Parzival

Parzival der reine Tor

Vorzeiten verließ Gachmuret, der Sohn des Königs von Anjou, den Hof seines Vaters und zog nach Ritterart in die Welt hinaus. Es widerstrebte ihm, dem äIteren Bruder, der Krone und Königreich erbte, als Vasall zu dienen. Die Freunde lobten Gachmurets ritterlichen Mut und seine unwandelbare Treue, die Frauen seinen edlen Anstand und den Adel seiner Sitten; die Feinde aber mußten seinen starken Arm anerkennen und fürchten.

Auf seinen riesigen Fahrten und Abenteuerreisen durchquerte Gachmuret die persische und arabische Wüste und kam gar bis nach Damaskus. Dann wieder verschlug ihn der Seesturm an die Küste Afrikas, wo er im ehrenhaften Rittersold der schönen Mohrenkönigin stand: er gewann ihre Minne und befreite ihr die Hauptstadt von der Belagerung zweier feindlicher Heere.

Aber trotz Ehren und Goldeslohn ließ die Abenteuerlust den tapferen Recken nirgends stetig verweilen. In der spanischen Stadt Toledo vernahm er von dem Ritterturnier, das die Königin Herzeleide ausgeschrieben hatte. Sie war eine Witwe von berühmter Schönheit und hatte dem Sieger ihre Hand und das Königszepter zum Lohne geboten. Da meldete Gachmuret sich zum Wettkampf, und keiner der vielen Bewerber konnte seiner ungestümen Kraft und Gewandtheit widerstehen: als Sieger errang er den ausgesetzten Preis.

Mehrere Jahre lebte er nun an der Seite der Königin. Unter seiner weisen Regierung blühte das Reich auf. Doch der ritterliche Tatendrang ließ Gachmuret nicht lange ruhen, und als der Kalif von Bagdad ihn in Kriegsnot anrief, zögerte er nicht, dem Freunde im fernen Morgenlande zu Hilfe zu eilen. Vergeblich suchte Frau Herzeleide ihn zurückzuhalten.

Nach qualvoller Wartezeit kehrte endlich als Bote aus dem fernen Morgenlande einer von Gachmurets Knappen in der Königsburg ein; im Kampf vor Bagdad hatte er den Rittertod gefunden.

Bald darauf brachte Frau Herzeleide ein Knäblein zur Welt, wohlgestaltet und stark an Gliedern. Sie gab ihm den Namen Parzival.

Ohne den starken Arm ihres Gatten war Frau Herzeleide machtlos. Der König des Nachbarreiches stieß sie vom Thron und raubte ihr Krone und Land. Da zog sie in die Einsamkeit des Waldes Soltane; nur wenig Gesinde nahm sie mit sich und ließ auf einer Lichtung ein einfaches Haus bauen, den Wald roden und das Feld beackern.

Die liebevolle Sorge der Mutter galt nun dem kleinen Parzival. In ihrem Groll gegen Krieg und Männerkampf, die ihr das Liebste auf der Welt genommen hatten, verbot sie ihren Dienstleuten bei strengster Strafe, dem Jungen gegenüber jemals ein Wort von Ritterschaft und ritterlichem Wesen verlauten zu lassen:

»Denn würde mein Sohn, mein liebstes Erbe des toten Gatten, vernehmen, was Ritterleben ist, so brächte es ihm und mir nur noch weiteres Leid!«

Die Dienerschaft handelte sorgsam nach den Befehlen der Herrin. Was Parzival an ritterlicher Übung verblieb, waren Bogen und Schießbolzen, die er sich mit eigener Hand fertigte, um die Vögel im Walde zu erlegen. Doch wenn das gefiederte Wild getroffen vor ihm lag, so packten ihn Mitleid und bittere Reue, und der Vogelsang in den Baumwipfeln ergriff ihn so sehr, daß er traurig den Tag verbrachte.

»Warum sollen denn die armen Vögel sterben?« fragte Parzival betrübt seine Mutter.

Da küßte sie ihn innig: »Wie sollte ich wohl etwas gegen den Willen unseres höchsten Gottes tun?«

»O Mutter«, rief er, »was ist denn das: Gott?« Und Frau Herzeleide antwortete: »Gott ist noch lichter als das helle Tageslicht, mein Sohn, dies merk dir als Lebensweisheit: Rufe ihn an in jeder Not; er wird dir immer getreulich helfen.«

Bald war Parzival Meister im Wurfspieß. Bei jedem Wetter war er auf der Jagd, und alle bewunderten seine männliche Körperkraft, wenn er das schwere Wild, an dem ein Maultier seine Last gehabt hätte, allein auf den Schultern heimtrug.

Als Jung-Parzival einst von der Pirsch heimkehrte, hörte er vor sich auf dem Waldpfade Hufschläge. »Wenn jetzt der Teufel käme«, sagte er bei sich und faßte den Wurfspeer fester, »wie wollte ich ihn im Kampfe bestehen!« Kampflustig stand der junge Held bereit.

Doch wie staunte er: Drei prächtige Gestalten jagten zu Pferde daher, herrlich in blanken Stahl gewappnet. Der junge Waidmann glaubte in seiner Einfalt allen Ernstes, jeder von den dreien sei ein Gott. Er warf sich mitten auf dem Wege auf die Knie. »Hilf, Gott!« rief er mit erhobenen Händen. »Du kannst wohl Hilfe spenden!«

Die drei Stahlgepanzerten waren Ritter des Königs Artus. Der erste wurde zornig über die Behinderung: »Du ungeschickter Tölpel«, fuhr er ihn an, »halt uns unsern Ritt nicht auf!« Mit verhängtem Zügel kam da ein vierter Ritter daher, noch glänzender gewappnet als die drei anderen.

Parzival stand wie im Traume. Noch nie hatte er soviel lichten Glanz geschaut. Er glaubte, Gott selber stehe vor ihm, von dem seine Mutter ihm so oft erzählt hatte, wenn sie ihn den Unterschied von Licht und Finsternis lehrte. Inbrünstig hob der Königssohn die Hände zum Himmel: »O hilf mir, hilfreicher Gott!«

»Ich bin nicht Gott«, gab der eine Ritter lächelnd zurück; »was du hier vor dir siehst, das sind vier Ritter, die in seinem hohen Dienst leben.«

»Du sagst: Ritter,« rief der junge Mensch; »so sag mir doch, wer denn Ritterschaft gibt!«

Die Ritter mußten über sein einfältiges Fragen lächeln. Der Vornehmste unter ihnen aber gab wieder geduldig Antwort: ,»Das tut unser König Artus. Kommt an seinen Hof, er wird Euch den Wunsch gern erfüllen.« Wohlgefällig blickten die vier auf den edlen Wuchs des Jungen, dessen königliche Abkunft unverkennbar schien.

Voller Neugier betrachtete Parzival Harnisch und Waffen der Ritter und weckte wieder ihr Lachen durch seine einfältigen Fragen. Panzerringe und Brünne, Harnisch und Schild – alles war ihm ja ganz unbekannt. Nachsichtig erklärten die Ritter ihm den Gebrauch von Schild und Schwert.

Der Knabe aber eilte in begeisterter Freude zur Mutter, um ihr von der erregenden Begegnung zu berichten. »Gib mir ein Pferd, Mutter«, bat er mit glühenden Wangen, »daß ich an König Artus, Hof ziehe, ein Ritter zu werden!« Die Königin, die alle ihre Mühe und Muttersorge so grausam zunichte sah, hörte von der Begegnung im Walde. Parzival erzählte von der glänzenden Erscheinung der vier Ritter, und die Mutter mußte mit Herzensbitternis erkennen, daß sie ihren Jungen nun doch nicht länger würde zurückhalten können. Da sann sie in ihrer sorgenden Mutterliebe auf Mittel und Wege, ihn schnell wieder von seinem Vorhaben abzubringen und zu ihr zurückzuführen. Sie wollte ihn so lächerlich ausstaffieren, daß er, vom Spott der Welt zurückgestoßen, gar bald umkehren würde.

So kleidete sie ihn in ein Gewand aus grobem Sackleinen, setzte ihm eine Narrenkappe auf den Kopf und gab ihm plumpe Schuhe aus ungegerbtem Kalbsfell, wie Gaukler sie tragen.

»Du sollst mit meinem mütterlichen Rat in die Fremde hinausziehen«, sagte sie und umarmte den geliebten Sohn inbrünstig. »So höre, was ich dir sage: Wenn du ohne Pfad daherziehst, so meide dunkle Furten; aber in die seichten und lauteren Furten kannst du kühn hineinreiten. Zum zweiten: Sei höflich gegen jedermann und entbiete jedem deinen Gruß! Zum dritten: Hab Achtung vor einem grauen Haupte und folge dem Rate des erfahrenen Alters! Und zuletzt: Wenn eine edle Jungfrau dir Ring und Gruß bietet, da greif getrost zu; ein Kuß in Ehren bringt gutes Glück. Und du sollst wissen, mein Sohn Parzival, daß du von königlichen Ahnen bist und daß es der hochfahrende Lähelin war, der dir dein angestammtes Erbe entrissen hat!«

»Das werde ich rächen!« rief Parzival entschlossen. »Mein Wurfspeer soll ihn zu Tode treffen!«

Da umarmte ihn die Mutter in Liebe. Er küßte sie zum Abschied. Doch als Jung-Parzival am Waldesrand ihren Blicken entschwand, sank Frau Herzeleide tot zur Erde; der Abschiedsschmerz hatte ihr das Herz gebrochen.

Inzwischen ritt der schöne Knabe fürbaß, ohne von dem Tode der geliebten Mutter zu wissen. Der Weg führte ihn an einen Bach, den wohl ein Hahn hätte durchschreiten können; aber weil das Wasser dunkel erschien, so achtete er das Wort der Mutter und mied den Übergang. Den ganzen Tag rit er am Ufer entlang und übernachtete schließlich im Freien, da er keine Furt finden konnte. Erst der helle Morgen zeigte das seichte Wasser so klar, daß er den Übergang wagte.

Bald darauf überquerte er eine Wiese, auf der ein Zelt stand; es war ganz aus kostbarem, dreifarbigem Sammet und mit feinen Borten verziert.

Behutsam wagte der Junge einen Blick in das Innere. Da sah er eine schlafende Frau, edel geformt war sie und liebreizend ihr Mund mit den leuchtenden Lippen. Es war Jeschute, die Frau des Herzogs Orilus.

»Wie hat mir die Mutter angeraten?« sagte Parzival leise zu sich. Er dachte an ihre Worte von Gruß und Ring, und unbekümmert schob er den Vorhang beiseite, gab der Schlafenden einen Kuß und zog ihr dabei den Ring vom Finger. Frau Jeschute mußte wohl wach werden von der unsanften Berührung. »Was erlaubt Ihr Euch, Junker, mein Gemach zu betreten und mich durch Euren Kuß zu entehren?« fuhr sie voll Zorn und Scham auf.

Doch Parzival kümmerte sich nicht um ihren Unwillen. »Meine Mutter lehrte mich so«, versetzte er; »und außerdem habe ich Hunger.« Da mußte die Herzogin trotz aller Kränkung lächeln. »Dort auf dem Tisch findet Ihr Brot und Wein und auch zwei zarte Rebhühner, die meine Dienerin mir brachte.«

Da setzte der ungebetene Gast sich zum Mahl und trank auch reichlich von dem Wein. Schamgefühl und der Gedanke an den Herzog ließ Frau Jeschutes Herz ängstlich schlagen: »Junker«, bat sie, »gebt mir mein Ringlein zurück und zieht eilig Eures Weges! Trifft der Herzog Euch hier an, so wäre es sehr zu Eurem Schaden!«

Doch Parzival war unbesorgt. »Was sollte ich mich wohl vor dem Zorn Eures Gemahls fürchten, edle Frau? Wenn ich aber Eurer Ehre Schaden antue, so will ich Euch gern zu Willen sein und meines Weges gehen!« Entsetzt wich die Herzogin zurück, als er ihr zum Abschied wieder einen Kuß raubte. »Der Kuß einer edlen Frau bringt Glück, hat mich meine Mutter gelehrt«, so sagte er treuherzig, grüßte Frau Jeschute ehrerbietig und ritt davon. Er freute sich, den Rat seiner Mutter so trefflich befolgt zu haben.

Bald kehrte der Herzog zu ihr zurück, und an dem niedergetretenen Gras erkannte er nur zu deutlich, daß Frau Jeschute Besuch gehabt hatte. »Hab ich das um dich verdient«, fuhr er sie zornig an, »daß du mir solche Schande antust?«

Mit Tränen in den Augen leugnete die Frau jede Schuld. Und ängstlich berichtete sie von dem närrischen Besucher, der ihr gegen ihren Willen Ring und Kuß geraubt und zu essen begehrt habe. Aber sie konnte doch nicht unterlassen, seine edle Erscheinung zu loben: »So viel Junker ich kennengelernt habe, nie sah ich solche Jugendschönheit!«

Dies unbedachte Wort weckte natürlich die Eifersucht des Herzogs noch mehr. In seinem ritterlichen Zorn schwur er, den elenden Verführer zu züchtigen, wo er ihn antreffe. Jeschute aber wollte er hinfort nicht mehr als sein Ehgemahl achten. »Mögen deine roten Lippen blaß werden und deine Augen rot vom Weinen – ich werde dich für deine Untreue strafen. Als Magd sollst du mir folgen auf einem dürren Klepper; und statt des kostbaren Zügels sollst du einen bastgedrehten Strick führen!«

Ohne die Tränen der Unglücklichen zu achten, rüstete der Herzog zum Aufbruch und befahl der verstoßenen Gattin, ihm zu folgen. Welches Herzensleid hatte Parzival ihr durch seine Unbedachtsamkeit gebracht!

In grimmigem Haß ritt der Herzog der Fährte nach; aber der harmlose Knabe, der die Verfolgung nicht ahnte, war nicht mehr aufzuspüren. Unbefangen zog er seines Weges. Wer seinen Weg kreuzte, den grüßte er höflich und setzte hinzu: »So hat es mich meine Mutter gelehrt.«

Vor einem Felsabhang hörte er plötzlich die Stimme einer Jungfrau, die schrie verzweifelt. Sie saß am Bergeshang und hielt in ihrem Schoß einen toten Ritter.

Voll Mitleid trat Parzival näher und grüßte höflich, wie ihn seine Mutter gelehrt hatte. »Gott schütze Euch, edle Jungfrau«, rief er ihr zu. »Sagt mir doch, wer dem Ritter ein Leid zufügte. Wenn ich Euch nützlich sein kann, bin ich gar gern erbötig, für Euch einzutreten.«

»Ich sehe, daß Ihr ein ritterliches Herz habt, Junker«, erwiderte sie zaghaft; »so hört: Dieser Ritter, um den ich traure, war mein Verlobter. Er wurde vom Herzog Orilus erschlagen. Doch ehe ich weiterspreche, sagt mir, wer Ihr seid! Ihr scheint mir treue Eltern zu haben, daß Ihr so liebevoll Anteil zu nehmen wißt.«

Parzival erkannte in ihr Sigune, die Schwestertochter seiner Mutter. »Liebe Base«, sagte der Junge voll Zorn und Mitleid; »ich werde dich an dem Herzog Orilus rächen. Zeige mir den Weg, den er geritten ist, so will ich ihn sogleich zum Zweikampfe stellen!«

Aber der Jungfrau war es schon leid, seine Kampfeswut geweckt zu haben, denn sie mußte ja fürchten, der unerfahrene Junge würde den Kampf gegen den grimmen Ritter nicht bestehen. So wies sie ihm den falschen Weg.

Parzival aber machte sich voll Eifer an die Verfolgung und ritt die Straße, die ins Bretonenland führt. Und wer seinen Weg kreuzte, ob Ritter oder Kaufmann, den grüßte er mit höflichem Gruß und setzte arglos hinzu: »So hat mich’s meine Mutter gelehrt.«

Gegen Abend kam der Junge, müde von dem langen Ritt, vor eine armselige Fischerhütte und bat um Obdach. Aber der Fischer, ein grober Geizhals, wollte ihn mit barschen Worten von der Tür weisen. Erst als Parzival ihm Frau Jeschutes Ring zum Lohn bot, wurde der ungefällige Mann gefügig. »Willst du mir morgen früh den Weg an den Königshof weisen, wo König Artus Tafelrunde hält«, setzte der Jüngling hinzu, »so soll dieser goldene Ring dein Eigentum sein.«

So kam Jung-Parzival vor die Stadt Nantes ins Reich des Königs Artus.

Vor der Stadt begegnete ihm ein Ritter, dem er freundlichen Gruß bot. Die Antwort war gleicherweise freundlich: »Gott lohn es Euch, Junkerlein!« Parzival hielt seinen Klepper an und betrachtete verwundert den riesigen Mann. Rot war seine Rüstung und rot sein Roß; auch der Kopfschmuck des Pferdes und die samtene Satteldecke waren von glänzendem Purpur und der Schild rot wie Feuer.

Es war Ither von Gahawieß, den man den roten Ritter nannte, König Artus‘ Vetter. In seiner Faust hielt er einen goldenen Becher, den er von des Königs Tafel genommen hatte.

Mit Wohlgefallen blickte er auf den schönen Jüngling. »Wollt Ihr in die Stadt dort«, sagte er, »so tut mir den Gefallen, dem König und seinen Mannen eine Botschaft von mir zu überbringen. Ich lebe mit ihm im Streit um mein Erbland.«

Parzival willigte gern ein.

»So sagt dem König Artus und den Rittern seiner Tafelrunde, der rote Ither habe nicht im Sinne, von seinem angestammten Rechte zu lassen. Meldet ihm, daß ich zum Zeichen meiner Besitzrechte den goldenen Becher von der Tafel an mich nahm und daß ich gewillt bin, für meine Rechte mit dem Schwerte einzustehen!«

Parzival versprach, die Botschaft treulich zu überbringen.

Er trabte wohlgemut in die Stadt hinein. Doch sein wunderlicher Aufzug erregte überall Aufsehen; man begleitete ihn mit lauten Spottrufen, daß er sich nur mit Mühe seinen Weg bahnte. »Komm, Junker, ich helfe Euch«, stellte sich ihm da freundlich ein Jüngling zur Seite; es war Iwein, ein Knappe von Artus, Hofe, der sich seiner hilfreich annahm und ihn zum Königsschloß geleitete.

Bei dem Anblick der vielen reichgeschmückten Ritter rief Parzival ganz verwundert: »So viele Artusse sehe ich hier! Welcher von ihnen ist denn nun der richtige, der mich zum Ritter schlagen wird?« Die Ritter alle lachten über seine Einfalt. Man führte den Jüngling in den Palast, wo die edle Hofgesellschaft, König Artus‘ berühmte Tafelrunde, versammelt saß.

In die frohe Festesstimmung hinein rief Parzival unbekümmert seinen Gruß: »Gott schütze Euch, Ihr edlen Ritter, und besonders Euch, Herr König, mit Eurer hohen Gemahlin!« Und wie immer setzte er treuherzig hinzu: »So hat es mich meine Mutter gelehrt.«

König Artus blickte den jungen Menschen, der gekleidet war wie ein Gaukelspieler und gewappnet wie ein Strauchdieb, verwundert an. »Ich überbringe eine Botschaft«, rief Parzival: »Ein roter Ritter, Ither mit Namen, läßt dem König Artus seinen Gruß entbieten und ihm vermelden, er warte draußen vor dem Stadttor mit einem goldenen Becher auf den, der ihm sein Erbrecht streitig zu machen bereit sei.«

Das Lächeln, mit dem die Ritterrunde Parzivals Begrüßungsworte aufgenommen hatte, war ihr schnell vergangen. »Mir scheint wohl« setzte der Junge ruhig hinzu, »er will mit einem von Euch kämpfen. Wie gerne gewänne ich selber die prächtige Rüstung dieses edlen Ritters.«

Nur unwillig gab der König seine Zustimmung, daß Parzival selber den Kampf mit dem kühnen Herausforderer übernähme. Bekümmert blickte er den Jungen an: »Die Rüstung, die Ihr begehrt, trägt der tapferste Ritter. Ach, wüßtet Ihr, wie sehr sogar ich selber meinen ungestümen Neffen fürchten muß!«

Doch Parzival war zum Kampf entschlossen. Mit dem Sieg erstrebte der unerfahrene Knabe den Besitz der Ritterrüstung und den Ritterschlag aus der Hand des Königs Artus.

Alle Ritter der Tafelrunde waren voller Spannung über den Ausgang des Kampfes. Auch die Königin mit ihrem Gefolge begab sich ans Fenster, um das Schauspiel zu erleben. Unter den Damen saß die stolze, schöne Frau Kunneware, des Herzogs Orilus Schwester; sie hatte ein Gelübde getan, nie zu lachen, bis sie den Mann erblickte, dem es bestimmt sei, den höchsten Heldenruhm zu erwerben. Als sie den kühnen Junker in dem narrenhaften Gewand vorüberreiten sah, da lachte sie plötzlich hell auf.

Das verdroß Herrn Keye, den Oberhofmeister, so sehr, daß er sie zornig bei ihren langen Flechten packte und ihr mit seinem Stab derb über den Rücken schlug. Erschrocken blickten alle auf den Rohling, der sich so hatte hinreißen lassen, die edle Fürstin zu schlagen.

Der junge Parzival war Zeuge der Schmach, die der Dame um seinetwillen widerfuhr. Der Wurfspieß zuckte ihm in der Hand, für die Übeltat sogleich Rache zu üben. Aber um der Königin willen verschob er die Vergeltung auf spätere Zeit.

Ungeduldig wartete Ither indessen vor dem Tore auf den Helden, der ihm sein Recht streitig machen wollte. Wie staunte er, als Parzival auf seinem elenden Klepper ihm entgegenritt!

Der rote Ritter fand natürlich nur Spottworte für Parzivals kecke Herausforderung. Parzival ließ sich nicht abweisen und bestand auf seinem kühnen Anspruch. Er verlangte Rüstung, Waffen und Pferd des roten Ritters. Als er kühn Herrn Ithers edles Roß beim Zügel packte, stieß dieser zornig den Jungen mit umgekehrtem Lanzenschaft vom Gaule, daß er rücklings ins Gras fiel. Aber schon stand Parzival auf den Füßen, schleuderte seinen Wurfspieß und traf in des Ritters Eisenhelm so geschickt die Spaltöffnung im Visier, daß die Waffe tief ins Haupt eindrang. Ither sank tot zu Boden.

Mit dem jungen Sieger waren alle Zuschauer überrascht über den schnellen Sieg. Ein Knappe half Parzival, den Besiegten zu entwaffnen.

Schnell zog er die prächtige Rüstung des Besiegten über sein sackleinenes Narrengewand, legte die Beinschienen an und schnallte die Sporen fest.

Behende schwang sich der Junge auf das edle kastilische Roß seines toten Gegners. »Wie prächtig Ihr erscheint in Eurer Rüstung und auf dem edlen Streitroß, Junker«, rief der Helfer entzückt; »nie sah ich ein so schönes Bild eines Ritters!«

So wurde Parzival zum Ritter. Frohgemut ritt er in die Welt hinaus. Es drängte ihn, neue Abenteuer zu erleben.

Gegen Abend sah der Reiter von ferne die Zinnen einer Burg im Sonnenglanz leuchten. Der Burgherr selber, der Ritter Gurnemanz, saß im Schatten einer Linde auf grünem Anger davor und blickte dem Ankömmling entgegen. Er war im Lande wegen seiner Lebenserfahrung und Altersweisheit und wegen seiner ritterlichen Tugenden geachtet und geehrt.

Parzival grüßte ihn nicht nach Ritterart. »So hieß mich meine Mutter tun«, sagte er dabei, und er setzte hinzu: »Und sie gebot mir, ein greises Haupt zu achten und die weisen Lehren des Alters anzunehmen. So bitte ich Euch um Euren Rat; ich werde ihm gerne gehorchen.«

»Ich will Euch zu Willen sein«, erwiderte der Alte freundlich, »sofern Ihr meinen Worten folgen wollt.« Damit nahm er seinem Sperber, den er auf der Faust trug, die Kappe von den Augen und warf ihn empor; hell klang die goldene Schelle, als das Tier sich durch die Luft schwang und als Bote zur Burg hinüberflog. Dort standen Ritter zu Parzivals Empfang bereit und nötigten ihn, vom Pferde zu steigen.

Aber der einfältige Parzival, dem ritterliche Art ganz fremd war, wollte davon nichts wissen. »Seit König Artus mich zum Ritter machte, muß ich zu Pferde sein und darf nicht absteigen.« Erst mit freundlicher Nötigung brachten sie den reisemüden Gast dazu, aus dem Sattel zu steigen und in die Kemenate zu treten. Wie staunten sie, als sie unter dem schweren Panzer die Narrenkleider und die groben Bauernstiefel erblickten!

Mit freundlicher Nachsicht redete Gurnemanz dem unerfahrenen Jüngling dann zu. Parzival, der einfältige Tölpel, der bisher jedes Gebot seiner Mutter in treuherziger Wörtlichkeit aufgefaßt hatte, lernte in den Tagen, da er bei Gurnemanz zu Gaste war, feine Ritterart und gottgefälliges Leben, das den Menschen zum Seelenheil führt.

»Die Art, wie Ihr von Eurer Mutter redet«, belehrte ihn der Alte, »erhöht nicht Eure Ritterehre. Bewahrt Euch edle Scham! Das ist mein zweites Gebot an Euch. Schamlosigkeit führt den graden Weg zur Hölle. Nach Art und Haltung taugt Ihr wohl zum Ritter. Vergeßt dabei aber nicht das Hauptgebot ritterlicher Pflicht: Habt Erbarmen mit den Bedrängten! – Auch Milde und Güte zu erweisen ist Ritterpflicht! – Bewahrt Euch stets ein demütiges Herz und helft dem schuldlos Verarmten! – Der weise Mann versteht den rechten Mittelweg einzuhalten zwischen Geiz und Verschwendung!«

Parzival hörte schweigend zu. Wohl erkannte er, daß des Alten Worte aus weiser Erfahrung und aus mitfühlendem Herzen gesprochen wurden, und er war ehrlich bestrebt, die Lehren anzunehmen.

»Ich habe bemerkt, daß Ihr Belehrung braucht«, fuhr der Alte fort. »So hört mich weiter: Ich rate Euch, laßt das unziemliche Daherreden und haltet Eure Gedanken in Zucht.

Fragt nicht zuviel! Und wenn man an Euch Fragen richtet, so antwortet bedächtig und überleget wohl! Im ritterlichen Kampfe sollt Ihr tapfer streiten – und großmütig verzeihen. Dem Gegner, der sich ergibt, gewähret ritterlich Schonung. Und achtet auf alles, was höfische Sitten, Zucht und Anstand gebieten; vergeßt nicht, Euer Äußeres nach ritterlichen Formen zu pflegen, so wie wir es den Frauen schuldig sind! – Ja, ehret und liebet die Frauen! Die edle Minne hütet sich vor allem Falsch; nur sie erhöht und erhebt des Menschen Leben.«

Parzival dankte dem weisen Alten für seine tiefen Lehren und nahm sich alle ernstlich zu Herzen. Mit großer Freude folgte er nun Gurnemanz, Unterweisung im ritterlichen Zweikampf; der Alte erwies sich als ein trefflicher Lehrer in der kunstgerechten Führung der Waffen. Unermüdlich nahm er den Gast mit auf den Turnierplatz und ließ ihn sich mit seinen Leuten fleißig üben.

Im Tjost, dem ritterlichen Zweikampf, mit Herrn Gurnemanz, Rittern durfte Parzival beweisen, wie schnell er die Unterweisung angenommen hatte. Fünf Ritter, die gegen ihn anritten, hob er so leicht aus dem Sattel, daß jeder seine Gelehrigkeit anerkennen mußte und Gurnemanz ihm alles Lob zollte.

Aber bald trieb es ihn zu neuen Abenteuern hinaus in die Welt. Gurnemanz hörte mit großer Betrübnis seine Bitte, Abschied nehmen zu dürfen.

Mit Tränen in den Augen reichte er dem liebgewordenen Freunde die Hand und sah ihn bekümmert von dannen reiten.

Gedankenverloren ritt Parzival seinen Weg. Er fühlte, wie sein Herz von Gefühlen zerrissen war, für die er nicht Namen noch Inhalt wußte. War es, weil er sein kindliches Gemüt abgelegt hatte?

In solcher Stimmung ließ er dem Pferd die Zügel und achtete nicht, wohin es ihn durch die pfadlose Einsamkeit führte.

Über Berg und Tal ging es, durch unwegsame Gebirgsketten und waldige Einöde, bis ein reißender Fluß den Weg hemmte. Der Abend legte sich schon mit feinem Schleier über die Landschaft, und Parzival folgte dem Laufe des Flusses, bis er im Scheine des Abendrotes am anderen Flußufer eine vieltürmige Stadt auftauchen sah. Es war Belrapeire, die Stadt der Königin Kondwiramur.

Über den Fluß führte eine Brücke aus leichtem Flechtwerk, und sechzig Ritter mit aufgebundenen Helmen sicherten sie und wollten dem Fremden den Übergang wehren, denn sie glaubten, er stehe im Bündnis mit Klamide, der die Stadt ihrer Herrin belagerte.

Größte Not herrschte unter den Belagerten. Welches Bild des Jammers bot sich dem Fremden, als er durch die Straßen ritt! Überall erblickte er gewappnete Ritter, aber welches Bild des Jammers boten all die Männer, die zur Verteidigung ihrer Stadt angetreten waren! Schlaff und kraftlos schlichen die Bürger unter der Last ihrer Waffen daher, und die Ritter, die dem Ankömmling entgegentraten, waren bleich und abgezehrt.

Ja, in der Stadt herrschte Hungersnot, denn alle Zufuhr war ihr durch das feindliche Belagerungsheer abgeschnitten.

Neue Hoffnung erfüllte die armen Stadtbewohner, als sie den kraftstrotzenden Recken begrüßten, der freiwillig in den Dienst ihrer bedrängten Stadt trat. Parzival ließ sich zum Schlosse führen, wo ihn die jungfräuliche Königin Kondwiramur empfing. Aber welches Gefühl ergriff ihn, als er die herrliche Erscheinung sah! Nie zuvor, so meinte er, hatten seine Augen so viel Frauenschönheit erblickt. Lichter Glanz, so schien es ihm, ging von ihr aus. Von zwei Herzögen ihres Landes geleitet, trat sie dem jungen Ritter entgegen, küßte ihn in züchtigem Anstand auf die Stirn und führte ihn in den Saal. War es die Ritterlehre des greisen Gurnemanz, die ihn schweigen ließ, oder nahm ihm Kondwiramurs Schönheit jede Sprache, Parzival redete kein Wort. »Ob ich ihm wohl mißfalle, weil ich so verhungert aussehe?« dachte die Königin befangen.

Schließlich brach sie das Schweigen, das lastend werden wollte: »Edler Ritter, als Hausherrin habe ich Euch den Willkommensgruß gegeben. So will ich als Herrin der Stadt auch das erste Wort sprechen. Wie mir eine meiner Frauen berichtet, habt Ihr mir Euren Beistand verheißen. Solches Angebot wurde mir in meiner bedrängten Lage noch niemals gemacht. So sagt mir, wer Ihr seid und von wo Ihr kommt!«

Parzival nannte seinen Namen und berichtete von seinen Erlebnissen: ,»Heute morgen, Frau Königin, ritt ich von der Burg des edlen Gurnemanz fort, wo ich mehrere Tage als Gast geweilt habe.« Mit Staunen hörte Frau Kondwiramur seine Worte: »Einen anderen, edler Ritter, würde ich für solche Worte der Lüge zeihen; denn ein jeder meiner Boten, und ritt er auch das schnellste Roß, benötigt für diese Wegstrecke wenigstens zwei volle Tage! Doch sagt, wie geht es meinem lieben Oheim? Ihr müßt nämlich wissen, daß meine Mutter Herrn Gurnemanz, Schwester war. Seid Ihr mit ihm Freund, so sollt Ihr auch mir hoch willkommen sein.« Parzival dankte ritterlich für die Aufnahme. Aber zum Nachtmahl wollte er sich nicht einladen lassen. »Der geringen Reste, die Ihr noch besitzt, will ich Euch nicht berauben, Frau Königin«, sagte er. »Verteilt es lieber an die armen Leute, die vor Hunger umkommen. Für uns beide wird eine Scheibe Brot genügen.«

Dankbar folgte die Königin seiner Weisung. Hoffnungsfroh, daß seine Ankunft das Schicksal ihrer bedrängten Stadt wenden würde, teilte sie mit ihm ihren letzten Bissen Brot und ließ ihm sodann im Fremdengemach ein prächtiges Bett herrichten.

Schnell war der müde Gast eingeschlafen.

Kondwiramur lag auf ihrem Ruhebett und blickte mit starren Augen in die schwarze Dunkelheit. Die Sorge um ihre Stadt lastete ihr schwer auf der Seele und ließ sie keine Nachtruhe finden. Würde sich die neuerwachte Hoffnung erfüllen, daß Parzival den Belagerern Trotz bieten könnte?

Gegen Mitternacht hielt es sie nicht länger auf dem Lager, über ihr seidenes Nachtgewand zog sie einen samtenen Mantel, schritt leise an ihren schlafenden Kammerfrauen vorbei auf Parzivals Kemenate zu und öffnete behutsam die Türe. Ihr Fuß stockte in jungfräulicher Scham, aber dann ging sie entschlossen auf Parzivals Ruhebett zu und kniete schweigend vor ihm nieder.

Parzival fuhr erschrocken auf. »Kommt, setzt Euch zu mir!« sagte er dann und hob sie auf.

Da nahm sie voll Befangenheit an seiner Seite Platz und berichtete von ihrer bedrängten Lage. Sie wurde nach dem Tode ihres Vaters vom König Klamide zur Frau begehrt, und weil sie sich weigerte, belagerte er nun ihre Stadt und hatte viele ihrer kühnen Ritter erschlagen.

»Ach«, rief sie voller Verzweiflung, »welche Hoffnung gibt es noch für mich Arme!«

Parzival hatte schweigend der Klage zugehört. Aber sein Herz war voll Mitleid, der schönen Königin zu helfen. »Sagt, edle Herrin«, rief er entschlossen, »was ich Euch zum Trost und zur Rettung tun kann! Und seid versichert, in mir einen treuen Helfer zu finden!«

Unter Tränen gab Kondwiramur ihm Antwort: »Wenn Ihr mich erlösen wolltet von dem schrecklichen Kingrun, Herrn Klamides Seneschall. Morgen kommt er wieder vor meine Burg und meint, mich endlich in die Arme seines Herrn zu zwingen.«

Parzival war ganz gefangen vom Liebreiz der Königin. »Vieledle Herrin«, versetzte er schlicht, »seid versichert, daß Ihr in mir einen Helfer habt gegen jeden Eurer Feinde!«

»Welch Trost sind mir Eure Worte«, rief sie beglückt; »habt innigen Dank, Herr Ritter!« Dann schlich sie leise in ihr Schlafgemach zurück. Niemand hatte den nächtlichen Besuch bemerkt.

Parzival aber konnte nicht wieder einschlafen; zu sehr bewegten ihn die Worte der schönen Königin.

In aller Frühe verlangte Parzival nach seinem Harnisch und ließ sich wappnen. Schon zeigte sich der grimme Kingrun vor dem Tore. Weit ritt er Klamides Heere, das mit vielen Streitbannern drohend heranrückte, voraus. Ohne Zaudern sprengte Parzival dem furchtbaren Gegner entgegen.

So wuchtig war der Anprall, daß die Pferde mit geborstenen Gurten und Bauchriemen zu Boden sanken. Behende aber sprangen die Ritter aus dem Sattel, zogen das Schwert und setzten den Kampf zu Fuß fort.

Es war Parzivals erster Schwertkampf. Doch er zeigte, was er bei Ritter Gurnemanz gelernt hatte. Seine Schwerthiebe trafen den Seneschall so wuchtig wie Würfe einer mächtigen Steinschleuder. Parzival bezwang ihn nach bitterem Kampfe und setzte ihm den Fuß auf die Brust, doch Herr Kingrun bat um sein Leben. »Ich biete Euch als Sühne, was Ihr verlangt«, rief er, und Parzival, der nicht nach Rache strebte, gewährte sie ihm. Er gebot ihm, an König Artus, Hof zur Jungfrau Kunneware zu gehen, die einst um Parzivals willen von dem Seneschall Keye so gröblich beleidigt war. »Sagt der edlen Jungfrau«, fügte er hinzu, »sie werde mich nimmer froh sehen, bis ich jene üble Tat gerächt und dort einen Schild durchbohrt habe!«

König Klamides Ritterheer ließ nach diesem Siege über den stärksten Streiter sogleich von weiteren Angriffen ab. Bejubelt von den Bürgern der Stadt, kehrte Parzival zurück. Alle riefen laut, der Heldenjüngling solle die Hand der jungen Königin erwerben und Krone und Reich in seine männliche Gewalt nehmen.

Freudig begrüßte ihn auch Kondwiramur, umarmte ihn vor allen Leuten und half ihm selber, Waffen und Harnisch abzulegen. »Nie auf Erden will ich eines anderen Weib werden als dessen, den ich hier umarmt habe«, sagte sie mit glückseligem Lächeln.

Da zeigten sich zwei braune Segel auf dem Meere, und schnell trieb der Wind zwei mächtige Kauffahrteischiffe in den Hafen; der Sturm hatte sie dorthin verschlagen. Zwei Schiffe, voll beladen mit Lebensmitteln! Gott selber machte es in seiner Weisheit so gefügt haben.

Parzival bot den Kaufleuten doppelten Preis für die Habe und sorgte für gerechte Verteilung an die hungernde Bevölkerung. Er selber überwachte fürsorglich, daß jeder zu seinem Recht kam. Unter inniger Anteilnahme der ganzen Stadt wurde sodann die Hochzeit des jungen Paares gefeiert.

Parzival war jetzt Ehegatte der schönen Kondwiramur und König von Belrapeire.

Der grimme König Klamide wollte die Unglücksbotschaften nicht glauben, die ihm von Kingruns Besiegung berichteten. Er war tief bedrückt über die Mutlosigkeit seines Heeres und wagte keinen neuen Angriff.

Parzival ließ die Tore zu einem Ausfall öffnen und stritt allen tapfer voran. Bald gelang es ihm, den König selber, der seiner jungen Gemahlin soviel Leid zugefügt hatte, zum Zweikampf zu stellen. Der Sieg in diesem Streit der beiden Könige, so wurde nach Ritterart vereinbart, sollte über den Ausgang des ganzen Krieges entscheiden.

Auch hier erwies sich Parzival als der Überlegene. Klamide hatte nicht die Ausdauer des starken Parzivals. Schließlich traf ihn ein so mächtiger Schwertstreich, daß er zu Boden stürzte und Parzival ihm den Helm vom Kopfe riß. Der Besiegte erwartete den Todesstreich.

Doch Parzival schonte in seinem Edelmut auch diesen Besiegten. Er gab auch ihm auf, an König Artus, Hof zu ziehen und sich der Jungfrau Kunneware als besiegt zu stellen. »Und sagt dem Seneschall Keye«, fügte er hinzu,»daß meine Rache nicht auf sich warten lassen wird.«

So war das Land von der lastenden Belagerung befreit.

Die beiden Besiegten ritten nach Parzivals Gebot an den Artushof in die Bretagne und richteten der Jungfrau Kunneware getreulich den Sühnebefehl ihres Besiegers aus. Wie staunte man dort über Parzivals Waffenerfolge!

Der junge König wußte die Krone mit Würde und in Ehren zu tragen. In kurzer Frist blühte das Land unter seiner weisen und kraftvollen Regierung wieder auf. Mit seiner schönen Gemahlin lebte Parzival in der glücklichsten Ehe. Kondwiramur hing mit inniger Liebe und Bewunderung an ihm.

Doch für Parzival konnte die heitere Ruhe nicht von Dauer sein. Es drängte ihn hinaus auf Abenteuer. Traurig ließ Kondwiramur den geliebten Gatten ziehen.

Auf der Gralsburg

Wieder überließ er dem Pferde den Zügel und ließ sich durch Wildnis und pfadloses Moor tragen. Als der Abend herabdunkelte, kam er an einen See. Dort ankerten Männer in Ufernähe, die auf Fischfang ausgingen und Wasservögel jagten. Parzival rief sie freundlich an. Es war einer unter ihnen, der hob sich durch seine Kleidung auffällig heraus. Er trug eine Pfauenfeder am Hute und auf dem Jagdrock prächtigen Pelzbesatz. Ihn fragte der fahrende Ritter, wo er für die Nacht wohl Herberge finden könne. Mit tiefer Traurigkeit gab der Gefragte Antwort: »Soviel mir bekannt ist, Herr, gibt es in dreißig Meilen rundum keine andere menschliche Behausung als eine feste Burg. Sie liegt dort hinter jenem Felsvorsprung. Wenn Ihr vom Burggraben aus um Einlaß bittet, so wird man Euch die Zugbrücke herablassen.«

Der Sprecher war der Burgherr selber.

Parzival folgte der Weisung und wurde gastfrei aufgenommen. Man bereitete ihm ein Bad und reichte ihm weiche Hauskleidung aus Seide. Als dann gemeldet wurde, der Burgherr sei zurückgekehrt, bat man den Gast zum Mahle.

Der Rittersaal erstrahlte in blendender Helle der Kronleuchter und der Kerzen. An den Wänden standen hundert Ruhepolster, die Platz für je vier Ritter boten. In drei marmornen Feuerstätten mitten im Saal strahlte wohlriechendes Holz einen milden Schein aus. Dort hatte sich der Burgherr auf seinem Ruhebett niedergelassen. Er begrüßte den Gast freundlich.

Welch ein Gegensatz war zwischen den beiden! Der kranke Ritter, obwohl in kostbare, pelzbesetzte Gewänder gehüllt, schien noch siecher, sein Antlitz noch gramvoller, als Parzival es am See bemerkt hatte. Und vor ihm stand der strahlende Recke in aller Fülle seiner Jugendkraft und Mannesschönheit, daß alle Ritter voller Bewunderung auf ihn blickten.

Auf einmal öffnete sich eine Tür, und ein Knappe trat ein. In der Hand trug er einen Speer, an dessen Schaft Blut herabtroff. Lautes Wehklagen erscholl nun durch den weiten Saal, als der Knappe mit der blutbedeckten Waffe an allen Rittern vorbeischritt; in tiefer Trauer hielten sie das Haupt gesenkt, bis er den Saal wieder verlassen hatte.

Parzival stand voll Staunen und blickte stumm auf die feierliche Handlung.

Da öffnete sich auf der anderen Seite des Saales eine stählerne Tür, und vier liebliche Jungfrauen, goldene Leuchter in den Händen, kamen herein. Schweigend setzten sie zwei Bänklein von Elfenbein vor dem Burgherrn nieder.

Es folgten vier Frauenpaare, köstlich in grünen Samt gekleidet. Sie trugen Kerzen und legten eine Tischplatte aus funkelndem Granat auf die elfenbeinenen Bänkchen vor den Burgherrn. Schweigend rückten die Jungfrauen dem Siechen den Tisch zurecht, verneigten sich tief und traten zurück.

Wieder öffnete sich die Stahltür: sechs schöne Jungfrauen, silbernes Tafelgeschirr in den Händen, richteten sorgsam den Tisch.

Parzival blickte in wachsendem Staunen auf das wundersame Bild; aber auch er brach mit keinem Worte das feierliche Schweigen, das über dem weiten Saale lag.

Abermals traten sechs Jungfrauen in kostbaren, golddurchwirkten Gewändern hervor. Sie waren das Ehrengeleit für die Königin.

Denn nun erschien die schönste der Schönen. Ihr Antlitz erstrahlte in Schönheit wie die Morgensonne im ersten Frühlicht. Auf grünseidenem Kissen trug sie eine Schale aus wundersam funkelndem Edelstein. Das war der Heilige Gral, der Wunderhort aller Christenheit.

Die Trägerin dieses Heiligtums war des Burgherrn Schwester, Repanse de Schoye; denn des Grals Wunderwesen gebietet, daß nur eine reine Hand ihn berührt. Es ist das heilige Gefäß, aus dem einst Christus beim letzten Abendmahl mit seinen Jüngern trank und in dem Joseph von Arimathia das Blut des gekreuzigten Heilands auffing, als die rohen Kriegsknechte ihm die Seite öffneten.

Die edle Jungfrau verneigte sich züchtig vor dem königlichen Bruder, setzte das heilige Gefäß vor ihn hin und zog sich mit ihren kerzentragenden Jungfrauen zu den übrigen zurück, die sich je zwölf und zwölf ihr zur Seite reihten.

Nun rüstete man sich zur festlichen Bewirtung der vierhundert Ritter. Knappen trugen hundert Tische herbei, deckten sie mit weißem Linnen und setzten sie vor die Ruhepolster.

Für jeden der Tische standen vier Knappen zur Bedienung bereit. Goldene Gefäße und kostbares Tafelgeschirr wurden auf zierlichen Wagen herbeigeführt. Und jetzt geschah das Wunder: Was jeder der ritterlichen Gäste sich wünschte an Speisen erlesenster Art, das spendete der Heilige Gral, und das wurde nun von den bedienenden Knappen eilfertig herbeigetragen. Und was sie auch zu trinken begehrten, das floß in den ausgestreckten Becher, alles von der Wunderkraft des Grals.

Die edlen Ritter waren beim Heiligen Gral zu Gaste.

Wie staunte Parzival über all diese Wunder! Aber eingedenk der Ritterlehre des edlen Gurnemanz unterließ er jede Frage.

Da brachte ein Knappe auf einen Wink des Burgherrn ein Schwert herbei. Griff und Klinge waren Wunder an kostbarer Arbeit. »Nehmt diese Waffe als mein Gastgeschenk«, sagte er zu Parzival; »tragt sie in Ehren, die mir in so manchem Streite zur Seite stand, ehe die tückische Krankheit mich schlug.«

Parzival nahm das Schwert entgegen. Daß er nicht den tieferen Sinn der feierlichen Umgebung erkannte! Er ahnte nicht, der junge Tor, daß es in seiner Hand lag, den Gastgeber von aller Last zu befreien! An Parzival lag es, das rechte Wort auszusprechen.

Aber auch jetzt sprach er kein Wort; kein Wort des Dankes oder des Mitleids oder eine Frage nach der Ursache des Leidens kam über seine Lippen.

Da gab der Kranke das Zeichen, das Mahl zu beenden. Eilfertig trugen die Knappen die Tafelgeräte hinaus, und in feierlichem Zuge führte die schöne Königin, geleitet von ihren Ehrenjungfrauen, den Heiligen Gral aus dem Saale.

Parzival schaute dem Kleinod schweigend nach. Da sah er durch die geöffnete Tür einen Greis auf dem Ruhebette liegen; sein Haar war weiß wie kristallner Frühreif. Niemals, so schien es dem jungen Ritter, hatte er solch friedestrahlende Altersschönheit erblickt.

Aber auch jetzt stellte der Jüngling keine Frage.

Wer mochte der ehrwürdige Alte sein?

»Ihr werdet müde sein,« wandte sich der Burgherr nun wieder seinem Gaste zu. »Schlafgemach und Nachtlager sind Euch bereitet. So wünsche ich Euch eine gesegnete Nachtruhe!«

Parzival verneigte sich zum Danke züchtig nach Ritterart, aber immer noch blieb er in törichter Verblendung schweigsam. Man führte ihn in eine ganz prächtig hergerichtete Kemenate, in der ein prunkvolles Bett für ihn bereitstand. Ritter, Knappen und edle Jungfrauen wetteiferten darin, ihm zu Diensten zu sein.

Aber die ersehnte Ruhe wollte nicht bei ihm einkehren. Wirre Träume schreckten ihn, Schwertschläge prasselten auf sein Bett, und Ritterscharen sprengten in wildem Turnier über ihn dahin.

Schweißgebadet wachte er auf. Der junge Tag schien schon freundlich zu ihm herein, doch keiner der aufmerksamen Diener zeigte sich. Erschrocken fuhr er auf, blickte sich voll Verwirrung im Raume um und rief nach den Knappen.

Doch niemand war zu seinem Dienste bereit.

Auf dem Teppich vor seinem Bette lag neben seinem Schwerte das Gastgeschenk des Burgherrn, daneben seine Rüstung.

In aller Eile wappnete er sich, band beide Schwerter um und trat auf den Hof. An der Treppe fand er sein Roß; daneben lehnten Schild und Speer.

Doch vergeblich blickte er sich nach den Bewohnern der Burg um; niemand zeigte sich. Auf dem Hofe fand er Erde und Gras von Pferdehufen zertreten.

Das Burgtor stand weit offen, und Spuren vieler Hufe wiesen hinaus. Entschlossen folgte er den Spuren zum Tore hinaus. Kaum aber hatte er die Zugbrücke verlassen, da wurde sie hinter ihm in die Höhe gezogen, und ein Knappe, der sich vorher verborgen gehalten hatte, rief ihm höhnisch nach: »Tölpel wie Euch erlebt man nicht alle Tage! Nach Ritterruhm scheint Euch nicht zu verlangen! Hättet Ihr Euren Mund nur einmal gerührt, um den Herrn zu fragen! Nun habt Ihr alle Ritterehre verspielt!«

Parzival blickte sich bei dieser unerwarteten Beschimpfung ganz erstaunt um und verlangte nach einer Erklärung. Aber der Knappe würdigte ihn keiner Antwort.

In tiefen Gedanken war er den Spuren der Ritter nachgeritten. Aber bald verloren sie sich im dichten Walde.

Da hörte er ganz in der Nähe eine weinende Frauenstimme. Unter einer breitästigen Linde saß eine schöne Frau, in ihren Armen einen toten Ritter.

Jetzt erkannte Parzival die Jungfrau. Es war seine Base Sigune, die immer noch um den erschlagenen Ritter, ihren Verlobten, trauerte. Sie hatte den Leichnam einbalsamieren lassen und bot, die starre Gestalt des Geliebten im Arm, ein Bild des Grauens.

»Du bist Parzival, meiner Mutterschwester Sohn«, rief sie ihn an; »sage mir doch, was du in diesem Walde suchst!« Von Sigune erfuhr er das Geheimnis der Gralsburg. Sie ist an aller irdischen Vollkommenheit reich. Aber nicht jedem Sterblichen ist sie zugänglich. Wer sie mit Fleiß sucht, der wird niemals zum Ziele kommen. Wer aber unbewußt und ohne Absicht zu ihr gelangt, dem wird sie sich öffnen, und aller Erdensegen und alle irdische Glückseligkeit wird dem Finder zuteil.

Parzival hörte schweigend zu.

»Du wirst von dieser Burg nichts wissen, Parzival«, fuhr Sigune fort. »Munsalwäsche ist ihr Name. Dort regiert als Gralskönig der edle Amfortas, den Gott mit schwerer Krankheit geschlagen hat. Er kann nicht gehen noch reiten noch liegen noch stehen und muß immerfort in einem Sessel lehnen.

Wärest du dorthin gelangt«, fuhr Sigune fort, ,»zu Amfortas und seinen trauernden Rittern, so wäre der Burgherr von seinem Leid befreit worden – dir aber winkte höchster Ritterruhm und alle irdische Erfüllung im Leben!«

»Ich war auf der Burg und habe vielerlei Wunder geschaut«, entgegnete Parzival düster.

»Du warst auf der Burg! Sahst du den unglückseligen Amfortas?« Sigune war außer sich vor Erregung. »Oh, wenn du sein Leid gewandt hast, Gott wird deine Reise dann segnen! Denn alles, was die Himmelsluft berührt, steht als dann unter deiner Hoheit, und dir ist bestimmt, alle Macht in Fülle zu erwerben!

Wenn du ihn von seinem Siechtum befreit hast«, fuhr Sigune fort, »so bist du höchsten Ruhmes wert. Du trägst sein Schwert, so wirst du seinen Segen kennenlernen. Deiner Hand muß alles dienen, was du an Wundern dort auf der Burg erblicktest. Allzeit wirst du der Seligkeit Krone tragen.« Parzival sprach kein Wort.

»Hast du der Frage ihr Recht getan?« fuhr sie auf.

»Ich habe nicht gefragt.«

»O du Unseliger«, rief die Jungfrau voll Entsetzen und bedeckte mit den Händen die Augen. »Du sahst das heilige Wunder und hattest nicht den Mut zu fragen! Geh mir aus den Augen, den das Schicksal verstoßen hat! Der du kein Erbarmen mit der Not deines Gastgebers hattest! Für alle Zeiten hast du dein Lebensglück verscherzt!«

»Sigune«, bat er, »ich erkenne meine Verfehlung; ich glaubte, ritterliches Zuchtgebot zu befolgen, so wie Gurnemanz es mich gelehrt hatte, und nun bin ich so sehr schuldig geworden. So zeige mir doch, ich bitte dich, den Weg, wie ich büßen und bessern kann!«

»Es ist zu spät«, versetzte sie hart. »Auf Munsalwäsche schwand deine Ritterehre dahin. Fortan wirst du von mir kein Wort mehr hören.«

So schied Parzival von ihr.

Einsam setzte Parzival seinen Ritt fort. So sehr hatte ihn das Schicksal mit Schuld überhäuft, daß er den entscheidenden Augenblick seines Ritterlebens verspielt hatte! Hatte er schuldhaft gehandelt, als er durch sein Schweigen unwissend so große Gnade verscherzte?

Da erblickte er vor sich ein seltsames Paar, einen wohlgerüsteten Ritter, dem in demütigem Abstande eine junge Frau folgte. Aber wie jammernswert war ihr Aufzug! Auf elendem, halbverhungertem Klepper hockte sie. Lumpen bedeckten dürftig ihren schönen Leib.

Als Parzival sie mit ritterlichem Anstand grüßte, erkannte sie ihn sofort: »Wieviel Leid habe ich um Euretwillen erleiden müssen,« stieß sie hervor; »denn Ihr seid es, dem ich dieses armselige Schicksal verdanken muß.«

Es war die unglückliche Frau Jeschute, der Parzival einst in gedankenlosem Übermut Ring und Kuß geraubt hatte und die dafür von ihrem Gemahl, dem Herzog Orilus, so schimpflich behandelt wurde.

Parzival war sofort entschlossen, die Ehre der schönen Frau wiederherzustellen. Schon hatte er den Speer eingelegt und ritt gegen den Herzog an. Wortlos, ohne sich Fehde anzusagen, prallten die beiden Recken aufeinander.

Beide Ritter gaben ihr Bestes. Lanzensplitter stoben, und Funken sprühten unter machtvollen Schwerthieben. Aber der kampferfahrene Herzog war der Urkraft des jungen Ritters nicht gewachsen. Parzival stürzte ihn zu Boden, daß das Blut aus dem Visier sprang. Da mußte sich Orilus ergeben.

»Ich werde dein Leben schonen«, rief der junge Sieger, »wenn du mir in die Hand gelobst, dein Ehgemahl wieder in ritterlichen Ehren aufzunehmen und ihr alles zu verzeihen.«

Herzog Orilus versprach die geforderte Sühne und nahm seine so lange verstoßene Frau wieder in aller Liebe auf.

Begegnung mit den Artusrittern

Parzival irrte weiter in der unendlichen Waldeinsamkeit umher. Seine Gedanken rissen ihn in Selbstvorwürfen und Zweifeln hin und her. Würde es ihm nun gelingen, die Gralsburg wiederzufinden? Das wußte er aus Sigunes Worten: Kein Sterblicher kann den Weg dorthin aus eigener Kraft erzwingen. Nur wer sich ebenso tapfer wie glaubensstark bewährt, dem weist Gott den Weg.

Eines Morgens, als Parzival sich von dem harten Lager auf dem nackten Erdboden erhob, war ringsum alles verschneit. Da scheuchte ein Falke von König Artus‘ Rittern, die ganz in der Nähe ihr Zeltlager aufgeschlagen hatten, eine Schar Wildgänse auf. Eine von ihnen schlug er im Fluge unmittelbar über Parzival, daß drei Blutstropfen vor ihm in den Schnee fielen. Drei Tropfen Blut! Sinnend blickte der junge Recke auf das Bild: »Rot und weiß, wer ist es, an den mich diese Farben gemahnen?« Er starrte vor sich hin, und aus den drei Tropfen wurde Kondwiramurs Bild, das liebliche Antlitz seiner Gattin, weiß und rot so wie Milch und Blut.

Er verhielt auf seinem Rosse, die Umgebung versank ihm; mit erhobenem Speere stand er traumverloren da wie schlafend.

In der Nähe lagerte König Artus mit seinen Rittern; er wollte den kühnen Parzival, dessen Ruhm durch alle Lande erklang, für seine Tafelrunde gewinnen. Da kam einer seiner Knappen voller Erregung herbeigestürzt: er hatte einen Ritter zu Pferde angetroffen, der wie ein Standbild im Schnee verhielt. In kecker Streitlust zogen sogleich König Artus‘ Recken aus, um den Eindringling zu besiegen: Zuerst Segramor, der Neffe der Königin. Ohne die Wirklichkeit recht zu erfassen, schlug Parzival ihn aus dem Sattel. Ebenso erging es Herrn Keye, des Königs Seneschall; ohne es zu wissen, Iöste Parzival damit das Versprechen ein, das er einst Frau Kunneware gegeben hatte.

Erst als Ritter Gawan waffenlos anritt und über die drei Blutstropfen seinen Mantel warf, kehrte Parzival in die Wirklichkeit zurück.

Willig ließ der junge Recke sich in König Artus‘ Lager führen und in die Tafelrunde aufnehmen. Alle Tischgenossen boten ihm ritterliche Freundschaft an.

Doch da wurde die heitere Festesfreude pIötzlich durch eine grausig-seltsame Erscheinung aufgescheucht.

Auf gespenstigem Maultier, das hoch wie ein Streitroß war und klapperdürr, die Nüstern aufgeschlitzt und mit prunkvollem Zaumzeug, kam eine Jungfrau dahergesprengt. Eine Jungfrau, von welch erschreckendem Aussehen! Eine Nase hatte sie wie ein Hund, ihr Antlitz war struppig, und zwei Eberzähne ragten ihr wohl spannenlang aus dem Munde. Ohren hatte sie wie ein Bär, und unter ihrem Hut, der von golddurchwirkter Seide war, hing ein Zopf von Schweinsborsten bis auf den Rücken des Maultieres herab. Die Fingernägel waren wie die Krallen eines Löwen. Es war Kundrie, ein Bild weiblicher Häßlichkeit trotz der Pracht ihrer prunkvollen Gewänder. Aber sie war hoch gelehrt in aller Weisheit und kundig aller Sprachen – sie war die Fluchbotin des Grals!

»Weh über Euch, König Artus«, schrie sie den König gellend an. »Weh über Euch! Der Ruhm Eurer Tafelrunde ist geschändet durch den Unwürdigen, den Ihr in Eurer Mitte aufgenommen habt. Die Ehre Eurer Tafelrunde ist dahin!«

Die Tafelrunde erstarrte in Grauen. Ehe der König ein Wort erwidern konnte, wandte sie sich an Parzival. »Fluch über Euch, Fluch über Eure Jugendschönheit und Eure ritterliche Gestalt! Fluch über Euch!«

Unheimliches Schweigen lag über der Tafelrunde.

»Warum, so frage ich Euch, warum habt Ihr Amfortas, Seufzer und Klagen am See nicht beachtet, warum habt Ihr ihn nicht von seinen Leiden erlöst? Ihr sahet den Heiligen Gral und den blutigen Speer und habt dennoch keine Frage getan? Habt Ihr denn kein Erbarmen mit Amfortas, Not gehabt? Eine einzige Frage hätte all sein Elend wenden und Euch zu aller irdischen Glückseligkeit erheben können! Herzeleides Kind hat den Weg der Ehre verfehlt!«

Kundrie selbst aber hatte vor Erregung jede Fassung verloren. Sie warf Parzival einen haßerfüllten Blick zu und jagte ohne Abschiedsgruß davon. Parzival war bleich vor Schrecken. Sein Herz war zerrissen von Reue und Kummer.

»Durch Unwissenheit habe ich meine große Aufgabe verspielt«, sagte er; »nun bleibt mir nichts als die Pflicht, das Versäumte zu sühnen. Ich will nicht ruhen noch rasten, bis ich den Heiligen Gral gefunden und den unglücklichen Amfortas von seinen Qualen erlöst habe!«

Trauernd umringten die Ritter der Tafelrunde ihn zum Abschied, und Artus gelobte ihm ewige Freundschaft. Der edle Gawan, dem er sich in inniger Freundschaft verbunden fühlte, gab ihm eine Wegstrecke das Geleit. »Gott sei mit dir auf deinem Ritte«, wünschte er ihm.

»Weh, was ist Gott!« erwiderte Parzival mit Bitterkeit im Herzen. »Wäre er allmächtig, so hätte er mir wohl nicht solche Schande zugefügt. Nun aber bin ich entschlossen, ihm allen Dienst aufzusagen!«

Mit seinem Gotte verfallen, ritt er in die Welt hinaus.

Viele Jahre zog er als fahrender Ritter umher, ohne sein Ziel zu erreichen. In einer Einsiedlerklause traf er schließlich Sigune, seine Base, die dort – ein Bild des Erdenjammers um ihren erschlagenen Verlobten trauerte. Voll Betrübnis vernahm sie, daß Parzival vergeblich den Gral suche. Jeden Samstag, so erzählte sie ihm, erscheine Frau Kundrie, die Gralsbotin, bei ihr und versorge sie mit Nahrung.

Das gab dem jungen Ritter neue Hoffnung. Er folgte der Spur des Maultiers, doch bald verlor sie sich im Gesträuch.

So ging ihm abermals der Gral verloren.

An einem kalten Märzmorgen begegnete ihm in einem riesenhaften Walde ein seltsamer Zug. Barfuß und im Büßergewande kam ein graubärtiger Ritter daher, ihm zur Seite seine Gemahlin und zwei zarte Töchter in gleicher Kleidung; gesenkten Hauptes folgten Ritter und Knappen. Welchen Gegensatz bot der herrliche Recke in seiner strahlenden Rüstung zu dem bußfertigen Aufzug der Barfüßigen! »Ihr tut gar Unrecht, daß Ihr am heiligsten Tage des Jahres im Schmucke Eurer Waffen daherreitet«, redete der Alte ihn milde an.

Doch Parzival verstand nicht seinen Tadel. »Was kümmert mich des Jahres oder der Wochen Lauf, was die Namen der Tage? Es gab eine Zeit, da diente ich einem, der heißt Gott. Stets war ich beständig in diesem Dienst und wahrte ihm die Treue. Und er – er entgalt mir’s mit Schmach und verhängte schmählichen Spott über mich!«

»Wenn Ihr Christus meint mit Euren Worten, Herr, so versündigt Ihr Euch gar schwer. Denn wisset, daß heute Karfreitag ist, der Tag, an dem unser Heiland für die sündige Menschheit den Kreuzestod erlitt. Achtet die Heiligkeit dieses Tages! Folget uns zur Behausung des frommen Trevrizent. Der kann Euch auf den rechten Weg zurückweisen.«

Aber Parzivals Herz war zu verstockt. Er war nicht bereit, dem Rate des Alten zu folgen. Unwillig riß er sein Roß herum und ließ ihm die Zügel. Aber wie staunte er, als er erkennen mußte, daß das edle Pferd eigenwillig den Weg suchte und ihn geradewegs vor Trevrizents Behausung führte.

Der würdige Greis nahm ihn freundlich auf und verwies ihn auf die Güte Gottes. »Ich habe stets gemeint, ihm in Treue zu dienen«, sagte Parzival dumpf; ,»aber meine Treue hat mich in tiefstes Leid gestoßen!«

»Denkt Ihr denn, man könne Gottes Liebe und Hilfe erzwingen?« rief Trevrizent. »Wißt Ihr nicht, daß der Herr nur dem sich huldvoll zuneigt, der ihm in Treue dient, ohne Zweifel und Anfechtung? Nur wer gläubig und reinen Herzens ist, wer frei von Hochmut und schwächlichem Zweifel, erscheint des Grals würdig.«

Trevrizent redete ihm tröstend zu: »Als erstes sage ich dir: Gott hat dich nicht verlassen. Vertraue ihm mit gläubigem Herzen, so wird er dich aus aller Bedrückung befreien!«

Noch lange saß er im vertrauten Gespräch mit dem Alten, und dessen väterliche Mahnungen wurden ihm wie eine langersehnte Belehrung aus allen Zweifelsgedanken und gaben ihm Trost und Frieden nach der langen Irrfahrt. Als die beiden voneinander schieden, ritt Parzival versöhnt mit seinem Gott und frei von allen Zweifelsqualen neuem Leben entgegen.

Parzivals Berufung

Mannigfache Abenteuer hatte der Held noch zu bestehen, bis ihn der Weg wieder an König Artus‘ Hof führte. Beim festlichen Mahle feierte man dort die Rückkehr des Helden.

Da geschah es wie einst: auf dem häßlichen Maultier kam die häßliche Jungfrau angesprengt: Kundrie, die Gralsbotin, stand plötzlich wieder vor den Rittern der Tafelrunde!

Doch sie brachte dem leidgeprüften Parzival nicht neuen Fluch, sondern eine herrliche Botschaft: die Zeit seiner Prüfung war vorbei – er war nun zum Gralskönig auserkoren!

Erst jetzt erfuhr Parzival, daß die liebliche Kondwiramur ihm Zwillinge geboren hatte. Sein Sohn Lohengrin würde einst sein Nachfolger als Hüter des Grals sein. In Kundries Begleitung zog Parzival nun zur Gralsburg. Welche Gefühle bestürmten den Auserkorenen, als er den Saal betrat, in dem er einst die entscheidende Wende seines Lebens erlebt hatte!

Im Nebenzimmer lag der sieche Amfortas auf seinem Schmerzenslager. Schreckliche Schmerzen hatte der Todkranke in der langen Zeit durchleiden müssen. Neue Hoffnung ergriff ihn, als er seinen Retter erblickte. »Wie lange habe ich voll Sehnsucht auf dein Kommen gewartet«, rief er dem Neffen mit frohem Willkommensgruß zu. »Hilf mir nun, meine Not zu beenden!«

Jungfrauen hatten die segenspendende Schale des Grals enthüllt. Da sprach Parzival ein Gebet, trat dann vor Amfortas und fragte ihn ruhig: »Sag mir, lieber Oheim, woher kommen deine quälenden Schmerzen? Sag mir, wie ich dir helfen kann!«

Das war die erlösende Frage.

Mit verklärtem Gesicht erhob der König sich von seinem Schmerzenslager und umarmte den Neffen. Nach dem heiligen Gebot überreichte er Krone und Herrschaft an den neuen Herrn.

Sogleich ging die Freudenbotschaft an die edle Kondwiramur. Parzival ritt ihr entgegen und traf sie mit den beiden Söhnen Kardeis und Lohengrin auf einer Aue – es war die Stelle, wo er einst traumverloren vor den drei Blutstropfen gestanden hatte. In überströmendem Glück begrüßte er die Geliebte Frau und die zwei Kinder.

So wundersam fügte es das Schicksal.

In ehrenvollem Geleit der Gralsritter zog der junge König mit seiner Gattin und seinem Sohne Lohengrin, dem Gralserben, dann zur Gralsburg hinauf, während Kardeis mit dem Gefolge der Königin in die Heimat zurückkehrte. Es war tiefe Nacht, als das Ehrengeleit auf der Burg eintraf. Doch man hatte Fackeln und Kerzen in solcher Menge anzünden lassen, daß es aus der Ferne schien, die Burg stehe in Flammen.

Im großen Festsaale der Burg saß man dann beim Mahle.

Aber nicht wie einst, da der blutige Speer durch den Saal getragen wurde, herrschte Klage und Trauerlaut; nein Freude lag über dem weiten Saale, seit man aller Sorge ledig war.

Wieder vollzog sich die feierliche Handlung: Die edlen Jungfrauen geleiteten in züchtigem Anstand die schöne Repanse de Schoye, die das Gralsheiligtum trug; die Kämmerer rüsteten die Tische zum Festmahle und zogen auf den Speisewägelchen die kostbaren Goldgefäße herein, die Knappen standen zur Aufwartung bereit.

Und wieder wie damals erwies der Heilige Gral seine Wunderkraft und spendete an kostbarsten Speisen und Getränken, was jeder begehrte.

An der Seite der schönen Kondwiramur aber führte Parzival als Gralskönig viele Jahre die Herrschaft in weiser Ritterschaft und frommer Demut.

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