Einundzwanzigstes Kapitel.

Madame Mantalini gerät in eine schwierige Stellung, worüber Fräulein Nickleby die ihre ganz und gar verliert.

Der überstandene Gemütssturm machte es Käthchen Nickleby drei Tage lang unmöglich, ihre Geschäfte in dem Hause der Putzmacherin wieder aufzunehmen, und am vierten verfügte sie sich wieder zur gewohnten Stunde mit widerstrebenden Schritten nach dem Tempel der Mode, wo Madame Mantalini eine unumschränkte Herrschaft übte.

Mamsell Knags feindselige Gesinnung hatte in der Zwischenzeit nichts von ihrem Gift verloren; denn die jungen Damen vermieden gewissenhaft jede Gemeinschaft mit ihrer so schwer beschuldigten Mitarbeiterin. Als die musterhafte alte Jungfer einige Minuten nachher anlangte, gab sie sich keine Mühe, das Mißvergnügen zu verhehlen, womit sie Käthchens Wiederkehr betrachtete.

»In der Tat«, sagte Mamsell Knag, als sich die Trabanten um sie scharten, um ihr den Hut und das Halstuch abzunehmen, »ich hätte gedacht, gewisse Leute hätten Verstand genug, um überhaupt wegzubleiben, wenn sie wissen, wie sehr ihre Gegenwart rechtlich gesinnten Personen zur Last fällt. Aber es ist eine seltsame Welt; oh, es ist eine seltsame Welt!«

Nachdem Mamsell Knag diese Bemerkung über die Welt in einem Tone ausgesprochen hatte, wie ihn überhaupt Leute, die sich in übler Laune befinden, in ihren Bemerkungen anzubringen pflegen – das heißt: in einer Weise, als ob sie derselben ganz und gar nicht angehörten, schloß sie mit einem schweren Seufzer, wodurch sie gar demütig ihr Mitleid mit der Verderbtheit des menschlichen Geschlechts kundgeben zu wollen schien.

Die Arbeiterinnen säumten nicht, das Echo zu diesem Seufzer zu bilden, und Mamsell Knag schickte sich augenscheinlich an, ihnen noch einige weitere moralische Betrachtungen zum besten zu geben, als Madame Mantalini Käthchen durch das Sprachrohr aufforderte, die Stiegen hinaufzukommen und im Ankleidezimmer behilflich zu sein – eine Auszeichnung, die Mamsell Knag veranlaßte, den Kopf in die Höhe zu werfen und sich so stark in die Lippen zu beißen, daß der Fluß ihrer Rede auf eine Weile vollständig eingefror.

»Nun, mein liebes Kind«, begann Madame Mantalini, als Käthchen sich vorstellte, »sind Sie wieder ganz wohl?«

»Viel besser, Madame«, antwortete Käthchen; »ich danke Ihnen.«

»Ich wünschte, ich könnte von mir das gleiche sagen«, bemerkte Madame Mantalini, indem sie sich anscheinend sehr erschöpft niederließ.

»Sind Sie krank?« fragte Käthchen. »Das täte mir ungemein leid.«

»Nicht gerade krank, aber bekümmert, mein Kind – sehr bekümmert«, entgegnete Madame.

»Da bedaure ich Sie um so mehr«, versetzte Käthchen mit Zartheit; »denn die Leiden des Körpers lassen sich leichter tragen, als die der Seele.«

»Ja, und noch leichter ist es, davon zu sprechen, als sich dem einen oder dem andern zu unterziehen«, erwiderte Madame, indem sie sich empfindlich die Nase rieb. »Doch – gehen Sie an Ihre Arbeit und bringen Sie die Sachen hier in Ordnung.«

Während Käthchen verwundert nachsann, was wohl diese Symptome einer ungewöhnlichen Stimmung zu bedeuten hätten, steckte Herr Mantalini die Spitzen seines Backenbartes und allmählich seinen Kopf durch die halboffene Tür und rief mit sentimentaler Stimme:

»Ist mein Leben und meine Seele hier?«

»Nein«, versetzte seine Gattin.

»Wie kann sie so sprechen, wenn sie im Vorderzimmer wie eine kleine Rose in einem verteufelten Blumentopf blüht?« entgegnete Mantalini. »Darf ihr Püppchen hereinkommen und sprechen?«

»Unter keinen Umständen«, erwiderte Madame. »Du weißt, daß ich dich hier durchaus nicht brauchen kann. Geh nur wieder fort.«

Aber das Püppchen, vielleicht durch den milden Ton dieser Erwiderung ermutigt, wagte sich aufzulehnen, stahl sich auf den Zehenspitzen ins Zimmer und warf Madame Mantalini im Nähertreten Kußhändchen zu.

»Warum will sie sich ungebärdig stellen und ihr hübsches Gesicht in häßliche Falten verziehen?« sagte Mantalini, indem er seine Linke um die Taille seines Lebens und seiner Seele schlang und sie mit seiner Rechten an sich zog.

»Ach, du bist unausstehlich«, versetzte seine Gattin.

»Wie – ich? – unausstehlich?« rief Mantalini. »Possen, Possen, das kann nicht sein. Kein lebendes Mädchen könnte mir so etwas ins Gesicht sagen – ja, geradezu ins Gesicht sagen.«

Herr Mantalini streichelte bei diesen Worten sein Kinn und betrachtete sich voll Selbstgefälligkeit in einem Wandspiegel.

»Eine solche, alles Maß überschreitende Verschwendung«, haderte Madame mit leiser Stimme.

»Alles nur in der Freude, ein so liebenswürdiges Wesen, eine solche kleine Venus, eine solche verteufelt bezaubernde, behexende, hinreißende kleine Venus gewonnen zu haben«, sagte Mantalini.

»Sieh nur, in welche Lage du mich versetzt hast,« entgegnete Madame.

»Meinem Herzchen kann und soll kein Leid widerfahren«, entgegnete Herr Mantalini. »Es ist alles vorüber und das Ganze erledigt. Geld wird bald da sein, und wenn es nicht geschwind genug eingeht, so muß der alte Nickleby wieder dran glauben, oder ich schneide ihm den Hals ab, wenn er es wagt, meine kleine –«

»Pst«, fiel Madame ein, »siehst du nicht?«

Herr Mantalini, der im Eifer, sich mit seiner Frau zu versöhnen, bisher Fräulein Nickleby übersehen oder sich vielleicht auch nur so gestellt hatte, nahm den Wink auf, legte den Finger an seine Lippen und dämpfte seine Stimme noch mehr. Sie flüsterten lange miteinander, und Madame Mantalini schien mehr als einmal auf gewisse Schulden anzuspielen, die er vor ihrer Heirat eingegangen war, an die unerwarteten Geldauslagen zur Begleichung der erwähnten Schulden zu erinnern, und außerdem auf einige liebenswürdige Schwächen von seiten ihres Herrn Gemahls, als da sind: Spiel, Verschwendung, Müßiggang, Liebhaberei für Pferde und dergleichen hinzudeuten – Anklagen, die Herr Mantalini je nach deren Wichtigkeit durch einen oder mehrere Küsse beschwichtigte; und das Ende von allem war, daß Madame Mantalini von ihrem Gatten ganz entzückt wurde und mit ihm die Stiege hinauf zum Frühstück ging.

Käthchen beschäftigte sich mit ihrer Aufgabe und ordnete schweigend die verschiedenen Putzartikel mit allem ihr zu Gebote stehenden Geschmack, als sie plötzlich durch die Stimme eines fremden Mannes in Schrecken gesetzt wurde. Dieser steigerte sich noch, als sie beim Umsehen wahrnahm, daß sich ein weißer Hut, ein rotes Halstuch, ein breites, rundes Gesicht, ein großer Kopf und ein Teil eines grünen Rockes im Zimmer befand.

»Erschrecken Sie nicht, Fräulein«, sagte der Eigentümer dieser Sonderbarkeit. »Nicht wahr, hier ist das Modegeschäft?«

»Ja«, antwortete Käthchen sehr bestürzt. »Was ist Ihr Wunsch?«

Der Fremde antwortete nicht, sondern blickte erst zurück, als ob er irgendeiner noch nicht sichtbaren Person winke, und trat dann sehr bedächtig ins Zimmer, wobei ihm ein kleiner Mann in einem braunen, sehr abgetragenen Rock folgte, der eine ganze Atmosphäre von Landmannsknaster- und frischem Zwiebelduft mit sich brachte. Die Kleider dieses Herrn hingen voll Flaum, und seine Schuhe, Strümpfe und Beinkleider waren bis zu den unteren Knöpfen seines Fracks mit Kot bespritzt, der sich allerwenigstens von vierzehn Tagen her datieren mußte, da bereits so lange schön Wetter war.

Käthchens erster Gedanke war, daß diese einladenden Personen in der Absicht gekommen waren, um sich widerrechtlicher Weise in den Besitz ein oder des andern tragbaren Artikels, der ihnen gerade einleuchtete, zu setzen. Sie hielt es auch nicht der Mühe für wert, ihre Sorgen zu verhehlen, und machte eine Bewegung nach der Tür.

»Warten Sie noch ein Augenblickchen«, sagte der Mann in dem grünen Rock, indem er sachte die Tür schloß und sich mit dem Rücken gegen diese stellte. »Es ist freilich ein unangenehmes Geschäft – aber wo ist Mosjö?«

»Nach was – fragten Sie?« entgegnete Käthchen zitternd: denn sie dachte, dieses Mosjö möchte ein Kunstausdruck der Spitzbuben für Uhr oder Geld sein.

»Herr Montilinie«, antwortete der Mann. »Was ist mit ihm? Ist er zu Hause?«

»Er ist eine Treppe weiter oben, glaube ich«, versetzte Käthchen, durch diese Frage etwas beruhigt. »Wünschen Sie ihn zu sprechen?«

»Das muß es gerade nicht sein«, entgegnete der Fremde, »wenn er uns einen Gefallen damit zu tun meint. Sie können ihm aber diese Karte geben und ihm sagen, wenn er mich zu sprechen wünsche und sich eine Unannehmlichkeit ersparen wolle, so sei ich hier; weiter ist nichts nötig.«

Mit diesen Worten überreichte er Käthchen eine dicke viereckige Karte und bemerkte dann gegen seinen Freund in ziemlich plumper Weise, »daß die Zimmer eine schöne Höhe hätten«, worin ihm der Freund beipflichtete und erläuternd hinzusetzte, »daß ein kleiner Junge darin zum Manne aufwachsen könnte, ohne je mit dem Kopf an die Decke zu stoßen.«

Käthchen zog die Klingel, um Madame Mantalini herbeizurufen, warf dann einen Blick auf die Karte und sah darauf den Namen ›Scaley‹ nebst einigen andern Andeutungen, die sie noch nicht durchgelesen hatte, als Herr Scaley selbst ihre Aufmerksamkeit auf sich zog, indem er auf einen der Toilettenspiegel losging und mit seinem Stock ganz kaltblütig auf dessen Mitte loshämmerte, als ob er von Gußeisen gewesen wäre.

»Das ist gutes Glas, Tix«, sagte Herr Scaley zu seinem Freunde.

»Hm«, versetzte Herr Tix, indem er mit seiner schmierigen Pfote ein Stück blauen Seidenzeugs anfühlte und den Abdruck seiner Finger darauf zurückließ, »und dieser Artikel hat auch das seine gekostet.«

Von dem Seidenzeug verpflanzte Herr Tix seine Bewunderung auf einige elegante Putzartikel, während Herr Scaley ganz gemächlich sein Halstuch vor dem Spiegel zurechtrückte. Er war noch ganz in dieses Geschäft vertieft, als Madame Mantalini ins Zimmer trat und ihn durch einen Ausruf des Erstaunens aus seiner Anschauung weckte.

»Ah, ist das die Frau?« fragte Scaley.

»Es ist Madame Mantalini«, sagte Käthchen.

»Nun«, sagte Herr Scaley, indem er ein kleines Dokument aus seiner Tasche holte und es mit ungemeiner Bedachtsamkeit entfaltete, »ich habe da einen Pfändungsbefehl, und wenn es nicht genehm ist zu bezahlen, so wollen wir mit Ihrer Erlaubnis das Haus durchgehen und eine Pfand-Inventur aufnehmen.«

Die arme Madame Mantalini schlug entsetzt ihre Hände zusammen, klingelte dann ihrem Mann und fiel endlich ohnmächtig in einen Stuhl. Die beiden Amtspersonen ließen sich jedoch durch dieses Ereignis nicht im mindesten anfechten: denn Herr Scaley lehnte sich über ein Gestell, an dem ein schönes Damenkleid hing, über das seine Schultern fast ebensoweit hervorragten, als es bei den Schultern der Dame der Fall gewesen sein würde, für die der Anzug bestimmt war. Dann schob er seinen Hut auf die eine Seite und kratzte sich ganz unbekümmert den Kopf, während sein Freund, Herr Tix, die Gelegenheit wahrnahm, sich, ehe er in das eigentliche Geschäft einging, einen vorläufigen Überblick über das Zimmer zu verschaffen, und deshalb, sein Inventarbuch unter dem Arm und den Hut in der Hand, im Geist jeden Gegenstand, der in seinem Gesichtskreise lag, taxierte.

Dies war der Stand der Dinge, als Herr Mantalini hereinstürzte. Da jedoch dieser vortreffliche Herr in den Tagen seines Junggesellenlebens sehr oft in Verkehr mit Herrn Scaleys Genossenschaft gekommen war und außerdem durch das jetzige Auftreten derselben nicht im mindesten überrascht wurde, so zuckte er bloß die Achseln, steckte seine Hände bis auf den Boden seiner Taschen, zog die Augenbrauen in die Höhe, pfiff einen oder zwei Takte, ließ einen oder zwei Flüche vernehmen, streckte sich auf einen Stuhl und machte mit vielem Anstand und großer Fassung die beste Miene zu der Sache.

»Was beträgt die verteufelte Totalsumme?« war seine erste Frage.

»Fünfzehnhundertsiebenundzwanzig Pfund, vier Schillinge, neun Pence und einen halben Penny«, antwortete Herr Scaley, ohne ein Glied zu rühren.

»Hole der Teufel den halben Penny«, sagte Herr Mantalini ungeduldig.

»Habe nichts dagegen, wenn Sie so wünschen«, entgegnete Herr Scaley; »meinetwegen auch die neun Pence.«

»Uns ist es gleichgültig, wenn auch die fünfzehnhundertsiebenundzwanzig Pfund desselben Weges fahren.«

»Kümmert uns keinen Pfifferling«, sagte Scaley.

»Nun«, fuhr derselbe Herr nach einer Pause fort, »was soll geschehen – etwas? Ist es nur ein kleiner Ausfall oder ein totaler Durchfall? Wie – gar eine Auflösung der ganzen Konkursmasse? – Sehr gut. Nun denn, Herr Tom Tix, dann müssen Euer Wohlgeboren Ihren Engel von Frau und Ihre ganze liebenswürdige Familie benachrichtigen, daß Sie die nächsten drei Nächte nicht nach Hause kommen können, weil Sie so lange hierbleiben müssen. Wozu regt sich denn die Frau so gewaltig auf?« fuhr Herr Scaley fort, als er Madame Mantalini schluchzen hörte. »Ich wette, über die Hälfte von dem, was hier ist, steht doch noch im Buch, und welcher Trost muß das für ihre Gefühle sein.«

Mit diesen Bemerkungen, die ebenso spaßhaft klangen, wie sie ungemein viel Trost für Madame Mantalinis Lage enthielten, schickte sich Herr Scaley an, das Inventar aufzunehmen. Bei diesem peinlichen Geschäft sah er sich durch den ungewöhnlichen Takt und die vieljährige Erfahrung des Herrn Tix unterstützt.

»Meine Glückseligkeitsbecherversüßerin«, sagte Herr Mantalini, indem er sich mit reuiger Miene seiner Gattin näherte, »willst du mich zwei Minuten anhören?«

»Oh, ich will nichts von dir hören«, versetzte seine Gattin. »Es ist genug, daß du mich zugrunde gerichtet hast.«

Herr Mantalini, der ohne Zweifel seine Rolle vorher wohl überlegt hatte, vernahm kaum diese Worte, die im Ton des Schmerzes und der Strenge ausgesprochen wurden, als er um etliche Schritte zurückprallte, den Ausdruck der höchsten Verzweiflung annahm und ungestüm aus dem Zimmer stürzte. Bald nachher hörte man ihn die Tür des Besuchszimmers im zweiten Stock mit großer Heftigkeit zuschlagen.

«Mamsell Nickleby!« rief Madame Mantalini, als dieser Ton ihr Ohr traf, »eilen Sie um Gottes willen, er will sich das Leben nehmen. Ich bin unfreundlich gegen ihn gewesen, und das kann er von mir nicht vertragen. Alfred! o mein lieber Alfred!«

Mit solchen Ausrufen eilte sie die Treppe hinauf, und Käthchen folgte in einiger Unruhe, obgleich sie die Besorgnisse der zärtlichen Gattin nicht ganz teilte. Die Zimmertür flog rasch auf, und vor ihnen stand Herr Mantalini, der seinen Hemdkragen ganz symmetrisch zurückgeschlagen hatte und ein Tischmesser auf einem Streichriemen schärfte.

»Ah«, rief Herr Mantalini, »unterbrochen!« und blitzschnell wanderte das Tischmesser in Herrn Mantalinis Schlafrocktasche, während Herrn Mantalinis Augen rasch umherrollten, und Haare und Backenbart ihm in großer Verwirrung um den Kopf flogen.

»Alfred!« rief Madame Mantalini, indem sie ihn mit ihren Armen umschlang; »ich habe es nicht so bös gemeint – ich habe es nicht so bös gemeint!«

»Zugrunde gerichtet!« rief Herr Mantalini. »Ich habe Verderben über das beste und reinste Wesen gebracht, das je einen verteufelten Vagabunden beglückte! Zum Teufel – laß mich gehen!«

Auf dieser Glanzhöhe seines Rasens griff Herr Mantalini wieder nach seinem Messer, wurde aber von den Händen seiner Gattin zurückgehalten. Darauf versuchte er es, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen – nahm sich aber jedenfalls dabei sehr in acht, wenigstens sechs Fuß von ihr entfernt zu bleiben.

»Fasse dich, mein Engel«, sagte Madame. »Wir können dieses Unglück niemandem zur Last legen; wenigsten« bin ich ebensogut schuld daran wie du, aber es wird schon wieder besser kommen. Beruhige dich, Alfred – beruhige dich.«

Herr Mantalini hielt es nicht für passend, sich sogleich wieder zu beruhigen, sondern nachdem er mehrere Male nach Gift gerufen und das Ansinnen gestellt hatte, irgendein Herr oder eine Dame möchte ihm das Gehirn aus dem Kopf schlagen, gewannen sanftere Gefühle bei ihm die Oberhand, und er begann auf eine ergreifende Weise zu weinen. In dieser besänftigten Gemütsstimmung hatte er nichts dagegen, daß ihm das Messer genommen wurde – was ihm, die Wahrheit zu gestehen, zu einem ungemeinen Trost gereichte, da ein Tischmesser ein unbequemer und gefährlicher Artikel für eine linnene Schlafrocktasche ist –, und endlich ließ er sich von seiner zärtlichen Gattin fortführen.

Nach zwei oder drei Stunden wurde den jungen Damen die Mitteilung gemacht, daß sie ihrer Dienste bis auf weiteres enthoben seien, und zwei Tage später erschien der Name Mantalini auf der Liste derer, die Bankerott machten. Fräulein Nickleby erhielt noch außerdem an demselben Morgen ein Schreiben, daß das Geschäft in Zukunft unter dem Namen der Mamsell Knag fortbetrieben würde, übrigens ihre Dienste nicht weiter vonnöten wären.

Frau Nickleby hatte dies kaum erfahren, als die gute Dame sogleich erklärte, sie hätte etwas der Art längst vorausgesehen, wobei sie verschiedene unbekannte Anlässe namhaft machte, bei denen sie gleichfalls ganz richtig prophezeit hatte.

»Und ich sage es noch einmal«, ging Frau Nickleby in ihrem Redefluß weiter – wir haben aber kaum nötig, zu bemerken, daß sie etwas der Art nie vorher gesagt hatte – »ich sage es noch einmal, Käthchen, daß das Geschäft einer Putz- und Kleidermacherin das allerletzte ist, zu dem du dich hättest verwenden lassen sollen. Ich will dir keinen Vorwurf machen, meine Liebe, aber ich muß es wiederholen, daß ich, wenn du deine Mutter um Rat gefragt hättest –«

»Gut, gut, Mama«, sagte Käthchen sanft; »aber was raten Sie mir setzt?«

»Raten?« rief Madame Nickleby. »Ist es nicht augenfällig, meine Liebe, daß von allen Beschäftigungen der Welt die eines Gesellschaftsfräuleins bei einer liebenswürdigen Dame gerade diejenige ist, für die du dich vermöge deiner Erziehung, deiner Manieren, deines Äußeren und alles Sonstigen am allerbesten eignest? Hast du deinen armen seligen Vater nie von der jungen Dame sprechen hören – einer Tochter der alten Dame, die in dem Hause, wo er einst als Junggeselle seinen Mittagstisch hatte, das Essen reichte? – Ach wie heißt sie doch? Ich weiß, ihr Name fängt mit einem B an und endigte mit einem ag – oder hieß sie vielleicht Waters? – Nein, dann kann’s doch nicht gewesen sein; aber wie sie auch geheißen haben mochte – weißt du nicht, daß diese junge Dame als Gesellschafterin zu einer verheirateten Dame kam, die bald nachher starb, und daß sie dann den Witwer heiratete und einen der schönsten kleinen Knaben bekam, den je eine Hebamme auf den Armen hatte – und alles dies in dem Zeitraum von nur achtzehn Monaten?«

Käthchen begriff leicht, daß dieser Strom von belegenden Rückerinnerungen durch irgendeine wirkliche oder eingebildete Aussicht veranlaßt wurde, die ihre Mutter betreffs einer solchen Laufbahn sich zusammenphantasiert hatte. Sie wartete daher geduldig, bis alle Remiscenzen und Histörchen – zur Sache gehörig oder nicht – erschöpft waren, und wagte dann endlich die Frage, ob der Mutter vielleicht etwas Derartiges zu Ohren gekommen sei. Die Wahrheit stellte sich nun heraus. Madame Nickleby hatte an demselben Morgen das gestrige Blatt einer sehr ehrenwerten Zeitung in die Hände bekommen, in dem durch ein im reinsten und grammatikalisch richtigsten Englisch geschriebenes Inserat angezeigt wurde, daß eine verheiratete Dame eine gebildete junge Person zur Gesellschafterin suche, und daß die Adresse der besagten Dame in einer gewissen Leihbibliothek im Westend der Stadt zu erfragen sei.

»Und ich sage dir«, rief Madame Nickleby, indem sie die Zeitung im Triumph niederlegte, »daß es wohl der Mühe wert ist, den Versuch zu machen, wenn dein Onkel nichts dagegen einzuwenden hat.«

Käthchen hatte infolge der herben Erfahrungen, die sie bereits gemacht, zu viel Herzeleid und kümmerte sich in der Tat auch vorderhand zu wenig um das, was ihr das Schicksal vorbehalten haben mochte, um sich einen Einwand zu erlauben. Herr Ralph Nickleby hatte gleichfalls nichts dagegen, sondern ließ im Gegenteil dieser Absicht seinen unverhohlenen Beifall zuteil werden. Auch schien ihm, wie sich aus seinem Benehmen zeigte, Madame Mantalinis plötzlicher Bankerott nicht besonders unerwartet gekommen zu sein – was freilich sonderbar hätte zugehen müssen, da hauptsächlich er es gewesen war, der diesen herbeigeführt hatte. Die Adresse wurde daher ohne Zeitverlust erfragt, und Fräulein Nickleby machte sich mit ihrer Mutter noch denselben Vormittag auf den Weg, um Madame Wititterly, Cadoganplatz, Sloanestraße aufzusuchen.

Cadoganplatz ist das einzige leichte Band zwischen zwei großen Extremen, das Mittelglied zwischen dem aristokratischen Boden von Bel-Grave-Square und dem plebejischen von Chelsea. Er ist in der Sloanestraße, ohne jedoch derselben anzugehören. Die Bewohner von Cadoganplatz blicken auf die der Sloanestraße herunter und halten Brompton für gewöhnlich. Sie wollen fashionable sein und können nicht begreifen, wie man New Road kennen kann. Sie stehen zwar nicht auf gleicher Höhe mit Bel-Grave-Square und Grosvenor Place, aber es besteht doch ein Verhältnis zu jenen, ungefähr wie das unehelicher Kinder großer Herren, die sich mit ihren Verwandten brüsten, obgleich sie von denselben nicht anerkannt werden. Die Bewohner von Cadogan Place geben sich so gut wie möglich das Ansehen von Leuten des höchsten Ranges, obgleich sie in der Tat nur der mittleren Klasse angehören. Sie bilden gleichsam den Transformator, der den Bewohnern der jenseitigen Bezirke den elektrischen Schlag des Geburts- und Rangstolzes mitteilt, den sie allerdings nicht selber besitzen, aber doch von einer naheliegenden Hauptquelle ableiten – oder mit andern Worten, sie gleichen dem Band, das die siamesischen Zwillinge vereinigt und das etwas von dem Leben und der Wesenheit zweier verschiedenen Körper enthält, ohne dem einen oder dem andern wirklich anzugehören.

Auf diesem neutralen Gebiet wohnte Madame Wititterly, und an Madame Wititterlys Tür klopfte Käthchen Nickleby mit zitternder Hand. Die Tür wurde von einem stämmigen Diener geöffnet, dessen Kopf mit Mehl, Kreide oder etwas Ähnlichem, denn es sah nicht wie echter Puder aus – bestreut war. Er nahm Käthchen die Karte ab und gab sie einem kleinen Boy, der in der Tat so klein war, daß sein Rock die Anzahl kleiner Knöpfe, die unerläßlich zu dem Anzug eines kleinen Boy gehören, in der gewöhnlichen Ordnung nicht fassen konnte, weshalb sie auch zu vier nebeneinander gesetzt worden waren. Dieses Herrchen trug die Karte auf einem Präsentierteller die Treppe hinauf, und Käthchen nebst ihrer Mutter wurden bis zu seiner Rückkehr in ein Speisezimmer gewiesen, das so schmutzig, schäbig und unbehaglich aussah, daß es eher für alles andere, als für Essen und Trinken zu passen schien.

Dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zufolge und nach allem, was man als glaubwürdige Berichte über das Treiben der vornehmen Gesellschaft in Büchern findet, hätte Madame Wititterly im Boudoir sitzen sollen. Mochte indessen vielleicht Herr Wititterly sich gerade dort den Bart abnehmen, oder sonst eine Ursache vorhanden sein – wir wissen nur so viel gewiß, daß Madame Wititterly sich ihrem Besuchszimmer Audienz gab, wo sich alles Vornehme und Notwendige vorfand, mit Einschluß rosenroter Fenstervorhänge und dergleichen Möbelüberzüge, um ein zartes Rot auf Madame Wititterlys Antlitz zu gießen, eines kleinen Hundes, um zu Madame Wititterlys Belustigung Fremden nach den Beinen zu schnappen, und des vorerwähnten Boy, um zu Madame Wititterlys Erfrischung Schokolade zu präsentieren.

Die Dame hatte ein süßlich schmachtendes, ansprechend blasses Gesicht; auch war ihr ganzes Äußere wie ihre Einrichtung und alles im Hause – verblichen. Sie lehnte sich in einer so unstudierten Haltung auf ihrem Sofa zurück, daß man sie für eine Tänzerin hätte halten können, die für die erste Szene eines Balletts gekleidet ist und nur noch auf das Aufziehen des Vorhangs wartet.

»Stühle!«

Der Boy stellte die Stühle bereit.

»Verlasse das Zimmer, Alphons!«

Der Boy trat ab. Wenn es aber je einen Alphons gab, dem der Grobmichel ins Gesicht geschrieben war, so war es dieser Knabe.

»Ich wagte es, bei Ihnen vorzusprechen, Madame«, sagte Käthchen nach einer kurzen, beengenden Pause, »da ich Ihre Anzeige gelesen.«

»Ja«, versetzte Madame Wititterly. »Einer meiner Leute setzte es in die Zeitung. Ja.«

»Ich dachte«, fuhr Käthchen bescheiden fort, »Sie würden mir, wofern Sie nicht bereits eine Wahl getroffen, verzeihen, wenn ich Sie mit einer Bewerbung um die angezeigte Stelle behellige.«

»Ja«, entgegnete Madame Wititterly abermals in gedehnter Weise.

»Wenn Sie bereits versehen sind – –«

»O mein Gott, nein«, fiel die Dame ein. »Ich bin nicht so leicht zufriedengestellt. Ich weiß in der Tat nicht, was ich sagen soll. Sie sind früher nie Gesellschafterin gewesen – oder?«

Madame Nickleby, die begierig die Gelegenheit wahrgenommen hatte, riß gewandt die Rede an sich, ehe noch Käthchen antworten konnte.

»Nicht bei Fremden, Madame«, sagte die Dame, »aber sie ist seit Jahren meine Gesellschafterin gewesen. Ich bin ihre Mutter, Madame.«

»Ah«, sagte Madame Wititterly, »ich begreife.«

»Ich versichere Sie, Madame«, versetzte Frau Nickleby, »ich hätte es früher nicht für möglich gehalten, daß ich meine Tochter in die Welt hinausschicken müßte, denn ihr armer Vater war ein unabhängiger Mann und würde es auch noch im gegenwärtigen Augenblick sein, hätte er nur bei Zeiten auf meine beharrlichen Bitten – –«

»Liebe Mama«, bat Käthchen leise.

»Liebes Käthchen, wenn du mich aussprechen lassen willst«, entgegnete Madame Nickleby, »so werde ich mir die Freiheit nehmen, dieser Dame auseinanderzusetzen –«

»Ich meine, es ist unnötig, Mama.«

Und ungeachtet alles Stirnrunzelns und Winkens, womit Madame Nickleby andeutete, sie habe im Sinne, etwas zu sagen, was die Sache mit einem Male abmachen würde, beharrte Käthchen durch einen ausdrucksvollen Blick auf ihrer Ansicht, so daß Madame Nickleby nicht vermochte, die begonnene Tirade fortzusetzen.

»Was haben Sie gelernt?« fragte Madame Wititterly, die Augen zudrückend.

Käthchen zählte errötend ihre Hauptfähigkeiten auf, und Madame Nickleby rechnete ihr eine nach der andern an den Fingern nach, da sie bereits, ehe sie diesen Gang angetreten, alles gehörig zusammengestellt hatte. Glücklicherweise stimmten beide Berechnungen miteinander überein, und so hatte Madame Nickleby keinen Anlaß, das Wort an sich zu reißen.

»Ist Ihr Charakter umgänglich?« fragte Madame Wititterly, indem sie die Augen für einen Augenblick öffnete und dann wieder schloß.

»Ich hoffe es«, versetzte Käthchen.

»Sind Sie auch mit guten Empfehlungen versehen?«

Käthchen bejahte diese Frage und legte die Karte ihres Onkels auf den Tisch.

»Haben Sie die Güte, Ihren Stuhl ein wenig näher zu rücken, damit ich Sie ansehen kann«, sagte Madame Wititterly. »Ich bin sehr sehr kurzsichtig und kann daher Ihre Züge nicht ganz unterscheiden.«

Käthchen entsprach dieser Aufforderung nicht ohne einige Verlegenheit, und Madame Wititterly musterte mit mattem Blick ihr Gesicht mehrere Minuten lang.

»Ihr Äußeres gefällt mir«, sprach die Dame, indem sie eine kleine Klingel zog. »Alphons, ersuche deinen Vorgesetzten, hierherzukommen.«

Der Boy entfernte sich mit dieser Botschaft, und nach einer kurzen Pause, in der von beiden Seiten nicht ein Wort gesprochen wurde, trat ein wichtigtuender Herr von ungefähr achtunddreißig Jahren mit ziemlich plebejischen Zügen und lichten Haaren durch die Tür, der sich eine Weile über Madame Wititterly beugte und sich flüsternd mit ihr unterhielt.

»Ah – so!« sagte er, indem er sich umwandte, »das ist eine höchst wichtige Angelegenheit. Madame Wititterly ist von sehr reizbarem Wesen, sehr zart, sehr schwächlich, eine Treibhauspflanze, ein exotisches Gewächs.«

»Ach, lieber Heinrich!« fiel Madame Wititterly ein.

»Du bist’s, meine Liebe – du weißt, daß du es bist. Ein Hauch –« sagte Herr Wititterly, indem er sich anstellte, als blase er eine Feder weg – »puh! und du bist nicht mehr.«

»Deine Seele ist zu groß für deinen Körper«, fuhr Herr Wititterly fort. »Dein hoher Geist reibt dich auf. Du weißt, es gibt keinen Arzt, der nicht stolz darauf wäre, zu dir gerufen zu werden. Wie lautet ihre einstimmige Erklärung? ›Mein lieber Doktor‹, sagte ich in diesem Zimmer zu Sir Tumley Snuffim bei seinem letzten Besuch, ›mein lieber Doktor, was fehlt meiner Frau? Sagen Sie mir alles, ich kann es wohl ertragen. Sind es die Nerven?‹ ›Mein lieber Freund‹, sagte er, ›Sie dürfen stolz sein auf Ihre Gemahlin. Halten Sie sie hoch in Ehren: sie ist eine Zierde für die fashionable Welt und für Sie. Ihre ganze Krankheit liegt in ihrem hohen Geist. Er schwillt, dehnt sich aus, erweitert sich – das Blut entzündet sich, die Pulse fliegen rascher, die Erregung steigert sich‹ – puh.«

Herr Wititterly hatte in dem Feuer seiner Beschreibung mit seiner rechten Hand in der Luft herumgefuchtelt und war dabei Frau Nicklebys Hut um weniger als einen Zoll nahe gekommen; er hielt daher hastig inne und blies dann seine Nase so gewaltig auf, als wirke in seinem Innern eine mächtige Maschinerie.

»Du machst mich immer schwächer, als ich bin, Heinrich«, hauchte Madame Wititterly.

»Das tu‘ ich nicht, Julia – nein, gewiß nicht«, entgegnete Herr Wititterly. »Die Gesellschaft, in der du dich bewegst und deiner Stellung, deiner Familie und deiner hohen Gaben willen notwendig bewegen mußt, ist ein unablässiger Strudel und Wirbel der furchtbarsten Aufregung. Ich will nicht leben, wenn ich je die Nacht vergesse, in der du auf dem Wahlballe zu Exeter mit dem Neffen des Baronets tanztest. Es war schrecklich!«

»Ich habe für solche Triumphe immer hintendrein zu leiden«, sagte Madame Wititterly.

»Und gerade deshalb«, erwiderte ihr Gatte, »mußt du eine Gesellschafterin haben, in der du Sanftmut und Zartheit, die höchste Sympathie und die schönste Seelenruhe findest.«

Hier brachen beide, Herr und Madame Wititterly, die dies mehr für die Nicklebys als unter sich gesprochen hatten, ab und blickten auf die beiden Zuhörerinnen mit einem Gesichtsausdruck, der zu fragen schien, wie ihnen das alles imponiere.

»Madame Wititterly«, sprach der Gatte zu Frau Nickleby, »wird von den glänzendsten Gesellschaften, den brillantesten Zirkeln begehrt und gefeiert. Sie wird aufgeregt durch die Oper, das Schauspiel, die schönen Künste, die – die – die –«

»Den Adel, mein Lieber«, fiel Madame Wititterly ein.

»Natürlich, den Adel«, sagte Herr Wititterly, »und das Militär. Sie ist eine ungemein tiefe Denkerin und lebt in einer ungeheuren Mannigfaltigkeit von Ansichten über die allermannigfaltigsten Gegenstände. Wenn gewisse Leute im öffentlichen Leben Madame Wititterlys wahre Meinung über sie kennen würden, so würden sie wahrscheinlich ihre Köpfe nicht so hoch tragen, wie sie es tun.«

»Pst, Heinrich«, sagte die Dame, »das ist nicht in der Ordnung.«

»Ich erwähne ja keine Namen, Julia«, versetzte Herr Wititterly, »und so kann sich niemand gekränkt fühlen. Ich berühre den Umstand auch nur, um zu zeigen, daß du keine gewöhnliche Frau bist, daß eine beharrliche Reibung ohne Unterlaß zwischen deiner Seele und deinem Körper vorgeht, und daß du deshalb die allerzarteste Behandlung nötig hast. Aber jetzt wünsche ich eine ruhige und leidenschaftslose Schilderung der Eigenschaften, durch die sich dieses junge Mädchen für die Stelle befähigt.«

Infolge dieser Aufforderung wurden die Eigenschaften Käthchens abermals durchgegangen, wobei jedoch Herrn Wititterlys Zwischenfragen manche Unterbrechung veranlaßten. Endlich kam man zu dem Beschluß, daß man Erkundigungen einziehen und den Endbescheid Fräulein Nickleby innerhalb zweier Tage unter der Adresse ihres Onkels zugehen lassen wolle. Nach diesen Verhandlungen begleitete sie der Boy bis zu dem Treppenfenstcr, wo durch den dicken Diener eine Ablösung stattfand, so daß Mutter und Tochter in dieser Weise wohlbehalten auf die Straße gelangten.

»Das sind augenscheinlich sehr vornehme Personen«, sagte Frau Nickleby, als sie den Arm ihrer Tochter nahm. »Was nicht Madame Wititterly für eine vortreffliche Dame ist.«

»Meinen Sie, Mama?« war Käthchens ganze Antwort.

»Wie sollte ich nicht, liebes Käthchen«, erwiderte die Mutter. »Sie ist ja so blaß und sieht ganz erschöpft aus. Ich will hoffen, daß sie sich nicht ganz verzehrt, aber ich fürchte sehr für ihr Leben.«

Diese Gedanken führten die tiefblickende Dame zu der Berechnung von Madame Wititterlys mutmaßlicher Lebensdauer, wobei sie es nicht unterließ, die hohe Wahrscheinlichkeit abzuwägen, daß der trostlose Witwer ihrer Tochter die Hand bieten würde. Noch ehe die gute Frau zu Haus anlangte, hatte sie Madame Wititterlys Seele von allen Beengungen des Körpers befreit, Käthchen mit großem Glanz nach St. Georgs Hannover Squar verheiratet und nur noch die minder wichtige Frage unentschieden gelassen, ob eine prachtvolle Mahagonibettstelle für sie selbst in dem zwei Treppen hohen Hinterzimmer nach Cadogan Place hinaus oder in einem andern Zimmer des dritten Stockes aufgeschlagen werden sollte. Sie konnte jedoch nicht mit sich ins reine kommen, was von beiden das Vorteilhaftere sein dürfte. Deshalb schloß sie ihr Bedenken damit ab, daß sie die Entscheidung darüber ihrem Schwiegersohn überlassen wollte.

Die Nachforschungen wurden angestellt, und die Antwort fiel – gerade nicht zu Käthchens besonderer Freude – günstig aus. Nach dem Ablauf einer Woche übersiedelte Fräulein Nickleby mit aller ihrer beweglichen Habe in Madame Wititterlys Wohnung, wo wir sie vorderhand lassen wollen.