Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Die Maschinerie in Bewegung.

Mr. Meagles betrieb die Unterhaltung mit Daniel Doyce, die Clennam ihm übertragen, mit so tätigem Eifer, daß er die Sache ehestens in Gang brachte und eines Morgens um neun Uhr bei Clennam vorsprach, um ihm seinen Bericht zu erstatten.

»Doyce ist höchlich erfreut über Ihre gute Meinung«, sagte er, »und wünscht nichts so sehr, als daß Sie die Sachen selbst untersuchen und sich genau von dem Stande derselben unterrichten. Er hat mir die Schlüssel zu allen seinen Papieren und Büchern eingehändigt – hier in dieser Tasche rasseln sie –, und der einzige Auftrag, den er mir gegeben, ist: ›Verschaffen Sie Mr. Clennam die Mittel, sich ganz auf den gleichen Standpunkt mit mir zu stellen, daß er alles wisse, was ich weiß. Wenn es am Ende zu nichts kommen sollte, wird er mein Vertrauen achten. Wenn ich dessen nicht zum voraus gewiß wäre, möchte ich nichts mit ihm zu tun haben.‹ Und damit«, sagte Mr. Meagles, »haben Sie Daniel Doyce, wie er ist.« »Ein sehr achtungswerter Charakter.« »O ja, gewiß. Kein Zweifel. Wunderlich, aber sehr achtungswert. Freilich sehr wunderlich. Sollten Sie es glauben, Clennam«, sagte Mr. Meagles mit herzlicher Freude über seines Freundes Enthusiasmus, »daß ich einen ganzen Morgen auf dem, wie heißt er nur, Yard –« »Bleeding Heart14« »Einen ganzen Morgen auf dem Bleeding Heart Yard zubrachte, ehe ich ihn überreden konnte, sich nur auf die Sache einzulassen?« »Wieso das?« »Wieso das kam, mein Freund? Ich hatte kaum Ihren Namen in Verbindung mit der Sache genannt, als er erklärte, nichts davon wissen zu wollen.« »Nichts davon wissen zu wollen, meinetwegen?« »Ich hatte kaum Ihren Namen genannt, Clennam, als er sagte: ›Das wird nicht gehen!‹ Was er damit meine? fragte ich ihn. ›Nichts, Meagles; das wird nicht gehen.‹ Warum würde es nicht gehen? Sie werden es kaum glauben, Clennam«, sagte Mr. Meagles innerlich lachend, »aber es kam endlich heraus, es werde nicht gehen, weil Sie und er auf dem Wege nach Twickenham in ein freundliches Gespräch sich miteinander eingelassen hätten, in dessen Verlauf er auf seine Absicht, einen Kompagnon anzunehmen, zu sprechen gekommen, da er damals angenommen, daß Sie so fest und dauernd etabliert seien wie die Paulskirche. ›Nun könnte Mr. Clennam‹, sagte er, ›vielleicht glauben, wenn ich auf seinen Vorschlag einginge, ich hätte bei dem, was ein offenes, ehrliches Wort war, ein absichtsvolles und schlaues Motiv gehabt. Das kann ich nicht ertragen‹, sagte er, ›ich bin wirklich zu stolz, das zu ertragen.‹« »Ich könnte ebensogut glauben –« »Natürlich«, unterbrach ihn Mr. Meagles, »das sagt‘ ich ihm auch. Aber es bedurfte eines ganzen Morgens, bis ich diese Mauer erstiegen, und ich zweifle, ob es irgend jemandem außer mir (er liebt mich seit langer Zeit) gelungen wäre, seinen Fuß hinüberzusetzen. Nun, Clennam, nachdem dieses geschäftliche Hindernis überwunden, bedingte er, daß, ehe ich die Sache mit Ihnen wieder aufnehmen würde, ich die Bücher durchsähe und mir eine Ansicht bilde. Ich sah die Bücher durch und bildete mir eine Ansicht. ›Ist sie im ganzen dafür und dagegen?‹ sagte er. ›Für‹ sagte ich. ›Dann‹, sagte er, ›mögen Sie, mein guter Freund, Mr. Clennam die Mittel an die Hand geben, sich selbst eine Ansicht zu bilden. Um ihn in den Stand zu setzen, dies ohne alle Parteilichkeit und mit vollkommener Freiheit tun zu können, werde ich auf eine Woche die Stadt verlassen.‹ Und er ist fort«, sagte Mr. Meagles, „das ist der glückliche Ausgang der Sache.«

»Er gibt mir dadurch«, sagte Clennam, »einen hohen Begriff, ich muß gestehen, von seiner Redlichkeit und seiner –“

»Wunderlichkeit«, warf Mr. Meagles ein. »Das will ich glauben.«

Es war nicht gerade das Wort auf Clennams Lippen; er unterließ es jedoch, seinen gut aufgelegten Freund zu unterbrechen.

»Und jetzt«, fügte Mr. Meagles hinzu, »können Sie, sobald es Ihnen beliebt, einen Blick in die Sachen werfen. Ich habe es übernommen, Aufklärung zu geben, wo Sie solcher bedürfen sollten, jedoch streng unparteiisch zu sein und nicht darüber hinauszugehen.«

Sie begannen ihre Untersuchungen noch am selben Vormittag im Bleeding Heart Yard. Kleine Seltsamkeiten ließen sich von erfahrenen Augen leicht in der Art, wie Mr. Doyce seine Sachen besorgte, entdecken, aber sie bargen beinahe immer eine sinnige Vereinfachung einer Schwierigkeit und einen ebenen Weg zu dem gewünschten Ziel in sich. Daß er mit seinen Büchern im Rückstande und einer Unterstützung benötigt war, um die Ertragfähigkeit seines Geschäfts zu entwickeln, war klar genug; alle Resultate seiner Unternehmungen während vieler Jahre jedoch lagen offen zu Tage und waren leicht nachzuweisen. Nichts war im Hinblick auf eine schwebende Untersuchung getan, alles trug das ursprüngliche Arbeiterkleid und war in einer gewissen holperigen Ordnung. Die Berechnungen und Einträge von seiner eignen Hand, und deren war eine große Zahl, waren plump geschrieben und ohne besonders große Genauigkeit, aber immer einfach und erfüllten vollständig den Zweck. Es kam Arthur vor, als ob eine weit ausgearbeitetere und hübscher in die Augen fallende Geschäftsführung – wie sie die Bücher der Circumlocution Office vielleicht auswiesen – weit weniger den Zweck erfüllten, da ihre Art und Weise weit weniger verständlich gemacht wäre.

Drei bis vier Tage angestrengten Fleißes ließen ihn all der Tatsachen Herr werden, deren Kenntnis wesentlich für ihn war. Mr. Meagles war immer zur Hand, stets bereit, jeden dunklen Punkt mit der hellen kleinen Sicherheitslampe zu beleuchten, die zu den Wagschalen und Geldschaufeln gehörte. Sie kamen unter sich über die Summe überein, die sie für die Hälfte Anteil an dem Geschäft anzubieten für recht und billig hielten; dann entsiegelte Mr. Meagles ein Papier, in dem Daniel Doyce notiert hatte, wie hoch er den Betrag schätze, welche Summe sogar etwas geringer war. So fand Daniel, als er zurückkam, die Sache so gut wie abgeschlossen.

»Und ich darf nun gestehen, Mr. Clennam«, sagte er und schüttelte ihm herzlich die Hand, »daß, wenn ich mich rechts und links nach einem Geschäftsteilhaber umgesehen, ich kaum glaube, daß ich einen hätte finden können, der mehr nach meinem Sinn gewesen wäre.«

»Ich sage das gleiche«, versetzte Clennam.

»Und ich sage von Ihnen beiden«, fügte Mr. Meagles hinzu, »daß Sie vortrefflich füreinander taugen. Sie halten ihn mit Ihrem klaren Verstand im Schach, Clennam, und Sie betreiben die Arbeit, dann, mit Ihrem –«

»Unklaren Verstand?« ergänzte Daniel mit sanftem Lächeln.

»Sie mögen es so nennen, wenn Sie wollen – und jeder von Ihnen wird dem andern eine rechte Hand sein. Hier gebe ich, als ein praktischer Mann, darauf meine eigne rechte Hand jedem von Ihnen.«

Der Handel war in einem Monat abgeschlossen. Arthur blieb dadurch im Besitze von persönlichen Mitteln, die einige hundert Pfund nicht überschritten; aber das Geschäft eröffnete ihm eine tätige und vielversprechende Karriere. Die drei Freunde dinierten aus diesem glücklichen Anlaß, die Arbeiter und die Frauen und Kinder der Arbeiter machten einen Feiertag und speisten gleichfalls; sogar der Bleeding Heart Yard speiste und war voll Essen. Kaum waren im ganzen zwei Monate verflossen, als der Hof wieder so an gewöhnliche Hausmannskost gewöhnt war, daß niemand mehr an das Traktament dachte, und nichts schien an der Genossenschaft mehr neu als die gemalte Inschrift auf dem Türpfosten: Doyce und Clennam; ja selbst Clennam glaubte, die Angelegenheiten der Firma seit Jahren im Kopfe mit sich herumgetragen zu haben.

Das kleine Kontor, das für ihn eingerichtet worden, bestand aus einem Zimmer aus Holz und Glas am Ende einer langen, niedern Werkstatt, die mit Werktischen, Schraubstöcken, Werkzeugen, Riemen und Rädern angefüllt war, die, wenn sie mit der Dampfmaschine in Verbindung gebracht wurden, zerrten und rissen, als hätten sie die selbstmörderische Mission, das Geschäft zu Staub zu zermalmen und die Manufaktur in Stücke zu zerreißen. Große Falltüren im Boden und an der Decke, die die Werkstätte oben und die Werkstätte unten in Verbindung setzten, brachten ein Streiflicht in diese Perspektive, das Clennam an das alte Kinderbilderbuch erinnerte, wo ähnliche Strahlen die Zeugen von Abels Mord waren. Das Geräusch war entfernt genug von dem Kontor, um wie ein geschäftiges Summen zu klingen, das ab und zu durch ein Geklirr oder einen Schlag unterbrochen wurde. Die geduldigen Gestalten an der Arbeit waren durch die Eisen- und Stahlfeilspäne geschwärzt, die auf jedem Werktisch tanzten und durch jede Ritze in den Bohlen wirbelten. Zur Werkstätte gelangte man aus dem äußern Hof unten über eine Stufenleiter, die als Dach für einen großen Schleifstein diente, an dem die Werkzeuge geschärft wurden. Das Ganze hatte in Clennams Augen zu gleicher Zeit ein phantastisches und praktisches Aussehen, was eine willkommene Abwechslung war; und sooft er seinen Blick von dem ersten Versuch, die große Reihe von Geschäftspapieren vollständig in Ordnung zu bringen, erhob, sah er mit einem gewissen behaglichen Gefühl auf diese Dinge, die ihm neu waren.

Als er so eines Tages seine Augen aufschlug, war er erstaunt, einen Damenhut sich an der Treppenleiter heraufarbeiten zu sehen. Der ungewöhnlichen Erscheinung folgte ein zweiter Hut. Er gewahrte dann, daß der erste auf dem Kopfe von Mr. Finchings Tante saß, und daß der zweite Floras Kopf angehörte, die ihr Legat mit beträchtlicher Schwierigkeit die steilen Stufen heraufgebracht zu haben schien.

Obgleich nicht besonders entzückt von dem Anblick dieses Besuches, verlor Clennam keine Zeit, die Kontortür zu öffnen und sie aus der Werkstätte loszuwickeln; eine Rettung, die um so notwendiger war, als Mr. Finchings Tante bereits über ein Hindernis stolperte und die Dampfkraft als Institut mit einem steinharten Ridikül bedrohte, das sie trug.

»Mein Gott, Arthur, – wollte sagen Mr. Clennam, weit passender – was war das für ein beschwerliches Heraufklettern, und wie da wieder hinabkommen ohne eine Feuerleiter, und Mr. Finchings Tante, die beständig auf den Stufen ausgleitet und am ganzen Leibe zerquetscht ist, und Sie in einer Maschinenfabrik und Gießerei, wer hätte sich das gedacht, und Sie ließen uns auch nicht das geringste davon wissen!«

So sagte Flora außer Atem. Mr. Finchings Tante rieb indes ihr beschädigtes Schienbein mit dem Sonnenschirm und glühte vor Rache.

»Sehr unfreundlich, daß Sie uns seit jenem Tage nicht mehr besucht haben, obgleich wir natürlich durchaus nicht erwarten konnten, daß irgend etwas Anziehendes in unsrem Hause sein werde, und Sie sicherlich weit angenehmer beschäftigt waren, und ich möchte wissen, ob sie blond oder dunkel ist; hat sie blaue Augen oder schwarze, nicht daß ich erwartete, sie werde etwas anderes sein als der vollständige Gegensatz zu mir in allen Einzelheiten, denn ich bin eine Enttäuschung, wie ich ganz wohl weiß, und Sie haben ohne Zweifel ganz recht, ihr ergeben zu sein, und lassen Sie sich das gleichgültig sein, Arthur, was ich da sage, ich weiß es ja selbst kaum, lieber Gott!«

Während dieser Zeit hatte er ihnen im Kontor Stühle hingestellt. Als Flora sich niederließ, warf sie ihm den alten Blick zu.

»Und dann Doyce und Clennam, wer kann dieser Doyce sein?« sagte Flora: »ohne Zweifel ein herrlicher Mann und vielleicht verheiratet, und er hat vielleicht eine Tochter, wirklich? Dann versteht man die Genossenschaft und weiß alles, sagen Sie mir nichts davon, denn ich weiß, ich habe keinen Anspruch, diese Frage zu stellen, nachdem die goldene Kette, die einst geschmiedet worden, entzweigesprungen, was ganz natürlich.«

Flora legte ihre Hand zärtlich auf die seine und warf ihm einen zweiten Blick aus ihrer Jugend zu.

»Lieber Arthur – Macht der Gewohnheit, Mr. Clennam wäre immerhin zarter und für die obwaltenden Umstände passender – ich muß um Entschuldigung bitten, daß ich mir die Freiheit nehme, so bei Ihnen einzudringen, aber ich dachte, ich dürfte mir auf die vergangenen Zeiten hin, die für immer verschwunden, um nie wieder zu blühen, herausnehmen, mit Mr. Finchings Tante bei Ihnen vorzusprechen, um zu gratulieren und Ihnen meine besten Wünsche auszusprechen. Um ein bedeutendes besser als China, nicht zu leugnen, und weit näher, obgleich höher hinauf!«

»Ich freue mich außerordentlich, Sie zu sehen«, sagte Clennam, »und ich danke Ihnen, Flora, herzlich für Ihre gütige Erinnerung.«

»Mehr als ich jedenfalls selbst sagen kann«, versetzte Flora, »denn ich hätte zwanzig verschiedene Male hintereinander tot und begraben sein können, und kein Zweifel, was auch früher der Fall gewesen war, Sie hätten sich kaum meiner oder irgend etwas dergleichen erinnert, dessenungeachtet möchte ich eine letzte Bemerkung machen, eine letzte Erklärung abgeben –«

»Meine liebe Mrs. Finching«, warf Arthur in der Verlegenheit ein.

»Oh, nicht diesen unangenehmen Namen, sagen Sie Flora!«

»Flora, ist es der Mühe wert, sich aufs neue durch Erklärungen zu quälen? Ich versichere Ihnen, es sind keine nötig. Ich bin zufrieden – ich bin vollkommen zufrieden.«

Hier wurden sie von dem Gegenstand abgelenkt, denn Mr. Finchings Tante machte folgende unerbittliche und schreckliche Bemerkung:

»Es gibt Meilensteine auf dem Wege nach Dover!«

Mit solch tödlicher Feindschaft gegen das Menschengeschlecht schoß sie diesen Pfeil ab, daß Clennam gar nicht wußte, wie er sich verteidigen sollte; um so mehr, als er bereits durch die Ehre des Besuchs dieser ehrwürdigen Dame in Verlegenheit war, denn sie hatte offenbar den größten Widerwillen gegen ihn. Er konnte sie nur mit der äußersten Verwirrung ansehen, wie sie so dasaß mit Bitterkeit und Zorn auf den Lippen und meilenweit fortstierte. Flora jedoch nahm die Bemerkung hin, als wäre sie von der passendsten und angenehmsten Art, indem sie laut billigend bemerkte, Mr. Finchings Tante habe sehr viel Geist. Sei es nun durch dieses Kompliment, oder durch die glühende Entrüstung gereizt, fügte diese herrliche Frau hinzu: »Er soll ihn ansehen, wenn er kann.« Und mit einer heftigen Bewegung ihres Ridiküls (ein Anhängsel von großem Umfang und versteinertem Aussehen) gab sie zu verstehen, daß Clennam der Mann sei, an den die Herausforderung gerichtet war.

»Eine letzte Bemerkung«, fuhr Flora fort, »sagte ich, wünsche ich zu machen, eine letzte Erklärung abzugeben. Mr. Finchings Tante und ich würden uns nicht zur Geschäftsstunde in das Kontor gedrängt haben, da Mr. Finching auch Geschäftsmann war, und obgleich der Weinhandel ein stilles Geschäft ist, ist er wie jedes andere, und Geschäftsgewohnheiten sind immer dieselben, wovon, Mr. Finching selbst ein Zeugnis ist – da er seine Pantoffel immer zehn Minuten vor sechs Uhr nachmittags auf der Matte hatte und seine Stiefel innerhalb des Kamingitters zehn Minuten vor acht Uhr morgens auf den Punkt bei jeder Witterung, schön oder regnerisch –, wir würden nicht hier eingedrungen sein ohne einen Beweggrund, der freundlich gemeint, hoffentlich auch freundlich aufgenommen wird, Arthur, Mr. Clennam weit passender gesagt, oder geschäftlicher Doyce und Clennam.“

»Bitte, sagen Sie nichts zu Ihrer Entschuldigung«, bat Arthur. »Sie sind stets willkommen.«

»Sehr höflich von Ihnen so zu sprechen, Arthur – kann mich des Worts Mr. Clennam nicht erinnern, bis es heraus ist, so stark ist die Gewohnheit der für immer verrauschten Zeit und so wahr ist es, daß oft in der stillen Nacht, ehe die Kette des Schlummers die Menschen fesselt, die Erinnerung das Licht vergangener Tage über sie ergießt – sehr höflich, aber höflicher als wahr, fürchte ich, denn, wenn man in ein Maschinengeschäft eintritt, ohne auch nur eine Zeile oder eine Karte an Papa zu senden, – ich mag nicht mir sagen, obgleich es eine Zeit gab, aber diese ist vorbei, und strenge Wirklichkeit, mein Gott, hat jetzt, ich schweige davon – das sieht wirklich nicht danach aus, das müssen Sie zugestehen.“

Sogar Floras Kommata schienen bei dieser Gelegenheit entflohen zu sein; um so viel unzusammenhängender und gesprächiger war sie als bei der ersten Begegnung.

»Freilich«, fuhr sie unaufhaltsam fort, »es war nichts anderes zu erwarten, und warum sollte es zu erwarten gewesen sein, und wenn es nicht zu erwarten war, warum sollte es sein, und ich bin weit entfernt, Ihnen oder irgend jemandem einen Vorwurf zu machen. Als Ihre Mama und mein Papa uns zu Tode quälten und die goldene Kelle – wollte sagen Kette zerbrachen, aber ich hoffe, Sie wissen, was ich meine, und wenn Sie’s nicht wissen, verlieren Sie nicht viel und werden sich wenig darum kümmern, wage ich hinzuzusetzen – als sie die goldene Kette zerbrochen, die uns verband, und uns in eine Stimmung versetzten, daß wir auf dem Sofa beinahe vor Weinen erstickten, zum mindesten ich, da war alles verändert, und als ich meine Hand Mr. Finching reichte, weiß ich, daß ich es mit offenen Augen tat, aber es war ein so schwankender Charakter und von so niedergedrücktem Geiste, daß er in der Zerstreuung auf den Fluß anspielte, wenn nicht gar auf Öl oder etwas dergleichen vom Chemiker, und ich tat mein Bestes.«

»Meine gute Flora, wir hatten das zuvor schon abgemacht. Es war ganz gut.«

»Es ist ganz klar. Sie denken so«, versetzte Flora, »denn Sie fassen die Sache sehr kalt auf; wenn ich nicht gewußt, es wäre China, ich hätte die Polarregionen vermutet, lieber Mr. Clennam, Sie haben ganz recht, und ich kann Sie nicht tadeln, aber was Doyce und Clennam betrifft, so hörten wir davon, da der Hof Papas Eigentum ist, durch Pancks, und ohne ihn würden wir, davon bin ich überzeugt, nie ein Wort vernommen haben.«

»Nein, nein, sagen Sie das nicht.«

»Warum soll ich es nicht sagen, Arthur – Doyce und Clennam – leichter und weniger peinlich für mich, als Mr. Clennam –, da ich es doch weiß, und Sie wissen es auch und können es nicht leugnen.«

»Aber ich leugne es, Flora. Ich würde Ihnen ehestens einen freundschaftlichen Besuch gemacht haben.«

»Ah!« sagte Flora, ihren Kopf schüttelnd. »Wirklich!« und sie warf ihm wieder einen von ihren alten Blicken zu. »Als uns Pancks jedoch davon sagte, entschloß ich mich, mit Mr. Finchings Tante Sie zu besuchen, weil, als Papa – was vordem geschah – zufällig ihren Namen mir gegenüber erwähnte und sagte, Sie interessierten sich für sie, ich augenblicklich erwiderte: Mein Gott, warum sie nicht zu uns nehmen, wenn irgend etwas zu tun ist, statt es aus dem Hause zu geben.«

»Wenn Sie sagen ›sie‹«, bemerkte Clennam, der indessen sehr stark verwirrt geworden, »meinen Sie Mr. Finchings –«

»Du meine Güte, Arthur – Doyce und Clennam wirklich leichter für mich bei den alten Erinnerungen –, wer hörte je von Mr Finchings Tante, daß sie Näherin sei und im Tagelohn arbeite?«

»Im Tagelohn arbeite? Sprechen Sie von Klein-Dorrit?«

»Nun natürlich!« versetzte Flora; »von allen seltsamen Namen, die ich je gehört, der seltsamste, der klingt, wie der Name eines Ortes auf dem Lande mit einem Schlagbaum, oder eines Lieblingsponys, oder eines Jungen, oder eines Vogels, oder etwas aus einem Samenladen, das man in einen Garten oder Blumentopf steckt und das dann gefleckt aufgeht.«

»Liebe Flora«, sagte Arthur, der plötzlich ein Interesse für die Unterhaltung bekam, »so war Mr. Casby denn so freundlich, Klein-Dorrit bei Ihnen zu erwähnen, wirklich? Was sagte er?«

»Oh, Sie wissen, wie Papa ist«, erwiderte Flora, »und wie schwerfällig er dasitzt, ein herrlicher Anblick, und seine Daumen umeinander dreht, bis man schwindlig wird, wenn man seine Augen auf ihn heftet, er sagte, als wir von Ihnen sprachen – ich weiß nicht, wer Arthur (Doyce und Clennam) zur Sprache brachte, aber ich bin gewiß, daß ich es nicht war, wenigstens hoffe ich es nicht, aber Sie müssen mich entschuldigen, wenn ich nicht mehr über diesen Punkt sage.«

»Gewiß«, sagte Arthur. »Jedenfalls.«

»Sie sind sehr bereitwillig«, schmollte Flora, die in gewinnender Schüchternheit plötzlich innehielt,«das muß ich einräumen, Papa sagte, Sie hätten sehr ernst von ihr gesprochen, und ich sagte, was ich Ihnen erzählte und das ist alles.“ 272 »Das ist alles?« sagte Arthur etwas enttäuscht.

»Ausgenommen daß, als Pancks uns sagte, Sie hätten sich in dieses Geschäft eingelassen, und nur mit Mühe uns überzeugen konnte, Sie seien es wirklich, ich zu Mr. Finchings Tante sagte, dann wollten wir hierher gehen und Sie fragen, ob es für alle Teile angenehm wäre, daß wir sie bei uns beschäftigten, wenn wir sie brauchen, denn ich weiß, sie kommt oft zu Ihrer Mama, und ich weiß, daß Ihre Mama ein reizbares Temperament hat, Arthur – Doyce und Clennam – sonst hätte ich niemals Mr. Finching geheiratet und wäre in diesem Augenblicke – aber ich schwatze da Unsinn.«

»Es war sehr freundlich von Ihnen, Flora, daran zu denken.«

Die arme Flora erwiderte mit offener Aufrichtigkeit, die ihr weit besser stand als ihre jüngsten Blicke, sie sei sehr erfreut, daß er so dächte. Sie sagte es mit so viel Herz, daß Clennam viel gegeben, wenn er seine alte Ansicht von ihr auf der Stelle hätte zurückhaben und sie und die Sirene auf immer hätte fortwerfen können.

»Ich denke, Flora«, sagte er, »daß die Beschäftigung, die Sie Klein-Dorrit geben, und die Güte, die Sie ihr beweisen können –«

»Ja, ich will es«, sagte Flora lebhaft.

»Ich bin überzeugt – es wird ihr eine große Stütze und Erleichterung sein. Ich glaube nicht das Recht zu haben, Ihnen zu sagen, was ich von ihr weiß, denn diese Kenntnis ist mir im Vertrauen geworden und unter Umständen, die mich zu schweigen zwingen. Aber ich habe ein Interesse für die kleine Kreatur und einen Respekt vor ihr, den ich Ihnen nicht auszudrücken vermag. Ihr Leben war so voll Prüfungen und Hingebung und von solch ruhiger Güte, daß Sie keine Vorstellung davon haben können. Ich kann kaum an sie denken, noch viel weniger von ihr sprechen, ohne gerührt zu sein. Lassen Sie dies Gefühl ersetzen, was ich Ihnen sagen könnte, und sie an Ihre Güte mit meinem Dank empfehlen.«

Noch einmal bot er der armen Flora offen seine Hand; noch einmal konnte die arme Flora sie nicht offen annehmen, fand es auch nicht der Mühe wert und mußte die alte Intrige, das alte Geheimnis daraus machen. Ebensosehr zu ihrer eigenen Befriedigung als zu seinem Verdruß bedeckte sie sie mit einer Ecke ihres Schals, als sie dieselbe nahm. Dann rief sie, als sie nach der Glasfront des Kontors blickte und zwei Gestalten nahen sah, mit unendlicher Freude: »Papa! St! Arthur, um’s Himmels Willen!« und taumelte in ihren Stuhl zurück, indem sie mit staunenswürdigem Talent eine herannahende Ohnmacht heuchelte, die eine Folge von heftiger Überraschung und mädchenhafter Verwirrung sein sollte.

Der Patriarch steuerte indessen in Pancks‘ Kielwasser mit nichtssagendem Strahlen des Gesichts auf das Kontor zu. Pancks öffnete die Tür für ihn, schleppte ihn hinein und ging selbst in einer Ecke vor Anker. »Ich hörte von Flora«, sagte der Patriarch mit seinem wohlwollenden Lächeln, »daß sie Besuch machen wollte, Besuch machen wollte. Und da ich gerade aus war, dacht‘ ich, ich wollte auch Besuch machen, dacht‘ ich, ich wollte auch Besuch machen.«

Die wohlwollende Weisheit, die er durch seine blauen Augen, seine langen, weißen Haare und sein leuchtendes Haupt in diese Erklärung ausströmte (die an und für sich nicht tief war), machte großen Eindruck. Sie schien würdig, unter die edelsten Gefühle, die die besten Männer ausgesprochen, gestellt zu werden. Auch als er zu Clennam sagte, indem er sich in den dargebotenen Stuhl setzte: »Und Sie sind in einem neuen Geschäfte, Mr. Clennam? Ich wünsche Ihnen Glück, Sir, ich wünsche Ihnen Glück!« schien er Wunder von Wohlwollen verrichtet zu haben.

»Mrs. Finchings hat mir gesagt, Sir«, versetzte Arthur, nachdem er die Tatsache zugegeben, während die Hinterlassene des verstorbenen Mr. Finching mit einer Gebärde gegen den Gebrauch dieses ehrenwerten Namens protestierte, »sie werde bei Gelegenheit die Dienste der jungen Näherin, die Sie meiner Mutter empfohlen, in Anspruch nehmen, wofür ich ihr meinen Dank ausgesprochen.«

Der Patriarch dreht schwankend den Kopf nach Pancks um; der Begleiter steckte das Notizbuch ein, in das er vertieft gewesen, und nahm ihn ins Schlepptau.

»Sie haben sie nicht empfohlen«, sagte Pancks, »wie konnten Sie auch? Sie wußten ja nichts von ihr, nein, wirklich nicht. Der Name wurde vor Ihnen genannt, und Sie gingen darüber hinweg. Das ist’s, was Sie taten.«

»Nun«, sagte Clennam, »da sie jede Empfehlung rechtfertigt, ist es ja eins.«

»Sie freuen sich, daß sie sich so gut anläßt«, sagte Pancks, »aber es wäre ja nicht Ihre Schuld gewesen, wenn sie sich schlecht angelassen. Der gute Ruf ist, wie die Sachen stehen, nicht Ihre Schuld, und die Schande ebenfalls wäre Ihre Schuld nicht gewesen, wenn es anders stände. Sie haben ja keine Garantie zu leisten. Sie wußten nichts von ihr.«

»So sind Sie also mit keinem Gliede der Familie bekannt?« sagte Arthur, eine Frage aufs Geratewohl wagend.

»Mit keinem Gliede der Familie bekannt?« versetzte Pancks. »Wie sollten Sie mit einem Gliede der Familie bekannt sein? Sie hörten ja nie von ihnen. Sie können nicht mit Leuten bekannt sein, von denen Sie niemals hörten, nicht wahr? Sie sind meiner Ansicht?«

Die ganze Zeit über saß der Patriarch feierlich lächelnd da, indem er mit dem Kopf wohlwollend schüttelte und nickte, je nachdem es der Fall erforderte.

»Was die Verweisung an einen Schiedsrichter betrifft«, sagte Pancks, »so wissen Sie – im allgemeinen, was das heißen will. Ihr eignes Auge ist’s! Sehen Sie auf Ihre Mietsleute in dem

Hofe hinab. Sie würden alle einer für den andern stehen, wenn Sie’s annähmen. Aber was würde die Folge davon sein? Zwei statt eines können keine Befriedigung gewähren, einer genügt. Ein Mann, der nicht bezahlen kann, treibt einen andern auf, der nicht bezahlen kann, um dafür zu garantieren, daß er bezahlen kann. Wie ein Mensch mit zwei hölzernen Beinen, der einen andern Menschen mit zwei hölzernen Beinen auftreibt, um dafür zu garantieren, daß er zwei natürliche Beine bekomme. Es setzt keinen von beiden in den Stand, einen Wettlauf zu machen. Und vier hölzerne Beine setzen mehr in Verlegenheit als zwei, wenn man gar keines braucht.« Mr. Pancks schloß, indem er seinen bekannten Dampf ausblies.

Ein augenblickliches Schweigen, das eingetreten war, wurde von Mr. Finchings Tante unterbrochen, die seit ihrer letzten öffentlichen Bemerkung in einem Zustand von Starrsucht aufrecht dasaß. Sie bekam einen neuen heftigen Stoß, der darauf berechnet war, eine bestürzende Wirkung auf die Nerven der Uneingeweihten zu machen, und sie bemerkte mit der fürchterlichsten Feindschaft:

»Sie können nicht einen Kopf und Hirn aus einem Messingknopf machen, in dem nichts ist. Sie könnten es selbst dann nicht tun, wenn Ihr Onkel George am Leben wäre; um so weniger, da er tot ist.«

Mr. Pancks antwortete sogleich mit seiner gewöhnlichen Ruhe: »Wirklich, Ma’am? Gott schütze mich! Ich bin erstaunt, das zu hören.« Trotz seiner Geistesgegenwart jedoch brachten die Worte von Mr. Finchings Tante einen peinlichen Eindruck auf die kleine Gesellschaft hervor; erstlich, weil es unmöglich war, sich zu verhehlen, daß Clennams harmloser Kopf dieser verachtete Tempel der Vernunft sei, und zweitens, weil niemand bei all diesen Gelegenheiten wußte, auf welchen Onkel George angespielt wurde, oder welche Gespenstererscheinung unter diesem Namen zitiert wurde.

Deshalb sagte Flora, obgleich nicht ohne ein gewisses Prahlen und einen Stolz auf ihr Legat, Mr. Finchings Tante sei heute sehr aufgeregt und sie denke, es sei besser, wenn sie gehen. Aber Mr. Finchings Tante gab äußerst lebhaft zu erkennen, daß sie diesen Wink übel aufnehme, und erklärte nicht gehen zu wollen, indem sie mit verschiedenen beleidigenden Ausdrücken hinzufügte, daß wenn »er«, womit sie offenbar Clennam meinte, – sie los sein wolle, so möge er sie die Wendeltreppe hinabstoßen; indem sie dringend den Wunsch hinzufügte, »ihn« diesen Akt vollziehen zu sehen.

In diesem Dilemma ergriff Mr. Pancks, dessen Rettungsmittel für jedes Ereignis in den patriarchalischen Wassern auszureichen schienen, seinen Hut, schlüpfte zur Kontortür hinaus und schlüpfte einen Augenblick später mit einer künstlichen Frische in seinem Wesen, als wenn er einige Wochen auf dem Lande gewesen, wieder herein. »Nun, Gott schütze mich, Ma’am!« sagte Pancks, sein Haar vor Erstaunen in die Höhe richtend, »sind Sie da? Wie befinden Sie sich, Ma’am? Sie sehen heute reizend aus! Es freut mich ungemein, Sie zu sehen. Vergönnen Sie mir Ihren Arm, Ma’am, wir wollen etwas miteinander spazierengehen, wenn Sie mir die Ehre Ihrer Gesellschaft gönnen wollen.« Damit geleitete er Mr. Finchings Tante die Privattreppe des Kontors mit großer Galanterie und vielem Erfolg hinab. Der patriarchalische Mr. Casby erhob sich dann mit der Miene, als hätte er es selbst getan, und folgte lächelnd, indem er seiner Tochter Zeit ließ, während sie ihrerseits folgte, ihrem früheren Liebhaber in verwirrtem Flüstern (was ihr große Freude machte) zu bemerken, daß sie den Becher des Lebens bis zur Hefe geleert; und ihm ferner den geheimnisvollen Wink zu geben, daß der verstorbene Mr. Finching auf dem Boden desselben sitze.

Als sich Clennam wieder allein sah, wurde er abermals eine Beute seiner alten Zweifel in Beziehung auf seine Mutter und Klein-Dorrit, und er erwog die alten Gedanken und Verdachtsgründe wieder und wieder. Sie waren ihm alle lebendig vor die Seele getreten, indem sie sich mit den Pflichten, die er mechanisch erfüllte, vermischten, als ein Schatten, der auf seine Papiere fiel, ihn veranlaßte, nach der Ursache aufzusehen. Diese war Mr. Pancks. Den Hut auf das Ohr zurückgezogen, als ob seine Drahtspitzen von Haaren wie Springfedern emporgeschnellt wären und ihn abgeworfen, mit seinen achatschwarzen, neugierig scharfen Augenkügelchen, die Finger seiner rechten Hand im Munde, um die Nägel abzubeißen, und die Finger seiner Linken in der Tasche als Reserve zu einem neuen Gang, warf Mr. Pancks seinen Schatten durch die Scheibe auf Bücher und Papiere.

Mr. Pancks fragte mit einer kleinen fragenden Wendung des Kopfes, ob er hereinkommen dürfe? Clennam antwortete mit einem Nicken des Kopfes bejahend. Mr. Pancks arbeitete sich hinein, legte an der Seite des Pultes an, warf Anker, indem er seine Arme darauf lehnte und begann das Gespräch mit Pusten und Schnauben.

»Mr. Finchings Tante ist hoffentlich beruhigt?« sagte Clennam.

»Gewiß, Sir«, sagte Pancks.

»Ich bin so unglücklich, eine große Animosität in der Brust dieser Dame erweckt zu haben« , sagte Clennam. »Wissen Sie weshalb?«

»Weiß sie, weshalb?« sagte Pancks.

»Ich vermute, nein.«

»Ich vermute auch nicht« , sagte Pancks.

Er zog sein Notizbuch heraus, öffnete es, ließ es in seinen Hut fallen, der neben ihm auf dem Pulte stand, und sah hinein, während es auf dem Boden des Hutes lag: alles mit großer Wichtigkeit.

»Mr. Clennam«, begann er dann, »ich brauche eine Notiz, Sir.«

»Die mit der Firma in Beziehung steht?« fragte Clennam.

»Nein« , sagte Pancks.

»Womit denn, Mr. Pancks? Das heißt, vorausgesetzt, daß Sie sie von mir wollen.«

»Ja, Sir; ja, ich wünsche sie von Ihnen« , sagte Pancks, »wenn ich Sie veranlassen kann, sie mir zu geben. A, B, C, D. Da, De, Di, Do. Nach der Wörterbuchfolge. Dorit. Das ist der Name, Sir.« Mr. Pancks ließ wieder sein eigentümliches Geräusch hören und fiel über seine Nägel von der rechten Hand her. Arthur sah ihn forschend an; er erwiderte den Blick.

»Ich verstehe Sie nicht, Mr. Pancks.«

»Das ist der Name, über den ich die Notiz wünschte.«

»Und was wünschen Sie zu wissen?«

»Was Sie mir nur immer sagen können und wollen.« Dieser umfassende Inbegriff seiner Wünsche wurde nicht ohne schwere Arbeit von Mr. Pancks‘ Maschine zutage gefördert.

»Das ist ein eigentümlicher Besuch, Mr. Pancks, Es fällt mir außerordentlich auf, daß Sie mit solch einer Angelegenheit zu mir kommen.«

»Es mag ganz außerordentlich sein«, versetzte Mr. Pancks, »es mag ganz außer dem gewöhnlichen Lauf der Dinge liegen und doch ein Geschäft sein. Kurz, es ist ein Geschäft. Ich bin ein Geschäftsmann. Welches Geschäft habe ich in dieser Welt, als mich an das Geschäft zu halten? Kein anderes Geschäft.«

Mit seinem früheren Zweifel, ob dieser trockene, harte Mensch die Sache ernstlich meine, richtete Clennam seinen Blick wieder aufmerksam auf sein Gesicht. Es war so ruppig und schmutzig wie je, und so ungestüm und lebhaft wie je, und er konnte nichts Lauerndes in demselben sehen, das einen verborgenen Spott verraten, den er aus dem Ton seiner Worte vernehmen zu müssen glaubte.

»Nun«, sagte Pancks, »um dieses Geschäft ins richtige Geleise zu bringen, sage ich im voraus, daß es nicht das meines Herrn ist.«

»Verstehen Sie unter diesem Herrn Mr. Casby?«

Pancks nickte. »Mein Herr. Setzen Sie einen Fall. Gesetzt, ich höre bei meinem Herrn den Namen – einer jungen Person, der Mr. Clennam zu dienen wünscht. Gesetzt, der Name würde bei meinem Herrn zuerst von Plornish, der im Hofe wohnt, erwähnt. Gesetzt, ich gehe zu Plornish. Gesetzt, ich bitte Plornish geschäftlich um Auskunft. Gesetzt, Plornish, obgleich mit der Bezahlung meines Herrn sechs Wochen im Rückstand, weigert sich. Gesetzt, auch Mrs. Plornish weigert sich. Gesetzt, beide beziehen sich auf Mr. Clennam. Setzen Sie den Fall.«

»Nun?«

»Nun, Sir«, versetzte Pancks. »Gesetzt, ich komme zu ihm. Gesetzt ich bin hier.«

Während die Haarzinken an seinem ganzen Kopfe emporstanden und sein Atem schwer und kurz kam und ging, trat der geschäftige Pancks einen Schritt zurück (in der Schleppermetapher gesprochen, machte eine halbe Wendung mit dem Stern), als wollte er seinen schmutzigen Rumpf ganz zeigen, steuerte dann wieder vorwärts und warf seinen lebhaften Blick bald in seinen Hut, wo sein Notizbuch lag, bald auf Clennam.

»Mr. Pancks, um nicht auf Ihren geheimnisvollen Ton einzugehen, will ich so offen gegen Sie sein, wie ich kann. Lassen Sie mich zwei Fragen an Sie richten. Erstens –«

»Schon gut!« sagte Pancks, indem er seinen schmutzigen Zeigefinger mit dem zerbrochenen Nagel emporhielt. »Ich merke schon! ›Was ist Ihr Beweggrund?‹«

»Ganz recht!«

»Beweggrund«, sagte Pancks, »gut. Nichts zu schaffen mit meinem Herrn. Im Augenblick nicht auseinanderzusetzen: wäre lächerlich, wenn ich’s im Augenblick auseinandersetzen wollte; aber gut. Ich wünsche einer jungen Person, namens Dorrit, zu dienen«, sagte Pancks, den Zeigefinger noch immer als eine Bürgschaft emporhaltend. »Besser, wir nehmen den Beweggrund als gut an.«

»Zweitens und letztens, was wünschen Sie zu wissen?«

Mr. Pancks fischte sein Notizbuch auf, ehe diese Frage gestellt war, und indem er dasselbe sorgfältig in einer inneren Brusttasche festknüpfte und die ganze Zeit Clennam starr ansah, antwortete er nach einer Pause pustend: »Ich wünsche irgendeine ergänzende Notiz.«

Clennam konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, als der schnaubende kleine Dampfschlepper, der dem schwerfälligen Schiff »der Casby« so nützlich war, ihn ins Auge faßte und beobachtete, als harrte er auf seine Gelegenheit hineinzusteuern und alles bei ihm zu plündern, was er brauchte, ehe er seinen Manövern Widerstand leisten könnte; obgleich auch wieder in Mr. Pancks‘ Ungestüm etwas war, was manchen wunderbaren Gedanken in ihm wachrief. Nach kurzem Bedenken beschloß er, Mr. Pancks allgemeine Auskunft zu liefern, soweit es in seiner Macht stand, sie ihm an die Hand zu geben; wohl wissend, daß Mr. Pancks, wenn er bei seiner gegenwärtigen Nachforschung fehlging, sicher andere Mittel zu finden imstande sein würde, um sich die nötigen Notizen zu verschaffen.

Nachdem er deshalb zuerst Mr. Pancks aufgefordert, sich seiner freiwilligen Erklärung zu erinnern, daß sein Herr kein Teil an dieser Sache habe und daß seine eigenen Absichten gut seien (zwei Erklärungen, die dieser kohlige, kleine Mann mit dem größten Eifer wiederholte), sagte er ihm offen, daß er bezüglich des Geschlechtes der Dorrit und ihres früheren Aufenthaltes keinen Aufschluß geben könne und seine Kenntnis von der Familie sich nicht über das Faktum hinaus erstrecke, daß sie jetzt auf fünf Glieder reduziert zu sein scheinen; nämlich zwei Brüder, von denen der eine ledig, der andere ein Witwer mit drei Kindern sei. Das Alter der ganzen Familie teilte er Mr. Pancks mit, soweit er es wenigstens vermuten konnte; und endlich beschrieb er ihm die Lage des Vaters des Marschallgefängnisses und den Gang der Dinge und Ereignisse, durch die er mit diesem Mann näher bekannt geworden. Auf all dies horchte Mr. Pancks, der immer unglücksschwangerer blies und schnaubte, je mehr die Sache sein Interesse fesselte, mit großer Aufmerksamkeit; indem er die angenehmsten Empfindungen aus den peinlichsten Teilen der Erzählung zu ziehen und besonders durch die Schilderung der langen Gefangenschaft William Dorrits ergötzt zu sein schien.

»Zum Schluß, Mr. Pancks«, sagte Arthur, »habe ich Ihnen nur so viel zu sagen. Ich habe mehr als persönliche Gründe, so wenig wie möglich von der Familie Dorrit zu sprechen, besonders in meiner Mutter Haus« (Mr. Pancks nickte) »und so viel zu erfahren, wie ich kann. Ein so eifriger Geschäftsmann wie Sie – hm?«

Denn Mr. Pancks hatte plötzlich mit ungewöhnlicher Kraft jene Anstrengung mit Blasen gemacht.

»Nichts«, sagte Pancks.

»Ein so eifriger Geschäftsmann wie Sie versteht ganz wohl, was ein guter Handel ist. Ich möchte einen guten Handel mit Ihnen machen, nämlich, daß Sie mir bezüglich der Familie Dorrit Aufklärungen verschaffen, wenn es in Ihrer Macht liegt, wie ich Ihnen Aufklärungen gegeben. Es wird Ihnen keinen besonders schmeichelhaften Begriff von meinem Geschäftsverfahren geben, daß ich meine Bedingungen vorher zu stellen versäumte«, fuhr Clennam fort, »aber ich ziehe es vor, eine Ehrensache daraus zu machen. Ich habe so viele Geschäfte nach scharfbegrenzten Grundsätzen machen sehen, daß ich, offen gesagt, Mr. Pancks, derselben müde bin.«

Mr. Pancks lachte. »Es ist abgemacht, Sir«, sagte er. »Sie sollen mich fest daran halten sehen.«

Nach diesen Worten sah er Clennam einige Zeit an und biß an allen zehn Nägeln herum, während er offenbar in seinen Gedanken fixierte, was man ihm erzählt, und fuhr dann sorgfältig darüber hin, ehe die Mittel, eine Kluft in seinem Gedächtnis auszufüllen, nicht mehr zur Hand wären. »So ist’s recht«, sagte er endlich, »und nun will ich Ihnen guten Tag wünschen, da heute Sammeltag im Hofe ist. Im Vorbeigehen jedoch. Ein lahmer Fremder mit einem Stock.«

»Ah, ah, Sie nehmen, wie ich sehe, bisweilen eine Bürgschaft an?« sagte Clennam.

»Wenn dieser Bürge bezahlen kann«, versetzte Panck«. »Nimm alles, was du bekommen kannst, und behalte alles, was du nicht genötigt werden kannst, aufzugeben. Das ist Geschäft. Der lahme Fremde mit dem Stock wünscht ein oberes Zimmer in dem Hofe. Ist er gut dafür?«

»Ich bin es«, sagte Clennam. »Ich sage für ihn gut.«

»Das genügt. Was ich vom Bleeding Heart Yard haben muß, ist mein Schein«, sagte Pancks, indem er eine Notiz über die Sache in sein Buch machte. »Ich brauche, wie Sie sehen, meinen Schein. Bezahle oder zeige deinen Besitz! Das ist die Losung im Hofe drunten. Der lahme Fremde mit dem Stock behauptete, Sie schickten ihn; aber er könnte ebensogut behaupten (soweit es geht), daß der Großmogul ihn schickt. Er war, glaube ich, im Spital?«

»Ja. Es ist ihm ein Unglück begegnet. Er wurde soeben entlassen.«

»Der wird ein armer Teufel, Sir, wurde mir gesagt, den man in ein Hospital bringt«, sagte Pancks. Und stieß wieder jenen merkwürdigen Ton aus.

»Dasselbe ist bei mir der Fall«, sagte Clennam kalt.

Mr. Pancks, der sich indes zum Fortgehen fertiggemacht, ging einen Augenblick später unter Segel und schnaubte ohne weiteres Signal oder irgendwelche Zeremonie die Stufenleiter hinab und war bereits in voller Tätigkeit im Bleeding Heart Yard, ehe er noch recht aus dem Kontor zu sein schien.

Den übrigen Teil des Tages war Bleeding Heart Yard in Bestürzung, da der mürrische Pancks darin kreuzte; er fuhr die Bewohner an, wenn sie Ausflüchte wegen des Bezahlens machten, forderte, daß sie ihren Verpflichtungen nachkämen, ließ Bemerkungen von Ausziehen oder Exekution fallen, bohrte Wortbrüchige in den Boden, schickte eine Brandung von Schrecken vor sich her und ließ den Hof in seinem Kielwasser. Knäuel von Menschen, durch eine schlimme Anziehungskraft getrieben, lauerten vor jedem Hause, von dem man wußte, daß er sich darin befand, und lauschten, um Bruchstücke seiner Gespräche mit den Inwohnern zu erhaschen; und konnten sich, wenn es hieß, er komme, häufig nicht rasch genug zerstreuen, so daß er, ehe man sich’s versah, mitten unter ihnen stand und ihre eignen Rückstände forderte, und sie wie an den Boden gefesselt dastanden. Den ganzen übrigen Tag klang Pancks‘: »Wozu sie gesonnen seien?« und »Was sie damit wollten?« durch den Hof. Mr. Pancks wollte nichts von Entschuldigungen hören, nichts von Klagen hören, nichts von Ersatz hören, nichts als von unbedingter Bezahlung hören. Schwitzend und pustend und in exzentrischen Richtungen umherstürmend und immer heißer und schmutziger werdend, peitschte er den Strom des Hofes, daß er immer wilder und aufgeregter wurde. Volle zwei Stunden, nachdem man ihn auf der Höhe der Treppe an dem Horizonte wegdampfen gesehen, hatten sich die Wellen des Stromes noch nicht wieder geglättet.

Es fanden in jener Nacht mehrere kleine Versammlungen von blutenden Herzen an den gewöhnlichen Zusammenkunftsorten auf dem Hofe statt, bei denen die Ansicht herrschend war, mit Mr. Pancks sei sehr schwer zu tun zu haben und es sei sehr zu bedauern, wirklich sehr zu bedauern, daß ein Mann wie Mr. Casby die Eintreibung seiner Einkünfte in die Hände dieses Menschen gebe und ihn nicht in seinem wahren Lichte kenne. Denn (sagten die blutenden Herzen), wenn ein Mann mit diesem weißen Haupte und diesen Augen seine Einkünfte selbst verwaltete, so hätte man nichts von diesen Quälereien und Zerrereien zu dulden, und die Sachen stünden ganz anders.

Am selben Abend zur gleichen Stunde und Minute zappelte der Patriarch – der am Vormittag vor der Plünderung feierlich durch den Hof gesegelt, mit der ausdrücklichen Absicht, die volle Zuversicht zu seinem glänzenden Schädel und seidenen Haaren zu wecken – zur gleichen Stunde und Minute zappelte dieser Humbug erster Klasse von tausend Kanonen heftig in das kleine Dock seines erschöpften Schleppers und sagte, indem er die Daumen umeinander drehte:

»Ein sehr schlechtes Geschäft für einen Tag, Pancks, ein sehr schlechtes Geschäft für einen Tag. Es scheint mir, Sir, und ich muß, um mir selbst gerecht zu werden, die Bemerkung nachdrücklich wiederholen, daß Sie weit mehr Geld hätten heimbringen müssen, weit mehr Geld.«

  1. Die englischen Ortsnamen (Straßen, Plätze usw.) können der Originalität halber nicht immer verdeutscht werden.