Protagoras von Abdera (ca. 485 – 415 v. u. Z.)

Der Sophist Protagoras wirkte 40 Jahre als Lehrer der Rhetorik in ganz Griechenland, insbesondere in Athen, und wurde schließlich dort im Alter von 70 Jahren der Gottlosigkeit angeklagt und trotz seiner Freundschaft mit Perikles und Euripides verurteilt.

Auf der Flucht nach Sizilien ertrank er. Seine Schriften sind nur in kleinen Bruchstücken erhalten geblieben. Protagoras übernahm die Lehre des Heraklit von der Entwicklung und Veränderung der Dinge, gelangte aber in der Konsequenz zu einem Relativismus, der in dem von ihm formulierten Homo-Mensura-Satz "Der Mensch ist das Maß aller Dinge" seinen Ausdruck findet.

Nach der Interpretation des Sextus Empiricus erklärt Protagoras die Relativität der Sinneswahrnehmungen dadurch, dass der Zustand des wahrnehmenden Menschen sich ständig ändert. Was wir wahrnehmen, hängt ab von unserem Alter, davon ob wir wachen oder schlafen und von den sonstigen Zuständen unseres Körpers. Die Veränderung der Körperzustände wird wiederum durch die allgemeine ontologische These erklärt, die Materie befinde sich in einem beständigen Fluss.

Probleme der Logik untersuchte Protagoras in seiner Schrift Die Kunst zu streiten. Eventuell war Protagoras einer der ersten, der den Dialog als Methode zur Wahrheitssuche verwendete, in dem zwei Diskussionspartner im Disput zwei entgegengesetzte Ansichten verteidigen.

Als erster begann Protagoras Verfahren zur Widerlegung inkorrekter Schlüsse zu erforschen.

Die Logik des Protagoras fand in der Mathematik des Theodoros von Kyrene und des Theaitetos ihren Niederschlag.

Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen den logischen und ontologischen Lehrmeinungen des Protagoras und seiner Rhetorik.

Dem logischen Sachverhalt, dass entgegengesetzte Gedanken über eine Sache wahr sein können, entspricht die rhetorische Fähigkeit, über eine Sache entgegengesetzte Reden halten zu können. Dabei ist die Rede nicht bloßes subjektives Erzeugnis des Redners, bloßer Ausdruck seines inneren Zustandes, sondern etwas seinem sachlichen Gehalte nach in den Dingen Vorhandenes, das der Redner aufspürt.

Die Rhetorik des Protagoras geht von der Beziehung jedes subjektiven Aktes auf ein adäquates Objekt aus und versteht die Relativierung des Seins nicht als eine Destruktion, sondern als eine Objektivierung des menschlichen Erkennens.

Protagoras hat auch als erster die vier Modi des Verbums Optativ, Konjunktiv, Indikativ und Imperativ unterschieden und diesen sprachlichen Kategorien funktional pragmatische Kategorien der Sprache, nämlich Wunsch, Frage, Antwort und Befehl zugeordnet.