Frau von Vandeleurs Privatsekretär
Harry Hartley hatte bis zu seinem sechzehnten Lebensjahre die Ausbildung eines Gentlemans genossen. Da er aber eine ganz entschiedene Abneigung gegen das Studium bekundete und seine schwache Mutter ihm in allem seinen Willen ließ, so hinderte ihn, als er die berühmte Erziehungsanstalt zu Eaton verlassen hatte, nichts daran, seine Zeit einzig der Vervollkommnung in rein äußerlichen, zum feinen Ton gehörigen Künsten und Fertigkeiten zu widmen. Zwei Jahre später starb seine Mutter und ließ ihn fast als Bettler und einen zu jeder praktischen Tätigkeit ungeeigneten Menschen zurück.
Von der gütigen Mutter Natur mit dem denkbar bestechendsten Äußern ausgestattet, mußte er mit seinem blonden Haar und seinem zarten Teint, mit den Taubenaugen und dem gewinnenden Lächeln jedem gefallen, und dieser gewinnenden äußeren Erscheinung in Verbindung mit einem glücklichen Zufall hatte er es auch zu verdanken, daß er bald die Stellung als Privatsekretär bei dem Generalmajor Sir Thomas Vandeleur erhielt, einem polternden, eingebildeten und anmaßenden Manne von sechzig Jahren. Aus irgendeinem Grunde und für einen Dienst, über dessen Natur gewisse Gerüchte im Umlauf blieben, hatte der Rajah von Kaschgar diesem Offizier den sechstgrößten von den bekannten Diamanten der Welt zum Geschenk gemacht. Dadurch wurde General Vandeleur aus einem armen ein reicher Mann, aus einem unbekannten und unbeliebten Soldaten ein Löwe der Londoner Gesellschaft; denn der Besitzer des Diamanten des Rajahs war in den feinsten Kreisen willkommen. Auch zeigte sich eine junge, schöne und vornehme Dame geneigt, selbst um den Preis einer Heirat mit Sir Thomas Vandeleur in den Besitz des Diamanten zu gelangen. Man konnte damals öfters die Äußerung hören, gleich und gleich geselle sich gern, so habe ein Diamant den andern angezogen; jedenfalls war Frau Vandeleur nicht nur für ihre Person ein Edelstein vom reinsten Wasser, sondern sie zeigte sich der Welt auch in einer äußerst kostbaren Fassung und galt bei vielen Sachverständigen als eine der drei oder vier ersten Herrscherinnen im Reiche der Mode.
Harrys Pflichten als Sekretär waren nicht sonderlich drückend, aber er hatte eine Abneigung gegen fortgesetztes Arbeiten, es war ihm unangenehm, seine Finger mit Tinte zu beflecken, und die Reize der gnädigen Frau und ihrer Toiletten zogen ihn oft aus dem Arbeitszimmer in den Damensalon. Hier war er der liebenswürdigste Gesellschafter und unterhielt sich über Modesachen mit ebensoviel Eifer wie Verständnis, denn er fühlte sich am wohlsten, wenn er seine Ansicht über die passendste Bandfarbe zum besten geben oder einen Auftrag bei der Putzmacherin besorgen konnte. Kurz, Sir Thomas‘ Korrespondenz kam immer mehr in Rückstand, und die gnädige Frau verfügte über eine Kammerfrau mehr.
Schließlich sprang eines schönen Tages der General, der nichts weniger als übermäßig geduldig war, in einem Wutanfalle von seinem Sitze empor und eröffnete mit einer unzweideutigen Fußbewegung, wie sie unter Gentlemen selten vorkommt, seinem Sekretär, daß er seiner Dienste ferner nicht bedürfe. Da die Tür unglücklicherweise offenstand, so flog Herr Hartley kopfüber die Treppe hinunter.
Mit einigen Beulen am Kopf und mit schwerem Kummer im Herzen raffte er sich auf. Das Leben im Hause des Generals hatte ihm gerade gepaßt; er bewegte sich dort, wenn auch mehr oder minder auf zweifelhaftem Fuße, in der besten Gesellschaft, er arbeitete wenig, speiste aufs beste und erfreute sich einer lauwarmen Behandlung seitens der gnädigen Frau, der er in seinem Herzen einen weit anspruchsvolleren Namen beilegte.
Unmittelbar nach der unsanften Berührung mit dem Soldatenstiefel schlich Harry in den Damensalon und machte seinem bekümmerten Herzen Luft.
»Sie wissen ja, mein lieber Harry,« erwiderte Frau von Vandeleur, die ihn wie ein Kind oder einen Dienstboten bei seinem Vornamen nannte, »daß Sie niemals tun, was der General Sie tun heißt. Ich tue es ebensowenig, werden Sie vielleicht sagen. Aber das ist etwas anderes. Eine Frau kann ein ganzes Jahr voll Ungehorsam durch ein einziges Nachgeben zur rechten Zeit wieder gutmachen, und überdies ist niemand mit seinem Privatsekretär verheiratet. Mir wird es sehr leid sein, Sie zu verlieren; da Sie aber in einem Hause, wo man Sie so schmählich behandelt hat, nicht länger bleiben können, so wünsche ich Ihnen fernerhin alles Gute und verspreche Ihnen, daß der General für sein Betragen büßen soll.«
Harry konnte sich nicht länger halten, die Tränen schossen ihm in die Augen, und er blickte Frau von Vandeleur mit zartem Vorwurf an.
»Gnädige Frau,« sagte er, »was heißt schmähliche Behandlung? Es müßte nach meinem Dafürhalten ein kleinlicher Mensch sein, der sich über dergleichen nicht ohne weiteres hinwegsetzen könnte. Aber seine Freunde zu verlassen, die Bande der Zuneigung zu zerreißen –«
Er konnte vor Erregung nicht zu Ende sprechen und begann zu schluchzen.
Frau von Vandeleur blickte ihn mit sonderbarem Ausdruck an.
Dieser kleine Narr, dachte sie, will in mich verliebt sein. Warum sollte er übrigens nicht mein Bedienter werden so gut, wie er in Diensten des Generals stand? Er ist gutartig, angenehm und versteht sich auf Toilettenfragen. Er ist unbedingt zu hübsch, um ihm den Laufpaß zu geben.
Noch an demselben Abend sprach sie darüber mit dem General, der sich bereits ein wenig schämte, sich so weit haben fortreißen zu lassen. Harry wurde der weiblichen Dienerschaft zugeteilt und führte ein Leben fast wie im Himmel. Sein Anzug war ausnehmend zierlich, sein Knopfloch schmückten zarte Blumen, und er verstand es, den Besuch mit Takt und Anstand hübsch zu unterhalten. Er setzte seinen Stolz darein, einer schönen Frau zu dienen, nahm Frau von Vandeleurs Befehle wie ebenso viele Gunstbezeigungen entgegen und gefiel sich vor andern Männern, die nur Spott und Verachtung für ihn hatten, in der Rolle einer männlichen Kammerfrau und Putzmamsell. Auch erschien ihm seine Stellung vom moralischen Standpunkte aus im schönsten Lichte. Die Verderbtheit war in seinen Augen wesentlich eine Eigenschaft des männlichen Geschlechts, und sein Leben bei einer zarten Frau zu verbringen und sich vornehmlich mit Modefragen zu beschäftigen, bedeutete für ihn so viel als mitten in den Stürmen des Lebens auf einer Zauberinsel zu wohnen.
Eines Morgens kam er ins Empfangszimmer und ordnete die Noten auf dem Pianino. Am andern Ende des Zimmers befand sich Frau von Vandeleur in eifrigem Gespräch mit ihrem Bruder Karl Pendragon, einem älteren, durch Ausschweifungen stark mitgenommenen und mit einem Fuße lahmenden Manne. Der Privatsekretär, dessen Eintritt die beiden nicht beachteten, war notgedrungen Ohrenzeuge der letzten Worte ihrer Unterhaltung.
»Heute oder niemals,« sagte die Dame. »Ein für allemal, heute soll es geschehen.«
»Heute, wenn es sein muß,« erwiderte der Bruder seufzend. »Aber es ist ein falscher, ein verderbenbringender Schritt, Klara, und wir werden ihn noch schrecklich zu bereuen haben. Doch du warst immer klüger als ich, und meine Hilfe soll dir nicht fehlen. Übrigens hätte ich mich lieber nicht sollen sehen lassen,« fuhr er fort. »Meine Rolle ist mir völlig klar, und ich werde die zahme Katze im Auge behalten.«
»Tue es,« erwiderte sie. »Er ist ein widerwärtiger Mensch und könnte alles verderben.«
Sie warf ihm mit zierlicher Bewegung eine Kußhand zu, und der Bruder verließ das Haus durch den Damensalon und über die Hintertreppe.
»Harry,« sagte Frau von Vandeleur und wandte sich dem Sekretär zu, »ich habe heute morgen einen Auftrag für Sie. Sie sollen aber eine Droschke nehmen, ich kann nicht zulassen, daß mein Sekretär Sommersprossen bekommt.«
Die letzten Worte sprach sie mit Nachdruck und begleitete sie mit einem Blicke voll mütterlichen Stolzes, der dem armen Harry außerordentlich wohl tat, so daß er sich für glücklich erklärte, in ihrem Dienste tätig sein zu können.
»Der heutige Auftrag gehört auch zu unsern Geheimnissen,« fuhr sie fort, »und kein Mensch darf etwas davon wissen als mein Sekretär und ich. Der General würde greulich dazwischenfahren, und wenn Sie nur wüßten, wie entsetzlich mir diese Auftritte sind! O Harry, Harry, können Sie mir sagen, was euch Männer so heftig und ungerecht macht? Doch wie können Sie das! Weiß ich doch, daß Sie der einzige Mann auf der Welt sind, der von diesen schändlichen Leidenschaften frei ist! Sie sind so gut, Harry, und so lieb. Sie wenigstens können der Freund einer Frau sein, und wissen Sie? Mir scheint’s, die andern kommen mir bei dem Vergleich mit Ihnen nur noch um so häßlicher vor!«
»Sie, gnädige Frau, Sie sind so gütig zu mir,« sagte Harry ritterlich. »Sie handeln gegen mich wie –«
»Wie eine Mutter,« unterbrach ihn Frau von Vandeleur. »Ich will Ihnen eine Mutter sein. Oder wenigstens,« verbesserte sie sich lächelnd, »fast eine Mutter. Ich bin zu jung, um in Wahrheit Ihre Mutter zu sein. Lassen Sie mich sagen – eine Freundin, eine teure Freundin.«
Sie machte eine Pause, lang genug, um ihre Worte auf Harrys gefühlvolles Herz wirken zu lassen, aber nicht lang genug, als daß er hätte antworten können.
»Doch, um auf Ihren Auftrag zurückzukommen,« fing sie wieder an, »Sie finden links im eichenen Kleiderschranke eine Putzschachtel unter dem rosa Rock, den ich letzten Mittwoch mit meinem Spitzenüberwurf trug. Bringen Sie die Schachtel sofort an diese Adresse,« und sie gab ihm hierbei ein Stück Papier, »aber lassen Sie sie unter keinen Umständen aus den Händen, ehe Sie eine von meiner Hand geschriebene Quittung erhalten. Verstehen Sie mich? Antworten Sie, bitte, antworten Sie! Es ist außerordentlich wichtig, und ich muß Sie um rechte Aufmerksamkeit ersuchen.«
Harry beruhigte sie, indem er ihre Weisung ganz richtig wiederholte, und sie wollte noch etwas hinzufügen, als der General Vandeleur, hochrot vor Zorn und eine lange Putzmacherrechnung in der Hand haltend, hereinstürzte.
»Wollen Sie sich einmal dies ansehen?« schrie er. »Wollen Sie gefälligst diese Rechnung ansehen? Ich weiß recht gut, daß Sie mich nur um des Geldes willen geheiratet haben, und ich hoffe, ich kann Ihnen so viel bieten wie irgendeiner meiner Kameraden, aber, so wahr mich Gott gemacht hat, ich will dieser schändlichen Verschwendung ein Ziel setzen.«
»Herr Hartley,« sagte Frau von Vandeleur, »ich denke, Sie wissen, was Sie zu tun haben. Wollen Sie, bitte, sofort an die Ausführung gehen!«
»Halt,« sagte der General zu Harry, »ein Wort, ehe Sie gehen.« Und er fuhr, sich wieder an seine Frau wendend, fort: »Wohin soll dieser kostbare junge Mann? Ich traue ihm keinen Deut mehr als Ihnen, muß ich Ihnen sagen. Wenn er einen Funken Ehrgefühl besäße, würde er in diesem Hause keinen Augenblick mehr verweilen, und was er für seinen Lohn leistet, das ist für alle Welt ein Geheimnis. Wohin soll er, und warum senden Sie ihn so eilig fort?«
»Ich war der Meinung, Sie hätten mir etwas unter vier Augen zu sagen,« versetzte Frau von Vandeleur.
»Sie sprachen von einem Auftrag für ihn,« erwiderte der General hartnäckig. »Versuchen Sie bei meiner augenblicklichen Stimmung nicht, mich zu hintergehen. Sie sprachen jedenfalls von einem Auftrag, den er ausführen sollte.«
»Wenn Sie durchaus Ihre Dienerschaft zu Zeugen unserer beklagenswerten Zwistigkeiten machen wollen,« antwortete Frau von Vandeleur, »so würde ich in der Tat besser tun, Herrn Hartley zum Sitzen einzuladen. Nein?« fuhr sie fort; »nun, dann können Sie gehen, Herr Hartley, ich verlasse mich darauf, Sie denken an alles, was Sie hier gehört haben; es wird Ihr Schade nicht sein.«
Harry entfernte sich augenblicklich aus dem Empfangszimmer, und während er die Treppen hinaufging, konnte er hören, wie die Stimme des Generals sich in dröhnenden Deklamationen erging und die feinen Töne der gnädigen Frau jedem Angriff eine eisige Abwehr entgegensetzten. Wie bewundernswert erschien ihm diese Frau! Wie geschickt umging sie die Beantwortung der unangenehmen Frage! Mit welcher verblüffenden Kühnheit wiederholte sie direkt unter dem feindlichen Geschützfeuer ihren Auftrag! Und wie verabscheute er dagegen den Gatten!
Die Ereignisse des Morgens hatten für ihn nichts Neues gebracht, denn er hatte beständig geheime Aufträge der gnädigen Frau auszuführen, meist in bezug auf die Toilette. Wie ihm wohlbekannt war, ging ein drohendes Gespenst im Hause um. Die bodenlose Verschwendungssucht und die geheimen Schulden der Frau hatten schon längst ihr eigenes Vermögen aufgezehrt und drohten von Tag zu Tag mehr, das ihres Mannes zu verschlingen. Jedes Jahr trat einmal oder mehrmals der Zeitpunkt ein, wo Entdeckung und ein Zusammenbruch unvermeidlich schienen, und Harry mußte von einem Putzgeschäft zum andern laufen, alle möglichen Ausflüchte machen und kleine Abzahlungen leisten, bis die drohende Flut verebbt war und die Dame wie ihr getreuer Sekretär wieder aufatmen konnte. Denn Harry stand mit Herz und Seele in diesem Kampfe auf seiten seiner Herrin, da er nicht nur Frau von Vandeleur anbetete und ihren Gatten haßte, sondern auch seiner ganzen Anlage nach die Liebe zum Putz begünstigte.
Er fand die Putzschachtel am angegebenen Orte, machte sorgfältig Toilette und verließ das Haus. Die Sonne schien hell. Die Entfernung, die er zurückzulegen hatte, war beträchtlich, und ärgerlich dachte er daran, daß das plötzliche Erscheinen des Generals Frau von Vandeleur daran gehindert hatte, ihn mit dem nötigen Fahrgeld zu versehen. Es war sehr zu befürchten, daß sein Teint an einem so schwülen, sonnigen Tage schweren Schaden litt, und andrerseits erschien es ihm bei seiner Denkungsart fast als eine unerträgliche Herabwürdigung, mit einer Putzschachtel durch so viele Straßen Londons zu gehen. Er blieb stehen und ging bei sich zu Rate. Die Familie Vandeleur wohnte am Eaton-PIatz, sein Ziel war Notting-Hill; so konnte er seinen Weg durch den Park nehmen, hübsch im Freien bleiben und die belebten Straßen vermeiden; auch dankte er seinem Stern bei dem Gedanken, daß es noch ziemlich früh am Tage sei.
Von dem lebhaften Wunsche beseelt, sein Gepäck möglichst bald loszuwerden, ging er etwas schneller als gewöhnlich, und er hatte schon ein gut Stück des Kensington-Parkes hinter sich, als er sich plötzlich an einer einsamen, mit Bäumen bestandenen Stelle dem General gegenübersah.
»Ich bitte um Entschuldigung, Sir Thomas,« flüsterte Harry, indem er höflich nach einer Seite ausbog, denn der andere versperrte ihm den geraden Weg.
»Wohin gehen Sie?« fragte der General.
»Ich gehe hier unter den Bäumen spazieren,« entgegnete der junge Mann.
Der General schlug mit seinem Stocke auf die Putzschachtel und schrie:
»Mit dem Ding da? Sie lügen, Sie wollen mich belügen!«
»Ich muß bemerken, Sir Thomas,« erwiderte Harry, »Fragen in solchem Ton bin ich nicht gewöhnt.«
»Sie verkennen Ihre Stellung,« schrie der General. »Sie sind mein Diener, und zwar ein Diener, den ich schwer im Verdacht habe. Es ist mir gar nicht unwahrscheinlich, daß Ihre Schachtel voll von silbernen Löffeln steckt.«
»Es ist ein seidener Hut von einem meiner Freunde darin,« sagte Harry.
»Gut,« versetzte General Vandeleur. »Dann möchte ich den seidenen Hut Ihres Freundes sehen. Ich interessiere mich,« setzte er mit grimmigem Lachen hinzu, »ganz besonders für Hüte, und Sie wissen, daß ich keinen Spaß verstehe.«
»Entschuldigen Sie, Sir Thomas, es ist mir außerordentlich leid,« wandte Harry ein, »aber es handelt sich hier um eine reine Privatsache.«
Der General packte ihn mit einer Hand kräftig an der Schulter, während er mit der andern seinen Spazierstock in der bedenklichsten Weise erhob. Harry gab sich schon verloren, aber im selben Augenblick sandte ihm der Himmel einen unerwarteten Verteidiger in der Person Karl Pendragons, der zwischen den Bäumen hervortrat.
»Halt, General!« rief dieser. »Wahren Sie Ihre Hand! Das ist eines Gentlemans und eines Soldaten unwürdig!«
»Aha!« schrie der General und drehte sich gegen seinen neuen Gegner herum, »Herr Pendragon! Und Sie meinen, Herr Pendragon, weil ich unglücklicherweise Ihre Schwester geheiratet habe, soll ich mich von einem Wüstling, der keinen Pfennig Kredit mehr hat, überwachen und mir meine Wege kreuzen lassen? Meine Bekanntschaft mit Ihrer Schwester hat mir jeden Wunsch genommen, noch weitere Mitglieder der Familie kennenzulernen.«
»Und bilden Sie sich ein, General,« gab Karl zurück, »weil meine Schwester das Unglück gehabt hat, Ihre Frau zu werden, sie habe damit ein für allemal alle ihre Rechte als Dame verloren? Ich räume ein, sie hat durch jenen Schritt allerdings das Menschenmögliche zur Verschlechterung ihrer Stellung getan, aber für mich ist sie auch jetzt noch eine Pendragon. Ich mache es mir zur Aufgabe, sie gegen unziemliche Übergriffe zu schützen, und wenn Sie zehnmal ihr Gatte wären, so würde ich nicht zulassen, daß man ihre Freiheit beschränkt und ihre Privatboten gewaltsam anhält.«
»Wie ist’s, Herr Hartley?« fragte der General. »Herr Pendragon ist meiner Meinung, er argwöhnt ebenfalls, daß meine Frau etwas mit dem seidenen Hut Ihres Freundes zu tun hat.«
Karl sah, daß er einen unverzeihlichen Fehler begangen hatte, den er schleunigst wieder gutzumachen versuchte.
»Wie?« schrie er, »Sie sagen, ich argwöhne? Ich argwöhne gar nichts. Nur wenn ich sehe, daß einer seine Kraft mißbraucht und den Schwächeren mißhandelt, bin ich so frei, dazwischenzutreten.«
Bei diesen Worten machte er Harry ein Zeichen, das dieser aber infolge seiner Aufregung oder seiner Dummheit nicht verstand.
»Was soll ich von Ihrer Einmengung halten?« brauste Vandeleur auf, erhob noch einmal seinen Stock und führte einen Hieb nach Karls Kopf. Karl aber, der mit seinem lahmen Fuße nicht so schnell ausweichen konnte, fing den Streich mit seinem Schirm auf, rannte dann gegen seinen gefährlichen Widersacher und umfaßte ihn.
»Lauf, Harry,« rief er; »lauf, du Dummkopf!«
Harry stand einen Augenblick versteinert, wie er die beiden in heißem Ringkampf einander umschlingen sah; dann wandte er sich und gab Fersengeld. Als er noch einmal den Kopf wandte, lag der General unter Karls Knie, machte aber noch verzweifelte Anstrengungen, das Kriegsglück zu wenden; auch schien sich der vorher einsame Teil des Parkes mit Leuten gefüllt zu haben, die von allen Seiten zu dem Schauplatz des Kampfes herbeieilten. Dieser Anblick lieh dem Sekretär Flügel, und er mäßigte erst seinen Schritt, als er die Bayswaterstraße erreicht hatte und aufs Geratewohl in eine einsame Nebengasse einbog.
Lange war er, in nicht gerade angenehme Gedanken über das eben Erlebte vertieft, durch verschiedene Straßen fortgegangen, als er plötzlich an einen Vorübergehenden anstieß und so an die Putzschachtel, die er unter dem Arme trug, erinnert wurde.
»Himmel!« rief er, »wo hatte ich nur meinen Kopf, und wohin bin ich gekommen?«
Er wandte sich an den ersten Schutzmann und fragte ihn höflich nach dem Weg. Es ergab sich, daß er seinem Ziele bereits sehr nahe war, und wenige Minuten brachten ihn zu einem frischgetünchten und von peinlichster Sauberkeit zeugenden Häuschen in einer kleinen Gasse. Klopfer und Klingelzug glänzten blitzblank, blühende Blumentöpfe zierten die Fenstersimse, und kostbare Vorhänge ließen die Augen Neugieriger nicht in das Innere dringen. Das Haus kam Harry so würdig und geheimnisvoll vor, daß er noch bescheidener, als es gewöhnlich seine Art war, anklopfte und seine Stiefel mit besonderer Sorgfalt abstrich.
Ein nicht übel aussehendes Dienstmädchen öffnete sofort die Tür und schaute den Sekretär mit nichts weniger als unfreundlichen Augen an.
»Dies ist das Paket von Frau von Vandeleur,« sagte Harry.
»Ich weiß schon,« erwiderte das Mädchen kopfnickend, »aber der Herr ist nicht da, wollen Sie es hier lassen?«
»Das geht nicht,« antwortete Harry. »Ich habe die Weisung, es nur unter einer ganz bestimmten Bedingung aus den Händen zu geben, und muß Sie bitten, fürchte ich, mich hier so lange warten zu lassen, bis der Herr kommt.«
»Gut,« sagte sie, »ich denke, ich darf Sie warten lassen. Ich lebe einsam genug, kann ich Ihnen sagen, und Sie sehen auch nicht aus, als würden Sie ein Mädchen aufessen. Aber seien Sie so gut und fragen Sie nicht nach dem Namen des Herrn, denn den darf ich Ihnen nicht sagen.«
»Was Sie sagen!« rief Harry. »Wie sonderbar! Aber seit einiger Zeit bin ich von lauter Sonderbarkeiten umgeben. Eine Frage aber, denke ich, kann ich tun, ohne unbescheiden zu sein: Ist er der Besitzer des Hauses?«
»Er ist nur Mieter, und zwar ein noch keine acht Tage alter,« entgegnete das Mädchen. »Und nun eine Gegenfrage: Kennen Sie Frau von Vandeleur?«
»Ich bin ihr Privatsekretär,« versetzte Harry, in bescheidenem Stolze erglühend.
»Sie ist hübsch, nicht wahr?« fuhr das Mädchen fort.
»O, schön!« rief Harry; »wunderbar lieblich und auch ebenso gut und freundlich!«
»Sie selbst sehen recht freundlich aus,« gab sie zurück, »und ich wette, Sie wiegen ein ganzes Dutzend Frau von Vandeleurs auf.«
Harry war ganz empört.
»Ich,« rief er, »ich bin nur ihr Sekretär!«
»Sagen Sie das zu mir, weil ich nur ein Dienstmädchen bin?« fragte das Mädchen, fügte aber, als sich in seinem Gesicht einige Verlegenheit und Verwirrung ausdrückte, hinzu: »Ich weiß, Sie meinen es nicht so, und Sie gefallen mir auch recht gut; aber ich denke an Ihre Frau von Vandeleur. O, diese Damen!« rief sie. »Einen wahren Gentleman wie Sie mit einer Putzschachtel fortzuschicken – am hellen Tage!«
Während dieser Unterhaltung waren sie in ihren ursprünglichen Stellungen stehengeblieben, sie auf der Türschwelle und er auf dem Bürgersteig, wegen der Schwüle mit dem Hut in der Hand und die Putzschachtel unter dem Arme haltend. Aber bei den letzten Worten wurde Harry, den so unverhüllte Schmeicheleien über sein Äußeres und die gleichzeitigen aufmunternden Blicke in Verwirrung brachten, unruhig und schaute in seiner Verlegenheit nach rechts und links. Dabei nahmen seine Augen ihre Richtung auch nach dem unteren Ende der Gasse und trafen dort zu seinem unbeschreiblichen Entsetzen auf die des Generals Vandeleur. Dieser hatte, von Hitze, Wut und Rachsucht entstellt, auf der Jagd nach seinem Schwager die Straßen durchstreift. Sobald er aber den flüchtigen Sekretär bemerkte, nahm sein Zorn ein anderes Ziel, und er kam mit heftigen Handbewegungen und lauten Verwünschungen die Gasse heraufgerannt.
Harry setzte mit einem mächtigen Sprunge in das Haus hinein, das Mädchen vor sich her schiebend, und die Tür flog dicht vor dem Verfolger ins Schloß.
»Ist der Riegel vor? Wird er halten?« fragte Harry, während draußen der Klopfer gerührt wurde, daß es durch das ganze Gebäude schallte.
»Aber was fehlt Ihnen?« fragte das Mädchen. »Ist’s der alte Herr?«
»Wenn er mich kriegt,« flüsterte Harry, »bin ich so gut wie tot. Er ist heute schon den ganzen Tag hinter mir her, er hat einen Stockdegen und ist ein Offizier aus Indien.«
»Das sind nette Geschichten,« rief das Mädchen. »Und wie heißt er denn?«
»Es ist der General, mein Herr,« lautete die Erwiderung. »Er hat es auf die Putzschachtel abgesehen.«
»Hab‘ ich’s Ihnen nicht gesagt?« rief das Mädchen triumphierend. »Ich sagte Ihnen, daß ich von Ihrer Frau von Vandeleur gar nichts halte. Und wenn Sie Augen im Kopfe hätten, so könnten Sie auch sehen, was sie Ihnen gegenüber ist. Ein undankbares Frauenzimmer, weiter nichts; darauf will ich wetten.«
Der General erneuerte seinen Sturmangriff mit dem Klopfer, und da seine Aufregung mit der Verzögerung wuchs, so bearbeitete er bald die Tür auch mit Händen und Füßen.
»Es ist ein Glück,« bemerkte das Mädchen, »daß ich allein im Hause bin; Ihr General kann hämmern, bis er ’s satt ist, aufmachen wird ihm niemand! Kommen Sie!«
Damit führte sie ihn in die Küche, wo sie ihn zum Sitzen einlud und sich, indem sie ihm eine Hand auf die Schulter legte, in zärtlicher Haltung neben ihn stellte.
Das Getöse an der Tür wurde statt schwächer immer ärger, und jeder Schlag ließ den unglücklichen Sekretär bis ins Herz erbeben.
»Wie heißen Sie?« fragte das Mädchen.
»Harry Hartley,« erwiderte er.
»Und ich,« fuhr sie fort, »Prudence. Gefällt Ihnen der Name?«
»Sehr gut,« sagte Harry. »Aber hören Sie nur, wie der General gegen die Tür donnert. Er wird sie sicher einschlagen, und dann, in des Himmels Namen, ist mir der Tod gewiß.«
»Sie machen sich ganz unnötige Sorgen um nichts,« antwortete Prudence. »Lassen Sie Ihren General klopfen, er wird sich höchstens Blasen dabei holen. Glauben Sie, ich würde Sie hier behalten, wenn ich nicht sicher wäre, daß Ihnen nichts geschehen kann? O nein, ich erweise denen, die mir gefallen, eine aufrichtige Freundschaft, und wir haben auch eine Hintertür, die auf eine andere Gasse führt. Aber,« fügte sie hinzu, indem sie ihn zurückhielt, da er bei der willkommenen Nachricht sofort aufgesprungen war, »aber ich zeige Ihnen die Türe nicht, wenn Sie mir nicht einen Kuß geben.«
»O, das will ich,« rief er, sich auf seine Ritterlichkeit besinnend, »und nicht wegen der Hintertür, sondern weil Sie so hübsch und gut sind.«
Dabei verabreichte er ihr zwei oder drei feurige Küsse, die in gleicher Weise erwidert wurden.
Dann führte ihn Prudence zu der Hintertür und legte ihre Hand an den Schlüssel.
»Werden Sie wiederkommen und mich besuchen?« fragte sie.
»Freilich will ich,« sagte Harry. »Verdanke ich Ihnen nicht mein Leben?«
»Und nun,« fügte sie hinzu und öffnete die Tür, »laufen Sie, so schnell Sie können, denn ich werde den General hereinlassen.«
Harry bedurfte schwerlich dieses Rates, denn die Furcht saß ihm im Nacken, und mit allem Fleiße machte er sich auf die Flucht. Mit ein paar Schritten, dachte er, würde er ferneren Heimsuchungen entgehen und zu Frau von Vandeleur in Ehren wie in Sicherheit zurückkehren. Aber diese paar Schritte waren noch nicht getan, als er plötzlich eine laute Männerstimme unter Verwünschungen seinen Namen rufen hörte und, sich umblickend, Karl Pendagron bemerkte, der ihn mit beiden Händen zurückwinkte. Dieser plötzliche neue Zwischenfall fiel ihm so auf die Nerven, und er befand sich in einem Zustande so hochgradiger Aufregung, daß er gar nichts anderes zu tun wußte, als seinen eiligen Schritt nur noch zu verdoppeln. Er hätte sich doch an die Szene im Kensington-Parke erinnern und bedenken sollen, daß, wo der General sein Feind war, Karl Pendragon sein Freund sein mußte. Aber bei dem fieberhaften und verwirrten Zustande seines Geistes war er zu jeder vernünftigen Überlegung unfähig und rannte nur um so schneller die Gasse hinauf.
Offenbar war Karl nach dem Ton seiner Stimme und den Ausdrücken, die er hinter dem Sekretär herschleuderte, außer sich vor Wut. Auch er lief aus Leibeskräften, aber trotz allem Bemühen, die natürlichen Vorteile waren nicht auf seiner Seite, und seine Rufe wie das Aufschlagen seines lahmen Fußes auf die Steinfliesen verloren sich immer mehr in der Ferne.
Harrys Hoffnungen belebten sich aufs neue. Die Straße war steil und eng, aber sehr wenig belebt; auf beiden Seiten waren von Laubwerk überhangene Gartenmauern, und, soweit der Flüchtling ausschauen konnte, bemerkte er weder ein lebendes Geschöpf noch eine offene Tür. Die Vorsehung setzte offenbar den Verfolgungen ein Ziel und bot ihm nun ein offenes Feld zur Flucht.
Aber ach, als er sich einer Gartentür gegenüber befand, öffnete sich diese gerade von innen, und er sah drinnen auf einem Gartenweg die Gestalt eines Fleischerburschen, der eine Mulde unterm Arme trug. Kaum hatte ihn Harry wahrgenommen, so befand er sich schon ein paar Schritte weiter auf der andern Seite. Aber der Bursche hatte ihn doch bemerkt; er war natürlich sehr erstaunt, einen Gentleman sich mit so unziemlicher Eile bewegen zu sehen, so trat er in die Gasse und forderte Harry in spöttischen Worten zu größerer Eile auf.
Das Erscheinen dieses jungen Menschen brachte Karl Pendragon auf einen neuen Gedanken, und er schrie, obwohl ihm jetzt der Atem fast ganz ausgegangen war, mit abgebrochener Stimme:
»Haltet den Dieb!«
Sofort nahm der Fleischerbursche den Ruf auf und machte sich ebenfalls an die Verfolgung.
Das war ein bitterer Augenblick für den gehetzten Sekretär. Allerdings beflügelte die Angst seinen Fuß noch mehr und ließ den Zwischenraum zwischen ihm und den Verfolgern beständig wachsen. Aber er war sich nur zu wohl bewußt, bald am Ende seiner Kräfte angelangt zu sein, und sollte ihm jemand entgegenkommen, so mußte seine Lage eine verzweifelte werden.
Ich muß ein Versteck finden, dachte er, und das in den nächsten Sekunden; sonst ist alles aus mit mir auf dieser Welt.
Kaum war ihm dieser Gedanke durch den Kopf geschossen, so machte die Gasse plötzlich eine Wendung, und er war vor den Augen seiner Feinde verborgen. Es gibt Umstände, wo auch der Energieloseste sich mit Kraft und Entschiedenheit bewegen lernt, wo der Vorsichtigste sein Zaudern aufgibt und tollkühne Entschlüsse faßt. Für Harry war ein solcher Augenblick eingetreten, und die ihn am besten kannten, wären am meisten über die Kühnheit des jungen Mannes erstaunt gewesen. Er stand still, warf die Putzschachtel über die Gartenmauer, schwang sich mit unglaublicher Behendigkeit hinauf, faßte den Mauerkranz mit den Händen und purzelte kopfüber in den Garten.
Als er im nächsten Augenblick zu sich kam, lag er in niedrigem Rosengebüsch. Seine Hände waren zerschnitten und blutig, denn man hatte die Mauer gegen einen solchen Sturmangriff durch eine reiche Spende von Glasscherben zu schützen gesucht; er empfand allgemeinen Gliederschmerz, und der Kopf war ihm ganz benommen. Vor sich bemerkte er hinter einem ausnehmend wohlgepflegten und mit köstlich duftenden Blumen besetzten Garten die Hinterseite eines Hauses. Es war ziemlich groß und diente offenbar Wohnzwecken, sah aber in sonderbarem Gegensatz zum Garten baufällig, schlecht gehalten und schäbig aus. Sonst begrenzte nach allen Seiten die Gartenmauer den Blick.
Dies waren nur rein mechanische Wahrnehmungen, denn er vermochte noch nicht, seine Gedanken zu sammeln und aus dem Wahrgenommenen vernünftige Schlüsse zu ziehen, und als er auf dem Kieswege sich Schritte nähern hörte, wandte er zwar seine Augen nach jener Richtung, dachte aber weder an Verteidigung noch an Flucht.
Der Ankömmling war ein großer, plumper und sehr schmutzig aussehender Wann in Gärtnertracht und mit einer Gießkanne in der linken Hand. Ein Mensch mit klaren Sinnen würde beim Anblick dieses Riesen mit den düsteren, unheimlichen Augen Beunruhigung empfunden haben. Aber Harry war von seinem Falle zu sehr betäubt, um Entsetzen fühlen zu können. Wenn er auch seine Augen nicht von dem Gärtner abwandte, so verhielt er sich doch völlig willenlos, als jener näher kam, ihn an der Schulter packte und auf die Füße stellte.
Einen Augenblick starrten sie einander in die Augen, Harry wie gebannt und der Mann voll Wut und mit grausamem, spöttischem Humor.
»Wer sind Sie?« fragte er schließlich. »Wer sind Sie, daß Sie hier über meine Mauer geflogen kommen und mir meine Gloire de dijon zerbrechen? Wie heißen Sie?« fügte er, ihn schüttelnd, hinzu, »und was haben Sie hier zu suchen?«
Harry war außerstande, ein Wort der Erklärung vorzubringen.
Aber eben humpelte Pendragon mit dem Fleischerburschen vorbei, und der Klang ihrer Tritte und ihr heiserer Ruf hallten laut in der engen Gasse wider. Der Gärtner hatte seine Antwort erhalten und sah mit Hohnlachen auf Harry nieder.
»Ein Dieb!« sagte er. »Auf mein Wort, und das Geschäft muß blühen, denn Sie sind vom Scheitel bis zur Sohle wie ein Gentleman angetan. Schämen Sie sich nicht, so geputzt umherzustolzieren, während Ehrenmänner, wahrhaftig, froh sind, wenn sie Ihren abgelegten Hut beim Trödler lausen können? So sperr‘ doch den Mund auf, du Hund,« fuhr er fort. »Du verstehst mich doch, denk‘ ich, und ich will dich schon zum Reden bringen, eh‘ ich dich zur Polizei schaffe.«
»Glauben Sie, Herr,« sagte Harry, »das ist nur ein schreckliches Mißverständnis, und wenn Sie mit mir zu Sir Thomas Vandeleur am Eaton-Platz gehen wollen, wird sich alles, verspreche ich Ihnen, aufklären. Der ehrlichste Mensch kann, wie ich jetzt einsehe, in eine verdächtige Lage kommen.«
»Kleiner,« erwiderte der Gärtner, »ich gehe mit dir keinen Schritt weiter als bis zur Polizeistation in der nächsten Straße. Der Inspektor wird sich dann jedenfalls sofort die Ehre geben, mit dir einen Spaziergang zum Eaton-Platz zu machen und mit deiner vornehmen Bekanntschaft eine Tasse Tee zu schlürfen. Oder willst du nicht lieber gleich zum Minister des Innern? Sir Thomas Vandeleur, hat sich was! Denkst du etwa, ich kann mit meinen Augen nicht einen Gentleman von einem Landstreicher wie du unterscheiden? Feine Kleidung oder nicht, ich kann dich lesen wie ein Buch. Hier das Hemd kostet vielleicht so viel wie mein Sonntagshut, und dieser Rock ist, wett‘ ich, noch niemals beim Trödler gewesen, und dein Schuhwerk –«
Als der Mann hierbei seine Augen auf den Boden richtete, brach er plötzlich in seiner Schmährede ab und schaute einen Augenblick gespannt auf einen Gegenstand zu seinen Füßen. Dann sagte er mit sonderbar veränderter Stimme:
»Was, in Gottes Namen, ist denn das?«
Harry folgte der Richtung seiner Augen, und es bot sich ihm ein Schauspiel, das ihn vor Schrecken und Erstaunen starr machte. Bei seinem Sturz war er gerade auf die Putzschachtel zu liegen gekommen, diese war von einem Ende bis zum andern geplatzt, und aus ihrem Innern hatte sich ein ganzer Schatz von Diamanten ergossen und lag nun offen da, zum Teil halb in den Boden getreten, zum Teil in wahrhaft königlicher, gleißender Fülle auf die Erde umhergestreut. Er bemerkte ein prächtiges Diadem, das er oft an Frau von Vandeleur bewundert hatte. Ringe, Broschen, Ohrgehänge und Armbänder, sogar noch ungefaßte Brillanten, die hier und da gleich Tautropfen zwischen dem Rosengebüsch erglänzten. Ein fürstliches Vermögen lag zwischen den beiden Männern, ein Vermögen in der lockendsten, gediegensten und dauerhaftesten Form, das man in einer Schürze forttragen kann, schön und reizvoll an sich und den Sonnenschein in einer Million Regenbogenstrahlen zurückwerfend.
»Guter Gott!« stieß Harry hervor, »ich bin verloren!«
Mit unberechenbarer Schnelligkeit flogen seine Gedanken rückwärts, und es enthüllte sich ihm mit einem Schlage der innere Zusammenhang seiner Abenteuer während der letzten Stunden und der unselige Wirrwarr, in den er hineingerissen war. Er schaute sich wie hilfesuchend um, aber er war allein im Garten mit seinen ausgesäten Diamanten und seinem furchtbaren Gegenüber, und sein lauschendes Ohr vernahm keinen andern Ton als das Rauschen der Blätter und den beschleunigten Schlag seines eigenen Herzens. So war es kein Wunder, daß sich der junge Mann völlig rat- und mutlos fühlte und mit gebrochener Stimme seinen letzten Ausruf wiederholte:
»Ich bin verloren!«
Der Gärtner lugte scharf und scheu nach allen Richtungen, aber an keinem Fenster war ein Gesicht zu bemerken, und er schien aufzuatmen.
»Fass‘ dir ’n Herz, du Narr!« sagte er. »Das Schlimmste hast du hinter dir. Warum konntest du mir nicht gleich sagen, daß es für zwei genug war?« wiederholte er, »ja für zweihundert! Aber komm fort von hier, wo man uns beobachten könnte, und sei gescheit, streich dir den Hut glatt und mach‘ dir die Kleider rein. So lächerlich, wie du jetzt aussiehst, kannst du keine zwei Schritte weit gehen.«
Während Harry diesem Rate mechanisch Folge leistete, kniete der Gärtner nieder, raffte hastig die zerstreuten Juwelen zusammen und brachte sie wieder in die Schachtel. Bei der Berührung der kostbaren Steine ging ein Beben durch den muskulösen Körper des Mannes, sein Gesicht verzerrte sich, und aus seinen Augen schossen gierige Blicke; wollüstig schien er seine Arbeit in die Länge zu ziehen und betastete zärtlich jeden Diamanten, der ihm unter die Hände kam. Aber schließlich war er doch fertig damit; er versteckte die Schachtel unter seinem Kittel, forderte Harry auf, ihm zu folgen, und schritt ihm auf das Haus zu voran.
Unweit der Tür trafen sie einen offenbar dem geistlichen Stande angehörigen jungen Mann von dunklem Teint und auffallender Schönheit; in seinem Ausdruck lag ein Gemisch von Weichheit und Entschlossenheit, und sein Anzug zeigte die seinen Standesgenossen eigene Nettigkeit. Ohne Zweifel war dem Gärtner die Begegnung unangenehm, aber er machte möglichst gute Miene dazu und wandte sich lächelnd und mit freundlichen Worten an den Geistlichen.
»Das ist mal ein schöner Nachmittag, Herr Rolles,« sagte er, »ein schöner Nachmittag, so gewiß ihn Gott gemacht hat! Und hier ist ein junger Freund von mir, der gern meine Rosen sehen wollte. Ich war so frei, ihn hier hereinzubringen, denn ich dachte, es würde keiner von den Bewohnern was dagegen haben.«
»Ich für meine Person ganz und gar nicht, Herr Raeburn,« versetzte der Prediger. »Doch mir scheint es fast,« fügte er hinzu, »daß ich den Herrn schon früher gesehen habe. Herr Hartley, denke ich. Ich sehe mit Bedauern, daß Sie einen Fall getan haben.« Dabei reichte er seine Hand hin.
Ein unklares Gefühl mädchenhafter Scheu und der Wunsch, der Notwendigkeit einer Auseinandersetzung aus dem Wege zu gehen, bewogen Harry, von dieser Möglichkeit fremden Beistandes keinen Gebrauch zu machen und seine eigne Person zu verleugnen. Er wollte sich lieber der Gnade eines ihm Fremden als der Neugier und etwaigen Zweifeln eines Bekannten überlassen.
»Ich fürchte, da liegt ein Irrtum vor,« sagte er. »Mein Name ist Thomlinson, und ich bin ein Freund dieses Herrn.«
»Wirklich?« sagte Herr Rolles. »Die Ähnlichkeit ist erstaunlich.«
Herr Raeburn, der während dieser Unterhaltung wie auf Kohlen gestanden hatte, fühlte, daß es hohe Zeit sei, weiteren Auseinandersetzungen ein Ende zu machen.
»Ich wünsche Ihnen einen vergnüglichen Spaziergang,« sagte er zu Herrn Rolles.
Und damit zog er Harry mit sich in das Haus und in ein nach dem Garten führendes Zimmer. Seine erste Sorge war, sofort die Fensterläden zu schließen, denn Herr Rolles stand immer noch mit erstauntem Gesicht und in Nachdenken versunken an derselben Stelle, wo sie ihn gelassen hatten. Dann leerte er die zerbrochene Schachtel auf den Tisch und stand nun, die Hände an den Schenkeln reibend und mit dem Ausdruck habsüchtiger Gier in den Augen, vor dem offen ausgebreiteten Schatze. Harry verursachte der Anblick des von gemeiner Leidenschaft beherrschten Gesichtes eine neue Pein. Es schien ihm fast unglaublich, daß er mit einem Atemzug aus einem Dasein voll reiner und zarter Interessen in einen Knäuel schmutziger und verbrecherischer Beziehungen verwickelt sein sollte. Nichts Schlechtes hatte ihm sein Gewissen vorzuwerfen, und doch erlitt er die Strafe für schlechte Taten in ihrer schärfsten und grausamsten Form: die Angst vor Strafe, den Argwohn der Guten und die schimpfliche Gemeinschaft gemeiner und roher Naturen. Er fühlte, er hätte mit Freuden sein Leben opfern können, um aus dem Zimmer und der Gesellschaft Raeburns zu entkommen.
»Und nun,« sagte der letztere, nachdem er die Kleinode in zwei nahezu gleiche Teile geteilt und den einen näher an sich herangezogen hatte, »alles auf der Welt hat seinen Preis und manches einen recht schönen. Sie müssen wissen, Herr Hartley, wenn das Ihr Name ist, daß ich ein sehr schwacher und willfähriger Mensch bin; Gutmütigkeit ist von A bis Z meine schwache Seite gewesen. Ich könnte diese kleinen Steine allesamt einsacken, wenn ich wollte, und ich muß wohl an Ihnen einen Narren gefressen haben, denn ich bring’s nicht fertig, Sie so über den Löffel zu barbieren. So, sehen Sie, mache ich aus bloßer Gutherzigkeit den Vorschlag zu teilen, und das,« hierbei zeigte er auf die beiden Haufen, »scheint mir eine billige Teilung zu sein. Haben Sie was dagegen, Herr Hartley, wenn ich fragen darf? Ich bin nicht der Mann, dem’s auf eine Brosche mehr oder weniger ankommt.«
»Aber,« rief Harry, »was Sie mir vorschlagen, ist ganz unmöglich. Die Edelsteine sind nicht mein, und ich kann mit niemand auf der Welt und in keinem Verhältnis teilen, was einem andern gehört.«
»Sie gehören Ihnen nicht, was?« entgegnete Raeburn. »Und Sie können sie mit niemand teilen, wie? Gut, das kann mir nur leid sein, denn dann muß ich Sie zur Polizei führen. Zur Polizei – denken Sie,« fuhr er fort, »denken Sie an die Schande für Ihre alten Eltern, denken Sie,« fügte er hinzu und faßte Harry an der Hand, »an die Kolonien und den Tag des Gerichts!«
»Ich kann’s nicht ändern,« jammerte Harry. »Es ist nicht meine Schuld. Sie wollen nicht mit mir zum Eaton-Platz kommen.«
»Nein,« erwiderte der Mann, »ich will nicht, das ist gewiß. Und meine Meinung geht dahin, mit Ihnen diesen Tand hier zu teilen.«
Bei diesen Worten drehte er plötzlich das Gelenk des jungen Mannes kräftig herum.
Harry konnte einen Aufschrei nicht unterdrücken, und der Angstschweiß brach ihm aus allen Poren des Gesichts. Vielleicht schärften Schmerz und Schreck seine Verstandeskräfte, jedenfalls erschien ihm die Sachlage auf einmal in einem andern Lichte; er sah, daß nichts weiter übrigblieb, als auf den Vorschlag des Schurken einzugehen und darauf zu rechnen, er werde unter günstigeren Verhältnissen, und nachdem er sich selbst von jedem Verdacht gereinigt hätte, das Haus wieder auffinden und die Herausgabe der entwendeten Juwelen erzwingen können.
»Ich bin’s zufrieden,« sagte er.
»Ein Lämmchen seh‘ ich hier,« höhnte der Gärtner. »Doch dacht‘ ich wohl, Sie würden schließlich Ihr wahres Interesse erkennen. Die Putzschachtel,« fuhr er fort, »werde ich mit meinem Kehricht verbrennen; neugierige Leute könnten sie mal wieder erkennen. Und nun nehmen Sie Ihre Geschmeide zusammen und stecken sie in Ihre Tasche!«
Harry befolgte die Weisung, während Raeburn ihn beobachtete und, wenn seine Gier sich am glänzenden Gefunkel eines Edelsteins besonders entzündete, ein Juwel nach dem andern vom Teil des andern wegnahm und seinem zufügte.
Als dieses Geschäft beendet war, gingen beide zur vordern Haustür, die Raeburn vorsichtig öffnete, um auf die Straße hinauszuspähen. Offenbar ließ sich kein Mensch auf der Straße sehen, denn plötzlich packte Raeburn seinen Gast am Nacken, drückte ihn zur Erde, so daß er nur die Straße und die Türstufen vor den Häusern sehen konnte, und stieß ihn mit Gewalt anderthalb Minuten vor sich her, die eine Straße hinunter und die andere hinauf. Harry hatte drei Ecken gezählt, bis der Strolch seine Hand los ließ und mit dem Ruf: »Nun fort mit dir!« den jungen Mann durch einen wohlgezielten kunstgerechten Fußtritt ein gutes Stück geradeaus fliegen ließ.
Als sich Harry, halbbetäubt und stark aus der Nase blutend, wieder aufraffte, war von Raeburn nichts mehr zu sehen. Im ersten Augenblick war der Sekretär so von Zorn und Schmerz überwältigt, daß ihm ein Tränenstrom aus den Augen schoß und er schluchzend mitten auf der Straße stehenblieb.
Nachdem sich seine Aufregung etwas gelegt hatte, fing er an, sich umzuschauen und die Namen der Straßen zu lesen, an deren Kreuzung er vom Gärtner so schändlich verlassen worden war. Er befand sich noch in einer einsamen Gegend des westlichen London mitten unter Landhäusern und großen Gärten. Er bemerkte aber an einem Fenster ein paar Personen, die offenbar Zeugen seines Mißgeschicks gewesen waren, und im nächsten Augenblick kam auch ein Mädchen aus dem Hause gelaufen und bot ihm ein Glas Wasser. Zugleich näherte sich ihm von der andern Seite ein schäbiger Strolch, der in der Nähe herumgelungert hatte.
»Armer Mensch,« sagte das Mädchen, »wie schändlich hat man Sie behandelt. Ihre Knie sind zerschunden und Ihre Kleider zerfetzt! Kennen Sie den Unhold, der Sie so mißhandelt hat?«
»Ja,« rief Harry, den das Wasser etwas aufgefrischt hatte; »ich will ihn schon trotz seiner Vorsichtsmaßregeln ausfindig machen und werde es ihm heimzahlen, darauf können Sie sich verlassen.«
»Kommen Sie lieber ins Haus und lassen sich waschen und abbürsten,« fuhr das Mädchen fort. »Meine Herrin nimmt Sie wohl auf, dessen können Sie sicher sein. Und hier haben Sie Ihren Hut. Aber um des Himmels willen,« schrie sie auf, »Sie haben ja Diamanten über die ganze Straße gestreut.«
Das war in der Tat der Fall; die gute Hälfte von dem, was ihm nach der Teilung mit Herrn Raeburn übriggeblieben, war bei seinem Sturz aus den Taschen gefallen und lag wieder glitzernd auf der Erde. Er segnete sein Geschick, da das Mädchen so schnell den Verlust bemerkt hatte, und freute sich dieses Glücks im Unglück. Aber ach! Als er sich bückte, seine Schätze aufzuheben, machte der Strolch einen plötzlichen Angriff, warf Harry und das Mädchen über den Haufen, raffte schnell zwei Handvoll Diamanten auf und rannte mit unglaublicher Behendigkeit die Straße hinunter.
Sobald Harry wieder auf den Füßen stand, jagte er, laut rufend, hinter dem Missetäter drein, aber dieser war schneller und hatte außerdem den Vorteil der größeren Vertrautheit mit der Gegend, so daß der Verfolger bald jede Spur des Flüchtigen verloren hatte.
In tiefster Verzweiflung kehrte Harry auf den Schauplatz seines letzten Unglücks zurück, wo das Mädchen noch immer seiner harrte und ihm seinen Hut und den Rest der Edelsteine wieder zustellte. Harry dankte ihr herzlich, und da ihm jetzt jeder Sinn für das Sparen fehlte, ging er zum nächsten Droschkenstand und ließ sich unmittelbar nach dem Eaton-Platz fahren.
Bei seiner Ankunft schien im Hause einige Verwirrung zu herrschen, wie wenn sich eine Katastrophe in der Familie zugetragen hätte; die Dienerschaft steckte die Köpfe zusammen und gab sich wenig Mühe, beim Anblick der zerlumpten Kleidung des Sekretärs ihre Heiterkeit zu unterdrücken. Er ließ die spöttischen Blicke und Bemerkungen mit möglichster Würde von sich abprallen und begab sich sofort in den Damensalon. Als er die Tür öffnete, bot sich ihm ein sonderbares, unheilverkündendes Schauspiel: Der General, seine Frau und – sollte man es glauben? – Karl Pendragon standen dicht beisammen und besprachen ernst und feierlich einen wichtigen Gegenstand. Harry erkannte sofort, daß sich für ihn wenig Gelegenheit zu Auseinandersetzungen bieten werde – offenbar hatte man dem General ein offenes Geständnis von dem beabsichtigten Anschlag auf seine Tasche und dem unglücklichen Ausgang des Unternehmens abgelegt, und sie hatten alle drei gemeinsame Sache gegen die gemeinsame Gefahr gemacht.«
»Dem Himmel sei Dank!« rief Frau von Vandeleur, »da ist er! Die Putzschachtel, Harry, die Putzschachtel!«
Aber Harry stand schweigend und mit niedergeschlagenen Augen vor ihnen.
»Sprechen Sie!« schrie sie. »Sprechen Sie! Wo ist die Putzschachtel?«
Und die Männer wiederholten mit drohenden Handbewegungen die gleiche Frage.
Harry zog eine Handvoll Edelsteine aus seiner Tasche; er war sehr bleich.
»Das ist alles, was übrig ist,« sagte er. »Ich rufe den Himmel zum Zeugen, daß es nicht meine Schuld ist; und wenn Sie Geduld haben wollen, so werden, wenn auch einige, fürchte ich, verloren bleiben, die andern sicher wiedergewonnen werden.«
»Ach!« rief Frau von Vandeleur, »alle unsere Diamanten sind hin, und meine Toilettenschulden belaufen sich auf neunzigtausend Pfund!«
»Gnädige Frau,« sagte der General, »Sie hätten mit Ihrem eignen Bettel den Rinnstein pflastern, Sie hätten fünfzigfach so hohe Schulden machen, Sie hätten mir das Diadem und den Ring meiner Mutter nehmen können, und ich hätte mich durch die uns fesselnden Bande doch vielleicht noch bewegen lassen, Ihnen schließlich zu verzeihen. Aber Sie haben den Diamanten des Rajahs genommen – das Auge des Lichts, wie ihn der Orient poetisch nennt –, den Stolz von Kaschgar! Sie haben mir den Diamanten des Rajahs genommen,« schrie er mit lauter Stimme und erhobenen Händen, »und alles, alles ist aus zwischen uns!«
»Glauben Sie mir, General Vandeleur,« erwiderte sie, »das sind wohl die angenehmsten Worte, die ich je aus Ihrem Munde vernommen habe, und sind wir auch ruiniert, so möchte ich mich doch fast des Wechsels freuen, der mich von Ihnen frei macht. Sie haben mir oft genug vorgehalten, ich hätte Sie nur um des Geldes willen geheiratet. Ich sage Ihnen aber, ich habe diesen Handel allezeit bitter bereut, und sollte die Heirat noch einmal stattfinden können, und Sie besäßen einen Diamanten, größer als Ihr Kopf, so würde ich selbst meiner Kammerfrau eine so widerwärtige und unheilvolle Verbindung widerraten. Was Sie betrifft, Herr Hartley,« fuhr sie, zu dem Sekretär gewendet, fort, »so haben Sie Ihre kostbaren Eigenschaften in diesem Hause zur Genüge dargetan. Wir haben uns nun völlig überzeugt, daß Ihnen Mannhaftigkeit, Verstand und Selbstachtung in gleicher Weise abgehen. Es bleibt für Sie, soviel ich sehe, nur eins übrig – schleunigst zu verschwinden, womöglich auf Nimmerwiedersehen. Was Ihren rückständigen Lohn anlangt, so können Sie die Zahl der Gläubiger meines verflossenen bankerotten Gemals um eins vermehren.«
Harry war kaum das Verständnis dieser beleidigenden Anrede aufgegangen, als der General aufs neue gegen ihn losdonnerte.
»Und inzwischen,« sagte dieser, »folgen Sie mir gefälligst zum nächsten Polizeiinspektor. Sie können einen geradsinnigen Soldaten betrügen, aber das Auge des Gesetzes wird in Ihr schändliches Lügengewebe eindringen. Wenn ich meine alten Tage durch Ihre geheimen, im Bunde mit meiner Frau betriebenen Machenschaften in Armut verbringen muß, so soll, denke ich, Ihre Mühe wenigstens nicht unvergolten bleiben, und der Himmel würde mir eine sehr annehmbare Genugtuung versagen, wenn Sie nicht von nun an bis ans Ende Ihrer Tage Werg zupfen müßten.«
Hierauf packte der General Harry am Arme, zerrte ihn die Treppe hinunter und schleppte ihn zur nächsten Polizeistation.