Telemach kommt heim

An demselben Morgen landete Telemach mit seinen Begleitern an Ithakas Gestade. Dem Rate Athenes gehorchend, hieß er diese ohne Verzug nach der Stadt fortrudern, versprach ihnen, am andern Tage durch ein fröhliches Mahl den Dank für die Reise zu bezahlen, und schickte sich zum Wege nach dem Hirten an. »Aber wo soll ich hingehen, mein Sohn«, fragte den Scheidenden Theoklymenos, »wer in der Stadt wird mich aufnehmen? Soll ich etwa geradenwegs auf den Palast deiner Mutter zugehen?« »Hätte unser Haus«, antwortete Telemach, »ein anderes Ansehen, als es gegenwärtig hat, so würde ich dir unbedenklich dazu raten; so aber würdest du von den Freiern doch nicht vorgelassen, und meine Mutter webt im einsamsten Gemache des Hauses an einem Gewande. Da wäre es noch klüger, dich in das Haus des Eurymachos zu begeben, der ein Sohn des in Ithaka hoch angesehenen Mannes, des Polybos, und der Erste unter denen ist, die sich um meine Mutter bewerben.« Während er noch redete, flog ein Habicht mit einer Taube vorüber, deren Gefieder er berupfte. Da führte der Seher den Jüngling bei der Hand auf die Seite und sagte ihm ins Ohr: »Sohn, wenn meine Kunst mich nicht ganz täuscht, so gilt dieses Zeichen deinem Hause. Nie wird ein anderes Geschlecht auf Ithaka walten: ihr seid die ewigen Beherrscher dieses Landes!«

Ehe nun Telemach von Theoklymenos Abschied nahm, empfahl er diesen noch seinem vertrautesten Freunde, dem Peiraios, dem Sohne des Klytios, daß er den Fremdling in seine eigene Wohnung aufnehmen und liebreich pflegen möchte, bis Telemach in die Stadt käme. Dann schied er, und die Genossen fuhren weiter.

Inzwischen rüsteten Odysseus und der Sauhirte in der Hütte das Frühstück, und die Knechte trieben die Schweine hinaus. Als sie behaglich beim Mahle saßen, ließen sich draußen Fußtritte hören, und die Hunde wurden laut, doch ohne zu bellen; sie schienen vielmehr einem Herankommenden zu schmeicheln. »Gewiß«, sagte Odysseus zu dem Hirten, »besucht dich ein Freund oder Bekannter; denn gegen Fremde gebärden sich deine Hunde ganz anders, das hab ich erfahren!«

Das Wort war noch nicht ganz ausgeredet, als sein lieber Sohn Telemach unter der Hüttentür stand. Der Sauhirt ließ das Trinkgeschirr vor freudiger Bestürzung aus der Hand sinken, eilte seinem jungen Herrn entgegen, umschlang ihn und bedeckte ihm weinend Antlitz, Augen und Hände mit seinen Küssen, als wäre er vom Tode erstanden. Ein alter Vater kann seinen einzigen spätgeborenen Sohn, wenn dieser nach zehn Jahren aus der Fremde kommt, nicht herzlicher bewillkommnen. Jener trat erst über die Schwelle, als er von seinem Diener vernommen, daß in der Mutter Hause nichts Neues vorgefallen sei. Dann übergab er dem Hirten seine Lanze und ging in die Hütte. Sein Vater Odysseus wollte dem Hereintretenden auf seinem Sitze Platz machen, Telemach aber hielt ihn und sagte freundlich: »Bleib nur sitzen, Fremdling; der Mann da wird mir schon meinen Platz anweisen.« Inzwischen bereitete Eumaios seinem jungen Herrn ein weiches Polster aus grünem Laube, darüber er einen Schafpelz deckte. Nun setzte sich Telemach zu den beiden, und der Sauhirt tischte eine Schüssel mit gebratenem Fleische auf, stellte den Brotkorb dazu und mischte in der hölzernen Kanne den Wein. So schmausten sie alle drei zusammen. Da fragte denn Telemach den Diener nach dem Fremdlinge, und dieser brachte kürzlich vor, was Odysseus an ihn hingefabelt. »Er hat sich jetzt«, beschloß er seine Antwort, »aus einem thesprotischen Schiffe geflüchtet und kam in mein Gehege; ich gebe ihn dir in die Hände, tue mit ihm, wie du willst.« »Dein Wort ängstet mich«, erwiderte Telemach; »wie kann ich den Mann in meinem Hause, so wie es dort aussieht, beschirmen? Behalte du ihn lieber hier; ich will ihm Rock und Mantel auf den Leib, Beschuhung an die Füße und um die Lenden ein zweischneidiges Schwert schicken, auch Speise genug, damit er dir und deinen Knechten nicht beschwerlich falle. Nur kann ich nicht darein willigen, daß er sich unter die Freier begebe; denn diese schalten und walten gar zu frech im Hause, selbst ein gewaltiger Mann vermöchte nichts gegen sie.«

Odysseus, der Bettler, drückte seine Verwunderung darüber aus, daß die Freier, dem Sohne des Hauses zum Trotze, sich so viele Unarten herausnehmen dürften. »Haßt dich denn etwa«, fragte er den Telemach, »das Volk, oder liegst du mit Brüdern im Streite, oder gibst du dich von freien Stücken so tief herunter? Wäre ich so jung wie du und der Sohn des Odysseus oder gar er selber käme zurück – denn noch ist ja die Hoffnung dazu nicht ganz verloren! –, eher sollte mir ein Fremder den Kopf von der Schulter hauen, ja lieber wollte ich in meinem eigenen Hause sterben, als daß ich so schändliche Taten länger mit anschaute!«

Darauf antwortete Telemach: »Nein, lieber Gast, das Volk haßt mich nicht; auch habe ich keine Brüder, die mich anfeindeten, ich bin das einzige Kind im Hause; aber feindselig gesinnte Männer von allen Inseln umher und von Ithaka selbst werben in Unzahl um meine Mutter. Sie weicht ihnen aus, ohne ihnen wehren zu können, und in kurzem wird mein Haus und Gut verwüstet sein.« Dann wandte er sich zu dem Sauhirten und sprach: »Du aber, Väterchen, tu mir den Gefallen und eile hinein in die Stadt zu Penelope, meiner Mutter, und sag ihr, daß ich da bin, doch so, daß es ja kein Freier vernimmt.« »Soll ich«, fragte Eumaios, »nicht den Umweg über den Aufenthalt deines Großvaters Laërtes machen und ihm deine Heimkehr auch zu wissen tun? Seitdem du nach Pylos gefahren bist, erzählen sie, habe er keine Speise und keinen Trank mehr genossen und nicht mehr nach den Feldarbeiten gesehen; in beständiger Betrübnis sitze er da, von den Gliedern schwinde ihm das Fleisch.« »So betrübt es ist«, antwortete Telemach, »so kann ich dich doch den Umweg nicht machen lassen. Nicht bald genug kann mir die Mutter wissen, daß ich wiedergekommen bin!« So sprach er und trieb den Diener an. Der Sauhirt langte sich seine Sohlen hervor, band sie sich unter die Füße, griff zu seiner Lanze und eilte fort.