Siebzehntes Kapitel.

Käthchen Nicklebys weitere Schicksale.

Mit schwerem Herzen und vielen trüben Vorahnungen, die sie trotz aller Mühe nicht zu verbannen vermochte, verließ Käthchen Nickleby um dreiviertel auf acht Uhr des Morgens, der zu ihrem Eintritt in Madame Mantalinis Geschäft bestimmt war, die City und suchte allein mitten durch das Geräusch und die Geschäftigkeit der Straßen ihren Weg nach dem Westen Londons.

In dieser frühen Stunde sieht man viele dahinsiechende Mädchen durch die Straßen ihrem Geschäft nacheilen, das, wie das jenes armen Wurmes, darin besteht, mit unermüdlicher Emsigkeit den Schmuck zu schaffen, der die Üppigen und Gedankenlosen bedeckt. Auf diesem hastigen Gange nach dem Schauplatze ihrer täglichen Mühe fangen sie fast verstohlen den einzigen Atemzug gesunder Luft und den einzigen Sonnenblick auf, die ihr einförmiges Dasein während der langen Kette von Stunden, die einen Arbeitstag ausmachen, erheitern. Als sich Käthchen dem fashionableren Teil der Stadt näherte, bemerkte sie im Vorbeigehen manche Geschöpfe dieser Klasse, die, wie sie selbst, einer mühevollen Beschäftigung entgegeneilten, und erkannte aus ihrem ungesunden Aussehen und ihrem matten Gang nur zu deutlich, daß ihre Besorgnisse nicht ganz grundlos wären.

Sie langte bei Madame Mantalinis Hause einige Minuten vor der bestimmten Stunde an und ging einige Male, in der Hoffnung, ein anderes Frauenzimmer möchte kommen und ihr dadurch die Verlegenheit ersparen, ihr Anliegen dem Diener vortragen zu müssen, vor demselben auf und ab. Endlich aber wagte sie es, furchtsam an die Tür zu klopfen; sie wurde nach einigem Zögern durch den Diener geöffnet, der eben erst auf der Stiege sein gestreiftes Wams angezogen hatte und jetzt im Begriff war, eine Schürze vorzubinden.

»Ist Madame Mantalini zu Hause?« stotterte Käthchen.

»Sie geht zu dieser Stunde selten aus, mein Fräulein«, versetzte der Diener mit einem Ton, der das ›mein Fräulein‹ sogar noch beleidigender machte, als wenn er ›mein Schatz‹ gesagt hätte.

»Kann ich sie sprechen?« fragte Käthchen.

»Wie?« entgegnete der Mann, die Tür in der Hand haltend, indem er die Fragerin mit einem unverschämten Grinsen anstierte; »Es ist nicht daran zu denken.«

»Ich komme aber auf ihr eigenes Geheiß«, sagte Käthchen: »ich bin – ich soll – hier Beschäftigung finden.«

»Ah, da hätten Sie die Klingel für die Arbeiterinnen ziehen sollen«, versetzte der Diener, indem er den Griff derselben neben der Tür berührte. »Doch, wir wollen sehen – wenn ich nicht irre, Fräulein Nickleby?«

»Ja«, erwiderte Käthchen.

»Wollen Sie dann nur gefälligst die Stiege hinaufgehen«, sagte der Diener. »Madame Mantalini wünscht Sie zu sehen – hier hinauf – nehmen Sie die Sachen auf dem Boden in acht.«

Mit diesen Worten der Warnung, nicht über ein buntes Gewirre von Pastetenbrettern, Lampen, Flaschengestellen und umgeworfenen Stühlen, das alles in der Halle umherlag und auf ein Gelage der letzten Nacht hindeutete, zu stolpern, ging der Diener nach dem zweiten Stock voran und führte Käthchen in ein Hinterzimmer, das durch Flügeltüren mit dem Gemach, in dem sie die Modehändlerin zum erstenmal gesehen hatte, in Verbindung stand.

»Wenn Sie sich hier einen Augenblick gedulden wollen, so werde ich ihr sogleich Ihre Anwesenheit melden«, sagte der Diener.

Nach diesem mit der freundlichsten Miene gegebenen Versprechen entfernte er sich und ließ Käthchen allein.

Das Gemach enthielt nicht viel, woran man sich hätte unterhalten können. Das Hervorragendste war ein in Öl gemaltes Brustbild des Herrn Mantalini, den der Künstler dargestellt hatte, wie er sich ungezwungen am Kopf kratzte, um einen Diamantring, ein Geschenk der Madame Mantalini vor der Hochzeit, auf die vorteilhafteste Weise ins Auge fallen zu lassen. Im nächsten Zimmer hörte man jedoch einige Stimmen; und da die Unterhaltung ziemlich laut und die Wand dünn war, so entdeckte Käthchen im Augenblick, daß sie Herrn und Frau Mantalini gehörten.

»Wenn du so gehässig und abscheulich eifersüchtig sein willst, meine Seele, so wirst du dich selber sehr elend – schrecklich elend – verteufelt elend machen.«

Nach diesem ließ sich ein Ton vernehmen, als ob Herr Mantalini Kaffee schlürfe.

»Ach, ich bin schon elend«, erwiderte Madame Mantalini, augenscheinlich sehr übel gelaunt.

»Dann bist du eine undankbare, abscheuliche, verteufelt böse, kleine Zauberin«, entgegnete Herr Mantalini.

»Das bin ich nicht«, entgegnete Madame Mantalini schluchzend.

»Bringe dich nicht selbst in üble Laune«, sagte Herr Mantalini, ein Ei aufschlagend. »Du hast ein so schönes, bezauberndes, verteufeltes Gesichtchen, aber du solltest keinem Unmut darauf Raum geben, denn er beraubt es seiner Liebenswürdigkeit und macht es finster und widerwärtig, wie das eines schrecklichen, abscheulichen, verteufelten Kobolds.«

»Auf diese Weise wirst du mich nimmermehr beschwatzen«, versetzte Madame Mantalini schmollend.

»Je nun, so geht’s vielleicht auf eine lindere, oder meinetwegen auch auf gar keine«, entgegnete Herr Mantalini, mit dem Eilöffel nach seinem Munde fahrend.

»Diese leichten Reden –« sagte Frau Mantalini.

»Nicht so leicht, wenn man ein so verteufeltes Ei ißt«, erwiderte Herr Mantalini; »denn das Dotter läuft einem die Weste hinunter, und Eidotter paßt nicht gut mit einer Weste zusammen, es müßte denn eine verteufelte gelbe sein.«

»Du hast bei ihr die ganze Nacht den Schmetterling gemacht«, sprach Madame Mantalini, die augenscheinlich die Unterhaltung nach dem Punkte zurückzuführen wünschte, von dem sie abgeschweift war.

»Nein, nein, mein Leben.«

»Ja, sage ich«, versetzte Madame; »ich habe dich die ganze Zeit über im Auge gehabt.«

»Ach, dieses himmlische, allerliebste Auge – es war also die ganze Zeit auf mich gerichtet?« rief Mantalini in einer Art schläfrigen Entzückens: »ei der Teufel!«

»Und ich sage dir noch einmal«, nahm Madame wieder auf, »daß du mit niemandem als mit deiner Frau walzen sollst. Ich lasse mir’s nicht gefallen, Mantalini, und würde lieber Gift nehmen.«

»Ach was, sie wird kein Gift nehmen und schreckliche Schmerzen ausstehen«, sagte Mantalini, der, dem veränderten Ton seiner Stimme nach zu schließen, seinen Stuhl dem seiner Gattin genähert hatte, »sie wird kein Gift nehmen, weil sie einen verteufelt schönen Mann hat, der zwei Gräfinnen hätte heiraten können und eine Witwe –«

»Zwei Gräfinnen?« fiel Madame Mantalini ein: »du sagtest mir früher nur von einer.«

»Zwei«, beteuerte Mantalini, »zwei verteufelt schöne Damen, wirkliche Gräfinnen und unermeßlich reich, hol mich der Teufel.«

»Und warum tatest du’s nicht?« fragte Madame neckend.

»Warum ich’s nicht tat?« entgegnete ihr Gatte. »Hatte ich nicht in einem Morgenkonzert die verteufeltste kleine Zauberin aus der ganzen Welt gesehen? Und da diese kleine Zauberin gegenwärtig meine Frau ist, können da nicht alle Gräfinnen und Witwen in England zum –«

Herr Mantalini beendigte seinen Satz nicht, sondern gab Madame Mantalini einen sehr lauten Kuß, der von Madame Mantalini erwidert wurde; dann schienen noch mehrere Küsse von Zeit zu Zeit das Geschäft des Frühstücks zu unterbrechen.

»Und wie sieht es in der Kasse aus, du Juwel meines Daseins?« fragte Mantalini, als er mit diesen Liebkosungen zu Ende gekommen war. »Über wieviel können wir verfügen?«

»Nur über sehr wenig«, versetzte Madame.

»So müssen wir mehr beschaffen«, entgegnete Mantalini. »Der alte Nickleby muß uns wieder einen Vorschuß zahlen, daß wir uns durchschlagen können.«

»Du kannst aber doch im gegenwärtigen Augenblick nicht das Geld nötig haben?« fragte Madame einschmeichelnd.

»Mein Leben und meine Seele«, erwiderte ihr Gatte, »bei Scrubbs steht ein Pferd zum Verkauf, und es wäre Sünde und Schande, wenn man dieses hinausließe – man hat’s umsonst, Wonne meiner Augen.«

»Umsonst?« rief Madame. »Das freut mich.«

»Ein wahres Nichts«, versetzte Mantalini. »Für hundert Guineen kann man’s haben; Mähne, Hals, Schwanz, alles von der verteufeltsten Schönheit. Ich will darauf im Park gerade vor dem Wagen der verschmähten Gräfinnen herreiten. Die verteufelte alte Witwe wird vor Schmerz und Wut in Ohnmacht fallen, und die beiden anderen werden sagen: »Er ist verheiratet, er ist unsern Liebesnetzen entwischt – ein verteufeltes Ding, jetzt ist alles aus.« Sie werden sich gegenseitig teufelmäßig hassen und dich tot und begraben wünschen. Ha! ha! zum Teufel!«

Madame Mantalinis Klugheit, wenn sie überhaupt welche besaß, war nicht gegen diese Bilder ihres Triumphs gewaffnet. Sie klimperte ein wenig mit den Schlüsseln und erklärte, daß sie nachsehen wolle, was sich in ihrem Pult befände. Zu diesem Zweck öffnete sie die Flügeltür und trat in das Zimmer, wo Käthchen saß.

»Du lieber Himmel«, rief Madame Mantalini, überrascht zurückprallend: »wie kamen Sie hierher, mein Kind?«

»Kind?« rief Mantalini hereineilend. »Wie kam es – eh! oh – zum Teufel, wie geht es Ihnen?«

»Ich warte hier schon einige Zeit, Madame«, erklärte Käthchen gegen Madame Mantalini. »Vermutlich hat der Diener vergessen, Ihnen zu sagen, daß ich hier bin.«

»Du mußt wirklich diesem Burschen einmal etwas am Zeuge flicken«, sagte Madame zu ihrem Gatten.

»Ich will ihm seine verteufelte Nase aus dem Gesicht reißen, weil er so ein schönes Wesen hier ganz allein läßt«, sagte der Gatte.

»Mantalini«, rief Madame, »du vergissest dich.«

»Ich vergesse dich nicht, meine Seele, und kann und werde dich nie vergessen«, versetzte Mantalini, die Hand seiner Gattin küssend, indem er zugleich heimlich Fräulein Nickleby, die sich jedoch verächtlich abwandte, ein Gesicht zuschnitt.

Durch diese Schmeichelei beschwichtigt, nahm Madame Mantalini einige Papiere aus ihrem Schreibpult und händigte sie ihrem Gatten ein, der sie mit großem Vergnügen hinnahm. Sie forderte dann Käthchen auf, ihr zu folgen, und nach einigen vergeblichen Versuchen von seiten des Herrn Mantalini, die Aufmerksamkeit der jungen Dame auf sich zu ziehen, entfernten sie sich und ließen den würdigen Mann allein, der der vollen Länge nach auf dem Sofa ausgestreckt und die Füße nach oben gekehrt ein Zeitungsblatt in der Hand hielt.

Madame Mantalini führte Käthchen eine Stiegenflucht hinunter und über einen Gang nach einem großen Hinterzimmer, wo eine Anzahl junger Frauenzimmer mit Nähen, Zuschneiden, Ausputzen, Verändern und noch verschiedenen anderen Verrichtungen beschäftigt waren, die übrigens nur denen bekannt sind, die sich auf die Kunst des Putz- und Kleidermachens verstehen. Es war ein enges Zimmer, in das das Licht durch eine Öffnung in der Decke hereinfiel, und so düster und abgeschlossen, wie ein Zimmer nur sein kann.

Madame Mantalini rief laut nach Mamsell Knag, worauf sich sogleich ein kleines, geschäftiges, wichtigtuendes, überladen gekleidetes Frauenzimmer vorstellte, während alle anwesenden Mädchen einen Augenblick in ihren Beschäftigungen innehielten, sich gegenseitig kritische Bemerkungen über den Schnitt und Stoff von Käthchens Anzug zuflüsterten und auch ihr ganzes Äußere mit demselben guten Ton musterten, wie es die allerbeste Gesellschaft in einem gedrängt vollen Ballsaale tun würde.

»Mamsell Knag, das ist die junge Person, von der ich mit Ihnen gesprochen habe«, begann Madame Mantalini.

Mamsell Knag erwiderte diese Vorstellung durch ein achtungsvolles Lächeln, was sie gegen Käthchen gar geschickt in ein herablassendes umzuwandeln wußte, und erklärte dann, daß man zwar mit jungen Leuten, die an das Geschäft nicht gewöhnt wären, viele Mühe hätte; sie sei indes überzeugt, daß die junge Person ihr Bestes tun würde, wie sie denn in dieser Überzeugung bereits schon jetzt Interesse für Käthchen empfände.

»Ich denke, es wird vorderhand am besten sein, wenn Mamsell Nickleby mit Ihnen in das Ankleidezimmer geht und den Damen die Sachen anpassen hilft«, sagte Madame Mantalini. »Sie wird sich jetzt noch in keiner andern Weise nützlich machen können, und ihr Äußeres –«

»Paßt ganz zu dem meinigen, Madame Mantalini«, fiel Mamsell Knag ein. »Es ließ sich freilich erwarten, daß Ihnen dieser Punkt ins Auge fiel; denn Sie haben in allen derartigen Dingen so viel Geschmack, daß ich in der Tat den jungen Damen oft sage, ich könne gar nicht begreifen, wie, wann und wo es Ihnen nur möglich geworden sei, all das zu lernen, was Sie wissen. Hm – Mamsell Nickleby und ich sind ein ganz geeignetes Paar, Madame Mantalini, nur ist mein Teint ein wenig dunkler als der ihre, und – hm – ich glaube, mein Fuß wird ein wenig kleiner sein. Gewiß, Mamsell Nickleby wird mir nicht übelnehmen, daß ich so spreche, wenn sie hört, daß unsere Familie immer um ihrer kleinen Füße willen berühmt war, – seit – hm – seit, glaube ich, unsere Familie überhaupt Füße besaß. Ich hatte einmal einen Onkel, Madame Mantalini, der in Cheltenham wohnte und eine sehr ausgedehnte Tabaksfabrik besaß; – hm – dieser hatte so kleine Füße, nicht größer als die, die man gewöhnlich an hölzernen Beinen anbringt – Füße mit so schönem Ebenmaß, Madame Mantalini, wie Sie sich’s nur denken können.«

»Sie mögen wohl einige Ähnlichkeit mit den Klumpfüßen gehabt haben, Mamsell Knag«, sagte Madame.

»Ach, herrlich, herrlich, das sieht Ihnen ganz gleich«, entgegnete Mamsell Knag, »ha! ha! ha! Klumpfüße – in der Tat sehr gut! Wie oft äußerte ich gegen die jungen Damen, das muß ich gestehen, und ich kümmere mich nicht darum, wer es hört, ›von allem treffenden Witze‹ –hm – ›von dem ich je gehört habe‹, und ich habe viel gehört; denn als mein Bruder noch lebte (ich führte seine Wirtschaft, Mamsell Nickleby), hatten wir jede Woche zwei oder drei junge Männer beim Abendessen, die wegen ihres Witzes in hohem Ruf standen, Madame Mantalini – ›von allem treffenden Witz‹, sage ich den jungen Damen, ›von dem ich je gehört habe, ist der von Madame Mantalini der pikanteste‹ – hm! Er ist so edel, so sarkastisch und doch so gutmütig, daß es mir, wie ich erst diesen Morgen noch gegen Mamsell Simmonds behauptete, ein wahres Rätsel ist, wie, wann oder durch was für Mittel Sie dazu gekommen sind.«

Hier hielt Mamsell Knag inne, um Atem zu schöpfen, und während dieser Pause wollen wir bemerken, nicht daß sie wunderbar geschwätzig und wunderbar unterwürfig gegen Madame Mantalini war, – denn dies sind Tatsachen, die keines weiteren Kommentars bedürfen, – sondern daß es ihre Gewohnheit war, hin und wieder in den Strom ihrer Rede ein lautes, schrilles und helles ›Hm!‹ einzuflechten, dessen Sinn von ihren Bekannten auf eine verschiedene Weise gedeutet wurde. Einige hielten dafür, daß Mamsell Knag sich gern in Übertreibungen ergehe und diese kleine Silbe mit einlaufen lasse, wenn sie im Begriff sei, einen neuen in diese Klasse gehörenden Einfall in ihrem Gehirn auszuprägen, während andere der Ansicht waren, daß sie diese hinwerfe, um, wenn es ihr an einem Worte gebreche, Zeit zu gewinnen und doch dabei zu verhindern, daß ihr jemand in die Rede falle. Wir müssen ferner darauf aufmerksam machen, daß Mamsell Knag noch immer für jung gelten wollte, obgleich sie schon ziemlich hoch in Jahren stand, und daß man sie um ihrer Schwäche und Eitelkeit willen zu den Personen zählen konnte, die am besten durch den Ausdruck geschildert werden, man könne ihnen trauen, so weit man sie sehe, aber nicht weiter.

»Sie werden Sorge dafür tragen, daß Mamsell Nickleby ihre Stunden und das Weitere kennenlernt«, sagte Madame Mantalini, »ich überlasse sie daher jetzt Ihrer Obhut. Sie werden meine Anweisungen nicht vergessen, Mamsell Knag?«

Mamsell Knag entgegnete natürlich, daß es eine moralische Unmöglichkeit wäre, etwas zu vergessen, was Madame Mantalini befohlen hatte, worauf denn diese Dame nach einem allgemeinen guten Morgen gegen die Arbeiterinnen von dannen segelte.

»Eine bezaubernde Dame, – nicht wahr, Mamsell Nickleby?« fragte Mamsell Knag, sich die Hände reibend.

«Ich habe noch sehr wenig von ihr gesehen«, antwortete Käthchen, »und kann mir daher kaum ein Urteil erlauben.«

»Haben Sie schon Herrn Mantalini gesehen?« fragte Mamsell Knag.

»Ja, ich bin ihm schon zweimal begegnet.«

»Ist er nicht ein ganz charmanter Mann?«

»Er ist mir durchaus nicht so vorgekommen«, versetzte Käthchen.

»Nicht?« rief Mamsell Knag, ihre Hände zusammenschlagend. »Ei, barmherziger Himmel, wie sieht es mit Ihrem Geschmack aus! So ein schöner, schlanker, glänzender, vornehm aussehender Herr mit solchen Haaren, solchem Backenbart und – hm – nein, Sie setzen mich in Erstaunen!«

»Ich will wohl glauben, daß ich recht töricht bin, aber da meine Ansicht weder für ihn, noch für jemand anders einen besondern Wert hat, so bedaure ich nicht, sie gewonnen zu haben, wie ich auch nicht glaube, daß ich sie so schnell ändern werde.«

»Aber halten Sie ihn nicht für einen sehr hübschen Mann?« fragte eine der jungen Damen.

»Das mag wohl sein; jedenfalls maße ich mir nicht an, das Gegenteil zu behaupten«, antwortete Käthchen.

»Und hält sehr schöne Pferde – ist’s nicht so?« fragte eine andre.

»Ich will das nicht in Abrede ziehen, da ich sie nie gesehen habe«, antwortete Käthchen.

»Sie nie gesehen?« fiel Mamsell Knag ein. »O dann finde ich’s wohl begreiflich, denn wie könnten Sie ein richtiges Urteil über einen Herrn fällen – hm – wenn Sie ihn nicht gesehen haben, wie sich seine ganze Figur macht.«

Es lag so viel von der Welt – sogar von der kleinen Welt des Landmädchens – in diesem Einfall der alten Putzmacherin, daß Käthchen, die der Unterhaltung gerne eine andere Richtung gegeben hätte, sich keine weitere Bemerkung erlaubte und Mamsell Knag im vollen Besitze des Sieges ließ.

Nach einem kurzen Schweigen, währenddessen die Mädchen Käthchens Äußeres einer genaueren Beaugenscheinigung würdigten und ihre Ansichten darüber sich gegenseitig mitteilten, erbot sich eine davon, ihr das Halstuch abzunehmen, und fragte, als das Anerbieten angenommen wurde, ob sie sich in ihrer schwarzen Tracht nicht sehr unbehaglich fühle.

»Ach freilich«, versetzte Käthchen mit einem bittern Seufzer.

»So staubig und heiß«, bemerkte dieselbe Sprecherin, indem sie ihr das Kleid zurechtrückte.

Käthchen hätte sagen können, daß Schwarz die kälteste Tracht sei, die der Mensch anlegen kann, daß es nicht allein die Brust, die sie bedeckt, durcheist, sondern auch ihren Einfluß auf die Sommerfreunde ausdehnt, indem sie die Quellen ihres Wohlwollens und ihrer Teilnahme erstarren und die Knospen der Versprechungen, die sonst so reichlich wucherten, ersterben macht und nichts zurückläßt als nackte, kranke Herzen. Es gibt wenige, die, wenn sie einen Freund oder Verwandten verloren haben, an dem ihre einzige Lebenshoffnung hing, nicht den erkältenden Einfluß ihres schwarzen Gewandes bitter empfunden hätten. Auch auf Käthchen hatte er schwer gelastet, und da sie ihn auch in dem gegenwärtigen Augenblick fühlte, so konnte sie ihre Tränen nicht zurückhalten.

»Ach, es tut mir außerordentlich leid, Sie durch meine Unbedachtsamkeit verletzt zu haben«, sagte die Putzmachermamsell. »Sie trauern um irgendeinen nahen Verwandten?«

»Um meinen Vater«, antwortete Kätchen weinend.

»Um wen, Mamsell Simmonds?« fragte Mamsell Knags mit vernehmlicher Stimme.

»Um ihren Vater«, entgegnete die andere leise.

»Ihren Vater – wie?« fuhr Mamsell Knag in demselben Tone fort. »Ah, wahrscheinlich eine lange Krankheit, Mamsell Simmonds.«

»Pst – bitte«, erwiderte das Mädchen; »ich weiß es nicht.«

»Unser Unglück überfiel uns sehr unverhofft«, sagte Käthchen sich abwendend, »sonst wäre ich vielleicht zu einer Zeit, wie diese, imstande, es besser zu ertragen.«

Das Arbeiterinnenpersonal war, der unabänderlichen Gewohnheit zufolge, wenn irgendeine neue ›junge Person‹ ins Geschäft trat, nicht wenig neugierig gewesen, das Wer, Was und Warum von Käthchen zu erfahren. Aber obgleich das Äußere und die Gemütserregung des jungen Mädchens diesen Wunsch nur vermehren konnte, so reichte doch die Überzeugung, daß es sie schmerzen würde, wenn man sie darnach fragte, zu, diesen zu unterdrücken, weshalb denn auch Mamsell Knag den Versuch, weitere Kundschaft einzuziehen, vorderhand als hoffnungslos aufgab und – obgleich ungern – ihre Gehilfinnen an die Arbeit gehen ließ.

Die Mädchen arbeiteten in stummer Emsigkeit bis halb zwei Uhr fort, um welche Zeit eine gebratene Hammelkeule mit Kartoffeln in der Küche aufgetragen wurde. Als die Mahlzeit vorüber war und sich die jungen Damen der weiteren Erholung des Händewaschens erfreut hatten, ging es wieder ans Geschäft, das schweigend fortgesetzt wurde, bis der Lärm von Wagen, die durch die Straßen rasselten, und laute Doppelschläge an den Türen das Zeichen gaben, daß das Tagewerk der beglückteren Mitglieder der menschlichen Gesellschaft seinen Anfang nehme.

Einer dieser Doppelschläge an Madame Mantalinis Tür verkündigte die Equipage irgendeiner großen Dame – oder besser, einer reichen, denn hin und wieder ist ein gar mächtiger Abstand zwischen Reichtum und Größe – die mit ihrer Tochter gekommen war, um einige Gesellschaftskostüme, die schon seit langer Zeit in Arbeit waren, anzuprobieren. Käthchen wurde beauftragt, nebst Mamsell Knag – natürlich unter dem Vortritt der Madame Mantalini – die Dame zu empfangen.

Käthchens Rolle bei diesem Prunkaufzug war bescheiden genug, da sich ihre ganze Obliegenheit darauf beschränkte, einige Modekostümstücke zu halten, bis Mamsell Knag bereit war, sie anzuprobieren, und hin und wieder eine Schleife zu knüpfen oder eine Hafte einzuhaken. Man hätte daher glauben sollen, daß diese untergeordnete Stellung sie der Anmaßung oder den Ausbrüchen übler Laune hätte entheben können. Zufälligerweise war aber die reiche Dame und ihre reiche Tochter an diesem Tage gar nicht guter Stimmung, und so fiel auch für das arme Mädchen ihr Anteil an Scheltworten ab. Sie war tölpisch – ihre Hände kalt – schmutzig – rauh; – kurz, sie konnte nichts recht machen. Man wunderte sich, wie Madame Mantalini solche Leute um sich dulden könne, verlangte, wenn man das nächste Mal wieder herkäme, ein anderes junges Frauenzimmer zu sehen usw.

Ein so alltägliches Ereignis würde kaum der Erwähnung wert sein, wenn wir seiner nicht um der Folgen willen, die es auf das arme Mädchen hervorbrachte, erwähnen müßten. Als die Damen fort waren, vergoß Käthchcn bittere Tränen und fühlte zum ersten Male das Demütigende ihrer Stellung. Ihr Mut war zwar allerdings schon bei der Aussicht auf Dienstbarkeit und schwere Arbeit sehr zusammengesunken. Aber sie hatte nichts Herabwürdigendes in dem Gedanken, um Brot zu arbeiten, gefühlt, bis sie sich dem Übermut und dem rohesten Stolz ausgesetzt sah. Eine philosophische Weltanschauung würde sie zwar gelehrt haben, daß das Erniedrigende eines solchen Benehmens auf seiten derer sei, die so tief gesunken waren, um ohne alle Ursache ihrer Leidenschaftlichkeit die Zügel schießen zu lassen. Sie war jedoch zu jung, um hierin einen Trost zu finden, und ihr Ehrgefühl fühlte sich gekränkt. Hat nicht vielleicht die Klage, daß gewöhnliche Leute gern über ihren Stand hinauswollen, oft ihren Grund nur in dem Umstand, daß nicht gewöhnliche Leute unter den ihrigen heruntersinken?

Unter solchen Auftritten und Beschäftigungen rückte die Feierabendstunde heran, und Käthchen enteilte, ermattet und entmutigt von den Vorgängen des Tages, dem engen Raum des Arbeitszimmers, um ihrer Mutter an der Straßenecke zu begegnen und nach Haus zu gehen – ein schmerzlicher Abendgang, denn sie mußte ihre wahren Empfindungen verbergen und sich stellen, als teile sie alle die glutvollen Träume ihrer Begleiterin.

»Ach du meine Güte, Käthchen«, sagte Frau Nickleby, »ich habe den ganzen Tag darüber nachgedacht, was es für eine köstliche Sache sein würde, wenn Madame Mantalini mit dir in Kompanie träte – und wie leicht wäre dies nicht möglich? Die Schwägerin eines Vetters deines armen lieben Vaters – ein Fräulein Browndock – trat in Kompanie mit einer Dame, die ein Erziehungsinstitut in Hammersmith hatte, und machte in ganz kurzer Zeit ihr Glück. Ich weiß nicht mehr so genau, ob diese Miß Browndock dieselbe war, die zehntausend Pfund in der Lotterie gewann; aber ich glaube beinahe so; nein, ich kann mich jetzt wieder ganz genau entsinnen – ich weiß ganz bestimmt, daß sie es war. ›Mantalini und Nickleby‹, wie gut das klingen würde! Und wenn Nicolaus nur ein wenig Glück hat, so kann er noch als Doktor Nickleby, Vorstand der Westminsterschule, mit dir in derselben Straße wohnen.«

»Der liebe Nicolaus!« rief Käthchen, indem sie den Brief ihres Bruders, den er zuletzt von Dotheboys Hall geschrieben hatte, aus dem Strickbeutel nahm. »Wie glücklich können wir sogar in all unserem Mißgeschick sein, Mama, da wir hören, daß es ihm gut geht, und aus seinem Brief entnehmen, daß er heiter ist. Ach, wie tröstet es mich bei allem, was über uns verhängt sein mag, wenn ich denke, daß er vergnügt und glücklich ist.«

Armes Käthchen, sie dachte wenig daran, wie schwach dieser Trost war und wie bald sie enttäuscht werden sollte.