Kasperle schlief trotz seiner Ängste in der ersten Nacht sehr gut. Ein paarmal hörte er schreien: »Wer schnarcht denn hier so fürchterlich?« dann antwortete er jedesmal »ich nicht« und schnarchte weiter.
Er dachte nämlich, er schliefe so leise wie ein Engelchen.
Das arme Kasperle wußte gar nicht, was es angerichtet hatte.
Am Morgen klopfte es an die Türe, und der Diener fragte, ob Herr von Pfannkuchen nicht zum Frühstück kommen wollte.
»Ich bin krank, ich kann nicht aufstehen!« schrie Kasperle entsetzt.
»Soll ich das Frühstück in die Kabine bringen?«
»Ja,« schrie Kasperle, aber dann fiel ihm ein, der Diener könnte ihn erkennen, und er rief flink: »Ich kann nichts essen, ich bin zu krank.«
»Soll ich den Doktor schicken?«
»Nä,« schrie Kasperle und der Diener dachte, na, wie ein feiner Herr schreit der da drinnen nicht.
Der Diener ging dem Kapitän melden, der Herr von Pfannkuchen wäre krank, aber einen Doktor wolle er nicht.
»Dann soll er es bleiben lassen,« rief der Kapitän ärgerlich. Dem hatte gerade die Prinzessin Gundolfine erzählt, ihr Nachbar, der Herr von Pfannkuchen schnarche so schrecklich, daß sie gar nicht schlafen könne.
»Meinetwegen,« hatte der Kapitän gebrummt, und da war die Prinzessin arg böse geworden.
»Meinetwegen sagt man nicht zu einer Prinzessin. Und überhaupt, der Herr von Pfannkuchen kommt mir sehr verdächtig vor. Warum kommt er denn nicht zum Frühstück?«
Der Kapitän konnte sich nicht weiter um seine Gäste kümmern, das Schiff sollte den Hafen von Genua verlassen, und er hatte genug zu tun.
Im letzten Augenblick, der Lotse hatte gerade das Schiff verlassen, kam ein Fischer angerudert, und Kasperle, der zu seinem runden Kabinenfensterchen hinausschaute, hörte rufen: »Herr Kapitän, Sie sollen warten, Mister Stopps kommt noch, er sagt, Kasperle wäre mit auf dem Schiff.«
»Wir haben kein Kasperle,« rief der Kapitän, »wir können auch nicht warten.«
»Ha,« schrie die Prinzessin Gundolfine, »wer schreit drüben so?«
Kasperle heulte vor Angst.
»Herr von Pfannkuchen, sterben Sie?« rief die Prinzessin erschrocken vor der Kabine.
»Ja, ich stirbse.«
»Ach, das muß man gleich dem Kapitän sagen,« rief die Dame und rannte eiligst hinaus. Sie fand den Kapitän in seiner Kajüte, der rief: »Hab‘ keine Zeit!«
»Aber der Herr von Pfannkuchen stirbt.«
»Meinetwegen, dann wird er ins Meer geworfen.«
Oh wie schrecklich! Die Prinzessin rannte zurück und rief vor Kasperles Tür: »Herr von Pfannkuchen, Sie sollten lieber nicht sterben. Machen Sie doch mal auf, ich will sehen, ob Sie schon beinahe tot sind.«
»Nä, ich bin wieder lebendig, ich mache nicht auf.«
»Ein unhöflicher Herr,« sagte die Prinzessin, die furchtbar neugierig war und vor lauter Neugier zum Kapitän gelaufen war.
Aber Kasperle machte nicht auf.
Er dachte, es wäre am besten so. Der Herr Kapitän aber dachte anders. Als er Zeit hatte, schickte er einen Diener, der sollte von dem Herrn von Pfannkuchen den Paß holen.
Der klopfte: »Bitte Ihren Paß.«
Kasperle schrie heftig: »Hier ist es nicht naß.« Denn was ein Paß war, das wußte der Schelm nicht.
»Den Paß.«
»Ich habe kein Glas.«
»Den Paß.«
»Ich passe schon auf.«
Kasperle verstand und verstand nicht, was der Diener wollte, und der lief zurück zu dem Kapitän. Da schickte der einen Matrosen, weil der lauter schreien konnte. Der schrie denn auch so an Kasperles Türe, daß nebenan die Prinzessin beinahe in Ohnmacht fiel. Bums, bums, bums, donnerte der Matrose an die Türe: »Aufgemacht, sonst wird geschossen!«
»Ich stirbse, stirbse gleich, ich bin schon tot,« jammerte Kasperle, »ach, ich bin so krank.«
Da ging der Matrose laut lachend von dannen und sagte: »Der Herr von Pfannkuchen hat die Seekrankheit bekommen!«
»In Neapel wird es sich mit dem Herrn von Pfannkuchen schon reden lassen,« meinte der Kapitän. »Wer seekrank ist, ist ein armer Schelm.«
Kasperle hatte aber gar nicht die Seekrankheit. Er war eigentlich putzmunter nach der guten Nacht, nur Angst hatte er, und als das Schiff zu schaukeln begann, hopste er vergnügt in seiner Kabine hin und her. Das war mal lustig.
Hoppla-hopp, bald saß er auf dem Bett, bald auf dem Boden, auf dem Waschtisch, wo einer nur irgend sitzen konnte. Währenddessen kam der Diener und sagte, er müßte reinemachen, da schloß Kasperle auf, schrie aber, er müßte erst wieder ins Bett hinein. Und als der Diener hereinkam, lag Kasperle wieder im Bett und verdrehte die Augen so schrecklich, daß der Mann dachte, er wäre wirklich dabei, zu sterben.
»Sterben Sie nicht, Herr von Pfannkuchen!« sagte er gutmütig.
Und weil Kasperle nur weiter die Augen verdrehte, begann er ein Gespräch, denn er dachte, man muß dem armen Herrn was erzählen.
»Woher kommen Sie denn, Herr von Pfannkuchen?«
»Aus Lugano!« rief Kasperle mit einer so betrübten Stimme, daß der Diener dachte, er hat vielleicht Heimweh.
»Von dort kommt noch ein Fahrgast,« erzählte er, »Mister Stopps kommt in Neapel aufs Schiff. – Mein Himmel, Herr von Pfannkuchen, was fehlt Ihnen?«
»Gleich stirbse ich.«
Da lief der Diener erschrocken aus der Kabine und holte den Kapitän. Kasperle hatte sich gerade entschlossen, lieber zuzusperren, statt zu sterben, als der Kapitän schon in der Kabine stand.
Dem Kasperle wurde es übel vor Angst. Was kam nun?
»Sie sagen, Sie wären der Herr von Pfannkuchen,« redete ihn der Kapitän streng an. »Wo ist Ihr Paß?«
Kasperle machte ein so erzdummes Gesicht zu dieser Frage, daß der Kapitän lachen mußte. »Hören Sie einmal, mein Herr, Ihnen habe ich es gleich an der Nasenspitze angesehen, daß bei Ihnen etwas nicht stimmt.«
Erschrocken wischte sich Kasperle seine Nase ab. »Da steht doch nicht, daß ich Kasperle bin,« brummte er.
»Also das Kasperle bist du? Ei, ei!«
»Woher wollen Sie denn das wissen?« schrie Kasperle.
»Potz Wetter, bist du ein Dummkopf!« Der Kapitän lachte, dann aber sagte er ernst: »Da ich es nun doch von deiner Nasenspitze abgelesen habe, so erzähle mir mal, was willst du auf dem Schiff? Warum bist du ausgerissen?«
»Wissen Sie das auch,« stammelte Kasperle, »steht’s auch auf meiner Nasenspitze?«
»Ja, da steht’s und da steht auch, was du der Prinzessin Gundolfine für Streiche gespielt hast.«
»Hach, ich stirbse!«
Kasperle dachte, er käme damit wieder durch, er kam aber bei dem Kapitän schlecht an. Der packte ihn einfach, setzte ihn aufrecht hin und gebot: »Mach keine Dummheiten, erzähle mal alles!«
Und Kasperle erzählte.
Wunderbar, dem Kapitän gegenüber gelang ihm keine kleine Schwindelei, der merkte alles, also blieb dem Kasperle nichts anderes übrig, als die Wahrheit zu sagen.
Ja, wunderbar!
Dem Kapitän redete sich das unnütze Kasperle recht ins Herz hinein. Es ging ihm wie allen Menschen, er konnte dem Schelm nicht böse sein.
»Armes Kasperle!« sagte er, als Kasperle alles erzählt hatte. »Was machen wir nun? Mister Stopps kommt in Neapel an Bord.«
»Ich stirbse.«
»Ih wo, das tue lieber nicht. Lebe und sei vergnügt!«
Das war ja nun auch mehr nach Kasperles Geschmack.
»Wir müssen eben sehen, wie es geht,« sagte der Kapitän. »Nun komm, steh‘ auf und sage Marlenchen guten Tag!«
»Ich kann doch nicht.«
»Warum denn nicht?«
»Sie ist doch da.«
»Ach so, die Prinzessin Gundolfine. Weißt du was, Kasperle, mir fällt etwas ein. Ich gebe dir eine andere Kabine, da können dich Marlenchen und alle deine Freunde besuchen. Und du bleibst verborgen, bis wir aus Neapel ‚raus sind, dann muß Mister Stopps mitfahren, und du hast deine Ferien. Nachher kannst du wieder nach Lugano zurückgehen.«
Von Lugano mochte Kasperle nichts hören, sonst war er heilfroh über den Plan. Er hoppste vor Vergnügen hin und her und der gute Kapitän hatte seinen Spaß an Kasperle. Er lachte herzlich über die Gesichter, die Kasperle schnitt, und als er ein Gesicht wie die Prinzessin Gundolfine machte, wäre der Kapitän beinahe geplatzt.
Er platzte aber zu Kasperles Glück nicht, sondern brachte den Schelm selbst in eine andere Kabine. Auf dem Wege dahin sagte er: »Nun sieh dich vor, verstecke dich, wenn wir der Prinzessin begegnen.«
Doch da war sie schon! Sie kam die Treppe herab, schwebte sehr eingebildet und hochnäsig daher und dachte gerade, ich gehe aber zierlich, als sie – kladderadatsch – hinfiel, so lang sie war.
Das gab einen Lärm!
»Ein Bein, ich bin über ein Bein gefallen. Es hat jemand ein Bein vorgestreckt.«
O Kasperle, dachte der Kapitän, was bist du für ein Strick!
Wo war nur Kasperle?
»Es ist etwas über die Prinzessin hinweggekollert, ich habe es gesehen,« rief die Hofdame.
»Eine Ratte.«
»Nein, es war viel größer. Es kann ein Tiger gewesen sein.«
»Warum nicht ein Krokodil?« brummte der Kapitän.
»Ein Krokodil, oh, ich bin über ein Krokodil gefallen!«
»Gut, daß Ihnen das nicht den Kopf abgebissen hat.«
Da riß die Prinzessin aus und erzählte jedem, der es hören wollte, auch denen, die es nicht hören wollten, ein Krokodil habe sie angefallen.
»Warum nicht gar,« sagte Herr Severin, der die Geschichte auch zu hören bekam.
Doch die Prinzessin erzählte soviel Spukgeschichten, von der Ratte, die durch die Luft geflogen war, von dem schnarchenden Nachbarn, daß Marlenchen an Kasperle denken mußte. Da sagte die Prinzessin gerade: »Man könnte fast meinen, das Kasperle wäre auf dem Schiff.«
Marlenchen wurde rot vor Schreck, aber da kam gerade der Kapitän, und die Prinzessin bemerkte das Rotwerden nicht. Der Kapitän sagte, er hätte den Herrn von Pfannkuchen in eine andere Kabine gebracht, der arme Herr sei schrecklich krank.
»Dann will ich ihn besuchen, Kranke muß man trösten,« rief die Prinzessin.
»Bewahre, das leidet der Herr von Pfannkuchen nicht. Aber Marlenchen soll mit mir kommen, ich will ihr Muscheln zeigen.«
»Ich will auch mitkommen.«
»Bewahre, Frau Prinzessin, das ist nur etwas für Kinder.«
Da war die Prinzessin schlechter Laune, und das war immer schlimm. Wie schlimm es war, ahnte der Kapitän gar nicht.
Marlenchen ging gern mit, Muscheln zu sehen. Und das Prinzlein durfte auch mit. Ja, als sie unterwegs Michele und Rosemarie trafen, sagte der Kapitän nicht, »Muscheln sind nur für Kinder,« er fragte ganz freundlich, ob sie auch mitkommen wollten, eine ganz große, sehr seltene Muschel anzuschauen.
Die beiden gingen gern mit und Marlenchen sagte: »Nun fehlt nur noch Frau Liebetraut und Herr Severin.«
»Dann hole sie nur, damit ich auch ihnen die Muschel zeigen kann.«
Der Kapitän lachte und blieb vor einer kleinen Türe stehen, bis Frau Liebetraut und Herr Severin kamen, dann öffnete er die Türe und sagte: »Bitte, nur hereinspaziert, hier ist etwas ganz Seltenes zu sehen. Marlenchen aber darf nicht schreien.«