Fakarava: Auf einem Atoll

Etwas vor Mittag fuhren wir an der Küste von Fakarava, unserem Ziel, entlang. Der Wind war sehr schwach, die See nahezu glatt, obgleich uns noch das unaufhörliche Brausen vom Strande begleitete wie das Geräusch eines fernen Zuges. Die Insel ist von ungeheurer Länge, die Lagune im Innern dreißig Meilen mal zehn oder zwölf und die Korallenstraße, die man Land nennt, achtzig oder neunzig Meilen lang, bei einer Breite von ungefähr zweihundert Metern. Die Teile, an denen wir entlang segelten, waren alle hoch, das Unterholz ausgezeichnet grün, der Wald von Kokospalmen in der Höhe ohne Unterbrechung, ein Anzeichen für menschliche Kultur, was ich damals noch nicht wußte. Wieder und von neuem, ohne es zu wissen, waren wir in Rufweite von Mitmenschen, und dieser verlassene Strand war nur einen Pistolenschuß entfernt von der Hauptstadt des Archipels. Aber das Leben auf einem Atoll, das nicht eingedämmt ist, spielt sich nur an den Küsten der Lagune ab, dort liegen die Dörfer, dort ankern die Kanus und werden sie auf den Strand gezogen; die Küste des Ozeans dagegen ist ein verrufener und gemiedener Ort, der Schauplatz nur für Hexerei und Schiffbruch und nach dem Eingeborenenglauben der Jagdgrund blutgieriger Gespenster. Nach einiger Zeit entdeckten wir eine Lücke in dem niedrigen Wall, der Wald hörte auf, eine blitzende Landzunge lief in die See hinaus und kennzeichnete durch eine smaragdene Untiefe die Einfahrt. Als wir uns näherten, fanden wir eine leise Strömung, die abgeschlossene See der Lagune hatte dort ihren Anfang und ihr Ende und versuchte sich in den Schranken dieses Torweges vergeblich mit den gewaltigen Wogen des Pazifischen Ozeans zu messen. Die »Casco« entging knapp einem Anprall, aber es gibt Zeiten und Umstände, da diese Hafenmündungen der Inlandbecken Fluten ausströmen und Schiffe fortschleudern, umwerfen und ihnen die Masten brechen. Man stelle sich vor, daß eine Lagune vollständig abgeschlossen ist bis auf einen einzigen Punkt von kaum schiffbarer Breite, und bedenke, daß durch Flut und Winde stundenlang eine ungeheure Wassermenge sich in dieser Korallenfalte angesammelt hat, daß dann die Ebbe kommt und der Wind nachläßt: die offenen Schleusen großer Wasserbecken bei uns zu Hause geben eine Vorstellung von der unhemmbaren Strömung.

Kaum hatten wir den Kanal befahren, als alle Köpfe sich über Bord beugten. Denn das seichte Wasser unter unserem Kiel wandelte sich plötzlich zu überraschenden Tönungen von Blau und Grau; in der durchsichtigen Flut sah man die Verästelungen und Blüten der Koralle, und die Fische der Binnensee schossen sichtbar unter uns hin und her, mit Punkten, Streifen und Köpfen wie Papageien. Ich habe manchmal Gold ausgegeben für Kuriositäten, aber niemals für etwas so Einzigartiges wie für diesen seltenen Blick über die Schiffsreling in der Lagune von Fakarava. Der Leser möge sich jedoch nicht durch falsche Hoffnungen täuschen lassen. Ich bin, glaube ich, ein dutzendmal in verschiedenen Teilen des Pazifischen Ozeans in Atolle hineingefahren, aber der Anblick hat sich nie wiederholt. Diese wunderbare Schönheit und Klarheit des Unterseelebens und diese Massen von Regenbogenfischen haben mich nicht ein zweites Mal entzückt.

Bevor wir unsere Augen von diesem hinreißenden Bilde wenden konnten, war der Schoner durch die Kopfenden des Riffes geglitten und lag schon ganz in der Binnensee. Die Küsten ringsumher sind so niedrig, und die Lagune selbst ist so groß, daß sie an den meisten Stellen ohne Unterbrechung bis zum Horizont zu reichen schien. Hier und dort, wo das Riff ein Inselchen wie einen Siegelring auf einem Finger trug, sah man leicht angedeutet Palmen stehen. Stellenweise verlief die grüne Böschung des dichten Waldes einige Meilen weit, und vor uns blitzten unter den höchsten Gipfeln ein paar Häuser weiß auf: Rotoava, die Hauptniederlassung der Paumotus. In dreimaligem Kreuzen gelangten wir dorthin und warfen in der Nähe der Küste Anker, im ersten ruhigen Wasser seit unserer Ausfahrt von San Franzisko, fünf Faden tief, wo der Mensch den ganzen Tag über Bord blicken kann, hinunter zu dem verschwimmenden Kabelstrang, den Korallenbänken und den bunten Fischen.

Fakarava wurde nur aus Schiffahrtsgründen zum Sitz der Regierung gewählt. Es liegt nicht im Mittelpunkt der Inselwelt, die Produkte sind selbst für eine niedrige Insel geringfügig, die Bevölkerung ist weder zahlreich noch im Vergleich zu den Bewohnern anderer niedriger Inseln fleißig. Aber die Lagune hat zwei gute Durchfahrten, leewärts und windwärts, so daß sie unter allen Windverhältnissen angefahren und verlassen werden kann; und dieser Vorteil war für die Regierung versprengter Inseln entscheidend. Ein Korallenpier, Landungsstege, eine Hafenbeleuchtung auf einem Block und Pfeiler und zwei geräumige Regierungsbungalows in einer hübschen Umzäunung verliehen dem Nordende von Rotoava den Anschein großer Bedeutung. Das wird noch betont durch ein leeres Gefängnis und eine Gendarmerie, die mit Plakaten über und über beklebt ist in tahitischer Sprache, landgesetzlichen Ankündigungen von Papeete und republikanischen Gefühlsergüssen von Paris, gezeichnet (ein wenig veraltet): »Jules Grévy, Perihidente.« Ganz am anderen Ende der Stadt steht eine katholische Kapelle mit Glockenturm, und dazwischen auf weichem weißen Korallensand, unter dem luftigen Baldachin der Kokospalmen, liegen unregelmäßig verstreut die Eingeborenenhäuser, die einen dicht an der Lagune, aus Vorliebe für frische Luft, die andern rückwärts unter den Palmen wegen des Schattens.

Keine Menschenseele war zu sehen. Wäre nicht das Donnern der Brandung an der Außenseite gewesen, so hätte man überall in dieser Hauptstadt eine Nadel fallen hören können. Es lag etwas Erregendes in dieser erwartungsvollen Stille, aber noch erregender war das überraschende Getöse. Hier vor uns erstreckte sich ein Meer bis zum Horizont, gekräuselt wie ein Binnensee, und dicht hinter uns brandete ein anderes Meer mit heftiger Wut gegen das Land. Abends brachte man die Laterne, die den verödeten Pier erleuchtete. In einem Hause sah man Lichter und hörte Stimmen, die Bevölkerung, so erzählte man uns, saß dort beim Kartenspiel. Etwas weiter weg sahen wir aus der tiefen Finsternis des Palmenhains die Glut verbrannter Kokosnußschalen leuchten und rochen ihren aromatischen Duft, Überbleibsel eines abendlichen Küchenfeuers. Grillen zirpten, irgendein schriller Pfeifton erklang aus Grasbüscheln, und die Moskitos summten und stachen. Keine andere Spur von Mensch, Vogel oder Insekt war in jener Nacht auf der Insel zu entdecken. Der Mond, drei Tage alt und immer noch eine silberne Sichel auf sichtbarer Scheibe, schien durch den Palmenbaldachin mit starkem und zitterndem Licht. Die Straßen, auf denen wir gingen, waren geebnet und von Unkraut gesäubert wie ein Boulevard, hier und dort hatte man sie bepflanzt, hier und dort kauerten dunkle Häuschen im Schatten, einige mit Veranden. Ein öffentlicher Park bei Nacht und ein reicher und vornehmer Badeort in der Nachsaison bietet einen nicht unähnlichen Anblick dar. Und immer noch erstreckte sich auf der einen Seite der leise bewegte Binnensee, und von der andern grollte in der Nacht das tiefe Meer. Aber besonders an Bord, in den Stunden der Nacht, da ich besser geschlafen hätte, ergriff und beherrschte mich der Reiz von Fakarava. Der Mond war untergegangen, die Hafenlaterne und zwei der größten Planeten warfen vielfarbige Strahlenbündel auf die Lagune. Von der Küste erhob sich in Zwischenräumen der heitere Weckruf der Hähne über das Orgelgebrause der Brandung. Und der Gedanke an diese entvölkerte Hauptstadt, diese lang hingestreckte ringförmige Insel mit der Krone von Kokospalmen und dem Saum von Brechern, und jener ruhige Inlandsee, der sich vor mir ausdehnte, bis er die Sterne berührte, bezauberte mein Herz für lange Stunden.

Solange ich auf dieser Insel weilte, lebten diese Gedanken ständig in mir. Ich legte mich hin zum Schlaf und erwachte von neuem mit unverminderter Empfindungsfreudigkeit für meine Umgebung. Immer wieder erschien mir das Bild dieser schmalen Straße, auf der ich wohnte, wie eine zusammengerollte Schlange, die sich in den Schwanz beißt, mitten im wütenden Ozean, und nie wurde ich müde, von der einen Seite zur andern zu wandern – beinahe nur ein Spaziergang wie über das Schiffsdeck –, von den schattigen bewohnbaren Gestaden der Lagune zu der blendend strahlenden Wüste und den hochgetürmten Wogen der gegenüberliegenden Küste. Das Gefühl der Unsicherheit auf so schmalem Wohnsitz ist mehr als phantastisch. Wirbelstürme und Flutwellen überrennen diese bescheidenen Hindernisse, der Ozean erinnert sich seiner Kraft, und wo Häuser standen und Palmen blühten, wirft er seinen weißen Gischt wieder über den einsamen Korallenstreifen. Fakarava selbst hat gelitten, die Bäume dicht hinter meinem Hause waren alle erst vor kurzem angepflanzt, und Anaa hatte sich soeben erst von einer heftigen Katastrophe erholt. Ich kannte jemand, der damals auf der Insel wohnte. Er erzählte mir, daß er und zwei Kapitäne zum Strande des Meeres gingen. Dort beobachteten sie eine Zeitlang die herankommenden Wogen, bis einer der Kapitäne plötzlich seine Hand vor die Augen legte und laut schrie, daß er den Anblick nicht länger ertragen könne. Das war am Nachmittag; in den finsteren Stunden der Nacht brach die See wie eine Flutwelle über die Insel herein, die Niederlassung wurde bis auf die Kirche und die Pfarrei fortgespült, und als der Tag wiederkehrte, fanden sich die Überlebenden in einem Chaos von entwurzelten Kokospalmen und zerstörten Häusern angeklammert.

Die Gefahr spielt jedoch nicht die entscheidende Rolle. Der Mensch ist viel empfindlicher für Unbequemlichkeiten, und die Atolle sind eine unbequeme Heimat. Auf manchen und wahrscheinlich älteren Inseln hat sich tiefer Boden gebildet, auf dem höchst wertvolle Fruchtbäume gedeihen. Ich ging spazieren auf einer, verwundert und überrascht, durch einen Wald großer Brotfruchtbäume, aß Bananen und stolperte über Tarowurzeln. Es war auf dem Atoll Namorik in der Marschallgruppe, und es ist meine einzige derartige Erfahrung. Um das entgegengesetzte Extrem zu kennzeichnen, das jedoch dem Durchschnitt weit nähersteht, will ich den Boden und die Produkte von Fakarava beschreiben. Die Oberfläche dieses schmalen Streifens besieht zum. größten Teil aus zerbrochenem Korallenkalk, der vulkanischem Gestein ähnelt und den nackten Fuß peinigt. Auf manchen Atollen, glaube ich, allerdings nicht in Fakarava, gibt er einen feinen metallischen Ton, wenn man ihn schlägt. Hier und da trifft man eine Sandbank, außergewöhnlich fein und weiß, und diese Stellen sind am unfruchtbarsten. Die Pflanzen in ihrer Art entsprießen aus dem gebrochenen Korallenstein und lieben ihn, sie tragen jenes wunderbare Grün, das die Schönheit des Atolls von der See her ausmacht. Besonders die Kokospalme gedeiht prächtig auf diesem harten Boden, senkt ihr Wurzelwerk in das klare Brackwasser nieder und erhebt ihr grünes Haupt in die Winde, strotzend von Gesundheit und Anmut. Aber selbst der Kokospalme muß man in der Jugend durch künstliche Ernährung helfen, und an vielen Stellen des niedrigen Archipels pflanzt man mit jeder Nuß ein Stück Schiffszwieback und einen verrosteten Nagel ein. Der Pandanus ist der nächstwichtige Baum, ebenfalls prächtig tragend, und auch er entwickelt sich tapfer. Ein grünes Buschwerk, Miki genannt, wuchert überall, manchmal sieht man einen Purao, und es findet sich manches wertlose Unkraut. Nach M. Cuzent macht die Gesamtzahl der Pflanzenarten auf einem Atoll wie Fakarava kaum mehr als zwanzig aus, wenn diese Ziffer erreicht wird. Nirgendwo ein Grashalm, nirgendwo ein Körnchen Humus, es sei denn, daß ein oder zwei Sack importiert wurden, um eine Art Garten anzulegen, Gärten, wie sie in Städten auf dem Fensterbrett blühen. Das Insektenleben ist manchmal reich, eine Wolke von Moskitos und, was noch schlimmer ist. ein Schwarm von Fliegen, die unsere Nahrung beschmutzten, haben uns manchmal von einer Mahlzeit auf Apemama vertrieben, und selbst auf Fakarava waren die Moskitos eine Plage. Die Landkrabbe kann man zu ihrem Loch kriechen sehen, und während der Nacht belagerten Ratten die Häuser und künstlichen Gärten. Die Krabbe ist gut eßbar, wahrscheinlich auch die Ratte, ich habe es nicht versucht. Die Pandanusfrucht wird auf den Gilbertinseln zu einem angenehmen Leckerbissen verarbeitet, wie man ihn am Schluß eines ausgedehnten Diners genießen mag. Als eigentliche Mahlzeit kann ich sie nicht schätzen, der Rest der Nahrung kann auf einer einsamen Insel wie Fakarava mit dem beliebten Inselwitz bezeichnet werden: Kokosnuß-Beefsteak, Kokosnuß grün, Kokosnuß reif, Kokosnuß mit Keimen, Kokosnuß zum Essen und zum trinken, Kokosnuß roh und gekocht, Kokosnuß heiß und kalt – das ist die Speisenfolge. Einige der Vorspeisen sind ohne Zweifel kostbar. Die keimende Nuß in der Schale gekocht und mit dem Löffel gegessen ist ein guter Pudding, Kokosmilch – der ausgepreßte Saft einer reifen Nuß, nicht das Wasser einer grünen – schmeckt gut zum Kaffee und ist eine wertvolle Zutat der Kochkunst in der ganzen Südsee, und Kokosnußsalat ist, wenn man Millionär ist und den Wert eines Kornfeldes als Nachtisch verzehren kann, ein Gericht, dessen man sich mit Wohlgefallen erinnert. Aber alles in allem herrscht Gleichförmigkeit, und die Israeliten der niedrigen Inseln murren über ihr Manna.

Der Leser könnte denken, ich habe die See vergessen. Die beiden Küsten sind sicherlich voll von Leben, und sie sind eigentümlich verschieden. In der Lagune wird das Wasser langsam seichter über dem Grund von seinem, schleimigem Sand, der von Bröckchen wachsender Korallen übersät ist. Dann kommt der Streifen Flutstrandes, auf dem leichter Wellenschlag spielt. In den Korallenwucherungen wächst üppig die große Muschel Tridacna; ein wenig tiefer liegen die Bänke der Perlenauster und segeln die strahlenden Fische, die uns bei unserer Ankunft entzückten, sie sind alle mehr oder weniger leuchtend gefärbt. Aber die anderen Muscheln sind weiß wie Kalk oder leicht rosafarben überhaucht in den zartesten Farben; viele von ihnen sind außerdem tot und vom Seegang stark beschädigt. Auf der Ozeanseite, in den Schluchten der steilen Küste, über die ganze Breite des Riffes, wo die Brandung tost, in jedem Spalt, unter jedem kleinsten Stück Koralle breitet sich eine unglaubliche Fülle des Wasserlebens aus in wunderbarster Mannigfaltigkeit und strahlendsten Farben. Es gibt keine Farbennuance des Riffes, die nicht von irgendeiner Muschel angenommen ist. Purpurn, rot, weiß, grün, gelb, gesteckt, gestreift und verwaschen: die lebenden Muscheln tragen in allen Schattierungen die Buntheit des toten Riffes – wenn das Riff wirklich tot ist –, so daß das Auge fortwährend verwirrt und der Sammler fortwährend getäuscht wird. Ich habe Muscheln für Steine und Steine für Muscheln gehalten, das eine sooft wie das andere. Die Koralle ist vorherrschend mit kleinen, roten Punkten gesteckt, und es ist wunderbar, wie viele Muschelarten diesen Brauch angenommen haben: die Verkleidung durch den roten Fleck. Eine Muschel, die ich in großen Mengen auf den Marquesas fand, war auch hier in jeder Beziehung gleich vorhanden, aber sie trug die roten Flecke. Eine lebhafte kleine Krabbe trug dieselben Merkmale. Der Fall des Einsiedler- oder Taschenkrebses war noch überzeugender, da es sich hier um bewußte Wahl handelte. Dieser lästige kleine Zerstörer, Unratjäger und Räuber hat den Wert eines gesteckten Hauses erfahren; wenn es nur die richtige Farbe hat, begnügt er sich mit dem kleinsten Obdach, verbirgt sich in der winzigsten Ecke einer zerbrochenen Schale und wandert halb nackt in der Welt herum; aber niemals fand ich ihn in seiner unvollkommenen Rüstung, ohne daß sie mit dem roten Fleck gezeichnet gewesen wäre.

Ungefähr zweihundert Meter entfernt ist der Stand der Lagune. Sammelt man Muscheln von beiden Seiten und hält sie nebeneinander, so könnte man vermuten, daß sie von verschiedenen Erdteilen stammen, die einen blaß, die andern leuchtend, die einen hauptsächlich weiß, die andern buntfarbig und mit dem scharlachnen Fleck wie mit einer Krankheit behaftet. Das ist um so wunderbarer, da die Einsiedlerkrebse über die Insel hin und her wandern, und ich habe sie sogar in der Nähe des Brunnens des Regierungsgebäudes gefunden, der ungefähr in der Mitte des Weges vom Meere zur Lagune liegt. Ohne Zweifel sind die meisten Muscheln in der Lagune tot. Aber warum sind sie tot? Ohne Zweifel haben die lebenden Muscheln für ihre Anpassung einen sehr verschiedenen Meeresboden unter sich. Aber warum sind sie von den toten so verschieden? Wir stehen erst an der Schwelle der Naturgeheimnisse.

Jede der beiden Küsten, habe ich gesagt, strotzt von Leben. Auf der Meeresseite und auf manchen Atollen ist diese Überfülle von Leben geradezu erschreckend: der Fels unter dem Fuß wimmelt davon. Ich habe besonders auf Funafuti und Arorai große Stücke alten verwitterten Felsens abgebrochen, der unter meinen Schlägen wie Eisen erklang, und die Bruchstelle war voll von heraushängenden Würmern, die so lang wie meine Hände, so dick wie ein Kinderfinger, leicht rosaweiß gefärbt und so dicht gesät waren, daß drei oder vier auf einen Quadratzoll kamen. Selbst in der Lagune, wo manche Schalentiere zu kränkeln scheinen, entwickeln sich andere bemerkenswerterweise ausgezeichnet und bilden den Reichtum dieser Inseln. Auch Fische sind reichlich vorhanden, die Lagune ist ein geschlossener Fischteich, wie er das helle Entzücken eines Abtes darstellen würde. Haie schwammen hier herum und umkreisten besonders die Einfahrten, um sich von dieser Fülle zu nähren, und man sollte glauben, daß der Mensch nur seine Angel auszuwerfen hätte. Ach, es ist nicht so. Manche dieser buntfarbigen Fische, die die »Casco« bei ihrer Ankunft umschwärmten, haben giftige Stacheln, andere sind giftig im Genuß. Der Fremde muß sich zurückhalten oder das Risiko einer qualvollen und gefährlichen Krankheit tragen. Der Eingeborene ist auf seiner Insel ein sicherer Führer, aber versetzt auf die nächste, ist er hilflos wie wir selbst. Denn alles hängt ab von Zeit und Art. Ein Fisch, in der Lagune gefangen, mag tödlich sein, fängt man ihn aber an demselben Tage im Meere, nur ein paar hundert Meter von der Einfahrt entfernt, liefert er eine angenehme Mahlzeit. Auf einer Nachbarinsel liegt der Fall vielleicht umgekehrt, und vierzehn Tage später kann man ihn draußen und drinnen vielleicht ohne Gefahr verzehren. Nach Ansicht der Eingeborenen wird diese höchst erstaunliche Erscheinung hervorgerufen durch die Konstellation der Himmelskörper. Der schöne Planet Venus spielt eine große Rolle in allen Inselerzählungen und -sitten, und außer anderen Funktionen, die zum Teil schrecklich sind, regelt er das Erscheinen der eßbaren Fische. Bei einer bestimmten Konstellation der Venus, wie wir sie antrafen, sind gewisse Fische in der Lagune giftig, bei anderen Konstellationen sind dieselben Fische harmlos und als Nahrungsmittel hochgeschätzt. Die Weißen erklären diese Veränderung aus den Entwicklungsstadien der Koralle.

Einen letzten Schauer des Schreckens verleiht dem Gedanken an diesen sonderbaren ringförmigen Pfad im Meere die Tatsache, daß alles Vorhandene nicht aus festem Fels besteht, sondern organisch und teils lebendig, teils angefault ist; selbst die klare See und der glänzende Fisch ringsherum sind giftig, das härteste Gestein von Würmern durchwühlt, der leichteste Staub toddrohend wie Apothekerdrogen.