Thomas von Aquin

Thomas von Aquin (* um 1225 auf Schloss Roccasecca bei Neapel in Italien, †  7. März 1274 in Fossanova) gehört zu den bedeutendsten katholischen Kirchenlehrern und einer der Hauptvertreter der Philosophie des Mittelalters.

Leben

Thomas von Aquin, auch "Thomas Aquinas" oder kurz der "Aquinat" oder "Thomas" genannt, wurde als siebter Sohn des Herzogs Landulf aus dem feudalen Hochadel von Aquino geboren. Mit fünf Jahren wurde er in das Kloster Monte Cassino geschickt. 1244 trat er gegen den Willen seiner Verwandten in Neapel in den Dominikanerorden ein.

Er studierte in Paris und trat 1248 als Lehrer der Philosophie mit solchem Beifall auf, dass er den Beinamen eines Doctor universalis und Doctor angelicus erhielt.

In den Jahren 1248 bis 1252 war er Schüler des Albertus Magnus in Köln. Nach weiteren Vorlesungen in Paris von 1256 bis 1259 lehrte er in Rom, Viterbo und Orvieto. Ab 1269 war er als Studienpräfekt seines Ordens in Neapel tätig, wo er 1272 eine Dominikanerschule aufbaute.

Metaphysik und Ontologie

Die Argumentationen von Thomas stützen sich zu einem großen Teil auf die Lehre des Aristoteles, die von ihm – nicht zuletzt mit Hinsicht auf die der Antike unbekannten theologischen Einsichten bzw. Lehren – ausgebaut wurde.

Ein Kernelement der thomistischen Ontologie ist die Lehre von der Analogia entis. Diese besagt, dass der Begriff des Seins nicht eindeutig, sondern analog ist, also das Wort Sein einen unterschiedlichen Sinn besitzt, der davon abhängt, auf welche Gegenstände es bezogen wird. Danach hat alles, was ist, das Sein und ist durch das Sein, aber es hat das Sein in verschiedener Weise. In höchster und eigentlicher Weise kommt es nur Gott zu: Nur er ist Sein. Alles andere Sein hat nur Teil am Sein und zwar entsprechend seines Wesens. In allen geschaffenen Dingen muss also Wesen (essentia) und Existenz (existentia) unterschieden werden; einzig bei Gott fallen diese zusammen.

Auch die Unterscheidung von Substanz und Akzidenz ist für das System von Thomas bedeutend. Hierzu heißt es: Accidentis esse est inesse, also Für ein Akzidenz bedeutet zu sein, an etwas zu sein. In die gleiche Richtung geht sein Accidens non est ens sed entis, also Ein Akzidenz ist kein Seiendes, sondern ein zu etwas Seiendem gehörendes.

Eine weitere wichtige Unterscheidung bei Thomas ist die von Materie und Form. Einzeldinge entstehen demnach dadurch, dass die Materie durch die Form bestimmt wird (siehe Hylemorphismus). Die Grundformen Raum und Zeit haften untrennbar an der Materie. Die höchste Form ist Gott als Verursacher (causa efficiens) und als Endzweck (causa finalis) der Welt. Die ungeformte Urmaterie, d. h. der erste Stoff, ist die materia prima.

Um die mit dem Werden der Dinge zusammenhängenden Probleme zu lösen, greift Thomas auf die von Aristoteles geprägten Begriffe Akt und Potenz zurück, siehe dazu auch den Artikel Akt-Potenz. Weil es in Gott keine (substanzielle) Veränderung gibt, ist er actus purus, also reine Wirklichkeit.

Erkenntnistheorie

Zu den besonders folgenreichen Aussagen der thomistischen Erkenntnistheorie gehört seine Wahrheitsdefinition der adaequatio rei et intellecto, d. h. der Übereinstimmung von Gegenstand und Verstand.

Thomas unterscheidet zwischen dem tätigen Verstand (intellectus agens) und dem rezeptiven Verstand (intellectus possibilis). Der tätige Verstand zeichnet sich vor allem durch die Fähigkeit aus, aus Sinneserfahrungen (sowie bereits geistig Erkanntem) universale Ideen bzw. allgemeingültige (Wesens-)Erkenntnisse zu formen. Dagegen ist es der rezeptive Verstand, der die Eindrücke und Erkenntnisse aufnimmt und ’speichert‘. Hintergrund ist die auf Platon zurückgehende Lehre, dass die konkreten Dinge ihr Sein und vor allem ihr Wesen den Ideen (ideae) verdanken, die diese bestimmen (vgl. Ideenlehre). Der Verstand kann nun durch Abstraktion diese idea bilden, d.h. geistig nachformen. Als letzte bzw. erste Ursache des Seins und Soseins der Dinge erkennt der menschliche Geist Gott (s.u.), in dessen Geist die ewigen Ideen die Vorbilder für die abbildhaften Formen (formae) der Dinge sind.

Anthropologie

Die Anthropologie von Thomas weist dem Menschen als leib-geistiges Vernunftwesen einen Platz zwischen den Engeln und den Tieren zu. Gestützt auf die Schrift De Anima von Aristoteles zeigt Thomas die geistige Seele, d. h. den Geist des Menschen als dessen – einzige – Form auf: Anima forma corporis. Weil der Geist eine einfache, also nicht zusammengesetzte Substanz ist, kann er auch nicht zerstört werden und ist somit unsterblich. Der Geist kann auch nach der Trennung vom Leib seinen Haupttätigkeiten, dem Denken und Wollen nachkommen. Die nach der Auferstehung zu erwartende Wiedervereinigung mit einem neuen Leib kann zwar nicht philosophisch, wohl aber theologisch erwiesen werden.

Ethik

In der Ethik verbindet Thomas die Aristotelische Tugendlehre mit den christlich-augustinischen Erkenntnissen. Die Tugenden bestehen demnach im rechten Maß bzw. dem Ausgleich vernunftwidriger Gegensätze. Das ethische Verhalten zeichnet sich durch das Einhalten der Vernunftordnung aus (siehe Naturrecht bzw. Natürliches Sittengesetz) und entspricht damit auch dem göttlichen Gesetzeswillen. Thomas ergänzte die vier klassischen Kardinaltugenden durch die drei christlichen Tugenden Glaube, Liebe und Hoffnung.

Das höchste Gut ist die ewige Glückseligkeit, die – im jenseitigen Leben – durch die unmittelbare Anschauung Gottes erreicht werden kann. Es zeigt sich daran der Primat der Erkenntnis vor dem Wollen.

Politische Philosophie

Thomas von Aquin war einer der einflussreichsten Theoretiker für das mittelalterliche Staatsdenken. Dabei sah er den Menschen als ein soziales Wesen, das in einer Gemeinschaft leben muss. In dieser Gemeinschaft tauscht er sich mit seinen Artgenossen aus und es kommt zu einer Arbeitsteilung.

Für den Staat empfiehlt er die Monarchie als beste Regierungsform, denn ein Alleinherrscher, der mit sich selbst eins ist, kann mehr Einheit bewirken als eine aristokratische Elite. Hier müssen sich mehrere einigen, was immer nur zu einem Kompromiss, also einer Angleichung, einer Anpassung, einer Aufgabe seiner eigenen Meinung und Überzeugung führt. Daher sieht er es als zweckmäßiger an, wenn nur einer allein herrscht. Außerdem ist immer dasjenige am Besten, was der Natur entspricht und in der Natur haben alle Dinge nur ein Höchstes.

Thomas stellt der Monarchie, die demnach für ihn die beste aller möglichen Regierungsformen war, die Tyrannenherrschaft als die schlechteste gegenüber. Dabei merkt er an, dass aus der Aristokratie leichter eine solche entstehen kann als aus einer Monarchie.

Um die Tyrannei zu verhindern, muss die Gewalt des Alleinherrschers eingeschränkt sein. Ist jedoch eine Tyrannis eingetreten, so ist sie zunächst zu ertragen, denn es könnte ja auch noch schlimmer kommen (z. B. Anarchie). Der Tyrannenmord ist laut der Lehre der Apostel jedenfalls keine Heldentat:

Denn es ist eine Gnade, wenn jemand deswegen (der Tyrannis) Kränkungen erträgt und zu Unrecht leidet, weil er sich in seinem Gewissen nach Gott richtet (1. Petrusbrief 2, 19). So schlussfolgert Thomas, dass es besser ist, gegen eine Bedrückung nur nach allgemeinem Beschluss vorzugehen.

Wie viele Staatsdenker des Mittelalters zieht auch Thomas von Aquin den organischen Vergleich zum Staatsgebilde heran. Hierbei sieht er den König, als Vertreter Gottes im Staat als Herz des Körpers, dessen Glieder und Organe die Bevölkerung darstellen. Ihre Erfüllung findet jedes einzelne Glied in der Tugendhaftigkeit (angelehnt an Aristoteles). Dennoch sieht er das Priestertum über dem Königtum, der Papst als Oberhaupt der katholischen Kirche steht also in Glaubens- und Sittenfragen über dem König.

Werke

  • Quaestiones quodlibetales
  • Quaestiones disputatae
  • Über die Wahrheit
  • Über Seiendes und Wesenheit
  • zur Logik
  • zur Physik
  • zu De caelo et mundi
  • zu De generatione et corruptione
  • zu Meteora
  • zu De anima
  • zu De sensu et sensato
  • zur Ethik
  • zur Politik
  • zur Metaphysik
  • Dionysius Areopagita, De divinis nominibus
  • Liber de causis
  • Boëthius, De trinitate
  • Boëthius, De hebdomadibus
  • Über das Böse
  • Über Lüge und Irrtum
  • Über die Vollkommenheit des geistlichen Lebens
  • Über die Einheit des Intellekts gegen die Averoisten
  • Compendium theologiae
  • Summa contra gentiles
  • Summa theologica
  • Zu Hiob
  • Zu Psalmen (Psalm 1 – 51)
  • Zu Jeremia
  • Zu den Klageliedern Jeremias
  • Zu Jesaja
  • Vorlesungen zu Matthäus und Johannes
  • Vorlesungen zu den Briefen des Apostels Paulus
  • Die Summa contra gentiles
  • Summa theologica

Online-Texte

Literatur

  • Jöcher, Christian Gottlieb: Allgemeines Gelehrten-Lexicon, Bd. 1, 490 f.
  • Marie-Dominique Chenu: Thomas von Aquin. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. 6. Aufl. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1992
  • Rolf Schönberger: Thomas von Aquin zur Einführung. 2. Aufl. Junius, Hamburg
  • David Berger: Thomas von Aquin begegnen. Sankt-Ulrich, Augsburg 2002
  • G. K. Chesterton: Der stumme Ochse. Über Thomas von Aquin. Herder, Freiburg u.a. 1960.
  • Martin Grabmann: Thomas von Aquin. Persönlichkeit und Gedankenwelt. Eine Einführung. 8. Aufl. Kösel, München 1949.
  • Hans Meyer: Thomas von Aquin. Sein System und seine geistesgeschichtliche Stellung. 2. Aufl. Schöningh, Paderborn 1961.
  • Josef Pieper: Thomas von Aquin – Leben und Werk. 4. Aufl. Kösel, München 1990
  • Walter Patt: Metaphysik bei Thomas von Aquin. Eine Einführung. Turnshare, London 2004
  • Wolfgang Kluxen: Philosophische Ethik bei Thomas von Aquin. 3. Aufl. Meiner, Hamburg 1998
  • Otto Hermann Pesch: Thomas von Aquin. Grenze und Größe mittelalterlicher Theologie. Eine Einführung. 3. Aufl. Matthias-Grünewald, Mainz 1995
  • Horst Seidl (Hrsg.): Thomas von Aquin: Die Gottesbeweise in der Summe gegen die Heiden und der Summe der Theologie. Text mit Übersetzung, Einleitung und Kommentar. 3. Aufl. Meiner, Hamburg 1996
  • Bernhard Lakebrink: Hegels dialektische Ontologie und die thomistische Analektik. Henn, Ratingen b. Düsseldorf 1968.
  • David Berger: In der Schule des hl. Thomas von Aquin. Studien zur Geschichte des Thomismus. Nova & vetera, Bonn 2005

Weblinks


Dieser Artikel basiert auf verschiedenen Informationsquellen, unter anderem auch auf dem Artikel Thomas von Aquin (Stand: 19. Januar 2006 ) aus der freien Enzyklopädie Wikipedia. Dieser Text steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. Eine Liste der früheren Autoren ist hier verfügbar.