Vierundvierzigstes Kapitel

Ein erschütternder, wenn auch nicht unlustiger Vorfall, herbeigeführt durch die Umsicht der Herren Dodson und Fogg.

Es war in der letzten Woche des Monats Juli, als eine Droschke, jedoch eine umnumerierte, in raschem Trab die Goswellstreet hinauffuhr. Drei Personen waren hineingepreßt – den Kutscher nicht eingerechnet, der natürlich seinen engen kleinen Außensitz auf der Seite innehatte –, zwei kleine, kampflustig aussehende Damen, und zwischen ihnen eingezwängt, auf einen äußerst kleinen Raum beschränkt, ein Gentleman von linkischem, unterwürfigem Benehmen, der jedesmal, wenn er eine Bemerkung wagte, von einer der kampflustigen Damen barsch angelassen wurde. „An dem Haus mit der grünen Tür halten Sie an, Schwager“, rief der schüchterne Gentleman.

„Ach was, du verdrehtes Geschöpf!“ keifte die eine der streitsüchtigen Damen. „Nein, an dem Haus mit der gelben Tür, Kutscher!“

„Na, wo soll ich denn nu eigentlich anhalten?“ fragte der Rosselenker. „Machen Sie es unter sich aus. Ich frage bloß, wo?“

Als die Droschke endlich in vollem Glanz vor dem Haus mit der gelben Tür vorfuhr, wobei sie, wie eine der Damen triumphierend bemerkte, „mehr Lärm machte, als wenn einer in seinem eigenen Wagen ankommt“, und der Kutscher abgestiegen war, um den Fahrgästen herauszuhelfen, schob sich der kleine Rundkopf Master Thomas Bardells zum Fenster eines Hauses mit einer roten Tür, wenige Nummern weiter, heraus.

„Eine ärgerliche Geschichte“, sagte die letzterwähnte keifende Dame mit einem vernichtenden Blick auf den linkischen Gentleman.

„Ich bin unschuldig, liebe Frau“, beteuerte der Gentleman bekniffen.

„Schweig, Schafskopf!“ herrschte ihn die Dame an. „Das Haus mit der roten Tür, Kutscher! Wenn je eine Frau sich mit einem boshaften Taugenichts angeschmiert hat, der seinen Stolz und sein Vergnügen darin sucht, sie bei jeder möglichen Gelegenheit vor Fremden zu blamieren, so bin ich’s!“

„Sie sollten sich schämen, Raddle“, ermahnte die andre Dame, die niemand anders war als Mrs. Cluppins.

„Was hab ich denn getan?“ jammerte Mr. Raddle.

„Sprich nicht mit mir, Scheusal; ich könnte sonst mein Geschlecht vergessen und dir eine runterhauen“, tobte Mrs. Raddle.

Der Wagen hielt jetzt endgültig.

„Nun, Tommy“, wandte sich Mrs. Cluppins an Master Bardell, „wie geht’s deiner lieben, armen Mutter?“

„Oh, sehr gut“, erwiderte Master Bardell, „sie is im Vorderzimmer; alles bereit. Ich bin auch bereit.“

Dabei steckte Master Bardell die Hände in die Taschen und hüpfte auf der untersten Stufe der Vortreppe auf und nieder.

„Sonst noch jemand da, Tommy“, verhörte Mrs. Cluppins und ordnete ihren Mantel.

„Mrs. Sanders“, erwiderte Tommy. „Und ich.“

„Der Mistbub!“ sagte die kleine Mrs. Cluppins. „Er denkt an nichts als an sich selbst. Komm her, lieber Tommy!“

„Na, und“, sagte Master Bardell.

„Wer sonst noch, mein Lieber?“ fuhr Mrs. Cluppins schmeichelnd zu fragen fort.

„Mrs. Rogers auch“, gestand Master Bardell, die Augen weit aufreißend, als er mit dieser Entdeckung herausrückte.

„Wie? Die Dame, die bei euch wohnt?“

Master Bardell steckte seine Hände noch tiefer in die Taschen und nickte genau fünfunddreißigmal, um anzudeuten, daß es wirklich diese Dame und keine andre sei.

„Wahrhaftig“, rief Mrs. Cluppins, „das ist ja eine feine Gesellschaft!“

„Ja, und wenn Sie wüßten, was wir in der Speisekammer haben, dann würden Sie das erst recht sagen“, versetzte Master Bardell.

„Was denn, Tommy?“ forschte Mrs. Cluppins liebkosend „Nicht wahr, mir sagst du’s doch, Tommy?“

„Nein, nein“, erwiderte Master Bardell, schüttelte den Kopf und hüpfte wieder auf der Türschwelle auf und ab. „Die Mutter hat gesagt, ich darf nicht. Ich krieg auch was davon.“ Und voll Freude über diese Aussichten machte sich das kluge Kind lebhaft wieder an seine Tretmühle. Während dieses Verhörs mit dem Kleinen hatten Mr. und Mrs. Raddle mit dem Kutscher einen Streit wegen des Fuhrlohns, und als der Sieg sich für den letzteren entschied, wankte Mrs. Raddle die Treppe hinauf.

„Aber, Marianne! Was ist denn geschehen?“ rief Mrs. Cluppins.

„Mir zittern die Knie vor Aufregung, Betty“, stöhnte Mrs. Raddle. „Raddle ist doch gar kein Mann; alles überläßt er mir.“

Das war nicht edel an dem unglücklichen Mr. Raddle gehandelt, der doch bei Beginn des Streits von seiner sanften Ehehälfte zur Seite gestoßen worden war und den peremtorischen Befehl erhalten hatte, den Mund zu halten. Gleichwohl war ihm keine Gelegenheit vergönnt, sich zu verteidigen, denn an Mrs. Raddle zeigten sich unzweideutige Symptome einer nahenden Ohnmacht, und als Mrs. Bardell, Mrs. Sanders, die neue Mieterin, und ihre Magd vom Zimmerfenster aus dies bemerkten, stürzten sie wie die Geier hinab und führten sie ins Haus, alle zugleich auf sie einsprechend und voll rührenden Mitgefühls.

„Ach, das arme Ding!“ jammerte Mrs. Rogers. „Ich kann mir nur zu gut denken, wie es ihr zumute sein mag.“

„Das arme Ding! Ja, ich kann mir’s auch denken“, stimmte Mrs. Sanders ein.

„Aber was hat’s denn gegeben?“ fragte Mrs. Bardell.

„Ja, was hat Sie so angegriffen, Ma’am?“ fragte Mrs. Rogers.

„Ach, ich bin abscheulich mißhandelt worden“, jammerte Mrs. Raddle, und sämtliche Damen warfen entrüstete Blicke auf Mr. Raddle.

„Die Sache ist die…“, wollte der unglückliche Ehegatte erklären.

„Sie würden besser daran tun, sie ganz uns zu überlassen, Raddle“, unterbrach ihn Mrs. Cluppins. „So lange Sie da sind, wird es ihr nicht besser.“

Sämtliche Damen stimmten dieser Ansicht natürlich bei. Mr. Raddle wurde aus dem Zimmer getrieben und angewiesen, sich im hintern Hofraum zu ergehen, was er auch etwa eine Viertelstunde getan hatte, als Mrs. Bardell ihm mit ernster Miene ankündigte, er könne jetzt kommen, müsse aber im Benehmen gegen seine Frau die äußerste Rücksicht beobachten. Sie wisse, daß er es nicht böse meine, aber Marianne sei eine gar zarte Natur, und wenn er sie nicht aufs sorgsamste behandle, so könne er sie verlieren, wenn er am wenigsten daran denke.

Mr. Raddle hörte dies alles mit großer Unterwürfigkeit an und kehrte, gebändigt und fromm wie ein Lamm, sogleich ins Zimmer zurück. „Nun, Mrs. Rogers“, begann Mrs. Bardell, „Sie sind, glaube ich, noch gar nicht vorgestellt worden. – Mr. Raddle, Ma’am; Mrs. Cluppins, Ma’am; Mrs. Raddle, Ma’am.“

„Mrs. Cluppins‘ Schwester“, fügte Mrs. Sanders erläuternd hinzu.

„Freut mich“, sagte Mrs. Rogers gnädig – sie war nämlich Mieterin und durfte sich daher erlauben, herablassend zu sein. „Ah, freut mich.“

Mrs. Raddle lächelte süß, Mr. Raddle verbeugte sich, und Mrs. Cluppins sagte, sie schätze sich äußerst glücklich, die Bekanntschaft einer Dame wie Mrs. Rogers zu machen, von der sie schon soviel Vorteilhaftes gehört habe – ein Kompliment, das die Dame mit Huld entgegennahm.

„Nun, Mr. Raddle“, nahm Mrs. Bardell das Wort, „Sie werden sich gewiß hochgeehrt fühlen, daß Sie und Tommy die einzigen Herren sind, die so viele Damen auf dem Weg nach dem Spanischen Garten in Hampstead begleiten dürfen. Nicht wahr, Mrs. Rogers?“

„Oh, selbstverständlich, Ma’am“, rief Mr. Raddle, sich die Hände reibend und eine leise Neigung verratend, ein bißchen lustig zu werden. „In der Tat, um die Wahrheit zu gestehen, ich sagte, als wir in der Droschke …“

Bei Wiederholung dieses Wortes, das so viele schmerzhafte Erinnerungen wecken mußte, drückte Mrs. Raddle ihr Taschentuch aufs neue an die Augen und stieß einen halbunterdrückten Schrei aus, so daß Mrs. Bardell Mr. Raddle mit finsterem Stirnrunzeln zu erkennen gab, er würde besser tun, zu schweigen, und dem Mädchen der Mrs. Rogers einen Wink erteilte, den Wein zu bringen.

Das war das Signal zur Enthüllung der in der Speisekammer verborgenen Schätze, die aus verschiedenen Platten Apfelsinen und Biskuit bestanden, nebst einer Flasche alten Portwein – zu einem Schilling und neun Pence – und einer andern von dem berühmten ostindischen Sherry zu vierzehn Pence. Nachdem Mrs. Cluppins noch einen großen Schrecken ausgestanden hatte durch einen Versuch Tommys, auszuplaudern, wie sie ihn über den Inhalt der Speisekammer hatte ausfragen wollen – ein Versuch, der zum Glück daran scheiterte, daß der liebe Junge sich bei dem alten Portwein verschluckte und beinah erstickte.

Endlich brach die Gesellschaft auf, um einen Landauer nach Hampstead zu nehmen. Ein paar Stunden später langten alle wohlbehalten im Spanischen Teegarten an, und des unglücklichen Mr. Raddles erster Fehlgriff, der seiner Gemahlin beinahe einen Rückfall zuzog, war, sieben Portionen Tee zu bestellen, wo doch, wie die Damen alle einstimmig bemerkten, nichts leichter gewesen wäre, als Tommy aus irgendeiner andern beliebigen Tasse mittrinken zu lassen, wenn der Kellner gerade weggesehen hätte.

Indessen ließ sich die Sache nun einmal nicht mehr ändern; das Teebrett kam mit sieben Ober- und sieben Untertassen und ebenso vielen Portionen Brot und Butter. Mrs. Bardell wurde einstimmig zur Präsidentin ernannt, Mrs. Rogers goß sich zu ihrer Rechten, Mrs. Raddle zu ihrer Linken hin, und der Schmaus ging mit großer Fröhlichkeit vor sich.

„Wie herrlich es doch auf dem Lande ist!“ seufzte Mrs. Rogers. „Ich möchte das ganze Jahr da leben.“

„Das kann doch unmöglich Ihr Ernst sein, Ma’am“, fiel Mrs. Bardell schnell ein; denn aus Rücksicht auf ihre zu vermietenden Wohnräume war es durchaus nicht ratsam, solche Ansichten zu unterstützen. „Es würde Ihnen sicher nicht gefallen, Ma’am.“

„Meiner Ansicht nach“, bekräftigte die kleine Mrs. Cluppins, „sind Sie viel zu lebhaft und umworben, um gerne auf dem Lande zu wohnen, Ma’am.“

„Ja, das mag sein, Ma’am, das mag sein“, seufzte die Bewohnerin des ersten Stocks.

„Für einsame Leute, wo niemand haben, der für sie sorgt oder für den sie selbst sorgen müssen, oder die gemütskrank sind oder so“, bemerkte Mr. Raddle, mit krampfhafter Lustigkeit um sich blickend, „für solche Leute ist das Landleben ganz gut. Das Land ist für ein verwundetes Herz, pflegt man zu sagen.“

Der Unglückliche hätte alles in der Welt zur Sprache bringen können, nur gerade das nicht. Mrs. Bardell brach prompt in Tränen aus und bat, man möge sie augenblicklich vom Tisch wegführen, worauf ihr süßer Sprößling jämmerlich zu schreien begann.

„Sollte man es glauben, Ma’am“, wandte sich Mrs. Raddle ingrimmig an die Mieterin des ersten Stockes, „sollte man es glauben, daß man einen so rohen Menschen zum Mann haben kann, der imstande ist, den ganzen Tag mit den Gefühlen des weiblichen Herzens Spott zu treiben?“

„Aber, meine liebe Frau“, stammelte Mr. Raddle. „Ich habe es doch nicht bös gemeint!“

„Nicht bös gemeint!“ wiederholte Mrs. Raddle mit unaussprechlicher Verachtung. „Geh mir aus den Augen, ich kann dich nicht mehr ansehen, du Scheusal.“

„Sie dürfen sich nicht so aufregen, Marianne!“ mahnte Mrs. Cluppins. „Sie sollten wirklich auf sich selbst mehr Rücksicht nehmen. – Gehen Sie jetzt, Raddle, Sie machen der Ärmsten immer Kummer.“

„Sie hätten besser daran getan, Sir, Ihren Tee für sich allein zu trinken“, schloß sich Mrs. Rogers an, die dampfende Kanne aufs neue handhabend.

Mrs. Sanders, ihrer Gewohnheit gemäß mit dem Butterbrot beschäftigt, drückte dieselbe Ansicht aus, und Mr. Raddle zog sich demgemäß in die Einsamkeit zurück.

Es dauerte nicht lange, da kam Mrs. Bardell wieder zu sich, stellte Tommy wieder auf den Boden, wunderte sich, daß sie habe so närrisch sein können, und schenkte sich wieder Tee ein. In diesem Augenblick vernahm man das Gerassel herannahender Räder. Die Damen blickten auf und sahen eine Droschke am Gartentor halten.

„Da kommt noch mehr Gesellschaft“, rief Mrs. Sanders neugierig.

„Es ist ein Herr“, bemerkte Mrs. Raddle.

„Aber das ist doch bestimmt Mr. Jackson, der junge Schreiber von Dodson und Fogg!“ rief Mrs. Bardell. „Himmel noch mal! Sicher hat Mr. Pickwick die Entschädigung gezahlt.“

„Oder er will Sie jetzt heiraten?“ riet Mrs. Cluppins.

„Himmel, wie langsam der Herr ist!“ rief Mrs. Rogers. „Warum tummelt er sich denn nicht?“

Gerade während sie diese Worte sprach, wandte sich Mr. Jackson, nachdem er einige Bemerkungen an einen schäbig gekleideten Mann in schwarzen Hosen gerichtet hatte, der soeben mit einem dicken Eschenstab in der Hand aus dem Wagen aufgetaucht war, um und ging, die Haare unter den Rand seines Hutes streichend, direkt auf die Damen zu.

„Was gibt’s. Is was Neues vorgefallen?“ rief ihm Mrs. Bardell voll Eifer entgegen.

„Ganz und gar nichts, Ma’am“, erwiderte Mr. Jackson. „Wie befinden Sie sich, meine Damen? Ich muß um Verzeihung bitten, wenn ich ungelegen komme; aber das Geschäft, meine Damen, das Geschäft!“

Mr. Jackson lächelte, verbeugte sich und strich sein Haar abermals hinauf. Mrs. Rogers flüsterte Mrs. Raddle zu, er sei wirklich ein scharmanter junger Mann.

„Ich war in der Goswellstreet“, fuhr Jackson fort, „und da ich von dem Dienstmädchen hörte, daß Sie hier seien, nahm ich mir sogleich eine Droschke und fuhr Ihnen nach. Meine Prinzipale bedürfen Ihrer sogleich in der Stadt, Madam.“

„Um Gottes willen!“ rief Mrs. Bardell, ganz erschrocken über diese plötzliche Mitteilung.

„Jaja“, sagte Jackson und biß sich in die Lippen, „es ist eine sehr dringende Sache, die keine Umstände duldet. Dodson hat es mir ausdrücklich eingeschärft, und Fogg ebenfalls. Ich habe die Droschke eigens deswegen genommen, um Sie nach London zurückzufahren.“

„Seltsam!“ rief Mrs. Bardell.

Die Damen erklärten es ebenfalls für sehr seltsam, sprachen aber einstimmig ihre Ansicht dahin aus, die Sache müsse von großer Wichtigkeit sein, sonst würden Dodson und Fogg nicht nach ihr geschickt haben, und wegen dieser Dringlichkeit des Geschäfts solle sie sich nur unverzüglich in die Kanzlei begeben.

Es war Mrs. Bardell keineswegs unlieb, daß ihre Rechtsfreunde so erschrecklich dringend nach ihr verlangten, denn sie glaubte dadurch sowohl überhaupt als namentlich auch in den Augen der Bewohnerin ihres ersten Stocks bedeutend an Wichtigkeit zu gewinnen, ein Gedanke, der ihrer Eitelkeit nicht wenig schmeichelte. Sie zierte sich ein bißchen, stellte sich, als ob es ihr höchst unangenehm sei und sie sich nicht entschließen könne, kam aber doch zuletzt zu dem Schluß, sie glaube, gehen zu müssen.

„Aber wollen Sie nach Ihrer Fahrt nicht eine kleine Erfrischung einnehmen, Mr. Jackson?“ drängte sie.

„Danke vielmals, habe wirklich keine Zeit zu verlieren. Auch habe ich einen Freund bei mir“, erwiderte Jackson und blickte nach dem Mann mit dem Eschenstab.

„So bitten Sie doch Ihren Freund, hierherzukommen, Sir“, schlug Mrs. Bardell vor.

„Nein – wirklich – ich danke“, lehnte Mr. Jackson verlegen ab. „Er ist an Damengesellschaft nicht gewöhnt und ein bißchen blöde. Aber wollen wir nicht lieber aufbrechen?“

Mrs. Sanders und Mrs. Cluppins beschlossen sofort, Mrs. Bardell und Tommy zu begleiten und die übrigen dem Schutz Mr. Raddles zu überlassen, und verfügten sich zu dem Wagen.

„Isaak“, sagte Jackson, als Mrs. Bardell sich anschickte, einzusteigen, und blickte dabei den Mann mit dem Eschenstab eigentümlich an, der auf dem Bock saß und eine Zigarre rauchte.

„Sir?“

Dies ist Mrs. Bardell!“

„Weiß ich schon lange“, meinte der Mann.

Mrs. Bardell stieg ein, die Damen, Mr. Jackson und Tommy gleichfalls, und fort ging’s. Mrs. Bardell konnte dabei nicht umhin, sich allerhand Gedanken darüber zu machen, wer Mr. Jacksons Freund wohl sein könne.

„Eine verdrießliche Sache das mit den Prozeßkosten“, begann Jackson, als Mrs. Cluppins und Mrs. Sanders eingenickt waren. „Die Kosten für Ihren Prozeß, meine ich.“

„Ach, das ist mir ja so peinlich, daß sie nicht drankommen können“, versetzte Mrs. Bardell. „Aber wenn ihr juristischen Herren solche Sachen auf Spekulation macht, dann müßt ihr euch eben hin und wieder auch einen Verlust gefallen lassen.“

„Sie haben aber doch, soviel ich weiß, nach dem Prozeß ein Cognovit für die Kosten ausgestellt“, sagte Jackson.

„Ja, aber bloß der Form wegen.“

„Soso“, versetzte Jackson trocken, „der Form wegen! Soso!“

Sie fuhren weiter, und Mrs. Bardell nickte ebenfalls ein. Nach einiger Zeit wurde sie durch das Anhalten der Kutsche plötzlich aufgeweckt. „Heiliger Himmel!“ rief die Dame. „Sind wir denn schon da?“

„Wir fahren nicht ganz so weit“, erwiderte Jackson. „Haben Sie nur die Güte, auszusteigen.“

Mrs. Bardell gehorchte schlaftrunken. Es war ein sonderbarer Platz; eine große Mauer, mit einem Tor in der Mitte, und innen brannte ein Gaslicht.

„Nun, meine Damen“, rief der Mann mit dem Eschenstab in die Kutsche hinein und rüttelte Mrs. Sanders aus dem Schlaf, „kommen Sie!“

Mrs. Sanders weckte ihre Freundin und stieg aus. Mrs. Bardell war, an Jacksons Arm und Tommy bei der Hand führend, bereits zum Portal gegangen. Die übrigen folgten ihnen.

Der Raum, in den sie jetzt traten, sah noch weit sonderbarer aus als der Eingang. Warum standen so viele Leute herum und starrten sie so an!? „Wo sind wir denn?“ fragte Mrs. Bardell und blieb er1 staunt stehen.

„Bloß in einem unsrer öffentlichen Büros“, erwiderte Jackson, drängte sie schnell über die Schwelle und blickte zurück, ob die übrigen Damen nachfolgten.

„Geben Sie wohl acht, Isaak!“

„Machen Sie sich man keine Sorgen“, erwiderte der Mann mit dem Eschenstab. Die Türe wurde rasch zugeschlagen, und alle stiegen eine kleine Treppe hinab.

„So, jetzt wären wir da. Es ist alles nach Wunsch gegangen, Mrs. Bardell“, sagte Jackson voll Triumph.

„Was meinen Sie damit?“ fragte Mrs. Bardell ängstlich.

„Nichts Besonderes“, erwiderte Jackson und zog sie ein bißchen beiseite. „Erschrecken Sie nicht, Mrs. Bardell. Es gibt keinen zartfühlenderen Mann als Dodson und keinen billigdenkenderen als Fogg. Als Geschäftsleute hatten sie ihre Pflicht, Sie wegen der Kosten pfänden zu lassen; aber sie wollten dabei um jeden Preis Ihre Gefühle möglichst schonen. Es muß doch tröstlich für Sie sein, daß es so glatt gegangen ist! Wir sind in der Fleet, Ma’am. Wünsche Ihnen gute Nacht, Mrs. Bardell. – Gute Nacht, Tommy.“

Da Jackson jetzt in Gesellschaft des Mannes mit dem Eschenstab davoneilte, führte ein andrer Mann, mit einem Schlüssel in der Hand, der bisher untätig zugesehen, die bestürzten Damen an eine zweite kleine Treppe, die zu einem Tor führte.

Mrs. Bardell schrie laut auf, Tommy heulte, Mrs. Cluppins schauerte zusammen, und Mrs. Sanders nahm ohne weiteres Reißaus, denn vor ihnen stand – ‚der schwer beleidigte Mr. Pickwick, eben auf seinem nächtlichen Spaziergang begriffen, und neben ihm lehnte Samuel Weller und zog, als er Mrs. Bardell erblickte, mit spöttischer Ehrerbietung den Hut, während sein Gebieter ihr unwillig den Rücken kehrte.

„Vexieren Sie die Frau nicht“, verwies der Schließer Mr. Weller, „sie is eben erseht ankommen.“

„Als Gefangene?“ fragte Sam und setzte schnell den Hut wieder auf. „Wer sind die Kläger? Warum? Sprich, alter Knabe!“

„Dodson und Fogg“, brummte der Mann. „Exekution wegen Prozeßkosten.“

„He, hallo, Hiob, Hiob!“ schrie Sam und stürzte in den Gang. „Laufen Sie so schnell Sie können zu Mr. Perker. Ich muß ihm sofort sprechen. Das kann was Feines werden. Ein Kapitalspaß! Hurra! Juchhe! Wo ist der Gouverneur?“

Aber alle diese Fragen blieben unbeantwortet; denn Hiob war gleich nach Empfang seines Auftrags wie toll davongerannt.

Mrs. Bardell aber war – diesmal im Ernst – in Ohnmacht gesunken.