Neuntes Kapitel.

Von Fräulein Squeers, Madame Squeers, dem jungen Squeers und Herrn Squeers. Auch von verschiedenen Dingen und Personen, die ebensosehr mit der Squeersschen Familie als mit Nicolaus Nickleby in Beziehung stehen.

Als Herr Sqneers abends die Schulstube verließ, begab er sich, wie schon oben bemerkt wurde, nach seinem Wohnzimmer – nicht in das, wo Nicolaus bei seiner Ankunft zu Nacht gespeist hatte, sondern in ein kleineres im Hintergebäude, wo seine huldreiche Ehewirtin, sein hoffnungsvoller Sohn und seine liebenswürdige Tochter sich des Glückes ihrer gegenseitigen Gesellschaft erfreuten. Frau Squeers war in der hausmütterlichen Beschäftigung des Strümpfestopfens begriffen, während das junge Fräulein und Herrlein irgendeine jugendliche Meinungsverschiedenheit mittels eines Faustkampfes über dem Tisch erörterten, der sich bei der Annäherung des ehrenwerten Herrn Papas in einen geräuschlosen Austausch von Fußtritten unter dem Tisch verwandelte.

Es mag hier wohl am Platz sein, den Leser davon in Kenntnis zu setzen, daß Fräulein Fanny Squeers in ihrem dreiundzwanzigsten Jahre stand. Wenn irgendeine besondere Anmut und Liebenswürdigkeit von dieser Lebensperiode unzertrennlich ist, so müssen wir annehmen, daß auch Fräulein Squeers im Besitze derselben war, da kein Grund zu der Annahme vorhanden ist, warum sie allein eine Ausnahme von der allgemeinen Regel hätte machen sollen. Sie war nicht so groß wie ihre Mutter, sondern ähnelte in dieser Beziehung eher ihrem Vater, hatte aber von der Mutter die rauhe Stimme, während vom Vater der merkwürdige Ausdruck des rechten Auges auf sie übergegangen war, das ganz das Aussehen hatte, als ob es blind wäre.

Fräulein Squeers war eben erst von einem mehrtägigen Besuch bei einer benachbarten Freundin unter das väterliche Dach zurückgekehrt. Dieser Tatsache mag es zuzuschreiben sein, daß sie noch nichts von dem neuen Hilfslehrer gehört hatte und erst dessen Anwesenheit erfuhr, als Herr Squeers selber auf ihn zu sprechen kam.

»Nun, mein Schatz«, sagte Squeers, seinen Stuhl an den Tisch rückend, »wie hat er dir bis jetzt gefallen?«

»Wer?« fragte Madame Squeers, die im Augenblick nicht auf den Gedankengang ihres Gemahls einzugehen wußte.

»Nun, der junge Mensch – der neue Lehrer – wen anders könnte ich meinen?«

»Ah, der Knittelbrei?« sagte Frau Squeers ungeduldig; »ich kann ihn nicht leiden.«

»Und warum denn nicht, meine Liebe?« fragte Squeers.

»Was kümmert’s dich?« versetzte Madame Squeers. »Ist’s nicht genug, wenn ich dir sage, daß ich ihn hasse?«

»Gerade genug für ihn, meine Liebe; und ich darf wohl sagen, vielleicht um ein gut Teil zuviel, wenn er es wüßte«, entgegnete Herr Squeers in einem begütigenden Tone. »Ich fragte indessen nur aus Kuriosität, mein Schatz.«

»Nun denn, wenn du es durchaus wissen willst, so kann ich’s dir wohl sagen«, erwiderte Frau Squeers – »weil er ein stolzer, hochmütiger, eingebildeter, hochnasiger Pfau ist.«

Wenn Frau Squeers aufgeregt war, pflegte sie sich einer sehr kräftigen Sprache zu bedienen und überdies eine Menge von Beiwörtern einzuflechten, von denen einige der Bildersprache angehörten, wie das Wort »Pfau« und die Anspielung auf Nicolaus‘ Nase, die nicht im buchstäblichen Sinne genommen werden konnte, sondern vielmehr, je nach dem Belieben des Zuhörers, eine gar weite Deutung zuließ. Auch nahm sie es nicht sonderlich genau damit, ob die Prädikate zusammenstimmten, wie man aus dem gegenwärtigen Fall ersehen kann, denn ein hochnasiger Pfau ist gewiß etwas Neues in der Naturgeschichte der Vögel und eine Rarität, die man nicht alle Tage zu sehen kriegt.

»Hm – er ist billig, mein Schatz«, wendete Squeers auf diesen Ausbruch milde ein; »der junge Mann ist sehr billig.«

»Warum auch nicht«, versetzte Madame Squeers.

»Fünf Pfund jährlich«, bedeutete der Schulmann.

»Ist das nicht teuer genug, wenn man ihn nicht braucht?« entgegnete sein Weib.

»Aber wir brauchen ihn«, erwiderte Squeers.

»Ich sehe nicht ein, warum du ihn mehr brauchen solltest, als den verstorbenen«, sagte Frau Squeers. »Schweige mir nur. Kannst du nicht auf die Karten und in die Ankündigungen setzen lassen, ›Erziehungs-Anstalt unter der Leitung des Herrn Wackford Squeers nebst tüchtigen Hilfslehrern‹, ohne daß man einen solchen unnützen Fresser einzustellen braucht? Kommt das nicht alle Tage bei andern Instituten vor? Nein, es ist nicht mehr mit dir auszuhalten.«

»So, – meinst du?« versetzte Squeers in strengem Ton. »Ich will dir was sagen, Frau! – Was das Lehrerhalten anbelangt, so werde ich mit deiner gütigen Erlaubnis meine eigenen Wege gehen. Einem Sklavenvogt in Amerika ist ein untergeordneter Gehilfe zugestanden, der darauf sehen muß, daß die Schwarzen nicht weglaufen oder eine Rebellion anfangen; und so will ich denn auch einen Menschen unter mir haben, der das gleiche bei unsern Schwarzen tut, bis einmal der kleine Wackford imstande ist, die Aufsicht in der Schule zu führen.«

»Darf ich, wenn ich herangewachsen bin, die Aufsicht in der Schule führen, Vater?« fragte Wackford der Jüngere, im Übermaß seines Entzückens einen boshaften Fußtritt unterlassend, den er seiner Schwester eben versetzen wollte.

»Ja, das sollst du, mein Sohn«, entgegnete Herr Squeers in einem sentimalen Ton.

»Ei der Tausend, da will ich’s den Jungen geben«, rief der vielversprechende Sprößling, nach seines Vaters Stock greifend. »Die sollen mir quieken, Vater.«

Welch ein stolzer Augenblick in Herrn Squeers Leben, Zeuge sein zu können von diesem Ausbruch eines edlen Enthusiasmus in der Seele seines Kindes, aus dem schon jetzt seine künftige Größe hervorleuchtete! Er drückte ihm einen Penny in die Hand und machte, vereint mit seiner musterhaften Gattin, seinen Gefühlen durch ein lautes, beifälliges Gelächter Luft. Die Harmonie der Gesinnungen brachte wieder Heiterkeit und Einigkeit in die Gesellschaft.

»Er ist ein garstiger, aufgeblasener Affe – ich kann ihn für nichts anderes betrachten«, sagte Frau Squeers, wieder auf Nicolaus zurückkommend.

»Nun, wenn er auch aufgeblasen ist«, versetzte Squeers, »kann er es in unserer Schulstube nicht so gut als irgendwo anders sein – zumalen es ihm in dieser nicht besonders zu behagen scheint?«

»Gut«, bemerkte Madame Squeers, »das läßt sich hören. Ich hoffe, es stimmt seinen Stolz herunter. Ich wenigstens will`s nicht daran fehlen lassen.«

Nun war ein stolzer Hilfslehrer in einer Yorkshirer Schule eine so außerordentliche Erscheinung – denn da überhaupt schon ein Hilfslehrer eine Seltenheit war, so mußte ein stolzer Hilfslehrer als ein Wesen erscheinen, von dessen Möglichkeit sich sogar die ausschweifendste Phantasie nichts hätte träumen lassen – daß Fräulein Squeers, die sich selten mit Schulangelegenheiten befaßte, mit großer Neugier fragte, wer denn dieser Knittelbrei wäre, der sich so hochmütig aufführe.

»Nickleby«, verbesserte Herr Squeers, indem er ihr den Namen vorbuchstabierte; »deine Mutter nennt immer die Dinge und Leute mit unrechten Namen.«

»Ach, das macht nichts!«, versetzte Frau Squeers: »ich sehe sie mit rechten Augen, und das ist alles, was ich brauche. Ich gab auf ihn acht, als du heute nachmittag dem kleinen Bolder seinen Teil gabst. Er sah die ganze Zeit über so düster aus wie eine Wetterwolke und fuhr sogar einmal auf, als ob er gute Lust hätte, über dich herzufallen. Ja, ich habs wohl gesehen, obgleich er es nicht bemerkte.«

»Lassen wir das jetzt, Vater«, sagte Fräulein Squeers, als das Haupt der Familie eben im Begriff war, eine Erwiderung zu geben. »Wer ist der Mensch?«

»Ei, dein Vater hat sich den Schnickschnack in den Kopf gesetzt, daß er der Sohn eines verarmten Mannes von Stande sei«, antwortete Frau Squeers.

»Der Sohn eines Mannes von Stande?«

»Ja, aber ich glaube kein Wort davon. Wenn er der Sohn eines Herrn ist, so ist er gewiß ein Findling, das ist meine Meinung.«

»Unsinn, nichts der Art«, entgegnete Squeers, »denn sein Vater war manches Jahr vor seiner Geburt mit seiner Mutter verheiratet, und diese ist noch am Leben. Wenn es aber auch der Fall wäre, so brauchte uns das wenig zu kümmern, denn wir machen uns dadurch, daß wir ihn aufgenommen haben, einen sehr guten Freund, und wenn es dem Musje gefällt, außer der Aufsicht, die ihm anheimfällt, die Knaben noch etwas zu lehren, so habe ich nichts dagegen einzuwenden.«

»Ich sage abermals, daß ich ihn ärger hasse als Gift«, fuhr Frau Squeers heftig auf.

»Wenn er dir nicht gefällt, mein Schatz«, erwiderte Squeers, »so kenne ich niemanden, der es ihn besser könnte fühlen lassen als du, und natürlich ist hier kein Grund vorhanden, warum du dir die Mühe geben solltest, deinen Haß zu verbergen.«

»Ich habe es auch nicht im Sinn, verlaß dich drauf«, erklärte Frau Squeers.

»Recht so«, versetzte Squeers; »und wenn etwas Stolz in ihm steckt, was mir selber auch so vorkommt, so gibt’s wohl in ganz England kaum eine Frau, die einen so schnell geschmeidig machen kann wie du, meine Liebe.«

Frau Squeers lachte herzlich über dieses schmeichelhafte Kompliment und sagte, sie meine, zu ihrer Zeit wohl schon den einen oder den andern hochfahrenden Geist heruntergestimmt zu haben.

Wir lassen übrigens ihrem Charakter nur Gerechtigkeit widerfahren, wenn wir sagen, daß sie in Vereinigung mit ihrem achtbaren Gemahl schon viele zermürbt hatte.

Fräulein Fanny Squeers hatte auf dieses und noch einiges andere, was über den Gegenstand gesprochen wurde, genau achtgegeben und stellte, als sie sich nach ihrem Schlafgemach zurückzog, bei der ausgehungerten Magd umständliche Nachforschungen über das Äußere und das Benehmen des Hilfslehrers an. Die Antworten des Mädchens lauteten so enthusiastisch und waren mit so vielen anpreisenden Bemerkungen begleitet, z.B. hinsichtlich seiner schönen, schwarzen Augen, seines süßen Lächelns und seiner geraden Beine (auf die sie einen besonderen Wert legte, da der Wuchs dieser Glieder in Dothebony Hall durchgängig krumm war), daß Fräulein Squeers bald zu der Folgerung kam, der neue Hilfslehrer müsse eine sehr merkwürdige Person oder, wie sie sich sehr bezeichnend ausdrückte, »nichts Gemeines« sein; und so faßte denn besagtes Fräulein den Entschluß, gleich am nächsten Tage Nicolaus persönlich zu beaugenscheinigen.

Um ihre Absicht durchzuführen, benutzte die junge Dame einen Zeitpunkt, wo ihre Mutter beschäftigt und ihr Vater abwesend war, und ging wie aus Zufall in die Schulstube, um sich eine Feder schneiden zu lassen, wo sie jedoch, da sie niemanden als Nicolaus die Knaben beaufsichtigen sah, hoch errötete und eine große Verwirrung zur Schau stellte.

»Ich bitte um Verzeihung«, stotterte Fräulein Squeers; »ich glaubte, mein Vater wäre – oder könnte – ach du lieber Himmel, wie ungeschickt!«

»Herr Squeers ist ausgegangen«, sagte Nicolaus, durch diesen Besuch keineswegs in Verlegenheit gesetzt, so unerwartet er auch war.

»Wird er wohl lange nicht wiederkommen, Sir?« fragte Fräulein Squeers mit einem verschämten Zögern.

»Er sprach von einer Stunde«, antwortete Nicolaus – natürlich höflich, aber ohne eine Spur davon, daß Fräulein Squeers‘ Reize sein Herz getroffen hätten.

»Noch nie ist mir etwas so Queres begegnet«, rief die junge Dame. »Ich danke Ihnen; es tut mir ungemein leid, eine Störung veranlaßt zu haben. Wenn ich nicht gedacht hätte, mein Vater wäre hier, so würde ich um keinen Preis – es ist recht ärgerlich – ich muß Ihnen recht sonderbar vorkommen«, flüsterte Fräulein Squeers, abermals errötend, indem sie ihre Blicke bald nach Nicolaus hinter seinem Pult, bald nach der Feder in ihrer Hand gleiten ließ.

»Wenn Sie nichts, als dieses wünschen«, sagte Nicolaus, indem er auf die Feder deutete, und unwillkürlich über die gezierte Verlegenheit der Schulmeisterstochter lächelte, »so kann ich vielleicht seine Stelle ersetzen.«

Fräulein Squeers blickte, wie im Zweifel, ob es auch schicklich sei, noch näher an einen landfremden Menschen heranzutreten, nach der Tür und dann in der Schulstube umher. Dann aber trat sie, durch die Gegenwart der vierzig Knaben einigermaßen ermutigt, auf Nicolaus zu und händigte ihm mit dem gewinnendsten Gemisch von Schüchternheit und Herablassung die Feder ein.

»Wünschen Sie sie hart, oder weich?« fragte Nicolaus und lächelte wieder, um nicht in ein lautes Lachen auszubrechen.

»Wie lieblich er lächelt«, dachte Fräulein Squeers.

»Wie sagten Sie?« fragte Nicolaus.

»Ach du mein Himmel, ich versichere Ihnen, ich dachte im Augenblick an etwas ganz anderes«, entgegnete Fräulein Squeers – »ach, so weich als möglich, wenn ich bitten darf.«

Fräulein Squeers seufzte bei diesen Worten, was vielleicht andeuten sollte, daß ihr Herz weich wäre und daß sie daher die Feder ebenso wünsche.

Nicolaus schnitt die Feder nach dieser Weisung. Als er sie jedoch Fräulein Squeers zurückgab, ließ Fräulein Squeers diese fallen, und als er sich bückte, um sie aufzuheben, bückte sich Fräulein Squeers gleichfalls, und beide stießen mit den Köpfen zusammen, worüber fünfundzwanzig kleine Knaben laut lachten, – entschieden das erste und einzige Mal in diesem halben Jahre.

»Wie ungeschickt von mir«, sagte Nicolaus, indem er der jungen Dame die Tür öffnete.

»Nicht doch, Sir«, versetzte Fräulein Squeers: »es war mein Fehler – nur mein törichtes – a – a –guten Morgen.«

»Ich empfehle mich«, entgegnete Nicolaus. »Wenn ich Ihnen wieder eine Feder schneide, so wird’s, hoffe ich, nicht so ungeschickt zugehen. Nehmen Sie sich in acht, Sie beißen ihr den Schnabel ab.«

»Wirklich!« erwiderte Fräulein Squeers. »Ich bin so verlegen, daß ich kaum weiß, was ich – tut mir recht leid, Ihnen so viele Mühe gemacht zu haben.«

»Durchaus keine Mühe«, versicherte Nicolaus, die Tür der Schulstube schließend.

»Ich habe in meinem ganzen Leben keine solchen Beine gesehen«, sagte Fräulein Squeers im Fortgehen.

Fräulein Squeers war in der Tat in Nickleby verliebt.

Um sich die Schnelligkeit, mit der diese junge Dame eine Leidenschaft für Nicolaus faßte, erklären zu können, müssen wir anführen, daß die Freundin, bei der sie kürzlich auf Besuch gewesen, eine Müllerstochter von ungefähr achtzehn Jahren war, die sich mit dem Sohn eines kleinen Kornhändlers auf dem nächsten Marktorte verlobt hatte. Fräulein Squeers und die Müllerstochter waren vertraute Freundinnen und waren der unter jungen Frauenzimmern üblichen Gewohnheit zufolge einige Jahre früher darin übereingekommen, daß jede, wenn sie im Sinn hätte, sich zu verloben, das wichtige Geheimnis geradeswegs, ehe sie es noch irgendeiner andern lebenden Seele anvertraut hätte, in dem Busen der Freundin niederlegen und diese ohne Zeitverlust als Brautjungfer anwerben solle. Diesem Versprechen getreu war die Müllerstochter gleich nach dem Abschluß ihrer Verlobung herausgekommen und nachts um elf Uhr – denn der Sohn des Kornhändlers hatte ihr erst vierzig Minuten vor elf Uhr (nach der Schwarzwälder Uhr in der Küche) Hand und Herz angeboten – in Fräulein Squeers Schlafzimmer geeilt, um ihr diese erfreuliche Kunde mitzuteilen. Da nun aber Fräulein Squeers um fünf Jahre älter und über die Zehner hinaus war – ein nicht unwichtiger Umstand –, so hatte sie seitdem sehnlicher als je gewünscht, dieses Vertrauen erwidern und ihre Freundin in ein ähnliches Geheimnis einweihen zu können. Aber sei es, daß es schwer hielt, ihr zu gefallen, oder vielleicht noch schwerer, daß sie jemandem gefiel, – es wollte sich ihr keine Gelegenheit geben, Geheimnisse mitzuteilen. Sobald jedoch die eben beschriebene kleine Zusammenkunft mit Nicolaus stattgefunden hatte, setzte Fräulein Squeers ihren Hut auf, lief in größter Eile zu ihrer Freundin und enthüllte ihr nach einer feierlichen Wiederholung der früheren Verschwiegenheitsgelübde, daß sie – zwar noch nicht wirklich verlobt, aber doch im Begriff sei, sich mit dem Sohne eines Mannes von Stande zu versprechen – nicht mit einem von diesen Kleinhändlern, sondern mit dem Sohne eines Mannes von guter Herkunft, der unter höchst geheimnisvollen und merkwürdigen Umständen als Lehrer nach Dotheboys Hall heruntergekommen sei. Er sei in der Tat nur (wie Fräulein Squeers mehr als einmal aus guten Gründen glauben zu dürfen versicherte) durch den Ruf ihrer Reize angelockt worden, um ihre Bekanntschaft zu machen und um sie zu freien.

»Ist das nicht etwas ganz Außerordentliches?« schloß Fräulein Squeers ihren Bericht, indem sie das letztere Wort besonders nachdrücklich betonte.

»Allerdings, sehr außerordentlich«, versetzte die Freundin; »aber was hat er denn zu dir gesagt?«

»Frage mich nicht, was er zu mir gesagt hat, meine Liebe«, entgegnete Fräulein Squeers. »Wenn du nur seine Blicke und sein Lächeln gesehen hättest! Ich war in meinem Leben nie so verblüfft.«

»Sah er dich etwa so an?« fragte die Müllerstochter, so gut wie möglich einen Liebesblick ihres Kornhändlers nachahmend.

»So etwa, nur viel vornehmer«, erwiderte Fräulein Squeers.

»Ah«, erklärte die Freundin, »dann will er etwas damit sagen, verlaß dich drauf.«

Fräulein Squeers, die noch einiged Bedenken bei der Sache hatte, ließ sich nicht ungern durch eine kompetente Autorität belehren; und als sich im Verlauf der Unterhaltung, in der die charakteristischen Liebesmerkmale zur Sprache kamen, in vielen Punkten Ähnlichkeit zwischen dem Benehmen des Hilfslehrers und des Kornhändlers herausstellte, so wurde sie außerordentlich zutraulich. Sie erzählte ihrer Feundin daher eine Menge Dinge, die Nicolaus nicht gesagt hatte, und die so ungemein schmeichelhaft waren, daß sie auch nicht dem mindesten Zweifel mehr Raum gaben. Sie sprach dann von ihrem harten Geschick, Eltern zu haben, die ihrem künftigen Gatten entschieden abgeneigt wären, über welchen traurigen Umstand sie sich um so mehr der Länge und Breite nach ausließ, als die Eltern ihrer Freundin mit der Verlobung ihrer Tochter vollkommen zufrieden gewesen waren und daher die ganze Freierei einen so flachen und gewöhnlichen Verlauf genommen hatte, wie man sich nur einen denken konnte.

»Ich möchte ihn doch auch sehen«, rief die Freundin.

»Das sollst du, Thilda«, entgegnete Fräulein Squeers. »Ich müßte mich für das undankbarste Geschöpf auf Erden halten, wenn ich dir’s abschlüge. Ich glaube, meine Mutter verreist nächstens auf ein paar Tage, um einige Knaben zu holen. Wenn das geschieht, so werde ich dich und deinen Johann zum Tee bitten. Bei dieser Gelegenheit könnt ihr ihn kennenlernen.«

Dies war ein herrlicher Gedanke, und nachdem man ihn gehörig besprochen hatte, trennten sich die Freundinnen.

Es traf sich, daß die Reise, die Madame Squeers antreten sollte, um drei neue Zöglinge zu holen und die Verwandten zweier alten zur Begleichung einer kleinen Rechnung zu pressen, noch an demselben Nachmittag auf übermorgen festgesetzt wurde. Frau Squeers bestieg zu der bestimmten Zeit einen Außensitz der Postkutsche, als diese zu Greta Bridge des Pferdewechsels wegen halt machte. Sie nahm ein kleines Bündel mit, das eine Flasche Likör nebst einigen Brot- und Fleischschnitten enthielt, versah sich mit einem großen, weiten Mantel, um sich des Nachts darein zu hüllen, und trat mit diesem Gepäck ihre Reise an.

Bei derartigen Gelegenheiten pflegte Herr Squeers unter dem Vorwand eines dringenden Geschäftes jeden Abend nach dem Marktorte zu fahren, wo er dann jedesmal bis zehn oder elf Uhr in einem von ihm sehr geschätzten Wirtshaus verweilte. Da ihm daher das Teekränzchen nicht im Wege war, sondern eher dazu diente, mit Fräulein Squeers ein Abfinden zu treffen, so gab er ohne Anstand seine Einwilligung und hatte auch nichts dagegen, in eigener Person Nicolaus die Mitteilung zu machen, daß er abends um fünf Uhr im Wohnzimmer zum Tee erwartet würde.

Man kann sich denken, daß Fräulein Squeers, als die Zeit herannahte, in keiner kleinen Verwirrung war, jedenfalls aber Vorsorge getroffen hatte, sich aufs vorteilhafteste herauszuputzen. Ihr Haar, das bedeutend ins Rote stach und wie ein Tituskopf geschoren war, fiel von dem Scheitel in fünf korkzieherartigen Lockenreihen herunter und verhüllte gar kunstreich die Mängel des zweifelhaften Auges. Nichts zu sagen von dem blauen Leibgürtel, dessen Enden über den Rücken hinunterhingen, oder der gestrickten Schürze, den langen Handschuhen, der grünen, über die Schulter geworfenen und unter dem andern Arme geknüpften Schleierschärpe oder den übrigen zahlreichen Toilettenkniffen, die man als ebenso viele für Nicolaus‘ Herz bestimmte Pfeile betrachten konnte.

Diese Vorkehrungen waren kaum zu ihrer vollen Zufriedenheit beendigt, als ihre Freundin mit einem weiß und braun gewürfelten Päckchen anlangte, das einige kleine Putzartikel enthielt, die man erst hier anziehen wollte, was denn auch die Müllerstochter unter unablässigem Geplauder tat. Als Fräulein Squeers ihrer Freundin das Haar »gemacht« hatte, machte die Freundin Fräulein Squeers das Haar, wobei sie zugleich einige augenfällige Verschönerungen anbrachte, z.B. eine Lockenpartie über den Nacken hinunterfallen ließ usw. Als nun beide zu ihrer vollkommenen Zufriedenheit herausgeputzt waren, zogen sie ihre langen Handschuhe an und gingen in vollem Staat die Treppe hinunter nach dem Zimmer, wo alles für den Empfang der Gesellschaft bereit war.

»Wo ist dein Johann, Thilda?« fragte Fräulein Squeers.

»Nur nach Hause gegangen, um sich umzukleiden«, versetzte die Freundin; »er wird aber hier sein, noch ehe der Tee fertig ist.«

»Wie mir das Herz pocht«, sagte Fräulein Squeers.

»Ach, ich kenne das«, entgegnete die Freundin.

»Du weißt, Thilda, ich bin so etwas nicht gewöhnt«, sagte Fräulein Squeers, die Hand an die linke Seite ihres Leibgürtels legend.

»Ei, das gibt sich bald, meine Liebe«, tröstete die Freundin.

Während sie sich in dieser Weise unterhielten, brachte das ausgehungerte Dienstmädchen das Teegeschirr herein, und bald nachher klopfte jemand an der Türe.

»Er ist’s!« rief Fräulein Squeers. »O Thilda!«

»Pst!« sagte Thilda. »Hm! sage doch herein!«

»Herein!« rief Fräulein Squeers mit schwacher Stimme.

»Guten Abend«, sagte der junge Mann, ohne von seiner Eroberung auch nur eine Ahnung zu haben. »Ich hörte von Herrn Squeers, daß – –«

»O ja, es ist ganz recht«, fiel Fräulein Squeers ein. »Der Vater trinkt den Tee nicht mit uns, aber ich denke. Sie werden ihn nicht sehr vermissen –« sie sagte das mit einem schalkhaften Blick.

Nicolaus machte große Augen, ließ aber, da er sich gerade um nichts besonders kümmerte, die Sache beruhen und benahm sich, als er der Müllerstochter vorgestellt wurde, mit so viel Anmut, daß diese junge Dame von Bewunderung ganz hingerissen wurde.

»Wir warten nur noch auf einen weiteren Herrn«, sagte Fräulein Squeers, indem sie den Deckel des Teekessels abnahm und hineinsah, um zu prüfen, ob der Tee koche.

Es war Nicolaus ziemlich gleichgültig, ob man auf einen Herrn oder auf zwanzig warte, und so nahm er denn diese Kunde vollkommen unbekümmert hin. Sein Geist war gedrückt, und da er keinen besondern Grund einsah, warum er sich angenehm machen sollte, so blickte er durch das Fenster und seufzte unwillkürlich.

Der Zufall fügte es, daß Fräulein Squeers‘ Freundin, die ein neckisches Mädchen war, Nicolaus seufzen hörte, und so setzte sie sich’s in den Kopf, das Liebespärchen mit seiner Niedergeschlagenheit zu necken.

»Wenn nur meine Anwesenheit daran schuld ist«, sagte die junge Dame, »so dürft ihr euch nicht daran kehren, denn ich bin in demselben Spital krank. Ihr könnt ganz tun, als ob ihr allein wäret.«

»Thilda«, sagte Fräulein Squeers, bis zu ihrer obersten Lockenreihe errötend – »ich muß mich deiner schämen.«

Die beiden Freundinnen brachen nun in ein wiederholtes Kichern aus und schossen hin und wieder über ihren Taschentüchern weg Blicke nach Nicolaus, der aus der Befangenheit des höchsten Staunens allmählich in ein unwiderstehliches Gelächter überging, das teils schon durch den Gedanken, daß er in Fräulein Squeers verliebt sein sollte, teils aber auch durch das alberne Aussehen und Benehmen der zwei Mädchen veranlaßt wurde. Diese beiden Umstände zusammengenommen deuchten ihm so drastisch komisch, daß er ungeachtet seiner armseligen Lage lachte, bis er nicht mehr konnte.

»Je nun«, dachte Nicolaus, »da ich einmal hier bin und man aus einem oder dem andern Grunde von mir zu erwarten scheint, daß ich zu der Erheiterung der Gesellschaft beitrage, so wäre es sehr unpassend, wie ein Pinsel dazustehen. Ich will mich daher der Gesellschaft anpassen.«

Wir müssen mit Erröten gestehen, daß sein Jugendmut und seine Lebhaftigkeit für eine Weile den Sieg über seine trübseligen Gedanken davontrugen. Sobald er zu einem Entschluß gekommen war, trat er mit großer Galanterie auf Fräulein Squeers und ihre Freundin zu, rückte einen Stuhl an den Teetisch und begann sich mit einem Freimut zu bewegen, wie wohl kaum je ein Hilfslehrer in dem Hause seines Prinzipals getan hat, seit das Institut der Hilfslehrer erfunden ist.

Die Damen waren höchlich entzückt über Herrn Nicklebys verändertes Benehmen, als endlich der erwartete junge Mann anlangte. Seine Haare waren noch naß, da er sich eben erst gewaschen hatte. Ein reines Hemd, dessen Kragen irgendeinem riesigen Altvordern angehört zu haben schien, bildete, nebst einer weißen Weste von ähnlichem Umfang, die Hauptzierde seiner Person.

»Nun, Johann?« sagte Fräulein Mathilda Price, denn dies war der volle Name der Müllerstochter.

»Nun?« erwiderte Johann mit einem Grinsen, das selbst der Kragen nicht verbergen konnte.

»Ich bitte um Verzeihung«, fiel Fräulein Squeers ein, indem sie sich beeilte, die beiden sich gegenseitig vorzustellen: »Herr Nickleby – Herr Johann Browdie.«

»Angenehm, Sir«, sagte Johann, der über sechs Fuß hoch war und ein Gesicht nebst einem Rumpf besaß, deren Verhältnisse eher für zu groß als für zu klein betrachtet werden konnten.

»Freue mich Ihrer Bekanntschaft, Sir«, sagte Nicolaus, indem er unter den Butterschnitten fürchterliche Verheerungen anrichtete.

Herr Browdie war kein Mann von besonders geselligen Talenten; er grinste daher noch zweimal, und da er nun jeder Person der Gesellschaft seinen gewohnten Aufmerksamkeitsbeweis abgestattet hatte, grinste er zum drittenmal, ohne einen besondern Grund, und langte gleichfalls zu.

»Ist die Alte fort?« fragte Herr Browdie mit vollen Backen.

Fräulein Squeers nickte bejahend.

Herr Browdie verzog den Mund zu einem noch liebenswürdigeren Grinsen, als sei er der Ansicht, daß wirklicher Grund zum Lachen vorhanden wäre, und fing dann wieder an, die Butterbrote mit erneuter Kraft zu bearbeiten. Es war wirklich sehenswert, wie er und Nicolaus aufräumten.

»Ich denke, Sie bekommen auch nicht alle Abend Butterschnitten«, sagte Herr Browdie, nachdem er Nicolaus eine Weile über den leeren Teller weg angestiert hatte.

Nicolaus biß sich errötend in die Lippen und tat, als ob er diese Bemerkung nicht gehört hätte.

»Zum Kuckuck«, sagte Herr Browdie mit einem lauten Lachen, »sie pflegen einem hier nicht allzuviel aufzutischen. Sie werden bald nichts mehr als Haut und Knochen an sich haben, wenn Sie lange genug hier bleiben, hihi!«

»Sie sind sehr spaßhaft, Sir«, erwiderte Nicolaus verächtlich.

»Na, das wüßt´ ich nicht«, versetzte Herr Browdie, »aber der andere Lehrer – zum Kuckuck! – der war so dünn wie ein Zwirnfaden!«

Die Erinnerung an die Schmächtigkeit des letzten Lehrers schien Herrn Browdie in das größte Entzücken zu versetzen; denn er lachte, bis er es für nötig fand, sich mit den Rockärmeln die Augen auszuwischen.

»Ich weiß nicht, ob Ihr Begriffsvermögen so weit geht, um Sie einsehen zu lassen, daß Ihre Bemerkungen sehr beleidigend sind, Herr Browdie«, sagte Nicolaus in steigendem Zorne. »Wenn das aber der Fall ist, so haben Sie die Güte, mir zu – – «

»Wenn du noch ein Wort sagst, Johann«, schrie Fräulein Price, indem sie ihrem Verehrer den Mund zuhielt, »nur noch ein halbes Wort, so werde ich es dir nie vergeben und nie wieder mit dir sprechen.«

»Ei mein Schatz, was kümmere ich mich um ihn?« sagte der Kornhändler, Fräulein Mathilda einen herzhaften Kuß versetzend; »meinetwegen mag er schwatzen, so viel er will.«

Fräulein Squeers hatte jetzt Nicolaus zur Ruhe zu bringen, was sie denn auch unter vielen Anzeichen von Angst und Schrecken tat. Die Wirkung dieser doppelten Vermittlung war, daß der Hilfslehrer und Johann Browdie sich mit vieler Würde über dem Tische die Hände schüttelten – eine ergreifende Szene, bei der Fräulein Squeers vor Rührung Tränen vergoß.

»Was hast du denn, Fanny?« fragte Fräulein Price.

»Nichts, Thilda«, entgegnete Fräulein Squeers schluchzend.

»Sie hatten ja nie im Sinne, sich etwas zuleide zu tun«, meinte Fräulein Price, »nicht wahr, Herr Nickleby?«

»Nicht im geringsten«, versetzte Nicolaus. »Das wäre recht abgeschmackt gewesen.«

»So ist´s recht«, flüsterte Fräulein Price. »Sagen Sie ihr etwas Freundliches, so werden Sie sie bald wieder herumbringen. Sollen Johann und ich ein wenig in die Küche gehen und nach einer Weile wieder kommen?«

»Um alles in der Welt nicht«, entgegnete Nicolas«, nicht wenig durch diesen Vorschlag in Schrecken gesetzt. »Ich kann mir keinen Grund denken, warum ich es wünschen sollte.«

»Nun«, sagte Fräulein Price, ihn auf die Seite winkend, indem sie in einem etwas verächtlichen Tone fortfuhr, »Sie sind mir ein sauberer Anbeter.«

»Was wollen Sie damit sagen?« erwiderte Nicolaus. »Es fällt mir nicht ein, hier einen Anbeter spielen zu wollen. Ich weiß nicht, was ich aus all diesem machen soll?«

»Nicht? Nun, so weiß ich´s auch nicht«, versetzte Fräulein Price: »aber die Männer sind immer wankelmütig, sind es von jeher gewesen und werden es stets sein; das wenigstens läßt sich sehr leicht aus dem Ganzen ersehen.«

»Wankelmütig?« rief Nicolaus. »Wie kommen Sie zu dieser Anschuldigung? Sie wollen mir doch nicht andeuten, daß Sie der Meinung sind– –«

»O, nein, ich habe hier gar keine Meinung«, entgegnete Fräulein Price schnippisch. »Sehen Sie sie an, wie hübsch sie gekleidet ist, und wie gut sie aussieht – in der Tat, fast schön. Ich würde mich an Ihrer Stelle schämen.«

»Aber mein liebes Kind, was habe ich mit ihrem hübschen Anzug und mit ihrem guten Aussehen zu schaffen?« fragte Nicolaus.

»Sie brauchen mich nicht ›mein liebes Kind‹ zu nennen«, sagte Fräulein Price, konnte aber dabei ein leichtes Lächeln nicht unterdrücken, denn sie war hübsch und nach ihrer Weise ein wenig gefallsüchtig, Nicolaus ein schöner Mann und nach ihrer Ansicht das Eigentum einer andern – lauter Gründe, die ihr den Gedanken schmeichelhaft erscheinen lassen konnten, selbst einen Eindruck auf ihn gemacht zu haben; – »denn Fanny könnte glauben, daß ich am Ganzen schuld wäre. Kommen Sie, wir wollen ein bißchen miteinander Karten spielen.«

Mit den letzteren Worten, die sie laut sprach, trippelte sie hinweg und schloß sich dem stämmigen Yorkshirer an.

Dieses Benehmen war Nicolaus ein vollkommenes Rätsel, denn alles, was er im gegenwärtigen Augenblick dachte, beschränkte sich darauf, daß Fräulein Squeers ein ganz gewöhnlich aussehendes, und ihre Freundin, Fräulein Price, ein recht hübsches Mädchen wäre. Aber er hatte keine Zeit, über die Sache weiter nachzudenken; denn der Tisch war inzwischen abgewischt und das Licht geschneuzt worden, und so setzten sie sich zu einer Partie Karten nieder.

»Wir sind nur zu vier, Thilda«, sagte Fräulein Squeers mit einem schlauen Blick auf Nicolaus; »wir werden daher guttun, wenn wir zwei gegen zwei spielen und uns Kompagnons wählen.«

»Was meinen Sie, Herr Nickleby?« fragte Fräulein Price.

»Mit dem größten Vergnügen«, antwortete Nicolaus.

Mit diesen Worten warf er, ohne zu ahnen, was er für einen entsetzlichen Verstoß beging, seine Spielmarken, die aus Dotheboys Hall-Ankündigungskarten bestanden, mit denen, die Fräulein Price zugeteilt waren, zusammen.

»Herr Browdie«, sagte Fräulein Squeers mit einem krampfhaften Lachen, »wollen wir Bank gegen sie machen?«

Der Yorkshirer, augenscheinlich aufs äußerste verblüfft über die Unverschämtheit des neuen Hilfslehrers, willigte ein, und Fräulein Squeers schoß mit konvulsivischem Lächeln einen Giftblick nach ihrer Freundin.

Das Ausgeben kam an Nicolaus, dem gleich anfangs günstige Karten zufielen.

»Wir wollen alles gewinnen«, sagte er.

»Thilda hat schon etwas gewonnen, was sie vermutlich nicht erwartete – gelt Schätzchen?« versetzte Fräulein Squeers boshaft.

»Nur zwanzig Punkte, meine Liebe«, versetzte Fräulein Price, sich anstellend, als hätte sie die Frage im buchstäblichen Sinne verstanden.

»Wie stumpf es auch heute abend in deinem Kopfe aussieht!« höhnte Fräulein Squeers.

»O, im Gegenteil«, entgegnete Fräulein Price; »ich bin sehr aufgeweckt, aber mir scheint, du seist nicht bei Laune.«

»Ich?« rief Fräulein Squeers, sich in die Lippen beißend und vor Eifersucht zitternd: »nicht doch!«

»Das ist schön«, bemerkte Fräulein Price. »Aber dein Haar kommt aus den Locken, meine Teure.«

»Kümmere dich nicht um mich«, kicherte Fräulein Squeers; »du tätest besser, auf deinen Kompagnon zu achten.«

»Ich bin Ihnen für diese Erinnerung verbunden, denn ich bin ganz Ihrer Ansicht, Fräulein Squeers«, sagte Nicolaus.

Der Yorkshirer glättete sich ein paarmal mit der geballten Faust die Nase, als wolle er seine Hand in Übung erhalten, bis er Gelegenheit hätte, sie gegen das Gesicht eines andern in Tätigkeit zu setzen; und Fräulein Squeers warf ihren Kopf mit einer solchen Entrüstung in die Höhe, daß der durch die Bewegung der unzähligen Locken erzeugte Windstoß beinahe das Licht ausgelöscht hätte.

»Ich habe in der Tat nie so viel Glück gehabt«, rief die gefallsüchtige Müllerstochter nach einigen weiteren Spielen. »Gewiß, das muß ich Ihnen zuschreiben, Herr Nickleby. Ich möchte Sie nur immer zum Kompagnon haben.«

»Ihre Wünsche begegnen hier den meinigen.«

»Aber Sie werden ein böses Weib bekommen, wenn Sie immer im Kartenspiel gewinnen«, sagte Fräulein Price.

»Nicht, wenn Ihr Wunsch in Erfüllung geht«, erwiderte Nicolaus; »denn ich bin überzeugt, daß ich dann ein recht gutes haben würde.«

Es wäre wohl Goldes wert gewesen, mit anzusehen, wie Fräulein Squeers während dieser Unterhaltung den Kopf in die Höhe warf und der Kornhändler seine Nase zerdrückte, während es Fräulein Price augenscheinlich Spaß machte, beide eifersüchtig zu machen, und Nicolaus Nickleby in glücklicher Unwissenheit nicht entfernt daran dachte, daß er soviel Mißbehagen errege.

»Die Unterhaltung bleibt, wie es scheint, uns ganz überlassen«, sagte Nicolaus, sich in heiterer Laune an dem Tische umsehend, indem er zugleich die Karten ergriff, um aufs neue zu geben.

»Sie führen sie auch so gut«, kicherte Fräulein Squeers, »daß es schade wäre, sie zu unterbrechen, – nicht wahr, Herr Browdie? He! he! he!«

»Je nun«, entgegnete Nicolaus, »es geschieht, weil niemand anders das Wort nehmen will.«

»Ihr wißt wohl, daß wir gerne mit euch sprechen, wenn ihr nur etwas sagen wollt«, fügte Miß Price bei.

»Ich danke dir, meine liebe Thilda«, erwiderte Fräulein Squeers, sich in die Brust werfend.

»Oder ihr könnt euch miteinander unterhalten, wenn ihr nicht mit uns sprechen wollt«, sagte Fräulein Price, ihren Verlobten neckend. »Johann, warum bist du denn so stumm?«

»Stumm?« wiederholte der Yorkshirer.

»Ja, ja, stumm und dämlich. Sprich doch nur auch etwas!«

»Wohlan denn«, rief der Kornhändler, indem er aus Leibeskräften mit der Faust auf den Tisch schlug: »was ich sprechen will, ist dies – der Teufel soll mich lotweise holen, wenn ich das länger mit ansehen kann. Du gehst mit mir nach Hause, und dieser luftige Hasenfuß da mag sich auf einen zerbrochenen Schädel gefaßt machen, sobald er mir unter die Hände kommt.«

»Um Gotteswillen, was soll das?« rief Fräulein Price mit verstelltem Erstaunen.

»Komm mit heim, sag‘ ich dir – komm mit heim«, entgegnete der Yorkshirer mit Nachdruck.

Fräulein Squeers brach inzwischen in einen Strom von Tränen aus, der zum Teil seinen Grund in der tödlichen Kränkung, zum Teil auch in dem ohnmächtigen Wunsch hatte, irgend jemandem das Gesicht mit ihren liebenswürdigen Fingernägeln zu zerkratzen.

Dieser Stand der Dinge war durch verschiedene Anlässe und Triebfedern herbeigeführt worden. Fräulein Squeers hatte dazu beigetragen, weil sie sich der hohen Ehre einer Anwartschaft auf den Brautstand rühmte, ohne hinreichende Gründe dafür zu haben; Fräulein Price war durch drei Trümpfe, die sie ausspielte, beteiligt: einmal wollte sie ihre Freundin für die Anmaßung, mit ihr hinsichtlich eines Titels, auf den sie kein Recht hatte, zu rivalisieren, bestrafen. Zweitens wollte sie dem Kornhändler einen augenfälligen Beweis liefern, welche große Gefahr für ihn aus einer längern Verzögerung der Trauungszeremonien erwachsen könnte; während das Scherflein des armen Nicolaus in der gedankenlosen Heiterkeit einer halben Stunde und in dem aufrichtigen Wunsch bestand, jede Vermutung eines zwischen ihm und Fräulein Squeers bestehenden Liebesverhältnisses zurückzuweisen. Unter solchen Umständen ließ sich natürlich kein anderer Ausgang erwarten; denn junge Frauenzimmer sehnen sich nach der Haube, suchen sich in dem Wettrennen nach dem Traualtar gegenseitig den Rang abzulaufen, benutzen alle Gelegenheiten, ihre Reize auf die vorteilhafteste Weise zu entfalten – und werden es tun bis ans Ende der Welt, wie sie es von Anbeginn an getan haben.

»Ei, und da schwimmt Fanny jetzt in Tränen!« rief Fräulein Price, als setze sie dieses in ein neues Staunen. »Was soll denn das heißen?«

»O, Sie wissen es nicht, Jungfer – natürlich. Sie können es nicht wissen. Ich bitte, bemühen Sie sich nicht mit Fragen«, versetzte Fräulein Squeers mit einem Gesicht, das man bei Kindern ›eine Fratze schneiden‹ nennt.

»Nun, so etwas ist mir doch noch nie –« rief Fräulein Price.

»Wer kümmert sich darum, ob Ihnen etwas vorgekommen ist, oder nicht, Mamsell«, entgegnete Fräulein Squeers mit einer neuen Gesichtsverzerrung.

»Sie sind zu höflich, Mamsell«, erwiderte Fräulein Price.

»Ich werde nicht zu Ihnen kommen, um mir von Ihnen Unterricht in der Höflichkeit erteilen zu lassen, Mamsell«, belferte Fräulein Squeers.

»O, Sie brauchen sich keine solche Mühe zu nehmen, da doch nur Hopfen und Malz verloren wäre«, entgegnete Fräulein Price.

Fräulein Squeers errötete bis über die Ohrcn und dankte Gott, daß sie keine so freche Stirn wie gewisse Leute habe; und Fräulein Price in Erwiderung wünschte sich Glück, daß sie nicht wie gewisse Personen von dem Teufel des Neides und der Mißgunst besessen sei. Fräulein Squeers machte noch eine allgemeine Bemerkung hinsichtlich der Gefahr, die man laufe, wenn man sich mit gewöhnlichen Leuten einlasse, worauf Fräulein Price vollkommen beipflichtete, indem sie bemerkte, dies wäre vollkommen wahr und sie hätte sich selbst schon längst ähnliche Gedanken gemacht.

»Thilda«, rief Fräulein Squeers mit Würde, »ich hasse dich!«

»Ach, und ich versicherer dich, daß ich meine Liebe auch nicht an dich zu verschwenden gedenke«, erwiderte Fräulein Price, ihre Hutbänder mit einem zornigen Ruck zuzerrend. »Aber ich weiß bestimmt, du wirst dir die Augen ausweinen, wenn ich weg bin.«

»Ich verachte deine Worte, du Hexe.«

»Ihr Mund ist nicht imstande, zu beschimpfen«, antwortete die Müllerstochter mit einem tiefen Bückling. »Gute Nacht, Fräulein – süße Träume.«

Mit diesem Abschiedswunsche rauschte Fräulein Mathilda Price aus dem Zimmer, während ihr der stämmige Yorkshirer folgte, nachdem er noch vorher, ehe er das Haus verließ, mit Nicolaus jenen eigentümlichen, ausdrucksvollen Zornblick gewechselt hatte, womit die eisenfresserischen Helden im Trauerspiel sich gegenseitig anzudeuten pflegen, daß sie sich wiederzutreffen gedächten.

Sie waren kaum fort, als Fräulein Squeers die Voraussagung ihrer ehemaligen Freundin bewahrheitete, indem sie einem ganzen Strom von Tränen Luft machte und in unzusammenhängenden Worten ihre trostlosen Klagen laut werden ließ. Nicolaus sah ihr einige Augenblicke zu, unschlüssig, welchen Weg er einschlagen sollte. Da er aber halb voraussah, der Anfall würde damit endigen, daß er sich einer Umarmung oder einer Gesichtszerkratzung unterziehen müsse – Bußen, die er beide für gleich angenehm erachtete –, so ging er in größter Ruhe von hinnen, während Fräulein Squeers fort und fort in ihr Taschentuch schluchzte.

»Das ist nun die Folge meiner verwünschten Bereitwilligkeit, mich jeder Gesellschaft, in die mich der Zufall führt, anzupassen«, dachte Nicolaus, als er sich nach dem finstern Schlafsaal hingetappt hatte. »Wäre, ich stumm und regungslos sitzen geblieben, wie ich wohl hätte tun können, so würde das nicht vorgefallen sein.«

Er horchte einige Augenblicke, aber alles blieb ruhig.

»Ich freute mich«, sagte er vor sich hin, »dem Anblick dieser Jammerhöhle und ihres verworfenen Herrn einen Augenblick entkommen zu sein. Jetzt habe ich diese Leute hintereinander gehetzt und mir zwei neue Feinde gemacht, wo ich doch, weiß der Himmel, keines weitern bedurfte. Nun, es ist eine gerechte Strafe dafür, daß ich, wenn auch nur auf eine Stunde, vergaß, wo ich bin.«

Mit diesen Worten suchte er sich tastend seinen Weg durch die gedrängten Haufen der armen kleinen Schläfer und schlüpfte in sein elendes Bett.