Rübezahl, so heißt der Berggeist vom Riesengebirge. Warum der unheimliche Zauberunhold Rübezahl heißt, weiß niemand zu sagen.
Wer soll wissen, warum einer Trillhose oder Apfelstiel oder Sautrog heißt, der als ein leibhaftiger, ehrenfester Schuhflicker die steinigen Bergwege wandert?
Sicher ist nur, daß das Riesengebirge schon vor Zeiten weltberufen hieß, weil Rübezahl in dessen Höhlen und Gruben und Schluchten und auf dessen Hochmooren und Geröllhalden sein Wesen trieb.
Der frechste aller Pferdediebe und Necker. Der tollste Marktschreier und Bauernklotz. Auch der kühnste Musikant um Felsgetrümmer und um Krummholzknorren.
Und zwar heißt er Rübezahl schlechthin. Mit keinerlei Zunamen weiter.
Von Menschen wimmeln Millionen, alle nach ein und derselben Fasson allein in einer einzigen Großstadt durcheinander.
Von dieser Art Berggeist gibt es nur einen und immer denselben durch alle Zeiten. Er braucht von seinesgleichen, weil es Derartiges gar nicht gibt, nicht weiter unterschieden werden…
Das Geheimnis um Rübezahl ist alt wie die moosigen, grünspiegelnden Felsen, die in die feuchten Gebirgsschluchten hängen.
Oder so alt wie die weißen Schaumwasser, die in der Zackelklamm jeden Tag jung und neu über Schroffen und Steine zu Tale springen. Darin ein vom Ufer entführtes Holzscheit sich so lustig in den Strudeln dreht, als wäre die rollende, quirlende Jagd hinunter nur ein Spiel.
Nämlich Rübezahl ist selber alt wie die Steine. Vermutlich so alt wie die Riesenwoge aus Granit, die schon in Urzeiten zwischen Böhmen und Schlesien ausrollte und zum Riesengebirge erstarrte.
Und erst der wird uns das Geheimnis um Rübezahl wirklich lösen, der uns sagte, wann die ersten Wasser von den Bergen zu Tale rauschten?
Viele Menschen wollen Rübezahls Gunst und Gnade erfahren haben.
Noch mehrere seine niederträchtigen Tollheiten und gemeingefährlichen Tücken.
Einem würdeerstarrten Gerichtsherrn in Hirschberg soll er einen dicken Strohwisch statt eines gehenkten Diebes am Galgen hinterlassen haben. Unterdessen er selber mit dem Delinquenten in dem Ratsstübel in Hirschberg freche Lieder grölte und zechte.
Manche wollen ihn gesehen haben, als er die steile Schneewand zum Großen Teiche, den Wildeber vor seine erbärmliche Schlittenhitsche gespannt, als Junker mit wehendem Federhut johlend niedersauste.
Verwegene Schatzgräber, die von weit her, selbst aus Venedig kamen, behaupten, daß sie gemeine Holzspäne oder Kieselsteine daheim aus ihren Ranzen ausgeschüttet, die er ihnen in der Mitternachtsstunde als blinkende Goldstücke vor die Augen gegaukelt.
Und der sorglose Schneidergeselle Siebenhaar, der dann in Warmbrunn bis zum Lebensende ein ehrsamer Meister und Hausbesitzer wurde, führte seinen Reichtum auf eine unheimliche Angstnacht oben auf der Elbwiese zurück. Dort hatte er mit Rübezahl Kegel geschoben. Dieser Siebenhaar behauptete, daß ihm der Berggeist einen gemeinen Holzkegel in seiner Tasche auf dem Heimwege in einen schweren Klumpen Goldes verwandelt hätte.
Aber richtig gesehen hat Rübezahl keiner.
Oder vielmehr, das eben ist das Rätsel.
Ein jeder von denen, die einmal in seinem Banne waren, hat Rübezahl gesehen. Ein jeder schwört, daß er ihn Auge in Auge vor sich gehabt, leibhaftig wie einen alten Eichenstamm oder mächtigen Steinklotz. Schwört, daß Rübezahls Auge so listig gespielt hätte wie der Elbbrunnen mit den Sonnenstrahlen. Daß Rübezahls Mund gelacht hätte, wie das siebenfache Echo in den Schneegruben ladet, so hart und gellend. Daß Rübezahl ganz unvorhergesehen des Weges gleichsam aufgesprungen wäre, z. B. als verwitterter Jägersmann mit Stock und mit der Flinte. Kurz stampfend und pinkend und polternd. Und als wenn der vierschrötige Forstknecht eben noch mit fliegenden Windgeistern in der einsamen Bergluft gehadert. Oder daß Erlaucht als junger Junker zu Pferde, der mit der Sturmbraut um die Wette über die frischgrünen Moorwiesen dahinfegt, sich jach in das hohe Gras hingeworfen, um seine Goldmähre, die klapperdürre, aber schäumende und prustende Isabelle, eine Weile verschnaufen zu lassen.
Alle schwören, daß sie den Rübezahl leibhaftig gesehen hätten. Sogar als einen in die Lüfte in Menschengestalt sich aufhebenden und mit den Nebeln fortwirbelnden Heuschober.
Oder auch als Fuhrmann auf der Paßstraße nach Böhmen, unten vor dem Petzer Kretscham. Oder als Perückenmacher auf dem Jahrmarkt in Rotwasser. Oder als Eseltreiber. Oder wieder als einen großen Herrn in einem reich verglasten und reich bespannten Reisewagen.
Das ist eben das große Geheimnis, daß Rübezahl als der Geist des Riesengebirges mit Händen nicht zu packen ist.
Das ganze reiche Gebirge mit Wolken und Windhosen, mit spielenden Sumpflachen und Sonnenbrunnen, mit Felsknollen und Felsnasen am Wege in dunkler Nacht. Mit all den in Würden- oder Armutskleider maskierten Wandrern. Mit unzähligen Wetterfichten und Krummholzbüschen. Mit scheuen Wölfen und Bären in früheren Jahrhunderten. Mit Pferden und Kühen, Ziegen und struppigen Kötern: dieses ganze reiche Gebirge ist von jeher gewissermaßen nur der große Kleiderspind gewesen, daraus dieser unbegreifliche Geist nach der Laune der Stunde geräuschlos jedes einzelne Stück herauslangen, es für sich aufblasen und darin öffentlich herumtumultuieren konnte.
Rübezahl erscheint seit Urzeiten in tausend lebendigen und toten Gestalten.
Er entwischt durch die Lüfte wie der Sturmreiter, nachdem er noch kaum als starrer Steinklotz am Wege gestanden. Und er entwischt durch die Stubenritze wie eine rote Maus, und hat noch eben beim Tanze in der einsamen Baude mit der Wirtstochter Kapriolen geschlagen und aus rostiger Kehle gejohlt und gejodelt. Auch »alt« und »jung« sind für ihn keine Namen. Das Geheimnis ist, daß kein Mensch je sagen kann, was der Geist der Berge eigentlich ist…
Freilich weiß auch der Mensch von sich selber nicht, was er eigentlich ist?
Auch der Mensch macht ewig Verwandlungen durch. Einmal ist er ein kleines Wickelkind an der Mutterbrust, das nur seltsame Käuzchenschreie tut und wimmert. Dann wieder, wenn es zufällig ein Knabe ist, muß er als ausgescholtener Schulbube im Winkel heimlich gegen das harte Menschenschicksal räsonieren. Oder liegt als frischer, junger Försterbursche, von Wildschützen schwer angeschossen, im einsamsten Sommerwalde, fast verdürstend und muß sich mit den Fingern im Waldgras bis zum Bache krallen, um zu trinken. Derselbe kann noch als alter, weiser, mächtiger Grünrock durch die Welt gehen. Und jedenfalls hat schon mancher Mann, der vorher ein kühner Weltkaiser war, im kostbaren Brokatstuhl als ein kranker, jämmerlicher, armer Schlucker sitzen müssen, dem sein Grab geschaufelt vor der Nase lag.
Dabei ist Versteckenspiel genug.
Und vielleicht wird man eine Ewigkeit brauchen, um auch hier ganz dahinter zu kommen.
Aber in einem Punkte ist uns Rübezahl sicher urverwandt. Wenn er in der großen Sturmwolke fliegt, braucht niemand zu fürchten, er wollte in alle Lüfte entfliehen. Man wird sich bald überzeugen, daß er sich nur als ein weißer, schwerer Wolkenflaum aufs Gebirge lagert und Steine und Schrunden einhüllt wie in weiche, weiße Wolle. So lose und frei er ist, scheint er doch heimlich wie mit Ketten und Banden an das Riesengebirge angeschmiedet.
Er hat gar keinen Sinn, z. B. nach dem Süden zu reisen. Wenn er mit seinen zauberischen Sturmtrompeten hinjagt, durchbläst er nur seine Heimatschluchten und Heimathöhen. Tummelplatz genug Sommers und Winters über die Krummholz umhegten Sumpflachen und über die freien Wiesen hin. Und um die umflüsterten Trümmerfelder, und die Felsgetüme, die vom höchsten Kamme als Nasen in die Täler sehen. Auch Schlafstellen und Schlupfwinkel genug, in die er heimlich entwischen kann. Und aus denen er dann nur seine herausfordernden Pfeifmelodien herausschrillt…
Dann noch eine andere Frage, die den Rübezahl betrifft!
Manche behaupten, er hätte einmal eine junge Grafentochter unten aus dem Warmbrunner Grafenschlosse geraubt. Die liebliche Komtesse hätte, beweint von den ihren, niemals wieder den Weg ins Tal herab gefunden, nachdem sie auf einer Frühlingswiese in den Vorbergen beim Pflücken silberseidiger Anemonen sich vertändelt. Und sie läge jetzt in die Elbquelle verwandelt oben frei auf der weiten Moorwiese gefangen und weinte und weinte. Und ihre kristallklaren Tränen rännen seit der Zeit ohne Unterlaß zu Tale nieder.
Welche behaupten sogar, daß man die junge, gräfliche Frau mit zwei lieblichen Kindern im Arm später eines Sonntags in der Warmbrunner Kirche leibhaftig gesehen hätte. Sie hätte in dem vornehmen Kirchstuhl, darein ihre Mutter, die alte Gräfin, mit ihrem samtdunklen Gebetbuch in weißen Händen immer zur Andacht eintrat, versunken betend gesessen. Nur erst wie sich die Kirche zu füllen begonnen, wäre sie wie ein duftender Weihrauchschemen tonlos fortgeschwebt. Die beiden Kinder hätten dabei immer deutlicher wie zwei junge Bärchen geschienen. Bis sich die bläuliche Wolkenbildung ganz erlöste. Niemand weiß auch hier, was daran wahr ist.
Vielleicht ist Rübezahl nur ein Wesen, das als kalter Hagestolz durch die Welt geht.
Oder vielleicht ist die junge Gräfin wirklich sein verwunschenes Weib.
Ich neige jedoch mehr der anderen Idee zu, daß Rübezahl in Urzeiten bereits die Riesentochter zum Weibe nahm. Und daß das Riesengebirge in seiner gedehnten Erdwucht und seiner ewigen Frühlingsfruchtbarkeit selber die verzauberte Riesentochter ist, die weithin in alle Lande sichtbar unter dem hellen Sommerhimmel aufragt oder gewaltig gedehnt unter den nächtlichen Sternen. Und daß Rübezahl, der seit alters versklavte Riese »Hin und Her« ist, der für die ewig fruchtbare Riesin wie das Vogelmännchen für die brütende Vogelfrau zu sorgen hat. –
Aber jetzt wollen wir erzählen, welcher Art die Menschen von Rübezahls Dasein Spur und Ahnung gewannen. So daß sie das Riesengebirge weltberufen nannten. Und wie sie schließlich Rübezahls Späße und Tücken, aber auch seine unerhörten Gunstbezeigungen so leidenschaftlich an sich erfahren haben, daß niemand seit alters an dessen Existenz hat zweifeln können.
Wir wollen neun Abenteuer vom Rübezahl erzählen. Nur neun.
Denn da Rübezahl alt wie die Bergquellen selber ist, würde einer mit seinem zahnlosen Kindermunde beginnen und mit seinem zahnlosen Greisenmunde aufhören müssen zu erzählen. Und er hätte doch nur geplaudert, wie die Welle plaudert, die von ihren Geschichten bis in alle Ewigkeit plaudern muß.