Das Nest auf der Ulme
An diesem Morgen kam die Prinzessin Gundolfine mit einem Gesicht zum Frühstück, als hätte sie drei Metzen Schlackerwetter aufessen müssen. »Es hat heute nacht gespukt,« sagte sie böse.
»Das ist noch nie geschehen,« antwortete der Herzog.
Da fiel der Prinzessin etwas ein und sie rief: »Dann war es Kasperle.«
»Nein, der war es nicht. Der war eingeschlossen im Turm.«
»Er soll kommen, ich will ihn fragen!«
»Meinetwegen,« brummte der Herzog.
Da wurde Kasperle geholt, und dem kleinen Schelm wurde es wind und weh bei dem Gedanken, die Prinzessin zu sehen. Dazu sagte ihm noch der Haushofmeister: »Kasperle, Kasperle, das wird bös! Sie denkt, du seiest das Gespenst gewesen.«
Jemine und Kasperle konnte doch nicht lügen! Dummheiten machen, ja, aber schwindeln, nein, das brachte er nicht fertig.
Da war er schon im Zimmer und der Herzog rief: »Hier kommt er.«
Kasperle sah vor Verlegenheit nicht rechts und nicht links, trat zaghaft auf, und weil er ohnehin auf dem glatten Boden schlecht gehen konnte, glitschte er und stolperte. Er wollte sich an einem Kammerherrn, der neben ihm ging, festhalten, beide verloren das Gleichgewicht und rutschten in das Zimmer hinein, als wäre der Boden eine Eisbahn.
Der Kammerherr wollte sich auch an etwas anhalten, und unglücklicherweise erwischte er das Bein des Stuhles, auf dem die Prinzessin saß. Da rutschte der, die Prinzessin wackelte hin und her, hielt sich am Herzog fest, und pardauz, bums! lagen alle miteinander auf dem Boden.
Der Herzog wurde fuchsteufelswild und die Prinzessin Gundolfine schrie immerzu: »Daran ist Kasperle schuld.«
Der aber dachte: Es ist am besten, mitzuschreien, und er schrie so gewaltig, daß die andern allmählich erstaunt verstummten. So ein Geschrei war nicht Mode am Herzogshof.
»Stille!« rief der Herzog, aber das Kasperle schrie und schrie. Der kleine Schelm dachte: Wenn ich recht schreie, fragen sie mich nichts. Und er hatte recht gedacht. Der Herzog vergaß vor Ärger das Gespensterspiel der Nacht, er rief böse: »Bringt Kasperle in den Turm zurück, er soll dort eingesperrt bleiben!«
Das ließ sich der gute Haushofmeister nicht zweimal sagen; er winkte Veit, der zerrte Kasperle hinaus, und als unten alle noch aufgeregt durcheinander redeten, saß der schon wieder vergnügt in seinem Turm. Er schaute, als Veit gegangen war, über das Land hinweg, hinüber nach Lindeneck. Ach, wie gern wäre er doch zu dem traurigen Marlenchen gelaufen!
Da fiel es ihm ein, er war ja ganz und gar eingesperrt, selbst das Schranktürchen war zu. Oder vielleicht doch nicht. Er schlüpfte in den Schrank, und richtig, das Türchen drehte sich; er stand wieder im Treppenhaus. Ganz vergnügt flitzte er eine Weile hin und her, weil aber unten noch immer viel Gelärm war, wagte er es nicht, die Treppe hinabzugehen. So blieb er oben, kauerte sich auf den Boden nieder und lauschte hinab.
Die Stimme der Prinzessin Gundolfine klang schrill bis zu ihm herauf. Die Türen des Zimmers, in dem diese mit dem Herzog
saß, standen offen; die Prinzessin behauptete, sonst halte sie es nicht aus, so heiß sei es. Sie war noch immer sehr aufgeregt und schalt unverdrossen auf das Kasperle, verlangte strenge Bestrafung, und Kasperle, der das hörte, dachte wieder einmal: Ausreißen wäre am besten!
Er hatte aber doch für sein Michele sein Wort gegeben, und das mußte er halten.
Endlich wurde es still unten. Der Herzog und die Prinzessin gingen im Park spazieren und der Haushofmeister kam und sagte: »Heute mußt du oben bleiben, Kasperle, sonst wirst du erwischt.«
Kasperle versprach Bravsein, aber das Bravsein wurde ihm bald langweilig. Er flitzte zum Türlein hinaus und hinein, und der Vormittag wollte gar kein Ende nehmen. Endlich kam Veit und brachte ihm Mittagessen, und dabei sagte er: »Heute geht es unten hoch her. Der Herzog steigt eben in den Weinkeller hinab und holt von dem ganz guten Wein herauf. Weißt du, der Keller liegt neben dem, in den sie dich neulich gesperrt hatten. Dahinein geht der Herzog immer selbst, nur die Prinzessin ist mitgegangen. – Meine Güte, was ist da schon wieder?«
Unten tönte Rufen, und Veit lief die Treppe hinab und das Kasperle stand, als wäre er mitten in ein Hagelwetter hineingeraten.
Wenn der Herzog die leeren Fässer entdeckte!
Daß der nichts von dem Türchen wußte, ahnte Kasperle ja nicht. Er zitterte vor Angst, und da Veit in der Eile die Türe offen gelassen hatte, ging er durch diese Türe, ließ sie weit offen stehen, schlich sich einen Gang entlang, kam an eine schmale Seitentreppe, und gerade als er die erreicht hatte, hörte er die Prinzessin kreischen.
Jemine, jetzt hatten sie die leeren Fässer gefunden! Da war Kasperle schon unten, war draußen im Park und wutschte an den Sträuchern entlang bis zum Wäldchen hin.
Das Bächlein gluckste und rann, aber Marlenchen saß nicht an seinem Rande. Kasperle blieb stehen. Wohin sollte er nur? Ehe er durch des Herzogs Land lief, fingen ihn dessen Landjäger schon; sie erkannten ihn sicher an seinem grasgrünen Kasperlekleid, das alle kannten. Und dann dachte er an sein Wort, das er gegeben hatte. Er seufzte tief. Am Bächlein kauerte er sich nieder, und sein kleines unnützes Kasperleherz war ihm zentnerschwer. Wäre doch Marlenchen dagewesen! Ach, die traurige kleine Freundin konnte ihn gewiß auch nicht schützen!
Auf einmal fiel ihm der Graf von Singerlingen ein. Vielleicht half ihm der in seiner Not, weil er ihn von der Prinzessin befreit hatte. Vielleicht gab der dem Herzog ein gutes Wort und bat ihn frei. Er dachte: Wenn ich immer an Wiesen entlang wutsche oder durch den Wald gehe, dann sieht mich vielleicht niemand. Aber wie fand er den Weg? Da fiel es ihm ein, er würde auf die alte, hohe Ulme klettern; von dort aus konnte er gewiß das Schloß des Grafen von Singerlingen liegen sehen und auch den Weg, der dahin führte. Und auf der Ulme, im dichten Gezweig, sah ihn auch niemand vom Schloß aus. Da schützte ihn sein grasgrünes Röckchen.
Die Ulme war hoch, aber Kasperle fürchtete sich vor der Höhe nicht. Rutsch, rutsch, da war er schon ein Stück oben. Rutsch, rutsch, höher und höher kam er. Er sah schon das Elsternnest an der Spitze und sah die Vögel neugierig ihre Köpfe herausrecken. Die schimpften böse, und Kasperle schnitt wieder Frätzlein um Frätzlein. Das empörte die Elstern, die fingen laut zu schelten an, sie beugten sich weit aus den Nestern und machten böse Augen. Drei Nester waren es und in jedem Nest saß eine ganze Elsternfamilie. Kasperle hätte sich schon fürchten können, er merkte aber, die schwatzhaften Vögel hatten Angst vor seinen Teufels- und Räubergesichtern. Da kletterte er vergnügt höher und höher, verdrehte die Augen, zog den Mund krumm und schief, wackelte mit Nase und Ohren, und die Elstern kreischten immer lauter vor Angst.
Die Alten riefen den Jungen zu: »Wir wollen fliehen, fliegt auf, fliegt auf!« aber die Jungen konnten vor Angst ihre Flügel nicht heben. Sie flatterten erschrocken in den Nestern herum, und endlich sagte die älteste, würdigste Elstermadame, die schon viele Jahre in dem Neste wohnte: »Jetzt hacke ich ihm die Augen aus.«
Da schnitt Kasperle ein Hexengesicht und plumps sank die mutige Elster zurück. Sie jammerte laut vor Angst und in dem Augenblick dachte Kasperle: Wenn sie doch ruhig wäre!, denn von unten tönte lautes Rufen: »Kasperle, Kasperle! – Er ist ausgerissen, der Bösewicht,« gellte eine Stimme und Kasperle hörte ganz genau, es war die Prinzessin, die rief.
Gewiß hatten sie die leeren Fässer entdeckt.
Das hatten der Herzog und seine Base nun wirklich getan. Sie waren, gefolgt von etlichen Dienern, in den Keller gekommen, in dem die köstlichen Weine lagerten, und der Herzog hatte befohlen: »Von dem Faß in der Mitte.«
Da hielt der Diener den silbernen Krug unter und – kein Tropfen kam heraus.
Die Prinzessin schnupperte unterdessen in dem Keller herum und sie sagte: »Wie sehr es hier nach Wein riecht, nein, sonderbar!«
»Das Faß ist leer,« meldete der Diener.
»Leer?« rief der Herzog verdutzt. »Ja, wie kommt denn das?« Er trat selbst an das Faß heran, pochte, schüttelte, – es war leer.
»Du hast es ausgetrunken,« sagte seine Base spitz.
»Unsinn!« Der Herzog war wirklich ärgerlich. »Nimm aus dem linken Faß!« rief er dem Diener zu. Der zog den Zapfen aus und hielt das Krüglein unter, aber kein Tropfen kam. Das war doch toll! Und beim dritten Faß ging es ebenso.
»Es muß jemand im Keller gewesen sein,« rief der Herzog. »Schnell, schnell, man bringe Licht, um alles zu untersuchen!«
»Du hast gewiß alles allein ausgetrunken,« sagte die Prinzessin Gundolfine wieder spitz, und der Herzog ärgerte sich so, daß er ganz grün wurde. Er schrie immer lauter: »Licht her, Licht her!« und die Diener kamen mit Lampen und Kerzen gerannt. Sogar die Kammerherren trugen Kerzen und alle leuchteten in dem kleinen Keller herum. Plötzlich rief der jüngste Hofjunker, der Augen wie ein Falke hatte: »Hier ist eine Türe.«
»Unsinn, der Keller hat nur eine Türe!« erwiderte der Herzog, aber da schob das Junkerlein das Pförtchen zurück, und alle sahen erstaunt in einen zweiten Keller hinein. Auf einmal riefen etliche: »In dem Keller hat Kasperle gesteckt.«
»Ja, und dann war er krank und hat immerzu geschlafen.« Der dicke Oberstallmeister brach plötzlich in ein dröhnendes Lachen aus. »Am Ende hat das Kasperle ein Schwipslein gehabt.«
»Oooh!« Der Herzog sah drein, als wäre vor ihm ein Kirchturm umgepurzelt. Die Prinzessin aber kreischte: »Dieser schreckliche Kasper, den muß man aufhängen, in den Brunnen werfen, schlagen, der muß furchtbar bestraft werden!«
»Man hole ihn!« Der Herzog stöhnte. Wirklich, das Kasperle war doch ein arger Strick, den mußte er wirklich streng bestrafen!
Unter den Dienern war auch Veit, der lief mit, um das Kasperle zu holen. In seinem Herzen dachte er mitleidig: Vielleicht kann er noch entwischen.
Und dann fanden sie die Turmtüre offen und kein Kasperle war zu sehen. Der Schelm war ausgerissen. Als das der Herzog erfuhr, vergaß er Mittagessen und alles; er war bitterböse, rief, man solle überall suchen und die Landjäger ausschicken, um das Kasperle zu fangen.
»Und dann wird es aufgehängt,« rief die Prinzessin Gundolfine.
»Nein, denn von einem toten Kasperle habe ich nichts,« erwiderte der Herzog.
»Ach, aufhängen ist am besten!«
»Nein, es ist mein Kasperle!«
»Und mich hat es geärgert. Das Gespenst heute nacht war sicher auch Kasperle,« rief die Prinzessin. »Er muß doch aufgehängt werden!«
»Nein!« schrie der Herzog zornig, und so stritten sich beide eine ganze Weile herum, was mit dem Kasperle geschehen sollte. Sie hatten es aber noch gar nicht.
Unterdessen suchten die Diener überall herum. Veit sagte: »Ich suche im Wäldchen.« Er dachte: Wenn ich da das Kasperle sehe, kann es noch ausreißen. Aber etliche Kammerherren sagten auch, sie suchten im Wäldchen, und der gute Veit mußte sich das gefallen lassen.
Kasperle sah sie alle kommen von seinem hohen Sitz aus. Jemine, klopfte da sein unnützes kleines Kasperleherz! Und die dummen Elstern kreischten und flatterten. Kasperle wollte sie zur Ruhe bringen, aber je bösere Gesichter er schnitt, desto schlimmer krächzten sie. Er machte endlich sein dummes, gutmütiges Kasperlegesicht, aber da flatterten die Elstern gleich wütend auf ihn los und wollten ihm die Augen aushacken. Das war Kasperle zu toll, er schlug mit seiner Faust nach ihnen und machte ein Teufelsräubergesicht.
»Wir müssen fliehen, fliehen,« krächzte die älteste Elsternmadame, »Kinder, strengt euch an!« Und die Kinder strengten sich an. Sie hoben die Flügel und flatterten, und auf einmal flog die ganze Elsternschar mit so lautem Schreien davon, daß die Menschen unten aufmerksam wurden. Sie sahen hinauf, und der jüngste Hofjunker mit seinen scharfen Augen erblickte das Kasperle trotz seines grasgrünen Röckleins hoch oben auf der alten Ulme.
»Da sitzt er, da sitzt er!« rief er, und nun schauten alle hinauf und alle riefen: »Da sitzt er, da sitzt er!«
Kasperle fuhr der Schreck arg in die Glieder. Er wäre beinahe von dem Baume heruntergesaust, und in seiner Angst griff er nach dem verlassenen Elsternest, um sich daran festzuhalten. Dabei ergriff er etwas hartes und hatte auf einmal einen großen goldenen Ring mit einem schönen Rubin in der Mitte in seiner Hand. Das war nun wirklich sonderbar. In einem Elsternest lag ein goldener Ring! Kasperle war ausnehmend neugierig, und vor Neugier vergaß er sogar seine Angst. Er kletterte noch ein Stückchen höher und schaute in das Nest hinein. Nein, so etwas, da lag noch ein kleiner silberner Löffel und ein goldener Ohrring! Aber der Ring, den er in der Hand hielt, war das schönste Stück.
Himmel, vielleicht war das gar des Herzogs Ring, den der Herr von Lindeneck gestohlen haben sollte! Kasperle hielt das kostbare Ding in der Hand, besah es von allen Seiten und dachte: Vielleicht wenn ich den dem Herzog bringe, verzeiht er mir. Aber just da kam unten die Prinzessin Gundolfine angelaufen und kreischte: »Man hole eine Kanone und erschieße ihn!«
Kasperle schnitt sein Teufelsgesicht hinab. Aber was half das, die unten liefen nicht davon, wie die Elstern davongeflogen waren. Die blieben stehen, schimpften hinauf, redeten von einer Kanone und der Wasserspritze; sehr freundlich klang das nicht.
Kasperle überlegte. Ausreißen konnte er nicht, auch hatte der Herzog ja nicht gesagt: »Geh zum Teufel!«, also war er noch nicht frei. Aber wenn er mit dem Ring ankam, würde der Herzog vielleicht wieder gut werden. Wenn nur die Prinzessin nicht unten gestanden hätte, an der er vorbei mußte!
Plötzlich kam dem Kasperle ein Gedanke. Blitzschnell nahm er das Nest, in dem außer den Kostbarkeiten auch noch allerlei Unrat lag, und warf es hinab, der Prinzessin gerade auf den Kopf.
Unten erhob sich ein lautes Geschrei, aber alle sahen ein paar Augenblicke nicht zu Kasperle hinauf, sondern auf die Prinzessin, und da rutschte der kleine Schelm den Baum hinab und schoß auf einmal einen Purzelbaum über alle hinweg, rollte sich und kollerte bis zum Schlosse hin, ehe die unter dem Baume noch wußten, was geschehen war. Im Schloß flitzte er aber an ein paar Dienern vorbei, husch, husch in das Zimmer des Herzogs hinein, in dem der seine Mittagsruhe zu halten pflegte. Und richtig, da saß der Herzog auch verdrießlich in seinem großen Stuhl und ärgerte sich. Ja, über was ärgerte er sich alles! über Kasperle, den ausgelaufenen Wein, seine Base, das verspätete Mittagessen, am meisten aber doch über Kasperle.
Er muß streng, ganz streng bestraft werden, dachte er, und da purzelbaumte gerade das Kasperle in das Zimmer hinein, stand plötzlich vor ihm und hielt ihm seinen Ring unter die Nase. Dazu machte der kleine Kerl das betrübteste unnützeste Kasperlegesicht.
»Aber Kasperle!« rief der Herzog, »wo hast du den Ring her?«
Kasperle legte den Kopf schief, schielte den Herzog bittend an und erzählte von seiner Kletterei und den scheltenden Elstern.
»Mein Himmel,« sagte der Herzog, »eine Elster hat den Ring gestohlen und der arme Herr von Lindeneck ist darum in Verdacht gekommen! Kasperle, um des Ringes willen soll dir alles, alles verziehen sein.«
Da kugelte und kollerte sich Kasperle im Zimmer herum, und plötzlich bettelte er: »Herr Herzog, laß mich nach Lindeneck laufen!«
»Dann reißt du aus.« Der Herzog schüttelte ernst den Kopf, aber Kasperle hing tief betrübt die Nase. »Du hast doch noch nicht gesagt: ‚Geh zum Teufel!‘«, murmelte er und seufzte schwer dazu.
»Ei, das ist gut! Vorher reißt du also wirklich nicht aus?« rief der Herzog lachend. »Nun, dann brauche ich ja keine Sorge zu haben; das sage ich nie. Also laufe nur nach Lindeneck und bestelle, der Herr von Lindeneck möchte gleich kommen. – Aber,« er rieb sich nachdenklich die Nase, »weißt du denn, wo Lindeneck liegt?«
Kasperle nickte eifrig und ganz zutraulich erzählte er dem Herzog von seiner Freundschaft mit dem traurigen Marlenchen.
Der Herzog wurde sehr, sehr nachdenklich. Er schämte sich, daß er dem Herrn von Lindeneck so unrecht getan hatte, und er dachte bei sich: Eigentlich ist das Kasperle besser als ich. – Solche Gedanken hatte der Herzog selten, wenn sie ihm aber kamen, dann blickten seine Augen milde und gütig und das Kasperle dachte: Jetzt gefällt er mir.
»Nun laufe nur schnell!« sagte der Herzog. »Halt, der Haushofmeister mag dich ein Stück geleiten, denn wenn dich die Base Gundolfine erwischt, geht es dir übel. Sie denkt sogar, du hättest heute nacht gegeistert, und du lagst doch in deinem – Kasperle!« Der Herzog machte plötzlich wieder böse Augen, denn Kasperle ließ gar zu schuldbewußt seine Nase hängen. »Du warst es doch, Kasperle!«
Der Schelm nickte, und schon wollte der Herzog schelten, da fiel sein Blick auf den Ring und er sagte: »Na ja, klettern kannst du freilich! Aber nun laufe nur, auch das soll dir verziehen sein!«
Kasperle huschte hinaus, froh, daß der Herzog nicht weiter gefragt hatte. Er fand den Haushofmeister, erzählte ihm flink alles, und der ließ ihn zu einem schmalen Pförtchen hinaus.
Als die Prinzessin zornig und scheltend in das Schloß zurückkehrte, rannte Kasperle schon über eine große Wiese Schloß Lindeneck zu. War die Prinzessin Gundolfine aber böse! Sie machte wirklich Kulleraugen, als sie erfuhr, Kasperle sei beim Herzog gewesen und alles, alles sei verziehen.
»Ich verzeih’ ihm nicht,« schrie sie, »nie und nimmer! Er soll seine Strafe schon bekommen!«
Doch als der Herzog ihr sagte, der vermißte Ring sei im Elsternest gewesen und dem Herrn von Lindeneck sei bitteres Unrecht geschehen, da redete sie gleich von Abreisen. Sie fühlte ihre Schuld, aber sie wollte sie nicht, wie der Herzog es tat, eingestehen.
Der Herzog, der die Gewohnheit hatte, manchmal laut mit sich selbst zu sprechen, sagte, als die Prinzessin von ihrer Abreise sprach: »Ach, das wär’ fein!«
»Hach,« kreischte die Prinzessin, »ich falle in Ohnmacht! Das sagt man mir!« Und weinend lief sie auf ihr Zimmer und sie schluchzte so laut, daß es bald im ganzen Schloß zu hören war.
Wenn sie doch abreiste! dachten alle, und sie sagten es laut und leise zueinander. Aber die Prinzessin Gundolfine dachte gar nicht an die Abreise; die wollte bleiben, wollte sich an Kasperle rächen. Denn daß der kleine Schelm den Ring gefunden hatte, das rechnete sie ihm nur als neuen Schabernack an. Auf ihrem Zimmer hielt sie Rat mit einer Kammerfrau und einer Hofdame, die beide genau so boshaft wie sie selbst waren. Und weil sie dabei doch nicht weinen konnte, mußte eine andere Kammerfrau an der Türe stehen und schreien und jammern, denn der Herzog sollte das allergrößte Mitleid mit seiner Base bekommen.
Doch was zuviel ist, ist zuviel. Der Herzog mochte das Geschrei nicht mehr hören, er sagte: »Bringt mir Watte!« Und dann steckte er sich Watte in die Ohren, sagte, man solle ihn nur wecken, wenn Kasperle käme, legte sich hin und hielt seinen Mittagschlaf.