26. Kapitel

Ein unerwartetes Zusammentreffen und eine vielversprechende Aussicht

Die subtilen Zusammenhänge zwischen Bärten und Vögeln und die geheime Quelle jener Anziehungskraft, die so häufig einen Barbier veranlaßt, mit letzteren Handel zu treiben, sind Fragen so unwägbarer Art, daß wir ihre Beleuchtung wissenschaftlichen Korporationen überlassen müssen. Um so mehr, als derartige Bemühungen zu keinem besondern Resultat zu führen scheinen. Für uns genügt es zu wissen, daß der Haarkünstler, der die Ehre hatte, Mrs. Gamp in seinem ersten Stock zu beherbergen, das Geschäft des Rasierens mit dem des Vogelabrichtens verband und daß dies keine ursprüngliche Idee von ihm oder gar eine Erfindung war, da es in allen Nebenstraßen und Vorstädten ringsum ein ganzes Heer von Konkurrenten in diesem Fache gab.

Sein Name war Paul Sweedlepipe, aber für gewöhnlich wurde er Poll Sweedlepipe genannt, und tatsächlich glaubte ein großer Teil seiner Freunde und Nachbarn, er hieße wirklich so.

Von der Treppe und der Privatwohnung seiner Aftermieterin abgesehen, war Poll Sweedlepipes ganzes Haus ein einziger großer Vogelbauer. Kampfhähne präsidierten in der Küche; Fasanen durchstrahlten mit dem Glanz ihres goldenen Gefieders die Dachstube; Bantamhühner hockten im Keller auf ihren Stangen; Eulen hatten das Schlafzimmer in Besitz genommen, und Exemplare von allen kleineren Vogelarten zwitscherten und zirpten im Laden. Das Treppenhaus war den Kaninchen geweiht. Hier, in Behältern von allen Formen und Arten, in alten Packkisten, Koffern, Kommoden und dergleichen, vermehrten sie sich mit bewunderungswürdiger Rastlosigkeit und steuerten ihr Teil zu dem komplizierten Dufte bei, der unparteiisch und ohne Ansehen der Person jede Nase begrüßte, die sich in Sweedlepipes Rasierstube blicken ließ.

Trotzdem fand so manche Nase ihren Weg dahin; besonders am Sonntagmorgen vor der Kirche. Bekanntlich müssen sich sogar Erzbischöfe am Sabbat rasieren lassen. Der Bart läßt sich nicht am Wachsen hindern, selbst nicht am Kinn gemeiner Tagelöhner. Solche untergeordnete Personen sind natürlich nicht imstande, sich einen eigenen Kammerdiener leisten zu können, und gehen daher zu Leuten, die das Geschäft von Fall zu Fall versehen, und bezahlen sie – oh, Schlechtigkeit des Kupfergeldes! – mit schmutzigen Pennystücken. Poll Sweedlepipe, der Sünder, rasierte alle, die da kamen, für je einen Penny und schnitt ihnen außerdem, wenn sie es wünschten, für zwei Pence das Haar. Da er außerdem ein lediger Mann war und auch mit seinem Vogelhandel sich ein wenig erwarb, befand er sich in leidlich guten Umständen.

Er war ein kleiner, ältlicher Mann mit einer feuchten kalten rechten Hand, von der sogar der beständige Verkehr mit Kaninchen und Vögeln den Geruch der Bartseife nicht zu entfernen vermochte. Poll hatte etwas Vogelartiges in seinem ganzen Wesen, nicht etwa vom Falken oder Adler, sondern eher von dem Sperling, der im Schornstein seine Nester baut und die Nähe menschlicher Gesellschaft liebt. Doch war er nicht streitsüchtig wie dieser, sondern friedlich wie die Taube. Pathetisch stolzierte er durch die Straßen und hatte in dieser Hinsicht gleichfalls eine gewisse Ähnlichkeit mit der Taube, und auch mit deren Gegirr ließ sich sein monotones Geschwätz vergleichen. Von Geburt aus sehr neugierig, fragte er viel, und wenn er am Abend vor der Türe seines Ladens stand, die Nachbarn beobachtend, den Kopf seitwärts geneigt und schlau mit einem Auge blinzelnd, hätte man ihn auch mit einem Raben verwechseln können. Aber trotzdem war nicht mehr Arglist in Poll als in einem gewöhnlichen Rotkehlchen. Zum Glück wurden seine ornithologischen Eigenheiten, wenn sie auf dem Punkte waren, zu weit zu gehen, erstickt, aufgelöst, eingeschmolzen und neutralisiert durch den Barbier in ihm, genau so wie sich sein kahles Haupt – sonst dem Kopf einer geschorenen Elster zum Verwechseln ähnlich – zu beiden Seiten in eine Perücke schwarzer Krauslocken auslief, den Schädel selbst freilassend, um die ungeheuern Verstandeskräfte anzudeuten.

Seine äußerst schrille zitternde Stimme war die Veranlassung, daß die Spottvögel von Kingsgate Street behaupteten, er hätte von Rechts wegen ein Frauenzimmer werden müssen. Er besaß zudem ein überaus empfindliches Herz, und wenn er zuweilen ein oder ein halbes Schock Spatzen zu einem Wettschießen zu liefern hatte, so pflegte er stets mitleidigen Tones zu bemerken, es sei doch höchst sonderbar, daß diese Vögel eigens zu diesem Zweck geschaffen sein sollten. Zur Erörterung der Frage, ob die Menschen zum Vogelmord geschaffen seien, reichte seine Philosophie nicht aus.

Da sein Gewerbe gewissermaßen mit dem Jagdsport verquickt war, trug er einen Samtrock, blaue Strümpfe, Schnürschuhe, ein hellfarbiges Halstuch und einen sehr hohen Hut. Angesichts seines mehr friedlichen Barbierberufs jedoch bequemte er sich, gewöhnlich eine nicht allzu saubere Schürze, eine Flanelljacke und manchesterne Kniehosen zu tragen.

In diesem Kostüm, aber mit aufgeschlagener Schürze – zum Zeichen, daß er Feierabend gemacht – schloß er eines Abends, mehrere Wochen nach den im vorigen Kapitel erzählten Ereignissen, seine Türe und blieb auf der Schwelle stehen und horchte, bis die kleine, zerbrochene Klingel drin zu läuten aufgehört hatte. Ehe dies geschehen war, hielt Mr. Sweedlepipe es nämlich niemals für rätlich, sein Geschäftslokal sich selber zu überlassen.

»Es ist das ungebärdigste Ding von einer kleinen Klingel unter der Sonne«, sagte Poll, »aber jetzt endlich schweigt sie doch.«

Mit diesen Worten rollte er seine Schürze noch ein bißchen höher zusammen und eilte die Straße hinunter. Eben wollte er nach Holborn einbiegen, als er gegen einen jungen livrierten Herrn anrannte. Der Jüngling war zwar klein, aber desto kecker und wandte sich mit den lebhaftesten Zeichen von Unwillen augenblicklich gegen ihn um.

»Na, Sie Dummkopf!« rief der junge Herr. »Sie können wohl nicht aufschauen, was? Oder achtgeben, wohin Sie gehen, was? Wozu haben Sie eigentlich Ihre Augen, was? Oh, Sie!«

Der junge Gentleman sprach die beiden letzten Worte in lautem Ton und mit fürchterlichem Nachdruck, als ob sie die Quintessenz aller bittern Kränkungen in sich faßten, aber plötzlich wich sein Zorn der Überraschung, und er rief mit milderem Tone aus:

»Was, Polly!«

»Ja, was seh ich, Sie sind’s?« rief Polly. »Aber Sie können’s doch gar nicht sein!« »Nein, ich bin’s nicht«, scherzte der Jüngling. »Es ist mein Sohn. Mein ältester. Er macht seinem Vater alle Ehre, nicht wahr, Polly?« Mit diesem geistreichen Witz machte er auf dem Pflaster halt und drehte sich langsam um, um sich von allen Seiten anstaunen zu lassen, sehr zum Verdruß der Passanten, die nicht in so heiterer Stimmung waren wie er.

»Wahrhaftig, das hätt ich nicht geglaubt«, sagte Poll. »Sie haben also Ihren alten Dienst verlassen, wie ich sehe, wie?«

»Und ob«, entgegnete der junge Herr, der inzwischen die Hände in die Taschen seiner weißen Beinkleider gesteckt hatte und freudestrahlend neben dem Barbier einherstolzierte. »Haben Sie eine Idö, was ein Paar Stulpenstiefel sin, Polly? Wenn nücht, so schauen Sie sich mal düse da an.«

»Prächtig!« rief Mr. Sweedlepipe.

»Oder haben Sie schon mal einen Knopf mit Wappen gesehen? Sehen Sie ihn nicht an, wenn Sie kein Kenner sind; denn die Löwenköpfe darauf wissen bloß Leute von Geschmack zu würdigen und keine Mopsnasen nücht.«

»Prächtig!« rief der Barbier abermals. »Grasgrüner Rock mit Gold besetzt, und noch dazu eine Kokarde am Hut!«

»Das will ich meinen«, rief der Jüngling stolz. »Übrigens, aus der Kokarde mache ich mir einen Quark! Das einzige an ihr ist noch, daß sie sich nicht dreht. Sonst würde sie sich nicht vüll von dem Fendilador, wo wir bei Todgers‘ im Küchenfenster hatten, unterscheiden. Haben Sie übrigens nicht den Namen der Alten in der Zeitung gelesen?«

»Nein«, entgegnete der Barbier. »Hat sie umgeschmissen?«

»Wenn sie’s nicht hat, so wird sie’s bald nachholen«, entgegnete Bailey, »ohne mich kann sie doch das Geschäft nicht führen! Na, und wie gehts denn Ihnen?«

»So ziemlich gut«, sagte Polly, »wohnen Sie in diesem Stadtteil, oder wollten Sie mich gerade besuchen? – Was für Geschäfte führen Sie nach Holborn?«

»Holborn ist mir ganz Wurst«, versetzte Mr. Bailey mit Verachtung, »ich hab nur noch im Westend zu tun. Jetzt hab ich endlich den richtigen Herrn gekriegt, wo zu mir paßt. Sein Gesicht kann man vor lauter Schnurrbart nicht sehen, und seinen Schnurrbart nicht vor lauter Wichse. Das nenn ich mir einen Schenlmän! Oder möchten Sie vielleicht nicht gern in einem Kabriolett fahren? Ich trau es mich auch gar nicht, es Ihnen anzubieten. Sie würden schon beim bloßen Anschauen ohnmächtig werden, wenn Sie mich im kurzen Trab um die Ecke kommen sehen.«

Und um seinem Freund einen Begriff von der Wirkung einer derartigen equestrischen Betätigung zu geben, ahmte Mr. Bailey in eigener Person die Bewegung eines galoppierenden Pferdes nach und warf dabei seinen Kopf so hoch, daß er damit gegen einen Brunnen anstieß und ihm der Hut herunterflog.

»Er ist aus der ›Kauliflower‹ und ein Bruder des ›Capricorn‹. Seit mir ihm haben, is er schon durch die Fenster von zwei Käseladen durchgsprungen, und verkauft is er worden, weil er seine Herrin erschlagen hat. Ja, das nenn ich mir einen Gaul!«

»Aber da werden Sie ja gar keine Hänflinge mehr von mir kaufen wollen«, bemerkte Poll mit einem melancholischen Blick auf seinen jungen Freund, »oder Kanarienvögel, um sie über dem Abtritt aufzuhängen.«

»Na, das sollte mir einfallen«, rief Mr. Bailey. »Billiger als mit einem Pfau geb ich’s jetzt nimmer. Selbst der ist mir schon zu gemein; – na, und wie geht’s Ihnen denn so im allgemeinen«

»Ach, ziemlich gut«, sagte Polly.

Er beantwortete die Frage zum zweitenmal, weil er zum zweitenmal gefragt wurde, und Mr. Bailey fragte zum zweitenmal, weil darin eine gewisse sportmäßige Nonchalance lag, die sich zu den weißen Hosen, den Maschen an den Knien und den Stulpenstiefeln sehr gut ausnahm.

»Und wo wollen Sie hin, alter Bursche?« fuhr Mr. Bailey mit seiner neckischen Anmut fort; – er war eben hinsichtlich Konversation ein ganzer Weltmann geworden, während der Barbier in diesem Punkte noch das reinste Kind war.

»Ich will meine Mietsfrau heimführen«, sagte Poll.

»Ein Weib?« rief Mr. Bailey. »Wegen einer Zwanzigpfundnote!«

Der kleine Barbier beeilte sich zu erklären, daß die Betreffende weder ein junges noch ein hübsches Weib sei, sondern eine Wärterin, die einige Wochen bei einem Gentleman gewissermaßen hausgehalten und diesen Abend ihren Platz zu verlassen habe, um ihn einer andern und legitimeren Persönlichkeit zu räumen, nämlich der jungen Frau des betreffenden Gentleman.

»Er führt nämlich seine Neuvermählte heute abend heim«, erklärte er, »und drum hole ich meine Mieterin ab. – Bei Mr. Chuzzlewit, gerade hinter der Post – und helf ihr den Koffer tragen.«

»Jonas Chuzzlewit?« fragte Mr. Bailey.

»Ja. Kennen Sie ihn vielleicht?«

»Na, na, was denn!« rief Mr. Bailey. »Ganz und gar nicht. Und sie kenn ich natürlich auch nicht. Wieso denn auch. – Die beiden sind doch durch mich zusammengekommen.«

»Was Sie nicht sagen«, rief Paul.

»Hum«, hüstelte Bailey. »Sie ist übrigens nicht übel. Aber ihre Schwester wär mir lieber gewesen. Das war die Lustigere von beiden. Ich hab einen Mordsjux mit ihr ghabt. Damals nämlich.«

Mr. Bailey sprach, als ob er schon mit einem oder dreiviertel Bein im Grabe stünde und sein Erlebnis vor zwanzig oder dreißig Jahren vorgefallen wäre. Poll Sweedlepipe in seiner Bescheidenheit war jedoch durch die frühreife Altklugheit und Gönnermiene seines jungen Freundes sowohl wie durch dessen Stiefel, Kokarde und Livree so vollständig verdutzt, daß förmlich ein Nebel vor seinen Augen schwamm und er nicht den jugendlichen Master Bailey aus Todgers‘ Speisehaus für die Herren Handelsbeflissenen vor sich sah, den er vor einem Jahre kennengelernt, wo dieser ein paarmal Zweipencevögel bei ihm eingekauft hatte, sondern die Akme aller Wettrenngrooms in London, den Inbegriff aller Stallwissenschaftler der Neuzeit, ein Wesen vornehmster Art, das schon viele Dezennien gelebt und furchtbare Erfahrungen gemacht haben mußte. Und wahrhaftig, wenn Mr. Baileys Geist schon in Todgers‘ wolkiger Atmosphäre von jeher glänzend geleuchtet, so übersprang er jetzt doch geradezu Zeit und Raum, ließ den unbefangenen Zuschauer an dem gesunden Urteile seiner Sinne zweifeln und machte seinen Glauben an die Wahrheit und Unerschütterlichkeit der Naturgesetze wanken. Wie er so über das bucklige Pflaster von Holbornhill hinwegspazierte, war er allerdings noch ein Knabe, und zwar ein recht kleiner, aber er blinzelte, dachte und sprach dabei wie ein Greis, und nur die äußerste Oberfläche an ihm machte den Eindruck der Jugend. Er war ein unerklärliches Wesen geworden – eine Sphinx in Hosen und Stulpenstiefeln. Dem Barbier blieb daher keine andere Wahl, als selbst von Sinnen zu kommen oder Master Bailey für ein unerklärliches Phänomen zu halten. Er wählte wohlweislich das letztere.

In seiner Leutseligkeit geruhte Master Bailey, ihm noch weiter Gesellschaft zu leisten und ihn unterwegs mit allerhand Plaudereien über verschiedene Sportsthemen zu unterhalten, besonders über die beziehungsweisen Vorzüge der Pferde mit weißen Füßen und derer ohne weiße Füße; – hinsichtlich des vornehmsten Stils, die Roßschweife zu kupieren, hatte Mr. Bailey seine eigenen Ansichten, die er zwar auseinandersetzte, dabei aber seinen Freund bat, sich keineswegs dadurch bestimmen zu lassen, denn er wisse gar wohl, daß er das Unglück habe, verschiedener Meinung wie einige gewisse hochstehende Autoritäten zu sein. So plauderte er fort, bis er schließlich auf das Rezept eines Schnapses zu sprechen kam, der von einem Mitglied des Jockeyklubs erfunden worden war. Mittlerweile hatten sie den Bestimmungsort des Barbiers beinahe erreicht, und als Mr. Bailey bemerkte, daß er noch eine Stunde Zeit übrig habe, wünschte er, wenn es seinem Freunde angenehm sei, Mrs. Gamp vorgestellt zu werden.

Paul klopfte an Jonas Chuzzlewits Türe. Sie wurde sofort geöffnet, und gleich darauf fand der Friseur Gelegenheit, die beiden distinguierten Persönlichkeiten miteinander bekannt zu machen.

Es war ein glücklicher Zug Mrs. Gamps bei ihrem doppelten Berufe, daß sie sich für jung und alt gleich interessierte. Sie kam daher Mr. Bailey mit großer Freundlichkeit entgegen.

»Dös is schön von Ihna«, sagte sie zu ihrem Hauswirt, »daß Sie kommen und noch dazu an so netten Freind mitbringen; aber ich fürchte, ich muß Sie bitten einzutreten, da das junge Paar noch nicht angekommen is.«

»Sind das Spätlinge, nicht?« sagte der Barbier, nachdem Mrs. Gamp sie die Küchentreppe hinuntergeführt hatte. »Freilich ja, bsonders, wenn man den Fittich der Liebe ins Auge faßt«, sagte Mrs. Gamp.

Mr. Bailey fragte, ob der »Fittich der Liebe« je einen silbernen Becher gewonnen habe oder ob man mit einigermaßen Aussicht auf Erfolg auf ihn wetten könne; wandte sich aber verächtlich ab, als man ihn belehrte, daß der »Fittich der Liebe« kein Pferd, sondern bloß ein poetischer oder figürlicher Ausdruck sei. Mrs. Gamp war so erstaunt über die ansprechenden Manieren und das nonchalante Benehmen des jungen Herrn, daß sie schon im Begriffe stand, ihrem Wirte die Frage zuzuflüstern, ob Mr. Bailey ein Mann oder ein Knabe sei, als Mr. Sweedlepipe, der ihre Absicht merken mochte, dem Gespräch noch rechtzeitig eine andere Wendung gab.

»Er kennt Madame Chuzzlewit«, sagte er laut.

»Er schaut mir ganz danach aus, als ob’s überhaupt nix gäb, was er net kennt«, bemerkte Mrs. Gamp. »Mir scheint, der hat’s faustdick hinter die Ohren.«

Mr. Bailey nahm dies als ein Kompliment auf und gab, seine Krawatte zurechtzupfend, zu: »So ziemlich.«

»So wissen Sie wahrscheinlich auch, wie die Mrs. Chuzzlewit mit ihrem Taufnamen heißt?« fragte Mrs. Gamp.

»Charitas«, sagte Mr. Bailey.

»Nein, nein, ’s is a andrer Name«, entgegnete Mrs. Gamp.

»Na, dann heißt sie Cherry. Cherry ist die Abkürzung davon. Das kommt aufs nämliche heraus.«

»Es fängt mit keinem ›C‹ an«, erwiderte Mrs. Gamp und schüttelte den Kopf, »sondern mit einem ›G‹.«

»Hui!« rief Mr. Bailey und klopfte eine kleine Wolke von Kreide aus seinem weißen linken Hosenbein. »Nachher hat er die Lustige gheirat.«

Da diese Worte ziemlich geheimnisvoll klangen, so bat Mrs. Gamp um eine nähere Erklärung, die Bailey auch gab, wobei sie mit begierigem Ohr auf seine Worte lauschte. Sie waren noch tief im Gespräche begriffen, als unten ein Wagen vorfuhr und ein Doppelschlag an die Haustüre die Ankunft des neuvermählten Paares verkündete. Mrs. Gamp behielt sich vor, das Ende von Mr. Baileys Geschichte auf dem Heimwege anzuhören, ergriff eine Kerze und eilte fort, um die junge Gebieterin des Hauses willkommen zu heißen.

»I wünsch Ihna von Herzen alls Glück und Segen«, begann sie, die Eintretenden mit einem Knicks empfangend, »und auch Ihnen, Mr. Jonas. Die junge Gnädige sieht a bisserl hergnommen von der Reis aus, Mr. Chuzzlewit. –– Na, ist dös aber a herzigs kleins Frauerl!«

»Sie hat mir lange genug darüber vorlamentiert«, brummte Mr. Jonas. »Na, so leuchten Sie uns doch gefälligst!« »Hier herauf, Madame, wenn’s beliebt«, säuselte Mrs. Gamp und ging mit der Kerze voran. »Mir haben alles so gemütlich hergricht, wie’s nur immer gangen ist, aber es gibt noch mancherlei, was Sie umändern werdn, wenn S‘ Ihna amal Zeit nemmen, a bisserl herumzuschaun. – Na, so a liabs kleins Frauerl! –– Aber«, fügte Mrs. Gamp in Gedanken hinzu, »bsonders guat aufg’legt sieht’s net aus.«

Sie hatte recht; es war nicht der Fall. Der Tod, der aus dem Hause gewichen war, um dem Brautabend Platz zu machen, schien seine Schatten zurückgelassen zu haben. Die Luft war dumpf und drückend, der Raum dunkel, und ein unheimliches Düster lagerte in jedem Winkel und jeder Ecke. Vor dem Kamin saß, wie ein Wesen von böser Vorbedeutung, der alte Buchhalter, den Blick auf einige verglommene Holzstücke gerichtet. Er stand jetzt auf und sah die beiden an.

»Na, da sind Sie ja, Chuff«, sagte Jonas gleichgültig und staubte seine Stiefel ab; »noch immer im Lande der Lebenden, was?«

»Noch immer im Lande der Lebenden, Sir«, versetzte Mrs. Gamp, »und das hat Mr. Chuffey Ihnen zu danken, wie ich’s ihm schon oft und oft gsagt hab.«

Mr. Jonas war nicht gerade in der besten Stimmung, denn er sah sich bloß nach der Sprecherin um und bemerkte:

»Wir brauchen Sie jetzt nicht mehr länger, Mrs. Gamp.«

»Glei geh i«, entgegnete die Wärterin, »wann i net vielleicht für die Gnädige was zu tun hab. – Habn S‘ nix«, fügte sie mit einem süßen Blick hinzu und kramte dabei in ihrer Tasche, »was i für Ihna besorgen könnt? – Na, so a liabs Frauerl!« »Nein«, entgegnete Gratia beinahe weinend; »es ist das beste, Sie gehen jetzt.«

Mit einem verzückten Schielblick, das eine Auge auf die Zukunft, das andere auf die junge Frau geheftet, und mit einem teils spirituellen, teils spirituosen schalkhaften Ausdruck im Gesicht, in dem sie jedoch etwas Berufsmäßiges nicht ganz unterdrücken konnte, stöberte Mrs. Gamp abermals in ihrer Tasche herum und brachte eine Karte zum Vorschein, auf der die Inschrift ihres Wohnungsschildes abgedruckt war.

»Wenn i bitten dürft, meine junge Gnädige – na, is dös aber a liabs jungs Frauerl –«, bemerkte sie mit leiser Stimme, »so hebn S‘ die Karten irgendwo auf, wo Sies leicht bei der Hand haben. I bin bei die Damen gut eingführt, und dies ist mei Gschäftskarten. Gamp ist mein Name. Und da i weit herumkomm, werd i so frei sein, hie und da wieder vorzusprechen, um zu fragen, wie’s mit Ihrer Gsundheit steht. – Na, is dös aber a liabs jungs Frauerl –«

Und mit vielem Blinzeln, Hüsteln, Nicken, Lächeln und Knicksen, was zur Herstellung eines geheimnisvollen und vertraulichen Rapportes zwischen ihr und der jungen Frau dienen sollte, rief Mrs. Gamp Gottes Segen auf das Haus herab, bis sie sich glücklich unter Blinzeln, Hüsteln, Nicken und Lächeln zum Zimmer hinausgeknickst hatte.

»Aber dös muß i sagen, und wann i dafür als a Märdyrer auf ’n Scheiterhaufen müßt«, bemerkte sie flüsternd, als sie unten anlangte, »lustig siehts grad net aus, da müßt i lügn.«

»Na, warten S‘ nur, bis Sie’s lachen hörn«, meinte Mr. Bailey.

»Hern«, grunzte Mrs. Gamp. »Ja, ja, dös will i, Kleiner.«

Weiter wurde kein Wort mehr gewechselt. Mrs. Gamp setzte ihren Hut auf, Mr. Sweedlepipe schulterte ihren Koffer, und Mr. Bailey begleitete sie beide nach Kingsgate Street, unterwegs Mrs. Gamp den Ursprung und Verlauf seiner Bekanntschaft mit Mrs. Chuzzlewit und ihrer Schwester erzählend. Es war so recht bezeichnend für die Frühreife des jungen Mannes, daß er sich einbildete, Mrs. Gamp habe eine zärtliche Neigung zu ihm gefaßt, und höchlichst über diesen Mißgriff ergötzt schien. –

Als die Türe schwer ins Schloß fiel, setzte sich Mrs. Jonas in einen Lehnstuhl, und ein seltsamer Schauder kroch ihr über den Rücken, während sie sich in dem Zimmer umsah. Es war beinahe noch ganz so, wie sie es von früher her kannte, schien ihr aber viel trauriger zu sein. Sie hatte es zu ihrem Empfange fröhlicher aussehend gehofft.

»Es ist dir wahrscheinlich nicht gut genug, was?« fragte Jonas, sie mit seinen Blicken belauernd.

»Ja, es ist sehr öde hier«, entgegnete Gratia, sich zusammennehmend.

»Es wird noch viel öder werden«, knurrte Jonas, »wenn du solche Gesichter schneidest. – Recht liebenswürdig von dir! Gleich am Anfang. Donnerwetter noch mal, du hattest doch Leben genug in dir, als es dir gefiel, mich zu plagen. – Übrigens, das Mädchen ist in der Küche unten. Ziehe die Klingel, damit das Nachtessen kommt, während ich mir die Stiefel ausziehe.«

Gratia sah ihrem Gatten nach, wie er sich entfernte, und stand auf, um zu tun, wie er ihr geheißen, da legte plötzlich der alte Chuffey sanft seine Hand auf ihren Arm.

»Sie sind doch nicht verheiratet?« fragte er hastig. »Doch nicht etwa verheiratet?«

»Ja, seit einem Monat – Gott im Himmel, was haben Sie denn?«

Chuffey antwortete, er habe gar nichts, und wandte sich von ihr ab. In ihrer Angst und ihrem Erstaunen drehte sie sich jedoch nach ihm um und bemerkte, wie er, die zitternden Hände über den Kopf erhoben, flüsterte:

»Wehe, wehe, wehe über dieses verfluchte Haus!«

Das war ihr Willkommen, ihr Willkommen am häuslichen Herd!