Fünfzehntes Kapitel.
Keine gegründete Ursache und kein Hindernis, warum diese beiden Personen nicht getraut werden sollen.
Als Mr. Dorrit durch seine ältere Tochter angezeigt wurde, daß sie einen Heiratsantrag von Mr. Sparkler erhalten, mit dem sie sich verlobt habe, nahm er diese Mitteilung zu gleicher Zeit mit großer Würde und mit pomphafter Entfaltung seines väterlichen Stolzes auf: denn seine Würde vergrößerte sich durch die erweiterte Aussicht auf ein vorteilhaftes Terrain, von dem aus man leicht Bekanntschaften machen konnte, und sein väterlicher Stolz entwickelte sich durch Miß Fannys bereitwillige Sympathie mit seinem großen Lebenszweck. Er gab ihr zu verstehen, daß ihr edler Ehrgeiz harmonische Echos in seinem Herzen finde, und gab ihr seinen Segen, als einem Kinde voll Pflichtgefühl und guter Grundsätze, das sich der Vergrößerung des Familiennamens opfere.
Zu Mr. Sparkler, als Fanny ihm die Erlaubnis zu erscheinen gab, sagte Mr. Dorrit, er wolle nicht verhehlen, daß die Verbindung, die Mr. Sparkler ihm vorzuschlagen so freundlich sei, ganz mit seinen Gefühlen harmoniere, da sie sowohl mit den Herzensneigungen seiner Tochter Fanny im Einklang stehe, als auch eine Familienverbindung der freundlichsten Art mit Mr. Merdle, dem ersten Geist des Zeitalters, anknüpfe. Auch Mrs. Merdles, als einer tonangebenden, durch Eleganz, Grazie und Schönheit gleich ausgezeichneten Dame, erwähnte er in sehr rühmenden Ausdrücken. Er halte es jedoch für seine Pflicht zu bemerken (er sei überzeugt, ein Mann von Mr. Sparklers feinem Geist würde seine Worte richtig beurteilen), daß er diesen Antrag nicht als eine abgemachte Sache betrachten könne, bis er erlaubt habe, sich mit Mr. Merdle in Korrespondenz zu setzen, und sich versichert hätte, die Sache stimme soweit mit den Plänen dieses großen Mannes überein, daß seine (Mr. Dorrits) Tochter, in dem, was er, ohne den Schein der Dienerei auf sich zu laden, das Auge der großen Welt nennen dürfe, eine Stellung erhalte, wie ihr Stand, ihre Mitgift und ihre Aussichten ihn für sie zu fordern berechtigten. Während er dies sage, was sein Charakter als Mann von einiger Stellung und sein Charakter als Vater in gleicher Weise von ihm forderten, wolle er nicht so diplomatisch sein, zu verbergen, daß der Vorschlag vorderhand in hoffnungsvoller Unentschiedenheit bleibe und bloß bedingt angenommen sei, und daß er Mr. Sparkler für das Kompliment, das er ihm und seiner Familie gemacht habe, danke. Er schloß mit einigen weiteren und noch allgemeineren Bemerkungen über den – ha – Charakter eines unabhängigen Mannes und den – hm – Charakter eines möglicherweise zu parteiischen und von Bewunderung erfüllten Vaters. Alles in allem nahm er Mr. Sparklers Antrag ungefähr gerade so entgegen, wie er drei bis vier halbe Kronen in vergangenen Zeiten von ihm angenommen hätte. Mr. Sparkler, der sich durch die auf sein harmloses Haupt gehäuften Worte ganz betäubt fühlte, gab eine kurze, aber passende Antwort, die nicht weniger noch mehr besagen wollte, als daß er schon lange bemerkt, Miß Fanny habe keinen Unsinn an sich, und nicht zweifle, daß es seinem Erzieher genehm sein werde. Als er so weit gekommen, schloß ihn der Gegenstand seiner Neigung wie eine Büchse mit einer Springfeder zu und schickte ihn fort.
Als Mr. Dorrit kurz darauf dem Busen seinen Besuch abstattete, wurde er mit großer Achtung empfangen. Mrs. Merdle hatte durch Edmund von der Sache gehört. Sie sei anfangs sehr erstaunt gewesen, da sie nicht gedacht hätte, daß Edmund heiraten würde. Die Gesellschaft habe gedacht, Edmund würde nicht heiraten, und doch habe sie natürlich als Frau gesehen (wir Frauen sehen instinktmäßig dergleichen Sachen, Mr. Dorrit!), daß Edmund außerordentlich von Miß Dorrit eingenommen sei, und sie habe offen ausgesprochen, Mr. Dorrit treffe eine große Verantwortung, daß er ein so reizendes Mädchen ins Ausland gebracht habe, das seinen Landsleuten die Köpfe verdrehe.
»Darf ich also zu schließen wagen, Madame«, sagte Mr. Dorrit, »daß die Richtung, die die Neigung von Mr. Sparkler genommen, von – ha – Ihnen gebilligt wird?«
»Ich versichere Ihnen, Mr. Dorrit«, versetzte die Dame, »daß es mir persönlich angenehm ist.«
Das sei für Mr. Dorrit sehr erfreulich.
»Persönlich«, wiederholte Mrs. Merdle, »angenehm.«
Diese zufällige Wiederholung des Wortes »persönlich« veranlaßte Mr. Dorrit, die Hoffnung auszudrücken, daß Mr. Merdles Zustimmung nicht ausbleiben werde.
»Ich kann es nicht auf mich nehmen«, sagte Mrs. Merdle, »positiv für Mr. Merdle zu antworten; Männer, namentlich Männer, die die Gesellschaft Kapitalisten nennt, haben ihre eignen Ideen über diese Sachen. Aber ich sollte denken – doch ist es nur eine Meinung, Mr. Dorrit –, ich sollte denken, daß es Mr. Merdle im ganzen« – hier hielt sie eine Rundschau über sich, ehe sie behaglich hinzufügte – »sehr angenehm sein werde.«
Bei der Erwähnung von Männern, die die Gesellschaft Kapitalisten nennt, hatte Mr. Dorrit gehustet, als ob er einen inneren Protest nicht unterdrücken könnte. Mrs. Merdle hatte es bemerkt und fuhr fort, um diesen Wink aufzunehmen.
»Obwohl es freilich, Mr. Dorrit, kaum nötig ist, diese Bemerkung zu machen; ich wollte nur die größte Offenheit gegen einen Mann an den Tag legen, den ich so hoch schätze und mit dem ich in noch angenehmere Verbindung zu kommen das Vergnügen zu haben hoffe. Denn es läßt sich mit der größten Wahrscheinlichkeit voraussetzen, daß Sie diese Sachen von Mr. Merdles eigenem Gesichtspunkte aus betrachten, wenn die Umstände nicht etwa es für Mr. Merdle glücklicher- oder unglücklicherweise so gestalten, daß er ganz in Geschäften steckt und, wie groß diese auch sein mögen, sein Horizont dadurch sich etwas verengt hat. Ich bin ein wahres Kind in Beziehung auf Geschäfte«, sagte Mrs. Merdle, »aber ich fürchte, das könnte der Fall sein.«
Dieses gewandte Hin- und Herwägen von Mr. Dorrit und Mr. Merdle, daß jeder den andern in die Höhe schnellte und jeder den andern herabzog und keiner im Vorteil blieb, wirkte beruhigend auf Mr. Dorrits Husten. Er bemerkte mit der größten Höflichkeit, er müsse bitten, daß die vollendete und anmutige Mrs. Merdle (sie verbeugte sich bei diesem Kompliment) sich der Ansicht entschlage, als wenn solche Unternehmungen wie die von Mr. Merdle, die ganz anderer Art als die jämmerlichen Unternehmungen der übrigen Menschen, irgendeine geringere Wirkung hätten, als den Geist, in dem sie empfangen worden, zu erweitern und vergrößern. »Sie sind die Großherzigkeit selbst«, erwiderte Mrs. Merdle mit ihrem anmutigsten Lächeln, »wir wollen uns dieser Hoffnung hingeben. Aber ich gestehe, daß ich in meinen Ansichten von Geschäften beinahe abergläubisch bin.«
Mr. Dorrit warf hier ein anderes Kompliment ein, das besagen wollte, Geschäfte, gerade wie die Zeit, die dabei so kostbar, seien für Sklaven gemacht; daß sie deshalb nichts für Mrs. Merdle taugen, die alle Herzen nach ihrem Gefallen regiere. Mrs. Merdle lachte und brachte Mr. Dorrit die Idee von dem Erröten des Busens bei – einem ihrer besten Effekte.
»Ich sagte dies bloß«, erklärte sie dann, »weil Mr. Merdle immer das größte Interesse an Edmund nahm und stets den lebhaftesten Wunsch an den Tag legte, seiner Zukunft förderlich zu sein. Edmunds öffentliche Stellung, denke ich, kennen Sie. Seine Privatstellung ruht ganz in Mr. Merdles Händen. In meiner kindischen Unfähigkeit für alles, was Geschäft heißt, versichere ich Sie, daß ich nichts weiter weiß.«
Mr. Dorrit drückte aufs neue in seiner Weise die Überzeugung aus, daß Geschäftssachen außerhalb des Gesichtskreises von Zauberinnen, die alles zu Sklaven machen, liegen. Er erwähnte dann seine Absicht, als Gentleman und Vater an Mr. Merdle zu schreiben. Mrs. Merdle war von ganzem Herzen – oder mit all ihrer Kunst, was genau dasselbe war – einverstanden und schickte selbst mit umgehender Post einen vorbereitenden Brief an das achte Wunder der Welt.
In seiner brieflichen Mitteilung wie in seinen Gesprächen und Abhandlungen über die große Frage, um die es sich handelte, umgab Mr. Dorrit die Sache mit Floskeln aller Art, wie Schreibkünstler die Schreib- und Rechenbücher mit Arabesken verschönern, wodurch die Titel der Elementarregeln der Arithmetik in Schwäne, Adler, Greife und andere kalligraphische Unterhaltungen auseinanderlaufen und die Anfangsbuchstaben in Extasen von Feder und Tinte Leib und Seele verleugnen. Nichtsdestoweniger machte er den Gegenstand seines Briefes hinlänglich klar, um Mr. Merdle in den Stand zu setzen, sagen zu können, daß er die Sache aus dieser Quelle erfahren habe. Mr. Merdle antwortete Mr. Dorrit demgemäß; Mr. Dorrit antwortete Mr. Merdle; Mr. Merdle antwortete Mr. Dorrit, und bald verlautete, daß die korrespondierenden Mächte zu einem befriedigenden Einverständnis gediehen seien.
Nun erst und nicht früher trat Miß Fanny, vollständig für ihre neue Rolle kostümiert, auf die Szene. Nun und nicht früher saugte sie Mr. Sparkler ganz in ihrem Lichte auf und leuchtete für beide und noch zwanzig mehr. Nicht länger den Mangel eines bestimmten Platzes und Charakters vermissend, was ihr so vielen Kummer verursacht, begann dieses schöne Schiff in einer festen Richtung zu steuern und mit einem Tiefgang und einem Gleichgewicht, die ihre hohen Seglereigenschaften entfalteten.
»Nachdem die Präliminarien zur Zufriedenheit arrangiert sind, so denke ich, mein liebes Kind«, sagte Mr. Dorrit, »will ich – ha – formell Mrs. General …«
»Papa«, versetzte Fanny, indem sie ihm bei diesem Namen rasch ins Wort fiel, »ich sehe nicht ein, was Mrs. General damit zu tun haben sollte.«
»Meine Liebe«, sagte Mr. Dorrit, »es ist ein Akt der Höflichkeit gegen – hm – eine feingebildete und noble Dame –«
»Oh! ich habe Mrs. Generals feine Bildung und Noblesse satt, Papa«, sagte Fanny, »ich bin Mrs. Generals müde.«
»Müde«, wiederholte Mr. Dorrit mit vorwurfsvollem Erstaunen, »Mrs. Generals müde!«
»Ganz übersatt, Papa«, sagte Fanny, »ich weiß wirklich nicht, was sie mit meiner Heirat zu tun hat. Lasse sie sich mit ihren eigenen Heiratsprojekten beschäftigen – wenn sie welche hat.«
»Fanny«, versetzte Mr. Dorrit mit ernster und schwerfälliger Langsamkeit des Begreifens, die stark mit der Leichtfertigkeit seiner Tochter kontrastierte, »ich bitte, mir gefälligst erklären zu wollen – ha –, was du meinst.«
»Ich meine, Papa«, sagte Fanny, »daß, wenn Mrs. General zufällig selbst Heiratsprojekte haben sollte, diese meiner Ansicht nach ihre freie Zeit in Anspruch zu nehmen imstande sein werden. Wenn sie keine solchen hat, um so besser: aber ich wünsche doch nicht die Ehre zu haben, ihr besondere Mitteilung zu machen.«
»Erlaube mir zu fragen, Fanny«, sagte Mr. Dorrit, »weshalb nicht?«
»Weil sie selbst hinter meine Verlobung kommen kann, Papa«, versetzte Fanny. »Sie ist meiner Ansicht nach wachsam genug. Ich glaube das an ihr beobachtet zu haben. Kommt sie nicht selbst dahinter, so wird sie’s merken, wenn ich verheiratet bin. Und ich hoffe, Sie werden mich deshalb nicht der Liebe gegen Sie zu ermangeln glauben, wenn ich sage, es scheint mir immer noch Zeit genug für Mrs. General zu sein.«
»Fanny«, versetzte Mr. Dorrit, »ich bin erstaunt, ich bin höchst ungehalten über diese – hm – launenhafte und unbegreifliche Gehässigkeit, die du gegen – ha – Mrs. General an den Tag legst.«
Bei diesen Worten erhob er sich mit einem festen Blick voll strengen Vorwurfs von seinem Stuhl und blieb in seiner Würde vor seiner Tochter stehen. Seine Tochter drehte das Bracelet an ihrem Arm, sah ihn bald an, bald von ihm weg und sagte: »Nun gut. Ich bedaure wirklich, wenn es dir nicht gefällt: aber ich kann mal nicht anders. Ich bin kein Kind mehr und bin nicht Amy, ich muß sprechen.«
»Fanny«, sagte Mr. Dorrit halb atemlos nach majestätischem Schweigen, »wenn ich verlange, daß du hier bleibst, während ich Mrs. General, als einer ausgezeichneten Dame, die – hm – ein treues Mitglied unserer Familie ist, – die Veränderung mitteile, die unter uns beabsichtigt ist; wenn ich – ha – nicht allein dies fordere, sondern – hm – darauf bestehe –«
»O, Papa«, fiel Fanny mit bedeutungsvollem Nachdruck ein, »wenn du, wie es scheint, so großes Gewicht darauf legst, so ist es meine Pflicht, zu gehorchen. Ich hoffe jedoch, daß ich mir meine Gedanken darüber machen darf, denn ich muß mir unter so bewandten Umständen welche machen.« Fanny setzte sich darauf mit einer Ergebung, die, wenn man die Extreme betrachtete, wie Herausforderung aussah: und ihr Vater, der entweder sie keiner Antwort würdigte oder nicht wußte, was er antworten sollte, lief nach Mr. Tinkler.
»Mrs. General.«
Mr. Tinkler, der nicht gewöhnt war, so kurze Befehle zu erhalten, wenn es sich um die schöne Firnisserin handelte, blieb stehen. Mr. Dorrit aber, der das ganze Marschallgefängnis und alle Ehrengaben in diesem Stehenbleiben erblickte, fuhr augenblicklich auf ihn zu und rief: »Wie können Sie es wagen, Sir? Was wollen Sie damit?«
»Ich bitte um Entschuldigung«, sagte Mr. Tinkler zu seiner Verteidigung, »ich wünschte zu wissen –«
»Sie wünschten nichts zu wissen, Herr«, rief Mr. Dorrit stark gerötet. »Sagen Sie mir das nicht. Ha! Das war nichts. Sie haben sich einen Spott erlaubt, Herr.«
»Ich versichere Sie, Sir –«, begann Mr. Tinkler.
»Versichern Sie mir nichts!« sagte Mr. Dorrit. »Ich will keine Versicherung von einem Bedienten. Sie haben sich einen Spott zuschulden kommen lassen. Sie können zum Teufel gehen –-hm – die ganze Dienerschaft kann zum Teufel gehen, auf was warten Sie noch?«
»Nur auf meinen Auftrag, Sir.«
»Das ist nicht wahr, Sie haben Ihren Auftrag. Ha – hm. Meine Empfehlung an Mrs. General, und ich lasse sie bitten, die Güte zu haben, herüberzukommen, wenn es ihr gefällig, nur auf einige Minuten. Das ist Ihr Auftrag.« Bei der Entledigung dieses Auftrags ließ Mr. Tinkler vielleicht verlauten, daß Mr. Dorrit höchst aufgebracht sei. Wie dem nun auch war, Mrs. Generals Kleider hörte man alsbald draußen mit ungewöhnlicher Eile rauschen – ja, man möchte beinahe sagen anprallen. An der Tür ließen sie sich jedoch wieder nieder und schwebten mit gewöhnlicher Kälte herein.
»Mrs. General«, sagte Mr. Dorrit, »setzen Sie sich.«
Mrs. General ließ sich mit anmutig dankender Verbeugung, die einen schönen Bogen bildete, in den Stuhl nieder, den ihr Mr. Dorrit anbot.
»Madame«, fuhr dieser fort, »da Sie die Freundlichkeit hatten, sich – hm – mit der Bildung meiner Töchter zu beschäftigen, und da ich überzeugt bin, daß nichts, was dieselben nahe angeht – ha –, Ihnen gleichgültig sein kann –«
»Ganz unmöglich«, sagte Mrs. General in ihrer ruhigsten Art.
»– so wünsche ich Ihnen mitzuteilen, Madame, daß meine anwesende Tochter –«
Mrs. General machte eine leichte Kopfverbeugung gegen Fanny. Diese machte gleichfalls eine sehr tiefe Kopfverbeugung gegen Mrs. General und richtete sich dann wieder stolz auf.
»– daß meine Tochter Fanny sich – ha – mit Mr. Sparkler verlobt hat, den Sie kennen. Sie werden von nun an der Hälfte Ihrer schwierigen – ha – schwierigen Aufgabe enthoben sein.« – Mr. Dorrit wiederholte seine Worte mit einem ärgerlichen Blick auf Fanny. »Dagegen wird, wie ich hoffe, in keinem andern Teil der Stellung, die Sie im Augenblick in meiner Familie einzunehmen die Güte haben, die geringste Änderung oder Verminderung eintreten.«
»Mr. Dorrit«, versetzte Mrs. General, während ihre behandschuhten Hände in exemplarischer Ruhe aufeinander lagen, »ist stets ungemein rücksichtsvoll und schlägt meine freundlichen Dienste viel zu hoch an.«
(Miß Fanny hustete, als wollte sie sagen: »Sie haben recht!«)
»Miß Dorrit hat ohne Zweifel mit der größten Besonnenheit gewählt, soweit dies die Umstände gestatteten, und wird mir wohl erlauben, ihr meine aufrichtigsten Glückwünsche darzubringen. Wenn keine Fesseln der Leidenschaft uns binden«, Mrs. General schloß ihre Augen bei dem Worte, als ob sie es nicht aussprechen und dabei jemanden ansehen könnte, »wenn die nächsten Verwandten ihre Zustimmung geben und das stolze Gebäude einer Familie dadurch befestigt wird – so sind dies gewöhnlich gute Vorbedeutungen. Ich hoffe. Miß Dorrit wird mir erlauben, ihr meine besten Glückwünsche darzubringen.«
Hier hielt Mrs. General inne und fügte bei sich hinzu, um ihr Gesicht wieder in die richtigen Falten zu legen: »Papa, Potatoes, Poultry, Prunes und Prism.«
»Mr. Dorrit«, fügte sie laut hinzu, »zeigt sich sehr verbindlich gegen mich: und für die Aufmerksamkeit, ja, ich möchte sagen Auszeichnung, daß mir von ihm und Miß Dorrit so früh diese vertrauliche Mitteilung geworden ist, erlaube ich mir, meinen lebhaftesten Dank auszusprechen. Mein Dank und mein Glückwunsch gehören gleicherweise Mr. Dorrit und Miß Dorrit.«
»Mir«, bemerkte Miß Fanny, »ist dies ausnehmend erfreulich, ganz außerordentlich erfreulich. Das wohltuende Bewußtsein, daß Sie nichts gegen meine Verbindung einzuwenden haben, Mrs. General, nimmt mir wahrhaftig eine große Last vom Herzen. Ich weiß kaum, was ich getan«, sagte Fanny, »wenn Sie Einwürfe gemacht, Mrs. General.«
Mrs. General änderte die Lage ihrer Handschuhe, indem sie den rechten nach oben, den linken nach unten legte und dabei lächelte, während ihr Mund Prunes und Prism auszusprechen schien.
»Ihre Zufriedenheit mir zu erhalten, Mrs. General,« sagte Fanny mit einem Lächeln, in dem nichts von Prunes und Prism zu gewahren war, »wird natürlich das höchste Streben meines Lebens sein; sie zu verlieren, wäre natürlich das größte Unglück für mich. Ich bin jedoch überzeugt, Ihre große Freundlichkeit wird nichts dagegen haben, und ich hoffe, auch Papa wird nichts dagegen haben, wenn ich einen kleinen Irrtum, den Sie begangen, berichtige. Die besten Menschen sind so sehr dem Irrtum ausgesetzt, daß selbst Sie, Mrs. General, einen kleinen Irrtum begangen haben. Die Aufmerksamkeit und Auszeichnung, deren Sie so nachdrücklich als in diesem Vertrauen liegend erwähnten, Mrs. General, mögen allerdings äußerst schmeichelhaft und wohltuend sein; aber sie kommen nicht von mir. Das Verdienst, Sie wegen dieser Sache zu Rate gezogen zu haben, wäre so groß für mich gewesen, daß ich fühle, ich darf keinen Anspruch darauf machen, wenn ich es nicht wirklich habe. Es ist ganz und gar Papas Verdienst. Ich bin Ihnen sehr verbunden für Ihre Ermutigung und Ihr Wohlwollen, aber Papa war es, der sie heischte. Ich habe Ihnen zu danken, Mrs. General, daß Sie meine Brust von einer schweren Last befreiten, indem Sie so freundlich Ihre Zustimmung zu meiner Verbindung geben; aber Sie haben mir durchaus nicht dafür zu danken. Ich hoffe, Sie werden auch künftig, wenn ich das Vaterhaus verlassen habe, mein Tun und Treiben billigen, und meine Schwester wird der Lieblingsgegenstand Ihrer herablassenden Güte sein, Mrs. General.«
Nach dieser Anrede, die sie in ihrer höflichsten Weise vorbrachte, verließ Miß Fanny das Zimmer mit artiger und freundlicher Miene, um mit dunkelrotem Gesicht die Treppe hinaufzustürmen, sobald sie aus dem Hörkreis war, auf ihre Schwester loszufahren, sie einen kleinen Hamster zu schelten, sie zu schütteln, daß sie die Augen besser öffne, ihr zu sagen, was unten vorgegangen, und sie zu fragen, was sie jetzt von Papa dächte?
Gegen Mrs. Merdle benahm sich die junge Dame mit großer Unabhängigkeit und Selbstbeherrschung; aber noch immer, ohne entschieden die Feindseligkeiten zu eröffnen. Bisweilen hatten sie ein kleines Scharmützel, wenn Fanny sich durch diese Dame auf den Rücken geklopft glaubte, oder wenn Mrs. Merdle besonders jung und gut aussah; aber Mrs. Merdle schloß diese Waffengänge immer nach kurzer Zeit damit, daß sie mit der anmutigsten Gleichgültigkeit in ihre Kissen sank und ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes richtete. Die Gesellschaft (denn dieses geheimnisvolle Wesen saß auch auf den sieben Hügeln) fand, daß Miß Fanny sich durch ihre Verlobung sehr gebessert habe. Sie war zugänglicher, freier und einnehmender, weit weniger anmaßend; und dies in solchem Grade, daß sie jetzt ein ganzes Heer von Verehrern und Bewunderern um sich versammelte – zu nicht geringem Ärger der Frauen, die heiratsfähige Töchter hatten und die gewissermaßen wegen des Miß Dorritschen Kriegsfalls aus der Gesellschaft aufstanden und eine rebellische Fahne aufpflanzten. Miß Dorrit, die sich der Unruhen freute, die sie hervorrief, schritt nicht nur in eigner Person stolz durch dieselben hindurch, sondern führte selbst Mr. Sparkler prahlend durch die Massen, indem sie zu sagen schien: »Wenn ich es für passend halte, nur von diesem einen schwachen Gefangenen lieber, als von einem stärkeren in Fesseln begleitet, meinen Triumphzug zu halten, so ist das meine Sache. Genug, ich will es so!« Mr. Sparkler seinerseits fragte nichts, sondern ging, wohin man ihn führte, tat, was man ihm sagte, fühlte, daß, wenn er wegen seiner Brautwahl ausgezeichnet wurde, diese Auszeichnung zu erringen ihm wenig Mühe gekostet, und war herzlich dankbar für diese öffentliche Anerkennung.
Da der Winter seinem Ende entgegeneilte und der Frühling nahte, während diese Dinge vor sich gingen, wurde es nötig, daß Mr. Sparkler in die Heimat zurückkehrte und die ihm angewiesene Stellung für die Betätigung und Richtung seines Geistes, seiner Kenntnisse, seines Handelstalentes, seiner geistigen und körperlichen Kräfte einnehme. Das Land Shakespeares, Miltons, Bacons, Newtons, Watts, das Land eines Heeres von verstorbenen und lebenden abstrakten Philosophen, Naturphilosophen und Bezwingern der Natur und Kunst in ihren Myriaden Formen rief Mr. Sparkler, daß er komme und sich seiner annehme, da es sonst zugrunde gehen müsse. Mr. Sparkler, der nicht imstande war, den Todesschrei, der aus der Tiefe der Seele seines Landes drang, zu widerstehen, erklärte, daß er gehen müsse.
Dadurch wurde natürlich die Frage, wann, wo und wie Mr. Sparkler dem ersten Mädchen der ganzen Welt, das keinen Unsinn an sich habe, angetraut werden sollte, zu einer brennenden. Die Lösung derselben teilte Miß Fanny, nachdem man eine Zeitlang geheime Verhandlungen darüber gepflogen, ihrer Schwester selbst mit.
»Nun, mein Kind«, sagte sie, indem sie sie eines Tages aufsuchte, »ich will dir etwas sagen. Es ist eben erst zum Beschluß gekommen, und natürlich eile ich im selben Augenblick zu dir, wo die Sache zum Beschluß gekommen ist.« »Deine Heirat, Fanny?«
»Mein kostbares Kind«, sagte Fanny, »greife mir nicht vor. Lasse mich auf meine Weise mein Vertrauen mit dir teilen, du kleines, unruhiges Ding. Wenn ich deine Vermutung wörtlich beantwortete, so würde ich nein antworten. Denn es handelt sich nicht so sehr um meine Heirat als um Edmunds Heirat.«
Klein-Dorrit schien, und vielleicht nicht ohne Ursache, etwas verlegen, diese seine Unterscheidung zu verstehen.
»Ich mache keine Schwierigkeit«, rief Fanny, »und habe keine Eile. Mich braucht man auf keinem öffentlichen Bureau, noch bedarf man meiner Stimme sonstwo. Aber Edmund wird verlangt. Und Edmund ist sehr niedergeschlagen, daß er fort muß, und wahrhaftig, ich wünschte nicht, daß er sich selbst überlassen wäre. Denn wo es möglich – und es ist gewöhnlich möglich – etwas Törichtes zu tun, so tut er es sicher.«
Als sie diesen unparteiischen Inbegriff des Vertrauens, das man auf ihren künftigen Gatten setzen könne, geschlossen, nahm sie mit einer Geschäftsmiene den Hut ab, den sie trug, und ließ ihn an den Bändern auf dem Boden baumeln.
»Es handelt sich deshalb mehr um Edmund, als um mich. Doch wir brauchen nicht mehr davon zu sagen. Es springt von selbst in die Augen. Nun, meine liebste Amy, wenn die Frage aufsteigt, geht er allein, oder geht er nicht allein?, so steigt die weitere Frage auf, sollen wir hier und bald getraut werden, oder sollen wir in der Heimat und in einigen Monaten getraut werden?«
»Ich sehe, ich soll dich verlieren, Fanny.«
»Was für ein kleines Ding du bist«, rief Fanny, halb nachsichtig und halb ungeduldig, »daß du mir immer zuvorkommst! Bitte, mein Liebling, lasse mich ausreden. Jene Frau«, sie sprach natürlich von Mrs. Merdle, »bleibt bis nach Ostern hier; im Falle ich nun hier heirate und mit Edmund nach London gehe, hätte ich den Vorsprung vor ihr. Das ist etwas. Weiter, Amy. Ist jene Frau mir au« dem Wege, so wüßte ich nicht, was ich Besonderes gegen den Vorschlag einzuwenden haben sollte, den Mr. Merdle Papa machte, daß Edmund und ich unsere Wohnung in jenem Hause aufschlagen – du weißt, wo du einst mit einer Tänzerin warst, meine Liebe –, bis unser eigenes Haus gewählt und eingerichtet werden kann. Noch weiter, Amy. Da Papa immer die Absicht hatte, im Frühjahr nach London zu gehen, so würden wir, wenn Edmund und ich verheiratet wären, nach Florenz gehen, wohin uns Papa nachkäme, und wir könnten dann alle drei zusammen nach Hause reisen. Mr. Merdle hatte Papa gebeten, in dem bereits erwähnten Hause bei ihm zu wohnen, und ich glaube auch, er hat die Absicht. Aber er ist Herr seines Tuns, und über diesen Punkt (der auch gar nicht wesentlich ist) kann ich nicht mit Bestimmtheit sprechen.«
Fanny legte auf den Unterschied, daß Papa Herr seines Tuns sei, was bei Mr. Sparkler in keiner Weise der Fall, durch die Art, wie sie die Sache darstellte, einen besonderen Nachdruck. Ihre Schwester bemerkte es jedoch nicht; denn ihre Gefühle waren zwischen dem Schmerz einer baldigen Trennung und dem sehnsüchtigen Wunsche geteilt, daß man auch sie in den Plan, England zu besuchen, mit eingeschlossen habe.
»Das sind die Arrangements, liebe Fanny?«
»Das sind die Arrangements!« wiederholte Fanny. »Nun, wahrhaftig, Kind, du stellst mich nicht wenig auf die Probe. Du weißt, ich hütete mich ganz besonders davor, die Worte so zu setzen, daß irgendeine derartige Deutung möglich war. Was ich sagte, war, daß gewisse Fragen sich darbieten; und dies sind die Fragen.«
Klein-Dorrits gedankenvolle Augen ruhten zärtlich und sanft auf ihr.
»Nun, mein süßes Mädchen«, sagte Fanny, ihren Hut an seinen Bändern mit großer Ungeduld hin- und herschwingend, »was soll das Stieren? Eine kleine Eule könnte mich ebenso stark ansehen. Ich verlange Rat von dir, Amy. Was rätst du mir zu tun?«
»Glaubst du«, fragte Klein-Dorrit nach kurzem Zögern überredend, »glaubst du, Fanny, daß es nicht besser wäre, wenn man alles in Betracht zieht, daß du die Heirat noch einige Monate verschöbest?«
»Nein, kleine Schildkröte«, versetzte Fanny in außerordentlich scharfem Tone, »das denke ich durchaus nicht.«
Hier schleuderte sie den Hut ganz von sich und warf sich in einen Stuhl. Aber gleich darauf wieder von zärtlichen Gefühlen ergriffen, sprang sie vom Stuhl auf und kniete auf den Boden nieder, um ihre Schwester und den Stuhl und alles zu umarmen.
»Glaube nicht, daß ich heftig und unfreundlich bin, liebes Kind, ich bin es wirklich nicht. Aber du bist so ein kleines närrisches Ding! Du machst, daß man dir gleich den Kopf abbeißt, wenn man dich liebkosen möchte. Habe ich dir nicht gesagt, mein liebes Kind, daß man Edmund nicht sich selbst überlassen darf? Und weißt du wirklich nicht, daß dem so ist?«
»Doch, doch, Fanny. Du sagtest das, ich weiß es.«
»Und du weißt es, das weiß ich«, versetzte Fanny. »Nun, mein kostbares Kind! Wenn man ihn nicht sich selbst überlassen darf, denke ich, so sollt‘ ich mit ihm gehen – habe ich dich also, liebste Amy, so zu verstehen, daß du, nachdem du gehört, welche Schritte in dieser Sache möglich sind, mir im ganzen rätst, sie zu tun?«
»Es scheint so, meine Liebe«, sagte Klein-Dorrit.
»Nun gut!« rief Fanny mit resignierter Miene, »dann muß es wohl auch geschehen? Ich kam zu dir, meine Liebe, in dem Augenblick, wo ich den Zweifel und die Notwendigkeit, einen Entschluß zu fassen, fühlte. Ich habe meinen Entschluß nunmehr gefaßt. So mag es nun sein.«
Nachdem Fanny in dieser musterhaften Weise schwesterlichem Rat und dem Drang der Umstände nachgegeben, wurde sie außerordentlich wohlwollend, wie jemand, der seine eigenen Neigungen der teuersten Freundin geopfert und in diesem Bewußtsein ein höchst wohltuendes Gefühl empfand. »Im Grunde, meine Amy«, sagte sie zu ihrer Schwester, »bist du das beste kleine Geschöpf, das man sich denken kann; voll Klugheit und Einsicht; und ich wüßte nicht, wie ich’s ohne dich anfangen sollte!«
Mit diesen Worten umarmte sie sie noch einmal und mit noch größerer Innigkeit und Herzlichkeit.
»Nicht, daß ich beabsichtigte, je ohne dich zu sein, Amy, keineswegs, denn ich hoffe, wir werden beinahe unzertrennlich sein. Und nun, mein Liebling, will ich auch dir einen Rat geben. Wenn du hier allein mit Mrs. General bleibst –«
»Ich soll hier allein mit Mrs. General bleiben?« sagte Klein-Dorrit ruhig.
»Natürlich, mein kostbares Kind, bis der Papa zurückkommt! Wenn du nicht etwa Edward Gesellschaft nennen willst, was er gewiß nicht ist, selbst wenn er hier ist, und noch weniger natürlich, wenn er in Neapel oder Sizilien ist. Ich war im Begriff, zu sagen – aber du bist solch ein närrisches Ding, daß du einen aus dem Konzept bringst – wenn du hier allein mit Mrs. General zurückbleibst, Amy, so dulde nicht, daß sie dich irgendwie auf schlaue Weise dazu bringt, es als etwas Natürliches anzusehen, daß sie sich um Papa oder daß Papa sich um sie bekümmert. Sie wird das tun, wenn sie es kann. Ich kenne ihre schlaue Manier, sich mit ihren Handschuhen fortzutasten. Du aber darfst sie unter keiner Bedingung verstehen. Und wenn Papa dir bei seiner Rückkehr sagen sollte, daß er die Absicht habe, Mrs. General zu deiner Mama zu machen (was durch mein Weggehen nicht wenig wahrscheinlich wird), so rate ich dir, daß du sogleich erklärst: »Papa, ich bitte, mich entschieden dagegen aussprechen zu dürfen. Fanny hat mich davor gewarnt; sie ist dagegen, und ich bin dagegen.« Ich will damit nicht sagen, daß irgendein Einwurf von deiner Seite auch nur die geringste Wirkung zu machen, Aussicht hat, oder daß ich glaube, du werdest ihn mit der nötigen Festigkeit vorbringen. Aber es handelt sich hier um ein Prinzip – ein kindliches Prinzip, und ich bitte dich dringend, dich nicht von Mrs. General bestiefmuttern zu lassen, ohne jenes Prinzip dadurch zu manifestieren, daß du es jedermann so unbehaglich wie möglich machst. Ich erwarte von dir nicht, daß du fest bei demselben beharrst – ich weiß wirklich, du wirst es nicht tun, soweit die Sache Papa betrifft, aber ich möchte dich zum Bewußtsein des Pflichtgefühls bringen. Was die Unterstützung von meiner Seite oder den Widerspruch betrifft, den ich gegen eine solche Heirat einsetzen kann, so werde ich dich nicht im Stiche lassen, meine Liebe. Alles Gewicht, das mir meine Stellung als verheiratete Frau gibt, die nicht ganz aller Anziehungskraft entbehrt, – und gewohnt, dieser Frau Widerstand zu leisten, wie dies immer bei mir der Fall sein wird – all dies Gewicht, darauf kannst du dich verlassen, werde ich auf das Haupt und das falsche Haar (denn ich bin überzeugt, es ist nicht echt, so häßlich es auch ist, und so unwahrscheinlich es auch ist, daß jemand vernünftiges Geld dafür ausgeben sollte) von Mrs. General fallen lassen!«
Klein-Dorrit hörte diesen Rat an, ohne zu wagen, etwas gegen denselben einzuwenden, ohne jedoch auch Fanny irgendeinen Grund zu dem Glauben zu geben, sie beabsichtige, ihn zu befolgen. Da Fanny nun gewissermaßen ihr Jungfrauenleben förmlich abgeschlossen und ihre weltlichen Angelegenheiten geordnet hatte, begann sie mit dem ihr eigentümlichen Eifer, sich für die ernste Veränderung in ihrer Lage vorzubereiten.
Die Vorbereitung bestand darin, daß sie ihr Mädchen, in Begleitung eines Kuriers, nach Paris sandte, um die Ausstattung für eine Braut zu kaufen, der die gegenwärtige Erzählung –- ohne ins Platte zu verfallen – keinen englischen Namen geben kann, der jedoch einen französischen Namen zu geben (nach dem gewöhnlichen Grundsatz, bei der Sprache zu bleiben, in der sie mal geschrieben), ihr ebenso widerstrebt. Die von diesen Agenten angekaufte schöne und reiche Garderobe machte im Verlaufe weniger Wochen ihren Weg durch das dazwischen liegende Land, das mit Zollhäusern überfüllt war, in dem eine ungeheure Armee schäbiger Bettler in Uniform garnisonierte, die beständig die Bitte um Almosen wiederholten, als wenn jeder einzelne dieser Krieger der alte Belisar wäre, und deren es so zahlreiche Legionen gab, daß, wenn der Kurier nicht genau anderthalb Scheffel Silbergeld ausgegeben hätte, um ihrer Not abzuhelfen, sie durch das bloße Umdrehen schon die Garderobe zerfetzt hätten, ehe sie nach Rom gelangt wäre. Aus all diesen Gefahren ging sie jedoch siegreich hervor, Zoll um Zoll, und kam in bester Beschaffenheit am Ziel ihrer Reise an.
Dort wurde sie auserlesenen Gesellschaften von Besucherinnen vorgelegt, in deren zartem Busen sie unversöhnliche Gefühle weckte. Gleichzeitig wurden lebhafte Vorbereitungen für den Tag gemacht, an dem einige von diesen Schätzen öffentlich zur Schau gestellt werden sollten. Die Hälfte der Engländer in der Stadt des Romulus erhielt Einladungskarten zum Frühstück; die andre Hälfte machte Vorbereitungen, um als kritisierende Freiwillige an verschiedenen Vorposten der Feierlichkeit unter Waffen zu sein. Der hochgestellte und ausgezeichnete englische Signor Edgardo Dorrit kam mit Extrapost durch den tiefen Schmutz und auf den schlechten Wegen von Neapel (wo er dem strebenden neapolitanischen Adel Manieren beibrachte), um der Feierlichkeit anzuwohnen. Das beste Hotel und alle seine Kochkünstler waren mit der Bereitung des Festmahles in Anspruch genommen. Die Anweisungen von Mr. Dorrit brachten bei Torlonia beinahe eine Krisis hervor. Der britische Konsul hatte während seines ganzen Konsulats keine solche Hochzeit gehabt.
Der Tag erschien, und die Wölfin auf dem Kapitol hätte vor Neid die Zähne fletschen können, wenn sie hatte sehen müssen, wie die Inselwilden die Sache heutzutage treiben. Die bösen Kaiser der Soldateska mit den Mördergesichtern, denen die Bildhauer die abscheuliche Häßlichkeit nicht hatten wegschmeicheln können, hätten von ihren Piedestalen herabkommen können, um die Braut zu entführen. Die vertrocknete alte Fontäne, wo sich ehedem die Gladiatoren gewaschen, hätte zu Ehren der Feierlichkeit wieder springen können. Der Tempel der Vesta hätte sich wieder aus seinen Trümmern erheben können, um bei dieser feierlichen Gelegenheit sich in seiner ganzen Schönheit zu zeigen. Sie hätten es tun können: aber taten es nicht. Wie lebendige Wesen – selbst wie manchmal die Herren und Herrinnen der Schöpfung – hätten sie viel tun können, taten aber nichts. Die Feierlichkeit ging mit staunenswertem Pomp vor sich: Mönche in schwarzen Kutten, weißen Kutten und braunen Kutten blieben stehen, um den Wagen nachzusehen; herumziehende Landleute in Schafpelzen bettelten und bliesen unter den Fenstern des Hauses; die englischen Freiwilligen zogen vorüber; der Tag verging bis zur Vesperstunde; das Fest war vorbei; die Tausende von Kirchenglocken läuteten, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, und St. Peter leugnete, daß er irgend etwas damit zu tun habe.
Inzwischen war die Braut dem Ziel ihrer ersten Tagreise auf dem Wege nach Florenz nahe. Es war eine Eigentümlichkeit dieser Hochzeit, daß sie ganz nur Braut war. Niemand nahm von dem Bräutigam Notiz. Niemand nahm von der ersten Brautjungfer Notiz. Wenige hätten vor dem Glanz Klein-Dorrit (die diese Stelle versah) bemerken können, selbst vorausgesetzt, daß viele sie gesucht hätten. So war die Braut in ihren schönen Wagen gestiegen, zufällig von dem Bräutigam begleitet, und fing jetzt an, nachdem sie wenige Minuten lang sanft über ein schönes Pflaster gerollt, sich durch einen melancholischen Sumpf und durch eine lange, lange Straße von Verfall und Trümmern hindurchzuwinden. Andere Hochzeitswagen sollen vorher und seitdem dieselbe Straße gefahren sein.
Wenn sich Klein-Dorrit an diesem Abend ein wenig einsam und gedrückt fühlte, so würde sie nichts so sehr erleichtert haben, als wenn sie neben ihrem Vater wie in frühern Zeiten an der Arbeit hätte sitzen oder ihm sein Nachtessen und sein Bett bereiten können. Aber daran war jetzt nicht zu denken, wo sie mit Mrs. General auf dem Bock der Zeremonienkutsche saß. Und das Nachtessen! Wenn Mr. Dorrit ein solches verlangte, mußten ein italienischer Koch und ein Schweizer Konditor Mützen so hoch wie die Mitra des Papstes aufsetzen und die Geheimnisse von Alchimisten in einem mit kupfernen Kasserollen versehenen Laboratorium unter der Erde verrichten, ehe er es bekommen konnte.
Er war an diesem Abend sententiös und belehrend; wäre er einfach herzlich gewesen, so hätte das Klein-Dorrit wohler getan; aber sie nahm ihn, wie er war – wann hatte sie ihn nicht genommen, wie er war – und faßte ihn von seiner besten Seite auf. Mrs. General zog sich endlich zurück. Ihr Weggehen am I?7 Abend war immer ihre frostigste Zeremonie, als fände sie es notwendig, die menschliche Phantasie zu Stein erstarren zu machen, daß man ihr nicht folge. Als sie ihre strengen Präliminarien gemacht, die bis zu platonischen Übungen sich verstiegen, verließ sie das Zimmer. Klein-Dorrit schlang dann ihren Arm um ihres Vaters Hals, um ihm gute Nacht zu sagen.
»Meine liebe Amy«, sagte Mr. Dorrit, indem er ihre Hand ergriff, »das ist das Ende eines Tages, der mich – ha – sehr gerührt und mir sehr wohlgetan hat.«
»Wohl auch ein wenig müde gemacht, Vater?«
»Nein«, sagte Mr. Dorrit, »nein, ich fühle keine Müdigkeit, wenn sie eine so – hm – mit Freude der reinsten Art verbundene Veranlassung hat.«
Klein-Dorrit freute sich, ihn bei so guter Stimmung zu finden, und lächelte voll Glückseligkeit.
»Mein Liebe«, fuhr er fort. »Dies ist ein Tag – ha –, der als ein gutes Beispiel gelten kann. Ein gutes Beispiel, mein treuer Liebling, – hm – für dich.«
Klein-Dorrit, durch seine Worte etwas in Verlegenheit gebracht, wußte nicht, was sie sagen sollte, obgleich er innehielt, als ob er erwartete, sie werde etwas sagen.
»Amy«, fuhr er fort, »deine liebe Schwester, unsere Fanny, hat – ha, hm – eine Ehe geschlossen, die vortrefflich geeignet ist, die Basis unserer – ha – Bekanntschaft auszudehnen und unsere – hm – sozialen Beziehungen zu konsolidieren. Meine Liebe, ich glaube, daß die Zeit nicht fern sein wird, wo eine – ha – annehmbare Partie sich für dich finden wird.«
»O, nein! Laß mich bei dir bleiben. Ich bitte dich, laß mich bei dir bleiben. Ich verlange nichts weiter, als bei dir zu bleiben und für dich zu sorgen!«
Sie sagte es wie jemand, der plötzlich aufgeschreckt wird.
»Nein, Amy, Amy«, sagte Mr. Dorrit. »Das ist schwach und kindisch, schwach und kindisch. Deine Stellung – ha – legt dir eine Verpflichtung auf. Es gilt, diese Stellung geltend zu machen; ich kann – ha – selbst für mich sorgen. Oder«, fügte er nach einem Augenblick hinzu, »wenn ich jemand brauchte, der für mich sorgte, so – hm – kann ich, mit dem – ha – Segen der Vorsehung, jemand finden, der für mich sorgt. Ich kann nicht – ha, hm – alle Last auf dich wälzen, liebes Kind, und – ha – dich gewissermaßen aufopfern.«
O, welch eine Tageszeit für diese Beteurung von Selbstverleugnung: o; welche Zeit, um sie mit einer Miene auszusprechen, als ob man Glauben für sie forderte; welch eine Zeit, daran zu glauben, wenn das möglich wäre!
»Sprich nicht, Amy. Ich sage es ganz entschieden, ich kann das nicht zugeben. – Ich – ha – darf – es nicht zugeben. Mein – hm – Gewissen würde es nicht erlauben. Ich ergreife daher die mir durch diese angenehme und rührende Gelegenheit gebotene Veranlassung, dir feierlich – ha – kundzutun, daß es jetzt mein innigster Wunsch und Vorsatz ist, dich – ha – angemessen (ich wiederhole angemessen) verheiratet zu sehen.«
»O nein, mein lieber Vater, ich bitte dich!«
»Amy!« sagte Mr. Dorrit, »ich bin fest überzeugt, daß, wenn die Sache, die wir hier besprechen, einer Person von höherer Weltkenntnis, größerem Zartgefühl und schärferer Einsicht vorgelegt würde – wir wollen zum Beispiel sagen, Mrs. General –, so würden nicht zweierlei Ansichten über den – hm – liebevollen Charakter und die Richtigkeit meiner Gefühle stattfinden. Da ich jedoch deinen liebevollen und gehorsamen Charakter aus – hm – Erfahrung kenne, so bin ich überzeugt, daß ich nichts weiter zu sagen brauche. Ich habe – hm – für den Augenblick keinen Gatten, den ich dir vorschlagen könnte; ich habe sogar nicht mal einen in Aussicht. Ich wünsche nur – ha –, daß wir uns verstehen. Hm. Gute Nacht, meine liebe und einzig mir bleibende Tochter. Gute Nacht. Gott sei mit dir!«
Wenn Klein-Dorrit jemals in dieser Nacht der Gedanke kam, daß er sie jetzt in seinem Glücke leicht hingeben könnte, jetzt, da er im Sinn hatte, sie durch eine zweite Gattin zu ersetzen, so verscheuchte sie diesen Gedanken alsbald wieder. Unverändert treu gegen ihn wie in den schlimmsten Zeiten, wo sie allein mit ihrer Hand ihn gestützt und aufrechterhalten, wies sie diesen Gedanken von sich ab und kannte in ihrer tränenvollen Ruhelosigkeit keinen herberen Gedanken, als daß er jetzt alles im Licht ihres Reichtums und mit der beständigen Sorge ins Auge faßte, reich zu bleiben und reicher zu werden.
Sie saßen noch drei Wochen länger in ihrer Staatskutsche, mit Mrs. General auf dem Bock; dann reiste er nach Florenz, um mit Fanny zusammenzutreffen. Klein-Dorrit hätte ihm so gern bis dahin Gesellschaft geleistet, einzig um ihrer Liebe willen, und wäre dann, an ihr teures England denkend, zurückgekehrt. Aber da der Kurier mit der Braut gegangen, war der Kammerdiener nunmehr an der Reihe; und diese wäre erst an sie gekommen, wenn man niemand mehr für Geld hätte haben können.
Mrs. General nahm das Leben leicht – so leicht, heißt das, wie sie überhaupt etwas nehmen konnte –, als der römische Haushalt in ihrem alleinigen Besitz blieb; und Klein-Dorrit fuhr oft in einem Mietswagen, den man ihnen gelassen, aus oder sprang auch allein aus dem Wagen und wanderte unter den Ruinen des alten Rom umher. Die Trümmer des großen alten Amphitheaters, der alten Tempel, der alten erinnerungsreichen Bogengänge, der alten vielbetretenen Straße, der alten Gräber erschienen ihr außer in ihrer eigentlichen Gestalt auch als Ruinen des alten Marschallgefängnisses – als Ruinen ihres eigenen ehemaligen Lebens – als Ruinen der Gesichter und Gestalten derer, die es damals bevölkert, als Ruinen der Neigungen, Hoffnungen, Sorgen und Freuden, die darin gewaltet hatten. Zwei untergegangene Sphären I?9 des Tuns und Leidens standen vor dem einsamen Mädchen, das oft auf einem zerbröckelten Steine saß; und an dem einsamen Orte, unter dem blauen Himmel, sah sie beides zugleich.
Dann kam gewöhnlich Mrs. General, nahm allem die Farbe, wie Natur und Kunst alle Farbe aus ihr genommen; sie schob zwischen Mr. Eustaces Text überall Prunes und Prism, wo sie nur konnte; sah sich überall nach Mr. Eustace und Kompagnie um und hatte sonst für nichts Auge; scharrte die dürrsten Knochen Altertum zusammen und verschlang sie ohne menschliches Erbarmen – wie ein Werwolf in Handschuhen.