Auf die Wache gebracht zu werden, ist nicht angenehm. Kasperle fand es sogar sehr unangenehm und er zeterte und schrie, daß die halbe Stadt zusammenlief. Bimlim war still, aber weil Kasperle schrie, schrie er auch, und weil Kasperle zappelte, zappelte er auch. Überhaupt machte er Kasperle alles nach, und als Kasperle ein wütendes Gesicht schnitt, zog er auch sein Gesicht zusammen wie ein Hund, wenn er beißen will.

»Was sind das für komische Buben,« rief einer aus der Menge.

Wupp machte Kasperle ein Gesicht wie ein Teufel und eine Frau schrie: »Jemine, da kann man sich ja fürchten!«

»Huhu« – ein Kind fing an zu weinen, und gleich machte Kasperle ein Menschenfressergesicht.

Das gab ein Gekreisch.

Alles schrie und purzelte durcheinander, denn die Kinder, die sich vorgedrängt hatten, wollten ausreißen und konnten nicht.

Da packte der Schutzmann Kasperle fester: »Was schneidest du für Gesichter?«

»Uh je,« fuhr er zurück, denn Kasperle sah auf einmal wie er selbst aus.

»Er sieht wie der Schutzmann Schulze aus!« schrie ein Bube, und eine andere Stimme rief: »Er ist sein Sohn!«

»Herrn Schulze sein Sohn, Schulzen sein Sohn!«

Nein, ärgerte sich der Schutzmann, weil er gar nicht Schulze, sondern Müller hieß, und weil er gar keinen Sohn hatte.

»Schulzen sein Sohn, Schulzen sein Sohn!« gellte es durch die Gasse.

»Schneid’ doch nicht solche Gesichter!« herrschte der Schutzmann Kasperle an.

Da machte der ein Gesicht, wie es einst Marlenchen hatte, und alle schrien: »Er sieht aus wie die Prinzessin Marlene!«

»Wo ist Marlenchen?« brüllte Kasperle. »Ich muß zu Marlenchen.« Und er drehte und wendete sich und schnitt Teufels- und Räubergesichter, so daß dem Schutzmann himmelangst wurde. So einen hatte er noch nie abgeführt.

Dazu johlte und tobte es auf der Gasse, alle wollten Kasperles Gesichter sehen und alle riefen: »Schulze, laß ihn doch los, halt deinen Sohn doch nicht so fest!«

»Er ist nicht mein Sohn, und ich heiße Müller!«

»Huch,« schrie Kasperle, »Schulze, sagt er, heiße nicht Schulze, und ich bin doch sein Sohn. Seht mal!«

Und Kasperle sah wieder aus wie der Schutzmann und viele Stimmen lärmten: »Er ist Schulzes Sohn, ja, Schulzes Sohn.«

»Ich heiße Müller.«

»Nä, Schulze,« schrie Kasperle.

»Müller.«

»Nä, Schulze.«

»So ein Rabenvater,« riefen die Leute, »führt seinen eigenen Sohn ab, Herr Schulze das ist nicht nett.«

»Ich heiße Müller.«

»Nä, Schulze.« Kasperle merkte wohl, daß der Schutzmann sich ärgerte, wenn er Schulze genannt wurde, und er dachte, wenn er sich recht ärgert, da läßt er mich los. Müller ließ ihn aber nicht los, soviel auch die Leute schalten und ihn Rabenvater nannten.

Und da war die Wache und da waren mehr Schutzleute und Kasperle und Bimlim mußten hineinspazieren.

Drinnen gab es ein langes Verhör.

»Wie heißt du?«

»Kasperle.«

»Das ist kein Name.«

»Peringel.«

»Schlingel, das ist auch kein Name.«

»Doch ich bin Kasperle Peringel und der da ist Prinz Bimlim.«

»Wo wohnst du?«

»In meinem Kasten.«

Da verlor der Schutzmann die Geduld und schrie Kasperle an: »Gleich sagst du, wer du bist.«

»Kasperle.«

»Gibt es ja gar nicht.«

»Doch, die gibt es.«

»Wie alt bist du denn?«

»Ein paar hundert Jahre.«

»Halt mich nicht zum Narren, sonst wirst du ins Gefängnis gesteckt.«

Da bekam Kasperle einen argen Schreck. Er schrie unglaublich und Bimlim schrie mit. Draußen aber sagten die Leute: »Schutzmann Schulze haut seinen Sohn.« Das ärgerte die Schutzleute und sie schalten auf Kasperle. Der aber dachte daran, daß ihm das Heulen schon manchmal geholfen hatte, und er heulte immer lauter.

Das hörte auch einer, der vorbeiging. Es war Herr Stopps; der ging in das Polizeigebäude hinein und fragte: »Weint hier Kasperle?«

»Nun nennen Sie den Burschen, der so heult, auch Kasperle! Die gibt es doch gar nicht!«

Da erzählte Herr Stopps von seinem Großvater und von dem Brand von Torburg, und daß Kasperle wieder aufgewacht sei.

»Das stimmt,« sagte Kasperle immerzu, dem manches, was es einst erlebt hatte, nun wieder einfiel. Vieles hatte es vergessen, und das war gut, sonst wäre es vielleicht sehr traurig gewesen, weil die Welt damals so anders ausgesehen hatte.

»Ein Kasperle, das gibt es nicht.« Ein Schutzmann läßt sich nicht so leicht überzeugen. Da sagte Herr Stopps: »Kasperle, kannst du noch kaspern?«

»Freilich!« schrie Kasperle.

»Dann kaspere uns mal was vor, damit der Schutzmann Schulze . . .«

»Müller heiße ich!«

». . . also Müller sieht, was du kannst.«

»Ach, kaspern können viele Kinder,« sagte Herr Müller spöttisch, »sie kaspern ihren Eltern und Lehrern genug vor.«

»Aber Kasperle wird es noch besser können.«

Da stellte sich Kasperle flugs so an das offene Fenster, daß man ihn von draußen sehen konnte, und nun ging es los. Arme, Beine, Ohren, Nase, alles wackelte, Kasperle schnitt alle Gesichter, die er noch konnte, und da sah er zum großen Erstaunen des Herrn Stopps auf einmal aus wie der alte Herzog August Erasmus, dessen Bild er daheim in seiner Bücherei hängen hatte.

Draußen sahen sie ein Stück von Kasperle. Nur ein Stück. Aber das schon brachte die Leute in Aufregung. Sie wollten alle mehr sehen und sie kletterten an dem eisernen Gitter empor, das einen kleinen Vorgarten von der Straße schied.

»Nicht hineinklettern,« rief ein Schutzmann, »das ist verboten.«

Da schaute Kasperle flugs hinter ihm heraus und machte sein lustiges Kasperlegesicht.

»Es ist ein Kasperle,« schrien sie draußen, »er soll herauskommen und uns was vorkaspern.«

»Vorstellungen auf der Straße sind verboten.«

»Jetzt sieht er aus wie der Schutzmann Schulze.«

»Müller heiße ich.«

»Jawohl, Herr Schulze.«

»Müller! Donnerwetter!«

»Jawohl, Herr Müller Donnerwetter.«

Der Schutzmann wollte gerade etwas erwidern, als alle draußen aufkreischten. Kasperle hatte ein Teufelsgesicht gemacht.

»Man kann sich ja fürchten,« rief eine dicke Frau. »Uh je.«

Kasperle sah nun aus wie ein Menschenfresser.

»Geh’ vom Fenster weg,« gebot der Vorsteher der Wache.

»Er soll nicht weggehen, er soll herauskommen. Wir wollen mehr sehen,« rief es draußen.

»Er muß drinbleiben, er ist angeklagt.«

»Wir wollen Kasperle haben, laßt ihn heraus,« rief es draußen.

»Aufgepaßt, jetzt schlage ich Purzelbaum,« rief Kasperle drinnen, schoß und kam gerade an die Türe, als ein Herr hereinwollte. Beide stießen unsanft zusammen.

»Was ist das?« rief der Herr und rieb sich den Bauch.

»Das ist Kasperle, Herr Polizeirat. Ein Delinquent, der sagt, er wäre ein Kasperle.«

»Das gibt’s ja gar nicht,« rief der Polizeirat und sah Kasperle scharf an.

»Wo wohnst du?«

Nun hätte Kasperle endlich sagen können: »Bei Meister Drillhose,« er sagte aber: »In meinem Kasten.«

»In einem Kasten wohnt man nicht.« Der Polizeirat sah Kasperle scharf an und plötzlich rief er: »Müller, ich hab’s, das ist der Schmidt, der berüchtigte Taschendieb. Heißt du Schmidt?« schrie er Kasperle an.

»Nä, Kasperle.«

»Du bist ein Taschendieb.«

»Nä, bin ich nicht.«

»Doch, du verstellst dich nur, du bist ein kleiner, nichtsnutziger Bursche, ich werde dich aber entlarven. Müller, lassen Sie einmal ein großes Butterbrot holen.«

»Butterbrot!« schrie Kasperle und sein Gesicht strahlte wie eine Junisonne.

»Ja, Butterbrot, das mußt du essen.«

Leise sagte der Polizeirat zu Herrn Stopps: »Er kann nämlich nur ganz langsam essen, das ist das Kennzeichen. Wollen sehen, wie er mit dem Butterbrot fertig wird.«

»Ja, wollen sehen,« murmelte Herr Stopps.

Da kam das Butterbrot und der Polizeirat sagte: »Iß!« – und weg war es.

»Wo ist das Butterbrot?«

»Hier,« Kasperle klopfte auf seinen Magen, und da auch Herr Müller sagte: »Er hat es gegessen,« murmelte der Polizeirat: »Er ist es nicht.«

»Er ist es doch,« schrie Herr Müller, »er hat sich damals verstellt.«

»Wieso damals verstellt?«

»Als er tat, als könnte er nichts essen.«

»Das ist möglich. Man photographiere ihn und behalte ihn im Hause, bis aus D. der Bescheid da ist, ob er es ist oder nicht.«

Ja, festgehalten zu werden, dünkte Kasperle nicht gut, und das Photographiertwerden auch nicht, denn er wußte nicht, was das ist.

Als es auf einen Stuhl gesetzt wurde und den Apparat auf sich gerichtet sah, schnitt es ein Teufelsgesicht, dann ein Räubergesicht, dann ein Menschenfressergesicht, so daß der Photograph ganz verzweifelt rief: »Es ist immer ein anderer!«

Der Polizist Müller lief zu dem Polizeirat, der gerade mit Herrn Stopps sprach und schrie: »Herr Polizeirat, es ist immer ein anderer!«

»Es ist ein Kasperle,« sagte Herr Stopps.

»Es ist ein Kasperle,« sagte noch jemand, das war Herr Drillhose, der mit Meister Hirsebrei und Madame Käsewurm das Zimmer betrat. Bimlim hatte sie geholt, denn um Bimlim hatte sich niemand gekümmert. Der hatte richtig das Haus gefunden, in dem Meister Drillhose wohnte. Dieser sagte: »Bimlim, du bist gar nicht so dumm, wie du aussiehst.«

»Uah, ich bin nicht dumm, nur müde, wenn man nicht ausschlafen kann.«

»Peringel hat aber doch ausgeschlafen.«

»Ja, Peringel, der Schlingel.«

Nach Peringel fragte nun der Polizeirat, um Bimlim kümmerte sich niemand.

»Wie heißt Ihr Pflegesohn?«

»Kasperle Peringel.«

»Mit dem Kasperle bleiben Sie mir vom Leibe, das glaube ich nicht.«

»Er ist doch ein Kasperle.«

»Nein!«

»Nein,« schrie auch der Schutzmann Müller, »Kasperles gibt es nur von Holz!«

»Und jetzt ist er ausgerissen,« ertönte eine Stimme. Der Schutzmann Brummeler stand in der Türe und sagte es.

»Wer ist ausgerissen?«

»Was ist ausgerissen?«

»Na der Kerl, der Kasperle heißen will.«

»Wie kann er denn ausreißen, der war doch oben im zweiten Stock!«

»Er ist zum Fenster naus und am Haus hinunter.«

»Vom zweiten Stock?«

»Ja, vom zweiten Stock!«

»Aber wie kann er denn, er muß doch fallen?«

»Ih, der ist nicht gefallen.«

»Unten steht er und macht Dummheiten,« schrie Müller.

Unten stand wirklich Kasperle und kasperte, und um ihn herum standen Hunderte von Menschen und lachten, lachten, wie sie noch nie gelacht hatten. Da lief Meister Hirsebrei flink auf die Straße, nahm seinen Hut und sammelte ein. Da flogen andere Münzen in seinen Hut als Hosenknöpfe, und er merkte, wenn ein echtes Kasperle kommt, lachen die Leute auch heute noch.

Selbst der Polizeirat lief auf die Straße, und als ihn Kasperle kommen sah, machte er dessen Gesicht nach und schrie: »Bringt ein Butterbrot, schnell bringt ein Butterbrot!«

Weil alle dachten, Kasperle hätte solchen Hunger, streckten ihm viele ihre Frühstücksbrote hin, und Kasperle fing an zu schlingen, mitten drin aber schrie er: »Bimlim komm, du kriegst auch was.«

Das ließ sich Bimlim nicht zweimal sagen.

Als die beiden Kasperles vor den Leuten standen, riefen die: »Fein, nun spielen uns beide etwas vor.«

»Uah, ich kann nicht, ich bin zu müde, ich muß erst ausschlafen.«

Bimlim gähnte, und Kasperle gähnte auch, er hatte sich in aller Eile so nudelvoll gegessen, daß er nicht mehr kaspern konnte.

»Heute nachmittag gibt es Vorstellung!« schrie Meister Hirsebrei.

»Halt ein,« schrie Herr Stopps dazwischen, »heute nachmittag ist bei mir Kindergesellschaft, da lade ich beide Kasperles ein.«

»Fein,« schrie Kasperle, »da gibt’s Käsekuchen!«

»Also morgen nachmittag auf der Vogelwiese ist Kasperlevorstellung!«

»Wir kommen!« schrien die Leute.

»Bringt Gröschleins mit,« rief Kasperle, »ich bin ein armes Kasperle.«

»Du kriegst von mir etwas.« Herrn Stopps tat das Kasperle auf einmal furchtbar leid, er hatte sich überlegt, daß einer mehr als 70 Bissen essen muß, wenn er 75 Jahre geschlafen hat. Er gab Meister Hirsebrei gleich 100 Mark, und der Polizeirat gab auch drei Mark, selbst Herr Müller reichte eine Mark heraus: »Weil’s doch wirklich ein Kasperle ist,« sagte er.

So zogen die beiden Kasperlespieler und Madame Käsewurm um viele Sorgen leichter mit ihren Kasperles heim, und Peringel redete unterwegs von nichts anderem als von der Kindergesellschaft.