Die Geschichte einer Pflanzung

Taahauku an der Südwestküste der Insel Hiva-oa – Tahuku sagen die Weißen nachlässig – kann man den Hafen von Atuona nennen. Es ist ein schmaler und kleiner Ankerplatz, eingebettet zwischen niedrigen, spitzen Klippen; oberhalb öffnet sich ein waldiges Tal. Ein kleines französisches Fort, jetzt geschleift und verlassen, hängt über dem Tal und der Hafeneinfahrt. Atuona selbst, am Innenbogen der nächsten Bucht, ist von Bergen umgeben, die auch die nahe gelegenen Teile von Taahauku beherrschen und der Landschaft charakteristische Züge verleihen. Man schätzt sie auf nicht mehr als viertausend Fuß, aber Tahiti mit achttausend und Hawaii mit fünftausend bieten kein so zerrissenes Bild melancholischer Alpenszenerie. Wenn am Morgen die Sonne direkt die Vorderfront trifft, stehen sie da wie ein ungeheurer Wall, grün bis zum Gipfel, wenn der Gipfel überhaupt klar ist: Wasserläufe durchfurchen ihr Antlitz, schmal wie Risse. Gegen Nachmittag fällt das Licht schräger ein, und die Gliederung des Gebirgszuges tritt deutlicher hervor, ungeheure Schluchten versinken in Schatten, riesige zerklüftete Vorsprünge stehen von Sonne beglänzt. Sie bieten dem Auge zu jeder Tagesstunde neue Schönheiten dar und lasten auf dem Gemüt mit ihrer immer gleichen, drohenden Düsternis.

Die Berge spalten den unaufhörlichen Windstrom des Passats, leiten ihn ab und sind ohne Zweifel verantwortlich für das Klima. Starke Böen strichen Tag und Nacht über den Ankerplatz. Tag und Nacht jagten unentwegt phantastische, zerrissene Wolken am Himmel, eine düstere Regen- und Nebelkappe hob und senkte sich über die Berge. Die Landwinde strömten sehr heftig und kalt herein, und See und Luft waren in ständigem Aufruhr. Die Dünung drängte sich in den engen Hafen wie eine Schafherde in die Hürde, brach sich überall an beiden Ufern, bald hochgetürmt, bald flach, ließ an einer Stelle eine Felsspalte wie eine Kanone donnern und rauchen und verlief sich schließlich auf dem Strande.

Auf der Seite, die am weitesten von Atuona entfernt liegt, war unter dem Schutz des Vorgebirges eine Art Baumschule für Kokospalmen entstanden. Manche waren noch Knirpse, keine hatte bereits eine beträchtliche Größe erreicht, keine war schon himmelwärts emporgeschossen mit dem peitschenähnlichen Schaft der ausgereiften Palme. Die jungen Baume wechseln die Farbe mit dem Alter und Wachstum. Jetzt ist noch alles von grasartiger Zartheit, unendlich zierlich; bald wird die Blattrippe golden, während die Wedel grün wie Farnkraut bleiben; und nun, während die Stämme höher streben und den endgültigen grauen Schimmer annehmen, färben sich die Fächer männlicher und entschiedener dunkelgrün, sehen aus der Entfernung schwarz aus, stehen dunkel gegen das Sonnenlicht und blitzen wie silberne Fontänen im Windessausen. Im jungen Walde von Taahauku fanden sich alle diese Schattierungen und Entwicklungsstadien zu Dutzenden. Die Bäume wuchsen in schönen Abständen auf einer hügeligen Grasfläche, hier und dort stand ein Gestell zum Trocknen der Kopra oder eine halbverfaulte Hütte zum Sammeln der Ware; hier und dort konnte man im Umherstreifen die »Casco« auftauchen sehen, wie sie in dem schmalen Hafen tanzte; und jenseits hatte man stets das finstere Amphitheater der Gebirge von Atuona vor sich und das Klippengewirr, das es nach der See hin abschließt. Der Passatwind rauschte in den Palmfächern wie ewiger Sommerregen, und von Zeit zu Zeit erdröhnte die Brandung lärmend wie plötzlicher, ferner Trommelwirbel in einer Meeresgrotte.

Am oberen Ende des Hafens sinken die niedrigen, klippenreichen Ufer nach beiden Seiten in eine Bucht. Ein Kopralagerhaus steht im Schatten der Bäume am Strand, unablässig umsegelt von Zwergschwalben, und ein Eisenbahngeleise führt auf hohem Holzgerüst rückwärts zur Talöffnung. Schreitet der neuangekommene Reisende auf ihm weiter, so bemerkt er eine breite Süßwasserlagune, und wenn er den einen Arm überquert, drüben einen Hain edler Palmen, die das Haus des Händlers, Mr. Keane, beschatten. Droben vereinen sich die Kokospalmen zu einem undurchbrochenen, hohen Dach, Drosseln hört man lustig singen, der Inselhahn schreit jubelnd und schrill und spreizt sein goldenes Gefieder, Kuhglocken ertönen fern und nah im Hain, und wenn man auf der breiten Veranda sitzt, eingelullt von dieser Symphonie, mag man zu sich selbst sagen, wenn man kann: »Besser fünfzig Jahre Europa …« Weiter hinauf ist der Boden des Tals flach und grün, hier und da recken sich Kokospalmen. Durch die Mitte rinnt und raunt vieltönig der Fluß, und an seinen Ufern, wo wir nach Weiden suchen könnten, wachsen Puraos in Büschen an schattigen Buchten, die des Anglers Herz erfreuen. Ein reicheres und friedvolleres Tal, eine süßere Luft und ein süßeres Konzert ländlicher Laute habe ich nirgends entdeckt. Ein Umstand nur muß den Erfahrenen sonderbar berühren: hier ist bequemer Strand, tiefer Boden, gutes Wasser, und doch gibt es nirgends Hausplattformen und keine Spur von Behausungen Eingeborener.

Noch vor einigen Jahren war dies Tal ein von Dschungeln beherrschter Platz, das umstrittene Gebiet und der Kampfplatz von Kannibalen. Zwei Stämme erhoben Anspruch darauf, keiner konnte ihn durchsetzen, die Wege lagen verlassen oder wurden nur von waffentragenden Männern aufgesucht. Gerade aus diesem Grunde bietet es jetzt einen so lieblichen Anblick: gerodet, bepflanzt, bebaut, von Bahnen durchzogen, mit Bootshäusern und Badehütten versehen. Da es nämlich Niemandsland war, wurde es bereitwilligst einem Fremden ausgeliefert. Der Fremde war Kapitän John Hart. Ima Hati, »Gebrochener Arm«, nennen ihn die Eingeborenen, weil er beim ersten Besuch der Inseln den Arm in einer Schlinge trug. Kapitän Hart, ein Mann englischer Herkunft, aber amerikanischer Untertan, hatte während des Amerikanischen Krieges den Plan gefaßt, auf den Marquesas Baumwollkulturen anzulegen, und sein Unternehmen war zunächst von Erfolg gekrönt. Seine Pflanzung bei Anaho war höchst ergiebig, die Inselbaumwolle erzielte hohe Preise, und die Eingeborenen stritten sich, wer die größere Macht sei, Ima Hati oder die Franzosen, und entschieden sich für den Kapitän, weil die Franzosen zwar die meisten Schiffe hatten, er aber mehr Geld.

Er wählte Taahauku als geeignetes Gelände, erwarb es und bot die Oberaufsicht Mr. Robert Stewart, einem Mann aus Fifeshire, an, der schon eine Zeitlang auf den Inseln weilte und soeben durch einen Krieg auf Tauata ruiniert worden war. Mr. Stewart hatte eine gewisse Abneigung gegen das abenteuerliche Unternehmen, denn er kannte Atuona und seinen berüchtigten Häuptling Moipu ein wenig. Einst, so erzählte er mir, war er dort gelandet und hatte die Überreste eines Mannes und einer Frau gefunden, die teilweise verzehrt waren. Er stutzte und empfand Grauen bei dem Anblick, aber einer der jungen Leute Moipus ergriff einen menschlichen Fuß, schaute den Fremdling herausfordernd an, grinste und knabberte an der Ferse. Man wird nicht erstaunt darüber sein, daß Mr. Stewart sofort in den Busch floh, dort die ganze Nacht in großer Seelenpein verharrte und bei Sonnenaufgang am Morgen wieder in See stach: »Atuona war immer ein schlechter Platz«, sagte Mr. Stewart in seinem heimatlichen Fifeshiredialekt. Trotz dieser grausigen Anfangserfahrung nahm er das Angebot des Kapitäns an, wurde mit drei Chinesen bei Taahauku an Land gesetzt und begann den Dschungel zu roden.

Krieg tobte zu jener Zeit fast ohne Unterbrechung zwischen den Leuten von Atuona und Haamau, und eines Tages raste die Schlacht – oder, besser gesagt, der Schlachtenlärm – auf beiden Seiten des Tales den ganzen Nachmittag, Schüsse und Schimpfreden der feindlichen Stämme flogen von Hügel zu Hügel über die Köpfe von Mr. Stewart und seinen Chinesen hinweg. Es war kein eigentliches Gefecht, sondern eher eine Streiterei zwischen Schuljungen, aber irgendein Narr hatte den Kindern Gewehre gegeben. Ein Mann starb von der Überanstrengung beim Laufen, das war der einzige Tote. Bei Einbruch der Nacht hörten die Schüsse und Flüche auf, die Leute von Haamau zogen sich zurück, und der Sieg wurde nach irgendeinem geheimnisvollen Grundsatz Moipu zugesprochen. Vielleicht veranstaltete Moipu infolgedessen eines Tages ein Festmahl, zu dem eine Anzahl Leute von Haamau unter freiem Geleit erschienen, um mitzuschmausen. Sie kamen in der Frühe an Taahauku vorbei, und einige der jungen Leute Moipus waren als Ehrengarde anwesend. Kurze Zeit danach, als sie weitergegangen waren, kamen ein Mann, seine Frau und ein zwölfjähriges Mädchen von Haamau, um Pilze zu bringen. Einige Burschen von Atuona trieben sich in der Nähe des Lagers umher, aber da Waffenstillstand herrschte an dem Tage, vermutete niemand Gefahr. Die Pilze wurden gewogen und bezahlt, der Mann von Haamau schlug vor, man möchte ihm als Zugabe noch eine Axt schleifen, und als Mr. Stewart wegen der Unbequemlichkeit die Bitte abschlug, boten einige Burschen aus Atuona sich an, sie für ihn zu schleifen, und setzten sie auf den Schleifstein. Während die Axt geschliffen wurde, flüsterte ein freundlich gesinnter Eingeborener Mr. Stewart zu, er solle sich in acht nehmen, böse Dinge bereiteten sich vor; und plötzlich wurde der Mann aus Haamau ergriffen und Kopf und Arme vom Rumpf getrennt, der Kopf durch einen Hieb seiner eigenen neugeschärften Axt. In der ersten Aufregung flüchtete das Mädchen zwischen die Baumwolle, und Mr. Stewart, der die Frau ins Haus gedrängt und die Tür hinter ihr geschlossen hatte, glaubte, daß die Angelegenheit erledigt sei. Aber das alles war nicht ohne Lärm vor sich gegangen, der zu einem älteren Mädchen drang, das sich in der Nähe umhertrieb und nun rasch das Tal heruntereilte und nach ihrem Vater schrie. Auch sie ergriffen und enthaupteten sie; ich weiß nicht, was sie mit der Axt gemacht hatten, sie führten ihre Bluttat an dem Mädchen mit einem stumpfen Messer aus; und das Blut floß in Strömen und färbte sie von Kopf zu Füßen. Grauenhaft durch ihre Verbrechen entstellt, kehrte die Horde nach Atuona zurück und schleppte die Köpfe zu Moipu. Man kann sich vorstellen, daß das Fest abgebrochen wurde, aber es ist bemerkenswert, daß man die Gäste unangetastet abziehen ließ. Sie kehrten in wilder Unordnung durch Taahauku zurück, kurze Zeit nachher war das Tal überschwemmt von schreienden und triumphierenden Tapferen, und da gleichzeitig ein Warnungsbrief bei Mr. Stewart anlangte, suchte er mit seinen Chinesen Zuflucht bei dem protestantischen Missionar in Atuona. In jener Nacht wurde das Lager geplündert, die Leichen wurden in eine Grube geworfen und mit Laub bedeckt. Drei Tage später war der erwartete Schoner eingelaufen, und da wieder Ruhe zu herrschen schien, gingen Mr. Stewart und der Kapitän in Taahauku an Land, um den Schaden zu berechnen und das Grab zu besichtigen, das bereits Verwesungsgeruch ausströmte. Als sie dabei waren, kamen einige von Moipus jungen Leuten, bekleidet mit rotem Flanell, dem Zeichen kriegerischer Absichten, über die Hügel von Atuona, gruben die Leichen aus, wuschen sie im Fluß und trugen sie auf Stöcken fort. In jener Nacht begann das Festmahl.

Alle, die Mr. Stewart vor diesen Ereignissen kannten, erklärten, der Mann habe sich vollständig geändert. Er verharrte jedoch auf seinem Platz, und einige Zeit später, als die Pflanzung schon gute Fortschritte gemacht hatte und sechzig Chinesen und siebzig Eingeborene beschäftigte, fand er sich neuen Gefahren gegenüber. Die Leute von Haamau, so hieß es, hatten geschworen, die Niederlassung zu plündern und auszurotten. Es kamen fortlaufend Briefe des hawaiischen Missionars, der als Nachrichtenbureau diente, und sechs Wochen lang schlief Mr. Stewart mit drei anderen Weißen im Baumwollager zwischen Barrikaden von Ballen und – was die beste Art der Verteidigung war – übte in aller Öffentlichkeit tagsüber Gewehrschießen an der Bucht. Eingeborene waren oft anwesend, um sie zu beobachten; die Schießübungen verliefen glänzend, und der Angriff fand nie statt, wenn er überhaupt beabsichtigt war, was ich bezweifle, denn die Eingeborenen sind tüchtiger im Erfinden falscher Gerüchte als in mutvollen Taten. Man erzählte mir, der letzte Französische Krieg habe das bewiesen, die Stämme an der Bucht warfen denen der Berge böse Pläne vor, die auszuführen sie niemals Wagemut genug besessen hätten. Und ähnliche Berichte über die Feigheit der Insulaner in offener Schlacht kamen von allen Seiten. Kapitän Hart landete einst nach einem Kampf an einer bestimmten Bucht, ein Mann hatte eine Handwunde, ein altes Weib und zwei Kinder waren erschlagen worden, und der Kapitän beruhigte die Leute, indem er die Hand verband und beide Parteien verspottete wegen der Lächerlichkeit der ganzen Angelegenheit. Tatsächlich waren diese Kriege oft reine Formsache wie Duelle bis zum ersten Blutvergießen. Hart besuchte eine Bucht, wo solch ein Krieg zwischen zwei Brüdern ausgetragen wurde, deren einer angeblich gegen die Gäste des anderen unhöflich gewesen war. Ungefähr die Hälfte der Bevölkerung leistete abwechselnd auf der einen oder andern Seite Kriegsdienste, um mit beiden gut Freund zu sein, wenn der unvermeidbare Friede käme. Die Befestigungen der Kriegführenden lagen sich dicht gegenüber. Schweine wurden gekocht, gut geölte Tapfere schritten mit gut geölten Gewehren auf den Paepaes auf und ab oder setzten sich nieder zum Festmahl. Kein noch so wichtiges Geschäft konnte erledigt werden, alle Gedanken schienen auf diesen lächerlichen Scheinkrieg gerichtet. Einige Tage darauf wurde durch einen bedauerlichen Zufall ein Mann getötet, man fühlte, daß man zu weit gegangen sei, der Streit wurde sofort beigelegt, aber ernsthafte Kriege wurden in ähnlichem Geiste geführt, ein Geschenk von Schweinen und ein Festmahl bildeten stets den Beschluß, die Tötung eines einzigen Mannes war ein großer Sieg, und die Ermordung Wehrloser wurde als Heldentat gepriesen.

Der Fuß der Klippen ist auf allen diesen Inseln der geeignete Platz zum Fischen. Zwischen Taahauku und Atuona sahen wir Männer, aber hauptsächlich Frauen, manche beinahe nackt, andere in dünnen weißen oder scharlachroten Kleidern, auf den gischtbespritzten Vorsprüngen hocken, braune Felsen über dem Kopf und ringsumher, als wollten sich die Leute von aller Hilfe absperren. Dort angelten sie fast den ganzen Vormittag, und sobald sie einen Fisch fingen, aßen sie ihn roh und lebendig, wo sie standen. Diese hilflos Einsamen pflegten die Krieger der gegenüberliegenden Insel Tauata zu erschlagen, heimzutragen und zu verspeisen, wofür man sie mächtige Kriegshelden nannte. Von einem solchen Überfall kann ich die Beschreibung eines Augenzeugen geben. »Portugal-Joe«, Mr. Keanes Koch, ruderte einst in einem Boot von Atuona, als die Besatzung einen Fremdling in einem Kanu erspähte mit einigen Fischen und einem Stück Tabu. Die Atuonaer riefen ihm zu, er solle herankommen und einen Zug aus der Pfeife tun. Er willfahrte, weil er vermutlich keine andere Wahl hatte, aber der arme Teufel wußte, was ihn erwartete, und »schien sich auf die Pfeife nicht sehr zu freuen«, wie Joe sagte. Einige Fragen folgten: woher er käme, und was er vorhabe. Er mußte sie beantworten und mußte auch an der unwillkommenen Pfeife saugen, während sein Herz in der Brust vertrocknete. Und dann lehnte sich ein riesiger Kerl aus Joes Boot plötzlich hinüber, stieß ihm das Messer in den Hals – hinein und hinunter, wie Joe durch Zeichensprache besser klarmachte als durch Wort – und hielt ihn wie ein Huhn unter Wasser, bis der Todeskampf vorüber war. Darauf wurde das »Langschwein« an Bord gezogen, das Boot nahm Kurs auf Atuona, und die tapferen Marquesaner ruderten heim. Moipu war am Strande und jauchzte mit ihnen, als sie landeten. Der arme Joe riß damals bleichen Angesichts an seinem Ruder, aber für sich selbst fürchtete er nichts. »Sie waren sehr gut zu mir, gaben mir eine Menge Brei zu essen, einen Weißen wollten sie nicht verzehren«, sagte er.

Wenn Mr. Stewart die furchtbarsten Erlebnisse hatte, so geriet dagegen Kapitän Hart in die größte persönliche Gefahr. Er hatte von Timau, dem Häuptling an einer benachbarten Bucht, ein Stück Land gekauft und ließ es von einigen Chinesen bearbeiten. Als er die Station mit einem der Leute Godeffroys besuchte, sah er seine Chinesen angsterfüllt am Strande versammelt: Timau hatte sie fortgejagt, ihre Habe geraubt und trug wie seine Soldaten Kriegsausrüstung. Ein Boot wurde eiligst nach Taahauku geschickt, um Verstärkungen zu holen, und während sie die Rückkehr abwarteten, sahen sie vom Deck des Schoners Timau und seine Leute auf dem Gipfel des Hügels bis nach Mitternacht den Kriegstanz tanzen. Sobald das Boot ankam, das drei mit Chassepots bewaffnete Gendarmen, zwei Weiße von der Station Taahauku und einige eingeborene Krieger brachte, brach die Gesellschaft auf, um den Häuptling zu ergreifen, ehe er erwachte. Der Tag war noch nicht angebrochen, und es war ein sehr heller Mondscheinmorgen, als sie den Gipfel erreichten, wo Timau in einer Hütte von Palmzweigen seinen Rausch ausschlief. Die Angreifer waren ohne jede Deckung, das Innere der Hütte ganz dunkel, die Lage also sehr gefährlich. Die Gendarmen knieten mit angeschlagenem Gewehr nieder, und Kapitän Hart ging allein vor. Als er sich dem Eingang näherte, hörte er den Hahn eines Gewehrs schnappen, und in reiner Selbstverteidigung – es gab keinen andern Ausweg – sprang er in die Hütte und packte Timau. »Timau, komm mit mir!« schrie er. Aber Timau, ein riesiger Kerl, die Augen blutrot vom übermäßigen Genuß von Kava, sechs Fuß und drei Zoll groß – stieß ihn in die Seite, und der Kapitän, der erwarten mußte, im nächsten Augenblick erschossen oder erschlagen zu werden, feuerte seine Pistole ab ins Dunkle. Als man Timau ins Mondlicht hinaustrug, war er bereits tot, und die Weißen scheinen bei diesem unerwarteten Abschluß ihres Angriffs alle Haltung verloren zu haben, zogen sich zu den Booten zurück und feuerten auf die Eingeborenen. Kapitän Hart, der an Popularität beinahe Bischof Dordillon gleichkommt, befolgte den Eingeborenen gegenüber dieselbe Politik der Nachsicht, betrachtete sie als Kinder, entschuldigte ihre Fehler und setzte sich immer für milde Behandlung ein. Der Tod Timaus hat also sein Gemüt einigermaßen belastet, um so mehr, da man die Waffe des Häuptlings ungeladen in der Hütte vorfand. Einem weniger empfindsamen Gewissen mag der Vorfall unbeträchtlich erscheinen. Wenn ein betrunkener Wilder zur Feuerwaffe greift, braucht ein ohne Deckung gegen ihn vorrückender Weißer nicht abzuwarten, ob sie geladen ist.

Ich habe die Popularität des Kapitäns erwähnt. Sie gehört zu den Tatsachen, die dem Fremden auf den Marquesas am meisten auffallen. Er stößt sofort auf zwei Namen, beide neu für ihn, aber beide berühmt in der ganzen Gegend, beide von allen in Liebe und Hochachtung genannt, die Namen des Bischofs und des Kapitäns. So wurde in mir der lebhafte Wunsch wach, den Überlebenden kennenzulernen, und er wurde mir zum Vorteil dieses Buches erfüllt. Viel später traf ich wieder einmal, bei dem sogenannten Ort der Schmerzen, auf Molokai, auf Spuren dieser herzlichen Anhänglichkeit. Ein blinder Aussätziger befand sich dort, ein alter Seemann – er nannte sich einen alten Seebären –, der lange Zeit die östlichen Inseln befahren hatte. Ich pflegte ihn zu besuchen, und da ich soeben vom Felde seiner Tätigkeit kam, erzählte ich ihm allerlei Neuigkeiten. Es handelte sich dabei, wie es die Inseln mit sich bringen, hauptsächlich um Berichte über Schiffsuntergänge, und zufällig erwähnte ich einen nicht sehr erfolgreichen Kapitän, der ein Schiff Mr. Harts verloren hatte. Da brach der blinde Aussätzige in Wehklagen aus: »Hat er ein Schiff John Harts verloren?« rief er, »armer John Hart! Das tut mir leid, daß es Harts Schiff war!«, mit allerlei unnötig kraftvollen Beiworten, die ich nicht wiedergeben möchte.

Hätte Kapitän Hart weiterhin Glück gehabt in seinen Geschäften, so wäre seine Popularität vielleicht geschwunden. Erfolg bringt Ruhm, aber tötet die Liebe, die das Unglück nährt. Und das Unglück, das über Kapitän Harts Unternehmungen hereinbrach, war wirklich einzigartig. Er hatte den Gipfel seiner Laufbahn erklommen, Ile Masse gehörte ihm, von den Franzosen als Entschädigung für die Plünderungen von Taahauku gewährt. Aber Ile Masse eignete sich nur für Viehzucht, und seine zwei Hauptstationen waren Anaho auf Nuka-hiva, nach Nordosten gelegen, und Taahauku auf Hiva-oa, einige hundert Meilen südwärts nach Südwest gelegen. Beide Stationen wurden am selben Tage von einer Flutwelle fortgeschwemmt, die man in keiner anderen Bucht oder Insel der Gruppe wahrnahm. Die Südküste von Hiva-oa war mit Bauholz und Kisten aus Kampferholz, die Waren enthielten, übersät. Die Eingeborenen brachten alles, nachdem man angemessene Bergegelder ausgesetzt hatte, ehrlich zurück, die Kisten waren offenbar nicht geöffnet, einiges Holz hatten sie vorher schon in ihre Häuser eingebaut. Aber die Rettung dieses Strandgutes konnte an dem Ausgang nichts ändern. Der Kapitän konnte dieser Parteilichkeit des Schicksals unmöglich Widerstand leisten, und mit seinem Fall endete der Wohlstand auf den Marquesas. Anaho ist vollkommen tot, Taahauku nur noch sein eigener Schatten; keine andere Pflanzung ist statt ihrer entstanden.