wenigstens erscheint höchst unergötzlich,

Wenn Menschen aus dem Wohlstand, ach! so plötzlich

Zu Grunde gehn. Im Gegentheile kann

Uns trösten und erbauen, wenn ein Mann

Sich aus der Armuth in die Höhe schwingt,

Stets weiter strebt und es zu etwas bringt,

Und sich erhält in stetem Wohlgedeih’n.

Das scheint mir ein erbaulich Ding zu sein,

Von dem zu hören, Jedermann erfreut!«

»Ja!« – rief der Gastwirth – »bei St. Pauls Geläut’!

Ihr sprecht ganz wahr! Der Mönch hat laut geblasen.

In Wolken hüllte sich nach seinen Phrasen

Fortuna ein; ich weiß nicht recht mehr, wie?

Ihr hörtet die Tragödie. – Doch, Pardi!

Was hilft, daß man bejammert und beklagt,

Was abgethan ist? Denn, wie Ihr gesagt,

Von Leiden hören, macht das Herz uns schwer.

Bei Gottes Huld! – Herr Mönch, davon nichts mehr!

Der ganze Kreis fühlt sich dadurch verletzt;

Nicht eine Fliege werth ist, was Ihr schwätzt!

Darin ist Nichts von Späßen oder Scherzen!

Herr Mönch – Dan Peter – laßt von ganzem Herzen

Euch bitten, tragt uns etwas Andres vor.

Denn wahrlich, rasselten mir nicht im Ohr

Die Schellen stets von Eurem Zaumbehange,

Wär’ ich – beim Herrn, der für uns starb! – schon lange

Vor Schlaf vom Roß gesunken, und ich läge

Wohl in der tiefsten Pfütze hier am Wege,

Und ganz umsonst wär’, was Ihr vorgetragen.

Denn sicherlich, wie die Gelehrten sagen:

Wenn es an Hörern einem Mann gebricht,

So nützt Nichts alle Weisheit, die er spricht.

Ich weiß zu wohl, uns muß der Stoff beseelen,

Um eine Sache würdig zu erzählen.

Drum tragt uns Jagdgeschichten vor, ich bitte.«

»Nein,« – sprach der Mönch – »Scherz ist bei mir nicht Sitte.

Ich bin zu Ende. Mögen Andre sprechen.«

Zum Nonnenpriester wandte sich mit frechen

Und rohen Worten unser Wirth sodann:

»Komm’ näher, Priester! Komm’, mein Herr Johann!

Laß einen heitern Schwank uns jetzt vernehmen!

Du brauchst Dich Deines Kleppers nicht zu schämen.

So dünn er ist, thut er für Dich, als Reiter,

Doch seinen Dienst. Drum gräme Dich nicht weiter,

Sei nur von Herzen fröhlich immerdar!«

»Ja, Wirth,« – sprach er – »vergnügt bin ich fürwahr,

Ob ich zu Fuß, ob ich zu Pferde reise,

Denn sonst wär’ ich zu tadeln;« und zum Kreise

Gewandt, hub gleich mit der Erzählung an

Der herzensgute Priester, Herr Johann.

Die Erzählung des Nonnenpriesters.

Vers 7507–8132.

In enger Hütte nah’ bei einem Wald

In einem Thale lebte, arm und alt,

Vor Zeiten eine Wittwe. Und dort hatte,

Seitdem gestorben war ihr Ehegatte,

Die Frau, von der ich Euch erzählen will,

Geführt ihr Leben in Geduld und still.

Klein war die Pacht und ihr Bestand an Vieh;

Durch Sparsinn aber, den ihr Gott verlieh,

Ernährte sie zwei Töchter und sich selber.

Sie hatte nur drei Schweine und drei Kälber

Und außerdem ein Schaf, mit Namen Malle.

Von Rauch geschwärzt war Wohngemach und Halle,

Wo täglich sie die karge Malzeit nahm.

In ihren Mund kein Leckerbissen kam,

Pikante Brühen blieben ihr stets fremd,

Denn schlicht war ihre Nahrung, wie ihr Hemd.

Durch Ueberladung wurde sie nie krank,

Die Mäßigkeit war ihr Verdauungstrank

Und Arbeit und zufriedner Sinn. Die Gicht

War hinderlich am Tanz der Wittwe nicht,

Noch litt ihr Kopf je durch Apoplexie,

Denn Rothwein oder Weißwein trank sie nie.

Aus Weiß und Schwarz bestand ihr Mittagsschmaus,

Denn Milch und Grobbrod waren meist im Haus,

Bisweilen Speck, ein Ei, kam’s hoch, ein Paar,

Da sie nur eine Tagelöhn’rin war.

Auch einen Hof besaß sie, rings umgeben

Von hohen Hecken und von trocknen Gräben,

Für ihren Hahn, der Chanteklär genannt.

Kein bess’rer Kräher war im ganzen Land;

Weit lustiger als Kirchenorgelklang

An Messetagen tönte sein Gesang,

Vom Balken scholl weit sicherer sein Schrei,

Als Uhr und Glocke jeglicher Abtei,

Und er erkannte durch Instinkt sofort

Die Nacht- und Tageslänge für den Ort.

Er krähte, wenn die Sonne funfzehn Grad’

Erklommen hatte, laut und accurat.

Sein Kamm war röther, als die Blutkoralle,

Und krenelirt, gleich einem Festungswalle;

Schwarz war sein Schnabel wie der Kohle Schein,

Und himmelblau erglänzten Fuß und Bein;

Die Krallen waren weißen Lilien gleich,

Und sein Gefieder schien wie Gold so reich.

Der edle Hahn war Oberherr von sieben

Stets dienstbefliss’nen Hennen, die zu lieben

Von ihm als Schwestern waren, wie als Frau’n,

Und die ihm wunderähnlich anzuschaun.

Jedoch das schönste Farbenspiel am Hals

Trug Fräulein Pertelote jedenfalls.

Sie war so höflich, so discret und zierlich,

Von so gefäll’gem Wesen und manierlich

Bereits zur Zeit, als sie nur wochenalt,

Daß sie das Herz von Chanteklär alsbald

Gefesselt hielt und ganz und gar gewann.

Er liebte sie – und fand Gefallen dran.

Ihn anzuhören, war die höchste Wonne,

Wenn er beim Schein der frühen Morgensonne

So lieblich sang: »Mein Lieb ist fern von hier!«

– Denn damals hatten Vögel und Gethier

Gesang und Sprache noch, wie ich vernahm. –

Als eines Tags die Morgendämmrung kam,

Saß Chanteklär mit seiner Weiberschaar

Auf seinem Balken, der im Vorhaus war,

Und zwar ganz nah’ zur Seite seiner schönen

Frau Pertelote und begann zu stöhnen,

Gleich einem Mann, den schwere Träume plagen.

Und Pertelote hörte seine Klagen,

Ward bleich und sprach: »Was fehlt Dir, liebes Herz,

Daß Du so ächzest? sag’, was macht Dir Schmerz?

Pfui! alter Schläfer, hast Du keine Scham?«

Ihr Antwort gebend, sprach er drauf: »Madam,

Ich bitte Dich, sei nur nicht gleich verletzt.

Bei Gott, mir träumte Schlimmes eben jetzt.

Von Angst und Schreck ist noch mein Herz beklommen,

Nun, gebe Gott, es möge besser kommen,

Und wahre mir die Freiheit meiner Glieder!

Mir träumte nämlich, daß ich auf und nieder

Im Hofe ging, wo ich ein Thier erblickte,

Gleich einem Hund, das sich zum Sprung anschickte

Auf meinen Leib, und würgte mich zu Tod.

Der Farbe nach war’s zwischen gelb und roth.

Und schwarze Flecken, ungleich seinen Haaren,

An seinem Schwanz und seinen Ohren waren.

Schmal war die Schnauze; seine Augen sahn

Mich glühend an. – Mein Ende fühlt’ ich nahn.

Und darum mußt’ ich seufzen, zweifellos.«

»Pfui! feige Memme!« – fuhr sie auf ihn los –

»Beim hohen Gott im Himmel sei’s geschworen,

Du hast mein Herz und mein Vertrau’n verloren,

Denn einen Feigling lieb’ ich nun und nimmer!

Zum Ehegatten wünschen wir uns immer

Nur einen Mann – was auch die Weiber sagen –

Der kühn und klug und frei ist von Betragen,

Kein Geizhalz und kein Thor ist, welcher schwätzt

Und sich vor jedem dummen Spuk entsetzt,

Und der kein Prahlhans ist. – Beim Herrn der Seelen!

Wie wagst Du, Deinem Liebchen zu erzählen,

Daß irgend etwas Dich erschrecken kann?

Wie, hast Du nicht das Herz von einem Mann

Und einen Bart, und weißt Du nicht, daß Träume,

Bei Gott, nur eitel sind und leere Schäume?

Die Träume kommen durch Naturanlagen

Und oftmals auch aus überfülltem Magen,

Und wenn uns Ueberfluß an Säften plagt.

Daß Nachts ein Traum in Schrecken Dich gejagt,

Hat seinen Grund ganz sicher im Geblüt,

Denn Du bist hochcholerisch von Gemüth.

Und darin hat es eben sein Bewenden,

Daß wir von Pfeilen träumen und von Bränden,

Von Kampf und Streit; daß uns Insekten beißen

Und rothe Thiere unsern Leib zerreißen,

So fährt aus melancholischem Humor

Man oftmals schreiend aus dem Schlaf empor

Aus Furcht vor schwarzen Bären oder Stieren

Und bald, weil schwarze Teufel uns entführen.

Noch andre Säfte wüßt’ ich aufzuzählen,

Die manchen Mann in seinem Schlafe quälen,

Doch ich berühre diesen Punkt nur leise.

Sieh’ Cato an! Was sagte dieser Weise?

›Der Träume wegen mach’ Dir keine Grillen!‹

Drum, lieber Herr, nimm gleich um Gottes Willen,

Fliegst Du mit mir vom Balken, zu laxiren;

Und Leib und Seele will ich gern verlieren,

Wenn dieser Rath nicht gut ist. Auf mein Wort,

Den Zorn sowie die Schwermuth fegt er fort.

Doch säume nicht; und da in dieser Stadt

Man leider keinen Apotheker hat,

So will ich selbst zwei Kräuter für Dich lesen,

Und Du wirst Dich erholen und genesen.

In unserm Hof kann ich die Kräuter finden,

Die von Natur die Eigenschaft verbinden,

Von unten und von oben Dich zu rein’gen.

Indeß, bei Gott im Himmel, dem Dreiein’gen!

Bedenke, daß cholerisch ist Dein Blut.

Sei vor der Mittagssonne auf der Hut,

Besonders wenn Dich heiße Säfte plagen;

Denn einen Groschen möcht’ ich daran wagen,

Dem kalten Fieber kannst Du nicht entgehn,

Und packt Dich dieses, ist’s um Dich geschehn.

Ein bis zwei Tage mußt Du Dich ernähren

Von nichts als Würmern und Dich dann entleeren

Durch Tausendgüldenkraut und Heckenrauch

Und Hundebeeren, Kresse, oder Lauch,

Und was man sonst im Hofe finden kann

An Nieswurz oder lust’gem Gundermann.

Pick’ alles auf und schluck’ es frisch hinunter.

Bei Deinen Ahnen! lieber Mann, sei munter!

Und, kurz und gut, scheuch’ Traum und Sorgen fort.«

»Madame,« – sprach er – »Grand mercy für dein Wort.

Indeß wenn Cato sagte, den die Welt

Ob seiner Weisheit so in Ehren hält,

Daß wir um Träume uns nicht kümmern sollten,

So schreibt doch Mancher, welcher mehr gegolten,

Als Cato jemals galt, bei meinem Heil!

In alten Büchern ganz das Gegentheil

Und hat, bei Gott! die Meinung, die er hegt,

Mit Gründen der Erfahrung wohl belegt

Und hält die Träume von Bedeutsamkeit,

Weil dadurch Leid und Freude prophezeit,

Die uns im Lauf des Lebens widerfahren.

Ich kann die Argumente mir ersparen,

Da es thatsächlich zu begründen ist.

Der größte Autor, der zu finden ist,

Erzählt, daß einstmals, freundschaftlich gesellt,

Zwei Männer eine Wallfahrt angestellt.

Und es geschah, als einst ihr Tagesziel

Erreicht war, daß im Dorfe sie so viel

Verschiednes Volk in jedem Wirthshaus trafen,

Daß sie in keiner Hütte Raum zum Schlafen

Mitsammen finden konnten für die Nacht.

So war es zur Nothwendigkeit gemacht,

Daß sie sich trennten, und der Eine hier,

Der Andre dort im Gasthaus sein Quartier

Sich suchen mußte, wie er’s eben fand.

In einem Stall, der fern im Hofe stand,

Fand Einer bei den Ochsen Unterkommen,

Der Andre wurde besser aufgenommen,

Wie es ihm Zufall oder Glück beschieden,

Die Alles lenken auf der Welt hinieden.

Und als er in dem Bette lag, geschah,

Daß ihm im Traume, eh’ der Morgen da,

Sein Kamerad erschien und zu ihm sprach:

›In einem Ochsenstalle werde, ach!

Ich diese Nacht ermordet. Auf der Stelle

Such’ mich zu retten, lieber Mitgeselle.

Hier lieg’ ich, und der Tod steht mir bevor!‹

Erschreckt fuhr jener aus dem Schlaf’ empor,

Doch als aus seinem Schlummer er erwachte,

Dreht’ er sich schleunig wieder um, und dachte:

Es war ein Traum. Bekümm’re dich nicht weiter.

Doch nach dem ersten Traume kam ein zweiter

Und dann ein dritter – und er hörte sagen,

So schien es ihm: ›Jetzt bin ich schon erschlagen!

Sieh’ meine tiefe, weite, blut’ge Wunde!

Steh’ zeitig auf in früher Morgenstunde,

Um nach dem Westthor dieser Stadt zu gehn.

Dort wirst Du einen Düngerkarren sehn,

In dem verborgen meine Leiche ruht.

Drum halt’ ihn an mit unerschrocknem Muth!

Mein Gold war leider meines Todes Grund.‹

So machte, bleich und jammernd, er ihm kund

Den ganzen Hergang, wie er umgekommen.

Und glaubt es mir, was er im Traum vernommen,

Traf wirklich ein. – Beim Tagesanbeginn

Ging er zum Gasthof des Gefährten hin,

Wo er sofort zum Ochsenstalle lief,

Und wiederholt nach seinem Freunde rief.

Der Gastwirth gab zur Antwort auf der Stelle:

›Herr, abgereist ist Euer Mitgeselle;

Früh Morgens schon hat er die Stadt verlassen.‹

Doch dieser Mann begann Verdacht zu fassen,

Als er bedachte, was ihm Nachts geträumt;

Drum ging er fort, und lief dann ungesäumt

Zum Westthor von der Stadt. Und, sieh’, er fand

Dort einen Karr’n, der Dünger auf das Land

Zu bringen schien, ganz in derselben Art,

Wie ihm im Traum vom Todten offenbart.

Und unerschrocken hub er an zu sprechen:

›Recht und Vergeltung fordert dies Verbrechen!

Mein Freund, der diese Nacht erschlagen ist,

Liegt hier im Karren leblos unterm Mist,

Beklagen will ich mich beim Magistrat,

Der in der Stadt die Oberleitung hat.

Helft, helft! o weh! hier liegt mein Freund erschlagen!‹

Was soll ich mehr von der Geschichte sagen?

Das Volk kam angestürzt, und warf sodann

Den Karren um und fand den todten Mann,

Ganz frisch ermordet, liegen unterm Dünger.

O, guter Gott, getreuer Segenbringer!

An jedem Tage sehen wir es klar,

Mord will heraus! Du machst ihn offenbar.

Gott hasset und verabscheut allen Mord,

Denn Er ist billig und des Rechtes Hort.

Ein bis zwei Jahre bleibt er wohl verborgen

Doch wird dereinst Gott für Entdeckung sorgen.

Mord will heraus! – Das ist mein letztes Wort!

Die Stadtbehörde ließ jedoch sofort

Den Karrentreiber und den Gastwirth greifen,

Und auf der Folter so erbärmlich kneifen,

Daß sie alsbald die Missethat gestanden,

Und an dem Galgen dann ihr Ende fanden:

Drum Träume sind zu fürchten, wie Du siehst.

Gewiß, im folgenden Capitel liest

Man in demselben Buche fernerweit

– Ich lüge nicht, bei meiner Seligkeit! –

Daß einst zwei Männer im Begriffe standen

Aus guten Gründen nach entlegnen Landen

In einem Schiff zu reisen über Meer.

Doch blieben sie, dieweil der Wind conträr,

In einer Stadt, die an dem Hafen lag.

Doch mit der Fluth trat an dem nächsten Tag

Ein Wechsel ein – und günstig blies der Wind

Froh legten beide sich zu Bett geschwind,

Um zeitig aufzustehen für die Reise.

Doch einer hatte wunderbarer Weise,

Als er im festen Morgenschlafe war,

Ein seltsam Traumbild; denn er sah ganz klar,

Vor seinem Lager einen Menschen stehn,

Der ihm Befehl gab, nicht zu Schiff zu gehn,

Und zu ihm sprach: ›Willst Du es morgen wagen,

Mußt Du ertrinken. Mehr bleibt nicht zu sagen.‹

Vom Schlaf erwacht, bat er den Mitgesellen,

Nach diesem Traum die Seefahrt einzustellen

Und zu verweilen bis zum nächsten Tag.

Der Mann, der neben ihm im Bette lag,

Begann verächtlich über ihn zu lachen

Und sprach: ›Kein Traumbild kann mich bange machen.

Mich scheeren Träume, hab’ ich mir ein Ding

Fest vorgenommen, keinen Pfifferling.

Denn Träume sind nur eitle Gaukelspiele.

Von Eulen und von Affen träumen Viele

Und andern Spukgeschichten, wenn sie schlafen,

Die nie die Wahrheit treffen oder trafen.

Wenn Du die Fluth indeß aus Eigensinn

Verpassen willst, so bleib’ Du immerhin.

Du thust mir leid. Leb’ wohl! Ich gehe fort.‹

So sprach er grüßend, und verließ den Ort.

Doch kaum auf halbem Wege seiner Reise

Ward dieses Schiff auf irgend eine Weise

– Ich weiß nicht wie – durch einen Zufall leck,

Und Schiff und Mannschaft sanken auf dem Fleck,

Wie andre Schiffe, die auf gleicher Bahn

Gesegelt waren, in der Nähe sahn.

Nun, theure, schöne Pertelote mein,

Dies Beispiel mag Dir eine Lehre sein,

Daß man die Träume mit zu leichter Wage

Nicht messen soll. Denn ohne jede Frage

Ist mancher Traum zu fürchten, sag’ ich Dir.

Im Leben von St. Kenhelm lesen wir:

Des Königes von Mercia, Kenulphs Sohn,

Der vorerwähnte Kenhelm, habe schon

Von seinem Mord geträumt, kurz vor dem Tag,

An welchem er der Mörderhand erlag,

Und ihm erklärt von seiner Amme sei,

Daß er sich hüte vor Verrätherei,

Der ganze Traum; doch sieben Jahr’ nur zählte

Das Kind, und seinem heil’gen Herzen fehlte

Es noch an Einsicht in der Träume Wesen.

Bei Gott! wenn die Legende Du gelesen,

Wie ich es that, ich gäbe drum mein Hemd!

Frau Pertelote – Lügen sind mir fremd –

Makrobius sagt, wenn er vom Traumgesicht

Des edlen Scipio Afrikanus spricht,

Daß Träume Wahrheit reden, uns zu warnen

Vor Dingen, welche später uns umgarnen.

Und ferner bitt’ ich, lies die heil’ge Schrift

Und sieh’ darin, was Daniel betrifft,

Ob Träume Gaukeleien sind zu nennen,

Lies Joseph ferner, und Du wirst erkennen,

Daß oft ein Traum – wenn auch nicht unbedingt –

Uns warnend kund macht, was die Zukunft bringt.

An Pharao, Aegyptens König, denke!

Empfanden er, sein Bäcker und sein Schenke

Nicht bald die Wirkung ihrer Traumgesichte?

Wenn man durchforscht die Acten der Geschichte,

So stößt auf wunderbare Träume man.

Sieh’ Krösus nur, den König Lydiens, an!

Er saß, so schien es ihm, auf einem Baume,

Und sah den eignen Galgen nur im Traume.

Andromache, des Hectors Weib, betrachte,

Die, als den Gatten man ums Leben brachte,

Des Nachts zuvor in einem Traum gesehn,

Wenn Hector wage hin zur Schlacht zu gehn,

So sei sein Leben selben Tags verloren!

Indessen predigte sie tauben Ohren.

Nichts hielt ihn ab. Er ging, den Kampf zu wagen,

Und wurde von Achilles drin erschlagen.

Indeß zu lang ist, dieses mitzutheilen.

Der Tag ist nah’; ich mag nicht länger weilen,

Und kurz und gut, ich sage Dir zum Schluß,

Mir bringt mein Traumbild sicher noch Verdruß.

Jedoch was die Laxanzen anbetrifft,

So weiß ich sicher, sie sind Nichts, wie Gift,

Und ich bediene mich derselben nie,

Ich mag sie nicht, ja, ich verachte sie.

Genug davon! – Jetzt laß uns fröhlich sein!

Frau Pertelote, bei der Seele mein!

Mir schenkte Gott ein herrliches Geschick.

Fällt auf Dein schönes Angesicht mein Blick,

Und Deine scharlachrothen Augenlider

So schwinden Furcht und Sorgen in mir wieder;

Denn sicherlich, wie in principio

Mulier est hominis confusio

– Und übersetzt heißt dies Latein genau:

Des Mannes Lust und Segen ist die Frau –

Sitz’ ich des Nachts an Deiner weichen Seite

– Obschon es sein mag, daß ich Dich nicht reite,

Weil mir’s an Raum auf diesem Balken fehlt –

So bin ich immer freudevoll beseelt

Und scheuche Träume und Visionen fort.«

Mit allen Hennen flog bei diesem Wort

Der Hahn vom Balken, da es Morgen war,

Und rief mit lautem Klucken seine Schaar

Höchst königlich, da jede Furcht geschwunden,

Sobald im Hof er nur ein Korn gefunden,

Und Pertelote federt’ er und trat

Wohl zwanzigmal, eh’ Primezeit genaht.

Wild, wie ein Löwe, war er anzusehen

Und auf und nieder schritt er auf den Zehen,

Als hab’ er Scheu, den Boden zu berühren.

Gelang es ihm, ein Körnchen aufzuspüren,

So kluckt’ er gleich, und zu ihm liefen Alle.

So fürstlich wie ein Prinz in seiner Halle

Mag Chanteklär auf Nahrungssuche gehn,

Und dann erzähl’ ich, was hernach geschehn.

Der Monat März, in welchem Gott den Mann

Erschaffen hatte, als die Welt begann,

War längst verstrichen und noch überher

Ein voller Monat und zwei Tage mehr,

Als Chanteklär, der äußerst stolz inmitten

Von seinen Frau’n im Hof umhergeschritten,

Zur Sonne schaute, die am Himmelspfade

Im Stiere stand und mehr als zwanzig Grade

Durchlaufen hatte; und ihm sagte drum

Naturinstinkt und nicht sein Studium,

Daß Prime sei. Und krähend laut vor Wonne,

Rief er: »Schon zwanzig Grade hat die Sonne

Und mehr durchzogen an dem Himmelszelt!

Frau Pertelot’, mein Alles in der Welt!

O, höre, wie die Vögel jubelnd singen,

Sieh’, wie empor die frischen Blumen springen!

Vor Wonne schwillt das Herz mir in der Brust!«

Doch arges Unheil folgte rasch der Lust.

Denn allzuoft wird Freud’ in Leid verkehrt,

Da Erdenglück, Gott weiß, nicht lange währt.

In eine Chronik buchte diesen Satz

Mit Fug und Recht als hohen Weisheitsschatz

Ein Autor, welcher Redeschwung besitzt.

Nun, kluge Herren, jetzt das Ohr gespitzt!

Denn die Erzählung ist so wahr, wie je

Die Chronik war von Lancelot vom See,

Die alle Weiber überhoch verehren.

Jedoch zur Sache will zurück ich kehren.

Ein falscher Fuchs, in jeder List erfahren,

Der schon im Walde hauste seit drei Jahren,

Durchbrach bei Nacht die Hecke, wie der Traum

Es prophezeit, und schlich sich in den Raum,

Wo Chanteklär nach altgewohntem Brauch

Spazieren ging und seine Weiber auch,

Und hielt im Krautbett sich an jenem Morgen

Bis nach der neunten Stunde still verborgen,

Bereit zum Sprung auf unsern Chanteklär,

Wie sich in Hinterhalte von jeher

Die Schurken legten, war der Mord ihr Zweck.

O, falscher Mörder, lauernd im Versteck,

O, neuer Judas, neuer Ganelon!

Dem Griechen Sinon, welcher Ilion

Zu Falle brachte, gleich an Heuchelei!

O, Chanteklär, verflucht der Morgen sei,

An dem vom Balken in den Hof Du flogst!

Wenn Du Dein Traumbild in Erwägung zogst,

So mußtest die Gefahren Du ersehen!

Indeß was Gott bestimmt hat, muß geschehen,

Wie dies von vielen Weisen uns erklärt ist.

Doch weiß ein Jeder, welcher selbst gelehrt ist,

Daß in der Schule stets Verschiedenheit

Der Ansicht war, und kann von Zank und Streit

Euch zwischen Hunderttausenden berichten.

Ich kann das Mehl nicht von der Kleie sichten,

So wie der heil’ge Doctor Augustin,

Boetius und Bischof Bradwardin,

Ob ich durch Gottes heil’gen Vorbeschluß

Ganz schlechterdings Jedwedes thuen muß,

Das heißt, Nothwendigkeit mich dazu treibt,

Oder zur That die freie Wahl mir bleibt,

Und Thun und Lassen steht in meiner Hand,

Obschon mein Handeln Gott vorher bekannt;

Und ob vielleicht sein Wissen nur bedingt,

Doch nicht nothwendig, mich zur Sache zwingt.

Doch die Materie sei hier abgethan,

Denn die Geschichte spielt von einem Hahn,

Der auf den Rath von seiner Frau mit Sorgen

Im Hühnerhof spazieren ging am Morgen,

Obschon ein Traum ihn warnte, wie ihr wißt.

Doch allzu kühl oft Weiberrathschlag ist.

Durch Weiberrath kam unser erstes Leid,

Denn er trieb Adam aus der Seligkeit

Des Paradieses, wo es ihm behagte.

Doch kränken mag, was ich hier tadelnd sagte

Vom Rath der Weiber füglich manches Herz.

Darum genug! Ich sprach es nur im Scherz.

Lest die Autoren, die im Fach beschlagen,

So höret Ihr, was sie von Weibern sagen.

Dies sind vom Hahn die Worte, nicht die meinen,

Da mir die Frauen äußerst harmlos scheinen.

Im Sande badend, lag im Sonnenschein

Mit ihren Schwesterhennen im Verein

Frau Pertelote, während Chanteklär

So fröhlich sang, wie jemals nur im Meer

Sirenen sangen, und daß deren Ton

Gar herrlich sei, sagt Physiologus schon.

Und es geschah, als seinen Blick er scharf

Auf einen Schmetterling im Grase warf,

Daß er den Fuchs dort auf der Lauer fand.

Worauf zum Kräh’n ihm alle Lust verschwand,

Und er als banger, angsterfüllter Mann,

Nur »Kluckkluck« schreiend rasch von dannen rann.

Denn, wenn ein Thier den Erzfeind plötzlich sieht,

So ist es ganz natürlich, daß es flieht,

Selbst wenn es ihn zum ersten Mal erblickte;

Weßhalb sich Chanteklär zur Flucht anschickte,

Als er den Fuchs gesehn. Doch dieser sprach:

»Was wollt Ihr thun, mein lieber Herr? – Gemach!

Jagt Angst und Furcht der beste Freund Euch ein?

Weit schlimmer als ein Teufel müßt’ ich sein,

Käm’ ich hierher, Euch Böses zuzufügen.

Das Spioniren ist nicht mein Vergnügen.

Nein, der Beweggrund, der mich zu Euch bringt,

Ist nur allein, zu hören, wie Ihr singt.

Denn wahrlich Eure Stimme schallt so schön,

Wie Engelssang in hehren Himmelshöh’n.

Ihr übertrefft selbst des Boetius Kenntniß

Und manches Andern an Musikverständniß.

Seht, Euern Vater – ruh’ er sanft im Grabe –

Und Eure reizend güt’ge Mutter habe

Ich oft vergnügt bei mir im Haus gesehn.

Herr, was ich für Euch thun kann, soll geschehn!

Doch glaubet mir, wenn man von Singen spricht,

Selbst mit den schärfsten Augen hab’ ich nicht,

Euch ausgenommen, einen Mann erspäht,

Der früh am Morgen je so schön gekräht,

Wie Euer Vater. – Das kam aus der Seele!

Und zu verstärken seinen Klang der Kehle,

Ließ er sich selbst die Mühe nicht verdrießen,

Um laut zu schrein, die Augen zu verschließen,

Sich auf den Zehen hoch empor zu recken

Und seinen langen, schmalen Hals zu strecken.

Und dabei übertraf im ganzen Land

Kein einz’ger Mensch ihn sicher an Verstand

Noch an Gesang und an bescheidnem Wesen.

Im ›Esel Burnell‹ hab’ ich einst gelesen

Nebst andern Versen, daß einmal ein Hahn

Den Sohn des Priesters, der ihm weh gethan

Als Hähnchen hatte und ans Bein ihn stieß,

Die Pfründe späterhin verlieren ließ.

Doch kein Vergleich wird angestellt von mir.

Besonnenheit und Weisheit war die Zier

Von Eurem Vater, nicht Verschlagenheit.

Nun singt, mein Herr! Thut’s aus Barmherzigkeit!

Laßt sehn, könnt Ihr den Vater überflügeln?«

Sofort schlug Chanteklär mit beiden Flügeln,

Denn hoch entzückt durch diese Schmeichelei,

War vor Verrath jedwede Furcht vorbei.

Ach, große Herr’n! an Eurem Hof gefällt

Manch falscher Schmeichler, mancher Zungenheld

Euch besser, als ein Mann, der unverzagt

– Glaubt meinen Worten – Euch die Wahrheit sagt.

Den Ecclesiasten lest und laßt Euch warnen,

Daß Euch nicht Schmeichler mit Verrath umgarnen.

Auf seinen Zehen hoch emporgereckt,

Geschlossnen Auges und den Hals gestreckt,

Stand Chanteklär und krähte laut und hell.

Aufspringend, packte bei der Kehle schnell

Ihn Schlaufuchs Rössel und entschwand alsbald,

Ihn auf dem Rücken tragend, in den Wald,

Und lief, von Niemandem verfolgt, von hinnen.

O, Schicksal, welchem Keiner kann entrinnen!

Ach! daß es Dich vom Balken fliegen machte!

Daß Traumvisionen, ach, Dein Weib verlachte!

Und Dir ein Freitag ward verhängnißvoll!

O, Freudengöttin Venus, warum soll

Jetzt Chanteklär, der als Dein treuer Knecht,

Aus Lust, nicht bloß zu mehren sein Geschlecht,

Nach bester Kraft stets Deinen Dienst versehn,

An Deinem Tage so zu Grunde gehn?

O, Galfried, theurer Meister von uns Allen,

Der Du so jammernd klagtest, als gefallen

Dein würd’ger König Richard durch den Pfeil,

Warum ward mir nicht Deine Kunst zu Theil,

Den Freitag, der ihn dieser Welt entrückte,

So auszuschelten, wie es Dir einst glückte?

Dann würd’ ich Euch die Angst und alle Qualen

Von Chanteklär aufs Jammervollste malen.

Kein lauteres Geschrei ward je gehört

Aus Damenmund, seit Ilion zerstört,

Und Pyrrhus König Priam mit der Hand

Am Bart erfaßt und mit dem Schwert durchrannt

– Wie in der Aeneide dies beschrieben –

Als in dem Hofraum alle Hennen trieben,

Sobald sie sahn von Chanteklär die Noth.

Vor Allen aber schrie Frau Pertelot’,

Ja, lauter als die Gattin Hasdrubals,

Nachdem ihr Mann verloren seinen Hals,

Als Römerhand Karthago einst verbrannte.

Zur Wuth entfacht, von Schmerz gepeinigt, rannte

Sie in das Feuer mit beherztem Muth

Und starb aus freien Stücken in der Gluth.

Ach, arme Hennen, Ihr schriet vor Entsetzen

So schlimm, wie einst – als Rom in Brand zu setzen,

Nero befahl – die Frau’n der Senatoren,

Weil ihre Gatten sämmtlich sie verloren,

Die schuldlos hingemordet der Tyrann!

Jetzt heb’ ich die Erzählung wieder an.

Als sie gehört das Angstgeschrei der Hennen,

Begann die Wittwe aus der Thür zu rennen,

Gefolgt von beiden Töchtern, und sie sahn

Den Fuchs zum Walde rennen, mit dem Hahn

Auf seinem Rücken. Und sie schrien und riefen:

»Aha, der Fuchs! Halloh, Herbei!« und liefen

Rasch hinterdrein mit Angst- und Wehgeschrei.

Mit Stöcken kamen Schaaren Volks herbei,

Hund Kolle kam und Talbot und Gerland

Und Malchen mit der Kunkel in der Hand.

Und Kuh und Kalb, ja selbst die Schweine kamen,

Als das Gebell der Hunde sie vernahmen,

Und liefen beim Geschrei von Mann und Weib

Sich schier aus Furcht die Lungen aus dem Leib.

Sie schrien, wie Teufel in dem Höllenschlunde,

Und, wie gekniffen, heulten alle Hunde,

Die Gänse flogen ängstlich über Hecken,

Die Bienen zogen schwärmend aus den Stöcken,

Ein Heidenlärm war’s, daß sich Gott erbarm!

Gewiß Jack Straw hat nie mit seinem Schwarm,

Als er die vläm’schen Händler umgebracht,

Solch ein entsetzliches Gebrüll gemacht,

Wie solches angestellt ward um den Fuchs.

Sie brachten Hörner mit von Blech und Buchs,

Von Horn und Blei und tuteten auf diesen

Und dabei heulten, schrieen sie und bliesen;

Es schien, als stürzten sie den Himmel ein.

Jetzt bitt’ ich, freundlichst mir Gehör zu leihn!

Seht, gutes Volk, zum Gegentheil kehrt oft

Und schnell das Glück, was stolz ein Feind erhofft.

Der Hahn, der von dem Fuchs davongetragen,

Begann in seiner Herzensangst zu sagen:

»Auf daß mir Gott das ew’ge Heil gewähre,

Mein Herr, wenn ich an Eurer Stelle wäre,

So spräch’ ich: ›Scheert Euch gleich nach Haus, ihr Tröpfe!

Die Pestilenz komm’ über Eure Köpfe!‹

Bin ich doch längst, trotz Eurem Thun und Treiben,

Dem Walde nah’! Mir soll der Hahn verbleiben,

Und aufgefressen wird er, auf mein Wort!«

»Das soll geschehen!« – rief der Fuchs sofort.

Indessen während er noch sprach, war schon

Der kluge Hahn aus seinem Maul entflohn

Und hatte Zuflucht hoch im Baum genommen.

Sobald der Fuchs sah, daß der Hahn entkommen,

Sprach er: »Ach, bester Chanteklär, o Weh!

Ich that Dir Unrecht, wie ich zugesteh’,

Indem ich Dir so großen Schrecken machte,

Als ich Dich fing und aus dem Hofe brachte.

Flieg’ nieder, Herr! dann will ich Dir erklären

Der Wahrheit nach – soll Gott mir Heil gewähren –

Ich hab’s in böser Absicht nicht gethan.«

»Nein, treffe Fluch uns Beide!« – rief der Hahn

»Und zwar mich selbst zunächst mit Blut und Bein,

Wenn mehr als einmal Du durch Schmeichelei’n

Mich fangen kannst und wieder dazu bringen,

Geschlossnen Aug’s Dir etwas vorzusingen.

Denn wer aus freiem Antrieb, statt zu sehn,

Die Augen schließt, verdient zu Grund zu gehn.«

»Nein!« – rief der Fuchs – »Gott richte den zu Grund,

Der nicht im Zaum zu halten weiß den Mund

Und schwatzen will zur ungelegnen Zeit!«

Seht, so ergeht’s der Unbesonnenheit,

Dem Leichtsinn und der Lust an Schmeichelei’n!

Dies ist kein thöricht Märchen, das allein

Um Hahn und Fuchs und Hennen sich nur dreht,

Nein, gute Herren, die Moral versteht!

St. Paulus sagt, was aufgeschrieben wäre,

Sei Alles nur geschrieben uns zur Lehre.

Drum nehmt die Frucht und laßt die Spreu allein!

Nun, lieber Gott, sollt’ es Dein Wille sein,

So bessre Du und führ’ in Christi Namen

Zur Seligkeit in Ewigkeit uns. – Amen!

Verbindungs-Prolog.

(Bruchstück.)

Vers 8133–8148.

»Herr Nonnenpriester!« – hub der Gastwirth an –

»Heil Deinem Sitzfleisch sammt den Steinen dran!

Das war ein lust’ger Schwank von Chanteklär!

Bei meiner Treue! – wärst Du sekulär,

So paßtest Du zum Tretehahn Dich gut,

Entspräche Deinem Können auch Dein Muth.

Mehr Hennen brauchtest Du bei Deinen Trieben

– Wie mich bedünkt – als siebenzehnmal sieben.

Wie sind die Schenkel dieses Priesters dick,

Wie breit die Brust, wie kräftig sein Genick!

Wie schaut er aus den Sperberaugen stolz!

Der braucht nicht Krapp und nicht Brasilienholz,

Die Farbe seiner Wangen zu erhöhn!

Nun, Herr, für die Erzählung dank’ ich schön.«

Und darauf sprach er, sich in heitrer Art

Zum Nächsten wendend, was Ihr jetzt erfahrt.

Der Prolog des Weibes von Bath.

Vers 8149–9004.

Erfahrung ist’s, obschon Autorität

Der Welt nicht fehlt, die mir zur Seite steht,

Wenn ich des Eh’stands Leiden offenbare.

Denn, wahrlich, Herr’n! seit meinem zwölften Jahre

– Gedankt sei Gott in Ewigkeit dafür –

Hatt’ ich fünf Männer an der Kirchenthür

– Ist es erlaubt, daß man so oft sich paart –

Und alle würd’ge Männer ihrer Art.

Jedoch, man sagte mir vor kurzer Frist,

Zu Kana sei in Galiläa Christ

Auf einer Hochzeit und nicht mehr gewesen;

Und aus dem Beispiel sei klar zu erlesen:

Ich dürfe mich auch einmal nur vermählen.

Dagegen hört das scharfe Wort erzählen,

Mit dem am Brunnen Jesus, Gott und Mann,

Fuhr in Samaria einst ein Weibsbild an:

»Fünf Männer« – sprach er – »hattest Du gefreit;

Jedoch der Mann, mit dem Du lebst zur Zeit,

Ist nicht Dein Gatte« – sprach der Herr, fürwahr.

Doch, was er meinte, scheint mir nicht ganz klar.

Warum – so frag’ ich – war denn nicht ihr Gatte

Der fünfte, den die Samarit’rin hatte;

Und wieviel mal war ihr erlaubt die Ehe?

So alt ich bin, ist doch – soviel ich sehe –

Die Anzahl nie bestimmt und festgestellt,

Mag grübeln auch und deuteln alle Welt.

Ich weiß jedoch – die Wahrheit bleib’ in Ehren! –

Gott hieß uns fruchtbar sein und uns zu mehren.

Den schönen Text vermag ich wohl zu fassen.

Um meinetwillen – weiß ich – soll verlassen

Den Vater und die Mutter mein Gemahl,

Doch niemals hört’ ich je von einer Zahl,

Von Bigamie, Octogamie ihn sprechen.

Wie macht der Mensch denn dieses zum Verbrechen?

Seht nur den weisen König Salamo!

Wohl ward er mehr als eines Weibes froh;

Daß ich nur halb so oft, wie er, mich letze,

Gewähre Gott und ändre die Gesetze!

Doch solche Gotteskraft hat Keiner mehr,

Die Weiber zu bedienen, so wie er,

Gott weiß, der edle König trieb – ich denke –

In seiner ersten Nacht manch lust’ge Schwänke

Mit einer Jeden! – Herrlich war sein Leben!

Gedankt sei Gott, mir hat er fünf gegeben;

Willkommen ist der sechste; sei’s, wann’s sei!

Denn geht’s mit meinem jetzigen vorbei,

Ist mir ein andrer Christenmensch genehm,

Denn mir scheint Keuschheit äußerst unbequem!

Frei darf ich wählen – der Apostel sagt –

Die Gotteshälfte, wenn es mir behagt;

Denn Ehestand sei Sünde nicht zu nennen,

Und besser sei, zu freien, als zu brennen.

Was scheert es mich? das Volk mag sprechen, wie

Es immer will von Lamechs Bigamie.

Gewiß war Abraham ein heil’ger Mann

Und Jakob auch, soviel ich sehen kann;

Doch sie und alle Heil’gen nach der Reihe

Hatten der Weiber sicher mehr als zweie;

Und wie und wann hat jemals vorgeschrieben

Gott in der Höhe, daß wir ledig blieben?

Ausdrücklich nicht! – Sagt mir es unverhohlen,

Wo hat er jemals Jungfernschaft befohlen?

Sagt der Apostel nicht vielmehr am Orte,

Wo er von Jungfern spricht, bestimmt die Worte:

Er habe nichts darüber vorzuschreiben?

Man mag uns rathen, jungfräulich zu bleiben;

Doch Rathen ist noch immer kein Befehlen,

Und nach dem eignen Urtheil darf man wählen.

Denn, wäre Jungfernschaft uns insgesammt

Von Gott befohlen, so wär’ auch verdammt

Der Ehestand, und ohne Saat könnt’s eben

Auf dieser Welt auch keine Jungfern geben.

Paul durfte kaum gebieten solches Ding,

Zu dem vom Herrn ihm kein Befehl erging.

In Schranken renne nach der Jungfernschaft,

Wer immer will! – Doch, wer den Preis errafft,

Das laßt uns sehn! denn nicht für alle Welt

Ist dies gesagt. Gott wählt, wer ihm gefällt.

Zwar der Apostel jungfräulich verblieb,

Und doch bei Allem, was er sprach und schrieb,

Verlangt er nicht, daß Jeder es so mache;

Nur einen Rathschlag giebt er in der Sache,

Und aus Vergunst erlaubt er uns zu frein.

Drum, stirbt mein Mann, kann es kein Vorwurf sein,

Mich wiederum von Neuem zu begatten,

Die Bigamie darf man sich dreist gestatten.

Gut für den Mann sei’s, er berühr’ kein Weib,

– Er meint: im Stroh und Bette mit ihr bleib’ –

Denn Flachs zu nah’ dem Feuer ist gefährlich;

Dies Gleichniß ist – so denk’ ich – Euch erklärlich.

Alles in Allem, meint er, daß in Keuschheit

Ihr besser fahrt, als wenn ihr schwach im Fleisch seid.

Doch mich dünkt schwach im Fleische Mann und Weib,

Die keusch bewahren lebenslang den Leib;

Und ich gestehe, nicht beneid’ ich sie,

Geht ihnen Keuschheit über Bigamie.

Daß rein der Leib sei und die Seele reiner,

Ist zwar ein schöner Standpunkt, doch nicht meiner.

In einem Haushalt, wie Ihr Herren seht,

Ist nicht von Golde jegliches Geräth;

Auch die von Holz sind nützlich; denn Gott schuf

Die Menschen zu verschiedenem Beruf;

Weßhalb die Leute sehr verschiedne Gaben,

Der dies, der das, nach seinem Willen haben.

Nichts ist vollkommner als Jungfräulichkeit,

Enthaltsamkeit und Gottergebenheit.

Doch Christus, der Vollkommenheiten Quelle,

Sagt nicht: es solle jeglicher Geselle

Sein Land verkaufen und den Armen geben,

Ihm folgen und nach seiner Lehre leben.

Er sprach zu denen, die gern heilig wären;

Jedoch, Ihr Herr’n, das ist nicht mein Begehren!

Mein ganzes Dasein ist auf Lebenszeit

Dem Ehestand in Act und Frucht geweiht.

Aus welchem Grunde – frag’ ich immer wieder –

Sind denn erschaffen unsre Zeugungsglieder?

Warum in jeder Weise so vollkommen?

Für Nichts ist doch die Mühe nicht genommen!

Und grübeltet ihr immer aus, sie wären

Gemacht, um vom U… uns zu entleeren

Und andern Sachen, sowie ferner dann

Zum Unterschiede zwischen Weib und Mann

Und keinen andren Zweck – die Offenbarung

Laßt nur zu Haus; denn anders lehrt Erfahrung!

Doch, daß ich mit Gelehrten Zank vermeide,

So sag’ ich dies: sie sind gemacht für beide;

Das heißt: Zur Nothdurft wie zur Zeugung auch

Macht man davon, wenn’s Gott gefällt, Gebrauch.

Wie könnte man zu schreiben sich erdreisten,

Was seinem Weib er schulde, solle leisten

Der Mann, wenn ihm zu zahlen nicht vergönnt

Ist der Gebrauch von seinem Instrument?

Zum Zeugen hat sie jede Creatur,

Das ist gewiß, und nicht zum P….. nur.

Doch sag’ ich darum nicht: die Pflicht erheisch’ es,

Daß dies erwähnte Rüstzeug seines Fleisches

Zu Zeugungszwecken brauche Jedermann,

Und setze jede Keuschheit hinten an.

Christ war ein Mann, doch eine Maid an Sinn,

Und manche Heil’ge lebten seit Beginn

Der Welt in gänzlicher Enthaltsamkeit.

Doch läßt mich ihre Keuschheit ohne Neid,

Laßt sie sich nähren stets mit Weizenbrod,

Und gebt uns Weibern das von Gerstenschrot.

Und doch mit Gerstenbrot, wie Mark uns weißt,

Hat unser Herr einst Massen Volks gespeist.

Wie mir durch Gott gefallen ist mein Loos,

So will ich bleiben. Ich bin anspruchslos;

Und frei will ich als Weib mein Instrument

Gebrauchen, wie mein Schöpfer es mir gönnt.

– Sprech’ ich zu kühn, mag Gott für Reue sorgen –

»Mein Mann soll’s haben Abends und am Morgen,

Gefällt es ihm, zu leisten, was er schuldig.

Doch eines Manns bedarf ich, der geduldig

Als Schuldner und als Sclave mir gehorcht;

Und für den Dorn im Fleische wird gesorgt

Von mir gewiß, solang’ ich bin sein Weib!

Denn lebenslänglich hab’ ich seinen Leib

In meiner Macht, doch er nicht umgekehrt;

Denn so hat der Apostel es gelehrt.

Er hieß den Mann uns schuld’ge Freundschaft leisten,

Und die Sentenz gefiel mir stets am meisten!«

Auf fuhr der Ablaßkrämer und hub an:

»Nun, liebe Frau, bei Gott und St. Johann!

Ihr predigt wacker über diese Sachen.

Auch ich gedachte Hochzeit bald zu machen.

Doch soll im Fleisch ich’s büßen also theuer,

Lass’ ich indeß das Freien lieber heuer!«

»Sei still!« – sprach sie – »ich habe kaum begonnen.

Ei! Du sollst trinken aus ganz andern Tonnen,

Eh’ ich zu Ende! – Schlechter wird als Bier

Dir’s sicher munden, wird erzählt von mir

Erst von des Ehestandes Noth und Leid,

Worin erfahren ich seit langer Zeit.

– Das heißt: ich selbst war’s, die die Peitsche schwang. –

Nun? hast Du Lust noch oder nicht, den Trank

Vom Faß zu schlürfen, das ich angespundet?

Doch, eh’ Du nahst, bedenke, wie es mundet!

Ich führe mehr als ein Exempel an,

Daß Andern oft zur Warnung dient der Mann,

Der sich von Andern selbst nicht warnen läßt.

Die Worte findest Du im Almagest

Von Ptolemäus; lies es selber nach!«

»Verehrte Frau!« – der Ablaßkrämer sprach –

»Gefall’ es Euch, nur weiter fortzufahren

In dem Bericht und Niemanden zu sparen,

Und lehrt uns junge Männer Eure Ränke!«

»Recht gern!« – sprach sie – »wenn’s Euch gefällt? – Doch schenke

Mir Nachsicht die verehrte Compagnie,

Und red’ ich hier nach meiner Phantasie,

Nehmt, was ich sage – bitte – nicht zu Herzen!

Mein Zweck ist nur, zu spaßen und zu scherzen.

Nun, Herr’n, jetzt geht es weiter! Sollten mir

Auch niemals munden fürder Wein und Bier,

Von meinen Männern sprech’ ich, wie es recht.

Drei waren gut und zweie waren schlecht;

Und reich und alt die dreie, welche gut.

Doch sie erfüllten schlecht nur das Statut

In Hinsicht dessen, was sie mir zu leisten.

– Nun, was ich meine, rathen wohl die meisten. –

Gott steh’ mir bei! noch lach’ ich, denk’ ich jetzt,

Wie ich sie Nachts zur Arbeit angehetzt!

Doch, meiner Treu’! viel wurde nicht prästirt.

Sie hatten mir ihr Gut und Land cedirt,

Drum, daß um ihre Liebe diensterbötig

Ich länger würbe, war für mich nicht nöthig.

Bei Gott! sie liebten treulich mich! Indessen

Viel Leckereien gab es nicht zu essen.

Ein kluges Weib muß ihr Geschäft verstehn,

Und Liebe wecken, will’s nicht anders gehn.

Doch, da ich schon vollständig in der Hand

Sie selber hatte und ihr Gut und Land,

Was lag mir da an ihrer Gunst noch viel,

Wenn mir’s Profit nicht brachte, nicht gefiel?

Doch schwitzen ließ ich sie in mancher langen

Und lieben Nacht, bis alle Weh’ sie sangen,

Und für sie fett gemacht ward nicht der Schinken

Wie zu Dunmow in Essex, will mich dünken!

Ich wußte sie nach meinem Sinn zu lenken,

Von jeder Kirmeß kehrten mit Geschenken

Sie fröhlich heim und brachten sie mir dar,

Und waren selig, wenn ich freundlich war,

Denn das weiß Gott, ich schimpfte sie genug.

Doch, nun erzähl’ ich, wie ich mich betrug.

Ihr Weiber, die Ihr klug seid und verständig,

Schwatzt in das Unrecht Euren Mann beständig!

Denn lügen kann und schwören nie ein Mann

So unverschämt, wie eine Frau es kann.

– Die klugen Weiber brauchen keinen Rath,

Er gilt für die, so man mißleitet hat. –

Ein Weib, das schlau ist und verständnißvoll,

Beweist wohl ohnehin, die Kuh sei toll,

Dem Ehemann und läßt die Magd drauf schwören.«

Doch, wie ich sprach, sollt Ihr von mir jetzt hören:

»Du alter Hundsfott! ist das Deine That,

Daß unsres Nachbars Weib in solchem Staat

Einherstolzirt für Jedermann zum Wunder,

Und ich kaum ausgehn kann in meinem Plunder?

Was hast Du nur im Nachbarhaus zu schaffen?

Ist sie so schön? Mußt Du Dich gleich vergaffen?

Was hast Du stets mit meiner Magd zu flüstern?

Ei, alter Lecker! immer bist Du lüstern!

Doch wenn ich einen Freund mir zugeselle,

Betret’ ich arglos eines Nachbars Schwelle,

So schiltst Du mich gleich wie ein Teufel aus.

Und Du kommst heim besoffen wie die Maus

Und predigst – schlimm ergeh’ Dir’s – auf den Bänken

Und sprichst: Es müsse an die Kosten denken

Ein Mann beständig, der sich arm gepaart.

Und eine Reiche, adeliger Art,

Die – sagst Du – sei ganz sicher voller Grillen

Und unerträglich ihres Stolzes willen.

Bei einer Schönen – sagst Du – sei’s erklärlich,

Daß jeder Wüstling gleich nach ihr begehrlich,

Und mit der Keuschheit, die bestürmt stets sei

Von allen Seiten, sei es bald vorbei.

Man nimmt uns – sagst Du – bald weil unser Geld,

Bald Wuchs, bald Schönheit einem Mann gefällt,

Bald des Gesanges, bald des Tanzens wegen,

Bald weil dem Mann an Reiz und Spaß gelegen,

Bald weil so zierlich Arme sind und Hände,

Und so zum Teufel geht es bis ans Ende!

Es widerstände – sagst Du – keine Mauer,

Die rings belagert sei, auf lange Dauer.

Von einer Häßlichen sagst Du, sie hänge

Sich gleich an jedes Mannsbild an und spränge

Um Jeden, wie ein Wachtelhund, umher,

Bis schließlich einer ausgefunden wär’;

Denn sei auch noch so grau die Gans im Graben,

Sie wolle – sagst Du – ihren Gänsrich haben;

Und da nur Undank – sagst Du – man empfinge,

So sei ein Weib das schlimmste aller Dinge!

So sprichst Du Flegel, gehst Du Nachts zu Bette!

Und daß kein kluger Mann es nöthig hätte,

Sei er auf Seligkeit bedacht, zu frein.

Ich wollt’, ein Blitz vom Himmel schlüge drein,

Und Deinen alten, welken Nacken bräch’ er!

Der Rauch – sagst Du – und löcherige Dächer

Und zänk’sche Weiber trieben aus dem Haus

Die Männer fort. – Doch sag’ mir, ei der Daus!

Was treibt Dich, so zu schimpfen, alter Gecke?

Im Anfang – sagst Du – zwar das Weib verstecke,

Doch nach der Hochzeit zeige sie die Klau’n.

– Das ist ein Sprüchwort wohl von bösen Frau’n? –

Du sagst: die Ochsen, Esel, Pferde, Hunde

Würden geprüft erst, daß je nach Befunde,

Wie Löffel, Fässer, Stühle, Bänke, Tröge

Und Hausgeräth, man sie erstehen möge.

So prüfe man auch Töpfe oder Kleider,

Doch blieben ungeprüft die Frauen leider;

– So sagst Du, Schwätzer! – bis man nach der Ehe

Dann alle Laster, die sie hätten, sähe!

Und ferner sagst Du: ich sei stets verdrießlich,

Lobtest Du meine Schönheit nicht ausschließlich,

Und priesest Du nicht immer mein Gesicht,

Und nenntest überall mich Dame nicht;

Wär’ mein Geburtstag festlich nicht begangen,

Könnt’ ich nicht stets in frischen Kleidern prangen,

Sprächst Du mit meiner Zofe, meiner Amme

Und der Verwandtschaft vom Familienstamme

Nicht ehererbietig sonder Unterlaß.

– So sagst und klagst Du, altes Lügenfaß!

Und auch mit unserm Schreiber, dem Johann,

Dem krausbehaarten, goldgelockten Mann,

Der mir so fleißig seinen Hof stets macht,

Hast Du mich ganz mit Unrecht im Verdacht.

Ich will ihn nicht und stürbest Du auch morgen!

Doch sage mir, warum hälst Du verborgen

Den Kassenschlüssel so besorgt vor mir?

Gehört das Geld, Pardi! nicht mir wie Dir?

Glaubst Du, es sei Madam nicht bei Verstand?

Beim Heil’gen, der St. Jakob ist genannt,

Nicht länger sollst von meinem Leib und Gut

Du Meister sein, und tobtest Du vor Wuth

Und schnittest mir das grimmigste Gesicht!

Auch alles Spioniren hilft Dir nicht!

Ich glaube wohl, weit lieber schlössest Du

Mich in den Schrank, anstatt zu sprechen: ›Thu’,

Was Dir gefällt, mein Weibchen, ohne Scheu;

Mehr als Gerüchten trau’ ich Deiner Treu’!‹

Der Mann mißfällt uns, der stets sorgt und denkt,

Wohin wir gehn. Wir sind gern unbeschränkt.

Genug zu preisen ist von Menschen nie

Der größte Meister der Astrologie,

Dan Ptolemäus, der im Almageste

Geschrieben hat, es sei der Weisheit beste,

Sich nicht zu kümmern, wer regiert die Welt.

Aus diesem Sprüchwort klar für Dich erhellt:

Laß Dir an dem, was Du besitz’st, genügen,

Und gönne Du den Leuten ihr Vergnügen.

Du alter Schwätzer! mach’ doch alle Nächte

Nur frisch Gebrauch von Deinem Eherechte!

Der wär’ ein äußerst arger Filz zu nennen,

Der uns versagen wollte, anzubrennen

An der Laterne, die er trägt, ein Licht.

Laß Dir genügen, und beklag’ Dich nicht!

Du sagst auch ferner, wenn wir mit Geschmeiden

Uns schmücken oder stattlich uns bekleiden:

Es sei von uns die Keuschheit in Gefahr.

Durch des Apostels Worte sei ganz klar

In dieser Sache der Beweis zu führen,

Dieweil er spräche: Weiber sollten zieren

In ihrer Kleidung sich mit Zucht und Scham

Und nicht mit Zöpfen, oder üpp’gem Kram,

Mit Perlen, Gold und köstlichem Gewand.

– Nicht mehr als eine Fliege an der Wand

Halt’ ich vom Text und von dem ganzen Satze. –

Du sagst auch ferner: ich sei gleich der Katze;

Die bleibe, wenn man ihr versengt das Fell,

Ruhig zu Haus, indessen laufe schnell,

Wenn’s wieder schön und glänzend sei, hinaus

Und bleibe keinen halben Tag zu Haus,

Sie wolle fort, sobald der Morgen graue,

Damit ihr Fell sie zeige – und miaue;

Das heißt, Du Schelm: ich liebte, auf den Gassen

In neuem Kleiderstaat mich sehn zu lassen!

Du alter Narr! Dein Schnüffeln hilft Dir nicht!

Und bätest Argus Du, der im Gesicht

Einhundert Augen hat, Schildwach zu stehn,

So würd’ ich doch ihm eine Nase drehn;

Mir sollt’ es schon, bei meiner Treu’! gelingen.

Du sagst auch: immer rühre von drei Dingen

Auf dieser Erde jedes Unheil her,

Und daß ein viertes nicht zu tragen wär’.

Herr Widerbeller! kürze Christ Dein Leben!

Ei! predigst Du, ein böses Weib sei eben

Die eine von den widerwärt’gen Sachen?

Kannst Du nicht andere Vergleiche machen?

Mußt Du zum Gegenstande der Parabeln

Dir stets ein armes, dummes Weib ergabeln?

Du sagst: des Weibes Liebe glich’ der Hölle,

Dem wüsten Lande, drin kein Wasser quelle.

Sie gliche – sagst Du – einer Feuersgluth,

Die, einmal brennend, stets mit größrer Wuth

Alles, was brennen wolle, rings verzehre:

Und wie ein Wurm – sagst Du – den Baum zerstöre,

Zerstör’ auch ihren Ehemann die Frau;

Das wisse, wer nicht ledig sei, genau.« –

Daß grade so, wie ich’s, ihr Herr’n, erzählt,

Sie in der Trunkenheit mit mir geschmält,

Hielt steif und fest ich meinen Männern vor.

Zwar war es falsch. – Doch, da es Hans beschwor

Und meine Nichte sich mit mir vereinigt,

Du lieber Gott! so wurden sie gepeinigt,

Bei Christi Kreuz! ganz schuldlos obendrein.

Denn wie ein Gaul konnt’ beißen ich und schrein.

Doch, hätt’ ich nicht zu klagen angefangen,

So wär’ es manchmal mir wohl schlimm ergangen.

Wer zuerst kommt, zuerst gemahlt erhält;

Wer zuerst klagt, behauptet auch das Feld.

So kam’s, daß sie mich um Entschuld’gung baten,

Selbst über Dinge, die sie niemals thaten.

Ich schwur, mit Dirnen hätt’ ich sie gesehn,

Und konnten sie vor Schwachheit auch kaum gehn.

Doch kitzelt’ es ihr Herz; und jeder dachte,

Daß mich besorgt für ihn nur Liebe machte.

Ich schwur, war ich zur Nachtzeit ausspaziert,

Nach ihren Dirnen hätt’ ich spionirt.

Durch diesen Vorwand fand ich viel Vergnügen.

Denn nicht umsonst ist Spinnen, Weinen, Lügen,

Schon seit dem Tage der Geburt fürs Leben

Von Gott uns Weibern gütigst mitgegeben.

In einer Sache muß ich selbst mich loben,

Ich blieb in jeder Hinsicht schließlich oben,

Ich griff zur List, Gewalt und andern Mitteln,

Wie stetem Murr’n und ewigem Bekritteln.

Im Bett besonders wußt’ ich sie zu plagen.

Da konnt’ ich schelten und den Dienst versagen.

Ja, aus dem Bette droht’ ich oft zu springen,

Wenn sie mit ihren Armen mich umfingen.

Erst wenn sie Lösegeld bezahlt mir hatten,

Wollt’ ihre Niedlichkeiten ich gestatten.

Ein jeder Mann gedenke meines Raths,

Käuflich ist Alles, und wer zahlt, der hat’s;

Mit leeren Händen ist schlecht Falken fangen;

Doch für Gewinn erheuchelt’ ich Verlangen

Und that, als gäb’ ich voller Lust mich hin,

Obschon von Schinken sonst kein Freund ich bin;

Das heißt: ich lag mit ihnen stets im Streite,

Und hätte selbst der Papst auf ihrer Seite

Gestanden, wäre ihnen nichts erspart,

Da Wort um Wort von mir quittirt stets ward.

Ja, beim allmächt’gen Gott! sollt’ ich sofort

Mein Testament jetzt machen, nicht ein Wort

Bin ich mehr schuldig, das ich wett nicht machte.

Durch meinen Witz ich’s schließlich dahin brachte,

Daß sie für besser fanden, nachzugeben;

Sonst hatten sie nie Rast und Ruh’ im Leben;

Und schauten wie die Löwen sie verdrießlich,

So krochen dennoch sie zu Kreuze schließlich.

Dann wollt’ ich sagen: »So ist’s recht und brav!

Wie fromm und sanft ist Wilkin, unser Schaf!

Komm, Männchen! laß mich Deine Wange küssen!

Geduld und Sanftmuth wirst Du lernen müssen!

Spricht Dein Gewissen Dich denn niemals schuldig,

Wenn Du erzählst, wie Hiob war geduldig?

Nun, was Du predigst, halte drum in Ehren!

Und thust Du’s nicht, so will ich Dich belehren:

Soll in der Ehe Frieden uns beglücken,

So muß sich einer von uns Beiden bücken,

Und, da als Mann weit mehr vernünftig Du

Als Deine Frau bist, so kommt Dir es zu.

Jedoch, was quält Dich, daß Du stöhnst und ächzest?

Ist’s meine Heimlichkeit, nach der Du lechzest?

Hier, Peter, ist sie! nimm Dir Alles hin!

Ich schelte zwar, doch zärtlich ist mein Sinn!

Wollt’ ich verhandeln meine belle chose

Ging ich einher wohl schöner als die Rose!

Jedoch, bei Gott! wie übel Du gethan,

Bewahr’ ich sie für Deinen Leckerzahn!«

Manch solches Wort wir miteinander hatten;

Doch sprech’ ich jetzt von meinem vierten Gatten.

Ein schlimmer Schwärmer aber war der vierte,

Der sich mit einem Kebsweib verlustirte.

Und dennoch jung, stark, geil und widerhaarig

Und so vergnügt, wie eine Elster, war ich.

Zur Harfe konnt’ ich mich im Tanze schwingen,

Und wußte wie die Nachtigall zu singen,

Hatt’ ich getrunken etwas süßen Wein.

Ja, selbst der Schuft, Metellius, dieses Schwein,

Der mit dem Stocke seine Frau erschlug,

Nur, weil sie Wein trank, sollte mir genug

Zu trinken geben, hätt’ er mich genommen!

Doch von dem Wein muß ich auf Venus kommen.

So wie die Kälte Hagel zeugt und Reif,

Hat leckres Maul auch einen leckren Schweif.

Nicht widersteht die weinberauschte Frau,

Das wissen alle Wüstlinge genau.

Ach, Herr und Christ! gedenk’ ich an die Zeit

Der Jugendfrische und der Lustigkeit,

So juckt es mich im tiefsten Herzensgrunde

Noch vor Vergnügen bis auf diese Stunde,

Daß ich die Welt genoß in jenen Tagen!

Das Alter, ach! bringt manche bittre Plagen!

Ich fühle Kraft und Schönheit mir entfliehn;

Fahrt hin! lebt wohl! zum Teufel mögt ihr ziehn!

Das Mehl ist alle! da hilft kein Geschrei!

So gut es geht, verkauf’ ich jetzt die Klei’!

Doch an Vergnügen soll es mir nicht fehlen!

Von meinem vierten Mann laßt mich erzählen!

Wie schon gesagt, mein Haß war nicht gering,

Daß er auf fremder Fährte manchmal ging;

Bei St. Jodocus! – wir sind Beide quitt,

Da ich sein Kreuz aus gleichem Holz ihm schnitt.

Zwar nicht zur Unzucht braucht’ ich meinen Leib,

Doch gönnt’ ich Manchem solchen Zeitvertreib,

Daß ich in seinem eignen Fett ihn briet,

Und er in Eifersucht und Wuth gerieth.

Sein Fegefeuer war ich hier hienieden;

Drum hoff’ ich, jetzt hat seine Seele Frieden,

Denn, weiß es Gott! – er sang und schrie vor Wehe,

Drückte sein Schuh ihm allzusehr die Zehe,

Und Gott und ihm ist es allein bekannt,

Was, ihn zu pein’gen, Alles ich erfand.

Er starb, als von Jerusalem zu Haus

Ich kehrte, und ruht unterm Kreuze aus,

Jedoch sein Grabmal war mit mindrer Pracht

Als des Darius Ruhestatt gemacht,

Die einst Apelles schuf mit Kunstvollendung;

Denn ich begrub mit weniger Verschwendung!

Er lebe wohl! Mög’ Gott ihm gnädig sein!

Im Grabe ruht er und er liegt im Schrein!

Von meinem fünften Mann ich jetzt erzähle!

Gott sende nicht zur Hölle seine Seele!

Doch hat er mir am schlimmsten zugesetzt;

Das fühl’ an meinen Rippen ich noch jetzt,

Und werd’ es fühlen bis ans Lebensziel!

Doch frisch und froh trieb er im Bett sein Spiel,

Und das Gekirr verstand er und Gekose,

Gelüstet’ ihm nach meiner belle chose;

Gewinnen konnt’ er, wenn er alle Glieder

Mir auch zerschlug, stets meine Liebe wieder.

Ich liebt’ ihn besser, denk’ ich, weil so rar

Und so gefährlich seine Liebe war.

Wir Weiber sind – denn nimmer lügen will ich –

In diesem Punkt oft wunderlich und grillig;

Wir schrei’n und gieren tagelang nach Dingen

Allein, weil sie nur schwierig wir erringen;

Was man verbietet, wird von uns begehrt,

Jedoch wir fliehen, was man uns gewährt;

Verkauft wird unser Krimskram mit Gefahren;

Bei vollem Markte steigt der Preis der Waaren,

Und was zu billig ist, bedünkt uns schlecht;

Darin giebt jedes kluge Weib mir Recht.

Den fünften Mann – es gebe Gott ihm Segen! –

Nahm ich aus Liebe, nicht des Reichthums wegen.

Von Oxford, wo er als Scholar studirte,

Kam er in unsre Stadt, und dort quartierte,

Er sich bei meiner Frau Gevatt’rin ein,

Frau Alison – Gott mög’ ihr gnädig sein! –

Sie kannte meines Herzens Heimlichkeit

Mehr, als der Pfaffe that – auf Seligkeit!

Denn ihr vertraut ich All und Jedes an;

Und mochte Leib und Leben gar mein Mann

Verwirken oder an die Wand nur p……,

Sie und ein andres Weibsbild mußten’s wissen,

Und ebenmäßig ward ein jeder Plan

Auch meiner lieben Nichte kundgethan.

Und dieses that ich häufig, denn – Gott weiß es! –

Wohl überlief ihn manchmal roth und heiß es

Bei seiner Schande, und er schalt sich laut,

Daß er mir seine Heimlichkeit vertraut!

Nun traf es sich zur Fastnacht oft genug,

War ich bei der Gevatt’rin zum Besuch

– Denn immer noch saß ich voll Schelmerei,

Und lief noch gern im März, April und Mai,

Was Neues zu erfahren, Haus von Haus –

Daß ich und Alison aufs Feld hinaus

Spazierten mit dem Schreiber, dem Johann.

Denn, da in London war mein Ehemann,

Wollt’ ich nicht die Gelegenheit verpassen,

Mich auch vor lust’gem Volke sehn zu lassen,

Und selbst zu sehn. Was weiß ich noch, wohin

Ich damals ging in meinem Flattersinn?

Ich war dabei, wenn es Visitationen,

Wenn es Vigilien gab und Processionen;

Auf Pilgerfahrt und zum Mirakelspiel,

Zur Hochzeit und zur Predigt ging ich viel.

Vom schönsten Scharlach trug ich Prachtgewänder;

An meinem Staat gab’s für die Kleiderschänder,

Die Würmer, Motten, Milben nichts zu nagen.

Weißt Du warum? – Weil ich ihn stets getragen!

Doch nun erzähl’ ich Euch, was mir passirte.

Ich sagte, daß ich auf das Feld spazierte,

Wo ich, fürwahr, manch’ lust’ge Schäkerei

Mit unserm Schreiber trieb und ihm dabei

Der Zukunft wegen auch versprach, daß er

Mich freien solle, wenn ich Wittwe wär’.

Gewiß kein Rühmens will ich davon machen;

Doch in der Ehe, wie in andern Sachen,

Sah ich mit Umsicht immer im Voraus.

Ein Lauch nicht werth, dünkt mich, der Witz der Maus,

Die auf ein Loch nur zum Entschlüpfen zählt

Und die dann hin ist, wenn ihr dieses fehlt.

Ich log ihm vor, ich sei behext durch ihn

– Da Alison mir diesen Rath verliehn –

Und redete, mir hätte in der Nacht

Geträumt, ich wäre von ihm umgebracht,

Und daß mein ganzes Bette sei voll Blut;

Jedoch er thäte, hofft’ ich, dennoch gut,

Denn Blut bedeute Gold, sei mir gesagt.

Doch falsch war Alles. Ich war nie geplagt

Von solchen Träumen. Meiner Dame Rath

Befolgt ich nur, wie ich es meistens that.

Doch nun, Ihr Herr’n! – Laßt sehn, wo blieb ich nur!

Aha! bei Gott! ich bin schon auf der Spur!

Als auf der Bahre lag mein vierter Gatte,

Ich in den Augen immer Thränen hatte,

Wie es Gebrauch ist und des Weibes Pflicht,

Und in den Schleier hüllt’ ich mein Gesicht.

Doch hatt’ ich den Ersatzmann schon ersehn;

Drum weint’ ich mäßig – das muß ich gestehn!

Als meinen Mann die Nachbarn unter Klagen

Zur Kirche früh am Morgen fortgetragen,

War auch mein Schreiber, der Johannes, da.

Und – hilf mir Gott! – als ich ihn gehen sah

Mit einem solchen schönen, netten Paare

Von Beinen hinter meines Mannes Bahre,

Gab ich mein ganzes Herz ihm alsobald.

Er war – ich glaube – zwanzig Winter alt

Und – ungelogen – vierzig ich! – Jedoch

Den Füllenzahn bewahrt’ ich immer noch.

Langzähnig war ich, was nicht schlecht mir stand.

Der Venusstempel war mir eingebrannt;

Und hilf mir Gott! ich war ein lustig Weib,

Jung, reich und schön und wohlgeformt an Leib,

Und jeder meiner Gatten schwur – auf Ehre! –

Daß meine S…… rings die beste wäre.

Den Sinnen nach bin ich ganz venerianisch,

Mein Herz indessen ist durchaus martianisch;

Venus gab mir die Lüsternheit und Gluth,

Und Mars gab mir den unverzagten Muth.

Der Stier mit Mars drin, war mein Ascendente.

O, weh’, daß Liebe sündlich ist! – Wie könnte

Ich widerstehen der Inclination

Bei solcher Wirkung der Constellation?

Und daher blieb für lustige Genossen

Auch meine Venuskammer nicht verschlossen.

Von Mars indessen trug ich das Gepräge

Im Angesicht und heimlichen Gehege.

Gott gehe mit mir gnädig zu Gericht!

Sehr heikel war ich in der Liebe nicht.

Ich folgte meinem Appetit und Drang;

Ob schwarz, ob weiß er war, ob kurz, ob lang,

Sobald ich nur Gefallen an ihm fand,

Frug ich nicht viel nach Reichthum oder Stand.

Was wollt’ ich sagen? – Schon nach Monatszeit

Nahm mich zur Frau mit großer Festlichkeit

Der lustige, der art’ge Schreiber Hans.

Mein Land, sowie mein Gut gab ich ihm ganz

Und gar zu eigen, wie es mir gegeben;

Doch oft bereut’ ich’s hinterher im Leben.

Von meinen Schlichen wollt’ er gar nichts wissen!

Weil ich ein Blatt aus seinem Buch gerissen,

Schlug er – bei Gott! – mich einstmals mit der Faust,

Daß heute mir’s noch in den Ohren saust!

Wie eine Löwin steif und widerhaarig

Und eine schlimme Lästerzunge war ich.

Noch immer wandern wollt’ ich, wie zuvor,

Von Haus zu Haus, obschon’s mein Mann verschwor;

Und deßhalb las er predigend und lehrend,

Aus alten Römer-Gesten mir fortwährend:

Wie einst sein Weib auf Lebenszeit verließ

Sulpitius Gallus und sie von sich stieß,

Nur aus dem Grunde, weil er sie gesehn

Aus seiner Hausthür unverschleiert gehn.

Auch einen andern Römer er mir nannte,

Der ebenfalls sein Weib von sich verbannte,

Die unerlaubt auf einem Fest gewesen.

Auch aus der Bibel pflegt’ er oft zu lesen

Mir jenes Sprüchwort aus dem Ecclesiasten,

Welches den Männern anräth, daß sie paßten

Auf ihrer Weiber Wandel und Betragen;

Und, ohne Zweifel, pflegt’ er dann zu sagen:

Wer sich aus Weiden baut des Hauses Wände,

Auf blindem Gaul jagt durch gepflügt Gelände,

Und seinem Weibe läßt zu freie Hände,

Der Mann hängt an dem Galgen noch am Ende!

Doch werthlos schienen mir wie Mellerbeeren,

Die weisen Sprüche, wie die alten Lehren.

Ich liebte nicht, daß er mir stets erzählte,

Um mich zu bessern, wo und wie ich fehlte;

Und Viele denken – weiß es Gott! – wie ich!

Doch wurd’ er noch so wüthend gegen mich,

In keinem Fall gedacht’ ich’s zu ertragen!

Beim heil’gen Thomas! jetzt will ich Euch sagen,

Wie einst, weil seinem Buch ich jenes Blatt

Entriß, mein Mann mich taub geprügelt hat.

In einem Buche, welches er besaß,

Er Tag und Nacht stets mit Entzücken las,

Das Valerie und Theophrast er nannte

Und das ihn stets mit Lachen übermannte.

Auch war ein Schreiber noch darin aus Rom,

Ein Cardinal, mit Namen St. Jerome,

Der einst ein Buch schrieb gegen Jovinian.

Dies Buch war da, sowie auch Tertullian,

Crisippus, Trotula und Heloïs,

Die einst Aebtissin war nah’ bei Paris;

Und auch des Königs Salamo Parabeln,

Die Kunst Ovids und manche sonst’ge Fabeln.

Sie waren all’ in einen Band gebunden,

Und immer hielt in seinen freien Stunden,

Lag hinter ihm des Werkeltages Plage,

Er jeder Zeit, bei Nacht sowie bei Tage,

Gewohnheitsmäßig dieses Buch in Händen.

Von bösen Weibern kannt’ er mehr Legenden,

Als in der Bibel sind von guten Frauen.

Unmöglich ist’s – darin mögt Ihr mir trauen –

Daß von den Damen Gutes spricht ein Schreiber.

Zwar lobt er stets das Leben heil’ger Weiber,

Doch andre Frauen preist er nimmermehr!

Doch, wer malt uns den Löwen? – Sagt mir, wer?

Bei Gott! wenn Weiber schrieben die Historien,

Wie Schreiber thun in ihren Oratorien,

So wären Schlechtigkeiten auszukramen

Von Männern, die der ganze Adamssamen

Nie büßen kann! – Die Kinder von Merkur

Und Venus sind verschiedener Natur.

Weisheit und Wissen der Merkur uns giebt

Und Saus und Braus ist’s, was die Venus liebt;

Und weil sie so verschieden disponirt,

Fällt einer, wenn der andre exaltirt.

So ist – Gott weiß! – Merkur stets desolat,

Ist in den Fischen Venus exaltat,

Und Venus fällt, sobald Merkur ist oben;

Drum kann ein Schreiber nie ein Weibsbild loben!

Und wird er altersschwach und werthlos zu

Dem Dienst der Venus, wie ein alter Schuh,

Setzt er sich nieder und schreibt Faseleien,

Daß niemals treu die Ehefrauen seien.

Doch nun zum Zweck! – Pardi! ich wollte sagen,

Weßhalb ich wegen jenes Buchs geschlagen.

Aus diesem Buch zur Abendzeit einst las

Mein Gatte Hans, als er am Feuer saß:

Zuerst von Eva, deren Schlechtigkeit

Das Menschenvolk in Elend stieß und Leid,

Bis Gottes Gnade wieder uns erschloß

Das Herzblut, welches Jesus Christ vergoß.

– Seht! hier wird von dem Weibe man gewahr,

Daß sie Verderberin der Menschheit war! –

Er las, wie Simson erst sein Haar verlor,

Und dann die Augen, weil ihn kahl einst schor

Im Schlaf sein Kebsweib, die Verrätherin,

Und, ungelogen, las er späterhin

Wie Herkules den Tod durch das Gewand

Der Dejanira durch Verbrennen fand.

Auch nichts vergaß er von dem Leid und Wehe

Des Sokrates in seiner Doppelehe:

Wie ihm Xantippe ausleert übern Kopf

Das Nachtgeschirr und mausestill der Tropf,

Den Kopf sich wischend, nichts aus Angst entgegnet,

Als: »Schweigt der Donner, weiß man, daß es regnet!«

Auch von Pasiphae aus Kreta las er.

– An der Geschichte fand gar vielen Spaß er –

Doch, pfui! – Nichts mehr davon! Es ist zu gräulich;

Denn ihre Lust und Neigung war abscheulich!

Wie Klytemnestras liederliches Leben

Zum Tod des Gatten Anlaß hat gegeben,

Las er mir auch mit großer Salbung vor;

Und er erzählte, wie vor Thebens Thor

Amphioraus jäh sein Ende fand;

Und eine Sage war ihm auch bekannt,

Die eigne Gattin, Eriphyle, hätte

Den Griechen ihres Mannes Zufluchtsstätte

Für eine Unze Goldes offenbart;

Wodurch vor Theben böser Dank ihm ward.

Von Luna und Lucilia führt’ er an,

Getödtet hätte jede ihren Mann;

Wobei dort Haß, hier Liebe war im Spiel.

Denn, während Luna, der ihr Mann mißfiel,

Ihn eines Abends spät vergiftet hatte,

Gefiel Lucilien allzusehr ihr Gatte,

Und lüstern, daß er immer an sie denke,

Gab sie ihm solche starke Liebestränke,

Daß er verschieden war am frühen Morgen.

– So hatten Männer immer ihre Sorgen! –

Auch von Latumeus hat er mir gesagt,

Er hätte Arius, seinem Freund, geklagt,

In seinem Garten sei ein Baum zu schauen,

An welchem sich schon drei von seinen Frauen

Erhängt aus lauter Aerger und Verdruß.

»Ach, lieber Bruder!« – sprach drauf Arius –

»Erlaube mir, ein Propfreis abzulegen,

Denn solchen Baum möcht’ ich gern selber pflegen!«

Er las, es hätten auch in spätern Tagen

Im Bette Weiber ihre Herr’n erschlagen,

Die blut’gen Leichen auf die Flur gestreckt

Und mit den Buhlen in der Nacht g…….

Auch Nägel hätten ins Gehirn gehauen

Im Schlaf den Männern manchmal ihre Frauen,

Auch manchmal sie vergiftet mit Getränken.

Er sprach mehr Harm, als sich das Herz kann denken!

Und dabei wußt’ er viel mehr weise Sprüche,

Als jemals Kräuter wuchsen für die Küche.

»Du hältst weit besser« – sprach er – »es im Haus

Mit einem Löwen oder Drachen aus,

Als einem zänkischen und bösen Weibe!«

»Im Winkel lieber unterm Dache bleibe,

Als mit der Zänkerin« – sprach er – »im Zimmer;

Denn widerspenstig ist ein Weibsbild immer,

Und dem, was ihrem Mann gefällt, stets gram!«

»Von sich« – so sprach er – »wirft ein Weib die Scham

Mit ihrem Unterrock.« – »Und eine Frau,

Die schön und zuchtlos ist, gleicht einer Sau,

Die einen Goldreif in der Nase trägt.«

Wer faßt den Ingrimm, welchen ich gehegt?

Wer faßt die Wuth, die ich im Herzen trug?!

Als eines Nachts in dem verfluchten Buch

Sein Lesen wiederum kein Ende fand,

Riß ich ihm rasch drei Blätter aus dem Band,

Worin er las, und mit der Faust zugleich

Gab ich ihm solchen derben Backenstreich,

Daß überwärts er hinschlug in das Feuer.

Empor voll Wuth sprang wie ein wilder Leu er,

Und mit der Faust gab er mir einen Schlag,

Daß ich, wie leblos, gleich am Boden lag.

Und als er sah, wie still und steif ich schien,

Da ward er blaß und dachte zu entfliehn.

Doch aus der Ohnmacht wieder wach geworden,

Fuhr ich ihn an: »O, Dieb! willst Du mich morden?

Willst Du mich tödten, um mein Gut zu erben?

Komm’ küsse mich und lasse dann mich sterben!«

Und näher kam er und sank auf die Knie’

Und sprach: »O, bestes Alisönchen, nie

Schlag’ ich Dich wieder! Schenke Gott mir Huld!

Und that ich’s jetzt, so war es Deine Schuld!

Ich bitte Dich, vergiß es und vergieb!«

Doch ich gab ihm noch manchen Backenhieb

Und sagte: »Dieb! ich will es an Dir rächen!

Jetzt will ich sterben und kein Wort mehr sprechen!«

Jedoch zuletzt nach manchem Weh und Leide

Versöhnten und vertrugen wir uns Beide.

Er gab die Zügel mir in meine Hand

Und die Regierung über Haus und Land,

Und Hand und Zunge hielt ich ihm in Steuer,

Und auch sein Buch schmiß er für mich ins Feuer.

Nachdem die Leitung und die Meisterschaft

In dieser Art ich mir zurückgeschafft

Und: »Liebes Weibchen!« – er zu mir gesagt –

»Thu’ lebenslang allein, was dir behagt,

Bewahr’ Du Ehre mir und Gut und Haus!«

Seit jenem Tag war alles Zanken aus.

So gut und treu war, wie auf Gott ich bau’!

Von Dänemark bis Indien keine Frau,

Wie ich für ihn, und er that es mir gleich.

Und daher bitt’ ich Gott im Himmelreich,

Er gehe gnädig mit ihm zu Gerichte! –

»Nun hört mir zu! – Jetzt komm’ ich zur Geschichte!«

Der Bettelmönch bei diesen Worten lachte

Und sprach: »Madam, nach langem Paßgang brachte

Uns der Prolog jetzt ganz zu paß ans Ziel!«

Der Büttel, dem des Bruders Spaß mißfiel,

Rief aus: »Seht an! bei Gott und seinen Engeln!

Ein Bettelmönch muß Alles doch bemängeln!

Ja, wie die Fliegen fällt ein Bettelbruder

Auch allsofort auf jedes Fleisch und Luder!

Was hat mit Paßgang alles Dies zu thun?

Ob Paß, ob Trab, laß es in Frieden ruhn

Und gönn’ uns an der Sache das Vergnügen!«

»Herr Büttel!« – sprach der Bruder – »ohne Lügen!

Gefällt es Euch, so will ich gern berichten

Von einem Büttel zwei bis drei Geschichten,

Bevor ich geh’, und sicher lacht man tüchtig!«

»Verwünschen möchte, Bruder, Dein Gesicht ich!«

– So sprach der Büttel – »und mich selbst daneben,

Wüßt’ ich nicht auch zwei bis drei Schnurren eben

Von Bettelmönchen! Jammern sollst Du, ehe

Nach Sidenborn wir kommen, denn ich sehe,

Daß alle Fassung Du verloren hast!«

»Das Streiten« – rief der Gastwirth – »unterlaßt!

Die Frau erzählt, und ihren Worten lauscht Ihr!

Betragt Euch nicht, als wär’t in Bier berauscht Ihr!

Erzählt, Madam! – So ist’s am Besten, glaubt!«

»Recht gern, mein Herr,« – sprach sie – »sofern erlaubt

Mir dieser würd’ge Bruder nur das Wort.«

»Madam,« – sprach er – »ich höre! Fahret fort!«

Die Erzählung des Weibes von Bath.

Vers 9005–9412.

In Königs Artus längstvergangner Zeit,

Die jeder Britte rühmt und preist, war weit

Und breit das ganze Land gefüllt mit Fee’n.

Man sah im Tanz sich mit Gespielen drehn

Die Elfenkönigin auf grünem Gras.

– So war die alte Meinung, wie ich las. –

Schon viele hundert Jahre sind es her,

Und Elfen giebt es heut’ zu Tag nicht mehr.

Das macht das Beten und die Frömmigkeit

Der vielen Bettelmönche, die zur Zeit

Durchstreifen jedes Flußgebiet und Thal,

So dick wie Mücken in dem Sonnenstrahl,

Einsegnend Hallen, Kammern, Küchen, Ställe

Und Städte, Burgen, Schlösser und Kastelle,

Milchstuben, Häuser, Dörfer, Scheunen, Zimmer;

Das scheuchte fort von uns die Fee’n auf immer.

Wo früher einen Kobold man gesehn,

Da pflegt anjetzt ein Bettelmönch zu gehn,

Und streift durch die Limitation vom Kloster,

Sein Ave betend und sein Paternoster,

Am späten Abend und am frühen Morgen.

Die Weiber gehen ohne Furcht und Sorgen

Bei jedem Busch und Baume jetzt einher.

Da ist kein andrer Incubus wie er,

Und der wird ihnen keinen Schimpf anthun.

An König Arthurs Hofe lebte nun

Ein lust’ger Junggesell; und es geschah,

Daß er ein Mädchen einsam wandeln sah,

Die, als er von der Reiherbeize ritt,

Desselben Weges grade vor ihm schritt;

Und er beraubte durch Gewalt und Kraft

Sie wieder Willen ihrer Jungfernschaft.

Vor König Artus viel Geschrei entstand,

Ob der Gewaltthat, und zu Recht erkannt

Ward gegen diesen Rittersmann auf Tod

Durch Kopfverlust, wie das Gesetz gebot,

Und es enthalten war in den Statuten.

Die Königin und andre Damen ruhten

Indessen nicht, den König anzuflehn,

Bis dieser Gnade ließ für Recht ergehn,

Um die Entscheidung über Tod und Leben

Der Königin auf Wunsch anheim zu geben.

Es dankte herzlich ihm die Königin.

Zum Ritter aber sagte späterhin

Sie bei Gelegenheit an einem Tage:

»Es schwebt« – sprach sie – »in ungewisser Lage

Noch stets Dein Leben. – Doch ich schenk’ es Dir,

Giebst Antwort Du auf meine Frage mir:

Was ist es, das zumeist ein Weib begehrt?

Bewahre Deinen Nacken vor dem Schwert!

Und kannst Du mir sofort nicht Rede stehn,

Magst auf ein Jahr und einen Tag Du gehn

Und suchen, bis Du aufgefunden hast,

Was sich als Antwort auf die Frage paßt.

Doch, eh’ Du fortziehst, stelle Bürgschaft mir,

Daß Du erscheinst persönlich wieder hier.«

Weh war dem Ritter, und er seufzte schwer.

Was half’s? – Für ihn gab’s freie Wahl nicht mehr,

Und endlich war er zu der Fahrt entschlossen,

Um heimzukehren, wenn ein Jahr verflossen,

Mit solcher Antwort, wie ihm Gott verliehn;

Drum nahm er Abschied, um dann fortzuziehn.

Und jedes Haus durchsucht er, jeden Ort,

Auf Lösung hoffend für das Fragewort:

Was ist es, das zumeist ein Weib begehrt?

Indeß umsonst! Er wurde nicht belehrt:

In dieser Sache stimmten insgemein

Zwei Creaturen niemals überein.

Die sagten: Reichthum liebt zumeist das Weib;

Die sagten: Ehre; jene: Zeitvertreib;

Die sagten: Putz; die: Liebesleckerei’n,

Und Wittwe werden und von Neuem frein.

Am meisten uns gefiele – sprachen diese –

Wenn man uns weidlich schmeichelte und priese.

– Sie sind der Wahrheit nah’; nicht sag’ ich nein;

Zumeist gewinnt man uns durch Schmeichelei’n;

Durch Artigkeit und Höflichkeit lockt Alle

Mehr oder weniger man in die Falle. –

Und jene sagten: unser Hauptbegehren

Sei, daß wir frei im Thun und Handeln wären,

Daß man nicht über unsre Laster tobe

Und uns als weise stets und treu belobe.

Denn keine von uns Allen bleibt gelassen,

Will ihr ein Mann den wunden Fleck befassen;

Sie schlägt und stößt, spricht er sie nicht zu gut.

– Versucht es selbst, dann wißt Ihr, wie es thut! –

Denn mögen noch so lasterhaft wir sein,

Gern gelten wir für klug und sündenrein.

Und Andre sagten: uns zumeist erfreute,

Hielten für fest und standhaft uns die Leute,

Und für verschwiegen und für zuverlässig,

In dem, was mitgetheilt uns sei. – Indeß ich

Erachte keinen Besenstiel das werth.

Pardi: kein Weib kann schweigen! – Dieses lehrt

Uns Midas schon. – Soll ich von ihm berichten?

Wohlan! – In seinen kleineren Geschichten

Erzählt Ovid: daß unter langen Haaren

An Midas Kopf zwei Eselsohren waren,

Die er, so gut es eben ging, versteckte,

So daß man sein Gebrechen nie entdeckte.

Nur seiner Frau war es allein bekannt,

Weil er’s aus Liebe dieser eingestand.

Indeß er bat sie, Keinem auf der Welt

Je zu verrathen, er sei so entstellt.

Und sie beschwor, daß für kein Gut der Erde

Die böse Sünde sie begehen werde,

So schlechten Namen ihrem Mann zu machen.

Die eigne Scham gebiete von den Sachen

Zu schweigen schon. – Doch quälte sie es arg

Bis auf den Tod, was heimlich sie verbarg;

Und schwer lag’s auf dem Herzen ihr beständig,

Und davon sprechen mußte sie nothwendig.

Vertrauen durfte sie es keinem Andern,

Drum dachte sie zum nahen Sumpf zu wandern.

Sie läuft, kommt an; es pocht ihr Herz und trommelt;

Und wie die Dommel, die im Rohre dommelt,

Legt an das Wasser sie den Mund und spricht:

»Nun hör’ mich Wasser, doch verrath’ es nicht,

Denn zur Vertrauten hab’ ich Dich erkoren:

Es hat mein Mann – zwei lange Eselsohren!

Nun ist’s heraus! – Jetzt ist mein Herz gesund!

Nicht länger halten konnt’ ich meinen Mund!«

Hier könnt Ihr sehn, wir schweigen eine Zeit,

Doch dann heraus muß unsre Heimlichkeit.

Wer wissen will, wie es zu Ende geht,

Der les’ Ovid, wo es geschrieben steht.

Als nun der Ritter, von dem mein Bericht

Besonders handelt, sah, er könne nicht

Ergründen, was ein Weib zumeist begehr’,

Trat er, im Kopf und Herzen sorgenschwer,

Den Rückweg an. Nicht länger durft’ er weilen,

Der Tag war da, und heimwärts mußt’ er eilen.

Und es geschah, als er auf seinem Wege

Bekümmert hinritt durch ein Waldgehege,

Daß er an Frauen mehr als vierundzwanzig

Dort miteinander schlingen sah im Tanz sich.

Rasch sprengt’ er zu dem Platze, wo sie waren,

In Hoffnung etwas Weises zu erfahren;

Doch sicher ist, kaum war er völlig da,

War schon der Tanz verschwunden – und er sah

Kein lebend Wesen, keine Creatur.

Ein altes Weib saß auf dem Rasen nur,

Solch’ faul Geschöpf, wie Niemand denken kann.

Das Weib erhob sich und zum Rittersmann

Sprach sie: »Hier ist kein Weg! – Doch saget mir

Auf Treu’ und Glauben, wonach suchet Ihr?

Wer weiß? Gebrauch noch könnt Ihr davon machen,

Wir alten Leute wissen manche Sachen!«

»Lieb Mütterchen,« – der Ritter sprach – »mein Leben

Hab’ ich verwirkt, weiß ich nicht anzugeben,

Nach welchem Ding zumeist ein Weib begehrt?

Wenn Du mir’s sagst, belohn’ ich Dich nach Werth!«

»Versprecht Ihr mir auf Handschlag und auf Ehre«

– Sprach sie – »das erste Ding, das ich begehre,

Sofort zu thun, steht es in Eurer Macht,

So sollt Ihr’s wissen, noch bevor es Nacht!«

»Hier!« – schrie der Ritter – »hast Du Pfand und Eid!«

»Dann« – sprach das Weib – »bist Du in Sicherheit

Für Deinen Kopf. – Nicht rühmen will ich mich,

Doch sicher spricht die Königin wie ich.

Wer von den Stolzen, die den Schleier tragen,

Die in der Haube gehn, wagt nein zu sagen

Zu dem, was ich Dich lehre? Laßt mich sehn!

Doch nun genug – und fürbaß laßt uns gehn!«

Dann raunte sie ihm etwas in die Ohren;

»Frisch auf!« – sprach sie – »und nicht den Muth verloren!«

Und angelangt bei Hof der Ritter sprach:

Er käme pünktlich der Verpflichtung nach,

Und auf die Antwort sei er vorbereitet.

Von edlen Frau’n und Fräulein rings begleitet

Und klugen Wittwen, stieg die Königin

Auf ihren Thron, damit als Richterin

Sie höre, was der Frage Antwort sei.

Und dann rief man den Rittersmann herbei.

Das tiefste Schweigen ließ sie rings befehlen

Und hieß sodann den Ritter, zu erzählen,

Wonach zumeist ein weltlich Weib begehr’?

Nicht wie ein Rindvieh stumm und dumm stand er,

Nein! sprach mit männlich lauter Stimme klar,

Daß es dem ganzen Hof vernehmlich war:

»Erhabne Dame! Königin voll Ehren!

Zu herrschen ist des Weibes Hauptbegehren!

Die Gatten und Geliebten zu regieren

Und über sie das Regiment zu führen,

Ist Euer höchster Wunsch! – Hier ist mein Haupt!

Schlagt mir’s vom Rumpfe, wenn Ihr mir nicht glaubt!«

Am ganzen Hofe keine Dame wagte

Das zu bestreiten, was der Ritter sagte,

Und werth des Lebens er jedweder galt.

Rasch sprang das alte Weib, das er im Wald

Im Rasen sitzen sah, empor und schrie:

»Ach, Gnade, hohe Königin! Verzieh’

Mit Deinem Hof; auch mir sei Recht gewährt!

Die Antwort hab’ dem Ritter ich gelehrt!

Und er versprach auf Handschlag mir und Ehre,

Das erste Ding, was ich von ihm begehre,

Sofort zu thun, ständ’ es in seiner Macht,

Und mein Gesuch sei hiermit vorgebracht:

Mein Wunsch, Herr Ritter ist, daß Du mich frei’st!

Ich rettete Dein Leben, wie Du weißt,

Und sprech’ ich falsch, so sag’ auf Ehre: Nein!«

»O weh!« – begann der Rittersmann zu schrein –

»Zu wohl bekannt ist mir mein Wort und Eid!

Doch Andres fordre aus Barmherzigkeit!

Nimm all mein Gut, den Körper laß in Nuh’!«

»Nein!« – sprach das Weib – »verwünscht sei ich und Du!

Ob alt, ob faul, ob arm, verschmäh’ ich alle

Schätze der Welt und edele Metalle,

Die auf der Erde sind und in der Erde,

Wenn nicht Dein Weib ich und Dein Schatz ich werde!«

»Mein Schatz!?« – rief er – »Mein Untergang vielmehr!

Ward unter allen Leuten irgend wer

Je in so fauler Art wie ich geschändet!?«

Es half ihm nichts. Die Sache war beendet.

Man zwang ihn, dieses alte Weib zu frein,

Und in das Bett stieg er zu ihr hinein.

Vielleicht giebt’s Manchen, der sich arg beschwert

Und spricht: ich halt’ es nicht der Mühe werth,

Daß ich vom Jubel und der Pracht am Tage

Der Hochzeit etwas Näheres besage.

Doch mit der Antwort bin zur Hand ich gleich.

Gewiß an Jubel war das Fest nicht reich.

Nichts gab es als Bekümmerniß und Sorgen.

Still hielt er seine Hochzeit früh am Morgen,

Und blieb, von ihrer Häßlichkeit erschreckt,

Tagsüber wie die Eule stets versteckt;

Und großes Weh in seiner Brust sich regte,

Als man ins Bett zu seiner Frau ihn legte.

Er wandte, wälzte sich vor Ungemach.

Das alte Weib sah lächelnd zu und sprach:

»Mein lieber Gatte, benedicite!

Nimmt so sein Weib ein Rittersmann zur Eh’?

Sind das des Königs Artus Hausgesetze,

Daß jeder Ritter so sein Weib ergötze?

Ich bin Dein Liebchen, bin Dein eigen Weib!

Ich bin’s, der Leben Du verdankst und Leib.

Nie hab’ an Dir ein Unrecht ich vollbracht.

Warum beträgst Du in der ersten Nacht

Dich nur, als ob Verstand und Sinn Dir fehle?

Du lieber Gott! was that ich Dir? – Erzähle!

Wenn ich’s vermag, soll’s bald geändert sein!«

»Geändert?« – rief der Ritter – »Ach! nein, nein!

Das ändert sich wahrhaftig nicht so bald!

Du bist so häßlich und Du bist so alt,

Du bist von Stamm und Abkunft so gemein!

Daß ich mich wälze, kann kein Wunder sein.

Ach! gäbe Gott, es bräche mir das Herz!«

»Ist das« – frug sie – »der Grund von Deinem Schmerz?«

»Gewiß!« – sprach er – »scheint Dir das wunderbar?«

»Nun, Herr!« – sprach sie – »das ändert sich fürwahr,

Wenn mir’s gefällt in wen’ger als drei Tagen;

Und mehr geziemlich magst Du Dich betragen!

Denn meinst Du, daß der Adel nur beruht

Auf altem Reichthum und ererbtem Gut,

Und man Euch deßhalb Edelleute nenne?

Die Arroganz ist werth nicht eine Henne!

Siehst Du den Mann, der, immer tugendhaft,

Gesehn und ungesehn mit aller Kraft

Das Edle sucht und thut, soviel er kann,

Dann siehst Du auch den größten Edelmann!

Den ächten Adel kann nur Christ allein,

Nicht Reichthum und nicht Ahnenzahl verleihn.

Erwerben wir ihr Gut auch insgesammt

Und rühmen uns, daß wir so hoch entstammt,

So können sie mit allen ihren Sachen

Uns ihre Tugend dennoch nicht vermachen.

Sie hießen uns befolgen ihr Exempel,

Und nur, wer das thut, trägt des Adels Stempel.«

Es spricht der weise Dichter von Florenz,

Der Dante hieß, gar schön von der Sentenz,

Wie diese Reime, die er schrieb, Euch zeigen:

»Gar selten nur verjüngt sich in den Zweigen

Des Mannes Biederkeit. – Sie wird verliehn

Nach Gottes Willen und allein durch Ihn!«

Von unsern Vätern läßt sich nichts erwerben

Als Erdengüter, welche bald verderben.

Wie ich, weiß Jeder, pflanzte Adel nur

In einzelnen Familien von Natur

Sich von Geschlechtern zu Geschlechtern fort,

So thäten auch die Enkel, auf mein Wort!

Gesehn und ungesehn, des Adels Pflicht,

Indessen Schlechtigkeit und Böses nicht.

Wenn in das dunkelste der Häuser ihr

Zwischen dem Berge Kaukasus und hier

Ein Feuer tragt, die Thür schließt und geht fort,

So brennt das Feuer ebenmäßig dort,

Wie es vor zwanzigtausend Menschen brennt,

Nach innerster Natur vom Element,

Bei meinem Leib und Leben, bis es stirbt!

Hieraus erhellt, daß nicht Besitz erwirbt

Den Adel uns, denn, wie man leicht gewahrt,

Thut ihre Schuldigkeit die Menschenart

Nicht immer, wie das Feuer von Natur.

Man sieht, Gott weiß es, allzuhäufig nur,

Daß Herrensöhne Lastern sich ergeben.

Drum, wer auf Adel Anspruch will erheben,

Weil er aus einem edlen Hause kam,

Und tugendhaft sich jeder Ahn’ benahm,

Jedennoch denen, die im Grabe ruhn,

Nicht folgt und, statt, was edel ist, zu thun,

In Lastern lebt, der ist bei allem Prunke,

Ob Fürst, ob Graf, statt Edelmann – Hallunke!

Den Adelstitel, der darauf beruht,

Daß unsre Ahnen tugendhaft und gut

Gewesen sind, giebt blindes Ungefähr;

Indeß von Gott stammt alles Edle her,

Und wahrer Adel kommt aus seiner Hand

Ganz unabhängig von Geburt und Stand.

»Erinnert Euch! Es sagt Valerius:

Aus Armuth stieg Tullus Hostilius

Durch edles Thun empor zu höchsten Ehren!

Boetius kann und Seneka Euch lehren,

So klar, daß jeder Zweifel drüber ruht:

Nur der ist edel, welcher Edles thut.

Und deßhalb, lieber Gatte, schließ’ ich so:

Bin ich von Abkunft noch so rauh und roh,

Erlaubt mir dennoch, hoff’ ich, Gottes Gnade,

Mich zu erhalten auf dem Tugendpfade;

Und wenn stets fleckenrein und ohne Tadel

Mein Leben ist, so bin ich auch von Adel.

Was treibst Du über meine Armuth Spott?

Nahm nicht freiwillig unser Herr und Gott,

An den wir glauben, Armuth über sich?

Und daß kein schandbar Leben, sicherlich,

Der Himmelskönig Jesus sich ersehn,

Kann Mann und Weib und Jungfrau klar verstehn.

Wer froh die Armuth trägt, trägt sie mit Ehren,

Wie Seneka und andre Weise lehren.

Schilt man den Armen für geplagt, gequält,

Mir gilt er reich, wenn auch das Hemd ihm fehlt.

Ein armer Wicht ist, wer, von Neid geplagt,

Nach dem gelüstet, was ihm Gott versagt.

Doch, wer nichts hat und nichts begehrt – obgleich

Man ihn den ärmsten Schlucker nennt – ist reich!

Denn wahrhaft arm macht nur der Sünde Qual!

Gar lustig schreibt von Armuth Juvenal:

Es singt ein Armer sorgenlos sein Lied,

Wenn unter Dieben seines Wegs er zieht.

Die Armuth ist ein hassenswerthes Gut,

Jedoch für den, der mit Geduld und Muth

Sie zu ertragen weiß, ein Gramentleerer,

Ein Sorgenbrecher und ein Weisheitsmehrer.

Die Armuth ist – so wunderlich es klingt –

Das einz’ge Gut, um das uns Niemand bringt.

Es macht den Menschen oft der Armuth Stand

Erst mit sich selbst und seinem Gott bekannt.

Die Armuth kann man eine Brille nennen,

Durch welche wir den wahren Freund erkennen.

Nun, Herr! hab’ ich nicht gegen Dich gefehlt,

So laß auch meine Armuth ungeschmält!

Und schimpfst Du alt mich, lieber Herr, so steht

– Ermangelt mir auch Buchautorität –

Es außer Zweifel, edle Herr’n begehren,

Von uns gar oft, daß einen Greis wir ehren,

Und Vater nennen nach des Adels Brauch.

Und Schriftbelege, denk’ ich, fänd’ ich auch.

Bin alt und faul ich, kann Dich nimmer drücken

Die Furcht, daß Hörner Deine Stirne schmücken.

Denn Schmutz und Alter sind – auf Seligkeit!

Die besten Hüter unsrer Züchtigkeit.

Indessen, da mir Dein Geschmack bewußt,

Will ich befried’gen Deine Sinnenlust.«

»Nun wähle« – sprach sie – »zwischen diesen Zwei’n:

Soll faul und alt ich bis zum Tode sein,

Jedoch als Weib Dir so getreu ergeben,

Daß Du mit mir nie mißvergnügt im Leben;

Oder willst Du mich lieber schön und jung,

Auf die Gefahr hin, daß Bewunderung

Für mich im Hause oder anderswo

Mit Zulauf und Umlagrung Dich bedroh’?

Nun wähle selbst nach eignem Wunsch und Willen!«

Der Ritter überlegte sich’s im Stillen

Mit manchem Seufzer, und dann sprach er laut:

»Verehrte Dame, vielgeliebte Braut!

Ich will mich Deiner weisen Leitung fügen!

Entscheide selber, was zumeist Vergnügen

Und was am ehrenvollsten für uns sei?

Dies oder das, mir gilt es einerlei,

Was Dir gefällt, ist auch nach meinem Sinn!«

»Nun, Herr!« – sprach sie – »dann bin ich Meisterin,

Wenn nach Gefallen Dich regier’ und lenk’ ich!«

»Fürwahr« – sprach er – »so ist’s am besten, denk’ ich.«

»Dann küsse mich« – rief sie – »wir sind vereint!

Ich will Dir Beides sein! und das bemeint:

Sowohl ein schönes, wie ein gutes Weib!

Und strafe Gott an Seele mich und Leib,

Wenn ich nicht so getreu und gut Dir bin,

Wie je ein Weib war seit der Welt Beginn;

Und schöner wirst Du mich am Morgen schauen,

Als Kaiserinnen, Königinnen, Frauen

Es je von Osten bis zum West gegeben!

Dir unterthan bin ich auf Tod und Leben!

Den Vorhang lüfte und dann – sieh’ mich an!«

Und als in Wahrheit drauf der Rittersmann

Sie also schön und also jung erblickte,

Er freudig mit den Armen sie umstrickte;

Es schwamm sein Herz in seligen Genüssen,

Und tausendmal bedeckt’ er sie mit Küssen.

Sie war gehorsam und that jedes Ding,

Was er begehrte, stets auf Wort und Wink.

So lebten Beide fröhlich bis ans Ende.

Solch junge, sanfte, frische Männer sende

Uns Allen, Jesus Christus! und daneben

Gewähre gnädig, sie zu überleben!

Indeß das Leben kürze, Jesus Christ!

Dem Manne, der uns nicht gehorsam ist!

Und wenn er zornig, geizig ist und alt,

So schicke Gott die Pestilenz ihm bald!

Der Prolog des Bettelmönches.

Vers 9413–9449.

Der würd’ge Bettelmönch und Klostermann

Sah stets verbissen noch den Büttel an,

Obschon so vielen Anstand er bewies,

Daß er bislang zu schimpfen unterließ;

Jedoch zu guterletzt das Wort er nahm

Und sprach zum Weibe: »Schütz’ Euch Gott! Madam!

Ihr rührtet hier – auf Ehr’ und Seligkeit! –

An Schulmaterien voller Schwierigkeit!

Zwar spracht Ihr schön – das will ich nicht bestreiten –

Indeß, Madam, um Scherz zu treiben, reiten

Wir miteinander hier auf unserm Wege;

In Gottes Namen! laßt die Schriftbelege

Den Priesterschulen und dem Predigtamt.

Doch seid Ihr einverstanden allesammt,

Erzähl’ ich einen Schwank von einem Büttel!

Pardi! ersehen könnt Ihr aus dem Titel,

Daß es gewiß nichts Gutes ist, und drum

Nehm’ es mir keiner von Euch – bitt’ ich – krumm.

Ein Büttel nämlich trägt von Haus zu Haus

Die Strafmandate an die Hurer aus

Und kriegt an jeder Straßenecke Prügel!«

»Ei!« – rief der Wirth – »halt doch in Zaum und Zügel

Dein Maulwerk und bedenke, wer Du bist!

Wir wollen in Gesellschaft keinen Zwist!

Fahr’ fort! jedoch vom Büttel schweige still!«

»Nein!« – sprach der Büttel – »laßt ihn, was er will,

Von mir erzählen! Jeden Deut – das glaubt! –

Zahl’ ich ihm heim, wird mir das Wort erlaubt.

Dann sprech’ ich von dem ehrenwerthen Stande

Der schmeichlerischen Bettelbrüderbande

Und ihrem lasterhaften Thun und Treiben,

Was vor der Hand noch unerwähnt mag bleiben;

Denn sein Geschäft kommt später noch zur Sprache.«

»Still!« – rief der Wirth – »Nichts mehr von dieser Sache!«

Und wandte sich zum Bruder mit dem Wort:

»Mein lieber Meister, fahrt im Texte fort.«

Die Erzählung des Bettelmönches.

Vers 9449–9812.

Es lebte früherhin bei mir zu Land

Ein Erzdekan, ein Mann von hohem Stand

Und größter Strenge gegen Hurerei

Und Zauberkünste, sowie Kuppelei;

Auch unterstanden seinem Urtheilsspruch

Die Schändungsfälle, wie der Ehebruch;

Die Kirchenräthe, wie die Testamente

Und die Versäumniß heil’ger Sacramente

Und Wucher, Simonie und Eh’contracte.

Doch Hurenjäger er am schlimmsten zwackte;

Die mußten brennen; und es büßte theuer,

Wer geizen wollte mit der Kirchensteuer;

Da, wenn der Pfarrer sich darob beschwerte,

Das Strafgeld ohne Gnade sich vermehrte;

Und, war der Zehnte und das Opfer klein,

Schrob er den Sünder dafür ungemein;

Denn, eh’ der Bischof seinen Krummstab schwang,

Stand er im Buch des Erzdekans schon lang;

Als der Vollstrecker der Gerichtsbarkeit

Hatt’ er zu strafen Machtvollkommenheit.

Es ging ein Büttel ihm dabei zu Hand,

Der größte Schlaukopf in ganz Engeland,

Der durch Geschick und List im Spioniren

Alles erfuhr, wobei zu profitiren.

Durch Schonung eines oder zweier Hurer

Kam oftmals zwanzig andern auf die Spur er.

– Mag sich auch drüber faseltoll gebärden

Der Büttel hier; nichts soll geschenkt ihm werden! –

Von ihrer Correction sind wir befreit;

Wir unterstehen der Gerichtsbarkeit

Von ihnen nicht, und werden es auch nimmer!

»Ja, Peter! grade wie die Frauenzimmer

In den Bordellen!« – fiel der Büttel ein.

»Still! mit den widerwärt’gen Stänkerei’n!«

– Rief unser Wirth – »Erzähle, was geschehn;

Mag auch der Büttel Dir dazwischen krähn,

Mein liebster Meister, spare drum kein Wort!«

Der Dieb und Büttel – fuhr der Bruder fort –

Hielt alle Kuppler so in seiner Hand,

Wie man Lockfalken hält in Engeland.

Sie machten jede Heimlichkeit ihm kund,

Denn nicht von gestern war ihr Freundschaftsbund.

Sie waren die vertrauten Hinterbringer,

Und sein Profit war darum kein geringer.

Sein Meister wußte nicht, was er gewann.

Bei Christi Fluch lud den gemeinen Mann

Vor das Gericht er ohne Citation,

Und der war froh, kam er mit Geld davon,

Und gab im Bierhaus dafür ihm zu saufen.

Recht wie ein Judas ließ er sich erkaufen,

Und war ein Dieb, ein rechter Dieb wie er!

Von den Gebühren sah sein Herr nicht mehr

Als kaum die Hälfte; denn er war und blieb

– Soll ich ihn loben – Büttel, Kuppler, Dieb!

Er forschte von den Gassendirnen aus,

Ob Peter, Konrad, Robert oder Klaus

– Wer’s immer war – bei ihnen schlief die Nacht;

Ihm ward stets Alles heimlich hinterbracht.

Sie spielten mit ihm unter einer Decke.

Durch ein Mandat, von ihm zu diesem Zwecke

Gefälscht, lud vors Capitel er die Zwei,

Pflückte den Mann und lies die Dirne frei;

Und sprach: »Mein Freund! wir wollen uns vergleichen,

Ich will Dich aus dem schwarzen Buche streichen;

Für diesesmal magst Du noch ruhig sein.

Ich bin Dein Freund und will Dir Beistand leihn!«

So ließ er sich in jeder Art bestechen;

Man könnte jahrelang darüber sprechen.

Es spürte besser in der Welt kein Hund,

Ob unverletzt das Wild sei oder wund,

Als dieser Büttel jeden Wollüstling

Und Ehebrecher witterte und fing.

Denn da er hierdurch sich sein Brod gewann,

So ging er auch mit allem Eifer dran.

Als eines Tages dieser Büttel ritt,

Nach Beute spähend, über Land, damit

Von einer Wittib, einer alten Trätsche,

Durch falsche Drohung etwas er erquetsche,

Geschah es, daß am grünen Waldesrand

Er einen schmucken Reiter vor sich fand,

Im grünen Wams mit Pfeilen dicht besteckt

Für seinen Bogen, und den Kopf bedeckt

Mit einem schwarzbesetzten Tressenhut.

»Heil!« – rief der Büttel – »Herr! das trifft sich gut!«

»Willkommen mir, wie alle braven Leute!«

– Der Reiter sprach – »Geht Deine Reise heute

Noch weit in diesen grünen Wald hinein?«

Und ihm erwidernd, sprach der Büttel: »Nein!

Nicht gar so weit. Ich bin dem Ziel nicht fern.

Ich habe nahebei für meinen Herrn

Nur eine fäll’ge Rente zu erheben.«

»So bist ein Vogt Du?« – »Ja, das bin ich eben«

– Sprach jener; denn er schämte sich zu sehr

Einzugestehn, daß er ein Büttel wär’. –

»Pardieu! mein lieber Bruder,« – sprach der Reiter –

»Du bist ein Vogt, und, sieh’, ich bin ein zweiter;

Ich bin in diesem Lande nicht zu Haus,

Und drum bitt’ ich mir Deine Freundschaft aus

Und Deine Bruderschaft, wenn’s Dir gefällt.

Mein Kasten steckt voll Gold und Silbergeld;

Und führt zu meinem Lande Dich Dein Loos,

Ist Alles Dein! – Du hast zu wünschen bloß!«

»Grand merci!« – sprach der Büttel – »auf mein Wort!«

Und Hand in Hand beschworen sie sofort,

Sich bis zum Tod als Brüder zu betrachten,

Und ritten weiter, trieben Scherz und lachten.

Der Büttel stak so voller Schwätzerei,

Wie jene gift’gen Würger voll Geschrei,

Und Alles, was er konnte, forscht’ er aus.

»Mein Bruder!« – sprach er – »sag’, wo liegt Dein Haus,

Damit ich weiß, wo ich Dich suchen kann?«

Und sanft erwiderte der Reitersmann:

»Mein Bruder! weit nach Norden mußt Du gehn;

Doch hoff’ ich eines Tages Dich zu sehn;

Denn, eh’ wir scheiden, wirst genug Du wissen,

Um meine Wohnung nimmer zu vermissen.«

»Nun, Bruder!« – sprach der Büttel – »dann gewähre

Mir diese Bitte: auf dem Wege lehre

– Da, wie ich selber, ja ein Vogt Du bist –

Für den Beruf mir ehrlich eine List,

Durch die am meisten ich verdienen kann.

Auf Sünde noch Gewissen kommt es an.

Wie Du es treibst, vertrau’ mir ohne Scheu!«

»Nun, lieber Bruder!« – sprach er – »meiner Treu’!

Die Wahrheit sag’ ich ohne Vorbehalt!

Nur sehr gering und klein ist mein Gehalt,

Mein Herr ist hart und hält mich knapp und spärlich,

Und mein Geschäft ist mühsam und beschwerlich.

Und deßhalb muß ich von Erpressung leben;

Ich nehme Alles, was mir Leute geben,

Und durch Gewalt und schlaues Ueberlisten

Muß ich von Jahr zu Jahr mein Leben fristen!

Nichts andres weiß ich zu erzählen schier!«

»Nun« – sprach der Büttel – »grade so geht’s mir!

Ich nehme gleichfalls Alles mit – Gott weiß! –

Wenn es nicht allzuschwer ist und zu heiß.

Durch Schlauheit such’ ich Alles zu bekommen,

Und mein Gewissen bleibt ganz unbeklommen,

Ich muß erpressen, will ich nicht verrecken!

Durch Kindermärchen lass’ ich mich nicht schrecken!

Nichts weiß von Magen- und Gewissensdruck ich,

Und auf die alten Beichtstuhlpfaffen spuck’ ich!

Doch bei St. Jakob und dem heil’gen Geist!

Mein lieber Bruder! sag’ mir, wie Du heißt?«

So sprach der Büttel. – Und der Reitersmann

Fing bei der Frage still zu lächeln an.

»Soll ich Dir’s sagen, lieber Mitgeselle?

Ich bin« – sprach er – »der Böse aus der Hölle!

Ich reite hier, um etwas zu erbeuten,

Was man mir giebt, das nehm’ ich von den Leuten,

Damit ich meine Rente mir gewinne.

Sieh’! ganz dasselbe hast auch Du im Sinne:

Gewinnen willst auch Du auf jede Weise,

Und so thu’ ich. – Und einer Beute reise

Ich bis zum Ende dieser Welt jetzt nach!«

»Ei, benedicite!« – der Büttel sprach –

»Ich sah für einen Vogt bislang Dich an.

Dem Ansehn nach bist Du, wie ich, ein Mann.

Habt Ihr in Eurem Höllenaufenthalt

Denn ganz bestimmte Bildung und Gestalt?«

»Nein« – sprach der Böse – »in der Hölle nicht.

Doch können wir Figur uns und Gesicht,

Euch zu berücken, nach Belieben schaffen.

Bald gehen wir als Menschen, bald als Affen,

Und oftmals reit’ ich selbst umher als Engel.

Das ist kein Wunder. – Jeder Lausebengel

Von Taschenspieler weiß zu täuschen Dich;

Und doch – Pardi! – was ist er gegen mich?«

»Weßwegen« – rief der Büttel – »geht in mehr

Als einer Form Ihr aber dann umher?«

»Weil wir« – sprach er – »uns stets zu unsern Zwecken

Unter der passendsten Gestalt verstecken.«

»Jedoch, warum habt Ihr Euch so zu schinden?«

»Mein lieber Büttel! aus verschiednen Gründen!«

– Der Böse sprach. – »Doch jedes Ding zur Zeit!

Der Tag ist kurz und vorgerückt schon weit,

Und doch hab’ ich bislang noch nichts gewonnen.

Und das zu thuen, bin ich mehr gesonnen,

Als breiter oder tiefer einzugehn

Auf unsre Sachen. – Diese zu verstehn,

Mein lieber Bruder, bist Du viel zu grün.

Du fragst, weßhalb wir uns so abzumühn?

Je nun! wir sind zum Werkzeug auserlesen,

Von Gott, damit auf Erden wir die Wesen,

Wie uns Befehl gegeben ist von oben,

In dieser oder jener Art erproben.

Doch macht- und kraftlos sind wir ohne Ihn,

Nur Seinen Willen dürfen wir vollziehn.

Manchmal erlaubt er uns den Leib zu fassen,

Und heißt, die Seele ungestört zu lassen,

Wie zu ersehen ist aus Hiobs Leiden;

Auch überläßt er manchmal uns die beiden,

Das heißt: die Seele und den Leib dazu.

Und manchmal lassen wir den Leib in Ruh’

Und suchen nur der Seele beizukommen,

Wie Gott befiehlt; denn zu des Menschen Frommen

Dient die Versuchung, daß er sie bezwinge

Und sich das ew’ge Seelenheil erringe.

Uns, freilich, kann es weniger erbauen,

Entkommt er unbeschädigt unsern Klauen! –

Ja, selbst den Menschen müssen wir auf Erden,

Wie bei St. Dunstan, manchmal dienstbar werden;

Und des Apostels Diener war auch ich!«

Der Büttel sagte: »Nun, auf Glauben, sprich!

Entnehmt dem Stoff stets neue Leiber Ihr?«

»Nein,« – sprach der Böse – »manchmal nehmen wir

Gestalt von Todten an. – Indessen Schein

Kann Alles auch, je nach dem Umstand, sein;

Und dabei reden wir so schlau und klug

Wie Samuel, den das Zauberweib befrug.

– Doch wer bestreitet, daß er selbst erschien,

Dem will ich seinen Glauben nicht entziehn. –

Doch ohne Scherz, mein Bruder, Dir wird bald

– Ich warne Dich zum Voraus! – die Gestalt

Und Form von uns an einem andern Orte

Weit klarer werden als durch meine Worte.

Darüber sprichst Du aus Erfahrung später

So gut, wie ein Professor vom Katheder,

Und besser, als zu ihren Lebenszeiten

Virgil und Dante. – Laß uns weiter reiten!

Ist Dir vor meinem Umgang nicht zu bang’,

So leist’ ich Dir Gesellschaft wie bislang.«

»Nein!« – sprach der Büttel – »das befürchte nimmer!

Ich bin ein Ehrenmann und hielt noch immer,

Was ich versprach; und Alle wissen das.

Und wärst Du selbst der Teufel Satanas,

So hielte dennoch, Bruder, meinen Eid ich.

Wir schwuren es uns Beide gegenseitig,

Getreue Brüder immerdar zu bleiben.

Laß uns in Frieden das Geschäft betreiben!

Du nimmst, was Dir, ich das, was mir gegeben,

So können Beide wir mitsammen leben;

Und macht der eine größeren Gewinn,

So theilen wir’s in brüderlichem Sinn.«

»Bewilligt!« – sprach der Böse – »auf mein Wort!«

Und damit ritten ihres Wegs sie fort.

Kaum hatten einer Stadt sie auf den Rath

Des Büttels darauf Beide sich genaht,

Sah’n einen Karren sie mit Heu im Drecke

Vorm Thore stehen, welchen nicht vom Flecke

Der Fuhrmann brachte, ob er toll genug,

Tobend und fluchend, mit der Peitsche schlug:

»Hü! Fuchs! Hü! Dachs! – wollt Ihr die Steine sparen?

Hol’ Euch der Teufel gleich mit Haut und Haaren!

Verflucht! mehr als Ihr Fohlen je getragen,

Hat man mit Euch zu schinden sich, zu plagen!

Der Teufel hole Wagen, Heu und Pferd!«

»Das ist der Beute« – rief der Büttel – »werth!«

Und an den Bösen drängt er sich ganz dicht,

Ins Ohr ihm raunend: »Bruder! hörst Du nicht?

Horch auf! bei meiner Treu’, horch auf! was eben

Der Fuhrmann Dir versprochen hat zu geben!

Rasch zugegriffen! Dir gehören, Bruder,

Jetzt die drei Pferde sammt dem ganzen Fuder!«

»Nein! weiß es Gott!« – erwiderte der Feind. –

»Du kannst mir trau’n: so war es nicht gemeint,

Glaubst Du mir nicht, so gehe hin, frag’ zu!

Sonst warte nur, dann siehst es selber Du.«

Und auf der Gäule Kruppen peitschte dann

Der Fuhrmann und sie zogen kräftig an.

»Hü!« – rief er – »Hott! – Jetzt sind wir los! – Jetzt geht’s!

Dafür belohne Jesus Christ Euch stets!

Jetzt sind wir aus dem Dreck! – Mein lieber Schimmel!

Das heiß’ ich brav gezogen! – Gott im Himmel

Und St. Eligius segne Dich dafür!«

»Mein lieber Bruder! nun, was sagt’ ich Dir?

Hier kannst Du sehen, Bruder,« – sprach der Feind –

»Der Kerl versprach, was niemals er gemeint.

Wir ziehen besser unsers Wegs von hinnen,

Bei diesem Karren ist nichts zu gewinnen!«

Doch als die Stadt kaum hinter ihnen lag,

Begann der Büttel wiederum und sprach:

»Hier, Bruder, wohnt ein altes, geiz’ges Weib,

Der ist ein Groschen lieber als ihr Leib;

Die mir indessen – tobte sie wie toll –

Zum mindesten zwölf Groschen geben soll;

Sonst lad’ ich sie starks vor den Erzdekan,

Obschon – weiß Gott! – nichts Böses sie gethan.

Doch hier zu Lande kommt nicht anders man

Auf seinen Preis. – Nimm Dir ein Beispiel dran!«

Der Büttel klopfte vor der Wittwe Haus.

»Du, alte Troddel!« – rief er – »komm’ heraus!

Ich glaube gar, ein Pfaffe steckt bei Dir!«

»Wer klopft hier?« – frug das Weib – »was wünschet Ihr?

Ach! lieber Herr! Euch segne Gott in Gnaden!«

»Ich komme,« – sprach er – »um Dich vorzuladen

Bei Strafe der Verfluchung! – Morgen früh

Beugst vor dem Erzdekan Du Deine Knie’,

Und Du bekennst, was Dein Verbrechen ist!«

»Ach, lieber Himmelskönig, Jesus Christ!

Erbarm’ Dich meiner!« – schrie das alte Weib.

»Seit langer Zeit schon bin ich krank im Leib

Und böse Stiche hab’ ich in den Seiten.

So weit kann weder gehen ich noch reiten.

Mein lieber Büttel! gebt mir Permission

Bei dem Gerichte durch Procuration

Zu widerlegen, was mir schuld gegeben!«

»Nun« – sprach der Büttel – »dann bezahl’ mir eben

Zwölf Groschen nur, und damit bist Du frei.

Wahrhaftig, ich verdiene kaum dabei,

Mein Meister ist es, der allein gewinnt.

Heraus mit den zwölf Groschen! Mach’ geschwind!

Damit ich schleunigst meiner Wege zieh’.«

»Zwölf Groschen?!« – rief sie – »Heilige Marie!

Schütz’ mich so treu vor Sünden und in Noth,

Wie ein Zwölfgroschenstück nie zu Gebot

Auf dieser ganzen, weiten Welt mir stand!

Als alt und dürftig bin ich Euch bekannt. –

Ach! gebt mir Armen eine kleine Gabe!«

»Hol’ mich der Teufel! wenn ich Nachsicht habe,

Verrecke, wenn Du willst!« – der Büttel schrie.

»Weiß Gott!« – sprach sie – »was Böses that ich nie!«

»Bezahle!« – sprach er – »oder – bei St. Anne! –

Zum Pfande nehm’ ich Deine neue Pfanne

Für eine Schuld, die ich für Dich berichtigt

Vor Zeiten habe, als man Dich bezüchtigt,

Du hättest Deinen Ehemann betrogen!«

»Bei meiner Seligkeit! das ist erlogen!«

– Rief sie – »Zeit meines Lebens stand ich nicht

Als Weib und Wittwe jemals vor Gericht!

Ich war beständig ein getreues Weib!

Der schwarze Teufel möge Deinen Leib

Und meine Pfanne nebendrein bekommen!«

So schwur sie auf den Knie’n. – Und als vernommen

Dies Wort der Teufel hatte, frug er sie:

»Nun, meine liebe Mutter Mabily,

Hast Du in vollem Ernste dies gesprochen?«

»Hol’ ihn der Feind« – schrie sie – »mit Haut und Knochen!

Und Pfann’ und Alles, wenn er nicht bereut!«

»Wie, alte Hexe, bist Du nicht gescheidt?

Ich soll bereu’n?« – fuhr sie der Büttel an. –

»Kein Ding gereut mich, was ich kriegen kann,

Und Rock und Unterrock will ich Dir nehmen!«

Der Teufel sprach: »Laß, Bruder, Dich’s nicht grämen:

Dein Leib und diese Pfanne sind jetzt mein;

Mit mir mußt in die Hölle Du hinein!

Dort lernst Du mehr von unsern Sachen, wie

Je ein Magister der Theologie!«

Und Leib und Seele packte mit dem Worte

Der Teufel und entführte sie zum Orte,

Der Bütteln ist als Erbtheil zugedacht.

Gott, der nach seinem Bilde uns gemacht,

Mög’ Allen gnädig seine Huld bescheeren,

Und unsern Freund – den Büttel hier – bekehren!

»Nun, Herren!« – sprach der Bruder – »insofern

Der Büttel es erlaubte, hätt’ ich gern

Euch nach dem Text von Christ und St. Johannes,

St. Pauls und manchen schriftgelehrten Mannes

Erzählt vom Haus der Hölle. – Doch das Leid

Ist herzzerreißend. – Und die Wirklichkeit

Vermöcht’ ich nicht, mit allen ihren Qualen

In tausend Jahren selbst Euch auszumalen.

Drum wacht und betet, damit Christi Güte

Vor dem verfluchten Ort Euch stets behüte,

Sowie vor dem Versucher Satanas.

Hört auf mein Wort! und tragt im Sinne, daß

Auf Lauer immerdar der Löwe liegt

Und, wo er kann, die Unschuld stets bekriegt,

Stärkt Eure Herzen, daß Ihr widersteht

Dem bösen Feind und seinem Joch entgeht!

Die Tücke des Versuchers reicht nicht weiter

Als Eure Kraft; denn Christ ist Euer Streiter!

Und ihm sei dieser Büttel auch empfohlen;

Bereut er nicht – mag ihn der Teufel holen!«

Der Prolog des Büttels.

Vers 9813–9856.

Der Büttel hoch in seinen Bügeln stand

Und zitterte und bebte, wuthentbrannt,

Bei diesen Worten wie ein Espenlaub.

»Ihr werthen Herren!« – sprach er – »mit Verlaub!

Nun laßt auch mich zu Worte gütigst kommen!

Denn lauter Lügen, wie Ihr selbst vernommen,

Führt dieser falsche Bettelmönch im Munde.«

Daß er sich spreizt mit seiner Höllenkunde,

Nimmt mich kein Wunder. – Bettelmönch und Teufel

Sind nahverwandte Seelen sonder Zweifel.

Pardi! Ihr hörtet sicher schon davon,

Wie in die Hölle einst durch Traumvision

Im Geist entrückt ward einer dieser Brüder?

Ihn führte dort ein Engel auf und nieder

Und wies ihm alle Leiden, die dort waren.

Doch keinen Bruder sah er in den Schaaren

Des Volkes, welches Qualen dort ertrug.

Worauf der Bettelmönch den Engel frug:

»Wie? ist uns Brüdern solches Heil bescheert,

Daß keiner von uns in die Hölle fährt?«

»Ja!« – sprach der Engel – »manche Million!«

Und führte darauf ihn zum Höllenthron,

Wo Satan saß mit einem Schweifbehang,

Gleich einem Vollschiffssegel breit und lang.

»Du, Satanas! den Schwanz heb’ in die Höh’!

Zeig’ Deinen A…., damit der Bruder seh’,

Wo hier das Nest der Bettelbrüder ist!«

So sprach der Engel. – Und nach kurzer Frist

Begann’s zu summen wie ein Bienenschwarm,

Und es entflogen aus des Teufels Darm

An zwanzigtausend Brüder und noch mehr

Und schwärmten in der Hölle rings umher,

Und schnell, wie sie entflogen waren, kroch

Ein jeder wieder in des Teufels Loch.

Der klappte seinen Schwanz zu und lag stille.

Als nun der Bruder sich in Hüll’ und Fülle

Der Hölle Qualen angeschaut, gewährte

Ihm Gott in Gnaden, daß zum Körper kehrte

Sein Geist zurück und er vom Traum erwachte.

Indeß mit Zittern und mit Zagen dachte

Er noch beständig an des Teufels Kerbe;

Denn dort war das ihm zugedachte Erbe!

Gott schütz Euch Alle – nur den Bruder nicht!

Mit diesen Worten schließt mein Vorbericht.

Die Erzählung des Büttels.

Vers 9857–10442.

Es liegt – ihr Herr’n! – ein marschenreiches Land

In Yorkshire – denk’ ich – Holderneß genannt.

In diesem trieb ein Bruder kreuz und quer

Stets predigend und schnurrend sich umher.

Und es geschah, daß er auf seiner Fahrt

In einer Kirche nach gewohnter Art

Dem Volke predigte: nicht zu vergessen,

Für ihre Todten dreißig Seelenmessen

Singen zu lassen und vor allen Dingen

Für heil’ge Bauten Gaben darzubringen,

In denen Gott man diene, man verehre,

Nicht wo man nur verschwende, nur verzehre

Und wo nicht Noth vorhanden, was zu geben,

Wie reichdotirten Mönchen, die zu leben

– Gedankt sei Gott! – mehr als genug schon hätten.

»Seht! dreißig Seelenmessen« – sprach er – »retten

Aus aller Pein die alten wie die jungen

Von Euren Freunden, sind sie rasch gesungen;

Für leicht und lustig haltet keinen Priester,

Falls täglich mehr als eine Messe liest er.

Um Christi Willen! eilt Euch zu befrei’n

Die Seelen« – rief er – »aus der Höllenpein!

Es ist zu hart, auf Gabeln und auf Zacken

Dort aufgespießt zu brennen und zu backen!«

Und hatte dieser Bruder nach der Predigt

Die Kirchengänger ihres Gelds entledigt,

So blieb er auch nicht länger an dem Ort;

Sprach: »qui cum patre« und zog weiter fort,

Hochaufgeschürzt, mit Stab und Bettelsack. –

In jedes Haus er seine Nase stak

Und bat um etwas Käse, Mehl und Korn.

An einem Stab mit einem Griff von Horn,

Zog sein Kumpan mit, der von Elfenbein

Schreibtafeln trug, in die er nur zum Schein

Mit blankem Stift der Geber Namen schrieb,

Als ob er sagen wollte: Euch zu Lieb’

Will ich gewiß nicht mit Gebeten geizen.

»Gebt etwas Gerste, Korn uns oder Weizen!

Ein Gottesprezlein, einen Käseschnitt!

Gebt, was Ihr wollt! Wir nehmen Alles mit,

Den Gottesheller und den Messepfennig!

Ein Stückchen Leinen, etwas Schinken – wenn ich

Darum ersuchen dürfte – liebe Dame

Und theure Schwester! – Hier steht Euer Name!

Speck oder Rindfleisch, jedes Ding ist recht!«

Ein dicker, rüpelhafter Herbergsknecht

Ging hinterdrein, den Schnappsack auf dem Nacken,

Um alle Gaben darin einzupacken.

Doch kaum war er zum Thore noch hinaus,

So wischt’ er schon die Namen wieder aus,

Die er soeben in die Tafeln schrieb;

Denn Trug und Lug war Alles, was er trieb.

»Das lügst Du, Büttel!« – fiel der Bruder ein.

»Um Christi Willen! wollt Ihr ruhig sein!«

– Rief unser Wirth – »Verschweige nichts, erzähle!«

Der Büttel rief: »Das will ich, meiner Seele!«

Lang’ zog er so von Haus zu Haus, bis er

An eine Wohnung kam, wo man zeither

Ihn stets willkommen hieß und gern erfrischte,

Wenn er den Mund bei hundert Andern wischte.

Doch krank darnieder lag der Herr vom Haus.

»O, Deus hic! Freund Thomas! wie sieht’s aus?«

So sprach mit Höflichkeit in sanftem Tone

Der Bettelmönch. – »Thomas! daß Gott Euch’s lohne;

Oft hab’ ich hier auf dieser Bank gesessen

Und manchesmal vergnügten Sinns gegessen.«

Und damit trieb er von der Bank die Katze,

Stock, Hut und Ranzen gleich an ihrem Platze

Dort niederlegend, setzt’ er dann sich hin.

– Sein Mitgeselle war vom Hausknecht in

Die Stadt zu einer Herberge gebracht,

Wo er zu bleiben dachte für die Nacht. –

»O, theurer Meister!« – sprach der kranke Mann –

»Wie ging es Euch, seitdem der März begann?

Ich sah Euch nicht zwei Wochen lang und mehr!«

»Gott weiß!« – sprach er – »mich drückte Arbeit schwer!

Besonders aber sagte für Dein Heil

Ich manches köstliche Gebet derweil

Und für die Freunde – schütz’ sie Gott! – daneben.

In Eurer Kirche las ich Messen eben

Und predigte dort einfältig und schlicht.

Ganz nach dem Text der heil’gen Schrift war’s nicht;

Denn die versteht Ihr – wie ich denke – schwerlich,

Und drum mach’ ich durch Glossen Euch’s erklärlich.

Glossiren ist von unschätzbarem Werthe;

Der Buchstab’ tödtet! sagen wir Gelehrte;

Und darauf hab’ ich Unterricht gegeben

Im Wohlthun und vernunftgemäßen Geben,

Und sah auch unsre Frau. – Wo steckt sie nur?«

»Im Hofe draußen – denk’ ich – vor der Flur.

Sie kommt sofort« – erwiderte der Mann.

»Willkommen, Meister! Nun, bei St. Johann!«

– Sprach dieses Weib – »wie ging es Euch bislang?«

Und höflich sprang der Bruder von der Bank,

Um, zwitschernd, wie ein Sperling vor Entzücken

Sie abzuküssen und ans Herz zu drücken,

Und sprach: »Madam! es geht nicht allzu schlecht

Mit Eurem Diener und ergebnen Knecht.

Dank sei dem Herrn! der Seele, sowie Leib

Geschenkt Euch hat. – Bei Gott! solch schönes Weib

Sah ich heut’ in der ganzen Kirche nicht.«

»Ja,« – sprach sie – »bess’re Gott, was mir gebricht!

Doch, meiner Treue! mir willkommen seid Ihr!«

»Grand mercy, Frau! so fand ich’s jeder Zeit hier!

Doch bitt’ ich Euch, erlaubt aus Gütigkeit,

Daß ich mit Thomas eine kurze Zeit

Mich unterrede; nehmt es mir nicht krumm.

Die Pfarrer sind so nachlässig und dumm,

Mit Zartheit die Gewissen zu traktiren.

Mein Müh’n ist Beichte, Predigt und Studiren,

Was Petrus und was Paulus uns erzählen.

Ich geh’ und fische stets nach Christenseelen,

Um Jesus Christus seinen Zoll zu geben;

Sein Wort zu lehren, ist mein ganzes Streben!«

»Bei Eurem Glauben« – sprach sie – »führt aus Güte

Ihm, lieber Herr, es tüchtig zu Gemüthe!

Er ist so wüthig, wie die Seichameise,

Geht es nach Wunsch ihm auch in jeder Weise.

Ich decke Nachts ihn zu und halt’ ihn warm

Und über ihn leg’ ich selbst Bein und Arm,

Und dennoch grunzt er, wie ein Schwein im Stalle,

Denn ihm zu Dank mach’ ich’s in keinem Falle,

Und andre Kurzweil find’ ich bei ihm nie!«

»O, Thomas! – Thomas! – Thomas! je vous dis,

Das schafft der Böse! Dir thut Bessrung Noth!

Wer zornig ist, verletzt des Herrn Gebot!

Wir reden später noch ein Wort darüber.«

»Nun, eh’ ich gehe,« – sprach das Weib – »mein Lieber,

Was wollt Ihr essen? daß ich’s kochen kann.«

»Frau, je vous dis sans doute« – fing er an –

»Hab’ ich von Eurem Weißbrod eine Schnitte

Und vom Capaun die Leber, so erbitte

Ich hinterher nur einen Schweinskopf mir.

– Um meinetwillen schlachte man kein Thier. –

Ich bin mit Euch bei Hausmannskost vergnügt,

Ich bin ein Mann, dem Weniges genügt,

Die Bibel giebt mir Nahrung fürs Gemüth,

Mein Körper aber ist stets so bemüht,

Zu wachen, und das macht den Magen schwach.

Madam, ich bitte, tragt es mir nicht nach,

Daß ich Euch meinen Rathschlag nicht verhehle!

Da ich’s, bei Gott! nur Wenigen erzähle!«

»Nun,« – sprach sie – »eh’ ich gehe, laßt Euch sagen,

Mir starb mein Kind in diesen vierzehn Tagen,

Ganz kurz nachdem Ihr aus der Stadt gereist.«

»Des Kindes Tod« – sprach er – »sah ich im Geist

Zu Haus im Dormitorium, und darf sagen,

Es nach dem Tode himmelwärts getragen,

Eh’ eine halbe Stunde war entflohn.

Gott ist mein Zeuge! so war die Vision!

Auch unser Krankenwärter nahm es wahr

Und unser Glöckner, die schon funfzig Jahr’

Jetzt Brüder sind und die durch Gottes Walten

In Rüstigkeit bald Jubiläum halten.

Gleich stand ich auf mit allen Klosterleuten,

Und ohne Lärm und ohne Glockenläuten,

Mit vielen Thränen netzend unsre Wangen,

Wir ein Tedeum und nichts weiter sangen.

Nur daß zu Christo ein Gebet ich schickte

Zum Dank für das, was ich im Traum erblickte.

Ja, Herr und Frau! Ihr mögt mir beide traun:

Unser Gebet ist kräft’ger und wir schaun

Von den Mysterien Jesu Christi mehr

Als jeder Lai’, und ob er König wär’.

In Mäßigkeit und Armuth leben wir;

Im Ueberfluß die Laien, die mit Gier

Nach Speis’ und Trank und nach Vergnügen trachten,

Indessen wir die Lust der Welt verachten.

Wie Lazarus und Dives einst hienieden

Verschieden lebten, war ihr Lohn verschieden.

Wer beten will, der faste, der sei keusch,

Mäste den Geist und halte knapp sein Fleisch.

Wir fahren – sagt die Schrift – und grobes Tuch

Und karge Kost sind für uns gut genug.

Wir Brüder fasten und sind rein; deßwegen

Nimmt Christus gnädig unser Fleh’n entgegen.

Ja, vierzig Tage lang und Nächte, sieh’!

Hielt Moses Fasten, eh’ auf Sinai

Zu ihm der Herr in seiner Allmacht sprach;

Durch langes Hungern leer im Leib und schwach,

Empfing er das Gesetz, das Gottes Hand

Geschrieben hatte. Eli – wie bekannt –

Fastete lange und hielt mit sich Rath’

Eh’ sich auf Horebs Höhen ihm genaht

Gott, unser Arzt für alle Noth im Leben.

Und Aron, dem der Tempel untergeben,

Und alle andern Priester, Mann für Mann,

Sie durften, wenn der Gottesdienst begann

Und sie zu beten und zu opfern hatten,

Aus keinem Grunde sich Getränk verstatten

Von solcher Art, um trunken sie zu machen;

Sie mußten beten, fasten dort und wachen

Bei Todesstrafe. – Lern’ es wohl verstehn!

Sie hatten nüchtern für das Volk zu flehn.

Das halte fest! – und nun genug davon!

Im Fasten und im Beten gab uns schon

Der Herr ein Beispiel, wie die Schrift erzählt;

Weßhalb wir Bettelbrüder auch vermählt

Der Armuth sind und der Enthaltsamkeit,

Der Liebe, Demuth und der Mäßigkeit.

Wir müssen jede Fleischeslust vermeiden,

Verfolgung um der Wahrheit willen leiden

Und flehn und weinen. Darum – wie Ihr seht –

Hört von uns Bettelbrüdern das Gebet

Auch Jesus Christ mit größerem Behagen

Als Euer Fleh’n bei Tisch- und Festgelagen.

Nicht lügen will ich! Aus dem Paradies

Des Fressens wegen Gott den Menschen stieß,

Denn zweifellos war keusch noch sein Betragen.

Nun, Thomas, horche, was ich Dir will sagen!

Ich habe keinen Text – soviel ich weiß –,

Doch mittelst Glossen führ’ ich den Beweis,

Daß ohne Zweifel Christ, der Seligmacher,

Uns Brüder meinte, als die Worte sprach er:

Wer arm an Geist ist, der wird selig sein!

Die heil’ge Schrift zeigt Dir ganz allgemein,

Daß unser Stand bei weitem vorzuziehn

Jedwedem ist, dem Erdengut verliehn.

Pfui ihrem Pompe! ihrem Fressen, pfui!

Pfui ihrem Stumpfsinn! ich verachte sie!

Sie gleichen – wie mich dünket – Jovinian,

Fett wie ein Wallfisch, taumelnd wie ein Schwan,

Voll Wein, wie Flaschen in den Vorrathskammern!«

Wie gottgefällig muß ihr Fleh’n und Jammern

Zum Himmel dringen, heißt der Psalm von David

Bei ihnen: »Buff! – Cor meum eructavit!«

»Wer folgt dem Wort und Beispiel Christi hier

In Demuth, Keuschheit, Armuth, mehr, als wir,

Die Gottes Worte thun und darnach leben,

Nicht hören bloß? – Wie sich die Falken heben

Hoch in die Luft auf mächtigen Gefiedern,

Nimmt von uns keuschen, liebethät’gen Brüdern

Zu Gottes Ohren das Gebet den Flug!

Beim heil’gen Ivo! wahrlich schlimm genug,

O, Thomas! Thomas! würd’ es um Dich stehn,

Wenn wir als Bruder Dich nicht angesehn.

Wir beteten im Kloster Tag und Nacht:

Es möge Christus Deines Leibes Macht

Dir wiedergeben und die Glieder stärken.«

»Bei Gott!« – rief er – »davon ist nichts zu merken!

Bei Christi Heil! an alle Bettelorden

Ist manches Pfund von mir verschwendet worden

In kurzer Zeit, und Alles schlägt nicht an!

Was ich besaß, hab’ ich beinah’ verthan;

Fahr’ hin mein Gut; Nichts ist mehr mein geblieben!«

»O, Thomas!« – rief er – »hast Du’s so getrieben?

Was läufst Du hinter andern Brüdern her?

Wer einen guten Arzt besitzt, braucht der

Sich in der Stadt nach andern umzusehn?

Dein Unbestand kommt Dir noch schlimm zu stehn!

Wie? das Gebet von mir und dem Kapitel

Hältst Du für ein so unwirksames Mittel?

Bleib’, Thomas, mir mit solchen Flausen fern!

Du kargst mit uns – da sitzt der Krankheit Kern.

Doch, diesem Kloster etwas Korn zu schenken,

Mit zwanzig Groschen jenes zu bedenken,

Und jeden Bettelmönch zu unterstützen,

Nein, Thomas, nein! das kann zu nichts Dir nützen!

Wenn erst ein Heller in zwölf Theile geht,

Wo bleibt sein Werth? – Ein Ding, das ganz besteht,

Ist stärker, als was man in Stücke bricht.

Nein, Thomas! schmeicheln kann und will ich nicht:

Du möchtest unsre Arbeit ohne Geld! –

Jedoch sagt Gott, der Schöpfer aller Welt:

Der Arbeitsmann sei seines Lohnes werth!

Thomas! ich habe Nichts für mich begehrt.

Nein! Alles kommt dem Kloster nur zu gut,

Das im Gebete für Dich nimmer ruht,

Sowie dem Kirchenbau zu Gottes Ehren;

Und über diesen kannst Du Dich belehren

Aus einem Werke, wo vom heil’gen Leben

Thomas von Indiens ist Bericht gegeben.

Sieh’! Du liegst hier voll Aerger und voll Wuth,

Durch die der Teufel setzt Dein Herz in Gluth,

Und schiltst Dein Weib, die ohne jede Schuld,

Voll Güte ist und heiliger Geduld.

Drum, Thomas! schenke treulich mir Gehör:

Das Beste ist, du zankst mit ihr nicht mehr.«

Und im Gedächtniß trag’ Du immerfort

In dieser Hinsicht eines Weisen Wort:

»Kein Löwe sei in Deinem eignen Haus,

Jag’ Deine Freunde nicht zur Thür hinaus,

Und unterlaß, Dein Hausgesind’ zu drücken!«

Thomas! wie oft hatt’ ich Dir’s vorzurücken:

Sei vor dem Zorn, der Dir im Busen ruht,

Sei vor der Schlange stets auf Deiner Hut,

Die schlau im Grase kriecht und plötzlich sticht!

Mein Sohn, beherzige, vergiß es nicht,

Daß Zwanzigtausend schon den Tod erlitten,

Weil sie mit Kebsen und mit Weibern stritten!

Du hast ein sanftes frommes Weib gefreit;

Weßwegen suchst Du, Thomas, mit ihr Streit?

Denn sicherlich so falsch ist keine Schlange,

Die auf den Schwanz getreten wird, und lange

So grausam nicht, als wie ein Frauenzimmer

In ihrem Zorn; auf Rache sinnt es immer!

Der Zorn ist eine von den sieben Sünden,

Die Gnade nie vor Gott im Himmel finden,

Und ins Verderben reißt er Dich fürwahr!

Ein jeder schlichte Pfarrer und Vikar

Sagt Dir, daß Zorn, als Sohn vom Uebermuth,

Der Vater wird von viel vergoss’nem Blut.

Wollt’ ich erzählen von den manchen Sorgen,

Die Zorn uns bringt, so währt’ es wohl bis morgen.

Und deßhalb bitt’ ich Gott bei Tag und Nacht:

Dem zorn’gen Manne geb’ er wenig Macht.

Es ist ein Jammer und ein großes Leiden,

Wenn zorn’ge Männer hohen Rang bekleiden.

Ein Richter lebte – sagt uns Seneka –

Der zornig war. Und eines Tags geschah,

Daß von zwei Rittern, die durch Zufall grade

Zusammen zogen auf demselben Pfade,

Der eine heimkam und der andre nicht.

Gleich schleppte man den Ritter vor Gericht,

Und der erwähnte Richter sprach sodann:

»Du tödtetest den andern Rittersmann!

Drum mußt Du sterben!« – Und darauf gebot

Er einem andern Ritter, ihn zum Tod

Zu führen. – Doch, vom Richtplatz nicht mehr fern,

Sah auf dem Wege man denselben Herrn,

Den man für todt gehalten, noch lebendig.

Und mithin dachten sie, es sei verständig,

Sie abermals dem Richter vorzustellen,

Und sprachen: »Herr! er hat den Mitgesellen

Nicht umgebracht. Hier steht er lebend noch!«

»Bei Gott!« – rief er – »des Todes seid ihr doch!

Eins, zwei und drei, ihr alle, Mann für Mann!

Du bist« – fuhr er den ersten Ritter an –

»Des Todes, weil Dein Urtheil schon gefällt!

Du aber wirst ihm gleichfalls beigesellt,

Denn jenes Ersten Tod liegt Dir zur Last.«

Und zu dem Dritten sprach er: »Und Du hast

Nicht ausgeführt, wozu Befehl gegeben!«

Und so verloren alle drei ihr Leben.

Der zornige Cambyses zechte gern

Und hielt sich selber für den klügsten Herrn.

Und im Vertrauen sprach zu ihm einmal

Ein Kammerjunker, welcher die Moral,

Sowie die Tugend immerdar geliebt:

»Weh’! einem Herrn, der Lastern sich ergiebt!

Die Trunkenheit, die keinen Menschen ziert,

Verunziert den besonders, der regiert.

Es blickt manch Auge, und es lauscht manch Ohr

Ganz im Geheimen zu dem Herrn empor.

Ach, Gott zu Liebe, halt’ mit Trinken ein!

Nur gar zu elend kann Genuß von Wein

Die Kraft des Geistes und der Glieder lähmen.«

»Im Gegentheil!« – ließ jener sich vernehmen –

»Ich werde Dir beweisen durch die That,

Daß Wein nicht immer diese Wirkung hat.

Es ist auf dieser Welt kein Rebensaft

So stark, mich zu berauben meiner Kraft!

Mir lähmt er weder Auge, Hand, noch Fuß!«

Und immer toller soff er aus Verdruß,

Wohl hundertfach, was er zuvor genossen.

Und darauf ließ des Ritters Sohn und Sprossen

Der Wüthrich holen, der kaum vor ihm stand,

Als er zum Bogen griff und mit der Hand

Straff bis ans Ohr hinan die Sehne spannte

Und auf den Knaben seinen Pfeil entsandte.

»Nun« – sprach er – »sieh’! ob ich noch sicher bin

Mit meiner Hand? Ist mein Verstand dahin?

Hat mir der Wein benommen das Gesicht?«

Des Ritters Antwort meld’ ich weiter nicht.

Sein Sohn war todt – Was braucht’s der Worte viel?

Mit großen Herr’n treibt man gefährlich Spiel!

Da singt: Placebo; und die Wahrheit sprecht

Bei Armen nur. Denn es ist gut und recht,

Der Armuth Laster frei zu offenbaren,

Doch große Herr’n – die laßt zur Hölle fahren!

»Hast Du vom Zorn des Cyrus schon gehört,

Des Persers, der den Gyndes hat zerstört,

Weil ihm sein Pferd in diesem Strom ertrank,

Als er im Kriege Babylon bezwang?

So klein und winzig macht er diesen Fluß,

Daß Weiber ihn durchwateten zu Fuß.

Horch! was sagt Er, der so viel lehren kann?

Schließ’ keine Freundschaft mit dem zorn’gen Mann

Und zieh’ nicht eines Weges mit dem Tollen!

Sonst wird Dich’s reun. – Und damit, Thomas, wollen

Wir schließen. – Bruder, thu’ den Zorn von Dir!

Du findest stets Gerechtigkeit bei mir.

Setz’ auf die Brust Dir nicht des Teufels Messer!

Der Aerger macht die Schmerzen Dir nicht besser.

Komm’, beichte! – Doch aufrichtig mußt Du sein!«

»Beim heil’gen Simon!« – rief der Kranke – »nein!

Gebeichtet hab’ ich heute beim Vikar,

Ihm machte meinen Zustand ich ganz klar,

Und mehr zu sprechen – sagt’ er – sei nicht nöthig,

Wär’ ich dazu aus Demuth nicht erbötig.«

»Dann mußt Du Geld für unser Kloster geben!«

– Rief jener – »Um es auszubauen, leben

Wir nur von Muscheln und von Austern jetzt,

Während die Welt am Ueberfluß sich letzt.

Weiß Gott! vollendet ist noch kaum der Grund,

Wir schulden noch für Steine vierzig Pfund,

Es fehlen Ziegel, noch steht keine Wand!

Beim Heiland, der die Hölle überwand!

Willst Du uns, Thomas, keine Hülfe spenden,

So müssen unsre Bücher wir verpfänden;

Und fehlt Euch unsre Predigt, so verfällt

Dem Untergange schließlich alle Welt.

Und wer uns kann der ganzen Welt berauben,

Kann, Thomas, auch – auf Ehre und auf Glauben –

Das Sonnenlicht in finstre Nacht verkehren.

Wer war wohl je im Schaffen und im Lehren

So treu wie wir und seit so langer Frist?

Denn Brüder gab es – wie berichtet ist –

Zur Zeit Elias und Elisas schon.

– Gedankt in Demuth sei der Gottessohn! –

Ach, Thomas, denke liebend an uns Brüder!«

Und damit sank er auf die Kniee nieder,

Indeß der Kranke, beinah’ toll vor Wuth,

Sich wünschte, daß die rothe Feuersgluth

Den heuchlerischen Bettelmönch verzehre.

»Ja! was ich habe,« – sprach er – »das verehre

Ich keinem Andern sicherlich wie Dir;

Denn – wie Du sagtest – sind ja Brüder wir.«

»So ist es, meiner Treu’!« – der Bruder rief –

»Ich zeigte Siegel Deiner Frau und Brief!«

»Nun gut,« – sprach er – »dieweil ich noch am Leben,

Will Eurem heil’gen Kloster ich was geben

Und in die Hand bekommst Du’s unverweilt;

Doch vorbehalten, daß es so vertheilt

Unter Euch Brüdern wird, daß von der Gabe

Gleich viel der eine wie der andere habe.

Das schwör’ mir auf Dein heiliges Bekenntniß

Ganz ohne Rückhalt oder Mißverständniß!«

»Das schwör’ ich!« – rief der Bruder – »meiner Treue!

An mir fehlt’s nicht! das schwör’ ich Dir aufs Neue!«

Und Wort und Handschlag gab er ihm zum Pfand.

»Nun,« – sprach der Kranke – »wenn Du Deine Hand

In meinen Rücken bis zum H……. steckst

Und bei der Kerbe zufühlst, so entdeckst

Du eine Kleinigkeit daselbst verborgen.«

Der Bruder dachte: das kann ich besorgen!

Und langte, daß er sein Geschenk erhalte

Mit seiner Hand hinunter bis zur Spalte.

Und als der kranke Mann am A…. fühlte,

Wie dort der Bruder fingerte und wühlte,

Da f…. er rasch ihm mitten in die Hand.

Kein Gaul, den man vor einem Karren spannt,

Riß solchen mächtig lauten F… zuvor.

Und wie ein grimmer Löwe sprang empor

Der Bettelmönch und schrie: »Du Schuft! bei Gott!

Das thatest Du zum Aerger mir und Spott!

Doch übel soll Dir dieser F… bekommen!«

Das Hausgesinde, das den Lärm vernommen,

Kam angestürzt und schmiß ihn aus dem Haus.

Und voller Aerger zog der Bruder aus

Und holte seinen Burschen und sein Gut;

Worauf er, wie ein Eber voller Wuth

Die Zähne knirschend, wild von dannen rann,

Bis er den Hof von einem Edelmann,

Dem Gutsbesitzer von dem Dorf, erreichte,

Der ihm bekannt war, weil er in die Beichte

Den würd’gen Mann seit langer Zeit schon nahm.

Zu ihm der zornerfüllte Bruder kam

Und fand den Herrn bei seinem Mittagsessen.

Fast sprachlos war der Bettelmönch; indessen

Sein: »Gott sei mit Euch!« stieß er noch hervor.

»Willkommen!« – sprach der Herr und sah empor –

»Um alle Welt, was fehlt Dir nur, Johann?

Etwas ging schief, das merkt’ ich Dir gleich an!

Hast einen Wald voll Räuber Du erblickt?

Komm’, setze Dich! und sage, was Dich drückt.

Ich helfe Dir, so gut ich es vermag.«

»Ich hatte« – sprach er – »einen schlimmen Tag

Im Dorfe heute. – Daß sich Gott erbarm’!

Kein Knecht ist wohl in dieser Welt so arm,

Der vor dem Schimpf, den ich in Eurer Stadt

Empfangen habe, nicht Verachtung hat.

Jedoch mein größter Aerger dabei war,

Daß dieser alte Kerl mit grauem Haar

Beschimpft hat unsre ganze heil’ge Zunft!«

Der Herr sprach: »Lieber Meister, habt Vernunft!«

»Nicht Meister!« – rief er – »sondern Euer Knecht!

Zwar in der Schule hieß ich so mit Recht;

Doch liebt es Gott nicht, daß wir auf den Gassen

Und auf dem Markt uns ›Rabbi‹ nennen lassen.«

»Schon gut!« – sprach er – »zur Sache komm’ zurück!«

»Herr!« – rief der Bruder – ein »Schandbubenstück

Ist heute hier an mir begangen worden

Und so per consequens am ganzen Orden

Und an der ganzen heil’gen Clerisei!«

»Nun,« – sprach der Herr – »was Du zu thun dabei,

Das wird von Dir, als Salz und Wurz der Erden,

Und mein Confessor, schon gefunden werden.

Um Gottes Willen! sieh’ es ruhig an;

Erzähle mir Dein Leid!« – Und so begann

Er vorzutragen, was Euch schon bekannt.

Des Hauses Dame lauschte unverwandt

Dem Bruder zu, bis er sich ausgeklagt.

»Ei, Mutter Gottes!« – rief sie – »heil’ge Magd!

Wie geht es weiter? Ei, vertrau’ es mir!«

»Madam!« – sprach er – »was denkt, was redet Ihr?«

»Was soll ich denken?« – sprach sie – »Gott im Himmel!

Dir spielte diesen Lümmelstreich ein Lümmel!

Was soll ich sagen? – Gottvermaledeit

Sei dieser Schuft! Ihm steckt voll Eitelkeit

Der kranke Kopf. – Mir scheint, der Mann ist toll.«

»Madam!« – sprach er – »wenn ich nicht lügen soll,

So denk’ ich, daß ich mich am Besten räche,

Wenn ich beständig von ihm Schlechtes spreche.

Aus Bosheit sann dies Lästermaul mir an,

Was sich nicht theilen läßt, für Jedermann

Dennoch in gleiche Theile zu zerlegen!« –

Doch träumend saß und ohne sich zu regen,

Der Herr, und hin und wieder sann er: »Wie

Hat dieser Kerl nur soviel Phantasie,

Solch ein Problem dem Bruder aufzugeben?

Derartiges vernahm ich nie im Leben!

Der Teufel hat’s ihm in den Kopf gesetzt!

Wo hat wohl die ars metrica bis jetzt

Je eine solche Frage aufgestellt:

Wie Jedermann den gleichen Theil erhält

Von einem F…. oder einem Ton?

Wer kann das zeigen durch Demonstration?

Du Teufelskerl! Du unverschämtes Thier!«

Und brummig frug der Edelmann: »Habt Ihr

Schon je zuvor ein solches Ding vernommen?

Ein Jeder soll den gleichen Theil bekommen!

Das ist unmöglich! das kann nimmer sein!

Ei, Teufelskerl! das Wetter schlage drein!

Wie jeder Klang und Ton, gehört ein F…

Nur zu den Schwingungen der Luft, die kurz

Von Dauer sind und nach und nach vergehen.

Nun, meiner Treu’! den Menschen möcht’ ich sehen,

Der das zu theilen wüßte mit Genauheit!

Was für ein Kerl? – Seht an! mit welcher Schlauheit

Hat er heut’ meinen Beichtiger geneckt!

Ich glaube, daß der Teufel in ihm steckt! –

Doch nun ans Essen! – Laßt den Schurken ziehn,

Und an den Galgen bring’ der Satan ihn!«

Nun aber schnitt ein Junker von dem Lord

Am Tische Fleisch und hörte Wort für Wort

Alles mit an, was ich Euch vorgetragen.

»Herr! Nichts für ungut!« – hub er an zu sagen –

»Wenn Ihr mir Stoff zu einem Rock versprecht,

Und ist dem würd’gen Bruder solches recht,

Erzähl’ ich Euch, wie unter dem Konvent

Ihr diesen F… gleichmäßig theilen könnt.«

»Frisch von der Leber!« – rief der Edelmann –

»Der Rock ist Dein, bei Gott und St. Johann!«

»Mein Herr!« – sprach er – »wenn sich kein Wind bewegt,

Das Wetter schön ist, sich kein Lüftchen regt,

So schafft in diese Halle hier ein Rad,

Das – wohlverstanden – alle Speichen hat.

– Zumeist dreht es auf zwölfen sich herum. –

Bringt dann zwölf Brüder. – Und fragt Ihr, warum?

Nun, ein Convent besteht aus dreizehn Mann,

Und mit dem würd’gen Herrn Confessor kann

Die richt’ge Anzahl grade man erreichen.

Dann laßt sie niederknieen vor den Speichen,

So daß auf jeden Bruder eine fällt,

An deren End’ er seine Nase hält.

Nur der Confessor – schenke Gott ihm Gnade! –

Hält seine vor die Nabe von dem Rade.

Und jenen Kerl mit steifem, strammem Bauch,

Wie ein gespanntes Trommelfell, bringt auch

Und setzt ihn nieder mitten auf das Rad,

Wo er zu f….. durch die Nabe hat.

Und Euch zu Pfande setz’ ich Leib und Leben,

Hab’ ich nicht praktisch den Beweis gegeben,

Daß Schall und Stank das Ende der zwölf Speichen

Ganz mathematisch gleichgetheilt erreichen.

Nur der Confessor steht als würd’ger Mann

Mit Fug und Recht auch hierbei oben an;

Weßhalb auch ihm die Erstlingsfrucht gebührt.

Bei Brüdern ist die Sitte eingeführt,

Daß man den Würdigsten zuerst bedient.

Und er hat’s ohne Zweifel wohl verdient!

Wie vieles Gute lernten alle Leute

Aus seiner Predigt von der Kanzel heute!

Was mich betrifft, so gönn’ ich diesem Herrn

Den Vorgeruch selbst von drei F…… gern,

Und jeder Bruder wird dasselbe sagen;

Ist doch so fromm und heilig sein Betragen!«

Der Herr, die Dame, wie der ganze Kreis,

Bis auf den Bruder, fanden den Beweis

Des Ptolemäus würdig und Euclid;

Und sagten: »Was den Kerl betrifft, so sieht

An seinen witz’gen Worten man ganz klar,

Daß er kein Toller und Besess’ner war.«

Genug davon! – Die Stadt ist nicht mehr weit!

Seht! so gewann der Junker Hans sein Kleid.

Ende des ersten Theiles der Canterbury-Erzählungen.

Zweiter Theil

Der Prolog des Klerk.

Vers 10443–10498.

»Gelehrter Herr von Oxford! – meiner Treu’!«

– Sprach unser Wirth – »Ihr seid so still und scheu,

Wie an der Hochzeitstafel eine Braut!

Von Euch hört’ ich tagsüber keinen Laut.

Mir scheint, daß Ihr tief in Gedanken seid;

Doch jedes Ding – sagt Salamo – zur Zeit!

Um Gottes Willen! macht ein froh Gesicht,

Denn zum Studiren ist die Zeit hier nicht!

Erzählet etwas, das uns fröhlich stimmt.

Sofern man Theil an einem Spiele nimmt,

Muß man sich auch an seine Regeln binden.

Doch predigt nicht von Weinen über Sünden,

Wie’s in den Fasten Bettelmönche treiben.

Nein! macht es so, daß wir hübsch munter bleiben!

Erzählt ein Abenteuer lust’ger Art.

Die Bilder, Floskeln und Figuren spart

Euch für den hohen Styl auf, der sich paßt,

Wenn Schreiben man an Könige verfaßt.

Hier aber, bitt’ ich Euch, so schlicht zu reden,

Daß es verständlich ist und klar für Jeden.«

Und der Gelehrte freundlich Antwort gab:

»Ich stehe« – sprach er – »unter Eurem Stab;

Ihr seid’s, mein Wirth, der über uns regiert,

Und mit Gehorsam wird von mir vollführt

Drum Alles, was vernünftig ist und billig.

Was mir in Padua mitgetheilt ward, will ich

Euch wiederholen, wie erzählt mir’s hat

Ein würd’ger Mann, erprobt in Rath und That.

Jetzt ist er todt und ruht in seinem Schrein;

Gott möge gnädig seiner Seele sein!

Franzisk Petrark hieß der gekrönte Dichter,

Deß süßer Redefluß der Dichtkunst Lichter

Durch alle Gau’n Italiens entflammte,

Wie dies für Kunst, Gesetz und die gesammte

Philosophie Lignanus hat gethan.

Doch an uns Alle tritt der Tod heran;

Ein Augenblick genügt, uns zu verderben;

Und Beide starben, wie wir Alle sterben.

Um fortzusetzen nun, wie ich begann,

Was mir erzählt hat dieser würd’ge Mann,

So wißt, daß er mit einem Vorberichte

Im hohen Styl eröffnet die Geschichte.

Darin beschreibt er Gegend und Natur

Von Piemont, Saluzzo und der Flur

Des westlichen Lombardiens, dessen Grenzen

Der Appeninen hohe Gipfel kränzen;

Und näher insbesondre hebt er dann

Vom Berge Vesulus zu reden an,

Woselbst der Po aus kleinem Quell entspringt,

Dann wachsend, ostwärts durch Aemilia dringt

Und durch Ferrara hinströmt bis Venedig.

Doch lang ist die Beschreibung, darum red’ ich

Davon nicht mehr. Zur Sache – wie mir scheint –

Gehört sie nicht, und war wohl nur gemeint,

Um besser einzuleiten die Geschichte.

Doch horcht auf das, was ich nunmehr berichte!«

Die Erzählung des Klerk.

Vers 10499–11654.

Dem kalten Berge Vesulus zu Füßen

Im fernsten West Italiens liegen Gau’n,

Wo üppigreiche Saatgefilde sprießen,

Und manche Stadt ist, mancher Thurm zu schau’n

– Der Väter Werk, der Vorzeit dauernd Bau’n. –

Wohin Du blickst, ein herrlich Bild sich weist

Der schönen Gegend, die Saluzzo heißt.

Ein Markgraf lebte vormals in den Landen,

Wie vor ihm seine Ahnen dies gethan;

Gehorsam war und willig ihm zu Handen

Der erste wie der letzte Unterthan.

Vom Glück begünstigt auf der Lebensbahn,

War er gefürchtet und geliebt zugleich

Von Herr’n und Knechten und von Arm und Reich.

Was seines Stammes Blut betraf, so galt er

Als Edelster der ganzen Lombardei;

Voll Schönheit, Kraft und jugendlichem Alter,

War höflich er und ehrenwerth dabei;

Und wenn auch nicht von jedem Fehler frei,

So lenkte doch verständnißvoll sein Land

Der junge Herr, den Walther man benannt.

Indessen dieses muß ich an ihm rügen,

Daß er zur Zukunft nie den Blick gewandt,

Dem Augenblick nur lebend, sein Vergnügen

Allein in Jagd und Falkenbeize fand,

Und aller andern Sorgen sich entwand;

Das Schlimmste war: um keinen Preis der Welt

Hätt’ er ein Weib sich eh’lich beigesellt.

Höchst mißvergnügt ob dieser Sache nah’te

Sich eines Tages seines Volkes Schaar,

Und der als Klügster galt in ihrem Rathe

Und dem der Herr zumeist gewogen war,

Machte des Volkes Wunsch ihm offenbar;

Und so sprach der geschäftserfahr’ne Mann,

Wie ihr vernehmen sollt, den Markgraf an:

»O, edler Markgraf, Deine Herzensgüte

Ermuntert uns und giebt uns Zuversicht.

So oft wir mit bekümmertem Gemüthe

In schwerer Zeit, gehorsam unsrer Pflicht,

Vor Dir erschienen, nahmst Du den Bericht

Stets gnädig auf, und Du wirst unsern Klagen

Darum auch heute nicht Gehör versagen.«

»Ich selber habe freilich mit der Sache

Nicht mehr zu thun, als jeder Andre hier;

Und wenn ich mich zu ihrem Anwalt mache,

Geschieht es nur, weil Du so gnädig mir

Dich stets bezeigtest; und so darf ich Dir

Auch heute nah’n, damit den Wunsch von Allen

Du prüfest und entscheidest nach Gefallen.«

»Gewißlich, Herr, wir haben Dein Bestreben

Von ganzem Herzen immer anerkannt

Und thun es noch; und ein zufriedner Leben

Uns zu erdenken, sind wir kaum im Stand.

Ein Wunsch indessen sei Dir noch genannt:

Geruhe, eine Gattin Dir zu wählen,

Dann wird Dein Volk das höchste Glück beseelen.«

»Beug’ Deinen Nacken diesen Segensjochen!

Der Herrschaft Zier und nicht der Knechtschaft Schmach

Ist in dem Wort ›Vermählung‹ ausgesprochen.

Bedenk’ es Herr, und sinne weislich nach:

Wie wechselreich der Mensch auch seinen Tag

Verbringt mit Wachen, Schlafen, Gehen, Reiten,

Es flieht sein Leben in der Flucht der Zeiten.«

»Grün’t Dir auch jetzt der Jugend Frühlingsschimmer,

Kriecht doch das Alter still und stumm heran,

Und jeder Zeit droht uns der Tod, dem nimmer

Ein Mensch, wie hoch gestellt er sei, entrann.

Und so gewiß – das weiß ein jeder Mann –

Ist ihm der Tod, wie ungewiß der Tag,

An dem begegnen ihm sein Ende mag.«

»Beherzige den treuen Rath von Allen,

Die stets gehorchten, wenn Dein Ruf erklang;

Was wir begehren, laß auch Dir gefallen:

Nimm Dir ein Weib und zaudere nicht lang’.

Das beste wähle von dem höchsten Rang

Im ganzen Land; denn, wie wir Alle meinen,

Kann Gott und Dich dies nur zu ehren scheinen.«

»Nimm diese Furcht von unserem Gemüthe!

Um Gottes Willen, bleib’ nicht unvermählt.

Denn wären – was in Gnaden Gott verhüte! –

Die Tage Deines Lebens bald gezählt,

So folgt ein Fremder, wenn der Erbe fehlt.

Und weh’ dem Volke, wenn dies je geschähe!

Drum laß Dich bitten, schreite rasch zur Ehe!«

Ihr tiefbewegtes Fleh’n, ihr bittend Dringen

Der edle Markgraf mitleidsvoll vernahm.

»Ihr wollt,« – so sprach er – »liebes Volk, mich zwingen

Zu dem, was nimmer in den Sinn mir kam.

Noch bin ich nicht der holden Freiheit gram,

Die selten ist im Ehestand zu finden;

Stets war ich frei – und nun wollt Ihr mich binden!«

»Doch muß ich Euren treuen Rathschlag bill’gen,

Denn Eurer Klugheit hab’ ich stets vertraut.

Ich will aus freien Stücken darein will’gen,

So rasch ich kann, erwähl’ ich eine Braut!

Doch von dem Vorschlag bin ich nicht erbaut,

Die Auswahl ganz in Eure Hand zu geben;

Der Sorge, bitt’ ich, laßt mich Euch entheben.«

»Denn das weiß Gott, höchst ungleich sind an Güte

Die Kinder oft dem würd’gen Elternpaar.

Werth kommt von Gott und stammt nicht vom Geblüte,

Das uns erzeugte, oder uns gebar.

Auf Gottes Huld vertrau’ ich! Ihm, führwahr,

Geb’ ich anheim in Anbetracht der Ehe

Rang, Stand und Alles. – Was Er will, geschehe!«

»Gestattet, daß mein Weib ich selber wähle!

Wie sehr die Last den Rücken auch beschwert,

Ich trage sie. – Doch bitt’ ich und befehle

Bei Eurem Leben, daß mein Weib Ihr ehrt,

Wer sie auch sei, so lang’ ihr Dasein währ’t,

In Wort und That – und dies versprecht auf Ehre! –

Als ob sie Tochter eines Kaisers wäre.«

»Und ferner sollt Ihr schwören, nie zu klagen

Und nie zu spötteln über meine Wahl;

Denn soll ich meiner Freiheit mich entschlagen,

Wie Euer Rath so dringend mir empfahl,

Will ich auch wählen aus der Weiber Zahl

– Bei meinem Heil! – nach eignem Wunsch und Neigen!

Sonst thut Ihr besser, davon still zu schweigen.«

Und schwörend stimmten sie in allen Dingen

Ihm herzlich bei, und Niemand sagte Nein,

Und baten zu bestimmen, eh’ sie gingen,

So bald als thunlich und von vorn herein

Den Tag, an welchem Hochzeit solle sein;

Da sich das Volk mit steter Sorge quälte,

Daß sich der Markgraf ungern nur vermählte.

Den Tag bestimmend, wie’s ihm einfiel eben,

Als der Vermählung äußersten Termin,

Sprach er, daß ihrem Wunsche nachgegeben

Auch hierin sei. – Und Alle priesen ihn,

Und ehrfurchtsvoll bedankte auf den Knie’n

Sich Jedermann. Erfüllt war ihre Bitte,

Und Alle lenkten heimwärts ihre Schritte.

Den Hofbeamten hieß dann unverweilt er,

Zum Hochzeitsfest zu rüsten sich sofort,

Und nach Gefallen rings Befehl ertheilt’ er

Bald hier den Rittern, bald den Pagen dort;

Und allesammt gehorchten ihm aufs Wort,

Und dienstbeflissen thaten sie ihr Bestes,

Um beizutragen zu dem Glanz des Festes.

Pars Secunda.

Nicht weit vom stolzen Schlosse, wo zum Tage

Der Hochzeit sich zu rüsten hieß der Graf,

Gewahrte man in reizend schöner Lage

Ein Dorf, und in den niedern Hütten traf

Ein Volk man an, das ärmlich, aber brav

Sich und den Viehstand von den Früchten nährte,

Die seinem Fleiß des Bodens Gunst gewährte.

An Armuth aber übertraf fast Alle

Ein Mann im Dorf, Janikola genannt;

Doch, wie einst jenem kleinen Ochsenstalle

Des höchsten Gottes Gnade zugewandt,

Man in der Hütte dieses Mannes fand

Das schönste Bild der reinsten Lieblichkeit,

Ein holdes Kind. – Griseldis hieß die Maid.

Die Sonne sandte nie vom Himmelsbogen

Auf solchen keuschen Liebreiz ihren Schein.

In größter Armuth war sie auferzogen,

Von üpp’ger Lust blieb ihre Seele rein;

Der Trunk der Quelle labte sie statt Wein.

Der Tugend hold und gram dem Müßiggang,

Ward keine Arbeit ihr zu schwer und lang.

Kaum übertretend ihrer Kindheit Schranken,

Erfüllten schon den jungfräulichen Sinn

Ein reifer Muth und ernste Pflichtgedanken,

Und als des alten Vaters Pflegerin

Gab sie sich liebend voller Ehrfurcht hin;

Und ging im Felde hüten ihr’ paar Schafe,

Und wollte rastlos wirken bis zum Schlafe.

Auch Wurzeln oder andre Kräuter brachte

Sie machmal heim, zerschnitt sie und begann

Daraus ihr Mahl zu kochen, und sie machte

Ihr dürftiges und hartes Lager dann.

Und auf den Unterhalt des Vaters sann

Sie so besorgt und mit dem freud’gen Wollen,

Das ihren Vätern brave Kinder zollen.

Griseldis aber, diesem armen Kinde,

War längst des Markgrafs Sinnen zugewandt;

Denn oft geschah’s, daß, jagend durch die Gründe,

Durch Zufall sie sein spähend Auge fand.

Indessen nicht zu wilder Lust entbrannt

Durch ihren Reiz, nein, nur mit ernster Regung

Blickt’ er auf sie und zog oft in Erwägung:

Empfohlen sei dem Herzen sie durch Tugend;

Durch Weiblichkeit in Blick und Wort bewährt,

Sei sie vor Allen in so zarter Jugend. –

Und wenn der Mensch der Einsicht oft entbehrt,

Was Tugend ist; er sah auf ihren Werth,

Und er beschloß, wenn er je freien solle,

Daß er nur sie und keine Andre wolle.

Der Tag der Hochzeit kam. Indessen wußte

Noch Niemand, welches Weib er sich erkor;

Und da dies Jeden Wunder nehmen mußte,

So flüsterte man leise sich ins Ohr:

»Bleibt unser Herr denn immerdar ein Thor?

Will er nicht frei’n? O, Jammer, welch Verschieben!

Will er uns narr’n? Hat er nur Spott getrieben?«

Doch längst gefaßt war schon zum Brautgeschmeide

Der Gemmen Pracht in Gold und in Azur.

Das Maß zu nehmen von dem Hochzeitskleide

Ward eine Magd gewählt, die an Statur

Griseldis glich, soweit als möglich nur;

Und von dem Markgraf vorgesorgt aufs Beste

War jeder Schmuck, entsprechend solchem Feste.

Schon nah’te mit des Tages neunter Stunde

Sich die zur Hochzeit festgesetzte Zeit,

Des Schlosses Räume standen in der Runde

Schon zum Empfange reichgeschmückt bereit.

In Küch’ und Keller welche Herrlichkeit!

Da wirst Du keinen einz’gen Leckerbissen,

Den nur Italien liefern kann, vermissen!

Gefolgt von seinem Hofstaat und den Schaaren

Der Edelfrau’n und Ritter, die durch ihn

Zum Fest der Hochzeit eingeladen waren,

Der Markgraf dann im Fürstenschmuck erschien,

Um unter Klang und Sang von Melodien

Sich gradewegs zum Dorfe, das soeben

Von mir erwähnt ist, festlich zu begeben.

Bei Gott! Griseldis mochte wenig träumen,

Daß ihr bestimmt sei soviel Glanz und Pracht.

Zum Brunnen gehend, schöpft sie ohne Säumen

Dort Wasser und kehrt heimwärts mit der Tracht.

Denn wie sie hörte, war der Graf bedacht,

Sich an dem heut’gen Tage zu vermählen;

Und ungern möchte sie den Zug verfehlen.

Sie dachte: Mit den andren Mädchen stell’ ich

Mich vor die Thür von unsrer Hütte hin.

Drum will ich eilen, damit rasch und schnell’ ich

Mit meiner Arbeit heute fertig bin,

Und mich des Anblicks unsrer Markgräfin

Erfreuen kann in Muße und in Ruh’,

Lenkt sich der Festzug dem Palaste zu.

Doch kaum erreichte sie die Flur der Hütte,

Als schon der Markgraf nah’te und sie rief;

Worauf sie – hastig ihre Wasserbütte

Im Viehstall bergend – ihm entgegenlief;

Und vor ihm beugte sie die Kniee tief,

Und ernsten Blicks verharrte sie dann stille,

Bis sie erfahren, was des Herren Wille.

Und an das Mädchen wandte seine Frage

Gedankenvoll der Markgraf mit dem Wort:

»Wo mag dein Vater sein, Griseldis? sage!«

Und ehrfurchtsvoll gab Antwort sie sofort:

»Er weilt, o Herr, in nächster Nähe dort!«

Und ohne Zögern sprang sie dann empor

Und führt’ dem Grafen ihren Vater vor.

Der Graf ergriff die Hand des armen Mannes,

Zog ihn bei Seite und sprach tiefbewegt:

»Janikola! nicht länger mag und kann es

Ich Dir verhehlen, was mein Herz erregt;

Und sagst Du ›Ja‹ zum Wunsche, den es hegt,

Nehm’ ich Dein Kind – was immer auch geschehe –

Bevor ich scheide, lebenslang zur Ehe!«

»Ich kenne Dich als treuen Hausvasallen

Und weiß, Du liebst mich; und was mir gefällt

– Das darf ich sagen – ist auch Dein Gefallen;

Drum auf die Frage, welche Dir gestellt,

Erwidre mir und sprich, wie sich’s verhält,

Gieb Deine Absicht offen zu erkennen:

Bist du geneigt, mich Schwiegersohn zu nennen?«

Kaum wußte sich der arme Mann zu sammeln;

So unerwartet brach’s auf ihn herein.

Beschämt, erröthend, zitternd konnte stammeln

Er nur die Worte: »Lieber Herre, mein,

Was Euch gefällt, soll mein Gefallen sein!

Herr, Euren Willen ich zu meinem mache;

Wie’s Euch beliebt, entscheidet in der Sache!«

Sanft sprach der Markgraf: »Weitern Rath zu pflegen,

Laßt uns zusammen in Dein Zimmer geh’n,

Du, sie und ich. – Und fragst Du mich weßwegen?

Nun wohl! in Deinem Beisein soll’s gescheh’n,

Vor Deinem Ohr soll sie mir Rede steh’n,

Auf meine Frage: ob sie ewig mein

Treu und gehorsam Eheweib will sein?«

Und als im Zimmer sie beisammen waren

Um – wie dies später näher dargelegt –

Die Sache zu besprechen, drang in Schaaren

Das Volk ins Haus; und Staunen rings erregt,

Wie sorgsam sie den theuren Vater pflegt.

Doch höchst verwundert stand Griseldis da,

Die nie zuvor ein solches Schauspiel sah.

Kein Wunder war’s, daß sich ihr Staunen regte,

Und daß beim Anblick von solch hohem Gast,

Wie sie im Hause nie zu sehen pflegte,

Ihr Angesicht so ganz und gar erblaßt.

Doch um die Sache kurz zu machen, laßt

Mich melden, was vom Grafen ward gesagt

Der guten, holden, vielgetreuen Magd.

»Griseldis!« – sprach er – »wisse und verstehe,

Daß Deinem Vater, so wie mir es paßt,

Daß Du mein Weib wirst, ist zu dieser Ehe,

Wie ich vermuthe, Dein Entschluß gefaßt.

Doch da die Werbung Eile hat und Hast,

So bitt’ ich Dich, daß Du mir Antwort schenkest,

Ob Du mir beistimmst oder anders denkest?«

»Ich frage Dich: bist Du mit Herz und Willen

Bei Tag und Nacht zu meiner Lust bereit?

Willst Du Dich fügen jeder meiner Grillen,

Ob sie Dir Freude machen oder Leid?

Entsagst Du jedem Widerspruch und Streit?

Willst Du in Wort und Mienen niemals schmälen?

So schwör’s, und ich beschwöre, Dich zu wählen.«

Verwundert sprach mit Zittern und mit Beben

Griseldis: »Herr! unwürdig und nicht werth

Bin ich der Ehre, wenn ich auch ergeben

Das thuen will, was Ihr von mir begehrt.

Ich schwör’ es hier: gehorsam, treu bewährt

Sollt Ihr mich finden stets in That und Sinn,

Sonst nehmt mein Leben, das so lieb mir, hin!«

»Das ist genug, Griseldis mein!« – die Worte

Sprach froh der Markgraf und, gefolgt von ihr,

Enteilte rasch er aus des Hauses Pforte

Und sprach zum Volk in folgender Manier:

»Seht, die von mir erwählte Braut steht hier!

Habt Ihr mich lieb, so tragt sie auf den Händen,

Verehrt und liebt sie! – damit laßt mich enden!«

An alten Kleidern sollte sie beim Scheiden

Nichts mit sich nehmen, und so übertrug

Den Kammerfrau’n der Graf, sie zu entkleiden;

Und waren sie auch zimperlich genug,

Das zu berühren, was am Leib’ sie trug,

Sah man die Maid mit freuderothen Wangen

Doch neugeschmückt vom Kopf zu Fuße prangen.

Das rauhe Haar begannen sie zu strählen,

Mit zarten Fingern ward aufs Haupt gedrückt

Ihr eine Krone, während mit Juwelen

Von jeder Art und Größe man sie schmückt.

Genug vom Anzug! – Jeder ist entzückt

Von ihrer Schönheit, obschon Glanz und Pracht

Sie für die Leute fast unkenntlich macht.

Ein Ringlein gab der Markgraf ihr zu eigen

Zum Zeichen, daß sein Eheweib sie sei,

Ein schneeweiß Rößlein hieß er sie besteigen,

Und hin zum Schloß, vom Volk mit Jubelschrei

Begrüßt, begleitet, zogen rasch die Zwei,

Und froh verbrachten sie den Tag mit Festen,

Bis daß die Sonne niedersank im Westen.

Um in die Länge nicht den Stoff zu ziehen,

Sei kurz erwähnt, daß Gottes Gnadenhand

Der Markgräfin so reiche Gunst verliehen,

Daß Jedermann es schier unglaublich fand,

Sie sei geboren in so nied’rem Stand,

In einer Hütte, einem Ochsenstalle,

Anstatt entsprossen einer Kaiserhalle.

In Ehrfurcht aber und in Liebe wandte

Sich jedes Herz stets wärmer zu ihr hin.

Das Volk im Dorf, das sie zeitlebens kannte,

Beharrte steif und fest auf seinem Sinn

Und wollte schwören, daß von Anbeginn

Sie nie das Kind Janikola’s gewesen,

Vielmehr ein andres, ganz verschied’nes Wesen.

Wie sie die Tugend stets zuvor bewahrte,

Schien sie an Güte und Vortrefflichkeit

Mit ihrem Stand zu wachsen, und sie paarte

Die Kunst der Rede mit Verschwiegenheit,

Anstand und Würde mit Leutseligkeit;

Und jedes Herz sie so zu fesseln wußte,

Daß, wer sie sah, auch liebgewinnen mußte.

Indessen blieb nicht auf Saluzzo’s Wälle

Ihr guter Namensruf allein beschränkt;

Nein, das Gerücht davon ward in der Schnelle

– Da Einer immer wie der Andre denkt –

Durch alle Lande so umhergesprengt,

Daß Herr’n und Frau’n, die jungen, wie die alten,

Um sie zu sehen, nach Saluzzo wallten.

Und Walther, der in Niedrigkeit zwar freite,

Doch königlich und überglücklich, fand

Den Frieden Gottes an der Gattin Seite

Und anderweitig Huld und Gunst im Land;

Und da er sah, daß unter niederm Stand

Auch Tugend wohne, ließ für weise gelten

Ihn rings das Volk – und das geschieht höchst selten.

Griseldis aber war nicht nur erfahren

In jeder Weibespflicht der Häuslichkeit;

Nein, wo es Noth that, wußte sie zu wahren

Des Reiches Nutzen, schlichtend jeder Zeit

Im ganzen Lande Zwiespalt, Zank und Streit.

Und was in ihrer Weisheit sie entschieden,

Damit gab sich auch jedes Herz zufrieden.

Und war zugegen oder nicht ihr Gatte,

Erzürnten sich zwei Herr’n in ihrem Land,

Vermittelte sie deren Streit und hatte

Verständ’ge, reife Worte gleich zur Hand,

Und unparteiisch man den Schiedsspruch fand.

Ein Jeder hielt sie für ein himmlisch Wesen,

Dem Recht zum Schutz, dem Volk zum Heil erlesen!

Nicht lang’, nachdem die Hochzeit war begangen,

Gebar Griseldis ihm ein Töchterlein

Trotz ihrem Wunsch, ein Söhnchen zu empfangen;

Froh war der Markgraf, sowie allgemein

Sein ganzes Volk. Dem Mädchen hinterdrein

Ließ, da ihr Schoß so fruchtbar schien und offen,

Sich auch mit Recht ein Knabe noch erhoffen.

Pars Tertia.

Und als sie kurze Zeit an ihren Brüsten

Das Kind gesäugt, geschah – was oft gescheh’n –

Daß ihr Gemahl, der Markgraf, von Gelüsten,

Sie zu versuchen, sich erfaßt geseh’n.

Zu schwach, dem tollen Wunsch zu widersteh’n,

Sann er auf Mittel, wie zu diesem Zwecke,

Griseldis er – Gott weiß, umsonst! – erschrecke.

Durch manche Probe war von ihrer Treue

Ihm längst zuvor schon der Beweis geschenkt.

Was nützt es ihm, daß er sie stets aufs Neue

Versuchen will? – Ach! wenn auch Mancher denkt,

Es sei höchst geistreich, daß sein Weib man kränkt,

So sag’ ich Euch, ein schmähliches Betragen

Ist, ohne Nutzen es in Furcht zu jagen.

In solcher Absicht war zur Nacht erschienen

Der Markgraf einst in ihrem Schlafgemach,

Wo er mit düstren und verstörten Mienen

In dieser Weise zu Griseldis sprach:

»An jenen Tag, an dem aus Noth und Schmach

Ich Dich einst zog, Dir Glanz und Rang zu schenken

Wirst Du, Griseldis, sicherlich noch denken.«

»Griseldis, daß ich Dich mit Ehren schmückte

Und zu dem Rang und zu der Würdigkeit,

Die jetzt Dich ziert, aus niederm Stand entrückte

Und tiefer Armuth, als ich Dich gefreit,

Vergißt Du, denk’ ich, wohl zu keiner Zeit.

Doch bitt’ ich aufmerksam mich anzuhören;

Wir sind allein; kein Lauscher kann uns stören.«

»Du weißt es selber, wie Du eingezogen

In dieses Haus bist – kurze Zeit ist’s her.

Zwar lieb ich Dich und bin Dir treu gewogen,

Doch meine Ritter sind Dir’s nimmermehr,

Und sagen jetzt, es kränke sie zu sehr,

Daß ich ergäbe mich so ganz zum Knechte

Dir, die entstammt so niederem Geschlechte.«

»Und da Du mir ein Töchterlein beschieden,

So liegen sie beständig mir im Ohr.

Ich lebte gern in Ruhe und in Frieden

Mit meinem Adel ferner, wie zuvor.

Dies leicht zu nehmen, bin ich nicht der Thor;

Und muß daher mit Deiner Tochter schalten

Nach meiner Ritter, nicht nach meinem Walten.«

»Jedoch, weiß Gott, zuwider und verdrießlich

Bleibt mir der ganze Handel immerhin;

Und darin vorgehn will ich nicht, bis schließlich

Ich Deiner Zustimmung versichert bin.

Darum bethätige geduld’gen Sinn,

Wie Du mir hoch und theuer hast geschworen,

Als ich im Dorf zum Weibe Dich erkoren.«

Sie hörte jedes Wort. Doch im Benehmen,

In ihrer Haltung und Geberde stand

Sie ruhig da und schien sich kaum zu grämen.

»Mein Herr« – sprach sie – »wir sind in Deiner Hand.

Sei Tod, sei Leben über uns erkannt,

Ich und mein Kind sind Dir von ganzer Seele

Gehorsam stets und, was Du willst, befehle.«

»So wahr ich hoffe, selig einst zu werden,

Was Dir nicht lieb ist, das mißfällt auch mir.

Ich wünsche nichts, hab’ ich nur Dich auf Erden,

Ich fürchte nichts, als den Verlust von Dir!

Das ist mein Herzenswille für und für,

Den unverändert ich durch Zeit und Lage

Bewahren werde bis zum Todestage.«

Wie immerhin der Markgraf sich verstellte,

Ihn freute dennoch, was Griseldis sprach.

Dem Anschein nach voll Mißmuth und voll Kälte

Verließ indessen er ihr Schlafgemach,

Um seine Pläne kurze Zeit hernach

Ganz heimlich einem Manne mitzutheilen,

Dem er befahl, zu seiner Frau zu eilen.

Ein’ Art Profoß war der vertraute Diener,

Den er stets treu in großen Dingen fand,

Und auch, um Böses auszuführen, schien er,

Wie Leute solchen Schlages, ganz zur Hand;

Und da in ihm sich Lieb’ mit Furcht verband

Für seinen Herrn, stahl er, als dessen Wille

Bekannt ihm war, in ihr Gemach sich stille.

»Madam,« – sprach er – »laßt mir es nicht entgelten,

Wenn ich vollführe, wozu man mich zwingt.

Ihr seid so klug und wißt, daß Herren schelten,

Wenn ihren Auftrag man nicht unbedingt

Gehorsam ausführt und genau vollbringt.

Man muß es thun, trotz Jammer und trotz Klagen;

Und so will ich! – Mehr bleibt mir nicht zu sagen.«

»Dies Kind zu holen, ist mir aufgegeben.«

Mehr sprach er nicht. Jedoch, zur Thür gewandt,

Ergriff er es, als wenn er ihm das Leben

Entreißen wollte mit entmenschter Hand.

Still ließ Griseldis ohne Widerstand,

Fromm, wie ein Lamm, mit unterdrückten Zähren

Den rohen Schergen klagelos gewähren.

Verdächtig war des Mannes Ruf und Wandel,

Verdächtig gleichfalls war sein Blick und Wort,

Verdächtig war der Zeitpunkt von dem Handel!

Ach! zu der heißgeliebten Tochter Mord

– So wähnte sie – sei er bereit sofort.

Doch ruhig blieb sie, keine Thräne floß,

Und willig trug sie, was der Graf beschloß.

Indessen Worte fand sie doch am Ende,

Und fleht so sanft, als ob ein Edelmann

In der Person des Schergen vor ihr stände,

Daß sie ihr Kind noch einmal küssen kann

Vor seinem Tod; und nimmt betrübt es dann

Auf ihren Schoß und lullt es auf und nieder

Und segnet es und küßt es immer wieder.

Mit milder Stimme hub sie an zu sagen:

»Leb’ wohl, mein Kind, auf Nimmerwiederseh’n!

Nun, da mein Kreuz ich über Dich geschlagen,

Kann Dir des Himmels Segen nicht entgeh’n.

Ich will zum Herrn am Marterholze fleh’n

Für Dich, mein Kind! Denn Deiner Mutter wegen

Gehst Du dem Tode diese Nacht entgegen!«

Wohl hätte jede Wärterin mit Schmerzen

Dies angesehn, und, sicher, Wehgeschrei

Hätt’ es entlockt jedwedem Mutterherzen.

Und dennoch blieb sie ernst gefaßt dabei,

Geduldig tragend alle Quälerei;

Und sprach zum Schergen mit ergeb’nem Sinn:

»Nimm hier mein kleines Mädchen wieder hin!«

»Nun geh’!« – sprach sie – »und thu’, was Dir geboten!

Doch eine Bitte sei Dir noch gestellt:

Ist Dir’s erlaubt, so grab’ der kleinen Todten

Ein Grab an irgend einem Platz der Welt,

Damit zum Raub sie nicht den Vögeln fällt.«

Doch aus des Schergen Munde kam kein Wort;

Er nahm das Kind und zog des Weges fort.

Der Scherge lief zum Grafen ohne Weilen,

Um, was sie sprach, wie ihr Benehmen war,

Ihm Punkt für Punkt in Kürze mitzutheilen,

Und reichte dann sein Töchterlein ihm dar.

Etwas ergriff des Grafen Herz es zwar,

Doch wollt’ er trotzdem sich beharrlich zeigen;

Denn stets ist Starrsinn großen Herren eigen.

Den Schergen hieß das Kind in weiche Decken

Er heimlich hüllen und es wohlverwahrt

In einen Kasten oder Korb zu stecken

Und fortzutragen schonungsvoll und zart;

Doch sich zu hüten – auf daß ihm erspart

Der Galgen sei – daß Niemand Argwohn finge,

Woher er käme und wohin er ginge.

Doch nach Bologna hin zu seiner Schwester,

Der Gräfin von Panago, schickt’ er ihn,

Um sie zu bitten, dieses Kind in bester

Und liebevollster Weise zu erziehn;

Und, da für seinen Plan es nöthig schien,

In jedem Falle strenge zu verschweigen

Vor aller Welt, wem dieses Kind zu eigen.

Der Scherge ging, den Auftrag auszuführen;

Doch kehren wir zum Grafen jetzt zurück.

Stets trieb ihn Neugier, weiter nachzuspüren,

Ob nicht sein Weib in Worten oder Blick

Verändert scheine durch ihr Mißgeschick.

Doch keinen Wechsel nahm er an ihr wahr,

Ernst aber freundlich blieb sie immerdar.

Sie schien ihn unverändert noch zu lieben;

Demüthig, freundlich, thätig, dienstbereit,

In jeder Hinsicht war sie gleich geblieben;

Doch von dem Kind sprach sie zu keiner Zeit,

Und nie verrieth sie irgendwie ihr Leid;

Und selbst in frohen Stunden, wie im Grame

Blieb unerwähnt stets ihrer Tochter Name.

Pars Quarta.

Vier Jahre waren dergestalt verflossen,

Eh’ sie vom Grafen wieder schwanger war

Und ihm durch Gottes Fügung einen Sprossen,

Den anmuthreichsten, schönsten Sohn gebar.

Und mit dem Vater jubelte die Schaar

Des ganzen Volks und pries für seine Güte

Den lieben Gott aus dankbarem Gemüthe.

Als nach zwei Jahren von der Amme Brüsten

Das Kind entwöhnt war, ließ zu jener Zeit

Der Markgraf sich zum zweiten Mal gelüsten,

Zu prüfen und versuchen fernerweit

– O, nutzlos Thun! – der Gattin Festigkeit.

Doch, Maß zu halten, leicht der Mann vergißt,

Sobald sein Weib allzu geduldig ist.

»Weib!« – sprach der Graf – »Du wirst vernommen haben:

Man hat mir unsre Heirath stets verdacht;

Doch ist mein Volk seit der Geburt des Knaben,

Wie nie zuvor darüber aufgebracht.

Den Muth sein Murren mir verlieren macht;

Zu Ohren kommen mir so scharfe Klagen,

Daß mir ins Herz sie Todesschrecken jagen.«

»Sie sprechen: Ruht einst Walther in der Grube,

So folgt, da uns ein andrer Erbe fehlt,

Aus dem Geblüt Janikolas der Bube.

Fürwahr! das ist’s, was murrend man erzählt

In meinem Volk und was mit Furcht mich quält.

Doch sicher muß Gewicht ich darauf legen,

Obschon sie schweigen, bin ich selbst zugegen.«

»Wo möglich, wünsch’ ich Frieden zu bewahren;

Und fest hab’ ich mir deßhalb vorgesetzt,

Wie ich mit seiner Schwester bin verfahren,

Ganz so verfahr’ ich heimlich mit ihm jetzt.

Drum sei gewarnt, wie schwer es Dich verletzt,

Nicht plötzlich leidenschaftlich aufzuflammen,

Nein, bitte, nimm Dich in Geduld zusammen.«

»Ich sagte« – sprach sie – »und ich werde sagen

Es immerdar: Dein Wunsch ist mein Gebot!

Wenn Du befiehlst, werd’ ich geduldig tragen

Den Tod des Sohnes, wie der Tochter Tod.

Ich litt um sie schon Schmerz in Kindesnoth,

Als ihnen Dasein dieser Schoß gegeben,

Und Schmerz um sie blieb auch mein Loos im Leben.«

»Du bist mein Herr, und mit den Deinen schalten

Kannst Du nach Willkür! Laß mich ungefragt!

Wie ich von meiner Kleidung nichts behalten,

Als ich Dich nahm, hab’ mit der Tracht der Magd

Ich meiner Freiheit auch zugleich entsagt,

Und nahm Dein Kleid, drum thu’, was Du beschlossen,

Gehorsam folg’ ich Dir stets unverdrossen.«

»Wo je zuvor nur die geringste Ahnung

Ich hegen konnte, was Dein Herz begehrt,

Bedurft’ ich auch gewißlich keiner Mahnung;

Und jetzt, nachdem Dein Wille mir erklärt,

Wirst Du mich standhaft finden und bewährt

Bis an den Tod. Mir sei zu Deinem Frommen

Und Deinem Wohl er jederzeit willkommen!«

»Mehr gilt mir Deine Liebe, als mein Leben!«

Die Worte sprach sie. – Und der Markgraf schlug

Die Augen nieder, staunend, wie ergeben

Und fest und standhaft sich sein Weib betrug,

War auch die Prüfung schmerzensvoll genug.

Mit finstren Blicken, doch erfreuten Sinnen

Ging dann der Markgraf wiederum von hinnen.

Und wieder trat der garst’ge Mann ins Zimmer

Und wiederum ergriff er, wie er schon

Einst ihre Tochter holte, ja, noch schlimmer,

Wenn’s möglich wäre, ihren schönen Sohn.

Geduldig trug sie fort und fort den Hohn;

Sie klagte nicht, sie setzte nichts entgegen;

Nein, gab dem Knaben Abschiedskuß und Segen.

Sie bat ihn nur, wenn es sein Amt erlaube,

Für ihres Söhnchens feinen, zarten Leib

Ein Grab zu graben, daß er vor dem Raube

Der Vögel und der Thiere sicher bleib’.

Doch keine Antwort fand das arme Weib.

Fort ging er, scheinbar mit verstocktem Sinn,

Doch sorgsam trug er’s nach Bologna hin.

Des Markgrafs Staunen wuchs mit jedem Tage,

Je mehr er sah, wie sie geduldig blieb;

Und ständ’ es nicht so gänzlich außer Frage,

Ihr wären beide Kinder mehr als lieb,

So hätt’ er wähnen können, daß ein Trieb

Nach Rache heimlich ihr am Herzen zehre,

Und Maske nur die Duldermiene wäre.

Er wußte ja, es hing ihr Herz beständig

Zunächst nach ihm allein den Kindern an.

Mich an die Weiber nunmehr fragend wend’ ich:

Ob diese Probe nicht genügen kann?

Ist’s möglich, daß ein unbeugsamer Mann

Noch mehr ersinnt, von ihr Geduld und Treue

Und Weiblichkeit zu prüfen stets aufs Neue?

Doch solche Leute trifft man oft im Leben,

Die, wenn sie einen Vorsatz erst gefaßt,

Daran mit solchem Eigensinne kleben,

Als ob sie gleichsam fest an einen Mast

Gebunden wären. Und dies Gleichniß paßt

Auch auf den Grafen. Stets blieb er gesonnen,

Es fortzutreiben, wie er es begonnen.

Er lauerte, ob sie in Wort und Wesen

Sich nicht verändert zeige gegen ihn.

Doch, wie in ihren Zügen nichts zu lesen,

Blieb ohne Wechsel auch ihr Herz und schien,

Je mehr und mehr der Jugend Jahre fliehn,

Wo möglich noch mit größerem Verlangen

Nach seiner Liebe fest an ihm zu hangen.

Und somit schienen nur von einem Willen

Die Zwei beseelt. Vergnügt und wohlgemuth

Entsprach Griseldis jeder seiner Grillen;

Und so ging Alles – Gott sei Dank! – auch gut.

Sie zeigte, daß ein Weib am Besten thut,

Dem Mann zu folgen und in allen Dingen

Den eignen Willen gänzlich zu bezwingen.

Doch wunderweit durch alle Lande drangen

Bald die Gerüchte seiner Grausamkeit.

Daß an den Kindern heimlich Mord begangen,

Weil er ein Weib aus niederm Stand gefreit,

Erzählte man im Volke weit und breit.

Kein Wunder war’s, da Niemand es erfahren,

Daß beide Kinder noch am Leben waren.

Stand er bei Allen in der höchsten Achtung,

Eh’ dies Gerücht dem Volk zu Ohren drang,

So fiel er jetzt in niedrige Verachtung;

Verhaßt vom Mörder war des Namens Klang.

Er aber trieb es weiter wie bislang,

Stets blieb bei ihm der böse Vorsatz oben:

Sein Weib noch mehr zu prüfen und erproben.

Als etwa in dem Alter von zwölf Jahren

Die Tochter stand, entsandte Botschaft er

Zum Hof nach Rom, in der Art zu verfahren,

Wie listig abgekartet war vorher,

Und wie ein Schreiben zu ersinnen wär’,

Daß ihm der Papst gestatte zum Gedeih’n

Und Wohl des Volks ein andres Weib zu frei’n.

Das heißt, gefälscht, wie er befohlen hatte,

In einer Bulle ward des Papstes Hand,

Indem man schrieb, daß ihm der Papst gestatte,

Zu lösen seiner Ehe Bund und Band,

Damit geschlichtet zwischen seinem Land

Und ihm der Zwiespalt sei, der sich entzündet.

– So sprach die Bulle – und so ward’s verkündet.

Das rohe Volk – kein Wunder war es – dachte,

Es hätte durchaus seine Richtigkeit.

Mich aber dünkt, das schwerste Herzweh machte

Griseldis sicher diese Neuigkeit.

Indeß sie trug die Widerwärtigkeit,

Zu welcher sie vom Schicksal war erlesen,

Mit immer gleichem und geduld’gem Wesen.

Sich jeder Laune fügend, blieb ihr Sinnen

Und ganzes Denken stets ihm zugewandt.

Doch, den Bericht nicht länger auszuspinnen,

Erzähl’ ich kurz, daß von des Grafen Hand

Ein Schreiben nach Bologna war entsandt,

In welchem alle Pläne, die er hegte,

Er im Vertrauen klar und offen legte.

Dem Grafen von Panago, seinem Schwager,

War dringend das Ersuchen übermacht,

Die Kinder wieder an des Hofes Lager

Ihm heimzusenden in der größten Pracht,

Ganz öffentlich, jedoch mit Vorbedacht,

An keinen Menschen und auf kein Befragen

Von ihrer Herkunft irgend was zu sagen;

Doch auszusprengen, daß zur Braut erwählte

Der Markgraf von Saluzzo diese Maid. –

Und nachzukommen seinem Wunsch, verfehlte

Auch nicht der Graf. Denn zur bestimmten Zeit

Sah man ihn unter stattlichem Geleit

Mit ihr und ihrem Brüderchen daneben

Sich nach Saluzzo auf den Weg begeben.

Man schmückte sie mit Gemmen und Gesteinen

Wie eine Braut zum Hochzeitsfeste dann,

Und kleidete in gleicher Art den kleinen,

Nur sieben Jahre alten Bruder an;

Worauf der Festzug feierlich begann.

Im höchsten Glanze ritten froh und heiter

Von Tag zu Tag sie nach Saluzzo weiter.

Pars Quinta.

Inzwischen blieb des Grafen böses Sinnen,

Sein Weib zu prüfen immer mehr und mehr.

Und um die Ueberzeugung zu gewinnen,

Ob sie sich standhaft zeige wie zeither,

Ersann die schwerste aller Proben er,

Und sprach zu ihr im öffentlichen Kreise

Des ganzen Hofs in dieser schnöden Weise:

»Gewiß, Griseldis, nimmer fühlt’ ich Reue,

Daß ich dich hab’ zu meinem Weib erwählt;

Denn Deine Güte, Folgsamkeit und Treue

Ersetzen, was an Blut und Reichthum fehlt.

Doch auch die Wahrheit blieb mir nicht verhehlt,

– Und allzutief hab’ ich sie jetzt empfunden –

Daß Herrschaft stets mit Knechtschaft ist verbunden.«

»Nicht wie ein Bauer darf ich thun und treiben,

Was mir gefällt. – Mein Volk verlangt und schreit

Und drängt, mich anderweitig zu beweiben;

Und um zu schlichten diesen Zank und Streit,

Ist auch der Papst gesonnen und bereit,

Es zu gestatten. – Und so laß Dir sagen:

Mein neues Weib kommt schon wenig Tagen.«

»Sei starken Herzens! – Schleunigst mußt Du räumen

Ihr Deinen Platz. – Nimm Deinen Brautschatz mit!

Ich schenk’ ihn Dir. – Doch lenke sonder Säumen

Zu Deines Vaters Hütte jetzt den Schritt.

Nicht Jedermann ist seines Glückes Schmied;

Und trifft Dich Unglück ohne Dein Verschulden,

So lerne Du, mit Gleichmuth es erdulden.«

Sie aber sprach ergeben und gelassen:

»Mein Herr! ich weiß und hab’ es längst erkannt,

Dein hoher Rang kann nicht zusammenpassen

Mit meiner Armuth, meinem niedern Stand;

Und mir, wie Jedem, sagt es der Verstand:

Zur Zier gereichen kann ich Deinem Hofe

Nicht als Dein Weib; nein, kaum als Kammerzofe.«

»Doch Gott wird mir das Zeugniß nicht versagen

– Sonst fahre meine Seligkeit dahin! –

Nie hab ich mich als Herrscherin betragen,

Seitdem ich Dame Deines Hauses bin;

Nein, stets als Deiner Hoheit Dienerin;

Und so verbleib’ ich auch fürs ganze Leben

Dir mehr als jeder Kreatur ergeben.«

»Daß Deine Güte Du so lang bewährtest,

Und daß Du weit, weit über die Gebühr

Stets in der adeligsten Art mich ehrtest,

Mit ganzem Herzen dank’ ich Gott dafür.

Er lohne Dir’s! – Mich aber laß zur Thür

Der Vaterhütte meine Schritte wenden;

Dort laß mich wohnen und mein Leben enden!«

»Ich lebte dort in meinen Jugendjahren.

Dort will ich auch als Wittwe bis ans Grab

Dir Leib und Seele keusch und rein bewahren,

Und wie ich Dir zu eigen mich ergab

Und Dich als treues Weib geliebt, so hab’

Auch keine Furcht, daß ich nach solcher Ehre

Je einem Andern meine Gunst gewähre.«

»Dein neues Weib! – Nun, Heil und Segen spende

Nur stets durch sie Dir Gottes Gnadenhand! –

Gern räum’ ich meinen Platz ihr ein und wende

Mich fort vom Haus, wo ich mich wohl befand,

Durch Dich, der einst mein Alles war, verbannt!

Indeß, Dein Wunsch und Wille soll geschehen:

Du heißt mich gehen – und ich werde gehen!«

»Du schenkst mir Alles, was als Morgengabe

Ich Dir gebracht! – Doch Silber nicht, noch Gold,

Ein altes Kleid war alle meine Habe,

Und das ließ ich zurück, wie Du gewollt.

– O, lieber Gott, wie treu, wie gut, wie hold,

Wie freundlich warst Du mir in Wort und Mienen

An unserm ersten Hochzeitstag erschienen!«

»Ein Sprichwort sagt, und daß es wahr und treu ist,

Hat die Erfahrung auch an mir bewährt:

Alt ist die Liebe nur, so lang sie neu ist!

Doch bester Herr, was mir auch widerfährt,

Bis an den Tod bleibst Du mir lieb und werth!

Ich gab mein Herz auf ewig Dir zu eigen

Und keine Reue werd’ ich je Dir zeigen.«

»Auf Dein Geheiß warf ich mein schlichtes Mieder,

Als ich mein Vaterhaus verließ, von mir;

Ich brachte nichts als meine nackten Glieder,

Mein Mädchenthum und meine Treue Dir!

Zurück empfange Deine Kleider hier,

Zurück den huldvoll mir geschenkten Schimmer,

Zurück auch Deinen Ehering – für immer!«

»Was Du mir sonst an Schmuckwerk hast verliehen,

Das, darf ich sagen, birgt mein Schlafgemach.

Du nahmst mich nackend, und Du heißt mich ziehen

Auch nackend heim zum väterlichen Dach.

All Deinen Wünschen komm’ ich willig nach.

Doch kann ich nicht an Deine Absicht glauben,

Mich jeder Hülle schamlos zu berauben.«

»Du kannst mich nicht so schonungslos verletzen,

Mich wie den Wurm im Staube nackt und bloß

Dem Gafferblick des Pöbels auszusetzen,

Zur Schau ihm stellend meinen Mutterschoß,

Aus welchem Dir Dein Kinderpaar entsproß.

Erinn’re Dich, mein theurer Herr, ich bleib’,

Werth oder unwerth, immerhin Dein Weib!«

»Ich brachte Dir mein Mädchenthum, doch kehre

Mit meinem Mädchenthume nicht zurück;

Drum darf ich bitten, lieber Herr, gewähre

Mir zum Ersatz ein grobes Kleidungsstück,

Wie ich es trug, damit des Volkes Blick

Den Leib nicht sehe, der Dein eigen war;

Und damit Herr, leb’ wohl auf immerdar!«

»Das Hemd,« – sprach er – »das Du auf Deinem Rücken

Jetzt trägst, behalte; geh’ damit nach Haus.«

Doch konnt’ er kaum die Thränen unterdrücken,

Und schlich betrübten Herzens sich hinaus.

Doch vor dem Volke zog ihr Kleid sie aus,

Und nur im Hemde lenkte sie die Schritte,

Baarfüßig, baarhaupt zu des Vaters Hütte.

Und weinend zogen mit ihr Volkes Massen

Und fluchten laut dem unbeständ’gen Glück;

Doch sie verhielt sich schweigend und gelassen,

Und keine Thränen trübten ihren Blick.

Entsetzt vernahm der Vater ihr Geschick,

Verwünschend Tag und Stunde, die das Leben

Ihm armen, unglücksel’gen Mann gegeben.

Denn, ohne Zweifel, Ahnungen durchdrangen

Seit langer Zeit des armen Greises Brust,

Der Markgraf werde, wenn erst sein Verlangen

Gesättigt wäre und gestillt die Lust,

Sich nur zu rasch des Unterschieds bewußt

Von seinem Rang und ihrem niedern Stande,

Und baldigst lösen seiner Ehe Bande.

In Eile lief der Tochter er entgegen,

Als ihm der Lärm des Volks zu Ohren drang,

Ihr unter Thränen wieder anzulegen

Ihr altes Kleid, was nimmer ihm gelang.

Zu alt und fadenscheinig war schon lang

Der grobe Kram geworden seit den Tagen,

Als sie am Hochzeitsmorgen ihn getragen.

Hinfort blieb unter ihres Vaters Dache

Die Blume weiblicher Ergebenheit.

Und nie verrieth durch Mienen oder Sprache

Sie vor der Welt, noch in der Einsamkeit,

Was sie ertrug an Kränkung und an Leid.

Kaum schien sie die Erinn’rung zu bewahren

An ihren Rang in Haltung und Gebahren.

Kein Wunder war’s, da sie im höchsten Schimmer

Des Herzens Demuth keiner Zeit verlor;

Verzärtelt hatte Sinn und Leib sie nimmer,

Nie blähte sie der Hoheit Pomp empor.

Geduldig, freundlich blieb sie, wie zuvor;

Ehrbar, verschwiegen, ohne Ueberhebung

Gehorchte sie dem Gatten mit Ergebung.

Von Hiobs Langmuth haben uns die Schreiber

Gar viel erzählt. Stets stellen sie voran

Die Männerwelt und haben für die Weiber

Nur wenig Lob. Und doch in Demuth kann

Mit einer Frau sich messen nie der Mann;

Und keinen giebt es, der nur halb so treu ist;

Sonst liegt ein Fall vor, welcher gänzlich neu ist.

Pars Sexta.

Es fand inzwischen das Gerücht Verbreitung

Und rings im ganzen Volke ward es laut

Es käme von Bologna in Begleitung

Des Grafen von Panago Walthers Braut;

Und nimmer wäre solcher Pomp erschaut

Im ganzen Westen von der Lombardei,

Wie bei dem Festzug zu erblicken sei.

Der Markgraf aber lenkte wie am Faden

Das ganze Spiel; und ließ, bevor sein Gast

Die Stadt erreichte, schon durch Boten laden

Das arme Kind, Griseldis, zum Palast.

Und ohne Haß und Groll kam sie, gefaßt,

Demüthig, freundlich, um ihn zu begrüßen,

Und warf sich voller Ehrfurcht ihm zu Füßen.

»Griseldis!« – sprach er – »es ist mein Verlangen,

Die Dame, die ich mir zum Weib erwählt,

So königlich hier morgen zu empfangen,

Daß, soweit möglich, nichts im Hause fehlt,

Und Jeder, der zu meinen Gästen zählt,

Nach seinem Rang gestellt und auf das Beste

Gefeiert und bedient sei bei dem Feste.«

»Mir fehlt die Weiberhand, des Hauses Hallen

Nach meinem Wunsch zu schmücken, und so bin,

Dies herzurichten, ich auf Dich verfallen;

Denn Du bist unerfahren nicht darin,

Und kennst aus frühern Zeiten meinen Sinn.

Ist auch Dein Anzug schlecht und abgerissen,

Thu’ Deine Pflicht und zeig’ Dich dienstbeflissen.«

»Nicht nur erfreut, mein Herr« – so sprach sie – »bin ich,

Zu thun, was Ihr verlangt; nein, jeder Zeit

Euch zu gefallen und zu dienen sinn’ ich,

Und bin dazu ganz wankellos bereit.

Denn wie im Glücke, so wird auch im Leid

In meinem Busen nie der Wunsch erkalten,

In treuster Liebe fest an Euch zu halten.«

Und mit dem Wort begann sie schon zu schmücken

Das Haus, macht Betten, deckt die Tafeln dann,

Und trieb, um Alles bestens zu beschicken,

Zum Fegen und zum Scheuern, wie sie kann,

Die Dienerschaft in Gottes Namen an.

Doch sie war stets die Thätigste von allen;

Und bald im Festschmuck prangten Haus und Hallen.

Am Morgen traf etwa zur neunten Stunde

Der Graf sodann mit beiden Kindern ein.

Zusammen lief das Volk bei dieser Kunde

Und nahm die Herrlichkeit in Augenschein.

Und gleich zuerst hieß es schon allgemein:

Kein Thor sei Walther, und wär’s auch nicht recht,

Sein Weib zu wechseln, sei der Tausch nicht schlecht.

Daß sie weit schöner als Griseldis wäre,

An Jahren jünger, vornehmer an Stand,

Und schöne Früchte sicher ihm gebäre,

Ward von dem Volke ringsum anerkannt.

Auch an dem hübschen, frischen Bruder fand

Es viel Gefallen, und gelobt ward offen,

Vortrefflich sei des Markgrafs Wahl getroffen.

O, stürmisch Volk, in Dir wohnt keine Treue!

Mit jedem Wind, gleich einem Wetterhahn,

Dreht sich Dein steter Flattersinn aufs Neue;

Mehr als der Mond dem Wechsel unterthan,

Jubelst Du Beifall jedem frischen Wahn.

Falsch ist Dein Urtheil, schwankend, niemals fest;

Der ist ein Narr, wer sich auf Dich verläßt.

So sprachen in der Stadt gesetzte Leute,

Indessen gaffend rings der Pöbel stand.

Und mit veränd’rungssücht’gem Sinn sich freute

Der neuen Herrin über Stadt und Land.

Doch nun verlass’ ich diesen Gegenstand,

Damit ich von Griseldis’ fester Seele

Und ems’gem Schaffen fernerhin erzähle.

In jeder Hinsicht that sie dienstbeflissen,

Das Fest zu ordnen, wacker ihre Pflicht.

War auch ihr Anzug grob und halb zerrissen,

Sie schämte sich der armen Kleidung nicht.

Nein, ging zum Thor mit freundlichem Gesicht,

Die Gräfin dort gemeinsam zu empfangen;

Und dann ward flugs ans Werk zurückgegangen.

Mit holder Anmuth grüßte sie die Gäste,

Und hofgemäß und fehlerlos empfing

Nach Rang und Stand sie Jeden auf das Beste,

Und Allen schien’s ein wundersames Ding,

Woher der Frau, von Anschein so gering,

Die höfischen, gewandten Formen kämen;

Und Jeder pries als würdig ihr Benehmen.

Und alle Zeit hindurch sie nur zum Preise

Der jungen Maid und ihres Bruders sprach

Aus vollem Herzen und in güt’ger Weise;

Und keinem Andern stand sie darin nach.

Doch als man schließlich zum Bankett aufbrach,

Da rief Griseldis, welche dort im Saal

Geschäftig wirkte, zu sich ihr Gemahl.

Und er begann, als ob’s sein Stichwort wäre:

»Griseldis, sprich, wie Dir mein Weib gefällt?«

»Sehr gut!« – gab sie zur Antwort – »ja, auf Ehre!

Ich sah kein schön’res Wesen auf der Welt.

Sei Glück und Segen stets Euch beigesellt;

Das gebe Gott! und seine Huld und Gnade

Begleit’ Euch stets auf Eurem Lebenspfade!«

»Doch diese Warnung will ich nicht verhehlen:

Ich bitte Dich, die zarte, junge Maid

Nicht so wie mich zu martern und zu quälen,

Sie ist an Liebe nur und Zärtlichkeit

Allein gewöhnt, und kann daher im Leid

Nicht, wie ein Weib aus niedern Lebenskreisen,

So zähen Muth und festen Sinn beweisen.«

Und als sie so ergeben fand ihr Gatte

Und sah, daß ohne Groll noch immerdar,

Wie schwer und oft er sie beleidigt hatte,

Sie fest und stark wie eine Mauer war,

Und ihre Güte stets unwandelbar,

Da regte sich in seinem Herzen Reue

Daß er bezweifelt seines Weibes Treue.

»Dies ist genug, Griseldis mein!« – so rief er –

»Sei nicht mehr angst! Dir widerfährt kein Leid!

Von keinem Weibe ward erprobt je tiefer

Der feste Sinn und die Beständigkeit.

In Glanz und Armuth hab’ ich jeder Zeit,

O, theures Weib, Dich fest bewährt gefunden!« –

Und damit hielt sie küssend er umwunden.

Ob ihr die Worte zwar zu Ohren drangen,

Sie faßte kaum, daß Alles sie betraf.

Ihr war zu Muth, als führe sie aus bangen

Und schweren Träumen plötzlich aus dem Schlaf.

»Du bist mein Weib, Griseldis!« – rief der Graf –

»Und – soll mir Gott im Himmel gnädig sein! –

Nie war, noch wird ein andres jemals mein!«

»Die Dame, die Du für mein Weib gehalten,

Ist Deine Tochter, und der Knabe hier

Dein Sohn, und als mein Erbe soll er schalten.

Was einst Dein treuer Schooß gebar, sei Dir

Zurückgegeben wiederum von mir!

Nur in Bologna hielt ich sie verborgen;

Du brauchst nicht mehr um ihren Tod zu sorgen.«

»Wer jemals anders dachte, soll erfahren:

An meinen Finger haftet nicht das Blut

Von meinen Kindern. – Gott soll mich bewahren! –

Mich trieb nicht Lust an Grausamkeit, nicht Wuth;

Nur zu erproben Deinen festen Muth,

Geschah’s, daß ich sie heimlich von hier sandte,

Bis daß ich Dich von Herzensgrund erkannte.«

Sie hört es an und sinkt zu Boden nieder,

Ohnmächtig, halb vor Freude, halb vor Schmerz;

Und weinend drückte wiederum und wieder

Sie beide Kinder an ihr Mutterherz,

Und schluchzte laut und blickte himmelwärts,

Benetzend unter heißen Freudenküssen

Der Kinder Haupt mit ihren Thränengüssen.

O, rührend war’s, wie sie in sanftem Tone

Das Wort ergriff und schwankend niedersank:

»Grand merci, Herr! Daß Gott Dich dafür lohne!

Gerettet sind die Kinder! – Habe Dank!

Nun ist mir nimmer vor dem Tode bang;

Da Du mich liebst, da Deine Gunst ich habe,

So sterb’ ich gern und geh’ getrost zum Grabe!«

»O, zarte, theure Kinder! tief im Grunde

Des Mutterherzens wähnt’ ich lange Zeit,

Daß ihr der Fraß der Würmer und der Hunde

Geworden wär’t. Des Vaters Gütigkeit

Erhielt Euch mir. – Gott sei gebenedeit!«

Und mit den Worten sank bewußtlos wieder,

Vom Glück bewältigt, sie zu Boden nieder.

Doch in der Ohnmacht immer noch umschlang sie

Die beiden Kinder fest mit ihrer Hand,

Bis halb durch Güte man und halb durch Zwang sie

Den Mutterarmen wiederum entwand.

O, thränenleer im Kreise Niemand stand.

Wie sehr den Schmerz er unterdrücken wollte,

Feucht ward sein Auge, und die Thräne rollte.

Jedoch, durch Walther aufgeheitert, legte

Sich ihre Sorge, bis verwirrt sie dann

Empor sich wieder aus der Ohnmacht regte,

Und, froh gestimmt durch ihn und Jedermann,

Auch das Bewußtsein bald zurückgewann.

Ein schöner Anblick war’s, vereint aufs Neue

Die Zwei zu seh’n in alter Lieb’ und Treue.

In ihre Kammer führten sie die Damen,

Sobald der Zeitpunkt ihnen passend schien,

Wo sie die grobe Hülle von ihr nahmen,

Um ihr ein goldnes Prachtkleid anzuzieh’n.

Im Haupt die Krone, welcher Glanz verlieh’n

Die reichsten Steine, schritt sie dann zur Halle,

Und nach Gebühr begrüßten sie dort Alle.

So frohes Ende hat der Tag gefunden,

Der schlimm begann. Und allen Frau’n und Herr’n

Entschwanden unter Lust und Scherz die Stunden,

Bis hell am Himmel glänzte Stern an Stern;

Und zugestanden ward von Jedem gern,

Weit glänzender sei dieses Festgelage,

Als das Bankett an ihrem Hochzeitstage.

Und Beide lebten dann in Ruh’ und Frieden

Und höchstem Glück noch manches liebe Jahr.

Der Tochter ward der beste Mann beschieden,

Der in Italien nur zu finden war.

Und an dem Hofe ward für immerdar

Ihr alter Vater durch der Kinder Hände

Getreu gepflegt bis an sein Lebensende.

Und nach dem Tode Walthers trug die Krone

Sein Sohn, der, auf das Glücklichste vermählt,

In Ruh’ und Frieden lebte, jedoch ohne

Daß er sein Weib versucht hat und gequält.

Denn unserm jetzigen Geschlechte fehlt

Der Vorzeit Kraft. Zu läugnen ist dies nicht,

Und darum hört, was mein Gewährsmann spricht:

Nicht ist es die Moral von dieser Sage,

Daß jedes Weib mit der Ergebenheit,

Wie hier Griseldis, jede Schmach ertrage;

Denn das zu thuen, ist Unmöglichkeit.

Nein, daß wir allesammt in Noth und Leid

So fest und standhaft wie Griseldis blieben,

Empfahl Petrark, der den Bericht geschrieben.

Denn, wenn ein schwaches Weib sich so geduldig

Schon gegen einen Sterblichen beträgt,

O, wie viel mehr sind wir alsdann wohl schuldig,

Zu tragen, was uns Gott hat auferlegt,

Der Alles lenkt und Alles wohl erwägt.

Denn, wie im Briefe St. Jakobus spricht:

Er prüft den Menschen, doch versucht ihn nicht.

Und wenn er manchmal mit den scharfen Ruthen

Des Leidens und des Ungemachs uns straft,

Geschieht’s zu unsrer Prüfung, unserm Guten,

Nicht zu erproben unsre Willenskraft.

Gott hat zuvor von Allem Wissenschaft.

Er züchtigt nur aus Liebe, nur aus Huld.

Darum ertrag’ Dein Leiden in Geduld.

Hört noch ein Wort, ihr Herr’n, bevor ich ende:

Erstaunlich wär’ es, wenn man zwei bis drei

Griselden jetzt in einer Stadt noch fände,

Die willig trügen solche Quälerei.

Gemischt dem Gold ist zu viel Kupfer bei.

Die Münze freilich hat viel Glanz und Schimmer,

Doch sie zerbricht, indeß sie biegt sich nimmer.

Jedoch dem Weib von Bath und mit ihr allen

Den andern Weibern schenke lebenslang

Gott die Regierung. Ihnen zu Gefallen

Sing’ ich aus frohem, frischem Herzensdrang

Zum Schlusse noch den lustigsten Gesang;

Drum schweigt mit mir von ernsten Sachen still!

Dies ist mein Lied! Mir höre zu, wer will.

Griseldis starb. Ins welsche Grab gefahren

Ist die Geduld mit ihr zur gleichen Zeit. –

Zu Euch, ihr Männer, sprech’ ich jetzt in klaren

Und schlichten Worten: Treibt es nicht zu weit!

Denn eine zweite findet Ihr wohl schwerlich

Gleich der Griseldis an Geduldigkeit.

Aus Demuth stumm die Zunge zu bewahren,

O, edle Weiber, das ist nicht gescheidt;

Gebt zu Gedichten nie durch ein Gebahren

Wie einst Griseldis die Gelegenheit.

Denn Chichevache ist hungrig und begehrlich

Und frißt Euch auf, wenn Ihr geduldig seid!

Der Echo folgt, die – wie Ihr selbst erfahren –

Sobald man ruft, schlagfertig wieder schreit.

Versteht es, Euch die Herrschaft zu bewahren,

Und hütet Euch vor blinder Folgsamkeit.

Hört meinen Rathschlag und befolgt ihn ehrlich;

Er kann Euch nützen bei Gelegenheit.

Erzstarke Frau’n, an Kraft gleich Dromedaren,

Erduldet von den Männern niemals Leid;

Ihr Schwachen aber, die Ihr Euch nicht wahren

Und wehren könnt im ehelichen Streit,

Macht’s wie die Klappermühlen und gefährlich

Wie je ein Tiger nur in Indien seid!

Statt Furcht und Demuth stets zu offenbaren,

Schießt Eurem Gatten durch das Panzerkleid,

So daß sein Hals- und Bruststück sie durchfahren,

Die Pfeile zänkischer Beredsamkeit.

Denn wie die Wachtel duckt er, wenn beschwerlich

Ihr ihm durch eifersücht’ge Grillen seid!

Und bist Du schön, so laß die Welt erfahren,

Wie zugeschnitten sei Gesicht und Kleid,

Und bist Du häßlich, so sei im Gebahren

Wie’s Lindenblättchen voller Leichtigkeit,

Dann wird ein jeder Mann nach Dir begehrlich,

Wenn auch der Deine klagt und weint und schreit.

Der Prolog des Kaufmanns.

Vers 11655–11686.

»Weinen und Klagen, Gram und andre Sorgen

Hab’ ich genug, am Abend wie am Morgen.«

– So sprach der Kaufmann. – »Doch in gleichem Falle

Sind, wie mir scheint, wir Ehemänner alle;

Zum Wenigsten mit mir ist’s so bestellt.

Ich habe wohl das schlimmste Weib der Welt,

Das selbst den Teufel, hätt’ er sie gefreit,

Zu zähmen wüßte; – dafür bürgt mein Eid! –

Was soll ich ihre Bosheit Euch genau

Beschreiben? – Seht! ein Unhold ist die Frau!

Jawohl, der Unterschied ist lang und breit

Von meines Weibes großer Grausamkeit

Und der Geduld Griseldis’. – Wär’ ich ledig,

Man finge mich – sei mir der Herrgott gnädig! –

In dieser Schlinge nicht zum zweiten Mal.

Wir Ehemänner leben stets in Qual!

Versuch’s, wer will; bald weiß er zur Genüge

– Beim heil’gen Thomas! – dies sei keine Lüge.

Denn für die Meisten gilt’s; doch, Gott bewahre!

Ich sage nicht, daß Jeder es erfahre.

Ja, lieber Gastwirth, an zwei Monden fehlt

– Pardi! – nur wenig, seit ich mich vermählt,

Doch dünkt mich, wer im Leben nie ein Weib

Gefreit hat, kann – durchbohrte man den Leib

Auch bis ans Herz ihm – von so vielem Wehe

Euch kaum erzählen, wie aus meiner Ehe

Ich von der Bosheit meines Weibes kann.«

»Nun,« – sprach der Wirth – »Gott schütz’ Dich Handelsmann!

Ich bitte herzlich, da Du aus dem Grund

Die Sache kennst, gieb etwas davon kund.«

»Zu reden« – sprach er – »bin ich gern bereit;

Doch nicht von mir. Mich drückt zu schwer mein Leid!«

Die Erzählung des Kaufmanns.

Vers 11687–12858.

Es war vor Zeiten im Lombardenland

Ein würd’ger Mann von ritterlichem Stand,

Der in Pavia, seinem Heimathsort,

Als wohlbehäb’ger Junggeselle dort

Seit sechzig Jahren lebte; doch noch immer

In Fleischeslust erpicht auf Frauenzimmer,

Gleich einem aberwitz’gen Weltkind, war.

Und als er überschritten sechzig Jahr,

Trieb ihn – war’s Narrheit oder Frömmigkeit?

Ich kann’s nicht sagen – noch zu jener Zeit

Gewalt’ge Lust, sich schließlich zu vermählen.

Doch welches Weib am besten sei zu wählen,

Darüber sann er Tag und Nacht und flehte

Zum lieben Gott beständig im Gebete,

Auch ihm zu kosten von dem Glück zu geben,

Das vorbehalten dem vereinten Leben

Der Ehegatten sei im heil’gen Stand,

Zu welchem Gott einst Mann und Weib verband.

»Kein andres Loos ist werth ein Hühnerbein!

Im Ehestand lebt man bequem und rein;

Zum Paradies wird uns die Welt fortan.«

– So sprach der alte weise Rittersmann.

Und in der That, so wahr, wie Gott allein

Die Welt regiert, gar herrlich ist’s, zu frei’n

Für einen Mann, und wird er alt und grau,

So ist sein höchster Erdenschatz die Frau.

Ein junges, frisches Weib sollt’ er erwerben,

Mit ihr zu zeugen einen Sohn und Erben,

Und mit ihr froh und wohlgemuth zu sein,

Wenn Ach und Weh die Junggesellen schrei’n,

Falls Liebe, die so eitel ihnen dünkt

Und kindisch scheint, in Ungemach sie bringt.

Doch weise, wahrlich, ist es vorgeseh’n,

Daß led’ge Männer nicht der Pein entgeh’n.

Sie bau’n auf losem Grund und finden dann,

Daß man auf Sand nicht sicher bauen kann.

Sie leben wie die Thiere, wie die Vögel

In voller Freiheit, ohne jede Regel;

Doch wer ein Weib hat, führt im Gegentheil

Ein sittlich Leben voller Glück und Heil

In seiner Ehe segensvollen Jochen;

Wohl mag sein Herz vor Lust und Freude pochen!

Wer ist so schmuck, so wohlgefällig sonst,

So treu und sorgsam wie Dein Eh’gesponst?

Sie pflegt Dich in Gesundheit und in Leiden;

Sie will von Dir in Wohl und Weh’ nicht scheiden,

Sie liebt Dich unermüdlich, dient Dir, steht

An Deinem Lager, wenn’s zu Ende geht!

Zwar Schreiber sagen: dieses sei nicht wahr!

– Und Theophrast gehört zu ihrer Schaar –

Doch, was treibt ihn zu lügen, daß er spricht:

Des Haushalts wegen nimm ein Weib Dir nicht.

Denn willst in Deiner Wirthschaft Du ersparen,

Hält eine Magd, die treu ist und erfahren,

Weit mehr zusammen, als Dein Weib es thut,

Die stets die Hälfte will von Deinem Gut;

Und bist Du krank, pflegt Dich – auf Seligkeit! –

Ein wahrer Freund und treuer Knecht noch weit

Besorglicher als sie, die manchen Tag

Nach Deinem Gut schon auf der Lauer lag. –

So schreibt der Mann und tausendfältig schlimmer.

– Nun, Gott verfluche sein Gebein auf immer! –

Laßt Euch durch solche Phrasen nicht bethören,

Und hört auf mich, statt Theophrast zu hören.

Ein Weib ist eine wahre Gottesgabe,

Denn jeder andre Hausrath, jede Habe,

Wie Renten, Möbeln, Weiden, Triften, Land,

Sind alles Gaben aus Fortunas Hand,

Die wie der Schatten an der Wand vergeh’n.

Doch unbesorgt! die Wahrheit zu gesteh’n:

Ein Weib bleibt Dir auf immer zugesellt

– Vielleicht selbst länger, als es Dir gefällt. –

Es ist ein hohes Sakrament die Ehe;

Wer unbeweibt ist, führt in Leid und Wehe

– Ich spreche hier nur von dem Laienstand –

Ein hülflos Leben voller Schimpf und Schand’.

Doch horcht wohl auf! Ich sag’ es nicht umsonst:

Gott gab das Weib dem Manne zum Gesponst.

Denn als Er Adam schuf und darauf fand,

Wie nackten Leibes er ganz einsam stand,

Sprach Er in seiner Güte: Nun, wohlan,

Jetzt mach’ ich die Gefährtin für den Mann

Nach seinem Bild! – und Eva kam zur Welt.

Hieraus ersieht man, und hieraus erhellt:

Des Mannes Trost und Beistand ist sein Weib,

Sein Erdenparadies und Zeitvertreib;

Sie ist so wacker und so gottergeben,

Daß Mann und Weib in Eintracht sicher leben.

Ein Fleisch sind Beide. – Und in Lust und Schmerz

Hat – wie ich denke – auch ein Fleisch ein Herz!

Ein Weib? – Gegrüßt sei heilige Marie! –

Hat man ein Weib, läßt sich nicht denken, wie

Es möglich wäre, Trübsal zu erleiden.

Die Seligkeit und Eintracht zwischen Beiden

Zu schildern schwerlich einer Zunge glückt.

Sie hilft Dir schaffen, wenn Dich Armuth drückt,

Sie hütet, doch verschwendet nicht, Dein Gut

Und stets gefällt ihr, was der Gatte thut.

Mit »Nein« bedient des Mannes »Ja« sie nie.

»Thu’ dies!« – spricht er. »Es ist gethan!« – spricht sie.

O, köstlich Eheleben, sel’ger Brauch!

So tugendhaft und doch so lustig auch,

So anempfohlen und so hoch gestellt!

Wer nur den kleinsten Strohhalm auf sich hält,

Der sollte lebenslang auf bloßen Knie’n

Gott danken, daß er ihm ein Weib verlieh’n,

Oder Gott bitten, daß er eins ihm sende,

Das bei ihm bleibt, bis an sein Lebensende;

Dann ist er sicher und lebt ungestört;

Und wenn er stets auf ihren Rathschlag hört,

So wird er nicht betrogen, meiner Treu’!

Sein Haupt erheben darf er ohne Scheu.

Sie sind so treu, so voller Vorbedacht;

Drum willst Du’s machen, wie’s der Weise macht,

So richte Dich stets nach dem Rath der Weiber!

Sieh’ Jakob an! Besagen nicht die Schreiber,

Daß auf Rebekka, seiner Mutter, Rath er

Den Segen sich erschlich von seinem Vater,

Als er mit Ziegenfell umhüllt den Hals?

Sieh’ Judith an! Die Schrift sagt ebenfalls:

Sie half dem Volk des Herrn; ihr Rath war klug,

Den Holofernes sie im Schlaf erschlug.

Sieh’ Abigail, die durch guten Rath

Gerettet ihren Gatten Nabal hat,

Als man ihn tödten wollte. – Esther sieh’!

Die gleichfalls Gottes Volk befreit hat, die

Durch guten Rath den Ahasverus lenkte,

Daß seine Gunst er Mardochai schenkte.

»Von allen Dingen hat den höchsten Werth

Ein sanftes Weib;« – wie Seneka uns lehrt –

»Des Weibes Zunge dulde« – Cato spricht –,

»Wenn sie befiehlt, so widersetz’ Dich nicht;

Denn dann gehorcht sie aus Gefälligkeit.«

Ein Weib ist Hüterin der Häuslichkeit.

Den kranken Mann beständig Sorge quält,

Sobald im Haushalt eine Frau ihm fehlt.

Ich warne Dich! wenn Du verständig bist,

So lieb’ Dein Weib, wie seine Kirche Christ.

Liebst Du Dich selbst, so liebe Du Dein Weib.

Sein Fleisch haßt Niemand; nein, man pflegt den Leib;

Und ich empfehle Dir, lieb’ zärtlich drum

Dein Eheweib; sonst geht’s Dir schief und krumm!

Denn Mann und Weib – mag spötteln auch die Welt –

Wandeln auf sichern Pfaden. Es befällt

Kein Harm die Engvereinten, und von Leid

Bleibt namentlich das Eheweib befreit. –

So zog es in Erwägung Januar,

Der alte Herr, von dem die Rede war,

Wie ruhig, tugendhaft und froh daneben

Im honigsüßen Eh’stand sei das Leben.

Und seine Freunde lud er einstmals ein,

In seinen Plan sie näher einzuweih’n.

Mit ernster Miene hub er an und sprach:

»Seht, Freunde, ich bin grau und altersschwach;

Weiß Gott, vom Rand des Grabes nicht mehr weit!

Bedenken muß ich meine Seligkeit.

Die Körperkraft hab’ thöricht ich verschwendet;

Nun wird’s zum Bessern – Gott sei Dank! – gewendet;

Denn fest steht mein Entschluß, mich zu beweiben,

Und mit der größten Hast will ich’s betreiben.

Ich bitte, sucht ein schönes, junges Kind

Für mich zur Heirath; aber macht’s geschwind,

Ich will nicht warten, und ich fände schon

Ein Mädchen in selbsteigener Person,

Das ungesäumt zu freien, mir gefiele;

Doch ich bin Einer, aber Ihr seid Viele;

Und Ihr erspäht wohl eh’r, als ich es finde,

Mit welcher ich am Besten mich verbinde.

Indessen, Freunde, warn’ ich Euch vorher:

Ein altes Weib – das will ich nimmermehr!

Nicht über zwanzig Jahre darf sie sein.

Alt schmeckt der Fisch, doch jung das Fleisch nur fein;

Weit besser, als ein Hechtchen ist ein Hecht;

Kalbfleisch schmeckt gut, doch altes Rindfleisch schlecht.

Ein Weib von dreißig Jahren will ich nicht;

Denn Bohnenstroh ist für mich kein Gericht;

Und alte Wittwen – daß sich Gott erbarm’! –

Sind immer launisch, stecken voller Harm

Und kennen jeden Schlich von Wades Boot;

Mit ihnen hätt’ ich lebenslang nur Noth.

Viel Schulen machen die Gelehrten schlau,

Und ähnlich geht’s der vielgeschulten Frau.

Doch, wie das Wachs in warmer Hand erweicht,

So fügt sich auch ein junges Weib gar leicht.

Drum stell’ ich diese Klausel Euch und sage:

Ein altes Weib steht bei mir außer Frage.

Wenn solches Unglück je bevor mir stände,

Daß ich nicht mein Vergnügen bei ihr fände,

So müßt’ ich stets im Ehebruche leben

Und schließlich mich dem Teufel übergeben;

Kein Kind entsproßte meinem Ehebunde.

Doch lieber wär’ ich Futter für die Hunde,

Als daß mein Erbe – dies sag’ ich Euch Allen –

In fremde Hände jemals sollte fallen.

Ich fas’le nicht! Weßhalb wir Menschenkinder

Uns paaren sollen, weiß ich und nicht minder,

Daß Mancher schwatzt vom Ehesakrament,

Der mehr nicht wie mein Knecht die Gründe kennt,

Aus denen sich begatten soll der Mann.

Wer nicht in steter Keuschheit leben kann,

Der nehme sich ein Weib in Zucht und Ehren,

Ihm legitime Kinder zu gebären,

Zur Ehre Gottes, nicht aus Fleischesliebe,

Begehrlichkeit und bloßem Sinnentriebe.

Nein! auf daß Unzucht man vermeiden solle,

Und gegenseitig seine Schuld sich zolle,

Einander hülfreich stets zur Seite stehe

Und wie Geschwister durch das Leben gehe,

In Keuschheit und in Heiligkeit fortan.

Doch, Herr’n, erlaubt, das geht bei mir nicht an.

Zu meinem Ruhm kann – Gott sei Dank! – ich sagen:

Ich bin noch stark und gut genug beschlagen,

Um das zu thun, was zukommt einem Mann.

Ich weiß am Besten, was ich leisten kann.

Zwar bin ich grau; doch was dies anbelangt,

Gleich ich dem Baume, der in Blüthen prangt.

Ein Baum, der blüht, kann nicht ganz trocken sein,

Und grau an Haaren ist mein Haupt allein;

Doch Herz und Glieder sind noch jeder Zeit

Frisch wie des Lorbeers immergrünes Kleid. –

Ich hab’ Euch meine Absicht kund gethan,

Und nunmehr, bitt’ ich, billigt meinen Plan.«

Gleich wußten Manche von dem Eheleben

Ihm manches alte Beispiel anzugeben.

Die priesen es, und jene schalten drauf;

Doch – kurz gesagt – es war der Schlußverlauf,

Daß – wie man immer sich zu zanken pflegt,

Wenn man mit Freunden etwas überlegt –

In Streit auch seine beiden Brüder kamen;

Den einen hieß Placebo man mit Namen,

Indeß Justinus der des andern war.

Placebo sprach: »O, Bruder Januar!

Mein theurer Herr, mir will’s kaum nöthig scheinen,

Daß Du um Rath befragst hier irgend einen.

Indessen bist Du weisheitsvoll genug

Und weichst daher verständnißvoll und klug

Nicht von den Worten Salamonis ab,

Der an uns Alle diese Lehre gab:

Folgst Du in allen Dingen gutem Rath,

So wird’s Dich nicht gereuen nach der That.

Doch ob dies Wort gesprochen Salamo,

Mein theurer Herr und lieber Bruder, so

Scheint mir – Gott stehe meiner Seele bei! –

Doch, daß Dein eig’ner Plan der beste sei.

Laß, lieber Bruder, meinen Grund Dir geben:

Ich war ein Hofmann durch mein ganzes Leben

Und mag ich auch – Gott weiß – unwürdig sein,

So nahm ich manchen Ehrenposten ein

Bei großen Herr’n vom höchsten Stand und Rang.

Und hatte doch mit ihnen niemals Zank,

Denn Widerspruch mied ich geflissentlich.

Mir ist bekannt, mein Herr weiß mehr als ich,

Auf seine Worte schwör’ ich unbedingt

Und sage: Ja! und was dem ähnlich klingt.

Denn ein bei hohen Herr’n bestallter Rath

Muß ein gewalt’ger Narr sein in der That,

Wenn er so kühn ist und zu denken wagt,

Daß seinen Herrn an Witz er überragt.

Nein! Herr’n sind keine Thoren, glaubet mir.

Ihr selber aber zeigtet heute hier

So viel Verstand, so frommen, guten Sinn,

Daß ich mit Euch ganz einverstanden bin

Und Eure Meinung bill’ge Wort für Wort.

Bei Gott! kein Mensch in diesem ganzen Ort,

Noch in Italien besser reden kann.

Ja, solchen Rath sieht Christus gnädig an.

Von großer Kühnheit giebt es den Beweis,

Nimmt sich ein Mann, dem Alter nach ein Greis,

Ein junges Weib. – Bei meines Vaters Blut!

Es hängt an lust’ger Nadel noch Dein Muth.

Thu’ in der Sache ganz wie Dir beliebt,

Das ist das Beste – denk’ ich –, was es giebt.«

Justinus hörte ruhig Alles an,

Und er entgegnete Placebo dann:

»Mein lieber Bruder, bitte, bleib’ geduldig.

Du sprachst; und mir bist Du Gehör nun schuldig.

Nebst andern Sprüchen, hoher Weisheit voll,

Sagt Seneka, daß man sich prüfen soll,

Wen man beschenkt mit Land und anderm Gut.

Wenn daher noth schon solche Prüfung thut

Bei unserm irdischen Besitze, wie

Viel mehr muß man sich prüfen dann – Pardi! –

Eh’ man den Leib auf ewig fortschenkt. – Nein!

Nicht Kinderspiel – das laßt gesagt Euch sein –

Ist es, ein Weib zu nehmen ohne Rath.

Erkund’gen sollte – denk’ ich – in der That

Man sich zuvor, ob sie vom Trunke frei,

Stolz, weise, mäßig oder zänkisch sei,

Verschwenderisch mit Geld, geneigt zum Schelten,

Ob reich, ob arm – sonst wird für toll man gelten.

Man findet freilich auf dem Erdenrund

Kaum irgend etwas durch und durch gesund

Bei Mensch und Vieh, soweit man’s prüfen kann;

Und daher nehm’ ich als genügend an,

Besitzt ein Weib an tugendhaften Seiten

Mehr als an Lastern und an Schlechtigkeiten.

Und all dies zu erfahren, fordert Zeit.

Gott weiß! – ich weinte manche Thräne, seit

Ich mich vermählte, für mich heiß und still.

Den Ehestand mag preisen, wer da will;

Mir scheint er nur voll Kosten, voller Harm,

An Pflichten reich, jedoch an Segen arm.

Indeß – weiß Gott! – die, so mir nahe wohnen,

Und ganz besonders alle Weibspersonen

Behaupten stets, sie hätten noch im Leben

Kein Weib geseh’n, so standhaft und ergeben.

Nun, ich weiß besser, wo der Schuh mich drückt.

Thu’, was Du willst! Hinreichend vorgerückt

Im Alter bist Du; prüfe drum genau,

Wie Dir’s mit einer schönen, jungen Frau

Im Ehestand dereinst ergehen werde.

Bei Ihm, der Feuer, Wasser, Luft und Erde

Erschaffen hat! – der Jüngste hier im Kreis

Bringt es kaum fertig bei dem größten Fleiß,

Sein Weib allein zu haben; – glaube mir!

Nicht durch drei volle Jahre wirst Du ihr

Gefallen, das heißt: ihr Vergnügen machen;

Ein Weib verlangt nach gar zu vielen Sachen.

Ich bitte Dich, nimm mir mein Wort nicht krumm!«

»Nun« – sagte Januar – »bist Du endlich stumm?

Was scheeren mich die Sprüche Seneka’s!

Ich gebe wahrlich keinen Korb voll Gras

Für Deine Sprüche! Weisere als Du

– Wie Du gehört hast – stimmten mir schon zu.

Placebo, was ist Deine Meinung? sprich!«

»Unselig« – sprach er – »ist ganz sicherlich

Ein eheloser, unbeweibter Mann!«

Nach diesem Wort erhob sich Jeder dann,

Und ringsum ward ihm beigestimmt, er solle

Ein Weib sich nehmen, wo und wann er wolle.

Seltsame Bilder, wilde Phantasie’n

Umschwebten nun von seiner Heirath ihn.

Manch schönes Antlitz, manche Prachtgestalten

Dem Blick des Herzens jetzt vorüber wallten

Nacht ein, Nacht aus dem alten Januar.

Nehmt einen Spiegel, blank polirt und klar,

Und stellt ihn auf den off’nen Marktplatz hin,

Seht mancherlei Figuren ihr darin;

Und ebenso erging es Januar.

Er musterte die ganze Mädchenschaar

Der Nachbarschaft beständig in Gedanken;

Doch seine Wahl schien hin und her zu schwanken.

Denn, wenn er diese schön von Antlitz fand,

In Gunst beim Volke dennoch jene stand

Und wurde rings von Allen hochgeschätzt,

Weil sie so gütig war und so gesetzt;

Die waren reich, doch taugten sonst nicht viel.

Indessen, halb im Ernste, halb im Spiel

Blieb er zuletzt doch fest bei einer steh’n,

Und ließ die andern aus dem Sinn sich geh’n,

Und traf die Wahl auf eig’ne Hand geschwind;

Denn Liebe sieht nicht, sie bleibt immer blind.

Doch Nachts im Bett malt’ er sich in Gedanken

Und im Gefühl ihr Bildniß aus: die schlanken

Und langen Arme, ihre frische Jugend,

Den zartgeformten Körper, ihre Tugend,

Ihr kluges Wesen, ihre Weiblichkeit

Voll ernsten Sinnes und Bescheidenheit.

Und da er sich zu ihr herabgelassen,

Schien ihm die Wahl wie keine sonst zu passen.

Es war sein eigener Entschluß; darum

Sei wohl kein Mensch so unvernünftig dumm

An seiner Wahl zu mäkeln irgendwie –

Erging er sich in seiner Phantasie.

Und seine Freunde bat er alsobald,

Daß sie sich Alle sonder Aufenthalt

Bei ihm aus Gütigkeit zusammenfänden;

All ihre Mühe solle nunmehr enden.

Behelligt würden sie zum letzten Mal,

Denn festentschieden sei jetzt seine Wahl.

Placebo kam mit seiner Freunde Schaar

Und dringend bat zuvörderst Januar,

Mit keinen Argumenten ihm zu kommen

Entgegen dem, was er sich vorgenommen.

Denn gottgefällig sei sein Vorsatz und

Von seinem Glücke Fundament und Grund.

Ein Mädchen – sprach er – in der Stadt man fände,

Das in dem Ruf der größten Schönheit stände,

Zwar niedern Standes, aber jung dabei

Und anmuthsvoll, was ihm genügend sei,

Um sie zu seinem Weibe zu erheben

Und mit ihr heilig und vergnügt zu leben.

Er bäte Gott, daß sie ihm ganz gehöre,

Und Niemand seine Seligkeit ihm störe.

Er wünsche, daß sich Jeder Mühe gäbe,

Das Ziel zu fördern, welches er erstrebe,

Das würde – sprach er – hoch sein Herz beglücken,

Ihn könne – sprach er – fernerhin nichts drücken,

Wenn nicht ein Dorn ihm ins Gewissen stäche,

Von dem er jetzt zu der Versammlung spräche.

»Ich habe früher« – hub er an – »gehört,

Es sei uns nimmer zwiefach Heil bescheert,

Das heißt in dieser und in jener Welt.

Ob man der sieben Sünden sich enthält

Und keinen Zweig von ihrem Baum berührt,

Ist doch das Leben, was ein Gatte führt,

So glücklich, so vergnügt und so vollkommen,

Daß ich bei meinem Alter schier beklommen

Mich fühlen muß, daß ich ganz ohne Streit

Stets leben soll in Lust und Seligkeit,

Und hier auf Erden schon den Himmel finde;

Denn ihn erkaufen wir bei unsrer Sünde

Durch große Buße nur und mit Beschwerde.

Wie kann ich denn, hab’ ich schon auf der Erde

Vergnüglich einem Weibe beigewohnt,

Mein Heil erringen dort, wo Christus thront?

Da ich mich stets mit der Befürchtung plage,

So bitt’ ich, Brüder, löst mir diese Frage.«

Justinus, welcher seine Thorheit haßte,

Erwiderte, indem er kurz sich faßte

Und alle Schriftbelege unterließ,

Auf seine Narrenspossen nichts als dies:

»Herr!« – sprach er – »ist auch sonst kein Hinderniß,

Kann Gott in seiner Gnade doch gewiß

Noch Wunder thun. Und ehe Dir vielleicht

Der heil’gen Kirche Segen wird gereicht,

Thut Dir der eheliche Stand schon leid,

In dem nicht Zank ist, wie Du sagst, und Streit.

Doch übel wär’s, wenn Gott in seiner Gnade

Grund zu bereu’n dem Ehemann nicht grade

Weit häuf’ger schickte, als dem led’gen Mann.

Weßhalb den Rath ich Dir nur geben kann:

Verzweifle nicht! Indessen merke Dir,

Vielleicht wird sie zum Fegefeuer hier,

Zur Gottespeitsche Dir vom Herrn bestellt,

Daß auf zum Himmel Deine Seele schnellt

Noch rascher, als vom Bogen fliegt der Pfeil!

Du lernst – so Gott will – noch zu Deinem Heil:

Es gab noch nie, und wird auch nimmer geben

So viele Seligkeit im Eheleben,

Um dieserhalb den Himmel zu verlieren,

Läßt Du nur stets Dich durch Vernunft regieren,

Befriedigst Du mit Deiner Frau die Triebe

In Mäßigkeit und nicht aus Fleischesliebe,

Und hältst Du Dich von andern Sünden rein. –

Ich bin zu Ende; denn mein Witz ist klein.

Doch, Bruder, laß in keine Furcht Dich jagen;

Wir wollen nichts mehr von der Sache sagen.

Das Weib von Bath sprach von dem Eheleben,

Das Dir bevorsteht – hast Du Acht gegeben –

In aller Kürze manch vortrefflich Wort.

Doch nun leb’ wohl und schütz’ Dich Gott hinfort!«

Verlassen hatten nach den Worten ihn

Die Freunde mit Placebo und Justin.

Sie sah’n, sein Sinn war nicht mehr umzuwandeln,

Und suchten drum mit Schlauheit zu verhandeln,

Daß dieses junge Mädchen, Namens Mai,

So rasch, wie’s für sie einzurichten sei,

Mit dem besagten Januar sich vermähle.

Jedoch es währt zu lang, daß ich erzähle

Von ihrem Kleiderstaat und den Kontrakten,

Durch die sein Land ihr in den Ehepakten

Zum Leibgedinge wurde ausgesetzt.

Genug; erschienen war der Tag zuletzt,

An welchem Beide hin zur Kirche gingen

Und dort das heil’ge Sakrament empfingen.

Der Priester in der Stola kam und wies

Auf Sarah und Rebekka hin und hieß

Sie treu und klug zu sein, wie jene zwei,

Sprach dann das übliche Gebet dabei,

Bekreuzte sie, empfahl sie Gott und band

Genügend fest der Ehe heil’gen Stand.

So feierlich ging’s bei der Trauung her;

Und bei dem Feste sitzen sie und er

Am Ehrentische mit manch hohem Gaste.

Ringsum herrscht Glück und Jubel im Palaste.

Rings tönt Musik und aufgetafelt steht,

Was in Italien Leck’res nur geräth;

Und mächtig schallt der Harfen Melodie.

– So schön griff Orpheus, so gewaltig nie

Amphion, der Thebaner, in die Saiten. –

Fanfaren jeden neuen Gang begleiten,

Und halb so hell in die Posaune stieß

Nicht Joab, und selbst Theodamas blies

So schmetternd nicht in der Gefahr vor Theben.

Bachus kredenzt ringsum den Saft der Reben.

Herab auf Jeden freundlich Venus lacht,

– Zu deren Ritter Januar sich macht,

Um zu erproben, ob er in der Ehe

So tapfer, wie als Junggesell bestehe. –

Die Fackel hält die Göttin hoch empor

Und tanzt der Braut und allen Gästen vor.

Und ich darf wahrlich sagen, nie gesehen

Hat Hymenäus selbst, der Gott der Ehen,

Solch lustigen, vergnügten Ehemann.

Halt’ Deinen Mund, o Dichter Marcian,

Der Du beschrieben hast die Festlichkeit,

Als Philologia den Merkur gefreit,

Und welche Lieder dort die Musen sangen.

Ach! Deine Zunge, Deine Feder langen

Nicht zur Beschreibung dieser Hochzeit hin!

Paart Altersschwäche sich mit Jugendsinn,

Das ist ein Spaß, den man nicht leicht besingt.

Versucht es selber, ob es Euch gelingt;

Dann wißt Ihr, ob dies Wahrheit sei, ob Lüge.

Die freundlichen und anmuthsvollen Züge

Von Mai zu seh’n, war wie ein Feentraum.

Mit solchen sanften Augen schaute kaum

Auf Ahasverus jemals Esther hin.

Zu schildern ihre volle Schönheit, bin

Ich außer Stande zwar; jedoch ich sage

So viel, daß sie dem klarsten Maientage

An Morgenfrische und an Schönheit glich.

Und wenn sie Januar ansah, so beschlich

Ihn jedesmal ein himmlisches Entzücken.

Im Herzen plant er, härter sie zu drücken

Und Nachts sie fester in den Arm zu pressen,

Als Paris seine Helena. – Indessen

Groß war zugleich sein Mitleid, daß er Mai

So weh zu thun, heut’ Nacht genöthigt sei.

Er dachte: »Ach, Du zarte Kreatur!

Gewähre Gott Dir, zu ertragen nur

Das wilde Feuer meiner Leidenschaft!

Ich bin besorgt, Dir fehlt dazu die Kraft!

Doch Gott bewahre mich, mit voller Macht

Daran zu geh’n. Ach! käme nur die Nacht,

Und gäbe Gott, daß sie für ewig währte,

Und all dies Volk sich rasch nach Hause scheerte!«

Und schließlich gab er sich die größte Müh,

In allen Ehren, aber möglichst früh

Auf feine Weise das Bankett zu enden.

Es kam die Zeit, um heimwärts sich zu wenden.

Man macht den Schlußtanz, trinkt die Becher aus,

Wirft Räucherwerk umher im ganzen Haus,

Und fröhlich ist und glücklich Jedermann.

Nur nicht ein Junker, Namens Damian,

Der täglich vor dem Ritter schnitt den Braten,

Und der, in tolle Liebeswuth gerathen

Zur Dame Mai, sich kaum vor Schmerzensdrang

Mehr aufrecht hielt und fast in Ohnmacht sank.

So sehr versengt war er vom Freudenbrand,

Den Venus schwang beim Tanz in ihrer Hand;

Und in sein Bett verkroch er sich in Eile.

Dort bleibe dieser Junker eine Weile

In seinen Thränen, seinem Liebesharme,

Bis seiner sich die frische Mai erbarme.

O, Schadenfeuer, das im Bettstroh glüht!

O, Hausfeind, der stets emsig sich bemüht!

O, falscher Knecht, scheinheilig von Gesicht,

Der Natter in dem Busen gleich, die sticht!

Vor Euch beschütze Gott uns immerdar!

O, siehst Du, liebestrunk’ner Januar,

In Deiner Ehefreuden Taumelwahn

Nicht, wie Dein Lieblingsjunker Damian

Auf Böses sinnt zum Schaden Dir und Spott?

Daß Du den Feind entdeckest, walte Gott!

Denn keine schlimmre Pest giebt’s auf der Welt

Als einen Hausfeind, der Dir beigesellt.

Die Sonne hatte nun den Tagesbogen

In diesem Breitengrade ganz durchzogen,

Und leuchtend überm Horizonte stand

Sie länger nicht. – Mit düsterem Gewand

Umhüllt die Hemisphäre rings die Nacht.

Drum war nunmehr die lust’ge Schaar bedacht,

Vom Hochzeitsfeste wieder heim zu reiten.

Man sagte Januar Dank von allen Seiten

Zog fröhlich heim, macht sich nach Lust zu thun

Bis daß die Zeit kam, um sich auszuruh’n.

Zu Bett zu geh’n, fühlt, als sie fortgegangen,

Der hitz’ge Januar dringendes Verlangen,

Trinkt Claret, Ipokras und Toskerwein,

Heiß und gewürzt, um muthiger zu sein,

Genießt Latwergen feinster Art dazu

Wie sie in seinem Buch »De Coitu«

Der Schandmönch uns, Dan Constantin, beschrieb;

Und Alles schluckt er, daß nichts übrig blieb.

Zu seinen Busenfreunden sprach er dann:

»Ach! Gott zu Lieb’! sobald’s geschehen kann,

Räumt in der freundlichsten Manier das Haus!«

Sie führten willig seinen Auftrag aus.

Man trinkt, man zieht den Vorhang, bringt zu Bette

Die stumme Braut; und als der Lagerstätte

Der Priester seinen Segen hat ertheilt,

Hinaus zur Kammer Jeder wieder eilt.

Und Januar hält sein junges Weib beglückt,

Sein Paradies, mit seinem Arm umstrickt

Und lullt und küßt stets seine frische Mai

Und kratzt sie mit dem borst’gen Bart dabei,

Der – abrasirt nach seiner Art ganz frisch –

Wie Dornen oder Haut vom Stachelfisch

Sich scharf an ihren zarten Wangen rieb.

»Ach, theures Weib!« – sprach er zu ihr – »Mein Lieb,

Ich muß Dir Leid anthun, mich grausam zeigen,

Wenn sich die Zeit naht, um hinabzusteigen.

Indessen,« – sprach er – »denke stets daran:

Zugleich verrichten kann ein Handwerksmann

– Sei, wer es sei! – sein Werk nicht gut und flink.

Gemächlich treiben muß man dieses Ding;

Wie lang’ wir spielen, ist ganz einerlei;

Denn, da als Ehegatten jetzt wir Zwei

In Segensjochen treu beisammen ruh’n,

Ist keine Sünde mehr in unserm Thun.

Mit seinem Weibe sündigt nicht der Mann,

Das eig’ne Messer uns nicht stechen kann;

Denn das Vergnügen wird für uns zur Pflicht.«

Und an die Arbeit ging er, bis das Licht

Des Tages schien; nahm einen Bissen, trank

Ein Schlückchen feinen Claret dann und sang,

Aufrecht im Bette sitzend, hell und laut

Und küßte, koste lüstern seine Braut.

Gleich einem Fohlen voller Spielerei’n,

Und schwatzhaft war er, gleich dem Elsterlein.

Am Nacken zitterte sein schlaffes Fell,

Indem er sang; so kräht’ er laut und hell.

Gott weiß allein, was seine Mai empfand,

Als sie ihn sitzen sah im Schlafgewand

Und in der Nachtmütz’ mit dem dürren Hals.

Vom Spiel erbaut war sie wohl keinenfalls.

Er sprach sodann: »Ich will mein Schläfchen machen;

Der Tag ist da; ich mag nicht länger wachen!«

Und legte nieder dann sein Haupt und schlief,

Bis daß zum Aufstehn ihn die Prime rief.

Und dann erhob er sich, wogegen Mai,

So lange bis der vierte Tag vorbei,

Nach Frauenbrauch die Kammer nicht verließ.

Nach jeder Arbeit schmeckt uns Ruhe süß.

Kein Erdenwesen – will ich damit sagen –

Kann’s auf die Dauer ohne Rast ertragen,

Sei’s Mensch, sei’s Fisch, sei Vogel oder Thier.

Zurück zum kranken Damian kehren wir,

Der sich in Liebesqualen härmt und grämt,

Und zu ihm red’ ich, was Ihr jetzt vernehmt:

»Ach, Damian, Du thörichter Geselle!

Gieb Antwort auf die Frage, so ich stelle:

Wie willst Du nur erzählen Deine Pein

Der frischen Mai? Sie wird beständig Nein

Zu Allem sagen, wird Dein Weh verrathen!

Gott helfe Dir. Ich kann nichts Bess’res rathen!«

Vom Venusfeuer der Begier durchloht,

Entschloß sich, liebesbrünstig bis zum Tod,

Der kranke Damian, seinen Hals zu wagen.

Nicht länger konnt’ er solches Leid ertragen.

Er lieh sich eine Feder im Geheimen,

Mit welcher er in Klagen und in Reimen

Die Qualen und die Sorgen seiner Lieb’

Der frischen Mai auf einem Zettel schrieb;

Und barg in einem Beutelchen von Seide

Den Brief am Herzen unter seinem Kleide.

Bis an den Krebs war seit der Mittagszeit

Vom Tag, an welchem Januar Mai gefreit,

Der Mond vom zehnten Grad des Stiers geglitten.

So lange blieb nach hergebrachten Sitten

Des Adels in dem Schlafgemache Mai.

– Vier Tage lang, und minder strenge drei,

Darf eine Braut sich nicht zu Tische setzen;

Sind die vorbei, dann mag sie sich ergötzen. –

Und als vier Tage rundum hingebracht,

Saß Mai, nachdem der Meßgang abgemacht,

So strahlend wie ein Sommertag und frisch

Mit Januar wieder an dem Hallentisch.

Und es geschah, daß sich der gute Mann

Auf seinen Junker Damian besann,

Und rief: »Wie kommt es – heilige Marie! –

Daß Damian mich nicht bedient? Ei, wie?

Ist er gar krank? Was mag dies auf sich haben?«

Die Junker, welche Januar umgaben,

Entschuldigten ihn wegen Unwohlsein;

Sie sei der Dienstversäumniß Grund allein,

Sonst nähm’ er sicher seine Pflichten wahr.

»Das macht mich denken,« – sagte Januar –

»Er ist ein braver Junker – meiner Ehr’! –

Und schmerzen würde mich sein Tod gar sehr!

So zuverlässig, klug, verschwiegen fand

Ich Keinen noch von gleichem Rang und Stand.

Er ist so männlich und so dienstbeflissen

Und wird bestimmt, sein Glück zu machen, wissen.

Erlaubt’s die Zeit, besuchen ich und Mai

Ihn selber noch, ist unser Mahl vorbei;

Ich will mein Bestes thun, ihn gut zu pflegen!«

Und segnend pries ihn Jedermann deswegen;

Denn, daß aus Mitgefühl und Herzensgüte

Er um den kranken Junker sich bemühte,

Galt Allen als höchst edelmüth’ge That.

»Frau!« – sagte Januar – »halte Dich parat,

Daß gleich nach Tische, bist Du aus der Halle

In Dein Gemach gegangen, mit Dir alle

Von Deinen Kammerfrau’n nach Damian seh’n.

Er ist so brav. Ihr müßt ihn trösten geh’n;

Und theil’ ihm mit, ich würde selber kommen,

Sobald ich meinen Mittagsschlaf genommen.

Doch tummle Dich, da ich verziehen will,

Bis Du im Schlaf ruhst bei mir fest und still.«

Und einen seiner Junker rief er dann,

Der Marschall seines Hauses war, heran,

Um irgend einen Auftrag zu ertheilen.

Die frische Mai ließ keine Zeit enteilen

Und trat mit ihren Damen im Geleite

An Damians Bett und setzte sich zur Seite

Und sprach ihm Trost nach besten Kräften ein.

Und Damian denkt: Jetzt muß gehandelt sein!

In ihre Hand er rasch den Beutel spielt

Mitsammt dem Brief, der seinen Wunsch enthielt,

Ganz im Geheimen, und er spricht nicht mehr,

Als daß, erseufzend wundertief und schwer,

Er flüstert: »Habe Dank! Ich bitte Dich,

Verrath’ mich nicht! Es wär’ gescheh’n um mich,

Wenn diesen Vorgang Irgendwer entdeckte!«

Flink in den Busen sie die Börse steckte

Und eilte fort. – Mehr braucht Ihr nicht zu wissen! –

Sie ging zu Januar, der auf weichen Kissen

Im Bette saß, sie küßte, sie umschlang,

Sich niederlegte und in Schlummer sank.

Sie aber that, als trieb’ es sie geschwind

– Ihr wißt wohin – denn jedes Menschenkind

Ist nothgedrungen oftmals dagewesen.

Hier ward der Brief eröffnet und gelesen;

Worauf sie ihn in kleine Stücke riß

Und dann behutsam in den Abtritt schmiß.

Was ging nun Mai wohl Alles durch den Sinn?

Sie legte sich zum alten Januar hin,

Der ruhig schlief, bis daß sein Husten ihn

Erweckte. Splitternackt sich auszuzieh’n,

Bat er sie dann, damit er sich vergnüge;

Ihn hinderten die Kleider, die sie trüge.

Was half es ihr? Sie mußte sich bequemen.

Doch daß nicht Anstoß keusche Seelen nehmen,

Will ich verschweigen, was er trieb, sowie,

Ob’s Hölle war, ob Paradies für sie.

Ich lasse sie bei ihrer Arbeit bleiben,

Bis Vesperglocken sie zum Aufsteh’n treiben.

War es Bestimmung, war es Zufall nur,

Besond’rer Einfluß, Wille der Natur?

War gerade günstig die Konstellation

Des Himmels, um im Venusdienst sich Lohn

Durch Liebesbriefeschreiben zu gewinnen,

Und um die Weiber mit Erfolg zu minnen,

Wie es zusammenhing, das weiß ich nicht.

Denn, seine Zeit hat – wie der Weise spricht –

Ein jedes Ding. Doch Gott nur kennt den Grund.

Er mag entscheiden. Ich halt’ meinen Mund!

Ich weiß nur, daß von diesem Zeitpunkt an

Das Mitleid um den kranken Damian

Die schöne, frische Mai so übermannte,

Daß sie den Wunsch nicht aus dem Busen bannte,

Sein Weh zu heilen, und sie sprach dabei

Für sich im Stillen: Hier erklär’ ich frei,

Jedwedem, ob’s ihm noch so sehr mißfällt,

Ich will ihn lieben mehr als alle Welt

Und wäre nichts als nur sein Hemde sein.

Mitleid zieht bald in edle Herzen ein.

Hier könnt Ihr seh’n, es offenbart die Frau

Den höchsten Freimuth, prüft sie sich genau.

Tyranninnen giebt es zwar allerwärts,

Und manche hat solch felsenhartes Herz,

Sie ließe lieber einen Mann verrecken,

Als ihre Gunst ihm offen zu entdecken.

Das schmeichelt ihrem grausam stolzen Sinn

Und Menschenmord erblickt sie nicht darin.

Die sanfte Mai, von Mitleid übermannt,

Schrieb einen Brief mit ihrer eig’nen Hand,

In welchem sie ihm ihre Gunst versprach;

Es fehlte nichts, als nur der Ort und Tag,

An dem sie seiner Lust sich überlasse;

Das möge sein, wie’s ihm am Besten passe.

Und eines Tages bei Gelegenheit

Ging Mai zu Damian, um in Heimlichkeit

Ihm unters Kissen ihren Brief zu schieben.

– Jetzt mag er lesen, was sie ihm geschrieben. –

Sie drückte fest ihm seine Hand, doch machte

Es so geheim, daß Niemand Arges dachte,

Und wünschte gute Bess’rung ihm und lief

Dann rasch von hinnen, da sie Januar rief.

Gesund stand Damian auf am andern Morgen,

Verschwunden waren Kränklichkeit und Sorgen.

Er kämmt sich, pickt sich, schniegelt, putzt sich fein,

Um seiner Dame angenehm zu sein,

Und krümmte sich vor Januar wie ein Hund,

Der niederkauert, tief bis auf den Grund,

Und setzte sich bei Jedem so in Gunst,

Daß – obgleich Alles nur Verstellungskunst –

Doch Jedermann an ihm zu loben fand,

Und er bei ihr in höchster Gnade stand.

Und damit will ich Damian verlassen,

Und mit dem Gang der Sache mich befassen.

Gelehrte Leute kamen zu dem Schluß:

Das höchste Glück auf Erden sei Genuß.

Drum war der edle Januar bedacht,

Wie’s Rittern ziemt und ihnen Ehre macht,

Sein Leben möglichst herrlich zu gestalten;

Und standesmäßig wurde Hof gehalten

In seinem Hause, wie’s ein König thut.

Er hatte neben manchem schönen Gut

Auch einen steinumwallten Gartengrund,

Wie wohl kein zweiter auf dem Erdenrund

Zu finden war. Denn außer Frage steht,

Es könne jemals schildern der Poet,

Der die Romanze von der Rose schuf,

Noch Priapus, obschon er von Beruf

Der Gott der Gärten ist, gemäß der Wahrheit,

Des Gartens Pracht und seiner Quelle Klarheit,

Die rings des Lorbeers Immergrün umragte.

Und manchesmal ging Pluto – wie man sagte –

Zu dieser Quelle mit der Königin

Proserpina und ihren Feen hin,

Die dort den Reigen unter Liedern schlangen.

Dort lustzuwandeln, fühlte stets Verlangen

Der edle Januar, der alte Ritter.

Jedoch in keines Andern Händen litt er

Dazu den Schlüssel; nein, mit eig’ner Hand

Schloß er das Pförtchen, wenn er Lust empfand,

Vermittels seines Silberschlüssels auf.

Und dorthin wollte Januar im Verlauf

Des Sommers, Ehepflichten zu genügen

Sich unbegleitet oft mit Mai verfügen,

Damit er die im Bett versäumten Dinge

Mit ihr im Garten frischen Muths vollbringe.

In dieser Art zog mancher Tag vorbei

In froher Lust für Januar und Mai.

Doch kurz sind Erdenfreuden. – Das erfuhr

Auch Januar – wie jede Kreatur.

O, jäher Umschlag! Unbestand im Glücke!

Du gleichst dem Skorpion in Deiner Tücke,

Der mit dem Kopfe schmeichelt, wenn Dir Tod

Bereits des Schwanzes gift’ger Stachel droht.

O, kurze Freude! Gift voll Süßigkeit!

O, Ungeheuer, das Beständigkeit

Zu heucheln weiß, doch, wenn Du etwas schenkst,

Zu täuschen nur und zu betrügen denkst.

Weßwegen hast Du Januar hintergangen,

Den anfangs Du als besten Freund empfangen

Und dann beraubt der beiden Augen hast,

Daß Todessehnsucht ihn vor Leid erfaßt?

Ach! dieser edle Januar, so frei,

So wohlbehäbig und vergnügt dabei,

Ist jetzt so plötzlich und durchaus erblindet,

Daß er vor Jammer winselt und sich windet;

Und immer fürchtend, daß sich sünd’ger Lust

Sein Weib ergebe, flammt in seiner Brust

Empor die Gluth der Eifersucht. – Er trüge

Es leichter, wenn man sie und ihn erschlüge,

Als daß – sei er am Leben, ruh’ im Grabe –

Zum Schatz, zur Gattin sie ein Andrer habe,

Und sie um ihn nicht Wittwentrauer trage

Und wie das Täubchen um den Tauber klage.

Doch als ein Monat oder zwei dahin,

Beruhigte sich – Gott sei Dank! – sein Sinn.

Denn als er sah, daß es nicht anders würde,

Trug er geduldig seines Leidens Bürde;

Nur ausgenommen, daß ihn noch weit mehr

Die Eifersucht jetzt plagte, als bisher.

Sie stieg bald über jedes Maß hinaus.

In seine Halle, in ein andres Haus,

Nach welchem Orte, welchem Platz es sei,

Zu geh’n, zu reiten stand ihr nicht mehr frei.

Er hatte sie beständig an der Hand,

Worüber Mai, die immer noch entbrannt

In Liebe war für Damian, oft weinte;

Und da sie sich dem Tod verfallen meinte,

Wenn ihrer Neigung sie nicht bald entspräche,

So harrte sie, wie rasch das Herz ihr bräche.

Geworden aber war aus Damian

Auch seinerseits der sorgenvollste Mann,

Der jemals war, dieweil er nicht bei Tage,

Noch bei der Nacht sich über seine Lage

Mit seiner frischen Mai jetzt ungestört

Besprechen konnte, da es Januar hört.

– So hielt er sie beständig unter Händen. –

Doch da sie Briefe hin und wider senden

Und Zeichen tauschen konnten ganz im Stillen,

Erfuhr sie seinen und er ihren Willen.

O, Januar! was hülfe Dir zu seh’n

Bis, wo die Segel fernster Schiffe weh’n?

Betrogen wird so gut der blinde Mann,

Wie der getäuscht wird, welcher sehen kann.

Sieh’ Argus, welcher hundert Augen führte

Und doch trotz Allem, was er sah und spürte,

Geblendet ward! – Und – weiß es Gott! – so fällt

Das Loos für Manchen, der’s unmöglich hält.

Wer’s übersieht, trägt’s leicht! Darum nichts mehr!

Es hatte Mai, von der ich sprach bisher,

In warmes Wachs den Schlüssel abgegossen,

Mit dem das Gartenpförtchen aufgeschlossen

Von Januar ward, so oft zum Park er ging.

Den Zweck errathend, machte Damian flink

Den Schlüssel nach in aller Heimlichkeit. –

Genug davon! Es naht sich bald die Zeit,

Daß Ihr vom Schlüssel Wunder hören sollt,

Falls Ihr bis dahin Euch gedulden wollt.

O, edeler Ovid! höchst wahr – Gott weiß! –

Hast Du gesagt: Ist Liebe lang’ und heiß,

So weiß auch List die Wege auszuspäh’n,

Wie wir an Piramus und Tisbe seh’n,

Die – obschon lang’ in strammer Zucht gehalten –

Zu flüstern wußten durch des Walles Spalten,

Daß Niemand Ahnung hatte von der List.

Doch nun zum Ziel: Vom Julimonat ist

Kaum eine volle Woche hingegangen,

Und Januar fühlt das sehnlichste Verlangen,

Daß er – gespornt dazu von seinem Weibe –

Mit ihr im Garten seine Spiele treibe.

Und so sprach eines Morgens er zu Mai:

»Steh’ auf, mein Weib, mein Liebchen, frisch und frei!

Der Turteltaube Stimme hört man schon,

Die Regenzeit des Winters ist entfloh’n!

O, komm’! mit Augen, rein und taubenhaft,

Mit Brüsten schöner, als der Trauben Saft!

Der Garten ist mit Mauern rings umgeben!

Komm’, blonde Gattin! komm’, mein süßes Leben!

Du hast das Herz verwundet mir, fürwahr;

Und ohne Makel warst Du immerdar!

O, komm’ hinaus zu frohen Liebesscherzen

Erwähltes Weib, Du Trost von meinem Herzen!«

So sprach er manches alte, lose Wort.

Sie aber winkte Damian sofort,

Mit seinem Schlüssel rasch voranzugeh’n.

Er öffnete die Thür und ungeseh’n

Und ungehört von Jedermann war – husch!

Im Garten er, wo hinter einem Busch

Er sich versteckte lautlos und geschwind.

Der alte Januar, wie ein Stein so blind,

Trat in Begleitung seiner Mai allein

In jenen kühlen Garten gleichfalls ein

Und schloß sogleich das Pförtchen wieder zu.

»Nun, Weib,« – sprach er – »allein sind ich und Du!

O, Kreatur, mir über Alles lieb,

Beim hohen Gott im Himmel! eher trieb’

Ich mir das Todesmesser durch den Leib,

Als Dich zu kränken, liebes, theures Weib!

Um Himmels willen! denke dran: ich wählte

Dich nicht zur Frau, weil Habsucht mich beseelte,

Nein, reine Liebe zog mich zu Dir hin.

Drum ob ich alt und jetzt gebrechlich bin,

Bleib’ mir getreu. Ich will den Grund Dir zeigen:

Du machst dadurch drei Dinge Dir zu eigen,

Erst Christi Huld, dann für Dich selber Ehre

Und all mein Gut mit jedem Zubehöre.

Zur freien Hand werd’ ich Dir’s unbedingt

Verschreiben, eh’ die Sonne morgen sinkt,

So wahr mir Gott im Himmel helfen mag.

Komm’, setze Deinen Kuß auf den Vertrag.

Und plagt mich Eifersucht, laß Dich’s nicht kränken.

Du bist mir so ans Herz gewachsen, denken

Muß ich drum stets, wie hold und schön Du bist,

Und daß sehr ungleich unser Alter ist,

Ich kann daher, und ob mein Tod es wär’,

Dich von mir lassen nun und nimmermehr,

Und zwar aus reiner Liebe – glaube mir!

Komm’, küsse mich, und dann lustwandeln wir.«

Auf seine Worte gab die frische Mai

Ihm freundlich Antwort, aber fing dabei

Zuvörderst und zunächst zu weinen an.

»An meinem Seelenheile« – sprach sie dann –

»Liegt mir wie Dir. Ich weiß die zarten Blüthen

Der Weiblichkeit und Frauenehr’ zu hüten,

Wie dies ich Dir gelobt hab’ in die Hand,

Als meinen Leib der Priester an Dich band.

Darum erlaube, lieber, theurer Gatte,

Daß ich jetzt Antwort meinerseits erstatte:

Ich bitte Gott, daß er mich sterben lasse,

Wie das gemeinste Weibsbild von der Gasse,

Wenn jemals meinen Namen ich beflecke

Und die Verwandtschaft je mit Schimpf bedecke.

Wär’ ich so falsch, sollt’ ich mich so vergehen,

So lasse nackt in einen Sack mich nähen,

Und in dem nächsten Fluß ertränke mich!

Nicht Dirne, sondern Edelfrau bin ich!

Was schwatzt Du so? Kein Mann bewahrt die Treue,

Jedoch uns Weiber rügt Ihr stets aufs Neue.

Der einz’ge Spaß – so scheint es –, den Ihr kennt,

Ist daß Ihr schimpft und ungetreu uns nennt!«

Und also redend, sah sie Damian

Im Busch versteckt und fing zu husten an,

Und gab ihm mit dem Finger einen Wink,

Daß einen Baum, der voller Früchte hing,

Er rasch erklimmen sollte. – Oben war er

In einem Nu; denn er begriff es klarer

Als Januar, ihr lieber Ehegatte,

Was für Bedeutung jedes Zeichen hatte;

Denn brieflich mitgetheilt war ihm von Mai,

Wie in der Sache zu verfahren sei.

So lassen wir im Birnenbaum ihn bleiben

Und froh umher sich Mai und Januar treiben.

Der Tag war hell, das Firmament war blau,

Froh lachten alle Blumen auf der Au’,

Erwärmt durch Phöbus’ gold’nen Feuerstrahl,

Der in den Zwillingen – doch dazumal

Schon nah’ dem Krebs – stand, wo er deklinirt

Und Jupiter dagegen exaltirt.

Nun war durch Zufall ganz im Hintergrunde

Des Gartens in der hellen Morgenstunde

Auch Pluto, Fürst des Feenreichs, erschienen

Mit manchen Damen, die im Hofstaat dienen

Von seiner edlen Königin und Frau,

Proserpina, die er von Ethnas Au’,

Wo, Wiesenblumen suchend, sie geweilt,

Geraubt und – wie Claudianus mitgetheilt –

Entführt hat in dem grausigen Gespann.

Der Feenkönig setzte sich sodann

Auf einer Bank von grünem Rasen hin,

Und so begann er zu der Königin:

»Mein Weib,« – sprach er – »es steht ganz außer Frage,

Und die Erfahrung lehrt es alle Tage,

Daß Frauen ihre Männer hintergeh’n.

Zehnhunderttausend von Geschichten steh’n

Mir zu Gebot, daß falsch und schwach Ihr seid.

O, Salamo, so durch und durch gescheidt,

An Ruhm und Schätzen Reichster aller Reichen,

Aus dem Gedächtniß wird so leicht nicht weichen,

Solang’ ein Mann Vernunft besitzt und Geist,

Dein trefflich Wort, das Männerwürde preist:

Ich fand zwar unter Tausend einen Mann,

Doch unter allen traf kein Weib ich an.

So spricht er, weil er Eure Bosheit kennt.

Und Sirachs Sohn, den man auch Jesus nennt,

Beweist Euch gleichfalls selten Reverenz,

Läßt er vom Himmel faule Pestilenz,

Und wildes Feuer auf Euch niederfahren!

Kannst Du den edlen Ritter dort gewahren?

Ach! weil ihn Blindheit und das Alter drücken,

Wird ihn sein Junker bald mit Hörnern schmücken.

Sieh! auf dem Baume sitzt der Wüstling droben.

Bei meiner Majestät! ich will geloben,

Sofort dem alten, blinden, würd’gen Ritter

Zurückzuschenken sein Gesicht, damit er

Sie überraschen möge bei der Sünde

Und seines Weibes Unzucht so ergründe

Zu ihrem Schimpf und Anderen zum Schreck.«

»Herr,« – sprach Proserpina – »ist das Dein Zweck,

Schwör’ ich bei meiner Mutter Ceres Seele,

Daß ihr es nicht an Antwort darauf fehle,

Wie keiner anderen Frau in gleichem Falle.

Ertapptet Ihr auf frischer That auch alle,

Mit kühnem Antlitz werden Eure Klagen

Sie schlau entkräften und zu Boden schlagen.

An Wortverlegenheit stirbt keine Frau!

Ja, säh’t mit beiden Augen Ihr’s genau,

Wir läugnen frech Euch ins Gesicht hinein,

Wir weinen, schwören, schelten, drehen’s fein,

Indeß Ihr da so dumm wie Gänse steht.

Was scheert mich Deine Schriftautorität!

Mir ist vom Juden Salamo bekannt,

Daß unter Weibern er viel Thorheit fand;

Jedoch traf selbst kein gutes Weib er an,

So hat gefunden dennoch mancher Mann,

Daß Weiber treu sind, fromm und tugendhaft.

Ihr Märtyrthum giebt davon Zeugenschaft,

Das standhaft hat manch Christenweib ertragen;

Auch Römergesten wissen uns zu sagen,

Von manchen Weibern treu und fleckenrein.

Nimm mir’s nicht übel, Herr, es mag ja sein,

Daß Salamo kein gutes Weib geseh’n;

Doch seine Meinung, bitt’ ich, zu versteh’n.

Er will nur sagen, daß – Gott ausgenommen –

Nicht Mann, noch Weib an Güte sei vollkommen.

Beim ein’gen Gott, sag’ mir aus welchem Grunde

Führt Salamo beständig Ihr im Munde?

Was? weil dem Herrn ein Gotteshaus er schuf?

Was? weil er reich an Schätzen war und Ruf?

Er baute Tempel auch für falsche Götzen,

Und lief dies nicht zuwider den Gesetzen?

Er war, wie schön Ihr’s übertünchen wollt,

Ein Götzendiener und ein Hurenbold,

Und an dem Herrn im Alter ein Verräther!

Und hätte Gott ihn wegen seiner Väter

– Wie uns die Schrift berichtet – nicht geschont,

So wär’ er früher, als ihm lieb, entthront.

Was er von Weibern Schlechtes schreibt und lehrt,

Scheint mir nicht einen Buttervogel werth!

Ich bin ein Weib, und daher muß ich sprechen,

Soll ich nicht bersten und das Herz mir brechen.

Denn, daß er Schwätzerin genannt das Weib,

Das wird, so lang’ ich Haare trag’ am Leib,

Von mir aus Höflichkeit ihm nicht verzieh’n,

Und wenn er uns schimpft, so beschimpf’ ich ihn!«

»Frau,« – sagte Pluto – »sei nicht länger böse!

Ich geb’ es auf. – Doch, daß mein Wort ich löse,

Will ich das Augenlicht zurück ihm schenken.

Mein Wort bleibt steh’n. – Ich bitte zu bedenken,

Daß ich ein König und kein Lügner bin.«

»Und ich« – sprach sie – »bin Feenkönigin,

Ich unternehm’s, die Antwort ihr zu senden,

Und damit laß dies Wortgefecht uns enden.«

»Gewiß,« – sprach er – »nicht widersprech’ ich Dir!«

Zurück zum alten Januar kehren wir. –

Im Garten weilt er mit der schönen Mai,

Und singt weit lust’ger als ein Specht dabei:

»Du bist mein Schatz und bleibst es lebenslang.«

Mit ihr durchwandernd manchen Gartengang,

Kam schließlich er beim Birnbaum wieder an,

In welchem fröhlich Junker Damian

Hoch oben saß und sich im Laub verbarg.

Die frische, heit’re, schöne Mai fing arg

Zu seufzen an und sprach: »Welch Seitenstechen!

O, Herr! ich muß um jeden Preis mir brechen

Gleich eine von den Birnen, die ich sehe,

Da ich vor Sehnsucht schier darnach vergehe,

Die süßen, grünen Birnen zu verzehren.

Still’ um der Jungfrau willen mein Begehren!

Ich sage Dir, wir Weiber sind in Lagen,

Daß wir nach Früchten oft Verlangen tragen

Und sterben müssen, wenn wir keine haben.«

»Ach! hätt’ ich doch zur Hand nur einen Knaben,

Hinaufzuklettern!« – rief er. »Weh und Ach!

Daß ich so blind bin!« – »Herr!« – sprach sie – »Gemach!

Versprich mir nur aus christlichem Erbarmen,

Mich in den Baum zu heben mit den Armen

– Vertrauen, freilich, schenktest Du mir nie –

So könnt’ ich ihn erklimmen schon« – sprach sie –

»Stieg ich auf Deinen Rücken mit den Füßen.«

»Gewiß« – sprach er – »mein Blut würd’ ich vergießen,

Um Dir zu helfen. Gern will ich mich bücken.« –

Er that’s. – Sie sprang sofort auf seinen Rücken

Und schwang sich in den Baum an einem Ast.

Ihr Damen, legt mir’s, bitte, nicht zur Last.

– Ich bin ein grober Kerl und rauh von Wort. –

Doch dieser Junker Damian hob sofort

Den Rock ihr auf, und dann ging’s drauf und dran.

Doch kaum sah Pluto dieses Unrecht an,

Als er auch auf der Stelle Januar

So sehend machte, wie er früher war.

Und da ihm sein Gesicht zurückgestellt,

War Januar der froh’ste Mann der Welt.

Doch immerwährend lag ihm Mai im Sinn.

Und auf den Baum warf er die Blicke hin,

Und sah dort Damian mit seinem Weibe

In einer Stellung, die ich nicht beschreibe,

Denn ungern möcht’ ich unmanierlich sein.

Nun fing er an zu brüllen und zu schrein,

Wie eine Mutter um ihr sterbend Kind:

»Heraus!« – rief er – »Zu Hülfe! Ach! geschwind!

O, Himmelskönigin! Was thust Du, Mai?!«

»Was fehlt Dir?« – frug sie. – »Lieber Mann so sei

Vernünftig doch und bleib geduldig nur!

Für Dich betrieb ich eine Augenkur;

Bei meiner Seligkeit, ich lüge nicht,

Dir wiedergeben könnt’ ich das Gesicht

– Ward mir erzählt – doch müßt’ ich zum Gelingen

Auf einem Baum mit einem Manne ringen!

Weiß Gott! ich hatte Gutes nur im Sinn.«

»Was« – rief er – »ringen? – Und er war schon drin! –

Vor Scham und Schande solltet Ihr vergeh’n:

Ihr war’t dabei! Hab’ ich’s nicht selbst geseh’n,

Will einen Strick ich um den Hals mir zieh’n!«

»Dann« – sprach sie – »braucht ich falsche Medicin.

Denn, sicherlich, bei vollem Augenlicht

Sprächst Du zu mir in solcher Weise nicht.

Du siehst nicht klar, Du hast nur einen Schimmer.«

»Ich sehe« – sprach er – »just so gut wie immer

– Gedankt sei Gott! – mit meinen Augen zwei;

Und – meiner Treu! – mich dünkt, er war dabei.«

»Du faselst, faselst, lieber Herr!« – sprach sie. –

»Ach, warum hatt’ ich soviel Sympathie?

Ist das der Dank für alle meine Güte?«

»Nun, Frau« – sprach er – »nimm’s Dir nicht zu Gemüthe;

Steig’ nieder Schatz. – Vielleicht ging ich zu weit;

Und – helf’ mir Gott! – es thut mir herzlich leid.

Indeß – bei meines Vaters Geist! – mir schien,

Als sah ich Damian sich darüber knien,

Und daß Dein Rock auf seiner Brust gelegen.«

»Nun, Herr!« – sprach sie – »so glaubt es meinetwegen.

Doch, Herr, ein Mann, der aus dem Schlaf erwacht,

Nimmt nicht sofort ein jedes Ding in Acht;

Da er die Sachen unvollkommen sieht,

Bevor sich seine Schläfrigkeit verzieht.

Und so geht’s auch dem Mann, der, lang’ erblindet,

Sein Augenlicht urplötzlich wiederfindet;

Er sieht am ersten Tage nicht so gut,

Wie er’s am zweiten oder dritten thut;

Und ehe nicht ein Weilchen er’s gewohnt,

Bleibt er von mancher Täuschung nicht verschont.

Bei Gott im Himmel! Bitte, mach’ Dir’s klar:

Gar manche Dinge nimmt ein Mann gewahr;

Die dennoch anders sind, wie er geseh’n;

Und wer mißsieht, der wird auch mißversteh’n.«

Mit diesem Wort sprang sie vom Baum hinunter.

Wer war auf Erden nun so froh und munter

Wie Januar? Er küßt und herzt sein Weib

Und streichelt zart und sanft ihr oft den Leib,

Und geht mit ihr in den Palast zurück.

Nun, gute Leute, wünsch’ ich Euch viel Glück!

Hier endet mein Bericht von Januar.

Gott und die Jungfrau schütz’ Euch immerdar!

Der Prolog des Junkers.

Vers 12859–12888.

»Fürwahr« – sprach unser Wirth – »bei Gottes Güte!

Vor solchem Weibsbild mich der Herr behüte.

Seht, welcher Schliche Frauen sich bedienen!

Seht, welcher List! – Ja, ems’ger als die Bienen,

Sind sie, uns dumme Männer zu betrügen;

Und daß sie unwahr sind und immer lügen,

Beweist des Kaufmanns Vortrag uns genau.

So treu wie Stahl ist freilich meine Frau,

Wenn sie gleich arm ist. – Doch im Zaum hält sie

Die bitterböse Plapperzunge nie,

Und andre Laster hat sie noch in Haufen. –

Genug davon! – Laßt solche Sachen laufen!

Doch wißt Ihr was? – Ganz im Vertrau’n erzählt:

Mich reut es bitter, daß ich mich vermählt’.

Doch alle Fehler, welche sie besitzt,

Euch mitzutheilen, bin ich zu gewitzt.

Wißt Ihr den Grund? – Sie hört es wieder später;

Auch hier im Kreise fehlen nicht Verräther.

Wer diese sind, brauch’ ich kaum anzuzeigen,

Da Weiber nie von solchen Sachen schweigen.

Und Euch in Alles einzuweih’n gebricht

Es mir an Witz; drum schließ’ ich den Bericht.

Kommt näher, Junker! falls es Euch beliebt!

Erzählt von Liebe! – Traun! auf Erden giebt

Es Keiner, der gleich Euch darin beschlagen.«

»Nein, Herr!« – sprach er – »doch gerne will ich sagen,

Was mir bekannt ist. – Gebt Ihr mir Befehle,

So bin auch kein Rebell ich und erzähle.

Gut ist mein Wille; doch mißräth’s, so richte

Man nicht zu scharf. – Seht, dies ist die Geschichte.«

Die Erzählung des Junkers.

Vers 12889–13550.

Zu Sarra lebte im Tartarenland

Ein König, welcher oft in Fehde stand

Mit Rußland; wodurch mancher brave Mann

Zu Tode kam. – Man nannte Cambuscan

Den edlen König, der zu seiner Zeit,

Wie Keiner sonst berühmt war weit und breit. –

In jeder Hinsicht von erprobtem Werth,

Gebrach ihm nichts, was einen König ehrt,

Als daß in anderm Glauben er geboren.

Fest hielt er am Gesetz, das er beschworen,

Und dabei war er weise, kühn und reich,

Gerecht und mild und blieb sich darin gleich;

Treu seinem Wort, stets ehrenhaft und gut

Und wie der Schwerpunkt stät und fest an Muth;

Jung, frisch und stark, voll Lust zu Kampf und Strauß,

Wie kaum ein Ritter sonst aus seinem Haus;

Von Ansehn schön, vom Glücke reich bedacht,

Entfaltete er königliche Pracht

An seinem Hofe, wie kein andrer Mann.

Der edle Tartarkönig Cambuscan

Besaß zwei Söhne – Algarsif der eine,

Der jüngere Camballo – welche seine

Gemahlin Elfeta zunächst gebar;

Jedoch das jüngste Kind des Königs war

Ein Töchterlein, mit Namen Canace,

Die größte Schönheit. – Aber ich gesteh’,

Daß mir die Kunst, sowie die Zunge fehlen,

Von so erhabnen Sachen zu erzählen.

Mein Englisch ist nicht gut genug bestellt.

Der erste Redner selber von der Welt,

Dem jede Farbe für die Kunst bekannt,

Brächte die Schilderung kaum zum Theil zu Stand;

Der bin ich nicht, ich rede, wie ich kann.

Und es geschah, als dieser Cambuscan

Sein Diadem getragen zwanzig Jahr,

Daß er, wie jährlich – denk’ ich – Sitte war,

Ausrufen ließ in Sarra allerwärts,

Am letzten Idus würd’ im Monat März

In diesem Jahre sein Geburtstag sein.

Phöbus entsandte seinen hellen Schein,

Ganz nah’ vom Standpunkt der Exaltation,

Mars gegenüber, der in der Mansion

Des Widders stand, dem zornig heißen Bilde.

Höchst freundlich war die Witterung und milde.

Der Sonn’ entgegen sangen Dankeslieder

Mit lauter Stimme schon die Vögel wieder

Beim Nah’n des Frühlings in dem frischen Grün,

Durch sie geschützt fortan, wie’s ihnen schien,

Vorm scharfen Schwert der kalten Winterzeit.

Bediademt, in reichem Königskleid

Saß Cambuscan, von dem die Rede schon,

In dem Palaste hoch auf seinem Thron

Und feierte sein Fest mit Prunk und Prangen,

Wie auf der Welt kein zweites ward begangen.

Kaum reichte hin, von aller Pracht zu sagen,

Der längste Tag von allen Sommertagen.

Doch scheint es mir nur wenig von Belang,

Die fremden Schüsseln und jedweden Gang,

Sowie die Tafelordnung zu erwähnen.

Noch red’ ich von den Reihern und den Schwänen,

Noch von dem Fleische, das als Leckerbissen

– Wie alte Ritter mitzutheilen wissen –

Im Lande galt, wird’s auch von uns verschmäht.

Denn keinen Menschen giebt es, dem’s geräth,

Dies zu beschreiben. – Morgenzeit ist hin,

Und da nur Zeitverlust und nicht Gewinn

Es bringen kann, so eil’ ich fortzufahren.

Als so drei Gänge aufgetragen waren,

Indeß dem Spiel und köstlichem Gesang

Der Minnesänger, der bei Tisch erklang,

Der König lauschte, und vom Adel Alle,

Ritt durch das Thor urplötzlich in die Halle

Ein Ritter, der auf einem Rosse saß

Von blankem Stahl. – Er trug ein Spiegelglas

In seiner Hand und einen goldnen Ring

Am Finger, und an seiner Seite hing

Ein nacktes Schwert. – Und als er näher ritt,

Ward in der Halle Jeder stumm; denn mit

Verwundrung blickten hin auf die Gestalt

Des Rittersmanns geschäftig Jung und Alt.

Der bis aufs Haupt vom reichsten Panzerhemde

Umhüllte, plötzlich eingetretne Fremde

Begrüßte König, Königin und alle

Die Ritter ehrerbietig in der Halle

Dem Rang gemäß nach höfischem Gebrauch

In Wort und Haltung. – Käme selber auch

Zur Erde wieder aus dem Land der Geister

Gawain, der alte Ceremonienmeister,

Fürwahr, verbessern könnt’ er nicht ein Wort.

Der Ritter nahte sich dem Thron sofort

Und gab in seiner Sprache männlich laut,

Die Botschaft wieder, die ihm anvertraut,

Nach Laut und Silbe, ohne jeden Fehler;

Es gab durch seinen Vortrag der Erzähler

Vielmehr den Worten ihren besten Werth,

Wie es die Kunstform der Rhetorik lehrt.

Doch mir wird, ach! sein Redestil zu sauer.

Ich überklimme nicht so hohe Mauer,

Doch sag’ ich dieses, damit Jeder klar

Ersehe, was der Sinn der Rede war,

Soweit es mein Gedächtniß noch behält:

»Arabiens König, Indiens Herr bestellt«

– So hub er an – »zu Deinem Ehrentag

Dir Grüße, wie er bestens kann und mag,

Und sendet Dir zu dieser Festlichkeit

Durch mich – der stets zu Deinem Dienst bereit –

Dies Roß von Erz, das leicht, sowie bequem

In Zeit von einem Tage – unter dem

Hier vierundzwanzig Stunden sind gemeint –

Ob’s regnet, oder ob die Sonne scheint,

Wenn Dir’s gefällt, nach jedem Ort Dich trägt,

Wohin Dein Herz zu reiten Neigung hegt,

Durch Dick und Dünn, und ohne zu versagen.

Es wird auf Wunsch Dich in die Lüfte tragen,

Hoch wie der Adler sich im Fluge schwingt.

Wohin Du willst, ans Ziel trägt unbedingt

Dich dieses Roß, und ohne Furcht vor Tücken

Magst schlafen Du und ruh’n auf seinem Rücken.

Es kehrt zurück, berührst Du einen Knopf.

Der es gemacht hat, war ein schlauer Kopf,

Und wußte durch Constellation von Sternen

Für das Getriebe Manches zu erlernen,

Und kannte manches Band und manches Siegel.

Auch halt’ ich den Händen einen Spiegel

Von solcher Kraft, daß Du mit einem Blick

Darin erspäh’st jedwedes Mißgeschick,

Das Dir bevorsteht, oder Deinem Reich;

Und Freund und Feind erkennst darin Du gleich.

Und überher zeigt noch der Spiegel an,

Ob, wenn ein schönes Fräulein einen Mann

Ihr Herz geschenkt hat, dieser Falschheit sinne,

Und was er plane, wen aufs Neue minne;

So offenbar wird jede Heimlichkeit.

Weßhalb ich jetzt zur lust’gen Sommerzeit

Von meinem Herrn den Spiegel sammt dem Ringe

Hier Deiner Tochter zum Geschenke bringe,

Der edlen Dame voller Trefflichkeit.

Der Ring – sofern Ihr’s hören wollt – verleiht

Die Kraft, daß, wenn am Daumen sie ihn trägt,

Auch, falls sie will, in ihre Börse legt,

Von jedem Vogel unterm Himmelsdache

Sie auch sofort verstehen kann die Sprache;

Und klar wird ihr der Sinn von ihren Liedern,

Und sie kann in derselben Art erwiedern.

Auch alle Kräuter, so aus Wurzeln sprießen,

Kennt sie und kann mit ihnen Wunden schließen,

Wie groß auch deren Tiefe sei und Weite.

Und dieses nackte Schwert an meiner Seite

Hat solche Kraft, daß, wenn ein Mann es schwingt,

Sein Hieb sofort durch jeden Harnisch dringt,

Wär’ er selbst stärker, als die stärkste Eiche.

Und, wenn ein Mann verwundet ist vom Streiche,

Wird er – sofern es Dir beliebt – nie heil,

Falls mit des Schwertes Fläche Du den Theil

Nicht streicheln willst, wo seine Wunden fließen.

Das heißt: die Stelle wird sofort sich schließen,

Berührst Du sie mit Deinem flachen Schwert.

Das ist die Wahrheit, und der Zauber währt,

So lang’ das Schwert Du führst in Deinen Händen.«

Hier ließ der Ritter seinen Vortrag enden,

Ritt aus der Halle dann zum Hof hinein

Und stieg vom Roß, das ruhig, wie aus Stein

Gehauen, dastand hell wie Sonnenschimmer.

Der Ritter legte dann in einem Zimmer

Die Rüstung ab, worauf er in die Halle

Zur Tafel ging. – Aus kostbarem Metalle

Waren die Gaben, nämlich, Schwert und Spiegel,

Die durch erwählte Diener unter Riegel

Im Hauptthurm zu bewahren man befahl.

Der Ring jedoch ward feierlich beim Mahl

Sogleich der Dame Canace verehrt.

Doch unbeweglich stand das Eisenpferd

– Ich fab’le nicht, die Wahrheit spricht mein Mund –

Auf seinem Platz, wie festgeleimt am Grund.

Von seinem Fleck es Niemand treiben kann;

Sie wenden Hebel, Winden, Schrauben an.

Vergebens! – Da der Kunstgriff nicht bekannt,

So blieb das Roß am Platze, wo es stand,

Bis später die Bewegung von dem Pferde

Der Ritter zeigte, wie ich melden werde.

Es wogte hin und her das Volksgedränge,

Das Pferd begaffend, das von solcher Länge,

So breit und hoch war, aber Ebenmaß

Trotz aller Kraft und Stärke doch besaß.

Vollkommen roßgleich war es, und dabei

Von Blick so feurig, wie die Lombardei

Mitsammt Apulien nur ein Pferd geboren.

Es könne von dem Schweif bis zu den Ohren

In keiner Art verbessern die Erscheinung

Natur noch Kunst – so war des Volkes Meinung.

Doch galt als größtes Wunder allerwärts,

Daß gehen könne dieses Pferd von Erz;

Ein Feeenspuk erschien dem Volk zumeist es.

Doch »soviel Köpfe, soviel Sinne« heißt es,

Und eine Meinung kann nicht Jedem dienen.

Sie murmelten gleich einem Schwarm von Bienen,

Denn ihre Kraft der Einbildung war rege;

In alten Liedern fanden sie Belege;

Es sei der Gaul ganz gleich dem Pegasus,

Dem Flügelrosse, war der Einen Schluß;

Doch Andre sagten, es sei Sinon’s Pferd,

Des Griechen, durch das Troja ward zerstört,

Wie dies aus alten Büchern man vernommen.

»Mein Herz« – sprach Einer – »ist stets angstbeklommen.

Bewaffnet Volk – so glaub’ ich – steckt darin

Und hat die Plündrung unsrer Stadt im Sinn.

Mir schien’ es gut, wär’ Alles erst bekannt!«

Und leise sprach, zum Nachbar hingewandt,

Ein Anderer: »Er lügt! Mir scheint vielmehr,

Als ob Magie dabei im Spiele wär’,

Wie Taschenspieler sie auf Festen zeigen!«

So zweifelten und schwätzten sie, wie’s eigen

Dem Pöbel ist in seiner Allgemeinheit,

Der stets bei Dingen, die mit größrer Feinheit

Gemacht sind, als sein schmales Hirn versteht,

Auch auf das Schlimmste gern zunächst geräth.

In andern Gruppen man vom Spiegel sprach,

Der aufbewahrt im starken Thurme lag,

Verwundert, daß er solche Dinge künde.

Doch kannte dieser oder der die Gründe:

Man könne durch die Winkabstellung schlau

Die Reflexion berechnen ganz genau;

Sei doch in Rom ein solches Glas zu seh’n.

Vitellon – sagten sie – und Alhazen

Und Aristoteles beschrieben schon

Die Perspectiven und die Reflection,

Was Lesern ihrer Schriften sei bekannt.

Auch an dem Schwert man viel zu wundern fand,

Das Kraft besaß, durch jedes Ding zu stechen.

Man kam auf König Telephus zu sprechen,

Und auf Achilles mit dem Zauberspeer,

Der heilen konnte, wie verwunden schwer,

Ganz in derselben Weise wie das Schwert,

Von dessen Kraft soeben Ihr gehört.

Sie sprachen über Härtung von Metall

Und die Verfahren, die man überall

Anwenden könne, solches fest zu machen.

Doch mir sind dieses unbekannte Sachen.

Von Canace besprachen sie den Ring

Und sagten: solch’ ein wunderbares Ding

Von Zauberei sei etwas namenloses.

Sie wußten nur, daß Salamo und Moses

Sich hohen Ruhm in dieser Kunst gewannen.

Und also redend, zog das Volk von dannen.

Merkwürdig – meinten Einige – sei, daß

Aus Farrnkrautasche man bereite Glas,

Da beides doch so ganz verschieden sei.

Doch bald war das Geschwätz davon vorbei;

Als Wunder galt nicht, was den Meisten kund.

Höchst räthselhaft erschien des Donners Grund,

Der Jungfernsommer, Nebel, Ebbe, Fluth,

Und was noch sonst bislang im Dunkel ruht.

So schwatzten sie und meinten Allerhand,

Bis von der Tafel auf der König stand.

Vom Mittagswinkel wandte Phöbus sich

– Doch ascendirte dabei königlich

Der edle Löwe mit dem Aldrian –

Als dieser Tartarkönig Cambuscan

Die Tafel aufhob und vom Throne dann

– Die Sänger und Trompeter ihm voran –

Zum Prunksaal ging, wo Instrumentenklang

Sofort erscholl; und wem’s zu Ohren drang,

Der wähnte sich ins Himmelreich versetzt.

Tanzt, liebe, lust’ge Venuskinder, jetzt!

Denn freundlich blickt der Liebe Königin,

Hoch in den Fischen thronend, auf Euch hin.

Der edle König, hoch zu Thron im Saal,

Den fremden Ritter zu sich her befahl,

Der bald im Tanz mit Canace sich schwang.

Nun herrschte Lust, nun schallte Jubelklang!

Doch das beschreibt uns nicht, wer trüb gesinnt.

Nur wer im Dienst der Liebe selber minnt,

Ein Lebemann, frisch wie der Mai und jung,

Kann unternehmen diese Schilderung.

Doch wer vermag das Bild Euch zu entfalten

Von fremden Tänzen, frischen Frau’ngestalten,

Die Liebesgrüße mit verstohl’nen Blicken,

Der Gatten Eifersucht befürchtend, nicken?

Ich überschlag’ es; denn nur Lancelot

Kann das beschreiben; aber der ist todt.

Ich sage nichts. – In froher Lust indessen

Laß ich sie weilen bis zum Abendessen.

Es heißt, derweil die Instrumente klingen,

Der Tafelmeister Wein und Speisen bringen.

Es eilen fort die Junker und Lakai’n;

Man trägt die Schüsseln auf, man bringt den Wein,

Man ißt, man trinkt und nach dem Essen geht

Man schicklich in den Tempel zum Gebet,

Um dann aufs Neu’ den ganzen Tag zu zechen.

Jedoch, was nützt es, von dem Glanz zu sprechen?

Bekanntlich giebt’s auf einem Königsfeste

Für Hoch und Niedrig Viel und stets das Beste

An – was weiß ich, wie manchen – Leckerei’n.

Gleich nach dem Schmause nahm im Augenschein

Der edle König mit dem ganzen Troß

Von Herr’n und Damen jenes Eisenroß;

Und so bewundert ward das Pferd von Allen,

Daß seit der Zeit, da Troja einst gefallen,

Und Menschen staunend auf ein Roß geschaut,

Kaum die Verwundrung wurde je so laut.

Doch schließlich bat der König, daß erklärt

Vom Ritter ihm die Tugend von dem Pferd

Und seine Kraft und seine Leitung werde.

Gleich hob das Roß sich trippelnd von der Erde,

Sobald der Rittersmann erfaßt den Zaum.

»Herr!« – sprach er dann – »es braucht der Worte kaum.

Wohin Du willst, der Ritt von Statten geht,

Wenn man den Knopf in seinem Ohre dreht.

Sind wir allein, will ich Dir Alles zeigen.

Auch darfst Du Land und Ort ihm nicht verschweigen,

Wohin den Ritt nach Deiner Wahl Du lenkst;

Und bist Du da, wo Du zu bleiben denkst,

Gieb ihm Befehl; und daß es niederfliegt,

Dreh’ an dem andern Knopfe. – Darin liegt

Die ganze Kunst. – Gehorsam allsofort

Steigt es hernieder und bleibt still am Ort.

Mag alle Welt das Gegentheil besagen,

Nicht fort zu zieh’n ist’s und nicht fort zu tragen.

Und willst Du weiter reiten, nun, so drücke

An diesen Knopf, und gleich im Augenblicke

Ist es entschwunden dem Gesicht von Allen.

Bei Tag und Nacht steigt wieder nach Gefallen

Es auch herab, rufst Du es in der Art,

Wie unter uns Dir näher offenbart

Noch werden soll in kurzer Zeit. – Und nun

Reite nach Lust; denn mehr giebt’s nicht zu thun!«

Nachdem vom Ritter unterwiesen war

Der König, und nach Form und Art ihm klar

Geworden war das Triebwerk auf das Beste,

Kehrte vergnügten Sinnes er zum Feste

Nunmehr zurück. Die Zügel aber ließ

Er aufbewahren in dem Thurmverließ.

Bei den Juwelen von besonderm Werth.

Aus Aller Blick jedoch entschwand das Pferd.

Ich weiß nicht wie? Von mir bringt Ihr heraus

Für jetzt nichts mehr. – Ich lasse froh beim Schmaus

Sich Cambuscan mit seinen Herr’n behagen,

Bis daß der Morgen fast beginnt zu tagen.

Pars Secunda.

Schlaf, der Verdauung Amme, fing zu winken

Und zu warnen an, daß man nach vielem Trinken,

Wie nach der Arbeit, Ruhe suchen müsse,

Und schenkte Jedem, gähnend seine Küsse,

Und sprach: »Die höchste Zeit ist, daß Ihr ruht,

Denn dominirend ist bereits das Blut,

Und diesen Freund des Fleisches hegt und pflegt.«

Zum Danke zwei- bis dreimal gähnend, legt

Zu Bett sich Jeder, denn die beste Wahl

Schien, das zu thun, was ihnen Schlaf befahl.

Was sie geträumt, kann ich zu melden sparen,

Da ihre Köpfe so umnebelt waren,

Daß sie nur Träume hatten ohne Sinn.

Die Meisten schliefen bis zum Mittag hin;

Jedoch nicht Canace, die nach den Sitten

Der Frauenwelt das Maß nicht überschritten,

Und von dem Vater ihren Abschied nahm

Und schlafen ging, sobald der Abend kam;

Denn ungern wäre sie mit bleichen Mienen

Am nächsten Morgen unfestlich erschienen.

Bald lag im ersten Schlummer sie, doch wachte

Dann wieder auf; denn ihrem Herzen machte

So große Freude Spiegelglas und Ring,

Daß zwanzigmal die Farbe kam und ging,

Und Traumvision ihr stets den Spiegel wies,

Der solchen mächt’gen Eindruck hinterließ.

Als daher kaum die Sonne aufging, rief

Sie ihre Pflegerin, die bei ihr schlief,

Und sprach: sie habe Lust sich zu erheben.

Wie alte Frau’n sich gern den Anschein geben

Besondrer Weisheit, frug die Pflegerin

Hierauf zunächst: »Madam, wo wollt Ihr hin,

So früh am Tage? – Noch schläft Jedermann!«

»Ich will« – sprach sie – »da ich nicht schlafen kann

Und länger schlafen mag, spazieren geh’n.«

Gleich sprangen auf von ihren Frauen zehn

Bis zwölfe, wie die Pflegerin gebot.

Auch Canace erhob sich, frisch und roth,

Der jungen Sonne gleichend, die am Pfade

Des Himmels eben bis zum vierten Grade

Des Widders klomm, als sie schon fertig stand

Und in das Freie leichten Schritts entschwand,

Für Spiel und Wanderung vom luft’gen Kleid

Umflattert in der lustig süßen Zeit.

Doch von der Frauenschaar nahm sie allein

Fünf oder sechs mit in den Park hinein.

Durch Nebeldunst, der aus der Erde quoll,

Erschien die Sonne roth und breit und voll;

Jedoch ein Schauspiel war’s voll Herrlichkeit.

Und in der morgenfrischen Frühlingszeit

Schlug ihr das Herz erleichtert, als der Sang

Der Vogelstimmen ihr zu Ohren drang,

Denn Meinung und Bedeutung konnte sie

Sofort erkennen aus der Melodie.

Man sollte nie, hat man was mitzutheilen,

So lange bei der Knotenschürzung weilen,

Bis wir bei denen, die uns reden hören,

Die Lust ertödten und den Reiz zerstören.

Denn wird zu viel und gar zu breit geschwätzt,

Verfliegt der Duft. – Und darum will ich jetzt

Mich gleich zum Knoten der Erzählung wenden,

Und lasse hiemit ihre Wandrung enden.

Wo Canace im grünen Waldesraum

Lustwandelte, saß hoch auf einem Baum,

Der dürr und trocken war und weiß von Schein,

Wie Kreide, eine Falkin, deren Schrei’n

Im ganzen Walde kläglich wiederscholl;

Und die mit ihren Flügeln jammervoll

Sich selbst zerschlug, bis daß von rothem Blute

Der Baumstamm troff, auf dem der Vogel ruhte,

Der immerfort erbärmlich schrie und kreischte,

Und mit dem eignen Schnabel sich zerfleischte.

Ein Tiger hätte, der im Walde schweift,

Ein wildes Thier, das durch die Dickung streift,

Wenn ihnen Thränen nicht Natur versagte,

Geweint aus Mitleid, als so laut sie klagte.

Zwar Mancher weiß die Schildrung uns zu geben

Von einem Falken. Doch es hat im Leben

Bislang kein einz’ger Mann, wohl einen gleichen,

So schöngeformten, so gefiederreichen,

So ganz vollkommnen Vogel je gekannt.

Ein Pilgerfalke schien’s aus fremdem Land,

Doch jetzt durch Blutverlust geschwächt und kaum

Mehr bei Besinnung, so daß, auf dem Baum

Sich festzuhalten, länger nicht vermocht’ er.

Und Canace, die schöne Königstochter,

Die an dem Finger trug den Zauberring,

Durch den sie Kraft besaß, ein jedes Ding,

Von dem ein Vogel spricht in seinen Liedern,

Klar zu versteh’n und darauf zu erwiedern,

Vernahm auch, was die Falkin zu ihr sprach,

Durch deren Jammer fast das Herz ihr brach.

Rasch zu dem Baume wandte sie den Lauf

Und blickte mitleidsvoll zum Vogel auf,

Und breitete den Schooß aus, wohl bewußt,

Er falle durch den vielen Blutverlust

Bei nächster Ohnmacht sicher von dem Aste.

In der Erwartung stumm verharrend, paßte

Sie länger auf, bis sie das Schweigen bannte

Und sich zur Falkin mit den Worten wandte:

»Was ist der Grund – darfst Du es mir erzählen –

Daß Dich so grimme Höllenschmerzen quälen?«

– So sprach zum Vogel droben Canace. –

»Ist’s Todesangst, verschmähter Liebe Weh?

Denn – wie mich dünkt – entspringt aus diesen beiden

Für edle Herzen wohl das schwerste Leiden.

Von anderm Harme brauch’ ich nicht zu sprechen;

Daß Du versuchst, Dich an Dir selbst zu rächen,

Beweißt es klar, Haß oder Furcht allein

Kann Deiner grausen That Beweggrund sein.

Doch seh’ ich nirgends den Verfolger kommen.

Bei Gottes Liebe, Dir zum eignen Frommen!

Wie kann ich helfen? Rede, sprich zu mir!

In Ost und West sah Vogel oder Thier

Ich nie zuvor, dem solches Leid geschah.

Fürwahr, mir gehen Deine Sorgen nah.

Von Mitleid ist für Dich mein Herz erfaßt.

Um Gottes Willen, komm herab vom Ast!

So wahr ich eine Königstochter bin,

Machst Du mich mit dem Grund bekannt, worin

Dein Leiden wurzelt, kann ich, eh’ die Nacht

Herniedersinkt, Dich heilen, will mit Macht

Und Weisheit Gott mich gütig unterstützen.

Ich finde manche Kräuter, die Dir nützen,

Und Deine Wunden heilen rasch und sicher!«

Jedoch die Falkin schrie nur jämmerlicher,

Als je zuvor, stürzte zu Boden und

Lag regungslos, still wie ein Stein, am Grund;

Bis Canace in ihren Schooß sie nahm,

Wo ihr Bewußtsein schließlich wiederkam,

Und sie, sich dann erholend nach und nach,

In Falkenzunge diese Worte sprach:

»Daß Mitleid rasch ein edles Herz bewegt,

Da fremder Schmerz ihm selber Schmerz erregt,

Kann jeder Tag beweisen, und es steht

Fest durch die That, wie durch Autorität.

Denn edlen Sinn zeigt stets ein edles Herz.

Drum überwältigt auch bei meinem Schmerz

Dich Mitleid, meine schöne Canace!

Die reinste Frauenliebe – wie ich seh’ –

Ist Deines Thuns Beweggrund von Natur.

Nicht weil ich Heilung hoffe, sondern nur

Dem zu entsprechen, was Dein Herz begehrt,

Und daß mein Beispiel Andere belehrt

– Ward doch der alte Leu gewarnt vom jungen –

Aus diesen Gründen, diesen Folgerungen

Will ich auch Dir, so lang’ vor meinen Scheiden

Mir Zeit gegönnt ist, beichten meine Leiden.«

So klagte sie in ihrer Sorgen Last,

Und hin in Thränen schmolz die Andre fast,

Bis sie die Falkin endlich schweigen hieß,

Die, tief erseufzend, sich vernehmen ließ:

»Geboren ward ich – weh’, daß je getagt

Der Morgen mir! – wo hoch ein Felsen ragt

Von grauem Marmor, und in Zärtlichkeit

Herangepflegt, vor Harm beschützt und Leid,

Bis himmelan zu fliegen ich gelernt.

Ein Sperber wohnte von mir nicht entfernt,

Von edlem Ansehn, aber in der That

Nur voller Tücke, Falschheit und Verrath.

Dem Scheine nach voll Offenheit verbarg

Im Demuthsmantel er des Herzens Arg;

Stets dienstbeflissen und verbindlich schien er,

Und nichts verrieth in ihm den Augendiener;

Von Grund aus echt hielt Jeder seine Farben.

Wie eine Schlange, unter Blumengarben

Versteckt, zum Biß erspäht die rechte Zeit,

Verstand mit höflicher Geschmeidigkeit

Es dieser Gott der Heuchelliebe auch

Dem Scheine nach zu wahren Form und Brauch,

Wie ehrenhafte Liebe dies verlangt.

Gleich wie ein Grab, das schön von Außen prangt,

Die Leiche birgt, wie Jeder von Euch weiß,

War dieser Heuchler beides, kalt und heiß;

Und so kam er zum Zweck; doch Niemand ahnte,

Als nur der Teufel, was er sann und plante.

Nachdem er weinend, klagend Jahr und Zeit

Sich meinem Dienste scheinbar ganz geweiht,

Wodurch mein Herz, das mitleidsvoll sich regte,

Von der Erzbosheit niemals Ahnung hegte,

Gab ich, von Furcht um seinen Tod bezwungen,

Auch seine Schwüre und Versicherungen

Ihm unter der Bedingung meine Liebe,

Daß Ruf und Ehre mir erhalten bliebe

Wie im Geheimen, so auch öffentlich;

Das heißt: ich gab, wie er’s verdient um mich,

Gedanken, Herz und Alles ihm dahin

– Doch Anderes trug er – weiß Gott – im Sinn –

Und schenkte für sein Herz das meine fort!

Lang’ ist es her. – Doch wahr bleibt stets das Wort:

Ein Ehrenmann denkt anders, wie ein Dieb.

Kaum sah er, wie es stand; wie ihm zu lieb

Ich seiner Minne völlig mich ergeben

In solcher Weise, wie erzählt soeben,

Und ihm mein treues Herz geschenkt so frei,

Wie er mir schwur, daß sein’s mein eigen sei,

Als dieses zweigezüngte Tigerthier

Auf seine Knie sich niederwarf vor mir

So voller Demuth und so ehrfurchtsreich,

Ganz den verliebten Edelleuten gleich,

Entzückt – wie’s schien – und voller Freudigkeit,

Wie Paris kaum und Jason ihrer Zeit.

Wie Jason? – Nein! wie niemals sonst ein Mann

Seit Lamech, der zu allererst begann

Zweiweiberei, wie aus der Schrift erhellt,

Nein! nie zuvor, seit Adam kam zur Welt,

War an Verstellungskunst, die er verstand,

Der zwanzigtausendfachste Theil bekannt.

Es löste Niemand ihm die Schuh’, sobald

Es zu berücken und zu heucheln galt.

Er dankte mir, wie Keiner je geschehen,

Und Himmel war es, ihn nur anzusehen.

Gewiß, das klügste Weib hätt’ er berückt,

So schön war er geputzt, so reich geschmückt,

So wohl gesetzt sein Wort und sein Betragen.

Wie konnt’ ich drum ihm meine Lieb’ versagen?

Er schien so treu und wahrgesinnt von Herzen!

Ja, drückten ihn nur die geringsten Schmerzen,

So fühlt’ ich auch, sobald es mir bewußt,

Die größte Todesqual in meiner Brust.

Und kurz und gut, so ging es weiter fort;

Sein Wille war der meine; seinem Wort

– Will das besagen – gab ich nach beständig

In allen Dingen, die nicht unverständig;

Und meinem Bunde bin ich treu geblieben.

Nichts liebt’ ich so, Nichts konnte mehr ich lieben,

Als ihn – weiß Gott! – und werd’ es nun und nimmer!

Ein bis zwei Jahre schwanden, aber immer

Hatt’ ich das Beste nur von ihm gedacht.

Doch endlich zwang ihn des Geschickes Macht

Zur Wanderung und trieb ihm von dem Ort,

Wo ich gelebt, und meiner Seite fort.

Wie weh’ mir war, mag unerörtert bleiben.

Es läßt sich das nicht malen und beschreiben.

Indessen offen darf ich eines sagen,

Daß Todesschmerzen ich um ihn getragen,

So sehr fühlt’ ich der Trennung bittren Gram!

Es kam der Tag, an dem er Abschied nahm

So voller Sorgen, daß ich sicherlich

Der Meinung war, er litte so wie ich.

Mir schwand bei seinem Anblick, seinem Wort

An seiner Treue jeder Zweifel fort,

Und wohl mit Recht konnt’ ich die Hoffnung nähren,

Er würde heim nach kurzer Weile kehren;

Vernunft allein gebiet’ es ihm zu gehen,

Und seine Ehre – wie das oft geschehen.

So macht’ ich Tugend aus Nothwendigkeit,

Verbarg die Sorgen und ertrug, so weit

Ich Kraft besaß, was nicht zu ändern stand;

Schwur ihm bei St. Johannes in die Hand

Und sprach: Von ganzer Seele bin ich Dein!

Sieh’, wie ich war, so werd’ ich immer sein!

Was er darauf erwiedert, schlag’ ich über.

Wer konnte falscher sprechen und wer lieber?

Er that mir schön, und damit war es aus.

Nun, wer mit einem Teufel sitzt beim Schmaus,

Muß lange Löffel haben, wie es heißt.

Als er von mir dann schließlich fortgereist,

Flog er dem Ziel, das er erwählte, zu;

Doch mich bedünkt, der Platz für seine Ruh’

War nach dem Texte wohl von ihm erkoren,

Dem Trieb zu folgen, der ihm angeboren.

Ich denke, Menschen sagen, daß das Neue

Naturgemäß am meisten uns erfreue;

Wie es der Vogel in dem Käfig lehrt,

Der, Tag und Nacht aufs sorgsamste genährt

Mit Zucker, Semmel, Milch und Honigseim,

Im seidenweichen Käfig sitzt daheim;

Und doch, wenn offen er die Thüre sieht,

Den Trog mit seinen Füßen tritt und flieht,

Um Würmer in dem nahen Wald zu fressen.

So sind auf neues Futter sie versessen.

Das Neue reizt – das steckt in dem Gemüthe –

Nicht edle Neigung bindet sie, noch Güte.

So ging’s dem Sperber. – Ach, du liebe Zeit!

Wie schien so frisch er, wie voll Heiterkeit,

Bescheiden, frank und adelig von Art!

Doch hatt’ er eine Weihe kaum gewahrt,

Verliebt’ er sich bis über beide Ohren,

Und seine Neigung war für mich verloren.

So brach er falsch, was er geschworen hatte.

Im Dienste dieser Weihe lebt mein Gatte,

Indeß ich hülflos und verlassen bin.«

Die Falkin sprach’s und sank ohnmächtig hin

Vor Jammer in den Schooß von Canace.

Und um den Sperber fühlte sie solch’ Weh,

Daß Canace mit ihrer Frauenschaar

Sie aufzurichten, beinah’ rathlos war.

Sie trug den Vogel heim in ihren Schooß

Und legte Pflaster auf die durch den Stoß

Des eignen Schnabels ihm geschlagne Wunde.

Nach Kräutern nun grub in der Erde Grunde

Jetzt Canace, um aus den köstlich frischen

Heilkräft’gen Pflanzen Salben sich zu mischen

Für ihre Falkin, die sie Nacht und Tag

So sorgsam pflegt, wie irgend sie vermag.

Bei ihrem Bett ließ sie den Käfig bauen;

Zum Zeichen der Beständigkeit von Frauen

War er mit blauem Sammet überspannt,

Und dargestellt auf grüner Außenwand

Sah man die falschen Vögel, die Verderber,

Wie Haubenhähne, Eulen oder Sperber;

Und recht gemalt, wie zum Verdruß für sie,

War eine Elsternschaar, die spottend schrie.

Von Canace, die ihre Falkin pflegt,

Von ihrem Ring, den sie am Finger trägt,

Sprech’ ich nicht weiter, bis ich Euch beschreibe

Der Sage nach, wie zu dem Falkenweibe

Der Sperber reuig heimgekehrt, und wie

Hülfreiche Hand Camballo dazu lieh,

Der Königssohn, von dem ich früher sprach;

Und graden Weges werd’ ich dann hernach

Auf Schlachten und auf Abenteuer kommen,

So wunderbar, wie Ihr sie nie vernommen.

Zuerst bericht’ ich Euch von Cambuscan,

Der mittlerweile manche Stadt gewann;

Und darauf wird von Algarsif erzählt,

Wie Theodora er zum Weib erwählt,

Und wie ihm in der dringendsten Gefahr

Das Eisenroß die beste Hülfe war;

Dann rede von Camballo ich, der mit

Zwei Brüdern tapfer in den Schranken stritt

Für Canace, bevor er sie gewann,

Und wo ich abbrach, fang’ ich wieder an.

Der Prolog des Freisassen.

Vers 13551–13606.

»Wahrhaftig, Junker! Du hast’s brav gemacht!«

– Rief jetzt der Freisaß – »und in Anbetracht

Von Deiner Jugend hast Du fein erzählt.

Man sieht, daß Dir Gefühl und Witz nicht fehlt.

Ich muß Dich loben! Hier von uns erreicht,

Fährst Du so fort, Dich Keiner wohl so leicht

An Eloquenz. – Nun, stehe Gott Dir bei,

Daß Deine Tugend auch von Dauer sei!

Denn, was Du sprachst, war ganz nach meinem Sinn.

Bei dem Dreiein’gen! gerne gäb’ ich hin

Den vollen Werth von zwanzig Pfund in Land,

Gelangte mir’s auch eben in die Hand,

Wenn nur mein Sohn Dir an Verstand und Witz

In etwas gliche. – Pfui! was gilt Besitz,

Wenn einem Manne gute Sitten fehlen?

Wie mußt’ ich ihn, wie werd’ ich ihn noch schmälen,

Daß er Gehör der Tugend nimmer schenkt,

An Würfelspiel nur und Verschwendung denkt,

Und Alles, was er hat, verliert, verpraßt;

Mit einem Knechte lieber sich befaßt,

Als mit den Edelleuten zu verkehren,

Die höflich sind und feine Sitte lehren.«

»Was« – rief der Wirth – »frag’ ich nach feinen Sitten!

Verzeiht, Herr Freisaß, aber ich muß bitten,

Euch zu erinnern: ein bis zwei Geschichten

Muß Jeder hier bei Pfandverlust berichten.«

»Wohl weiß ich« – sprach der Freisaß – »was beschlossen.

Doch Herr – ich bitte – seid nicht gleich verdrossen,

Daß ich ein Wort mit diesem Mann geplaudert.«

»Frisch loserzählt! und länger nicht gezaudert!«

»Mein lieber Wirth!« – sprach er – »von Herzen gern

Will ich gehorchen. – Hört mir zu, ihr Herr’n!

In keiner Art will ich Euch widerstreben,

Soweit Verständniß mir und Witz gegeben.

Steht Gott mir bei und stimmt es Euch vergnügt,

So weiß ich, daß es gut ist und genügt.

Von edelen Bretonen ist vor Zeiten

Von Abenteuern und Begebenheiten

Manch’ Lied gereimt in aller Zungenart,

Das bald zur Laute vorgesungen ward,

Bald vorgelesen, sie zu unterhalten;

Und im Gedächtniß hab’ ich ein’s behalten,

Das ich erzählen will, so gut ich kann.

Indeß, ihr Herr’n! ich bin ein schlichter Mann

Und bitte drum, im Voraus zu verzeih’n,

Wenn meine Rede roh ist und gemein.

Die Künste der Rhetorik kenn’ ich nicht,

Und muß ich reden, sprech’ ich grad’ und schlicht.

Auf dem Parnasso lag ich nie im Schlummer,

Nie machte Tullius Cicero mir Kummer,

Und Redefarben sind mir unbekannt.

Zwar hab’ ich manche Farben an der Wand

Und oft auch Farben, die auf Wiesen steh’n,

Doch Farben der Rhetorik nie geseh’n;

Da ich mit solchen Sachen mich nicht plage.

Doch habt Ihr Lust, so hört, was ich Euch sage.«

Die Erzählung des Freisassen.

Vers 13607–14494.

Im Britenland, Armorika genannt,

War einst ein Ritter, der, in Lieb’ entbrannt

Für eine Dame, treu und dienstbereit

Gar manche Arbeit, manche Fährlichkeit

Um sie bestand, bevor er sie errang.

Denn da aus edlem Hause sie entsprang,

Und zu den schönsten Frau’n auf Erden zählte,

Es ihm aus Furcht an der Entschließung fehlte,

Ihr seinen Kummer, seine Noth zu klagen;

Bis sie zuletzt sein würdiges Betragen,

Sein sanfter Sinn und sein ergeb’ner Wille

So innig rührte, daß sie ihre stille

Gewogenheit ihm länger nicht verhehlte,

Und ihm zum Gatten und zum Herrn erwählte

– Soweit die Männer ihrer Weiber Herrn. –

Der Ritter aber schwur von Herzen gern,

Um möglichst segensreich mit ihr zu leben,

Sich seiner Herrschaft gänzlich zu begeben,

Ihr Tag und Nacht gehorsam stets zu sein,

Ihr niemals Grund zur Eifersucht zu leih’n,

Und ihr zu folgen willig und geduldig,

Wie ein Verliebter seiner Dame schuldig,

Wenn er nur vor der Welt, wie sich’s gebühre,

Dem Namen nach die Oberherrschaft führe.

Und, sich bedankend, sprach sie demuthsvoll:

»Herr! wenn ich solchen Antheil haben soll

Am Regiment durch Deine Gunst und Huld,

So soll auch Krieg und Streit durch meine Schuld

– Wenn’s Gott gefällt – uns nimmerdar entzwein.

Ich schwöre Dir, ein folgsam Weib zu sein,

So lange, wie zu athmen mir beschieden!«

Und Beide lebten ruhig und in Frieden.

Genossenschaft – das bleibt stets wahr, ihr Herr’n! –

Besteht nur unter Freunden, insofern

Sich Einer weiß dem Andern anzupassen.

Es will die Liebe sich nicht meistern lassen.

Sobald der Liebesgott den Zwingherrn sieht,

Regt er die Schwingen, sagt Ade, und flieht.

Ein freies Ding ist Liebe, wie der Geist;

Und ihre Freiheit liebt das Weib zumeist.

Doch Zwang und Knechtschaft sind ihr höchst verhaßt,

Wie dieses – denk’ ich – auch auf Männer paßt.

Wer in der Liebe nur Geduld behält,

Der hat den größten Vortheil von der Welt.

Als höchste Tugend ist Geduld zu preisen,

Denn sie bezwingt – so sagen uns die Weisen –

Was unbesiegbar selbst der Strenge gilt.

Es ist nicht gut, wenn man stets schimpft und schilt.

Zu dulden lernet! – Denn, auf Seligkeit!

Gern oder ungern müßt ihr’s mit der Zeit.

Es hat kein Mensch auf Erden je gewandelt,

Der unrecht nicht gesprochen und gehandelt.

Wein, Zorn, Konstellationen, Krankheit, Leid

Und Wechsel der Gemüthsbeschaffenheit

Veranlaßt Manchen, lästerlich zu sprechen;

Doch jedes Unrecht darf der Mensch nicht rächen,

Und mit der Zeit lernt Mäßigung der Mann,

Der sich bezwingen und beherrschen kann.

Weßhalb zum eignen Besten der erprobte

Und weise Ritter ihr Geduld gelobte.

Sie aber schwur, er sollte keinen Flecken

An ihr für nun und nimmermehr entdecken.

Seht! solch ein Demuthsbund ist weisheitsreich.

Sie kor zum Knecht ihn und zum Herrn zugleich,

Zum Knecht der Liebe und zum Herrn im Haus.

Wie? schließt denn Knechtschaft nicht die Herrschaft aus?

Knechtschaft? – O, nein! nur Herrschaft ist gemeint,

Wenn Liebe mit der Ehe sich vereint;

War doch nach Liebeswahl und Recht und Brauch

Die Herzgeliebte für ihn Gattin auch.

Als ihm zu Theil geworden war dies Glück,

Nahm er sein Weib mit in sein Land zurück,

Wo unweit Penmark sein Besitz gelegen,

Und lebte dort in Fröhlichkeit und Segen.

Beschreiben kann uns nur, wer selbst vereh’licht,

Die Lust, das Glück, die Ruhe, die beseeligt

So Mann als Weib im heil’gen Ehestand.

Mehr als ein Jahr vergnügt vorüber schwand,

Bis der erwähnte Ritter dieser Dame

– Arviragus von Cairud war sein Name –

Nach England zog, dem Reiche der Bretonen,

Daselbst ein Jahr lang oder zwei zu wohnen,

Um Waffenruhm und Ehre zu gewinnen;

Denn solche Arbeit war sein stetes Sinnen.

Zwei Jahre blieb er – wie mein Buch sagt – dort.

Nun wendet von Arviragus mein Wort

Sich hin zu seinem Weibe Dorigene;

Sie schickte manchen Seufzer, manche Thräne

Dem heißgeliebten, fernen Gatten nach

– Wie solches stets ein edles Weib vermag. –

Sie trauert, fastet, jammert, wacht und klagt,

Von Sehnsucht und Verzweiflung so geplagt,

Daß ihr das ganze Weltall war zuwider.

Die Freunde sahen, wie der Schmerz sie nieder

Zu drücken schien, und sprachen Tag und Nacht

Ihr tröstend zu nach bester Kraft und Macht,

Sich grundlos nicht bis auf den Tod zu quälen.

Sie ließen es an keinem Troste fehlen,

Indem sie Alles thaten und ersannen,

Was passend schien, die Schwermuth zu verbannen.

Nur nach und nach – das weiß man allgemein –

Gelingt durch lange Arbeit es, dem Stein

Figuren oder Zeichen einzugraben.

Wie manchen Trost sie ihr daher auch gaben,

Es währte lange, bis er Eindruck machte,

Und Hoffnung und Vernunft so weit erwachte,

Daß sie sich ihrer Sorgen mehr entschlug

Und minder wild und aufgeregt betrug.

Doch hätte nicht Arviragus daneben

Ihr Kunde seines Wohlergehns gegeben

Und brieflich rasche Rückkehr ihr versprochen,

So hätte Kummer ihr das Herz gebrochen.

Die Freunde sahen ihre Sorgen flieh’n,

Und baten sie, bei Gott, auf ihren Knie’n,

Durch Lust und Spiel mit ihnen im Verein

Sich von den düstern Grillen zu befrei’n.

So fügte sie, da man ihr unbestritten

Zum Besten rieth, sich endlich ihren Bitten.

Da nun ihr Schloß nicht weit vom Meere stand,

Ging sie mit ihren Freunden oft zum Strand

Und schaute von dem hohen Felsenriffe

Hinab und sah die Barken und die Schiffe,

Bald hier- bald dorthin durch die Fluthen steuern.

Doch schien es ihre Schmerzen zu erneuern,

Denn zu sich selber sprach sie oft: »O, weh!

Bringt keines von den Schiffen, die ich seh’,

Mir meinen Herrn zurück, damit mein Herz

Genesung finde von dem bittern Schmerz?«

Oft in Gedanken blickte sie dann wieder

Vom steilen Ufer in die Tiefe nieder

Zur grauenhaften, schwarzen Felsenwand;

Bis sie, von Furcht und Schauer übermannt,

Nicht mehr der Kraft der eignen Füße traute.

Dann, in das Gras sich niedersetzend, schaute

Sie voller Jammer auf das Meer hinaus

Und brach erseufzend in die Worte aus:

»Allew’ger Gott! der Du mit Vorbedacht

Die Welten lenkst durch Deines Willens Macht,

Nichts Eitles – sagt man – schufen Deine Hände.

Doch diese grausig schwarzen Felsenwände

Sind die Gebilde der Verwirrung nur;

Kein schönes Werk, an welchem wir die Spur

Von Deiner weisen Schöpferhand gewahren.

Wie konntest Du so unbedacht verfahren?

Denn keine Nahrung finden Mensch und Thier

In Süd und Nord, in Ost und Westen hier.

Sieh, lieber Herr! es nützt zu Nichts: fürwahr,

Es bringt den Menschen Tod nur und Gefahr;

Denn sicher fielen hunderttausend Leute

Den unverständ’gen Felsen schon zur Beute.

Doch ist der Mensch der Schöpfung höchste Zier;

Du schufst ihn ja als Ebenbild von Dir;

Und da die Menschen Du nach allem Schein

So innig liebst, wie kann es möglich sein,

Daß Mittel der Zerstörung Du erdacht,

Die Gutes nimmer, Schaden stets gebracht.

Daß alle Sachen nur zum Besten dienen,

Beweisen die Gelehrten. – Aber ihnen

Will ich das Disputiren überlassen.

Ich kann es nicht begreifen und erfassen.

Mein Schluß ist nur: Gott, welchem Wind und Wetter

Gehorchen muß, sei meines Herrn Erretter!

O, möchte Gott die schwarzen Felsenmassen

Zur Höllentiefe niedersinken lassen,

Die stets mit Angst um ihn mein Herz beschweren!«

– So sprach sie unter jammervollen Zähren.

Die Freunde sahen, daß am Meeresstrand

Sie nur Verdruß anstatt Vergnügen fand.

Drum wählten sie zum Spielplatz andre Stellen.

Sie führten sie zu Flüssen und zu Quellen,

Und suchten sie an andern schönen Plätzen

Durch Tanz und Schach und Brettspiel zu ergötzen.

Einst gingen sie mit Tagesanbeginn

Zu einem nah geleg’nen Garten hin,

Zu welchem Lebensmittel und Proviant

Mit weiser Vorsicht sie vorausgesandt,

Und spielten dort, bis niedersank die Sonne.

Der sechste Tag war’s in dem Mond der Wonne,

Es hatte Mai durch sanfte Regenwetter

Frisch aufgemalt die Blumen und die Blätter

Im ganzen Garten, der durch Kunst und Kraft

Der Menschenhand so schön und zauberhaft

Geschaffen war, das nur dem Paradies

Er sich an Pracht allein vergleichen ließ.

Der Blüthen Duft, der Blumen reicher Flor

Rief Munterkeit und heit’ren Sinn hervor

In jeder erdgebor’nen Brust, der Gram

Und Krankheit die Empfindung nicht benahm;

So voller Schönheit war er, voller Frische.

Gesang und Tanz begann sogleich nach Tische;

Doch theilnahmlos stand Dorigene da,

Erseufzend, klagend, denn ihr Auge sah

Nicht den als Tänzer in der Männerschaar,

Der ihr Gemahl und Herzgeliebter war.

Indessen faßte sie sich nach und nach,

Die Sorge schwand und Hoffnung wurde wach.

Vor ihr schwang unter andern sich im Tanz

Ein Junker, der an jugendfrischem Glanz

Und schmuckem Anzug – meiner Meinung nach –

Weit heller strahlte als der Maientag.

Es sang und tanzte nimmer wohl ein Mann

So schön wie er, seitdem die Welt begann.

Auch war er – will man eine Schilderung

Von ihm entwerfen – weise, stark und jung,

Vom Glück begünstigt tugendhaft und reich

Und wohlbeliebt und hochgeehrt zugleich.

Die Wahrheit zu gesteh’n, war überdies

Der lust’ge Junker, der Aurelius hieß,

Der Venus Diener, und verliebt war er

Seit langer Zeit in Dorigene mehr

Als in sonst irgendwelche Frau; doch wußte

Sie nichts von seiner Neigung, und so mußte

Er, ohne seine Noth gesteh’n zu dürfen,

Den Trank der Wehmuth ohne Becher schlürfen.

Dies trieb ihn zur Verzweiflung, denn sein Leiden

Vermocht’ in Liedern er allein zu kleiden

Als allgemeine Klage, daß er liebe,

Doch seine Neigung unerwidert bliebe.

Hierüber schrieb er manche Laiche nieder,

Rondeau’s und Klagen, Virelais und Lieder:

Er dürfe nimmer seine Sorge nennen,

Er müsse schmachtend in der Hölle brennen,

Ihm bringe noch, wie Echo um Narciß,

Verschmähte Liebe seinen Tod gewiß!

Nur so verblümt, wie hier erzählt, gestand

Er ihr die Leiden, die sein Herz empfand;

Obschon er sich nach junger Leute Brauch,

Die Freiheit nahm, in Tanz bisweilen auch

Mit solchen Blicken auf sie hinzuseh’n,

Wie Männer thun, die um Erhörung fleh’n.

Indeß sein Zweck blieb ihr ganz unverständlich.

Doch, eh’ das Fest vorbei war, führt’ ihn endlich

Des Zufalls Gunst in ihre Nachbarschaft,

Und da sie ihn als brav und tugendhaft

Seit langen Jahren kannte, so begann

Sie ein Gespräch mit ihm, in welchem dann

Aurelius, seinem Ziele nach und nach

Stets näher rückend, diese Worte sprach:

»Madam« – rief er – »beim Schöpfer dieser Welt!

Wär’ all Dein Leiden dadurch abgestellt,

So hätte sich für Dich Aurelius

An jenem Tage, als Arviragus

Das Meer durchschiffte, gern den Tod gegeben!

Ich weiß zu wohl, umsonst ist mein Bestreben,

Mein einz’ger Lohn – ist ein gebroch’nes Herz!

Laß, edle Frau, Dich rühren meinen Schmerz!

Ein Wort von Dir vernichtet oder rettet.

Ach! wollte Gott, ich läg’ vor Dir gebettet

In meinem Grab! Nicht weiter kann ich sprechen,

Hab’ Mitleid, Süße, soll mein Herz nicht brechen.«

Sie blickte nieder auf Aurelius

Und frug: »Ist das Dein Wille und Entschluß?

Zuerst, Aurelius, konnt’ ich’s nicht verstehn,

Doch jetzt« – sprach sie – »beginn’ ich’s einzuseh’n.

Indeß – bei Gott, dem Herrn von Seel’ und Leib! –

Ich werde nie als ungetreues Weib

In Worten oder Werken mich erzeigen,

Und dem ich mich verbunden, bleib’ ich eigen.

Betrachte dies als letzte Antwort Du!«

Indessen scherzend fügte sie hinzu

Und sprach: »Aurelius! – bei dem Herrgott droben! –

Ich will Dir dennoch Liebe zugeloben,

Weil Du so flehentlich darnach begehrt hast.

Sieh’! an dem Tag, an dem Du weggekehrt hast

Aus der Bretagne alle Felsenriffe

So gründlich Stein um Stein, daß keine Schiffe

Daselbst mehr scheitern, und die Küste rein

Von allen Klippen ist und jedem Stein,

Will ich Dich mehr als jede Kreatur

Auf Erden lieben! – Dieses ist mein Schwur.

Denn das wird – weiß ich sicher – nie geschehen.

Laß solche Thorheit aus dem Sinn Dir gehen.

Weßwegen reizt Euch Männer nur ein Weib,

Das einen Gatten hat, der ihren Leib

Genossen hat, so oft es ihm behagte?«

Schwer seufzte nun Aurelius und fragte:

»Bleibt denn kein einz’ger Hoffnungsschimmer mein?«

Sie sprach: »Bei Gott, der mich erschaffen! – Nein!«

Sobald Aurelius dieses Wort vernahm,

Sprach er zu ihr in seinem Herzensgram:

»Madam! durch solch’ unmögliches Gebot

Treibt ihr mich jählings in den grausen Tod!«

Und mit den Worten ging er von ihr fort.

Bald kehrten Freunde, welche – hier und dort

Zerstreut im Garten – dieser letzten Scene

Nicht beigewohnt, zurück zu Dorigene;

Und rasch begann von Neuem Spiel und Tanz.

Und als erloschen war der Sonne Glanz,

Die längst sich hinterm Horizont verkrochen,

Das heißt, nachdem die Nacht hereingebrochen,

Ging froh und heiter Jedermann nach Haus.

Jedoch Aurelius nehm’ ich davon aus,

Der heimwärts zog mit sorgenvollen Sinnen.

Er hoffte kaum, dem Tode zu entrinnen,

Ihm zu erkalten schien bereits das Herz,

Und seine Hände hob er himmelwärts,

Und warf in wilder Fieberphantasie

Sich zum Gebete nieder auf die Knie.

Vom Weh’ getrübt war des Verstandes Licht,

Und was er sagte, wußt’ er selber nicht;

Doch sprach er so, und klagte jammervoll

Sein Leid der Göttin und zunächst Apoll:

»Du Gott der Sonne!« rief er – »Reichsverweser

Der Pflanzen, Bäume, Blumen und der Gräser,

Der allen, nach dem Standpunkt, den du nimmst,

Die Dauer und die Blüthezeit bestimmst,

Bald hoch, bald niedrig Deine Herberg’ wählend.

Auf mich, Aurelius, wirf in meinem Elend,

Dein Gnadenauge! Sonst bin ich verloren!

Mein Liebchen, Herr! hat mir den Tod geschworen!

Drum zeige Du, da jeder Schuld ich ledig,

Dich meinem todeskranken Herzen gnädig!

Denn wahrlich, Phöbus, sie nur ausgenommen –

Kann Deine Hülfe mir am Besten frommen.

Drum nimm in Gnaden meinen Rathschlag an,

Wodurch und wie mir Rettung werden kann.

Lucina, deine Schwester, diese hehre

Und segensreiche Königin der Meere,

Die – ob Neptun darüber zwar regiert –

Als Obergöttin doch den Scepter führt,

Beseelt – wie Du es weißt – das heiße Streben,

Durch Deine Gluth zu leuchten und zu leben;

Drum folget sie beständig Deiner Spur.

Und so bestrebt das Meer sich von Natur

Der Göttin nachzufolgen, die zumal

Das Meer beherrscht, wie Flüsse breit und schmal.

Darum, Herr Phöbus! lautet so mein Flehen:

Thu’ dieses Wunder, sonst muß ich vergehen!

Wenn Ihr Geschwister Euch in nächster Zeit

Im Bild des Löwen gegenüber seid,

So mache, daß sie eine Hochfluth bringe,

Die mindestens fünf Faden überspringe

Bretagnens allerhöchste Felsenwände,

Und nicht vor Ablauf von zwei Jahren ende.

Dann darf ich sprechen: ›Halte mir Dein Wort,

Verehrte Frau! – Die Felsen sind jetzt fort!‹

Für mich, Herr Phöbus, dieses Wunder thu’!

Heiß’ sie nicht schnellern Laufs zu geh’n, als Du!

Ich sage dieses: Deine Schwester bitte,

Mit Dir zwei Jahre lang in gleichem Schritte

Zu bleiben. Dann wird steter Vollmondschein

Und Tag und Nacht beständig Springfluth sein.

Doch will sie nicht in dieser Art gewähren,

Mir meine theure Herrin zu bescheeren,

So bitte sie, jedwede Felsenwand

Hinab zu senken in ihr dunkles Land.

Tief in die Erde, dort, wo Pluto wohnt,

Da mich sonst nimmer ihre Liebe lohnt!

Barfuß nach Delphi will ich, Phöbus wallen

Zu Deinem Tempel! – Von den Wangen fallen,

Sieh’, meine Zähren – und erbarme Dich!«

Mit diesem Worte sank er jämmerlich

In Ohnmacht nieder, und lag lange Zeit,

Bis ihn sein Bruder, dem sein Herzeleid

Bekannt war, aufhob und zu Bette trug.

Hier lag der Aermste jammervoll genug,

Und mag – statt meiner – nun in seiner Noth

Selbst wählen zwischen Leben oder Tod.

Arviragus, des Ritterstandes Blume,

War heilen Leibes unter großem Ruhme

Mit würd’gen Mannen wieder heimgekehrt.

Welch’ Glück ist, Dorigene, Dir bescheert,

Da Dir im Arme wieder wohlgemuth

Dein frischer Ritter, Held und Gatte ruht,

Der Dich mehr lieb hat, als sein eig’nes Leben!

Sich grillenhaftem Argwohn hinzugeben,

Ob zu ihr Jemand während seiner Reise

Von Liebe sprach, lag nicht in seiner Weise;

Er plagte sich mit solchen Grillen nicht.

Er denkt nur an Vergnügen, tanzt und ficht.

Und so verlass’ ich ihn in Lust und Glück,

Und kehre zu Aurelius zurück.

Sehnsüchtig, elend und gequält, litt schwer

Aurelius zwei Jahre lang und mehr,

Bevor den Fuß er auf den Boden setzte.

Kein andrer Trost in dieser Zeit ihn letzte,

Als solcher Zuspruch, welchen der gelehrte,

Vertraute Bruder seinem Leid gewährte.

Denn sicherlich mit keiner Kreatur

Sprach er ein Wörtchen von der Sache nur.

Verschlossen trug im Busen er sein Weh,

Wie Pamphilus für seine Galathee.

Von Außen freilich schien die Brust zwar heil,

Doch tief im Herzen stak der scharfe Pfeil;

Und in der Heilkunst – das ist Jedem klar –

Sind inn’re Wunden immer von Gefahr,

Wenn an den Pfeil man nicht gelangen kann.

Wehklagend sah’s der Bruder heimlich an,

Bis es zuletzt in ihm begann zu tagen;

Und wie die jungen Schüler darnach jagen,

In allen Winkeln und in allen Ecken

Von fremden Künsten etwas zu entdecken,

Was wunderbar erscheinet und belangreich,

So fiel ihm ein, daß er ein Buch in Frankreich

Zu Orleans sah, wo er sein Studium trieb,

Das die natürliche Magie beschrieb;

Denn heimlich hatte dies sein Kamerad

– Zu jener Zeit ein Rechtsbaccalaureat –

Obschon es in sein Fach nicht schlug, besessen

Und eines Tags auf seinem Pult vergessen.

Viel stand im Buch von den Operationen

Der achtundzwanzigfachen Mondmansionen

Und andre Thorheit; doch was drin gelehrt,

Ist heute kaum noch eine Fliege werth;

Denn uns zu schützen weiß vor Illusion

Die heil’ge Kirche durch den Glauben schon.

Und als er dieses Buches sich entsann,

Fing froh das Herz in ihm zu hüpfen an,

Und zu sich selber sprach er still: »Ich heile

Jetzt meinen Bruder in ganz kurzer Weile.

Denn Wissenschaften giebt es – das steht fest –

Durch die sich manches Wunder machen läßt,

Wie’s jene Taschenspieler schlau verstehen.

Man hat an Festen – hört’ ich – oft gesehen,

Wie sich ein großer Saal auf ihr Gebot

Mit Wasser füllte, auf dem dann ein Boot

In jener Halle kam einher geschwommen.

Bald sah man einen grimmen Löwen kommen,

Bald Blumen, wie sie auf den Wiesen prangen,

Bald roth und weiß am Weinstock Trauben hangen,

Und bald aus Kalk und Steinen ein Kastell;

Und auf Geheiß schwand Alles wieder schnell.

So trug sich’s zu nach allem Augenschein.

Drum sollte – schließ’ ich – aufzufinden sein

In Orleans ein alter Mitstudent,

Der die natürliche Magie noch kennt

Und noch vertraut ist mit den Mondmansionen,

Soll Gegenliebe meinen Bruder lohnen!

Denn wohl mag ein Gelehrter es versteh’n,

Daß durch ein Trugbild scheinbar untergeh’n

Auch der Bretagne schwarze Felsenriffe

Und ab und zu am Ufer zieh’n die Schiffe.

Und währt der Spuk nur einen Tag bis zwei,

Sind meines Bruders Schmerzen auch vorbei,

Dann muß sie halten, was sie ihm versprach,

Und thut sie’s nicht, so trifft sie Schimpf und Schmach.«

Was soll ich davon sprechen breit und lang?

Zum Bett des Bruders lenkt’ er rasch den Gang

Und gab ihm solchen guten Trost und Rath,

Nach Orleans zu geh’n, daß in der That

Sein Bruder aufsprang und sofort von dannen

Voll Hoffnung zog, die Schwermuth zu verbannen.

Und als sie auf Entfernung von vielleicht

Ein bis zwei Stunden jene Stadt erreicht,

Sprach, höflich grüßend, sie ein junger Mann,

Der dort spazierte, auf Lateinisch an

Und redete verwunderlicher Weise:

»Ich kenne schon den Grund von Eurer Reise.«

Und theilte drüber, eh’ nur einen Schritt

Sie weiter gingen, ihnen Alles mit.

Nun stellte der Bretone manche Frage,

Betreffend die Bekannten alter Tage.

Doch ihm ins Auge manche Thräne kam,

Als er von Allen nur den Tod vernahm.

Von seinem Pferde sprang Aurelius dann

Und schleunig führte sie der Wundermann

Zu sich ins Haus und sorgte dort aufs Beste

Für Trank und Speise nach der Wahl der Gäste.

Fürwahr, Aurelius fand so wohl bestellt

Noch keinen Haushalt auf der ganzen Welt.

Der Meister wies ihm Abends vor dem Mahl

In Park und Wald des Wildes reiche Zahl.

Da sah er Hirsche mit Geweihen steh’n,

So mächtig, wie kein Auge je geseh’n.

Da sah er hunderte zerfleischt von Hunden,

Vom Pfeil durchbohrt und blutend aus den Wunden.

Dann war’s vorbei, und statt der wilden Thiere

Sah er auf schönem Flusse Falkoniere,

Sah nach dem Reiher ihre Falken fliegen,

Sah auf dem Plane Ritter sich bekriegen.

Dann wies sich ihm als größter Hochgenuß

Im Tanze seine Dame noch zum Schluß,

Mit der er selber tanzte, wie er dachte.

Und als der Meister, der dies Werk vollbrachte,

Sah, daß es Zeit war, schlug er in die Hände,

Und – Lebewohl! – der Zauber war zu Ende.

Doch aus dem Haus entfernten sie sich nimmer.

In seinem Studio- oder Bücherzimmer

Erblickten sie die ganze Zauberei,

Dort ruhig sitzend, immer nur selbdrei.

Der Meister seinen Junker herbefahl

Und frug: »Wie steht’s um unser Abendmahl?

Fast eine Stunde – denk’ ich – schon enteilte,

Seit ich dazu den Auftrag Dir ertheilte,

Und ich mit diesen würd’gen Herren in

Mein Bücherzimmer eingetreten bin.«

»Herr!« – sprach der Junker – »wenn es Euch gefällt,

Speist Ihr sogleich. – Die Tafel ist bestellt!«

»Wohlan« – sprach er – »geh’n wir zum Abendbrod!

Ein wenig Ruhe thut Verliebten Noth.«

Berathen ward, nachdem getafelt war,

Sodann zunächst des Meisters Honorar,

Wenn felsenrein zu kehren er die Küste

Von der Garonne bis zur Seine wüßte.

Er machte Schwierigkeiten, und er schwur;

So Gott ihm helfe! ungern thät’ er’s nur,

Und tausend Pfund sei wahrlich kaum genug.

Aurelius, dem das Herz vor Freude schlug

Entgegnete: »Pfui, über tausend Pfund!

Die ganze Welt, der Erde weites Rund,

Wollt’ ich drum geben, wären sie nur mein!

Der Handel gilt! Wir kamen überein!

Ich werde redlich zahlen – auf mein Wort!

Jedoch – kein Aufschub und Verzug hinfort!

Nicht länger als bis morgen halt’ uns auf!«

»Nein!« – sprach der Meister – »nimm mein Wort darauf!«

Und als Aurelius bald zu Bette ging,

Ihn süßer Schlaf die Nacht hindurch umfing

Mit Hoffnungsträumen künft’ger Seligkeit

Nach seiner Arbeit, seinem Herzeleid;

Am nächsten Tag, sobald der Morgen da,

Sich gradeswegs auf nach Armorika

Aurelius und der Zaubermeister machten,

Und stiegen ab, wo sie zu bleiben dachten.

Dem Buche nach geschah’s im frost’gen, kalten

Decembermond – ich hab’s genau behalten. –

Phöbus, gealtert und wie Messing fahl,

Der schimmernd einst den glühend gold’nen Strahl

Zur heißen Zeit des Sommers abgesandt,

Nunmehr schon tief im Bild des Steinbocks stand,

Und schien dort trübe – wie gesagt – und matt.

In keinem Garten blieb ein grünes Blatt;

Nichts hatte Regen, Frost und Schnee gespart.

Am Feuer sitzt mit seinem Doppelbart

Janus und trinkt aus Büffelhörnern Wein,

Vor sich das Fleisch vom scharfbezahnten Schwein,

Und »Noël!« ruft ein jeder lust’ge Mann. –

Aurelius thut Alles, was er kann,

Den Meister zu bewirthen und zu ehren;

Doch Eile blieb sein dringendstes Begehren:

Er müsse schleunigst heilen seinen Schmerz;

Wo nicht, durchstäch’ er mit dem Schwert sein Herz!

Der kluge Mann, der seinen Kummer theilte,

Sich Tag und Nacht mit aller Kraft beeilte,

Um auszurechnen seine beste Zeit;

Das heißt: zur Täuschung die Gelegenheit,

Daß mittelst einer Phantasmagorie

– Ich weiß zwar nicht, ob die Astrologie

Den Ausdruck kennt – sie und ein Jeder meine,

Aus der Bretagne seien Fels und Steine

Ins Meer gesunken oder sonst verschwunden.

Und endlich war die Zeit herausgefunden

Für diese bösen und verruchten Possen,

Die aus verfluchtem Aberglauben sprossen.

Die Tafeln von Toledo nahm zur Hand er,

Wohl corrigirt; und keinen Fehler fand er

In seinen Wurzeln, seinen Umlaufsjahren,

Ob sie collecte, ob expanse waren.

Auch seine Kreise, seine Argumente

Und die proportionalen Elemente

Für seine Gleichung stimmten auf das Haar.

Und durch die achte Sphäre ward ihm klar,

Wie weit bereits sich der Alnath dort oben

Vom Haupt des Fixsterns Aries verschoben,

Der angehört dem neunten Sphärenkreise.

Dies calculirt’ er auf die schlau’ste Weise;

Und als berechnet war das erste Haus,

Fand er den Rest durch Proportion heraus.

Er wußte, wann und wo der Mond aufging,

Termine, Phasen und jedwedes Ding;

Er kannte gründlich alle Monomansionen

Mit ihren Einfluß auf Operationen;

Er kannte gleichfalls sonst noch Observanzen

Für Täuschungen und solche Firlefanzen,

Wie damals sie beim Heidenvolk im Schwange.

Er zögerte deßwegen nicht mehr lange,

Und scheinbar schaffte seine Zauberei

Die Felsen fort für einen Tag bis zwei.

Aurelius, verzweiflungsvoll vor Wehe,

Ob er gewinne oder leer ausgehe,

Erwartete das Wunder Tag und Nacht;

Und als er ohne Hinderniß vollbracht

Es sah und fand, die Felsen waren fort,

Warf zu des Meisters Füßen mit dem Wort

Er sich zur Erde: »Laß, o Herr, mich danken,

Venus und Euch, daß Ihr den sorgenkranken

Und leidenden Aurelius habt geheilt!«

Und zu dem Tempel eilt er unverweilt,

Wo seine Dame war, wie ihm bekannt;

Und als dazu Gelegenheit er fand,

Begrüßte zweifelsbang und demuthsreich

Er seine theure Herrin auch sogleich:

»Gerechte Frau!« – sprach der gequälte Mann –

»Dich fürcht’ ich und Dich bet’ ich liebend an!

Nicht für die Welt würd’ ich mich unterfangen,

Dich je zu kränken. – Doch soll nicht Verlangen

Nach Dir das Herz mir auf der Stelle brechen,

So muß ich jetzt von meiner Liebe sprechen.

Wenn ich nicht sterben soll, muß ich Dir sagen:

Du hast mit Schmerzen schuldlos mich geschlagen;

Doch läge Dir auch nichts an meinem Leben,

Bedenke wohl – Du hast Dein Wort gegeben.

Du magst vor Gott dies reuig überlegen,

Eh’ Du mich tödtest meiner Liebe wegen.

Verehrte Frau! Du weißt, was Du versprochen.

Doch Gnade nur, statt auf mein Recht zu pochen,

Verlang’ ich, theure Herrscherin, von Dir.

Wozu in jenem Garten Du Dich mir

Verpflichtet hast und was Du in die Hand

Mir zugeschworen, ist Dir wohl bekannt.

Gott weiß! die höchste Liebe sagtest Du,

So unwerth ich derselben bin, mir zu.

Madam! ich spreche Deiner Ehre wegen,

Nicht weil an meinem Leben mir gelegen.

Was Du befohlen hast, das ist gescheh’n.

Beliebt es Dir, kannst Du es selber seh’n.

Thu’, was Du willst! – Doch Deinen Eid bedenke,

Ob Tod ob Leben Deine Hand mir schenke,

Ich nehme hin, was Du für gut befunden.

Jedoch – ich weiß – die Felsen sind verschwunden!«

Er eilte fort. – Doch sie blieb staunend steh’n,

Mit blutlos blassem Antlitz; vorgeseh’n

War eine solche Falle von ihr nie.

»Ach, daß mich dieses treffen muß!« – rief sie.

»Ich wähnte nicht, daß solche Zauberei,

Daß solches Wunder jemals möglich sei

Zuwider den Gesetzen der Natur!«

Und heimwärts schwankt die arme Kreatur

Mit schwerem, durch die Furcht gelähmtem Gang.

Sie klagt und weint ein bis zwei Tage lang,

– In ihrer Ohnmacht traurig anzuschauen. –

Doch wollte Keinem sie den Grund vertrauen;

Denn ihr Gemahl war aus der Stadt auf Reise.

Und still für sich sprach sie in dieser Weise,

Verstörten Blick’s mit blassem Angesichte

Die Jammerworte, die ich Euch berichte:

»Ach!« – rief sie – »Dir, Fortuna, gilt mein Klagen!

In Fesseln hast Du jählings mich geschlagen,

Die zu zerreißen – weiß ich – nur der Tod

Vermögend ist, da mir Entehrung droht;

Und zwischen diesen zwei’n muß ich entscheiden.

Jedoch viel lieber will ich Tod erleiden,

Als meinen Leib durch Schande zu entweih’n,

Oder durch Wortbruch sonst beschimpft zu sein.

Doch jeder Schmach kann mich mein Tod entheben.

Hat es nicht manches edle Weib gegeben

Und manches Mädchen, das den Tod erwählte,

Eh’ ihren Leib der Schande sie vermählte?

Gewißlich! Das bezeugen diese Sagen.«

Als Phidon in Athen beim Fest erschlagen

Von jenen dreißig Mordtyrannen war,

Da ließen der gefang’nen Töchter Schaar

Sie splinternackt zur Fröhnung ihrer Laster

Vor sich erscheinen, daß sie auf dem Pflaster

– Gott möge strafen solchen Uebermuth! –

Vor ihnen tanzten in des Vaters Blut.

Heimlich entrannen voller Furcht und Schrecken

Die armen Mädchen, um nicht zu beflecken

Ihr Jungfernthum und – dem Berichte nach –

Ertränkten sie sich in dem nächsten Bach.

Es suchten sich in Sparta aus und nahmen

Einst die Messenier fünfzig junge Damen,

An ihnen ihre Fleischeslust zu stillen.

Doch alle widerstanden ihrem Willen;

Entschlossen trotzten alle dem Gebot

Und gingen lieber freudig in den Tod,

Als ihrem Mädchenthume zu entsagen.

Warum soll ich denn vor dem Tode zagen?

Sieh’ den Tyrannen Aristoklides,

Der einst geliebt die Maid Stymphalides.

Zum Dianatempel floh sie in der Nacht,

In welcher man den Vater umgebracht;

Und um das Bildniß dieser Gattin schlang

Die Arme sie; und selbst durch keinen Zwang

Zog man sie fort; sie hielt es fest umwunden,

Bis durch Gewalt sie dort den Tod gefunden.

War diesen Mädchen schmachvoll es erschienen;

Der faulen Lust der Männerwelt zu dienen,

Sollt’ auch ein Weib – so denk’ ich – lieber sterben,

Als ihren Leib durch Unzucht zu verderben!

Was sagt’ ich nur vom Weib des Hasdrubal,

Die sich den Tod gab bei Karthago’s Fall?

Sie sieht, das ganze Heer der Römer dringt

Zur Stadt hinein, und mit den Kindern springt

Sie in das Feuer, und freiwillig endet

Ihr Leben sie, eh’ sie ein Römer schändet.

Starb nicht Lukretia auch durch eigne Hand,

Als ihr Tarquin die Jungfernschaft entwandt?

Sie dachte, daß ein Leben sonder Ehre

Und guten Ruf die größte Schande wäre.

Durch Furcht und Jammer wurden auch die sieben

Jungfrau’n Milesiens in den Tod getrieben,

Damit kein Gallier ihre Unschuld raube.

Und tausend von Geschichten – wie ich glaube –

Könnt’ ich erzählen von der gleichen That.

So gab, als umgekommen Abradat,

Sein Weib den Tod sich zu derselben Stunde,

Und ließ in seine tiefe, weite Wunde

Ihr Blut entströmen mit dem Wort: »Nun kann

Mich fürderhin entehren nie ein Mann!«

Was nützt es mehr, Exempel vorzutragen?

Wie viele haben lieber sich erschlagen,

Als ihres Leibes Schändung zu erleben.

Drum besser ist’s, mein Leben hinzugeben

Als Ehr’ und Unschuld. – Dies ist mein Beschluß:

Getreu verbleib’ ich dem Arviragus,

Sollt’ ich mein Leben auch mit eignen Händen

Wie jene Tochter des Demotion enden,

Um nicht den Leib durch Schande zu entweih’n!

O, Sedasus! mit welcher Herzenspein

Las ich von Deinen Töchtern, die sich alle

Den Tod gegeben in dem gleichen Falle.

Und tiefes Mitleid rief in mir hervor

Die Maid von Theben, die um Nicanor

Sich aus demselben Grunde nahm das Leben.

So starb ein and’res Mädchen noch in Theben,

Die, von den Macedoniern arg bedroht,

Ihr Jungfernthum bewahrte durch den Tod.

Was sag’ ich von dem Weib des Nicerat,

Die makellos blieb durch die gleiche That?

So bot dem Alcibiades zu Liebe,

Daß nicht sein Leichnam unbestattet bliebe,

Sein treues Mädchen sich dem Tode dar.

»Seht, welch’ ein Weib« – rief sie – »Alceste war!

Hat nicht Homer Penelope genannt?

Kennt ihre Keuschheit nicht ganz Griechenland?

Steht nicht von Laodamia geschrieben,

Daß sie, nachdem vor Troja’s Wall geblieben

Prothesilaus, sie sich selbst entleibt?

Die edle Portia zu erwähnen bleibt;

Sie konnte nicht getrennt von Brutus leben,

Dem sie ihr ganzes, volles Herz gegeben.

Von Artemisia’s strengem Wittwenthum

Spricht noch die ganze Barbarei mit Ruhm.

Ein Spiegel bleibt, o, Teuta, Königin!

Für alle Weiber stets Dein keuscher Sinn.«

Ein bis zwei Tage weilte, also klagend

Und mit Gedanken an den Tod sich tragend,

Schon Dorigene, bis die dritte Nacht

Arviragus zu ihr zurückgebracht.

Der würd’ge Ritter fand sie thränenschwer

Und forschte nach. Jedoch sie weinte mehr

Und mehr und sprach: »Ach, daß ich je geboren!

Ich habe« – rief sie – »so und so geschworen!«

Und gab ihm kund, was ihr bereits vernommen.

– Was kann es mir zu wiederholen frommen? –

Doch heitern Blick’s versetzte drauf ihr Mann

Und redete mit Freundlichkeit sie an:

»Und ist das Alles, Dorigene? Sprich!«

»Ach, ach!« – sprach sie – »der Himmel schütze mich!

Es ist zu viel! und wär’ es Gottes Wille.«

»Nun, Weib!« – sprach er – »laß schlafen das in Stille.

Noch heute mag’s zum Guten sich gestalten;

Doch meiner Treu! Dein Wort sollst Du ihm halten!

Denn wie auf Gottes Gnade steht mein Hoffen,

So wäre lieber ich zu Tod getroffen,

Wie sehr ich Dir in Liebe zugewandt,

Als daß Du brächest Ehrenwort und Pfand!

Des Menschen Allerhöchstes ist sein Wort!«

So sprach er unter Thränen und fuhr fort:

»Bei Todesstrafe bleibt es Dir verwehrt,

So lang’ Du athmest und Dein Leben währt,

Von Deinem Unglück Jemandem zu sagen;

Wie ich mein Leid nach bester Kraft will tragen,

Darf man aus keiner Schmerzensmiene je

Errathen können Deines Herzens Weh!«

Den Junker und die Zofe rief er dann.

»Bringt Dorigene« – sprach er beide an –

»Sogleich zu dem ihr mitgetheilten Ort!«

So nahmen Abschied sie und gingen fort.

Doch weder von dem Zwecke, noch dem Grunde

Erhielten sie von Dorigene Kunde.

Der Zufall aber war Aurelius günstig,

Und dieser Junker, welcher liebesbrünstig

Nach Dorigene schmachtete, traf grade

Mit ihr zusammen, als auf nächstem Pfade

Sie durch die Stadt, wie sie Befehl empfing,

Mit raschen Schritten nach dem Garten ging.

Und zu demselben Garten ging auch er.

Er hatte lang’ gelauert schon vorher,

Ob sie ihr Haus, um auszugeh’n, verlasse,

Und traf sie so durch Zufall auf der Gasse.

Er grüßte sie vergnügt und guter Dinge

Und frug, wohin und welchen Weg’s sie ginge?

Sie aber sprach mit halb verwirrtem Sinn:

»Zu jenem Garten schickt mein Mann mich hin,

Dir Wort zu halten! – Weh’ mir, daß ich’s muß!«

Verwundert hörte dies Aurelius,

Und es begann sein Herz bei ihren Klagen

In tiefem Mitgefühl für sie zu schlagen,

Wie für Arviragus dem würd’gen Ritter,

Der Wort zu halten ihr befahl, so bitter

Er seines Weibes Opfer auch empfand.

Und so erwog, von Mitleid übermannt,

Aurelius, daß er in dieser Lage

Weit besser seines Fleischeslust entsage,

Als daß er eine Schurkerei vollbringe,

Die gegen Anstand, gegen Ehre ginge.

Mit kurzen Worten sprach er drum zu ihr:

»Madam! sag’ dem Arviragus von mir,

Dieweil ich seinen Edelmuth erkannt,

Und so verzweiflungsvoll Dich selber fand,

Dieweil er dulden wolle lieber Schmach,

Als daß Du brächest, was Dein Wort versprach,

So wollt’ auch ich weit lieber ewig leiden,

Als wie die Liebe stören von Euch Beiden.

Empfange, werthe Frau, in Deine Hand

Zurück ein jedes Jawort, jedes Pfand,

Das Du zuvor in Deinem ganzen Leben

Vom Tage der Geburt an mir gegeben.

In keiner Weise will ich durch ein Wort

Dich jemals tadeln. – Und so scheid’ ich fort

Vom besten, treusten Weibe, das ich fand

Und während meines Lebens je gekannt.

– Doch künftig mögen, wenn ihr Wort sie schenken,

Die Frau’n zuvor an Dorigene denken. –

Nur ohne Furcht! – Gewiß ein Junker kann

So edel handeln, wie ein Rittersmann!«

Ihm dankend, fiel sie auf die Kniee nieder,

Und eilte heim zu ihrem Gatten wieder,

Dem sie, was ihr vernommen habt, erzählte.

Doch meiner Treue! wie ihn das beseelte

Ist mir unmöglich, näher zu beschreiben.

Was soll ich länger bei der Sache bleiben?

Es lebte fort im seligsten Genuß

Frau Dorigene mit Arviragus.

Kein Zwiespalt trennte Beide fürderhin,

Er ehrte sie wie eine Königin,

Und ihm getreu blieb sie auf immerdar.

Mehr hört ihr nicht von diesem Ehepaar.

Den Tag verfluchte, welcher ihn geboren,

Aurelius, der all sein Geld verloren.

»Ach!« – rief er – »ach! daß ich versprochen habe

Eintausend Pfund von reinem Gold als Gabe

Dem Philosophen! – Wie schaff’ ich es an?

Ich bin – das seh’ ich – ein verlor’ner Mann!

Mein ganzes Erbgut muß ich jetzt verkaufen,

Ich bin ein Bettler, muß von dannen laufen,

Um meine Sippe hier nicht zu beschämen!

Vielleicht jedoch kommt es zum Einvernehmen,

Wenn ich versuchen will, ihm vorzuschlagen,

Von Jahr zu Jahr die Schulden abzutragen

Mit bestem Dank für die Gefälligkeit;

Dann lüg’ ich nicht und halte meinen Eid.«

Zum Koffer ging er mit betrübtem Sinn,

Und trug sein Gold zum Philosophen hin;

Fünfhundert Pfund an Werth war’s – wie ich denke –

Und bat, daß er die Frist ihm freundlich schenke,

Um nach und nach das fehlende zu zahlen.

»Nicht will ich, Meister!« sprach er – »damit prahlen,

Doch hielt ich stets, wozu ich mich verpflichtet,

Und sicherlich wird nach und nach entrichtet,

Was ich Dir schulde, mag, was will, gescheh’n,

Und sollt’ ich auch im Hemde betteln geh’n.

Jedoch, gewährtest Du auf Sicherheit

Vielleicht zwei Jahre oder drei mir Zeit,

Wär’ es mir lieb. – Doch willst Du es verweigern,

Wohlan! – so muß mein Erbgut ich versteigern!«

Der Philosoph gab Antwort ihm indessen

Auf diese Weise ruhig und gemessen:

»Hielt etwa ich an unserm Pakt nicht feste?«

»Gewiß« – sprach er – »getreulich und aufs Beste!«

»Und war die Dame, die Du liebst, nicht Dein?«

»Nein!« – rief er sorgenvoll erseufzend – »nein!«

»Aus welchem Grunde? – Wenn Du darfst, sag’ an!«

Worauf Aurelius den Bericht begann

Und ihm erzählte, was Ihr schon vernommen;

Es nützt zu nichts, darauf zurück zu kommen.

Er gab ihm kund: wie ritterlich sein Leid

Arviragus zu tragen sei bereit,

Wenn sie ihr Wort nur halte, das sie binde;

Wie schmerzlich Dorigene dies empfinde

Und lieber ihrem Leben gleich entsage,

Als daß sie sich als schlechtes Weib betrage.

Wie unschuldsvoll, da solche Zauberei

Sie nie geahnt, ihr Wort gegeben sei.

»Und da« – sprach er – »ich Mitgefühl empfand,

So schickt’ ich, ganz wie er sie mir gesandt,

Sie ihm freiwillig auch zurück ins Haus.

Mehr weiß ich nicht; denn damit ist es aus.«

Der Philosoph sprach: »Bruder! laß Dir sagen,

Ihr Beide habt Euch ehrenwerth betragen,

Du als ein Junker, er als Rittersmann!

Doch, ohne Sorgen! – auch ein Schreiber kann

So gut wie Ihr beweisen seine Ehre

– Und Gott verhüte, daß es anders wäre! –

Herr! ich verzichte auf die tausend Pfund,

Als ständest Du, soeben aus dem Grund

Hervorgekrochen, unbekannt vor mir.

Nicht einen Pfennig nehm’ ich an von Dir

Für meine Kunst und alle Müh’ und Last!

Da Du bezahlt für meine Nahrung hast,

So ist’s genug! – Lebwohl!« – und mit dem Wort

Bestieg er seinen Rappen und ritt fort.

Nun aber, Herren! laßt mich Euch befragen:

Wer hat sich hier am Edelsten betragen?

Was dünkt Euch? – Sprecht! bevor ihr weiter zieht.

Ich weiß nichts mehr! – Zu Ende ist mein Lied.

Der Prolog des Doctors.

Vers 14495–14500.

»Ei!« – rief der Wirth – »Laßt jetzt die Sache ruh’n!

Herr Arzt und Doctor. Euch ersuch’ ich nun

Erzählt uns eine sittsame Geschichte.«

»Hört Ihr mir zu, will ich mit dem Berichte

Beginnen« – sprach der Doctor und hub an:

»Ihr guten Leute, horchet Mann für Mann!«

Die Erzählung des Doctors.

Vers 14501–14786.

Einst lebte – sagt uns Titus Livius –

Ein Rittersmann, genannt Virginius,

So ehrenhaft wie bieder, und zugleich

An Freunden stark, sowie an Schätzen reich,

Dem eine Tochter seines Weibes Schooß

Allein gebar; sonst war er kinderlos.

Doch hier auf Erden sah man weit und breit

Kein schön’res Wesen, als die holde Maid,

An der mit Fleiß und höchstem Vorbedachte

Natur ein wahres Meisterstück vollbrachte,

Gleichsam, als um zu sagen: »Ich, Natur,

Bin nur im Stande, solche Kreatur

Zu formen. – Sagt, wer kann mich überstrahlen?

Pygmalion? – Nein! – Zwar ist im Meißeln, Malen,

In Schmieden, Hämmern er geschickt, indessen

Nicht er, noch Xeuxis und Apelles messen

Sich je mit mir in allen diesen Sachen,

Wenn sie versuchen, es mir nachzumachen.

Mich hat der erste Bildner dieser Welt

Zu seinem Generalvicar bestellt.

Was unterm wandelbaren Monde nur

Vorhanden ist, jedwede Kreatur

Kann nach Gefallen formen ich und malen,

Und lasse mir die Arbeit nicht bezahlen.

Mein Herr und ich sind stets in Harmonie,

Und meinem Herrn zur Ehre schuf ich sie;

Wie dies für alle Wesen gilt hienieden,

Sind Farben und Gestalten auch verschieden.«

– So würde, dünkt mich, sprechen die Natur. –

Das Mädchen zählte vierzehn Jahre nur,

Von dem Natur war solcher Art entzückt;

Sie, welche weiß die zarte Lilie schmückt

Und roth die Rose, hatte schon erlesen,

Noch eh’ geboren war dies edle Wesen,

Für ihren Leib dieselbe Farbenpracht,

Und auf den Gliedern schicklich angebracht;

Und gleich dem Gold der Sonnenstrahlen war

Gefärbt durch Phöbus ihr gelocktes Haar.

Doch übertraf den Schönheitsglanz der Jugend

In tausendfachem Maß noch ihre Tugend.

Es fehlte nichts, was man verständ’ger Weise

Erwähnen kann zu ihrem Lob und Preise.

Keusch war ihr Leib, und rein war ihr Gemüth,

Und jungfräulich war sie emporgeblüht

In aller Demuth und Bescheidenheit.

In Selbstbeherrschung und Enthaltsamkeit.

Stets hielt sie Maß in Kleidung und Betragen,

Gab sittsam Antwort auf gestellte Fragen,

Und ob sie weise gleich wie Pallas war,

Blieb ihre Sprache weiblich doch und klar.

Sie ahmte nicht die Modephrasen nach,

Um weise zu erscheinen. Was sie sprach,

War angemessen ihrem Stand und Rang

Und tugendhaft und anmuthsvoll von Klang.

Sie war von mädchenhafter Schüchternheit,

Doch fest von Sinn. Durch stete Thätigkeit

Verscheuchte sie die müß’gen Träumerei’n

Und ließ nicht Bachus ihren Meister sein.

Denn Wein und Trägheit schürt in uns so gut,

Wie bei dem Feuer Oel und Fett, die Gluth.

Von Zier und Zwang in ihrer Tugend frei,

Mied unterm Vorwand, daß sie leidend sei,

Sie dennoch solche Kreise, wo an Tand

Und Thorheit etwa man Gefallen fand.

Wohl bieten Feste, Tänze, Schmauserei’n

Gelegenheit zu manchen Tändelei’n,

Und wie bekannt ist, pflegen solche Sachen

Die Kinder frühreif, kühn und frech zu machen,

Was für gefährlich gilt und immer galt.

Denn allzukühn wird sich ein Mädchen bald,

Wenn sie zum Weib emporwächst, nur gebahren.

Erzieherinnen! die ihr – alt an Jahren –

Des Adels Töchter überwacht und lenkt,

Fühlt Euch durch meine Worte nicht gekränkt.

Erwägt, die Edelfräulein zu erzieh’n,

Ist aus zwei Gründen Euch das Amt verlieh’n:

Zuvörderst wegen Eurer Sittsamkeit,

Sodann vielleicht, weil ihr gefallen seid

Und daher mit dem alten Tanz bekannt,

Dem Ihr Euch nun für immer abgewandt.

Um Christi Willen! lehret stets die Pflicht

Der Tugend ihnen; – und versäumt es nicht!

Von einem Wilddieb, welcher aufgegeben

Die alte Kunst und Neigung hat, wird eben

Ein Forst am allerbesten überwacht.

Drum hütet sie! Es steht in Eurer Macht.

Sorgt, daß ihr Laster nie an ihnen billigt!

Verflucht seid Ihr, sofern Ihr darin willigt!

Denn wer das thut, übt sicher Hochverrath.

Drum seht Euch vor, und folget meinem Rath.

Ein schlimm’rer Hochverräther als die Pest

Ist, wer zu Fall die Unschuld kommen läßt.

Ihr Väter und ihr Mütter! ob ein Kind,

Ob viele Kinder Euch geboren sind,

Tragt stete Sorge für ihr Wohlergeh’n,

So lange sie in Eurer Obhut steh’n,

Damit sie durch das Beispiel, das ihr gebt,

Und weil Euch, sie zu strafen, widerstrebt,

Nicht ins Verderben kommen. – Hinterher

Bereut ihr’s, wahrlich, bitter oft und schwer.

Wenn schwach und pflichtvergessen ist der Hirt,

Manch’ Schaf und Lamm vom Wolf zerrissen wird.

Es mögen Euch genügen diese Lehren,

Denn zur Geschichte muß zurück ich kehren.

Die Maid, von der ich sprach, bedurfte kaum

Der Lehrerin. Sie hielt sich selbst in Zaum.

Denn wie in einem Buche war zu lesen

In ihrem Wandel, wie in Wort und Wesen

Ein sittsam’ Mädchen sich betragen soll.

Sie war so herzensgut und einsichtsvoll;

Weit drang der Ruf nach allen Seiten hin

Von ihrer Schönheit, ihrem Edelsinn.

Im ganzen Land pries man sie allgemein,

Wo Tugend galt. Es schwieg der Neid allein,

Den das betrübt, was andere beglückt,

Und das erfreut, was sie mit Kummer drückt.

– So ward vom Doctor Augustin geschrieben. –

Zur Stadt ging einst die Maid mit ihrer lieben

Und theuren Mutter, um nach Brauch der Frauen

Sich in dem nahen Tempel zu erbauen.

Nun war im Stadtbezirk zu jener Zeit

Ein Richter Pfleger der Gerechtigkeit,

Der von dem Platze, wo er grade stand,

Durch Zufall scharf den Blick auf sie gewandt,

Als dieses Mädchen ihm vorüber ging.

Und da sein Herz sofort auch Feuer fing,

Als ihre Schönheit ihm ins Auge stach,

So sann er in der Stille nach und sprach:

»Um jeden Preis wird dieses Mädchen mein!«

Gleich schlich der Teufel ihm ins Herz hinein

Und lehrte rasch ihm eine List ersinnen,

Zu seinem Zweck das Mädchen zu gewinnen.

Denn zu erreichen war – das sah er bald –

Dies weder durch Bestechung noch Gewalt.

Denn sie war stark an Freunden und zugleich

Im höchsten Grade keusch und tugendreich.

Und so begriff er, daß zur Lust und Sünde

Sie zu verführen, außer Frage stünde.

Er überlegte lange und besann

Auf einen Schurken in der Stadt sich dann,

Dem es an Kühnheit und an List nicht fehlte.

Ihn ließ er zu sich kommen und erzählte

Ihm insgeheim, was er im Sinne trage,

Ihn dabei warnend, daß er’s Keinem sage,

Sofern ihm Leben lieber sei als Tod.

Und als der Schuft sich zu der That erbot,

War hoch erfreut der Richter, der ihn pries

Und reich beschenken und bewirthen ließ.

Von Punkt zu Punkt – wie späterhin erhellt –

Ward dann der Plan von Beiden festgestellt

Nebst allen Schlichen, die geeignet schienen,

Zur Stillung seiner Liebesbrunst zu dienen.

Worauf den Schurken, welcher Claudius hieß,

Der falsche Richter Appius entließ.

– So war sein Name. Denn, was ich berichte,

Ist keine Fabel, sondern Thatgeschichte,

An deren Wahrheit man nicht zweifeln kann. –

Der falsche Richter ging sofort daran,

In schnellster Art zum Ziele zu gelangen;

Und so geschah’s, als kurze Zeit vergangen,

Und er – wie uns erzählt in der Geschichte –

Einst nach Gewohnheit saß in dem Gerichte,

Um zu entscheiden die vorhand’nen Fälle,

Daß raschen Schrittes jener Schandgeselle

Hervortrat und ihn ansprach: »Herr! versage,

Ich bitte Dich, mir Recht in meiner Klage,

Die gegen den Virginius lautet, nicht!

Im Fall er der Behauptung widerspricht,

Wird Zeugniß und Beweis von mir gestellt,

Daß wahr ist, was die Klageschrift enthält.«

Der Richter sprach: »So lang’ er nicht zur Stelle,

Geht es nicht an, daß ich mein Urtheil fälle.

Doch ruft ihn! Dann vernehm’ ich ihn nach Pflicht.

Dir wird Dein Recht! denn Unrecht giebt’s hier nicht.«

Virginius kam, wie’s ihm der Richter hieß,

Worauf die Klagschrift er verlesen ließ,

In der geschrieben stand, was ich Euch sage:

»Euch, werthem Herrn und Richter Appius, klage

Ich – Euer armer Diener Claudius –

Daß mir ein Ritter, der Virginius

Genannt wird, gegen Recht und Billigkeit,

Wie sehr ich protestirte, eine Maid,

Die noch in zartem Kindesalter stand,

Heimlich bei Nacht aus meinem Haus entwandt,

Obwohl durch Recht sie meine Sclavin war.

Wenn Ihr erlaubt, bring’ ich Beweise dar,

Daß sie – und wenn er’s noch so sehr bestritte –

Nie seine Tochter war. – Entscheidet, bitte,

In dieser Sache, was mein Recht betrifft.«

So war der Inhalt dieser Klageschrift.

Virginius sah erstaunt den Schurken an,

Indeß bevor er den Versuch begann,

Durch manche Zeugen und nach Ritterart

Ihm zu beweisen, daß sein Widerpart

Dies alles fälschlich ihm gelegt zur Last,

War der verfluchte Richter so in Hast,

Daß er zu schweigen den Virginius hieß,

Sein Urtheil sprach und sich vernehmen ließ:

»Entschieden ist: dem Mann gehört die Magd!

Sie zu behalten, wird Dir untersagt:

Du giebst zurück in des Gerichtes Hand

Sein Eigenthum! – So wird zu Recht erkannt.«

Als sich der Rittersmann Virginius

Durch diesen Spruch des Richters Appius

Gezwungen sah, zum liederlichen Leben

Dem Richter seine Tochter preis zu geben,

Ging er zu Haus und trat in seinen Saal,

Wohin zu kommen er der Maid befahl.

Und als er ansah, wie sie demuthsreich

Vor ihm erschien, ward er wie Asche bleich,

Da Mitleid tief sein Vaterherz erregte.

Doch hielt er fest am Vorsatz, den er hegte.

»Virginia!« – sprach er – »es giebt, theures Kind,

Zwei Wege nur, die für Dich offen sind:

Tod oder Schande! – Weh’! daß ich geboren,

Daß schuldlos Du zu solchem Loos erkoren,

Und enden mußt durch Messer oder Schwert!

O, Tochter, die mein Lebensmark verzehrt!

Du, die ich stets mit solcher Freude pflegte,

So treu beständig im Gedächtniß hegte,

O, meine Tochter! Du, das letzte Leid,

Die letzte Freude meiner Lebenszeit,

Du, keusche Perle, mit geduld’gem Sinn

Nimm Deinen Tod, den ich beschlossen, hin!

Nicht Haß – nein, Liebe Dir das Leben raubt,

Denn fallen muß durch diese Hand Dein Haupt!

Ach! daß Dich Appius jemals sah im Leben,

Und so dies falsche Urtheil hat gegeben.«

Den ganzen Fall gab er ihr kund sodann,

Was, als bekannt, ich übergehen kann.

»Mein Vater!« – rief das Mädchen – »hab’ Erbarmen!«

Und seinen Hals umschlang mit beiden Armen

Sie nach Gewohnheit, während jammervoll

Die Thränenfluth aus beiden Augen quoll.

»O, guter Vater!« – rief sie – »muß ich sterben?

Giebt’s Gnade nicht? – nicht Rettung vorm Verderben?«

»Nein, keine!« – sprach er – »theures Töchterlein.«

»Gewähre, Vater!« – rief sie – »nur allein

Mir kurze Frist, mein Ende zu beklagen.

Denn ehe seine Tochter er erschlagen,

Gewährte Jephta ihr die gleiche Huld.

Und weiß es Gott! sie trug daran nicht Schuld,

Daß sie als Erste war vorangegangen,

Um ihren Vater festlich zu empfangen.«

Und mit dem Wort sank sie in Ohnmacht hin.

Doch später, als zurückgekehrt ihr Sinn,

Erhob sie sich und sprach zum Vater dann:

»Gelobt sei Gott, daß keusch ich sterben kann!

Gieb mir den Tod! ich will nicht Schmach erleben!

Thut Eurem Kind, was Gott Euch eingegeben!«

So sprach sie zu ihm und bat immer wieder

Um sanften Tod und sank zu Boden nieder,

Wo sie alsdann bewußtlos liegen blieb.

Der schmerzzerriß’ne Vater aber hieb

Das Haupt ihr ab, hob es am Schopf empor,

Trug es zum Richter hin und wies es vor,

Als er noch Sitzung hielt in dem Gerichte.

Kaum sah’s der Richter – sagt uns die Geschichte –

Befahl er, ihn zu greifen und zu hängen.

Doch, voller Mitleid, ihn zu retten, drängen

Sich tausend Menschen Augenblick’s herbei,

Denn längst bekannt war seine Schurkerei.

Schon aus der Art, wie sich der Kerl benommen,

War Jedermann auf den Verdacht gekommen,

Daß Appius dahinter stecken müßte,

Denn zu bekannt war Allen sein Gelüste.

Drum zogen sie zu Appius hin, und ließen

Ihn in den Kerker auf der Stelle schließen,

Wo er sich selbst erschlug. – Und Claudius,

Den Knecht und Helfer dieses Appius,

Hätte der Henker an den Baum geknüpft,

Wär’ nicht durch diesen Umstand er entschlüpft,

Daß sich Virginius selbst für ihn verwandte,

So daß man ihn zur Strafe nur verbannte.

Sonst mußten Alle hängen, arm und reich,

Die thätig waren bei dem Bubenstreich.

Seht, ihren Lohn die Sünde stets erhält!

Seid auf der Hut! denn Niemand auf der Welt

Weiß, wann ihn Gottes Hand trifft, oder wann

Der Wurm Gewissen fängt zu nagen an.

Den schlechten Wandel, ob man noch so schlau

Ihn vor der Welt verbirgt, sieht Gott genau.

Denn, ob ihr thöricht oder weise seid,

Euch faßt die Furcht noch Alle mit der Zeit.

An meinem Rathe haltet darum fest:

Verlaßt die Sünde, eh’ sie Euch verläßt!

Der Prolog des Ablaßkrämers.

Vers 14787–14828.

Wie toll schwur unser Wirth in seiner Wuth:

»Holloh!« – rief er – »bei Nägeln und bei Blut!

Das war ein falscher Kerl, ein falscher Richter;

Verkommen möge dieses Rechtsgelichter

Und Advokatenpack in Schmach und Noth!

Indeß, was hilft’s? – Die gute Maid ist todt!

Ach, theuer kam die Schönheit ihr zu stehen!

Ich sage drum: man kann es täglich sehen,

Was uns geschenkt das Glück hat und Natur,

Gereicht zum Tod uns allzuhäufig nur!

Ihr Tod war ihre Schönheit, darf ich sagen.

O, weh! wie elend wurde sie erschlagen!

Wie oft doch Menschen von den beiden Gaben,

Die ich genannt, mehr Harm als Nutzen haben!

Doch, theurer Meister! eins kann ich beschwören,

Dein Sachbericht war traurig anzuhören.

Indessen, was vorüber ist, laßt fahren!

Gott möge Deinen edlen Leib bewahren,

Sowie Dein Harnglas und Latwergenfaß,

Deine Galienen, Deinen Ypokras

Und Deine Nachtgeschirre. – Segne sie

Der Herrgott und die heilige Marie!

Denn – bei St. Ronian! – Du bist in der That

Ein wack’rer Mann und ganz wie ein Prälat!

Sprach ich nicht gut? – Ich bin nicht phrasenreich;

Jedoch ich weiß, Du hast mein Herz so weich

Und trüb gestimmt, daß mir ein Brustkrampf droht.

Beim Corpus Christi! mir thut Theriak Noth!

Doch hilft ein Trunk von gutgemalztem Bier,

Ein lust’ger Schwank vielleicht noch besser mir!

Das Mädchen macht mein Herz so mitleidsschwer.

Du, Ablaßkrämer, bel ami!« – rief er –

»Mit einem lust’gen Spaß bedien’ uns nun!«

»Beim heil’gen Ronian! gerne will ich’s thun!

Doch einen Bierkranz« – sprach er – »seh’ ich winken;

Da muß zuvor ich Kuchen kau’n und trinken!«

Die feinern Herr’n begannen gleich zu schrei’n:

»Nein, unterlassen soll er Zoterei’n!

Erzählst Du uns, was bessert und belehrt

Und witzig ist, sei Dir Gehör gewährt.«

»So sei’s!« – sprach er – »auf etwas, das sich paßt,

Besinn’ ich mich, wenn ihr mich trinken laßt!«

Die Erzählung des Ablaßkrämers.

Vers 14829–15468.

Ihr Herr’n! Wenn meine Stimme mit Gewalt

Bei meiner Predigt durch die Kirche schallt,

Tönt sie, wie eine Glocke, rund und voll;

Denn memorirt hab’ ich, was kommen soll.

Mein Thema ist und war und bleibt stets das:

Radix malorum est cupiditas!

Erst mach’ ich kund, von wannen ich gekommen;

Dann werden meine Bullen durchgenommen,

Dann weis’ ich auf das Königssiegel hin

An dem Patent, damit ich sicher bin,

Daß Priester nicht und Küster sich erfrechen,

Mich in dem heil’gen Werk zu unterbrechen.

Und hinterher beginn’ ich zu erzählen.

Von Päpsten, Patriarchen, Kardinälen,

Bischöfen weiß ich Bullen aufzutischen,

Ein Wort Latein dem Vortrag einzumischen,

Daß ich die Predigt würze, sie belebe,

Und so die Andacht meiner Hörer hebe.

Dann werden meine Gläser mit den alten,

Zerbroch’nen Knochen ihnen vorgehalten,

Und für Reliquien sieht sie Jeder an.

Ein Schulterbein in Messing zeig’ ich dann

Von einem heil’gen Judenschafe vor:

»Ihr, guten Leute!« – sprech’ ich – »spitzt das Ohr!

In einer Quelle wascht den Knochen hier;

Und wie geschwollen Kalb, Schaf, Kuh und Stier

Vom Biß und Stich der Würmer sind und Maden,

Laßt nur des Thieres Zunge darin baden,

So wird es heil für immer auf der Stelle. –

Kuriren kann ein Schluck aus dieser Quelle

Von Räude, Pocken und von aller Plage

Jedwedes Schaf! – Behaltet, was ich sage!«

Wenn wöchentlich, bevor der Hahn gekräht,

Der Herr des Thieres zu der Quelle geht,

Und schöpft daraus sich nüchtern einen Trunk,

Vermehren sich – nach Ueberlieferung

Des heil’gen Juden – bei ihm Vieh und Frucht!

Und, meine Herr’n! – es heilt auch Eifersucht!

Ist diese Wuth bei Jemand ausgebrochen,

Laß aus dem Wasser er sich Suppe kochen,

Sodann mißtraut er nimmer seiner Frau,

Und kennt’ er auch die Schuld von ihr genau,

Ja, hielte sie’s mit mehr als einem Pfaffen!

Hier, diesen Handschuh mögt ihr jetzt begaffen!

Steckt in denselben Jemand seine Hand,

Vervielfacht sich sein ganzer Fruchtbestand,

Ob Hafer er gesät hat oder Weizen.

– Nur müßt ihr nicht mit Deut und Groschen geizen! –

Doch, Herrn und Frauen! seid gewarnt von mir,

Ist irgend einer in der Kirche hier,

Der auf sich lud so große Sündenlast,

Daß, sie zu beichten, ihn die Scham erfaßt,

Sind alte, oder junge Frau’n zugegen,

Die Männern Hörner aufzusetzen pflegen,

So darf und will ich keine Opfergaben

Von solchem Volk für die Reliquien haben.

Doch trage, wer von solchem Tadel frei,

In Gottes Namen zu dem Opfer bei;

Und von den Sünden absolvir ich ihn,

Wie mir die Bulle dazu Macht verlieh’n.

– Der Kniff verschaffte hundert Mark im Jahr

Mir stets, seitdem ich Ablaßkrämer war. –

Ganz wie ein Theologe stell’ ich mich

Auf meine Kanzel. – Setzt der Pöbel sich,

Beginnt die Predigt, wie ich schon berichtet,

Mit hundert Lügen, die ich zugedichtet.

Ich reck’ und strecke meinen Hals und blicke

Hinab aufs Volk nach Ost und West und nicke,

Wie eine Taube auf dem Scheunendache.

Mit Hand und Zunge bin ich bei der Sache,

So daß sich Alle meines Eifers freu’n.

Ich pred’ge stets, vor Lastern sich zu scheu’n,

Wie Geiz und Habsucht; doch im Pfennigschenken

Nicht karg zu sein – und meiner zu gedenken.

Mein ganzes Streben ist zu profitiren,

Nicht etwa sie von Sünden zu kuriren.

Sind sie begraben, ist mir’s einerlei,

Wie brombeerschwarz auch ihre Seele sei.

Denn, sicher, hinter mancher Predigt steckt

Gar schlimme Absicht. Oft wird nur bezweckt,

Dem Volke Schmeicheleien darzubringen,

Durch Heuchelei sich rasch emporzuschwingen,

Indessen Haß und Ruhmsucht Andre treibt,

Wenn ich es sonst nicht wagen darf, so bleibt

Mir noch der Weg, mit meiner Zunge Jeden

Scharf durchzuhecheln in den Kanzelreden

Und Jeden zu verläumden ungestraft,

Der mich beleidigt und die Brüderschaft.

Und führ’ ich Keinen auch mit Namen an,

Den, wer gemeint ist, kennt doch Jedermann,

Da es aus meinen Winken leicht erhellt;

Und das fühlt Jeder, welcher uns mißfällt.

So spuck’ ich Gift und Galle unterm Schein

Der Frömmigkeit, und gelte fleckenrein.

Denn kurz und gut, auf Treu’ und Ehrlichkeit!

Mein Grund der Predigt ist Begehrlichkeit.

Mein Thema ist und war und bleibt stets das:

Radix malorum est cupiditas.

So schelt’ ich auf das Laster, das zumeist

Ich selbst besitze, und das Habsucht heißt.

Von dieser Sünde, der ich mich ergab,

Zieh’ ich hingegen andre Leute ab,

Und suche sie vom Geize zu bekehren.

Indessen dies ist nicht mein Hauptbegehren

Aus eigner Habsucht halt’ ich meine Predigt;

Und damit sei die Sache nun erledigt.

Dann pfleg’ ich ihnen mancherlei Geschichten

Aus alter Zeit als Beispiel zu berichten,

Da solche Sachen der gemeine Mann

Gern nacherzählt und leicht behalten kann.

Wie, glaubt ihr, wenn mir Gold- und Silbergeld

So leicht durch Pred’gen in die Hände fällt,

Ich sollte dennoch freiwillig und gern

In Armuth leben? – Nein, das liegt mir fern!

Ich pred’ge mich und bettle mich durchs Land

Und thue keine Arbeit mit der Hand,

Von Körbeflechten brauch’ ich nicht zu leben,

Ich bettle fleißig – und mir wird gegeben.

Nicht die Apostel ahm’ ich nach. – Auf Geld,

Korn, Käse, Wolle ist mein Sinn gestellt;

Und schenkt sie mir im Dorf der ärmste Knecht,

Die ärmste Wittwe – mir ist Alles recht;

Ob ihre Kinder auch verhungern müssen.

Nein! Rebensaft will trinken ich und küssen

Die schmuck’sten Dirnen in jedwedem Ort!

Horcht auf, ihr Herr’n! Ich werde nun sofort

– Wie’s Euch beliebt hat – zur Geschichte kommen.

Mein Schlückchen Doppelbier hab’ ich genommen,

Und – wie zu Gott ich hoffe – wird Euch Allen,

Was ich erzähle, zweifellos gefallen.

Zwar bin ich selbst ein lasterhafter Mann,

Jedoch, gewohnt um Geld zu pred’gen, kann

Ich auch moralisch reden, wenn ich will;

Und jetzt beginn’ ich – drum schweigt Alle still!

In Flandern war von jungen Zechgenossen

Einst eine Bande, die Hasard und Possen

Und Rauferei in jeder Schenke trieb,

Beim Würfelspiele Tag und Nacht verblieb,

Zum Lauten-, Harfen- und Ginternenklang

Dort tanzte, speiste und gewaltig trank.

So hielten in des Teufels eigenem Haus

Verruchter Weise sie bei üpp’gem Schmaus

Ihr Teufelsopfer, fluchten laut und schworen

So grauenhaft, daß es für reine Ohren

Entsetzlich klang. Auch rissen sie in Stücke

Des Herren Leib, als ob der Juden Tücke

Nicht zur Genüge schon zerfetzt ihn hätte,

Und spotteten der Sünde um die Wette.

Dann kamen hübsche, schlanke Tänzerinnen

Und junge Obst- und Waffelhändlerinnen,

Und Huren, Harfenmädchen und was mehr

Als Officier dient in des Teufels Heer,

Die fleischlichen Begierden zu entflammen.

Denn Völlerei und Kitzel wohnt beisammen.

Die heil’ge Schrift kann darin Zeuge sein:

Zur Ueppigkeit reizt Trunkenheit und Wein.

Seht Loth Euch an! wie er in trunk’nem Muthe

Bei seinen beiden Töchtern schamlos ruhte,

Unwissend, was er in dem Rausch begann.

Auch von Herodes führen Bücher an,

Daß, an der Tafel sitzend bei dem Mahl,

Im Rausche zu enthaupten, er befahl,

Johann den Täufer, schuldlos wie er war.

Ein gutes Wort sprach Seneka, fürwahr,

Als er uns sagte: »Zwischen einen Mann,

Der trunken ist, und einem Tollen kann

Ich wesentlichen Unterschied nicht sehen.

Nur wird die Tollheit nicht so rasch vergehen,

Wie Trunkenheit, die meistens bald vorbei.«

O, schändliche, verruchte Völlerei!

O, Quelle jedes Jammers und Verderbens!

O, Urgrund der Verdammniß und des Sterbens,

Eh’ durch sein Blut erkauft uns Jesus Christ!

Mit kurzen Worten: Seht, so theuer ist

Die Welt erkauft und von dem Fluch befreit,

Der sie getroffen durch Gefräßigkeit!

Denn eben dieses Lasters wegen stieß

Zu Müh’ und Arbeit aus dem Paradies

Gott unsern Vater Adam und sein Weib.

So lang er fastete, war sein Verbleib

Im Paradies ihm sicher. Als indessen

Er die verbot’ne Frucht vom Baum gegessen,

Ward er zu Weh’ und Pein daraus verjagt.

O, Schwelgerei! mit Recht wirst Du verklagt!

Ach! wüßte nur der Mensch, wie mancherlei

Beschwerden zeugt maßlose Völlerei,

So würd’ er sich weit mäßiger im Speisen

Bei seiner Mahlzeit sicherlich beweisen.

Doch für die zarten Gaumen, kurzen Kehlen,

Sieht man in Nord, Süd, West und Ost sich quälen

Die Menschen, daß aus Wasser, Luft und Erde

Ein leck’rer Bissen oder Trunk uns werde.

Von dieser Sache sprichst Du, Paulus, auch,

Wenn Du besagst: »die Speisen für den Bauch,

Der Bauch für Speise; aber Gott vernichtet

Diesen und jene« – so hast du berichtet.

Ein schlimmes Wort! – Doch schlimmer unbedingt

Ist noch die That, wenn man sich so betrinkt

In Roth- und Weißwein, daß vor Ueberfluß

Zum Abtritt man die Kehle machen muß.

Es klagte der Apostel unter Thränen:

»Wie viele wandeln auf der Welt, von denen

Ich Euch gesagt – nun sag’ ich es mit Weinen –

Die Christi Kreuz gering zu achten scheinen.

Ihr Gott heißt Bauch; ihr Ende ist der Tod!«

O, Bauch! o, Wanst! Du Stinktopf voller Koth,

Voll von Verderbniß, Unrath und Gestank,

Wie faul aus beiden Enden ist Dein Klang!

Was kostest Du? – Wie müssen wir uns placken?

Wie müssen Köche stampfen, mahlen, hacken,

Eh’ aus dem Stoff die Speise hergestellt,

Die Deiner Schlinglust mundet und gefällt!

Den harten Knochen wird das Mark entnommen,

Nichts wirft man fort und nichts läßt man verkommen,

Was sanft uns lieblich durch die Gurgel gleitet.

Aus Wurzeln, Lauch, Gewürz und Zimmt bereitet

Man leck’re Brühen, die vortrefflich schmecken,

Und stets von Neuem Appetit erwecken.

Doch ist der Mann, der nach Genüssen jagt,

Lebendig todt, bis er der Lust entsagt.

Ein geiles Ding ist Wein und Trunkenheit,

Voll Jammer, voller Elend und voll Streit.

Verzerrt ist dein Gesicht, o, trunk’ner Mann!

Faul ist dein Kuß! dein Athem widert an!

Durch deine trunk’ne Nase kommt ein Ton,

Als sprächest Du nur stets: »Simson, Simson!«

Und dennoch liebte Simson nicht den Wein;

Doch du fällst um, wie ein gestoch’nes Schwein.

Lahm ist die Zunge; Anstand, Sitte fort!

Denn Trunkenheit ist der Begräbnißort

Für Manneswitz und Umsicht und Verstand.

Gewinnt der Trunk bei uns die Oberhand,

So ist’s vorbei mit der Verschwiegenheit.

Nun, auf der Hut vor Weiß- und Rothwein seid,

Besonders vor dem weißen Wein von Lepe,

Den man verkauft in Fishstreet und in Chepe!

Mit diesem Wein aus Spanien versetzt

Man unsern Landwein schlauer Weise jetzt,

Was einen solchen Rausch zu Wege bringt,

Daß, wenn man nur drei Züge davon trinkt,

Und glaubt in Chepe sich zu Hause – so

Ist man nicht in Rochelle mehr und Bordeaux,

Nein, längst im Spanierland, in Lepe schon,

Und sagt beständig nur: »Simson, Simson!«

Ein Wort, ihr Herren! bitt’ ich noch zu sagen:

Was sich im alten Bunde zugetragen,

Was dort durch Gottes allgewalt’ge Macht

An Thaten und an Siegen je vollbracht,

Geschah allein durch Fasten und Gebet.

Seht in die Bibel, wo’s geschrieben steht.

Schaut, Attila, den großen Sieger traf

Ein scham- und ehrenloser Tod im Schlaf

Durch Nasenbluten in der Trunkenheit.

– Ein Hauptmann lebe stets in Nüchternheit. –

Vor allem macht es der Befehl Euch klar,

Der einst dem Lamuel gegeben war;

– Nicht Samuel, nein Lamuel sag’ ich –

Lest nur die Bibel, da wird nachdrücklich

Der Weingenuß beim Richterstand gerügt.

Nicht’s mehr davon! Was ich gesagt, genügt.

Sprach ich bislang vom Unmaß im Genuß,

Ich vorm Hasardspiel nunmehr warnen muß.

Spiel ist die wahre Mutter alles Lügens,

Des gottverfluchten Schwörens und Betrügens,

Des Mord’s, der Läst’rung Christi, und dabei

Zugleich auch Zeit- und Geldvergeuderei.

Als ehrenrührig und als Vorwurf gilt,

Wenn man uns liederliche Spieler schilt.

Je höher Jemand seinem Stande nach,

Um desto größer ist für ihn die Schmach,

Ein Fürst, der dem Hasardspiel sich ergiebt,

Wird auch – und sei er noch so sehr beliebt,

Durch sein Geschick im Herrschen und Regieren –

Die öffentliche Achtung bald verlieren.

Stilbon, ein großer Staatsmann voll Verstand,

Ward ehrenvoll einst nach Korinth entsandt

Von den Spartanern, um mit jenem Reich

Ein Bündniß abzuschließen. – Doch sogleich

Nach seiner Ankunft es ihm höchst mißfiel,

Als er des Landes höchste Herr’n beim Spiel

Dort sitzen fand. – Drum stahl er sich nach Haus,

So rasch es ging, und sagte frei heraus:

»Ich will nicht meinen Ruf dadurch verlieren,

Mit diesem Spielervolk Euch zu alliiren!

Ich will nicht meinen guten Namen schänden!

Ihr möget and’re Diplomaten senden.

Fürwahr, zu Grunde will ich lieber geh’n,

Als Euch im Bunde mit den Spielern seh’n!

Zu ehrenhaft ist Euer Ruf und Wandel,

Als daß ich solches Bündniß, solchen Handel

Je schließen könnte, jemals schließen würde.«

– So sprach der weise Philosoph mit Würde.

Ein Paar von gold’nen Würfeln ward aus Hohn

Vom Partherkönig – nach der Tradition –

Dem Könige Demetrius gesandt,

Der ihm schon längst als Spieler war bekannt.

So zeigt’ er ihm, daß sich trotz Ruhm und Macht

Um seine Achtung jener Fürst gebracht.

Denn, wahrlich, mit weit ehrenhaftern Dingen

Kann seinen Tag ein großer Herr verbringen.

Nun sollt Ihr noch vom Fluchen und vom Schwören

Ein Wort bis zwei aus alten Büchern hören:

Abscheulich ist und höchst zu tadeln nur

Das laute Fluchen und der falsche Schwur,

Und allgemein vom lieben Gott verdammt.

Dies Zeugniß giebt Matthäus uns, mitsammt

Dem heil’gen Jeremias, welcher spricht:

»Den Schwur nimm ernst und lüge dabei nicht.

Heilig, gerecht und weise sei dein Eid,

Denn eitel Schwören ist Verworfenheit!«

Auf des Gesetzes erste Tafel seht,

Wo Gottes Wille aufgeschrieben steht,

Und gleich das zweite der Gebote spricht:

»Mißbrauch’ den Namen Deines Herren nicht!«

Seht! Schwören ist so gut verboten dort,

Wie andre Sünden, so zum Beispiel Mord.

Wer die Gebote Gottes kennt, vergißt

Auch nicht, was ihre Reihenfolge ist.

Und weiß, daß dies im zweiten wird befohlen.

Und fernerweit sag’ ich Euch unverhohlen:

Von Rache wird das Haus stets heimgesucht

Von dem, der übermäßig schwört und flucht.

»Bei Deinem Leib und Deinen Nägeln, Christ!

Beim Blute Gottes, das in Hailes ist!

Mein Wurf war sieben – Deiner fünf und drei!

Bei Gottes Arm! treibst du Betrügerei,

Fährt Dir mein Messer durch das Herz sofort!«

Seht! Fluchen, Falschheit, Zorn und Menschenmord,

Das sind die Früchte, welche Knöchel tragen!

Beim Heiland, der ans Kreuz für uns geschlagen,

Das Schwören laßt im Ernst und Scherze sein!

Doch, werthe Herr’n, jetzt lenk’ ich wieder ein.

Die drei erwähnten Spieler saßen, lang’

Bevor die Glocke noch die Prime rang,

Bei ihrem Trinken in der Schenke schon.

Da hörten sie des Todtenglöckleins Ton,

Als eine Leiche man zu Grabe trug.

Der eine rief den Knecht herbei und frug

»Was giebt’s? – Sieh’ zu, und forsche schleunigst aus,

Mit welcher Leiche man an diesem Haus

Vorüber zieht? und merke Dir den Namen!«

»Das thut nicht Noth! Bevor die Herren kamen,

Wußt’ ich schon seit zwei Stunden« – sprach der Knabe –

»Den alten Freund von Euch trüg’ man zu Grabe,

Dem man in dieser Nacht das Leben nahm.

Betrunken saß er auf der Bank, da kam

Ein Dieb heran geschlichen, Tod genannt,

Der alle Menschen umbringt hier zu Land,

Und der sein Herz mit einem Speer durchstach,

Und darauf fortging und kein Wörtchen sprach.

Der Pestilenzkerl hat schon umgebracht

An Tausende. Drum, Herr, nehmt Euch in Acht,

Ihm in den Weg zu kommen. Wie mir scheint,

Thut große Vorsicht Noth bei solchem Feind.

Genug! Ihm zu begegnen, stets parat

Zu sein, gab meine Herrin mir den Rath.«

»Bei St. Marie! das Kind spricht nur zu wahr!«

– Begann der Schenkwirth – »Er hat dieses Jahr

In einem Dorfe, eine Meile fern,

Erschlagen Knechte, Kinder, Frau’n und Herr’n.

Dort hat er seinen Wohnsitz, wie mir scheint;

Am klügsten ist, man sieht sich vor dem Feind,

Bevor er Schaden thun kann, weislich vor.«

»Bei Gottes heil’gen Arm!« – der Raufbold schwor –

»Wenn’s so gefährlich ist, ihm in den Weg

Zu kommen, will ich jeden Pfad und Steg

Nach ihm durchsuchen! Bei des Herrn Gebein!

Beschwör ich das! – Gesellen, kommt, schlagt ein!

Laßt alle drei die Hand uns darauf geben,

Daß wir fortan als treue Brüder leben.

Wir wollen den Verräther Tod erschlagen,

Dem schon so viele Menschen unterlagen

– Bei Gottes Würde! – noch vor Abendzeit!«

So schwuren dann die dreie sich den Eid,

Einander Beistand stets auf Tod und Leben,

Wie dies gebor’nen Brüdern ziemt, zu geben.

In trunk’ner Wuth verließen sie das Haus

Und zu dem Dorfe zogen sie hinaus,

Sobald den Namen sie vom Wirth erfuhren.

Des Herren Leib zerrissen sie und schwuren

Dabei entsetzlich: »Packen wir am Kragen

Nur erst den Tod, so wird er todtgeschlagen!«

Doch kaum nach einer halben Meile Weges

Sah’n bei dem Ueberschreiten eines Steges

Sie einen armen Greis an jenem Ort,

Der sie bescheiden grüßte mit dem Wort:

»Gott schenke, werthe Herren, Euch Gedeih’n!«

Gleich rief der schlimmste Raufbold von den drei’n:

»Warum, bis auf dein trauriges Gesicht,

Verhüllst Du, Schuft, Dir Deinen Leib so dicht?

Warum lebst Du so lange, alter Mann?«

Mit festen Blicken sah der Greis ihn an

Und sprach: »Fürwahr, in keinem Dorf und Flecken

Von hier bis Indien weiß ich zu entdecken

Den Menschen, welcher meines Alters Bürde

Mit seiner Jugend gern vertauschen würde.

Ich muß darum, so lange Gott es will,

Mein Alter tragen in Geduld und still.

Der Tod, – o, weh! – begehrt mein Leben nicht,

Und rastlos wandern muß ich armer Wicht,

Ob früh und spät geklopft mit meinem Stabe

Ich an dem Thor der Mutter Erde habe,

Und stets gerufen: Mutter! laß mich ein!

Verschrumpft und morsch sind Fleisch, Haut, Blut und Bein’!

Wann finden meine armen Knochen Ruhe?

Ach, Mutter! gern vertauscht ich meine Truhe,

Die ich bewahrte schon seit langer Zeit

In meinem Zimmer, für ein hären Kleid,

Mich drein zu wickeln. – Doch sie hört mich nicht

Und bleich und welk ist darum mein Gesicht.

Jedoch, ihr Herr’n, nicht höflich ist’s, noch gut,

Daß einem Greis ihr solchen Schimpf anthut,

Der sich in Wort und Thaten nicht versündigt.

Lest in der heil’gen Schrift. Da wird verkündigt:

›Vor einem alten Mann mit greisem Haupt

Erhebet Euch!‹ – und meinen Worten glaubt:

Fügt alten Leuten keine Kränkung zu,

Wenn Ihr nicht wollt, daß man Euch Gleiches thu’

In Eurem Alter, falls der Tod Euch spart.

Nun, Gott sei mit Euch auf der Wanderfahrt!

Denn meines Weges muß ich weiter zieh’n.«

»Nein, alter Schuft, das sollst Du nicht!« – fuhr ihn

Der zweite der drei Spieler darauf an. –

»So leicht entkommst Du nicht, bei St. Johann!

Du hast hier den Verräther Tod genannt.

Der alle Freunde uns erschlägt im Land.

Ich glaube sicher, Du bist sein Spion!

Sag’ wo er ist, sonst kriegst Du Deinen Lohn!

Du bist – beim heil’gen Sakrament von Gott! –

Ganz ohne Zweifel mit ihm im Complott,

Uns junges Volk zu tödten, falscher Dieb!«

»Nun, Herren!« – sprach er – »ist es Euch so lieb

Den Tod zu finden, folgt dem krummen Saume;

In jenem Haine unter einem Baume

Verließ ich ihn; und dort wird er noch sein;

Er läuft nicht fort vor Euren Prahlerei’n!

Bei jener Eiche könnt ihr ihm begegnen.

Gott, der die Welt erlöste, mög’ Euch segnen

Und besser machen!« – sprach der alte Mann.

Dem Baume zu gleich jeder Raufbold rann.

Sie langten an und sahen – welch’ ein Fund! –

Dort gold’ne Gulden liegen, neu und rund;

Beinah acht Scheffel schienen sie zu messen.

Gleich auf der Stelle war der Tod vergessen,

So selig waren sie in ihrem Glücke

Beim hellen Glanz der blanken Guldenstücke.

Zu ihrem Schatze setzten sie sich nieder,

Und es begann der schlimmste der drei Brüder:

»Merkt Freunde, was ich sagen will, genau.

Trotz Spiel und Spaß bin ich gewitzt und schlau.

Fortuna hat uns diesen Schatz gegeben,

Damit in Lust und Fröhlichkeit wir leben.

Leicht kam er uns, leicht sei er durchgebracht!

Ei, Gottes Würde! hätten wir gedacht,

Es sei das Glück uns heute noch so hold?

Ich wünschte nur, wir hätten erst das Gold

In mein Haus oder Euer Haus geschafft;

Denn uns gehört es ganz unzweifelhaft.

Wir könnten jubeln, wär’ es erst geschehen.

Jedoch bei hellem Tage wird’s nicht gehen.

Für Diebe würden wir sofort von Allen

Gehalten werden, und dem Strick verfallen.

Den Schatz so klug wie heimlich fortzubringen,

Kann nur allein uns in der Nacht gelingen.

Aus diesem Grunde schlag’ ich Euch jetzt vor,

Wir wollen Loose zieh’n, und wer verlor,

Der muß gutwillig nach der Stadt sofort

In größter Eile laufen, um von dort

Mit Brod und Wein zu uns zurückzuwandern

Heimlich und rasch, indeß die beiden Andern

Den Schatz getreu bewachen. Und bei Nacht

Wird er von uns an einen Ort gebracht,

Den als den besten wir vorher bereden.«

Zur Hand nahm er die Loose und bat Jeden

Zu seh’n, auf wem das kürzte würde fallen;

Und, sieh’! – es traf den Jüngsten unter Allen,

Der dann zur Stadt in großer Eile ging.

Sobald er seinen Rücken wandte, fing

Der Eine zu dem Andern an zu sprechen:

»Willst du geschwor’ne Brüderschaft nicht brechen,

Erfährst Du deinen Vortheil gleich von mir.

Sieh! unser Mitgesell ist fort – und hier

Ist Gold in Fülle und in Ueberfluß,

Das in drei gleiche Theile gehen muß.

Indessen sollte mir der Plan gelingen,

Nur zwischen uns zur Theilung es zu bringen,

Das wäre doch ein Freundschaftsstück für Dich?«

»Wie soll das angeh’n?« – rief der zweite – »sprich!

Er weiß genau, wie viel uns übertragen;

Was bleibt zu thun? was sollen wir ihm sagen?«

Der erste rief: »Willst Du Dir rathen lassen,

So könnt’ ich’s schon in kurze Worte fassen,

Wie dies am besten auszuführen wäre.«

Der zweite sprach: »Auf Glauben und auf Ehre!

Ich werde niemals ein Verräther sein!«

»Nun« – sprach der erste – »wir sind hier zu zwei’n,

Und zweie können einen leicht bezwingen!

Setzt er sich nieder, hast Du aufzuspringen,

Als wolltest Du im Scherze mit ihm streiten;

Und ich durchsteche rasch ihm beide Seiten,

Wenn ihr im Spiele miteinander ringt, und Du

Stößt mit dem Messer ebenmäßig zu.

Ist das gescheh’n, mein theurer Freund! so fällt

Zu gleichem Theil an mich und Dich das Geld.

Dann fröhnen wir der Lust, soviel wir wollen,

Und lassen munter unsre Würfel rollen!«

So waren einig beide bald geworden,

Den dritten – wie ihr hörtet – zu ermorden.

Zur Stadt indessen ging der Jüngste hin.

Doch nimmer wollten ihm aus seinem Sinn

Die schönen, neuen, blanken Gulden weichen,

»O, Herr!« – sprach er – »vermöcht’ ich zu erreichen,

Allein nur zu besitzen alles Geld,

Wär’ sicherlich auf Gottes weiter Welt

Kein Mensch so selig und beglückt wie ich.«

Der Teufel aber in sein Herz sich schlich

Und rieth ihm, Gift zu kaufen ohne Säumen,

Um die Genossen aus dem Weg zu räumen.

Dem Bösen freilich konnt’ es leicht gelingen

Bei solchem Hang in Schaden ihn zu bringen.

So war zum Morde seiner zwei Genossen

Er ohne Reue daher fest entschlossen.

Und ohne Zögern lief er dann sofort

Zu einem Apotheker in dem Ort,

Und etwas Gift bat er ihm zu verkaufen.

Er sei von vielen Ratten überlaufen,

Gefressen sei schon mehr als ein Kapaun

Von einem Iltis, der durch seinen Zaun

Gekrochen sei; und dieser Thiere wegen

Gedächte Gift er in der Nacht zu legen

Der Apotheker sprach: »Ich will Dir geben

– So wahr mir Gott mag gnädig sein im Leben! –

Ein Gift, durch welches jede Kreatur

– Frißt oder säuft sie von der Mischung nur

Soviel, als wie ein Weizenkörnchen wiegt –

Ganz unbedingt dem Tode unterliegt;

Ja, sterben muß und schon verendet ist,

Eh’ eine Meile Du gegangen bist.

So stark und heftig wirkt es auf der Stelle.«

Mit seiner Hand ergriff der Schandgeselle

Die Dose mit dem Gifte, und lief dann

Zur nächsten Gasse hin zu einem Mann,

Um sich drei große Krüge dort zu leih’n.

In zwei von ihnen goß er Gift hinein,

Doch rein ließ er den dritten mit Bedacht,

Um selbst zu trinken, wenn er in der Nacht

Das schwere Gold vom Platze heimwärts trüge.

Und als den Wein in die drei großen Krüge

Der jämmerliche Raufbold dann gegossen,

Ging er zurück zu seinen Spießgenossen.

Doch was bedarf es vieler Worte mehr?

Wie seinen Tod beschlossen sie vorher,

So ward er auch erschlagen auf dem Fleck.

Als dies vollbracht war, sprach der eine keck:

»Erst laßt uns trinken, laßt uns lustig sein!

Dann scharren später wir den Leichnam ein.«

Und mit dem Wort ergriff durch Zufall’s Walten

Er einen Krug, in welchem Gift enthalten.

Er trank daraus; – so that sein Mitgeselle,

Und sterben mußten beide auf der Stelle. –

Ich glaube, selbst bei Avicen trifft man

Im ganzen Kanon keinen Abschnitt an.

Mit solcher wunderbaren Giftgeschichte,

Wie dieser Tod der beiden Bösewichte.

So kamen die zwei Mörder um das Leben

Mitsammt dem Schurken, der das Gift gegeben.

O, aller Thaten höchste Frevelthat!

O, Meuchelmord! heimtückischer Verrath!

O, Schlemmerei und Ueppigkeit und Spiel!

Ach, Menschenkind! Du lästerst Christ so viel,

Du prahlst, Du wucherst, fluchst und schwörst so gern,

Sag’ an, wie kannst Du gegen Deinen Herrn,

Der Dich erschaffen hat und für Dein Leben

Sein theures Herzblut hat dahingegeben,

So äußerst falsch und undankbar nur sein?

Nun, Eure Sünde möge Gott verzeih’n,

Ihr liebe Herr’n! – Doch scheut des Geizes Laster!

Mein Ablaß ist das beste Sündenpflaster,

Bringt ihr zum Opfer Nobel mir und Groschen

Und Silberlöffel, Ringe oder Broschen. –

Vor meiner heil’gen Bulle senkt das Haupt!

Ihr Weiber kommt! gebt Wolle her, und glaubt,

Trag’, ich in meine Rolle hier Euch ein,

So werdet selig Ihr im Himmel sein!

Euch wasch’ ich dann, bringt Ihr mir Opfer dar,

Wie neugebor’ne Kinder rein und klar

Von aller Schuld! – Seht, das ist, was ich pred’ge!

Verzeihen möge Jesus Christ, der gnäd’ge

Arzt unsrer Seelen, Euch die Sündenlast!

Das ist das Beste! – Mir ist Trug verhaßt. –

Doch, Herr’n! ein Wort vergaß ich einzuschalten:

Reliquien sind in meinem Sack enthalten,

Und Ablaßzettel von des Papstes Hand,

Wie sie kein Mensch hat in ganz Engeland.

Wenn einer unter Euch aus Devotion

Mir opfern will und sich Absolution

Von mir erholen, mag er niederknien,

Und seine Schuld sei ihm von mir verzieh’n.

Sonst nehmet Ablaßbriefe für die Fahrt

In jeder Stadt von Frischem Euch, und spart

Beim Opfern nicht. – Nein, gebt stets mehr und mehr

An echten Nobeln, vollen Groschen her!

Ein großes Glück für Jeden, der hier reitet,

Ist, daß ein Ablaßkrämer Euch begleitet,

Der auf der Fahrt Euch absolviren kann.

Durch Zufall kommt oft Mancher übel an.

Der eine oder andre fällt vom Pferde

Und bricht sich seinen Nacken an der Erde.

Seht! welche Sicherheit gewährt Euch allen,

Daß in Gesellschaft ich mit Euch gefallen!

Denn, eh’ die Seele aus dem Leibe flieht,

Seid absolvirt ihr sonder Unterschied.

Zuerst beginnt – so denk’ ich – unser Wirth,

Der auf den schlimmsten Sündenpfaden irrt!

»Komm’ her, Herr Wirth! Erst gieb Dein Opfer mir,

Dann küsse jede der Reliquien hier

Für einen Groschen! – Thu’ den Beutel auf!«

»Nein, nein!« – rief er – »das ist ein schlechter Kauf!

Mich möge Christ verfluchen, wenn ich’s thu!

Zum Küssen hieltest als Reliquie Du

Vielleicht mir Deine alten Hosen hin,

Obschon die Farben Deines St…… d’rin.

Beim heil’gen Kreuz, das St. Helene fand,

Hätt’ ich, anstatt Reliquien, in der Hand

Jetzt Deine zwei T…… – Ei! Dir würde

Durch einen Schnitt genommen Deine Bürde

Und eingeschreint in Schweinedreck sofort!«

Der Ablaßkrämer sprach kein Sterbenswort;

So schnürte Wuth ihm seine Kehle zu.

»Mit zorn’gen Leuten« – sprach der Wirth – »wie Du

Treib’ ich am besten länger nicht mein Spiel!«

Doch ihm ins Wort der würd’ge Ritter fiel

– Denn lachen sah er ringsumher die Leute –

»Nichts mehr davon! – Es ist genug für heute!

Herr Ablaßkrämer! sei vergnügt und fröhlich!

Und Dir, mein vielgeliebter Wirth, befehl’ ich:

Du küssest auf der Stelle diesen Mann.

Nun, Ablaßkrämer, bitte, tritt heran!

Kommt! scherzen, lachen wir nach alter Weise.« –

Sie küßten sich – und weiter ging die Reise.

Die Erzählung der zweiten Nonne.

Vers 15469–16021.

Der Laster Pflegerin und Dienerin,

Die »Trägheit« wir in schlichter Sprache heißen,

Vom Thor der Sinnenlust die Pförtnerin,

Zu fliehen und die Macht ihr zu entreißen,

Lernt Euch des graden Widerspiels befleißen;

Das heißt: seid thätig stets in allen Dingen,

Sonst fall’t durch Trägheit Ihr in Satans Schlingen.

Er, der beständig auf der Lauer steht,

Mit tausend schlauen Stricken uns zu fangen,

Wird, wenn er uns im Müssiggang erspäht,

Mit leichter Müh’ auch an sein Ziel gelangen;

Und eh’ die Augen uns sind aufgegangen,

Hält er uns längst mit seiner Hand am Kragen.

Drum wirkt, und lernt dem Müssiggang entsagen.

Und wären wir von Todesfurcht auch frei,

So müßte dennoch uns Vernunft belehren

Daß Müssiggang des Lasters Anfang sei,

Und nicht das Mittel, unser Gut zu mehren.

Durch Arbeit Andrer sucht er sich zu nähren,

Und führt uns, wie am Gängelband, dabei

Zum Schlaf, zur Trunksucht und zur Völlerei.

Damit ich wieder mich vom Müssiggang,

Der soviel Unheil bringt, zur Arbeit wende,

Hab’ ich – soweit es meinem Fleiß gelang –

Euch übersetzt die folgende Legende

Vom ruhmgekrönten Leben, Leid und Ende

Der reinen Jungfrau mit der Ros’ und Lilie;

Ich meine Dich, Du Märtyrin Cäcilie.

Du aller Jungfrau’n blüthenreichste Zier,

Von der St. Bernhard hat so schön gesungen,

Laß mich beginnen mit Gebet zu Dir!

Du Trost der Schwachen, sprich, wie hat bezwungen

Den Bösen und ihr Seelenheil errungen

Durch ihren Tod als Jungfrau Deine Magd,

Von welcher die Legende uns besagt?

Du, Deines Sohnes Tochter! Mutter, Maid!

Du Gnadenbronn, der Sünder macht genesen,

Du Trägerin von Gottes Herrlichkeit,

Du Niedrige, zur Hoheit auserlesen

Vor aller Welt, Du hast der Menschen Wesen

So sehr geadelt, daß in Fleisch und Blut

Den Sohn zu kleiden, Gott, der Herr, geruht.

Dein Segensschoß gab menschliche Gestalt

Der ew’gen Liebe, wie dem ew’gen Frieden,

Dem Lenker der dreieinigen Gewalt.

Ihn preist der Himmel; ihm lobsingt hienieden

Das Land und Meer. Dir aber ward beschieden,

Als makellose Maid in Zucht und Ehren

Den Schöpfer aller Wesen zu gebären.

In Dir vereint Erhabenheit und Macht

Mit Gnade sich, mit Güte, mit Erbarmen.

Du hilfst nicht nur, o, Sonne voller Pracht,

Wenn wir Dich bitten; nein, Du nimmst der Armen

Auch ungefragt in Deiner liebewarmen

Barmherzigkeit Dich oft und willig an;

Du treuer Arzt der Seelen gehst voran!

Hilf auch mir Schwachen, sanfte Segensmagd,

So lang’ ich an dies Jammerthal gebunden.

Hat doch das Weib von Canana gesagt,

Man gönne ja die Krumen gern den Hunden,

Die unterm Tisch des Herren sie gefunden.

Bin ich als Evas Sohn und sünd’ger Mann

Auch Dein nicht werth, nimm meinen Glauben an!

Todt ist der Glaube, der nicht wirkt und schafft.

Drum schenke mir Verstand und Raum zu Thaten!

Gieb holde, gnadenreiche Maid mir Kraft,

Und laß mich nicht ins dunkle Reich gerathen!

Nein, mach’ Dich dort zu meinem Advocaten,

Wo endlos Dir gesungen wird Hosianna!

Du Mutter Christi, theures Kind der Anna!

Ins Dunkel meiner Seele gieße Licht,

Daß sie des Leibes Nähe nicht entehre!

Es drückt auf mich mit doppeltem Gewicht

Der Erdenlust und kranker Neigung Schwere.

O, Zufluchtshafen, Retterin gewähre

Gleich Allen, welche Leid und Kummer drücken,

Auch mir die Kraft, mich an mein Werk zu schicken!

Mir aber, bitt’ ich, legt es nicht zur Last,

Wenn Ihr dies leset, was ich aufgeschrieben,

Daß schmuck- und kunstlos ist mein Werk verfaßt.

Ich bin beim Sinn und bei dem Wort geblieben

Von dem, der, durch Verehrung angetrieben,

Uns ihren heil’gen Lebenslauf erzählte;

Darum verbessert, wo ich etwa fehlte.

Zuvörderst sei der Name St. Cäcilie

Von mir Euch der Legende nach erklärt.

Ihn übersetzen kann man: »Himmelslilie«,

Weil sie das Weiß der Keuschheit unversehrt

Erhalten hat und ehrlich sich bewährt.

Vielleicht gab guter Ruf und Herzensgüte

Den Namen ihr vom Duft und Grün der Blüthe.

Cäcilie kann auch heißen: »Weg für Blinde«,

Da stets ihr Beispiel lehrreich war. Doch scheint

– Wie ich nicht minder aufgeschrieben finde –

Daß dieser Name sinnbildlich vereint

Den »Himmel« mit der »Lia«; denn es meint

Der Himmel: »heil’ge Hoheit der Gedanken«,

Und Lia: »Thun und Wirken sonder Wanken.«

Vielleicht bedeutet – kann man ferner sagen –

Cäcilie: »Blindheitsmangel«; denn sie war

Ein helles Licht an Weisheit und Betragen.

Wenn nicht von »Himmel« und von »Leos« gar

Ihr Name kommt, da man mit Recht, fürwahr,

Als »Volkes Himmel« dieses wohlbewährte

Und weise Vorbild guter Thaten ehrte.

Denn »Leos« heißt: »das Volk«, und insofern

Die Menschen an dem Himmelszelt gewahren

Den hellen Schein von Sonne, Mond und Stern’

Erkannte man auch geistig aus dem klaren,

Verständ’gen Sinn und gläubigem Gebahren,

So wie aus manchen Werken dieser Maid

Die Seelengröße und Vortrefflichkeit.

Wie nach der Weisen Meinung sich geschwind

Die Himmel rund im Kreise flammend schwingen,

So warst auch Du, Cäcilia, keusches Kind

Geschwind und thätig stets in allen Dingen

Und rund und ganz an Dauer im Vollbringen,

Und da wie Feuer Deine Liebe flammte,

So ist erklärt, woher Dein Name stammte.

Die hehre Maid – so sagt ihr Lebenslauf –

War hohem, edlem Römerblut entsprungen;

Vom Glauben Christi war von Kindheit auf

Des Evangeliums Botschaft ihr erklungen.

Von Furcht und Liebe zu dem Herrn durchdrungen,

Bat sie – wie aus dem Buch ich dies erfahren –

Beständig Gott, ihr Mädchenthum zu wahren.

In reifern Jahren ward zur Frau versprochen

Sie einem Jüngling, Valerian genannt;

Indessen als der Tag herangebrochen

Zum Eintritt in den heil’gen Ehestand,

Trug unter ihrem gold’nen Prachtgewand

Die herzensfromme, demuthsvolle Braut

Ein hären Hemd auf ihrer bloßen Haut.

Und als die Orgel in der Kirche schallte,

Sang sie im Herzen so zu Gott allein:

»Den Leib, o Herr, mir unbefleckt erhalte,

Laß meine Seele nicht verloren sein!«

Und ihn zu ehren, welcher Kreuzespein

Für uns erlitt, hielt sie die strengsten Fasten,

Und wollte nimmer im Gebete rasten.

Es kam die Nacht. Mit dem Vermählten hatte

Nach alter Sitte sie zu Bett zu geh’n.

Doch heimlich sprach sie: »Lieber, theurer Gatte

Ich hab’ Dir ein Gheimniß zu gesteh’n,

Und willst Du’s hören, soll es gleich gescheh’n,

Doch unter der Bedingung, daß Du schwörst,

Nie zu verrathen, was von mir Du hörst.«

Und rasch beschworen ward von Valerian,

In keinem Falle je zu offenbaren,

Was ihm auch immer von ihr kund gethan.

Und dann erst sprach sie: »Von den Himmelsschaaren

Liebt mich ein Engel, welcher vor Gefahren

Mit größter Sorgfalt stets bei Tag und Nacht

Mich liebend schützt und meinen Leib bewacht.

Und fühlt er, daß mit sündigem Verlangen

Du jemals fleischlich meinen Leib berührt,

Wirst Du als Jüngling schon den Tod empfangen

Von seiner Hand als Lohn, der Dir gebührt.

Doch wenn Dich reine Liebe lenkt und führt,

Wird seine Liebe Dir, wie mir, zu eigen,

Und er wird sich im Himmelsglanz Dir zeigen.«

Und Valerian, dem Gott in das Gewissen

Geredet hatte, sprach: »Soll ich Dir trau’n,

Muß ich vom Dasein dieses Engels wissen,

Und läßt Du mich von Angesicht ihn schau’n,

Will ich Dir folgen; darauf magst Du bau’n.

Doch bist Du einem andern Mann ergeben,

Verliert Ihr beide durch mein Schwert das Leben.«

Cäcilie gab zur Antwort: »Dein Verlangen

Sei Dir erfüllt. Du sollst den Engel seh’n,

Nachdem die Taufe Du als Christ empfangen.

Drei Meilen mußt aus dieser Stadt Du geh’n,

Zur Via Appia, wo die Häuser steh’n

Der armen Leute, und erzähle dort,

Was ich Dir sagen werde, Wort für Wort.

Zu ihnen rede: Ich, Cäcilie, sende

Zum guten, alten Urban heimlich Dich

In Seelennoth zum besten Zweck und Ende.

Und zu dem heiligen Urbanus sprich,

Wenn Du ihn siehst, was Du erfuhrst durch mich.

Hat er Verzeihung Deiner Schuld gewährt,

Siehst Du den Engel, eh’ Du heimgekehrt.

Und schleunig eilte, wie sie ihm geboten,

Zum angewies’nen Platze Valerian,

Und fand dort in der Grabstatt heil’ger Todten

Auf seinen Knie’n den alten St. Urban;

Und als ihm seine Botschaft kund gethan,

Und er mit seinen Worten war zu Ende,

Hob froh Urbanus himmelan die Hände,

Und Thränen ließ er aus den Augen fallen.

›Allmächt’ger Gott und Christ!‹ – rief er bewegt –

Du Säer keuschen Rathes, Hirt von Allen,

Die Früchte, die der Keuschheit Samen trägt,

Den Du Cäcilien hast ins Herz gelegt,

Nimm hin! denn sieh’! so emsig wie die Bienen

Weiß ohne Falsch Dir Deine Magd zu dienen!«

»Der Gatte, dem sie kürzlich ward verbunden,

Der stolze Löwe, kommt, von ihr gesandt,

So fromm zu mir, wie nur ein Lamm erfunden!«

So rief er aus – und mit den Worten stand

Vor Valerian im weißen Lichtgewand

Ein alter Mann, der in der Hand ein Buch

Mit reichverzierten, gold’nen Lettern trug.

Und Valerian schlug wie ein todter Mann

Vor Schrecken um. Empor aus seinem Falle

Hob ihn der Greis und fing zu lesen an:

»Ein Herr, ein Gott, ein Glaube für uns Alle!

Ein Christenthum, und überm Weltenalle

Für alle Menschen eine Vaterhand!«

Wie es im Buch mit gold’nen Lettern stand.

Nachdem er dies gelesen, frug der Alte:

»Und glaubst Du dies? Ja oder Nein? – Sag’ an!« –

»Ich glaube dies!« – sprach Valerian – »und halte

Es für die größte Wahrheit, die ein Mann

Hier unterm Himmel nur erfassen kann!« –

Verschwunden war der Greis – und Valerian

Empfing die Taufe durch den Papst Urban.

Er kehrte heim, und sah, wie mit Cäcilien

In seinem Wohngemach ein Engel stand.

Und sieh’, es trug von Rosen und von Lilien

Zwei Kronen dieser Engel in der Hand.

Und an Cäcilie – wenn ich’s recht verstand –

Gab er die eine, und die andre Krone

Empfing ihr Gatte Valerian zum Lohne.

»Mit reinem Leib und unbefleckten Sinnen

Behütet diese Kronen stets!« – sprach er. –

»Ich trug sie aus dem Paradies von hinnen,

Und sie verwelken nun und nimmermehr,

Und duften immer lieblich wie zeither.

Doch mit den Augen nur die Kronen sieht,

Wer keusch verbleibt und jede Sünde flieht.«

»Mein Valerian, weil Du Dich rasch bekehren

Zum Guten ließest, sprich, was Dir gefällt,

Und was Du forderst, will ich Dir gewähren!«

Er sprach: »Ein Bruder ist mir zugesellt,

Der mir der liebste Mensch ist auf der Welt;

Ich bitte Dich, ihm Deine Gunst zu schenken

Und ihn, wie mich, zur Wahrheit hinzulenken!«

Der Engel sprach: »Gott liebt, was Du erbeten.

Er reicht Euch beiden Märtyrpalmen dar,

Und in sein Reich der Ruhe sollt Ihr treten.«

Und es erschien, als er zu Ende war,

Tiburz, sein Bruder, welcher wunderbar

Ergriffen ward im innersten Gemüthe

Vom Duft der Lilien- und der Rosenblüthe.

»Mich wundert« – rief er – »daß zu dieser Zeit

Des Jahrs die Rosen und die Lilien spenden

Noch Wohlgeruch von solcher Lieblichkeit.

Ja, hielt ich selbst die Blumen in den Händen,

Es dränge mir der Duft, den sie entsenden,

Wohl schwerlich süßer in das Herz hinein.

Ich scheine wie verwandelt mir zu sein!«

»Zwei glänzend helle Kronen uns umwinden,

Schneeweiß und rosenroth,« – sprach Valerian. –

»Durch mein Gebet kannst Du den Duft empfinden,

Obschon sie Deine Blicke nimmer sah’n.

Doch werden Dir die Augen aufgethan,

Sofern Du ohne Säumen Dich bekehrst

Zum rechten Glauben und die Wahrheit ehrst!«

»Wie?« – frug Tiburz – »sprichst Du im Ernst zu mir?

Ist mir ein Traum zu Ohren nur gekommen?«

»In Träumen, lieber Bruder, lebten wir,«

– Sprach Valerian – »jetzt hat zu unserm Frommen

Die Wahrheit Sitz in unsrer Brust genommen.«

»Wie hast Du dieses« – rief Tiburz – »erfahren?«

»Das will ich Dir« – sprach Jener – »offenbaren!«

»Ein Engel Gottes zeigte mir die Wahrheit,

Und leistest Du dem Götzendienst Verzicht,

Führt er auch Dich zur Reinheit und zur Klarheit.«

– Und von dem Wunder dieser Kronen spricht

Ambrosius in seinem Vorbericht;

Und also redet zu des Wunders Preise

Der edle Doctor in erhab’ner Weise:

Die Palme seines Märtyrthums zu tragen,

Gab Gott der heiligen Cäcilie Kraft,

Der Welt und ihrem Brautbett zu entsagen.

Denn in der Beichte gab unzweifelhaft

Tiburz und sie darüber Zeugenschaft,

Und Gott ließ güterreich mit duft’gen Kronen

Durch seinen Engel diese zwei belohnen.

So führte beide Männer diese Maid

Zum ew’gen Heil. Und dieses möge lehren

Der Welt den Werth der keuschen Frömmigkeit. –

Schlicht wußte dann Cäcilie zu erklären,

Daß alle Götzen eitle Dinge wären,

Nur taub und stumm, und darum von Idolen

Sich fern zu halten, habe Gott befohlen.

»Wer das nicht glaubt, ist schlimmer als ein Vieh!«

– So rief Tiburz – »ich sag’ es unumwunden!«

Und seine Brust vor Freuden küßte sie,

Beglückt, daß er die Wahrheit ausgefunden.

»Seit diesem Tage bist Du mir verbunden!«

Rief diese schöne segensreiche Maid,

Und also sprach sie zu ihm fernerweit:

»Wie durch die Liebe Christi« – hub sie an –

»Ich Deines Bruders Weib bin, soll bestehen

Ein Bund auch zwischen Dir und mir fortan.

Du hast gelernt, die Götzen zu verschmähen;

Mit Valerian magst Du zur Taufe gehen,

Und bist Du rein, so wirst Du auch hernach

Den Engel seh’n, von dem Dein Bruder sprach.«

»Mein lieber Bruder« – frug Tiburtius weiter –

»Wohin, zu wem, heißt Du mich geh’n? Sag’ an!«

»Zu wem?« – sprach er – »komm’, folge mir nur heiter,

Ich führe Dich zum heil’gen Papst Urban!«

»Zum Papst Urbanus, Bruder Valerian?!

Wie!« – rief Tiburz – »willst Du zu ihm mich bringen?

Das scheint mir äußerst wunderbar zu klingen.«

»Meinst Du Urbanus, welcher vom Gerichte

So manches Mal verurtheilt ward zum Tod,

Der in Verstecken haust und kaum dem Lichte

Sein Haupt zu zeigen wagt in seiner Noth,

Dem stets der Scheiterhaufen flammend droht?

Wenn man mit ihm uns in Gesellschaft fände,

Wir kämen sicher zu dem gleichen Ende.«

»Und während wir, die Gottheit zu erkennen,

Die in dem Himmel sich verbirgt, uns müh’n,

Wird man uns hier auf dieser Welt verbrennen.«

Doch in das Wort fiel ihm Cäcilie kühn:

»Man würde, sich dem Tode zu entzieh’n,

Mein lieber Bruder, ganz mit Recht bestreben,

Gäb’ es nach diesem nicht ein andres Leben.«

»Ein bess’res Leben ist an anderm Orte,

Und fürchte nicht, daß jemals Dir entgeht,

Was Gottes Sohn versprach durch seine Worte,

Des Vaters Sohn, der Alles, was besteht

Geschickt und sinnreich schuf. Denn es durchweht

Der Geist, der von dem Vater ausgegangen,

Auch unsre Seelen. – Dir braucht nicht zu bangen.«

»Durch Wort und Werke hat uns kund gegeben

Der Gottessohn, als er auf Erden war,

Des Menschen Heimat sei im andern Leben!«

»O, theure Schwester« – rief Tiburz – »fürwahr,

Noch eben sagtest Du ganz schlicht und klar,

In Wahrheit sei ein Herr und Gott allein,

Und nun giebst Du mir Zeugenschaft von Drei’n?«

»Auch damit« – sprach sie – »mach’ ich Dich bekannt.

Sowie drei Kräfte sich im Mann vereinen,

Vorstellungstrieb, Gedächtniß und Verstand,

So müssen drei Personen auch erscheinen

Mit gleichem Recht im göttlichen Verband.«

Und hinterher begann sie, ihm die Lehren

Und Leiden Christi emsig zu erklären.

Wie Gottes Sohn so mancherlei erlitten,

Dieweil auf Erden er als Gast geweilt,

Wie er Erlösung für die Welt erstritten,

Und Sündennoth und Sorgenlast geheilt,

Ward an Tiburtius von ihr mitgetheilt.

Und dann ging er mit glaubensfrohem Sinn

Zum Papst Urban mit seinem Bruder hin.

Der dankte Gott von Herzen froh und heiter,

Tauft ihn sofort und macht ihn dann bekannt

Mit allen Lehren als des Herren Streiter;

Worauf Tiburz so hohe Gnade fand,

Daß ihm kein Tag im Lauf der Zeit entschwand,

An dem er Gottes Engel nicht gesehen;

Und gern und schnell erhörte Gott sein Flehen.

Schwer hielt’ es, nach der Reihe vorzutragen,

Wie viele Wunder Jesus für sie that.

Doch endlich schleppten – um es kurz zu sagen –

Die Schergen Rom’s auf das Präfectorat

Sie vor Almachius der als Magistrat

Sie dann vernahm und bald den Fall durchblickte

Und zu dem Bilde Jupiters sie schickte.

Und er begann: »Mein Urtheilsspruch ist dieser:

Euch trifft der Tod, bringt Ihr nicht Opfer dar!«

Die Märtyrer indessen überwies er

An Maximus, der ein Cornicular

Und Offizier von dem Präfecten war,

Den, als die Heil’gen er von dannen führte,

Um sie das Mitleid bis zu Thränen rührte.

Und Halt gebot den Quälern, als vernommen

Er ihren Glauben, Maximus, und nahm

Die Heil’gen in sein Haus, wo sie in frommen

Gesprächen weilten, bis der Abend kam.

Und Maximus ergriff die tiefste Scham

Mitsammt den Henkern, und der falschen Lehre

Entsagten sie und gaben Gott die Ehre.

Cäcilie kam mit Priestern in der Nacht,

Daß Allen sie die heil’ge Taufe gäben;

Und hinterher, sobald der Tag erwacht,

Begann sie fest die Stimme zu erheben:

»Wollt Ihr als echte Ritter Christi leben,

Entsagt dem Werk der Finsterniß fortan,

Und schnallt die Rüstung ew’ger Klarheit an.«

»Ja, eine große Schlacht habt Ihr geschlagen!

Jetzt ist’s vollbracht! Ihr habt Euch treu bewährt!

Ihr werdet drum des Lebens Krone tragen,

Die ein gerechter Richter Euch bescheert.

Er giebt sie Euch; Ihr seid derselben werth!«

Dann führte, als gesprochen war dies Wort,

Man sie sogleich zum Opferplatze fort.

Indeß – um kurz die Sache zu beenden –

Sie wollten, angelangt an jenem Ort,

Nicht Weihrauch streu’n, noch Opfergaben spenden.

Nein, voll Ergebung knieten Beide dort

In Demuth nieder; worauf sie sofort

Enthauptet wurden. Doch zum Himmelreich

Entschwebten Beider Seelen auch zugleich.

Und Maximus stand tief gerührt daneben

Und sprach, vor Jammer weinend und vor Schmerz:

»Mit Engeln voller Licht und Klarheit schweben,

Sah ich die Seelen Beider himmelwärts.«

Und dieses Wort bekehrte manches Herz.

Doch ließ Almachius mit Eisenruthen

Ihn dafür zücht’gen und zu Tode bluten.

Begraben ließ Cäcilie die Gebeine

Mit Valerian und mit Tiburz sodann

In einer Gruft und unter einem Steine.

Inzwischen trieb die Häscher, Mann für Mann,

Zur Jagd Almachius auf Cäcilie an,

Damit sie gleich vor seinem Angesichte

Den Opferdienst an Jupiter verrichte.

Es schenkten, durch ihr Wort sich rasch bekehrend,

Indessen jene vollen Glauben ihr,

Und schrieen unter Thränen immerwährend:

»Christ, Gottes Sohn, Du bleibest für und für

Der wahre Gott! – So denken Alle wir.

Dir dient die beste Magd. An Dir den Glauben

Soll selbst der Tod, der uns bedroht, nicht rauben.«

Almachius hörte, was sich zugetragen

Und lud Cäcilie vor, und wandte sich

Sodann zunächst an sie mit dem Befragen:

»Was bist Du für ein Frauenzimmer? – Sprich!«

Und sie begann: »Ein Edelweib bin ich!«

»Ich spreche« – rief er – »ob die Frage schon

Dich kränken mag, von Glauben und Rel’gion.«

»Nun, dann befrugst Du mich höchst thöricht eben.

Fürwahr, auf eine Frage« – sprach sie – »kann

Ich eine Antwort nur, nicht zweie geben.«

Ihr fiel ins Wort Almachius und begann:

»Von wannen kommt die Frechheit Dir? – Sag’ an!«

»Von wannen?« – sprach sie – »mir giebt Muth dazu

Des Glaubens Kraft und des Gewissens Ruh’!«

»Wie?« – frug Almachius – »fühlst Du keinen Schrecken

Vor meiner Macht?« – Sie aber sprach: »Nicht leicht

Wird Deine Stärke Furcht in mir erwecken,

Da Menschenmacht, soweit sie immer reicht,

Nur einer windgefüllten Blase gleicht,

Die, wenn der Nadel Spitze sie durchsticht,

Den Halt verliert und rasch zusammenbricht.«

»Mit Unrecht« – sprach er – »hast Du angefangen,

Und störrisch hältst Du an dem Unrecht fest.

Denn solltest Du nicht wissen, daß ergangen

Von unsern Fürsten ist ein Manifest,

Das Euch die Strafen, die Euch droh’n, erläßt

Und ungestörten Frieden Euch gewährt,

Sofern Ihr Christum ferner nicht verehrt?«

»Es irren Eure Fürsten und der Adel«

– Cäcilie sprach – »und übel angewandt

Wird das Gesetz! – Ihr wißt, uns trifft kein Tadel,

Denn unsere Unschuld ist Euch wohlbekannt.

Nach Christi Namen werden wir genannt;

Und daß von ihm wir mit Verehrung sprechen,

Das macht Ihr uns zum Schimpf und zum Verbrechen.«

»Wir kennen ihn als tugendhaft und rein;

Wie sollten wir ihn zu verläugnen wagen?«

Almachius rief: »Entscheide zwischen zwei’n

Kein andrer Weg bleibt für Dich einzuschlagen,

Als opfern, oder Christum zu entsagen!«

Indessen lächelnd gab darauf Bescheid

Die heil’ge, schöne, segensvolle Maid:

»O, Richter, fein verdrehst Du Deine Sachen!

Soll ich entsagen meiner Seligkeit?

Wie, willst Du zur Verbrecherin mich machen?

O, seht ihn an, wie vor Verlegenheit

Er im Gerichte heuchelt, wüthet, schreit!«

»Elende!« – rief Almachius aufgebracht –

»Du kennst noch nicht den Umfang meiner Macht!«

»Ward von den mächt’gen Fürsten mir gegeben

Die Vollmacht nicht und die Autorität,

Um zu entscheiden zwischen Tod und Leben?

Was redest Du so stolz und aufgebläht?«

Sie sprach: »Ich rede standfest nur; mir steht

Durchaus nicht an, mich stolz vor Dir zu brüsten,

Als Laster hassen allen Stolz wir Christen.«

»Doch wenn zu hören Dir der Muth nicht fehlt,

Will ich Dir nicht die Wahrheit vorenthalten.

Du sprichst: die Fürsten hätten Dich erwählt

Und ausgestattet mit den Amtsgewalten,

Um über Tod und Leben frei zu schalten.

Du kannst allein nur in den Tod uns senden,

Doch andre Vollmacht hast Du nicht in Händen.«

»Du magst zwar sagen, daß vom Halsgericht

Die Fürsten zum Verwalter Dich bestellten,

Indessen mehr Gewalt besitzt Du nicht.«

Almachius rief: »Hör’ auf mit Deinem Schelten!

Zum Opfer geh’! Ich werde nicht entgelten

An Dir Dein Unrecht. Denn ertragen kann

Ich dieses leicht als Philosoph und Mann.«

»Doch, daß den Göttern Schmähung wiederfuhr

Aus Deinem Munde, darf ich nicht ertragen!«

Cäcilie sprach: »Spitzfind’ge Creatur!

Ich sah aus jedem Worte Deiner Fragen

Seit lange schon Dein albernes Betragen.

In jeder Art bist Du erkannt von mir

Als eitler Richter, grober Officier!«

»Nichts fehlt zum Sehen Deinem Augenpaar,

Als nur das Licht. Denn, was wir Alle kennen

Als einen Stein ganz zweifellos und klar,

Will Dir belieben, einen Gott zu nennen.

Berühr’ ihn nur, und Du mußt fühlen können

Mit Deiner Hand, daß es ein Stein nur ist,

Obschon Du blind auf beiden Augen bist.«

»O, Scham! daß Du den Leuten dienen mußt

Durch Deine Thorheit zum Gespött und Hohne!

Denn allgemein ist Jeder sich bewußt,

Daß hoch im Himmel Gott allmächtig throne.

Und diese Bilder mußt Du zweifelsohne

Für sich und Dich ganz nutzlos doch erkennen,

Nicht einen Heller sind sie werth zu nennen!«

Dies sagte sie und manches andre Wort.

Doch wüthend hieß er sie nach Hause führen,

Und um sie zu verbrennen, alsofort

Ein Feuer unter ihrem Bade schüren.

Man eilte, die Befehle auszuführen.

Sie wurde schleunigst in ein Bad gebracht,

Worunter Feuer brannte Tag und Nacht.

Die lange Nacht, sowie am nächsten Tage

– War auch das Bad und Feuer noch so heiß –

Blieb sie stets kalt und fühlte keine Plage,

Und sie vergoß nicht einen Tropfen Schweiß,

Wiewohl auf des Almachius Geheiß,

Der tückisch seine Schergen abgesandt,

Sie ihren Tod im Bade dennoch fand.

Geführt nach ihrem Nacken wurden drei

Verschied’ne Streiche von dem Henkersknechte;

Und dennoch brach der Wirbel nicht entzwei.

Nun aber galt in jener Zeit zu Rechte,

Wer einen Menschen nicht ums Leben brächte,

Nachdem er dreimal auf ihn zugeschlagen,

Der dürfe nicht zum vierten Mal es wagen.

Halb todt ließ die im Nacken schwer Verletzte

Daher der Henker liegen, und verschwand.

Doch manches Tuch mit ihrem Blute netzte

Die Schaar der Christen, welche sie umstand.

Und trotz der Qualen fuhr sie unverwandt

Drei Tage fort, die theuren Glaubenslehren

Zu predigen und ihnen zu erklären.

Sie schenkte ihnen ihr gesammtes Erbe,

Und wies sie auf den Papst Urbanus an,

Und sprach: »O, Himmelskönig, eh’ ich sterbe

Gewähre mir drei Tage noch fortan,

Daß für ihr Seelenheil ich beten kann,

Und eine Kirche Dir auf ew’ge Zeiten

Vermag aus meinem Hause zu bereiten.«

Mit seinen Diaconen holte leise

Zur Nacht der heil’ge Urban ihr Gebein,

Und senkt’ es dann in feierlicher Weise

Zu andern Heil’gen auf dem Friedhof ein.

Zur »St. Cäcilienkirche« ließ er weih’n

Ihr Haus; und dort verehren noch bis heute

Christ und die Heil’ge andachtsvoll die Leute.

Der Prolog des Dienstmannes vom Kanonikus.

Vers 16022–16187.

Fünf Meilen waren wir geritten eben,

Als bei dem Schluß von St. Cäciliens Leben

Ein Reitersmann bei Boughton an der Heide

Uns überholte. – Unter einem Kleide

Von schwarzem Tuch trug er aus weißem Stoff

Ein Chorhemd. Zum Erstaunen aber troff

Der Schweiß von seiner apfelgrauen Mähre,

Als ob drei Meilen gloppirt er wäre.

Und auch der Klepper, den sein Diener ritt,

War voller Schweiß und konnte kaum mehr mit.

Hoch war die Brust mit weißem Schaum bedeckt;

Gleich einer Elster schien der Gaul gefleckt.

Ein Sack hing überm Widerriß ihm quer,

Sonst führt’ er scheinbar an Gepäck nichts mehr;

Nur Sommerkleider trug der würd’ge Mann.

Ich fing im Stillen mich zu wundern an,

Was er wohl wäre, bis ich am Gewand

Die Schaube festgenäht am Kragen fand;

So kam nach langen Grübeln ich zum Schluß:

Der Mann wär’ irgend ein Kanonikus.

Tief in den Nacken hing sein Hut herab

An einer Schnur, da statt im Schritt und Trab

Er im Galopp wie toll geritten war.

Mit einem Klettenblatte war sein Haar

Bedeckt, um seinen Kopf nicht zu erhitzen.

Man sah mit wahrer Seelenlust ihn schwitzen;

Wie nämlich eine Regenrinne tropft,

Wenn Hauslauch oder Weg’rich sie verstopft,

Troff seine Stirn, als er, sich nahend, schrie:

»Gott segne diese lust’ge Kompagnie!

Scharf ritt ich zu« – sprach er – »um Euretwegen.

Euch einzuholen kommt mir sehr gelegen;

In fröhlicher Gesellschaft reit’ ich gern.«

Sein Dienstmann glich an Höflichkeit dem Herrn.

»Ich sah Euch« – sprach er – »morgens schon bei Zeiten,

Verehrte Herr’n, aus Eurem Gasthof reiten;

Und meinem Herrn und Meister rieth ich dann:

Schließt Euch der lustigen Gesellschaft an!

Denn Scherz und Kurzweil liebt er selber eben.«

»Freund, segne Gott den Rath, den Du gegeben!«

– Sprach unser Wirth. – »Gewiß, es will mir scheinen,

Dein Herr sei klug und stecke – sollt’ ich meinen

Und möchte wetten – voller Scherz dabei.

Kann er vielleicht erzählen ein bis zwei

Geschichten unserm Kreise zum Vergnügen?«

»Wer, Herr? – Mein Meister? – Ja, Herr, ohne Lügen,

Er steckt von Späßen und von Scherzen voll;

Und, Herr, wenn ich die Wahrheit sagen soll,

Ihr würdet Euch, wenn Ihr ihn so genau

Wie ich erst kenntet, wundern, wie höchst schlau

Er seine Kunst treibt auf verschied’ne Weise,

Und Großes unternimmt, das hier im Kreise

Wohl schwerlich ohne meines Meisters Lehre

Zu leisten Irgendwer im Stande wäre.

Mag noch so schlicht er hier zu Pferde sitzen,

Euch würde seine Freundschaft sicher nützen,

Ihr würdet Euch derselben nicht entschlagen

Für vieles Geld. Die Wette will ich wagen,

Und, was ich habe, setz’ ich gern zum Pfand!

Er ist ein Herr von gründlichem Verstand;

Ich sag’ es Euch: ein selten großer Mann.«

»Gut!« – sprach der Wirth – »indessen sag’ uns an,

Ist ein Gelehrter, oder was ist er?«

»Nein!« – rief der Dienstmann – »er ist wahrlich mehr

Als ein Gelehrter, lieber Wirth! und gern

Erzähl’ ich kurz die Künste meines Herrn.

Mein Meister ist so voll Geschicklichkeit

– Zwar bin ich nicht in Alles eingeweiht,

Obschon ich ihm behülflich bin zu Zeiten –

Daß er den Grund, auf welchem wir hier reiten,

So weit, bis wir in Canterbury sind,

Nicht um und um nur kehren, nein, geschwind

Sogar mit Gold und Silber pflastern kann.«

Als er so weit gekommen war, begann

Zu ihm der Wirth: »Ei, benedicite!

Dann nimmt mich Wunder, wie ich frei gesteh’,

Daß Euer Herr, der solcher Weisheit voll,

Daß ihn die Welt darob verehren soll,

So wenig Werth auf seine Würde legt,

Und solchen fadenschein’gen Mantel trägt.

Bei meinem Heil! Wollt Ihr die Wahrheit wissen?

Er ist beschmutzt, ganz werthlos und zerrissen.

Wie ist Dein Herr so schmierig nur? sag’ an,

Der bess’re Kleider sich doch kaufen kann,

Wenn seine Lage Deinem Wort entspricht.

Ich bitte Dich, gieb mir davon Bericht.«

»Wie?« – rief der Dienstmann – »stellt Ihr diese Frage?

Bei meinem Heil! nie kommt er in die Lage!

Doch soll ich sein Geheimniß Euch entfalten,

Muß ich Euch bitten, reinen Mund zu halten.

Der Grund ist, glaub’ ich: er weiß allzuviel.

Durch Uebertreibung kommt man nicht ans Ziel.

Sie schadet nur, wie die Gelehrten sagen,

Und daher scheint mir thöricht sein Betragen.

Denn, ist ein Mann gar zu gewitzt und klug,

Mißbraucht er seine Gaben oft genug.

So thut mein Herr – und das betrübt mich sehr.

Es bess’re Gott! Ich sage jetzt nichts mehr.«

»Nun, das laß ruh’n!« – hub unser Gastwirth an –

»Was thut Dein Herr? Erzähle, lieber Mann.

Du kennst ja seine Künste ganz genau,

Du sagtest uns, er sei verschmitzt und schlau.

Nun, wenn Du darfst, so sprich: wo seid Ihr her?«

»Aus einem Vorort einer Stadt«, – sprach er –

»Woselbst in engen, finstern Gassenecken

Sich Räuber, Diebe dieser Art verstecken

Und im Geheimen ihre Wohnung nehmen,

Weil sie sich öffentlich zu zeigen schämen.

So geht es uns, soll ich die Wahrheit sagen.«

»Nun« – sprach der Wirth – »laß mich Dich weiter fragen:

Weßwegen bist so schwarz Du im Gesicht?«

»St. Peter!« – rief er – »bei des Herrn Gericht!

Wer so, wie ich, ins Feuer blasen muß,

Bekommt – so denk’ ich – sein Gesicht voll Ruß!

Im Spiegel zu beseh’n, pfleg’ ich mich nie,

Multipliciren lern’ ich voller Müh’;

Doch wie wir grübeln und das Feuer schüren,

Das, was wir wünschen, ist nicht auszuführen.

Zum Schluß ist immer dies und das vergessen.

Verschied’ne Leute täuschen wir indessen.

Wir borgen Gold, bald ein Pfund oder zwei,

Bald zehn, bald zwölf, was auch die Summe sei,

Und schwatzen ihnen vor, wir wüßten Wege,

Wie man aus einem Pfunde zweie präge.

Zwar ist es falsch, doch bleibt in uns beständig

Der Vorsatz und die Hoffnung d’rauf lebendig.

Fern aber vor uns liegt die Wissenschaft;

Ob fest entschlossen, fehlt uns doch die Kraft,

Es auszuführen; es entschlüpft den Händen

Stets rasch und läßt am Bettelstab uns enden.«

Es war, bevor der Dienstmann so weit kam,

Sein Herr ihm längst zur Seite, und vernahm,

Was er erzählte. Denn, wenn Jemand sprach,

War auf der Stelle auch sein Argwohn wach.

Wer – wie uns Cato sagt – sich schuldig fühlt,

Denkt gleich, daß jede Rede auf ihn zielt.

Damit ihm nicht ein einz’ges Wort entgehe,

Ritt er heran und hielt sich in der Nähe

Des Dieners auf, und sagte: »Halt’ sofort

Den Mund, und rede fernerhin kein Wort!

Und wenn Du’s thust, so soll’s Dir schlimm ergeh’n!

Du wagtest, vor den Leuten mich zu schmäh’n,

Und mein Geheimniß ihnen zu entdecken!«

»Sprich weiter!« – rief der Wirth – »laß Dich nicht schrecken!

Denn all sein Droh’n ist keinen Heller werth!«

»Bei meiner Treu!« – sprach jener – »dieses schert

Mich wenig nur!« – Doch der Kanonikus,

Der sich von seinem Diener mit Verdruß

Verrathen sah, floh voller Scham von hinnen.

»Jetzt« – sprach der Dienstmann – »soll der Spaß beginnen!

Gleich will ich Alles, was ich weiß, erzählen!

Jetzt ist er fort! – Mög’ ihn der Teufel quälen,

Nie will ich ihn – die Wahrheit zu gesteh’n –

Für Pfund und Pfennig ferner wiederseh’n.

Durch ihn ließ ich mich zu dem Spiel berücken;

Bevor er stirbt, soll Leid und Scham ihn drücken!

Ich bin im Ernst. – Ihr mögt mir Glauben schenken;

Ich fühl es tief, was auch die Leute denken.

Und dennoch konnt’ ich selbst trotz aller Schmach,

Trotz Arbeit, Sorgen, Schmerz und Ungemach

Mich dieser Sache nimmermehr entzieh’n!

Nun, wollte Gott, mir sei der Witz verlieh’n,

Euch diese Kunst vollständig klar zu machen.

Zum Theil indeß erzähl’ ich Euch die Sachen.

Mein Herr ist fort, drum werd’ ich ihn nicht sparen,

Und was ich weiß, das will ich offenbaren!«

Die Erzählung des Dienstmannes vom Kanonikus.

Vers 16188–16949.

Seit sieben Jahren dien’ ich diesem Herrn,

Und bleibe doch der Kunst beständig fern.

Ich büßte, was ich hatte, durch ihn ein,

Und – weiß es Gott – so ging es allgemein.

Vor Zeiten trug ich schöne, frische Kleider

Und andern Schmuck; jetzt aber trag’ ich leider

Auf meinem Kopf nur einen Strumpf als Hut.

Einst hatt’ ich frische Wangen voller Blut;

Jetzt sind sie welk und bleich und fahl wie Blei;

Denn, wie man’s treibt, so fährt man auch dabei.

Von vieler Arbeit trieft mein Auge schon.

Den Vortheil – seht! – bringt Multiplication!

Die schlüpferige Wissenschaft entriß

Mir, was ich hatte. Voller Kümmerniß

Muß ich in Armuth meine Wege zieh’n.

Ich schulde mehr an Geld, das mir gelieh’n,

Als – meiner Treu – ich je bezahlen kann.

Nehmt Euch für immer eine Warnung d’ran!

Wer einmal sich befaßt mit diesen Dingen,

Wird, wenn er fortfährt, sich um Alles bringen.

Gott helfe mir! dabei ist kein Gewinn,

Es macht den Witz und macht die Börse dünn.

Und wenn ein Mensch durch Thorheit oder Wahn

In diesem Spiel hat all sein Gut verthan,

So kitzelt er in Andern das Verlangen,

Ihr Geld zu lassen, gleich wie’s ihm ergangen.

Denn Bösewichten macht es stets Behagen,

Wenn Nebenmenschen Leid und Sorgen tragen;

Das sagten mir Gelehrte schon vor Zeiten.

Genug davon! Laßt uns zur Sache schreiten.

Wenn unser Teufelswerk zuerst beginnt,

Denkt Jedermann, wie wunderklug wir sind.

Wir reden so gelehrt und so curios.

Ins Feuer blas’ ich, bis ich athemlos

Geworden bin. Was soll ich Euch erzählen,

Wie zum Gemisch die Proportion wir wählen?

Ob wir fünf Unzen Silber oder auch

Sechs oder mehr bedürfen zum Gebrauch?

Soll ich die Namen aller Elemente,

Wie Knochen, Eisenspähne, Opermente,

Die zu dem feinsten Pulver wir zerreiben,

Und dann in irdne Töpfe thun, beschreiben?

Was wir an Salz und Pfeffer zu den eben

Von mir erwähnten Pulvern etwa geben?

Wie wir sie durch krystall’ne Glocken schützen,

Und was wir sonst zu unserm Werk benützen?

Wie wir verlöthen Gläser und Geräth,

Damit durch Luftzug kein Atom entgeht?

Was soll ich Euch von all den Feuern sagen,

Den schwachen und den starken; von den Plagen

Und allen Sorgen beim Amalgamiren,

Beim Calciniren und beim Sublimiren

Von dem Quecksilber oder Merkurial?

Denn es mißräth am Ende jedesmal.

Und nehmen von Quecksilbersublimat,

Von Bleiglanz, Porphyr, Operment und Spath

Auch diese Zahl und jene wir von Unzen,

Was hilft’s? – Wir werden unser Werk verhunzen.

Wie hoch empor der Spiritus auch steigt,

Was sich als Bodenniederschlag auch zeigt,

Wir ernten nie die Früchte unsres Strebens,

Und alle Müh’ und Arbeit bleibt vergebens.

Auf zwanzig Teufelswegen geht zuletzt

Verloren doch, was wir daran gesetzt.

Wir pflegen auch von manchen andern Sachen

In unserm Handwerk noch Gebrauch zu machen,

Die nach der Ordnung ich nicht nennen kann;

Denn ich bin nur ein ungelehrter Mann.

Doch zählen will ich’s, wie mir in den Sinn

Es eben kommt, Euch ohne Ordnung hin:

Borax und Grünspan, Ammoniak, Gefäße

Von Glas und Thon und mancherlei Gemäße,

Und unsre Urinalen und Phiolen,

Alembiks, Cucurbiten, Crucibolen,

Sublimatorien, Descensionsretorten,

Und andre, keinen Heller werthe Sorten.

Indeß, was nützt es, die Substanzen alle,

Wie Röthewasser, Schwefel, Bolusgalle,

Arsenik und sal armoniac zu kennen?

Auch manche Kräuter weiß ich noch zu nennen,

Wie Mondwurz, Ackermennig, Baldrian;

Und mehr als ich in Kürze sagen kann.

Auch unsre Lampen, welche Tag und Nacht

Hell brennen, damit unser Werk vollbracht;.

Und unsern Flammenherd zum Calciniren,

Und unsre Wasser zum Albisiciren,

Kalk, ungeschwemmte Kreide, Albumin,

Thon, Pulver, Asche, Dünger und Urin,

Salpeter, Vitriol und Trockenseiher,

Von Holz und Kohlen die verschied’nen Feuer,

Weinstein, Alkalien und Salzpräparate,

Brennmaterialien und Coagulate,

Lehm mit dem Haar von Menschen und von Pferden,

Tantar, Alaun, Oel, Hefe, Glas und Erden,

Und Rosalgar und Mittel, die verschwinden

Materien machen, oder sie verbinden;

Und unser Silber, das wir citriniren,

Und unser Cementiren, Fermentiren,

Und unsre Formen, Barren und was mehr

Dazu gehört. – Auch zähl’ ich ferner her

Die sieben Körper Euch und die vier Geister,

Wie mir sie oft hat vorgenannt mein Meister.

Quecksilber nennen wir den ersten Geist,

Den zweiten Operment; den dritten heißt

Man Ammoniak und Schwefel kommt zuletzt.

Und auch die sieben Körper nenn’ ich jetzt:

Sol ist das Gold, die Luna Silber nur,

Das Eisen Mars, Quecksilber ist Merkur,

Der Jupiter ist Zinn, Saturnus Blei,

Die Venus Kupfer. – Stehe Gott mir bei!

Wer immer der verfluchten Kunst verfällt,

Hat zur Genüge niemals Gut und Geld;

Denn Alles, was er darauf angewendet,

Ist zweifellos verloren und verschwendet.

Doch, wer so thöricht ist und will verlieren,

Erlerne schleunigst das Multipliciren.

Wer seinen Koffer voll hat, komm’ heran,

Zum Philosophen reift bald Jedermann.

Seht her! wie leicht ist dies zu unternehmen!

Nein, nein! – weiß Gott! – nicht Mönch noch Priester kämen,

Nicht Bettelbruder noch Kanonikus,

Noch and’re Leute je damit zum Schluß,

Selbst wenn sie Tag und Nacht studirten. Nie

Erlernen diese Teufelskünste sie;

Noch weniger ein unstudirter Mann.

Pfui! sprich nicht drüber! es geht niemals an!

Ob Jemand in der Wissenschaft zu Haus,

Ob darin fremd ist, kommt auf eins heraus;

Denn Beide bringen es – auf Seligkeit! –

In dieser Multiplication gleich weit.

Dabei wird Hab’ und Gut verspeculirt,

Das heißt: zum Schluß sind Beide ruinirt.

Vergessen hab’ ich und darum erwähne

Ich hinterher: die Eisenhobelspähne,

Die Oele, Scheidewasser, und desgleichen

Die Körper zum Erhärten und Erweichen,

Die Spülungsmittel und die Schmelzmetalle.

Doch würde, davon aufzuzählen alle,

Den Umfang jeder Bibel übersteigen;

Und daher wird es besser sein, zu schweigen.

Genug – so denk’ ich – sprach ich von den Sachen,

Den grimmsten Teufel dadurch wild zu machen.

Nein, damit abgethan! – Das Elixir,

Den Stein der Philosophen suchen wir;

Denn sein Besitz bringt Ruh’ und Sicherheit.

Jedoch – bei Gott im Himmel! einen Eid

Will ich d’rauf schwören – alle Kunst und Müh’

Bleibt stets vergebens. – Zu uns kommt er nie.

Er hat uns schon um vieles Gut gebracht,

Und hätte längst vor Gram uns toll gemacht,

Beschliche nicht die Hoffnung stets das Herz,

Wir würden ihn trotz allem bitt’ren Schmerz

Noch später finden und mit Augen schau’n;

Und zäh’ und fest bleibt Hoffnung und Vertrau’n.

Seid vorgewarnt: Ihr sucht darnach für immer!

Die Menschen hat der Zukunftshoffnungsschimmer

Von dieser Kunst stets um ihr Gut betrogen;

Und doch wird Jeder wieder angezogen.

Es scheint für ihn so bittersüß zu sein;

Er würde selbst, wenn er ein Hemd allein,

Sich zu bedecken Nachts in seinem Bette,

Und für den Tag nur einen Mantel hätte,

Sie doch verkaufen; bis er dann zuletzt

Der Kunst zu Liebe Alles d’ran gesetzt.

An diesen Leuten nimmt man immerdar,

Wohin sie geh’n, Gestank von Schwefel wahr.

Sie stinken ringsumher wie eine Gais;

Ihr Dunst ist stets so böckisch und so heiß;

Man riecht im Voraus eine Meile lang

Von ihnen – glaubt mir – schon den Pestgestank.

Seht! da sie stinken und sich schäbig kleiden,

Kann man sehr leicht die Leute unterscheiden.

Doch woll’t Ihr im Geheimen sie befragen,

Weßhalb sie sich so fadenscheinig tragen,

So raunen sie Euch allsogleich ins Ohr:

Man überwache sie, man habe vor

Sie zu erschlagen ihres Wissens wegen.

Seht! wie die Einfalt sie zu täuschen pflegen!

Genug davon! Zurück zur Sache jetzt!

Bevor den Topf man auf das Feuer setzt,

Thut man Metalle je nach Maß hinein.

– Die Mischung macht mein Herr für sich allein. –

Jetzt ist er fort. – D’rum sprech’ ich unverblümt.

Wie man sein Kunstgeschick auch immer rühmt,

Wie sehr mir selbst sein hoher Ruf bekannt,

So hat er sich doch manchesmal verrannt.

Und wißt Ihr, wie? – Nun, es geschah von je,

Daß ein Gefäß zerbricht – und dann Ade

Geht Alles; denn die Kraft von dem Metall

Ist fürchterlich. Ihr widersteht kein Wall,

Mag er erbaut auch sein aus Kalk und Stein.

Sie sprengt die Mauern, bricht sie, stürzt sie ein.

Oft fließt auch das Metall uns in den Grund

– Dadurch verloren wir schon manches Pfund –

Oft fliegt es, weithin rollend, durchs Gemach

Und – ungelogen – oftmals bis ans Dach.

Und glaubt mir – zeigt sich auch der Teufel nicht,

Bei uns ist doch der schlaue Bösewicht.

Und in der Hölle, wo er Herrscher ist

Giebt es kaum mehr an Sorge, Neid und Zwist.

War uns ein Topf zerbrochen – wie gesagt –

So schimpfte man, und Jeder ward verklagt.

Der eine sprach: »Geschürt ward nicht die Gluth!«

Der rief: »O, nein! geblasen ward nicht gut!«

– Und das war leider mein Officium –

»Stroh!« – rief der Dritte – »Ihr seid roh und dumm!

Nur an der Mischung lag es sicherlich!«

»Nein!« – schrie der Vierte – »Still, und hört auf mich!

Man heizte nicht mit Buchenscheiten ein.

– Bei meinem Heil – das war der Grund allein!«

Ich kann nicht sagen, was die Ursach’ war,

Doch, daß es großen Streit gab, weiß ich klar.

»Was?« – rief mein Herr – »dabei ist nichts zu thun!

Doch hüten werd’ ich vor Gefahr mich nun.

Eins ist gewiß: zerbrochen ist der Topf,

Wie’s immer kann. Behaltet hoch den Kopf!

Und reinigt, wie dies Brauch ist, rasch die Flur!

Frisch, Muth gefaßt! seid froh und munter nur!«

Auf einen Haufen ward der Schutt gefegt,

Und auf die Flur ein Segeltuch gelegt;

Man warf den Kehricht in ein Sieb, und dann

Fing man zu schütteln und zu suchen an.

»Pardi!« – rief einer – »vom Metall zurück

Blieb zwar nicht Alles, doch noch manches Stück.

Diesmal mißrieth es, aber Ihr sollt seh’n,

Zum zweiten Male wird es besser geh’n.«

Wir mußten unser Gut von Neuem wagen.

Im höchsten Wohlstand könnte dies ertragen

Fürwahr kein Handelsmann, bei meiner Ehre!

Zwar oft ertrinkt auch ihm sein Gut im Meere,

Doch meistens kommt es sicher an das Land.

»Still!« – rief mein Herr – »ich bring’ es noch zu Stand!

Doch ganz verschieden wird es angefaßt

Das nächste Mal, wenn Ihr mich machen laßt.

Nur ein Versehen war es, wie ich weiß.«

Ein And’rer sprach: »Das Feuer war zu heiß!«

Doch ob es heiß, ob kalt ist, zum Beschluß

Mißräth es stets, wie ich bekennen muß.

Erreicht wird nie, was wir bestreben wollen.

Wir rasen nur beständig, wie die Tollen.

Doch sind wir alle bei einander, so

Scheint Jedermann ein zweiter Salamo.

Nicht alle Dinge, die wie Gold ausschau’n,

Sind darum Gold. – Man kann dem Spruche trau’n:

Nicht jeder Apfel, welcher lieblich scheint,

Ist darum gut, was man auch sagt und meint.

So geht es auch mit uns. – Bei Jesu Christ!

Wer als der Klügste bei uns gilt, der ist

Der größte Thor, sobald man ihn erprobt,

Und oft zum Dieb wird, wen als treu man lobt.

Das sollt Ihr, eh’ sich unsre Wege trennen,

Am Schlusse der Geschichte noch erkennen.

Einst schloß sich ein Kanonikus uns an;

Verpesten würde jede Stadt der Mann,

Ob groß wie Alexandrien sie sei,

Rom, Troja, Ninive und andre drei.

Von seinen Schlichen, seiner Falschheit brächte

Kein Mensch ein Buch zu Ende, wie ich dächte,

Und sollt’ er tausend Jahre selbst erreichen.

Denn auf der Erde sah man Seinesgleichen

An Falschheit nicht. Er wußte sich zu winden

Und höchst geschickt die Worte zu verbinden

Und im Gespräch mit Leuten so zu reden,

Daß es im Kopfe toll ward einem Jeden,

Der nicht ein Teufel gleich ihm selber war.

Und so betrog er Viele Jahr für Jahr

Und wird es thun die ganze Lebenszeit.

Und dennoch geh’n und reiten meilenweit

Ihm Leute nach, die seiner Freundschaft trau’n,

Weil sie sein falsches Wesen nicht durchschau’n.

Doch, wollt Ihr gütigst mir Gehör gewähren,

So will ich Euch den Sachverhalt erklären.

Ihr aber, würd’ge Stiftsherr’n müßt nicht denken,

Daß ich, um Euch und Euer Stift zu kränken,

Von einem Herrn Kanonikus berichte.

In jedem Stande giebt es Bösewichte;

Indessen Gott verhüte, daß auf Alle

Sofort die Thorheit eines Mitglieds falle.

Euch zu beschimpfen liegt mir wahrlich fern;

Nur bessern, wo gefehlt ist, möcht’ ich gern.

Denn auch für Andre, nicht für Euch allein

Gilt die Geschichte. – Man weiß allgemein,

Daß unter zwölf Aposteln in der Schaar

Des Herrn nur Judas ein Verräther war.

Wie kann deßwegen tadeln man den Rest,

Der schuldlos blieb? Und ganz dasselbe läßt

Von Euch sich sagen. – Aber hört, ich bitte:

Habt einen Judas Ihr in Eurer Mitte,

So rath’ ich Euch, entfernt ihn schon bei Zeiten,

Sonst wird er Scham Euch und Verlust bereiten.

Doch seid ersucht, nehmt keinen Anstoß d’ran

Und, was ich Euch erzählen will, hört an.

In London wohnte manches liebe Jahr

Ein Priester und Capitels-Annualar,

Der sich so höflich einer Frau erwies,

In derem Hausstand er sich speisen ließ,

Daß sie ihn niemals um Bezahlung frug

Für Tisch und Zeug, so schön er sich auch trug.

Mit Silbergeld war er vollauf verseh’n;

Doch, das laßt ruh’n; ich will nun weiter geh’n

Und Euch erzählen, wie’s der Stiftsherr machte

Daß er den Pfaffen ins Verderben brachte.

Ins Zimmer, wo der Priester hauste, trat

Der falsche Stiftsherr eines Tags und bat,

Daß er ein Darlehn ihm gewähren wolle,

Das er sofort zurück empfangen solle.

»Leih’ eine Mark nur auf drei Tage mir,

Mein Wort zum Pfand, ich zahle pünktlich Dir

Die Summe heim; sonst hänge nach Verlauf

Von den drei Tagen mich am nächsten auf.«

Der Priester gab ihm eine Mark sofort.

Und Abschied nahm nach manchem Dankeswort

Der Herr Kanonikus und zog von dannen.

Und eh’ zu Ende noch drei Tage rannen,

Trug er das Geld dem Priester wieder hin,

Und diesem war ganz wunderfroh zu Sinn.

»Gewiß« – sprach er – »es soll mich nicht verdrießen

Ein, zwei, drei Nobel Leuten vorzuschießen,

Und was ich habe sonst an Gut und Geld.

Falls Jemand treu an die Bedingung hält

Und löst sein Wort bestimmt und pünktlich ein,

So sag’ ich nie zu solchem Herren: Nein!«

»Was?« – fragte Jener – »sollt’ ich ungetreu

Denn etwa handeln? – Nun, das wäre neu!

Von einem Dinge, wie die Treue, weiche

Ich bis zum Tage, daß ins Grab ich schleiche,

Gewiß nicht ab. Verhüt’ es Gott und Christ!

Dies ist so wahr, wie nur Dein Credo ist.

Ich danke Gott und darf es füglich sagen,

Noch hatte Keiner über mich zu klagen,

Der mir an Gold und Silber etwas lieh;

Denn Falschheit wohnte mir im Herzen nie.

Herr« – rief er – »für Dein edeles Betragen

Möcht’ ich zum Dank Dir mein Geheimniß sagen.

Du liehst mir Beistand in Verlegenheit,

Und zum Entgelt für Deine Freundlichkeit

Will ich, hegst Du den Wunsch Dich zu belehren,

In jeder Richtung Einsicht Dir gewähren

In meine Künste der Philosophie.

Darum gieb Acht! Eh’ ich von dannen zieh’,

Soll noch durch mich ein Meisterstück gescheh’n.«

»Ja?« – frug der Priester – »soll ich’s wirklich seh’n?

Wohlan! so bitt’ ich d’rum von ganzer Seele!«

»Mein Herr« – sprach der Kanonikus – »befehle!

Dir treu gehorsam bin ich bis zum Tod!«

– Seht! wie der Dieb ihm seinen Dienst anbot. –

Jedoch es stinkt – wie alte Weise sagen –

Wird uns ein Dienst zu dringend angetragen;

Und daß dies Wahrheit ist, erseht Ihr später

An dem Kanonikus, dem Erzverräther,

Der Teufelspläne stets im Herzen hegte,

Und den’s zu freu’n und zu ergötzen pflegte,

Dem Christenvolk in jeder Art zu schaden.

– Vorm falschen Heuchler schütz’ uns Gott in Gnaden! –

Der Priester wußte nicht, mit wem er theilte,

Bis ihn das Unglück ungeahnt ereilte.

O, dummer Priester! o, bethörter Mann!

Daß Dich Begehrlichkeit so blenden kann!

Dein Dünkel, ach! ist dumm und blind genug;

Nicht einen Argwohn hegst Du vom Betrug,

Mit dem der Fuchs beginnt Dich zu umspinnen!

Du wirst nicht seinem schlauen Schlich entrinnen!

Jedoch um fortzufahren in der Sache,

Die schließlich Dein Verderben war, so mache,

Unsel’ger Mann, ich Deinen Unverstand

Und Deine Thorheit unverweilt bekannt,

Und auch die Falschheit, insoweit ich solche

Euch schildern kann, von jenem andern Strolche!

Ihr denkt, mein Herr sei der Kanonikus.

Doch – bei der Himmelskönigin – ich muß

– Herr Wirth–bekennen, dies ist nicht der Fall,

Denn hundertfach geschickter überall

Betrog mein Herr beständig einen Jeden.

Doch es verdrießt mich, viel davon zu reden,

Weil in die Wangen mir die Röthe steigt,

Denk’ ich daran, wie falsch er sich bezeigt.

Das heißt, es überläuft mich glühend heiß;

Denn nicht erröthen kann ich, wie ich weiß,

Da die verschied’nen Dünste der Metalle,

Wie solche von mir aufgezählt sind alle,

Mich längst um meine Röthe schon gebracht.

Nun komm’ ich auf den Schurkenstreich. – Gebt Acht!

»Den Knecht« – sprach der Kanonikus – »heiß laufen,

Uns auf der Stelle Merkurial zu kaufen.

Zwei bis drei Unzen muß er mit sich bringen.

Kommt er zurück, sollst Du an Wunderdingen

Erblicken, was Du nie zuvor geseh’n.«

»Herr!« – sprach der Priester – »das soll gleich gescheh’n.«

Er schickte seinen Diener nach den Sachen,

Und dieser rannte – um es kurz zu machen –

Sofort davon, wie dies sein Herr befahl

Und holte rasch drei Unzen Merkurial.

Fein und behutsam legte sie zurecht

Dann der Kanonikus und hieß den Knecht,

Die nöth’gen Kohlen zu dem Werke bringen,

Damit sie gleich an ihre Arbeit gingen.

Der Diener trug die Kohlen rasch heran,

Und aus dem B