Vierunddreißigstes Kapitel

Mr. Pickwick beschließt, nach Bath zu gehen.

„Aber wahrhaftig, mein lieber Herr“, sagte der kleine Perker, als er am andern Morgen nach der Gerichtssitzung Mr. Pickwick besuchen kam, „es wird Ihnen doch nicht wirklich ernst sein – wir wollen jetzt ohne Spaß und ohne Aufregung davon sprechen –, Sie werden doch nicht im Ernst die Unkosten und die Entschädigung verweigern wollen?“

„Nicht einen halben Penny bezahle ich“, sagte Mr. Pickwick fest, „nicht einen halben Penny.“

„Es geht nichts über feste Grundsätze, wie der Wucherer sagte, als er den Wechsel nicht verlängern wollte“, bemerkte Mr. Weller, der das Frühstück abräumte.

„Sam“, sagte Mr. Pickwick, „sei so gut und geh hinunter.“

„Sogleich, Sir“, erwiderte Mr. Weller und zog sich auf diesen zarten Wink sogleich zurück.

„Nein, Perker“, fuhr Mr. Pickwick mit Ernst und Würde fort, „meine Freunde hier haben sich alle Mühe gegeben, mir meinen Entschluß auszureden; aber ich bleibe fest. Ich werde mich wie gewöhnlich beschäftigen, bis die Gegenpartei das gesetzliche Recht hat, Exekution gegen mich zu beantragen, und wenn sie niedrig genug denkt, sich derselben zu bedienen und mich verhaften zu lassen, so werde ich mich fröhlich und zufrieden darein ergeben. Wann läuft die Zeit ab?“

„Bei der nächsten Gerichtssitzung“, antwortete Perker, „das heißt gerade in zwei Monaten, mein lieber Herr.“

„Also gut. Bis dahin, werter Freund, lassen Sie mich nichts mehr von der Sache hören. Und jetzt“, fuhr Mr. Pickwick fort und wandte sich mit vergnügtem Lächeln und funkelnden Augen, deren Glanz selbst durch den der Brille nicht verdunkelt werden konnte, an seine Freunde, „jetzt handelt es sich bloß darum, wohin begeben wir uns zunächst?“

Mr. Tupman und Mr. Snodgraß waren von dem Heroismus ihres Meisters zu sehr hingerissen, als daß sie sogleich eine Antwort hätten finden können; Mr. Winkle harte sich noch nicht hinlänglich von der Erinnerung an seine Zeugenschaft erholt, um ein Wörtchen mitzusprechen, und so wartete Mr. Pickwick vergebens auf Antwort.

„Nun gut“, sagte er endlich, „wenn Sie die Bestimmung 0iir überlassen wollen, so schlage ich Bath vor. Soviel ich weiß, ist noch keiner von uns dort gewesen.“

Es war wirklich so, und da Perker, der es für höchstwahrscheinlich hielt, daß Mr. Pickwick nach einiger Luftveränderung und Zerstreuung sich eines Besseren besinnen und die Sache mit dem Schuldgefängnis in einem andern Lichte betrachten werde, den Vorschlag eifrig unterstützte, so wurde die Reise einstimmig beschlossen und Sam sogleich nach dem „Weißen Roß“ abgeschickt, um auf dem am nächsten Morgen um halb acht Uhr abgehenden Postwagen fünf Plätze zu belegen.

Es waren nur noch 2wei innen und drei außen zu vergeben. Sam Weller nahm sie alle, und nachdem er mit dem Postkassierer wegen einer bleiernen halben Krone, die man ihm herausgeben wollte, einige Höflichkeiten gewechselt, ging er nach dem „Georg und Geier“ zurück, wo er sich bis zum Schlafengehen eifrigst damit beschäftigte, Kleider und Wäsche in den kleinstmöglichen Raum zu zwängen, und sein ganzes mechanisches Genie aufbot, um durch allerhand sinnreiche Kunstgriffe die Koffer zu verschließen, die keine Schlösser hatten.

Der nächste Morgen war höchst ungünstig für eine Reise. Es lag ein trüber, dunstiger Nebel, und es regnete. Die Pferde vor dem Postwagen, der gerade von der City kam, dampften so, daß die außen fahrenden Passagiere ganz unsichtbar waren. Die Zeitungsverkäufer sahen aus wie aus dem Wasser gezogen und rochen dunstig; der Regen troff von den Hüten der Orangenverkäufer, wenn sie die Köpfe in die Kutschenfenster hereinsteckten, und die Juden mit den fünfzigklingigen Federmessern steckten ihre Ware verzweifelnd ein. Ebensowenig konnten die andern Händler ihre Uhrketten und Röstgabeln, ihre Bleistifthalter und Schwämme losschlagen.

Als der Wagen anhielt, überließen Mr. Pickwick und seine Freunde Sam Weller die Sorge, das Gepäck aus den Händen der sieben oder acht Träger zu retten, die wütend darüber herfielen, und da sie um zwanzig Minuten zu früh gekommen waren, suchten sie Schutz im Passagierzimmer – dem letzten Zufluchtsort menschlichen Elends.

Das Passagierzimmer im „Weißen Roß“ ist, wie es sich von selbst versteht, nichts weniger als behaglich; es wäre ja sonst kein Passagierzimmer. Es ist die Stube rechterhand, hat aber mehr Ähnlichkeit mit einer Küche, in der Schüreisen, Feuerzangen und Schaufeln unordentlich beieinanderliegen. Zur Förderung der Geselligkeit der Reisenden war es in mehrere abgesonderte Verschlage abgeteilt und mit einer Glocke, einem Spiegel sowie mit einem Kellner versehen, der sich an einem Wasserkübel zu schaffen machte, um Gläser zu spülen. In einem dieser Verschlage saß dazumal ein grimmig dreinblickender Mann von etwa fünfundvierzig Jahren, mit glänzend kahler Stirn, starkem schwarzem Haar an den Schläfen und dem Hinterkopf und einem großen dunklen Backenbart. Er hatte seinen braunen Rock bis unter das Kinn zugeknöpft, trug eine große Reisemütze von Seehundsfell, und ein Überrock nebst Mantel lag neben ihm auf dem Stuhl. Als Mr. Pickwick eintrat, blickte er mit trotzig-gebieterischer Miene, die viel Würdevolles hatte, von seinem Frühstück auf, und, nachdem er die Herren ungeniert gemustert, summte er ein Liedchen in einer Art, die zu sagen schien, wer mit ihm anbinden wolle, werde schlecht dabei fahren. „Kellner!“ schrie er dann plötzlich.

„Sir!“ erwiderte ein junger Mensch mit schmutzigem Gesicht und dito Handtuch, der aus der Ecke des Zimmers hervortauchte.

„Toast mit Butter!“

„Sogleich, Sir.“

„Toast mit Butter, verstanden!“ wiederholte der Gentleman in barschem Ton.

„Ganz recht, Sir.“

Der Herr mit dem Backenbart summte sein Liedchen wie vorhin, näherte sich sodann in Erwartung der Brotschnitten dem Kamin, nahm seine Rockschöße unter den Arm, blickte auf seine Stiefel nieder und schien in tiefes Nachdenken zu versinken.

„Ich bin doch neugierig, wo unsre Kutsche in Bath anhält“, sagte Mr. Pickwick in freundlichem Tone zu Mr. Winkle.

„Wie – was?“ fiel der Fremde ein.

„Sir“, erwiderte Mr. Pickwick, stets bereit, auf eine Unterhaltung einzugehen, „ich sagte zu meinem Freunde, ich möchte gern wissen, wo die Kutsche in Bath anhält. Vielleicht können Sie mir Auskunft geben?“

„Reisen Sie nach Bath?“ fragte der Fremde.

„Ja, Sir.“

„Und die andern Herren?“

„Sie reisen auch mit.“

„Aber doch nicht im Wagen drinnen – ich will verdammt sein, wenn Sie im Wagen fahren.“

„Wir alle gerade nicht“, sagte Mr. Pickwick.

„Nein, Sie alle natürlich nicht“, versetzte der Fremde mit Nachdruck. „Ich habe zwei Plätze genommen. Wenn man sechs Leute in diesen verwünschten Kasten hineinzwängen will, der nur für vier Raum hat, so nehme ich die Extrapost und klage. Ich habe meine Fahrt bezahlt und dabei dem Sekretär ausdrücklich gesagt, daß so etwas ein für allemal nicht angeht. Ich weiß, daß diese Burschen es häufig so machen. Ich weiß, daß sie sich’s alle Tage herausnehmen; aber bei mir sollen sie schon ein Haar darin finden. Wer mich kennt, weiß, daß ich mir nichts bieten lasse. Gott straf mich.“

Dann klingelte der wilde Gentleman mit großer Heftigkeit und schnauzte den Kellner an, er solle die gerösteten Brotschnitten binnen fünf Sekunden bringen, oder er wolle ihn schon Mores lehren.

„Werter Herr“, sagte Mr. Pickwick, „erlauben Sie mir, Ihnen zu bemerken, daß Sie sich ganz unnötigerweise so ereifern. Ich habe nur zwei Plätze innen belegt.“

„Das freut mich“, sagte der wilde Mann, „ich nehme meine Ausdrücke zurück. Ich bitte um Entschuldigung. Hier ist meine Karte. Geben Sie mir die Ihre.“

„Mit größtem Vergnügen, Sir“, erwiderte Mr. Pickwick. „Wir werden Reisegefährten sein und, wie ich hoffe, zu unserm gegenseitigen Vergnügen.“ „Das hoffe ich auch“, sagte der grimmige Gentleman. „Weiß es sogar schon. Sie gefallen mir. Meine Herren Ihre Hand! Wie ist Ihr Name?“ Natürlich fanden sofort freundschaftliche Begrüßungen statt, und der grimmige Gentleman stellte sich in denselben kurz abgebrochenen Sätzen als Mr. Dowler vor. Er reise zu seinem Vergnügen nach Bath, habe früher in der Armee gedient, aber seinen Abschied genommen, lebe jetzt standesgemäß von seinen Renten, und der zweite Platz, den er bestellt, sei für niemand geringeren als für Mrs. Dowler, seine werte Gemahlin. „Sie ist eine schöne Frau“, fügte er hinzu. „Ich bin stolz auf sie. Ich habe alle Ursache!“

„Ich hoffe, ich werde das Vergnügen haben, mich selbst davon zu überzeugen“, sagte Mr. Pickwick lächelnd.

„Das sollen Sie auch“, erwiderte Mr. Dowler. „Sie soll Ihre Bekanntschaft machen; sie wird Sie hochachten. Ich bewarb mich um sie unter seltsamen Umständen. Gewann sie durch ein übereiltes Gelübde. Die Sache war so. Ich sah sie, liebte sie, erklärte mich; sie gab mir einen Korb. – ,Lieben Sie einen andern?‘ – ,Ersparen Sie mir ein Erröten!‘ – ,Ich kenne ihn.‘ – ,Das weiß ich!‘ – ,Gut, ich werde ihm die Haut abziehen, wenn er hier bleibt.'“

„Gott steh mir bei“, rief Mr. Pickwick unwillkürlich aus.

„Und haben Sie dem Herrn tatsächlich die Haut abgezogen?“ fragte Mr. Winkle erblassend.

„Ich schrieb ihm ein Billett. Ich sagte, es sei eine fatale Sache. Und das war es auch.“

„Das will ich glauben“, meinte Mr. Winkle.

„Ich sagte, ich hätte mein Wort als Ehrenmann verpfändet, ihm die Haut abzuziehen. Meine Ehre stehe auf dem Spiele. Ich hätte keine Wahl mehr. Als Offizier in den Diensten Seiner Majestät müßte ich es tun. Ich bedauerte die Notwendigkeit, allein es ließe sich nicht mehr ändern. Er war zugänglich für Vernunftgründe. Sah ein, daß Ehrengesetze gebieterisch Befolgung heischten. Floh. Ich heiratete sie. Hier kommt die Kutsche. Da sieht sie eben heraus.“

Mr. Dowler zeigte nach dem offenen Fenster des soeben angekommenen Postwagens, aus dem ein recht hübsches Gesichtchen unter einer hellblauen Haube auf die im Hofe stehende Gruppe schaute, höchstwahrscheinlich, um den grimmigen Mann herauszufinden. Mr. Dowler bezahlte und eilte mit seiner Reisekappe, seinem Stock und Mantel hinaus, und Mr. Pickwick und seine Freunde folgten ihm, um sich ihrer Plätze zu versichern.

Mr. Tupman und Mr. Snodgraß waren hinten hinauf, Mr. Winkle in den Wagen selbst gestiegen, und Mr. Pickwick stand im Begriff, ihm zu folgen, als Sam Weller zu ihm trat und ihm mit äußerst geheimnisvoller Miene zuflüsterte, er habe ihm etwas zu sagen.

„Nun, Sam“, fragte Mr. Pickwick, „was gibt’s denn?“

„’ne nette Geschichte, Sir.“

„Also was denn?“

„Ich fürchte sehr“, antwortete Sam, „daß der Eigentümer dieser Kutsche uns ’n impertinenten Streich gespielt hat.“

„Wieso, Sam? Sind etwa die Namen nicht eingetragen?“

„Sie sin nich nur eingetragen, sondern einer davon is sogar auf die Kutschentür gemalt.“ Mit diesen Worten deutete Sam auf den Teil der Tür, wo gewöhnlich der Name des Eigentümers steht, und wirklich war hier in stattlichen vergoldeten Buchstaben der Name Pickwick zu lesen. „Seltsam“, rief Mr. Pickwick ganz verblüfft, „wahrhaftig, sehr seltsam.“

„Das is noch nich alles“, sagte Sam und lenkte nochmals die Aufmerksamkeit seines Herrn auf die Kutschentür, „sie haben nich bloß ,Pickwick‘ draufgeschrieben, sondern auch noch Moses davorgesetzt, und das nenne ich ’ne Verhöhnung neben der Beleidigung, wie der Papagei sagte, als man ihm nich nur aus seinem Vaterland entführte, sondern auch später noch zwang, Englisch zu lernen.“

„Es ist wirklich sehr auffallend, Sam“, gab Mr. Pickwick zu, „aber wenn wir noch lange dastehen und schwatzen, so verlieren wir unsre Plätze.“

„Was, Sie wollen da gar nichts gegen tun?“ rief Sam, gänzlich verwundert über die Kaltblütigkeit, mit der Mr. Pickwick sich anschickte, einzusteigen.

„Was soll ich denn tun?“ fragte Mr. Pickwick. „Was soll ich denn tun?“

„Soll denn niemand für diese Frechheit gezüchtigt werden, Sir?“ fragte Mr. Weller, der zum mindesten den Auftrag erwartet hatte, den Kondukteur und den Kutscher zu einem Faustkampf an Ort und Stelle herauszufordern.

„Nein, nein“, erwiderte Mr. Pickwick eifrig, „unter keinen Umständen. Steige jetzt auf deinen Platz.“

„Ich fürchte beinahe“, murmelte Sam beiseite, „ich fürchte beinahe, mit meinem Herrn ist es nich ganz richtig, sonst wäre er nich so ruhig geblieben. Der Prozeß wird ihm doch hoffentlich seinen Mut nich genommen haben? Es sieht verdammt schlimm aus.“ – Dann stieg er auf, schüttelte bedenklich den Kopf und sprach als Beweis, wie sehr er sich die Sache zu Herzen nahm, kein Wort mehr, bis die Kutsche am Kensingtoner Schlagbaum anhielt. In seinem ganzen Leben war es vielleicht noch nicht vorgekommen, daß er so lange geschwiegen hatte.

Während der Reise trug sich nichts besonders Erwähnenswertes zu. Mr. Dowler erzählte eine Menge Anekdoten, die sämtlich seinen Mut und seine Tollkühnheit zum Thema hatten, und appellierte dabei an seine Gemahlin, die sie bestätigte und als Zugabe jedesmal noch irgendeinen merkwürdigen Umstand hinzufügte, den Mr. Dowler vergessen oder vielleicht auch aus Bescheidenheit übergangen hatte.

Mr. Pickwick und Mr. Winkle hörten mit großer Bewunderung zu und unterhielten sich zuweilen mit Mrs. Dowler, die eine höchst angenehme und bezaubernde Dame war, und so schwand bei den Geschichten Mr. Dowlers, den Reizen seiner Gemahlin, der guten Laune Mr. Pickwicks und dem trefflichen Zuhörertalent Mr. Winkles der Gesellschaft im Wagen die Zeit aufs angenehmste dahin.

Mit den Außenpassagieren ging es wie gewöhnlich. Sie waren bei Anfang der Fahrt sehr lustig und gesprächig, m der Mitte langweilig und schläfrig und gegen Ende wieder sehr aufgeräumt und munter. Ein in einen Gummimantel gekleideter junger Herr rauchte den ganzen Tag Zigarren, ein andrer junger Herr in einer Art Parodie auf einen großen Überrock zündete deren eine Menge an, fühlte sich aber nach dem zweiten Zug unwohl und warf sie heimlich wieder weg, wenn er sich unbeobachtet glaubte. Ein dritter kramte seine Kenntnisse in der Viehzucht aus, und ein alter Mann, der rückwärts saß, gab seine landwirtschaftlichen Erfahrungen zum besten. Auf jeder Station stiegen Reisende ab und kamen andre dazu, zum Teil in Bauernkitteln, die als blinde Passagiere beim Kondukteur aufsaßen und sich rühmten, jedes Pferd und jeden Hausknecht auf dieser Straße zu kennen; wobei sie zugleich ihre Bemerkungen über das Mittagessen austauschten und meinten, es wäre um eine halbe Krone nicht zu teuer gewesen, wenn man Zeit gehabt hätte, zuzulangen. Endlich um sieben Uhr abends erreichten Mr. Pickwick und seine Freunde sowie Mr. Dowler und seine Gemahlin Bath und stiegen im Hotel zum „Weißen Hirsch“, dem großen Brunnensaal gegenüber, ab, wo man die Kellner wegen ihrer Tracht bekanntlich leicht mit jungen Gymnasiasten aus Westminster verwechseln könnte, wenn sie sich nicht wesentlich besser zu benehmen wüßten.

Am folgenden Morgen war das Frühstück kaum abgetragen, als ein Kellner eine Karte von Mr. Dowler brachte, der um Erlaubnis bat, einen Freund vorstellen zu dürfen. Gleich darauf traten die beiden Herren ein.

Der Freund Mr. Dowlers war ein sehr einnehmender jugendlicher Mann von nicht viel mehr als fünfzig Jahren und trug einen strahlenden blauen Überrock mit funkelnden Knöpfen, schwarze Beinkleider und äußerst feine, blank geputzte Stiefel. Eine goldene Lorgnette hing an einem breiten schwarzen Bande an seiner Brust; in der linken Hand trug er nachlässig eine goldene Tabaksdose, an seinen Fingern glänzten zahllose goldene Ringe, und über seinem Busenstreif strahlte eine in Gold gefaßte Brillantnadel. Außerdem trug er eine goldene Uhr an einer goldenen Kette mit großen goldenen Petschaften und in der Hand einen feinen Stock von Ebenholz mit einem schweren goldenen Knopf. Seine Wäsche war so weiß, so fein und so glatt wie nur möglich, seine Perücke seidenweich, schwarz und lockig. Sein Schnupftabak war Prinzenmischung, sein Parfüm Bouquet du Roi. Seine Züge umschwebte ein beständiges Lächeln, und seine Zähne waren so vortrefflich gepflegt, daß es in einiger Entfernung schwerhielt, die natürlichen von den falschen zu unterscheiden.

„Mr. Pickwick“, stellte Mr. Dowler vor, „– mein Freund Angelo Cyrus Bantam, Esquire, Kurmarschall, Badeintendant. – Erlaube vorzustellen „

„Willkommen in Ba – ath, Sir. – In der Tat eine herrliche Akquisidon. Herzlich willkommen in Ba – ath, Sir. Es ist lange her – sehr lange, Mr. Pickwick, daß Sie den Brunnen nicht getrunken haben. Es deucht mir eine Ewigkeit zu sein, Mr. Pickwick. Me – erkwürdig!“

Mit diesen Worten ergriff Angelo Cyrus Bantam, Esquire, Mr. Pickwicks Hand, hielt sie in der seinigen fest und zuckte unter beständigen Verbeugungen die Achseln, als ob er wirklich nicht imstande sei, sie je wieder loszulassen.

„Es muß allerdings schon sehr lange her sein, daß ich den Brunnen nicht getrunken habe“, antwortete Mr. Pickwick, „denn meines Wissens war ich noch nie hier.“

„Noch nie in Ba – ath, Mr. Pickwick?“ rief der Kurmarschall aus und ließ voll Erstaunen dessen Hand fahren. „Noch nie in Ba – ath? Hihi! Mr. Pickwick, Sie sind ein Spaßvogel. Nicht übel, nicht übel. Gut, gut. Hihihi! Me – erkwürdig!“

„Ich muß zu meiner Schande bekennen, daß es mir vollkommen Ernst ist“, versetzte Mr. Pickwick. „Ich bin wirklich noch nie dagewesen.“ „Oh, ich weiß wohl“, rief der Badeintendant äußerst vergnügt, „jaja – gut, ganz gut – besser und immer besser. Sind Sie der Herr, von dem wir gehört haben. Ja, wir kennen Sie, Mr. Pickwick, wir kennen Sie.“

Diese verwünschten Journalberichte über meinen Prozeß! dachte Mr. Pickwick. Sie wissen alles von mir.

„Sie sind der Herr, der in Clapham Green wohnt und den Gebrauch seiner Glieder dadurch verlor, daß er sich erkältete, nachdem er Portwein getrunken, der sich wegen heftiger Schmerzen nicht rühren konnte, und dem man das Wasser vom Königsbad hundertunddreißig Grad stark nach London auf sein Zimmer schickte, wo er badete, nieste und an demselben Tage wieder genas. Äußerst me – erkwürdig!“

Mr. Pickwick erkannte das in dieser Annahme liegende Kompliment an, besaß jedoch Selbstverleugnung genug, es gleichwohl abzulehnen, und benützte ein augenblickliches Stillschweigen von Seiten Mr. Bantams, um ihm seine Freunde, die Herren Tupman, Winkle und Snodgraß vorzustellen. Natürlich war der Kurmarschall ganz überwältigt von Entzücken und Ehre.

„Bantam“, sagte Mr. Dowler, „Mr. Pickwick und seine Freunde sind Fremde. Sie müssen ihre Namen einschreiben. Wo ist das Buch?“

„Das Verzeichnis der ausgezeichneten Gäste in Ba – ath wird um zwei Uhr im Brunnensaal ausliegen“, erwiderte der Badeintendant. „Wollen Sie vielleicht unsre Freunde in dieses Prachtgebäude führen und mich in den Stand setzen, ihre Autogramme zu bekommen?“

„Sehr gern“, versetzte Mr. Dowler. „Das ist übrigens ein langer Besuch. Es ist Zeit, daß wir gehen; ich werde in einer Stunde wieder hier sein. Kommen Sie!“

„Es ist heute abend Ball“, sagte der Zeremonienmeister und ergriff zum Abschied Mr. Pickwicks Hand abermals. „Die Ballabende in Ba – ath sind paradiesische Augenblicke, zauberhaft durch Musik, Schönheit, Eleganz, guten Ton, Etikette – und – und – durch die Abwesenheit aller Handels- und Gewerbsleute, die sich mit dem Begriff eines Paradieses durchaus nie vereinigen lassen und alle vierzehn Tage in Guildhall ihre eignen Zusammentreffen haben, die zumindest, äh – sehr merkwürdig sind. Adieu indessen!“

Nachdem Angelo Cyrus Bantam, Esquire, noch die ganze Treppe hinab beteuert, er sei unendlich befriedigt, entzückt, überwältigt und geschmeichelt, stieg er in einen äußerst eleganten Wagen, der ihn vor der Tür erwartete, und rasselte von dannen.

Zur festgesetzten Stunde begaben sich Mr. Pickwick und seine Freunde, von Mr. Dowler begleitet, nach dem Brunnensaal und schrieben ihre Namen in das Fremdenbuch ein – ein Beweis von Herablassung, durch den sich Angelo Bantam noch mehr überwältigt fühlte als zuvor. Die ganze Gesellschaft sollte Einlaßkarten zur Abendassemblee haben; da sie aber noch im Druck waren, erklärte Mr. Pickwick trotz aller Gegenvorstellungen Angelo Bantams, er werde um vier Uhr seinen Diener Sam nach der Wohnung des Bademarschalls in Queensquare schicken, um sie abholen zu lassen. Nachdem die Herren sodann einen kurzen Spaziergang“ durch die Stadt gemacht und einstimmig erklärt hatten, die Parkstreet habe eine auffallende Ähnlichkeit mit den gewissen vertikalen Straßen, die man in Träumen sieht und um alles in der Welt nicht hinaufgehen kann, kehrten sie in den „Weißen Hirsch“ zurück, und Sam wurde mit dem erwähnten Auftrag fortgeschickt.

Sam Weller stülpte seinen Hut leicht und graziös auf den Kopf, steckte die Hände in die Rocktaschen und wanderte gemächlich zur Queensquare. Unterwegs pfiff er etliche der beliebtesten neueren Lieder, und zwar so, wie sie mit ganz neuen Variationen für jenes edle Instrument besonders komponiert sind, das man Drehorgel nennt. Als er in der Queensquare die Nummer gefunden hatte, die ihm bezeichnet worden war, klopfte er munter an die Haustür, die sogleich von einem bepuderten Portier in prachtvoller Livree mit symmetrischem Körperbau geöffnet wurde.

„Wohnt hier Mr. Bantam, Kamerad?“ fragte Sam Weller, nicht im mindesten eingeschüchtert durch den Strahlenglanz, den die Person des gepuderten Lakaien mit der prachtvollen Livree um sich verbreitete.

„Warum, junger Mann?“ war die stolze Gegenfrage des Gepuderten.

„Weil Sie, wenn es sich so verhält, mit dieser Karte zu ihm gehen und ihm sagen sollen, Mr. Weller ist da; is es gestattet, werter Sechsfuß?“ sagte Sam, trat dabei höchst kaltblütig in den Hausflur und setzte sich.

Der gepuderte Lakai schlug die Tür heftig zu und schnitt ein grimmiges Gesicht; allein diese beiden Demonstrationen verfehlten ihren Eindruck auf Sam, der mit allen Zeichen kritischer Billigung einen Mahagonischrank betrachtete.

Offenbar hatte die Art, wie Mr. Bantam die Karte aufgenommen, den Gepuderten günstiger für Sam gestimmt, denn er kehrte freundlich lächelnd zurück und sagte, die Antwort werde sogleich erfolgen.

„Schon gut“, erwiderte Sam. „Sagen Sie dem alten Herrn, er brauche sich nich zu erhitzen, ’s hat keine große Eile nich, werter Herr Sechsfuß. Ich habe bereits zu Mittag gespiesen.“

„So zeitig speisen Sie?“ fragte der Gepuderte.

„Ich finde, daß mir dann das Abendessen besser schmeckt“, erwiderte Sam.

„Sind Sie schon lange in Bath, Sir? Ich habe noch nie das Vergnügen gehabt, von Ihnen zu hören.“

„Habe bisher hier noch keine große Sensat schon gemacht“, erwiderte Sam, „denn ich und die andern Herren sind erst diesen Abend angekommen.“ „Ein schöner Ort, Sir“, warf der Gepuderte hin.

„Scheint so.“

„Eine angenehme Gesellschaft, Sir. Sehr feine Dienerschaften, Sir.“

„Gebe ich ohne weiters zu“, erwiderte Sam. „Freundliche unaffektierte Leute, wo nich viel Federlesens machen.“

„Ja, das ist wahr, Sir“, erwiderte der gepuderte Lakai, der Sams Bemerkung offenbar für ein großes Kompliment hielt. „Das ist wahr. Ein Prieschen gefällig, Sir?“ fügte er hinzu, und zog seine kleine Schnupftabaksdose mit einem Fuchskopf auf dem Deckel hervor.

„Ich muß zu sehr niesen“, lehnte Sam ab.

„Jaja, Sir“, sagte der lange Portier, „das Schnupfen ist allerdings schwer; doch nach und nach geht es schon. Am besten lernt man es mit Kaffee. Ich habe lange Kaffee geschnupft, Sir. Er sieht ganz aus wie Rapee.“

Ein plötzliches scharfes Klingeln versetzte den gepuderten Lakaien in die schmähliche Notwendigkeit, den Fuchskopf wieder einzustecken und mit unterwürfiger Miene in Mr. Bantams „Studierzimmer“ zu eilen.

„Hier ist die Antwort, Sir“, sagte er dann. „Ich fürchte fast, sie ist ihrer Größe wegen etwas unbequem.“

„Hat nichts zu sagen“, erwiderte Sam, einen Brief in einem kleinen Kuvert in Empfang nehmend. „Möglich, daß die erschöpfte Natur es noch überlebt.“

„Ich hoffe, wir werden uns wiedersehen, Sir“, sagte der Gepuderte, rieb sich die Hände und begleitete Sam bis an die Tür.

„Sie sin gar zu gütig, Sir“, dankte Sam. „Strengen Se sich nur nich über Ihre Kräfte an. Bedenken Sie, was Sie der menschlichen Gesellschaft schuldig sin, und übernehmen Se sich nich durch zu vieles Arbeiten. Um Ihre Mitgeschöpfe willen verhalten Se sich so ruhig wie möglich und überlegen sich gut, wie schmerzlich man Ihren Verlust empfinden würde.“

Mit diesen pathetischen Worten entfernte sich Sam.

„Ein höchst sonderbarer junger Mensch“, meinte der gepuderte Lakai, Mr. Weller mit einem Gesicht nachblickend, auf dem deutlich geschrieben stand, daß er aus ihm nicht klug werden konnte.

Sam seinerseits sprach nichts mehr. Er blinzelte, schüttelte den Kopf, lächelte, blinzelte abermals und lief lustig seines Weges dahin, mit einer Miene, die nicht daran zweifeln ließ, daß ihm irgend etwas großes Behagen bereiten müsse. Präzis zwanzig Minuten vor acht Uhr sprang Angelo Cyrus Bantam, Esquire, der Bademarschall, vor dem Ballhaus aus seinem Wagen mit derselben Perücke, denselben Zähnen, derselben Uhr nebst Petschaft, denselben Ringen, derselben Busennadel und demselben Stocke. Die einzigen bemerkbaren Veränderungen in seinem Aufzuge bestanden darin, daß er einen noch großartigeren blauen Frack mit weißseidenem Futter, enge schwarze Beinkleider, schwarze seidene Strümpfe, Tanzschuhe und weiße Weste trug und dabei womöglich noch etwas süßer duftete.

So geschmückt begab er sich zur pünktlichen Erfüllung der wichtigen Obliegenheiten seines hochwichtigen Amtes in die Gemächer, um die Gesellschaft zu empfangen.

Da Bath sehr besucht war, so strömten sowohl Gäste als Sechspence für den Tee in Masse herein. Im Ballsaal, in dem achteckigen Spielzimmer, in dem langen Spielzimmer, auf den Treppen und in den Gängen, überall war ein Gedränge und ein verworrenes Gesumm, daß man kaum sein eigenes Wort verstehen konnte. Kleider rauschten, Federn nickten, Kerzen leuchteten und Juwelen funkelten. Musik ertönte – nicht die Tanzmusik, die noch nicht begonnen hatte, sondern die Musik zart und sanft auftretender Füße und dann und wann das gewisse leise Kichern und Flüstern weiblicher Stimmen, das so angenehm für das männliche Ohr ist – in Bath wie überall. Von allen Seiten glänzten und funkelten strahlende Augen voll wonniger Erwartung; wohin man blickte, schwebte eine herrliche Gestalt anmutsvoll durch das Gedränge, und sie war kaum verschwunden, als bereits eine andre, ebenso schöne und bezaubernde an ihre Stelle trat.

Im Teezimmer und an den Kartentischen erblickte man eine große Anzahl wunderlich ausstaffierter alter Damen und abgelebter alter Herren, die alle das abgeschmackte Tagesgeschwätz und Geklatsch mit sichtlicher Freude und Lust abhandelten. Unter diesen Gruppen befanden sich drei oder vier Matronen, die ihre Töchter gern unter die Haube gebracht hätten und in die Unterhaltung, an der sie teilnahmen, ganz vertieft zu sein schienen, dabei aber nicht ermangelten, von Zeit zu Zeit ihren lieben Kinderchen besorgte Seitenblicke zuzuwerfen. Diese, der mütterlichen Ermahnungen, ihre Blütezeit zu benützen, eingedenk, hatten bereits ihre kleinen Koketterien begonnen, indem sie absichtlich verlegte Halstücher suchten, Handschuhe anzogen, Tassen auf den Tisch stellten und so weiter – dem ersten Anschein nach unbedeutende Dinge, mit denen sich aber bei einiger Übung und Erfahrung erstaunlich viel bewirken läßt.

An den Türen und in den entfernten Winkeln trieben sich größere oder kleinere Gruppen alberner junger Herren herum, naseweise Zierbengel, durch ihr kindisches Benehmen und Abgeschmacktheiten jeglicher Art allen verständigen Leuten ein Hohn und Spott, die sich überglücklich fühlten in dem Wahne, Gegenstand der allgemeinen Bewunderung zu sein.

Auf einigen der rückwärtigen Bänke endlich hatte eine Anzahl unverheirateter Damen, die die große Alterswende bereits zurückgelegt, ihre Plätze für den Abend eingenommen. Sie tanzten nicht, weil sich keine Tänzer für sie fanden, spielten auch nicht Karten, um nicht unrettbar ledig zu bleiben, und befanden sich daher in der günstigen Lage, über jedermann schimpfen zu können, ohne an sich selbst zu denken, über jedermann, denn alles war Fröhlichkeit, Glanz und Pracht. Lauter elegant gekleidete Herren und Damen, prachtvolle Spiegel, glänzende Fußböden, duftende Blumenkränze, strahlende Wachskerzen. Und überall in stiller Freundlichkeit von Ort zu Ort schlüpfend, bald vor dieser Gesellschaft tief sich verbeugend, bald jener vertraulich zuwinkend und alle wohlgefällig anlächelnd, erblickte man die zierlich geschniegelte Person des Bademarschalls Angelo Cyrus Bantam, Esquire.

„Kommen Sie in das Teezimmer. Trinken Sie für Ihre sechs Pence. Man gießt siedendes Wasser auf und nennt es Tee. Trinken Sie“, sagte Mr. Dowler mit lauter Stimme zu Mr. Pickwick, der mit Mrs. Dowler am Arm der kleinen Gesellschaft voranging.

Mr. Pickwick verfügte sich in das Teezimmer, und als Mr. Bantam seiner ansichtig ward, wand er sich wie ein Korkzieher durch das Gedränge und bewillkommnete ihn mit Begeisterung.

„Mein teurer Herr, ich fühle mich unendlich geehrt. Ba – ath darf sich glücklich schätzen. Madam Dowler, Sie verschönern diese Räume. Ich gratuliere Ihnen zu Ihren Federn. Me – erkwürdig.“

„Ist jemand hier?“ fragte Dowler wählerisch.

„Jemand!? Die Elite von Ba – ath! Mr. Pickwick, sehen Sie die Dame dort mit dem Gazeturban.“

„Die dicke alte Dame?“ fragte Mr. Pickwick unschuldig.

„Pst, mein teurer Herr, in Ba – ath ist niemand dick oder alt. Es ist die verwitwete Lady Snuphanuph.“

„Wirklich?“

„Wie ich Ihnen sage, niemand Geringeres“, versichert“ der Kurmarschall. „Kommen Sie doch ein wenig näher, Mr. Pickwick. Sehen Sie den prachtvoll gekleideten jungen Herrn dort?“

„Den mit den langen Haaren und der auffallend schmalen Stirn?“

„Ja; das ist gegenwärtig der reichste junge Mann in Ba – ath, der junge Lord Mutanhed.“

„Was Sie nicht sagen!“ rief Mr. Pickwick.

„Sie werden ihn sogleich sprechen hören, Mr. Pickwick. Er wird sich mit mir unterhalten. Der andre Herr bei ihm mit der roten Weste und dem dunklen Backenbart ist Mr. Crushton, Hochwohlgeboren, sein Busenfreund. – Äh, wie befinden Sie sich, Mylord?“

„Seah heiß hia, Bantam“, bemerkte Seine Lordschaft, die beim Aussprechen des R einige Schwierigkeiten zu bekämpfen hatte.

„Es ist allerdings sehr warm, Mylord“, bemerkte der Kurmarschall.

„Verteufelt heiß“, bekräftigte Mr. Crushton, Hochwohlgeboren.

„Haben Sie den Postkarren Seiner Lordschaft schon gesehen, Bantam?“ fragte er nach einer kurzen Pause, während der junge Lord Mutanhed Mr. Pickwick durch vornehm-stolzes Anblicken aus der Fassung zu bringen versuchte und Mr. Chrushton nachgesonnen hatte, welches Thema Seiner Lordschaft wohl am besten liegen möchte.

„Nein, noch nicht. Ein Postkarren, welch famoser Einfall! Me – erkwürdig!“

„Gütigeah Himmel“, lispelte Seine Lordschaft, „ich dachte, jedamann müsse den neuen Postkachen schon gesehen haben; es ist das netteste, zialichste, aatigste Ding, was je auf Wädean gelaufen ist, wot angemalt und mit einem isabellfaabigen Schecken davoa.“

„Und mit einem wirklichen Briefkasten, alles ganz vollständig“, setzte Crushton, Hochwohlgeboren, hinzu.

„Und einem kleinen Voasitz mit eisana Lehne füa den Kutscha“, ergänzte Seine Lordschaft. „Ich fuha gestan Moagen damit in einem Kaamoisinwock nach Bwistol und ließ zwei Bediente eine Viatelstunde hinten nachweiten, und da waa es zu schön, wie die Leute aus den Häusan stüchtzen und mich anhielten und faagten, ob ich nichts füa sie hätte. Das waa ein Kapitalspaß.“

Dabei lachte Seine Lordschaft recht herzlich und die Zuhörer natürlich auch. Sodann schob er seinen Arm durch den des dienstfertigen Mr. Crushton und entfernte sich mit ihm.

„Ein entzückender junger Mann, dieser Lord“, sagte der Badeintendant.

„Es scheint so“, bemerkte Mr. Pickwick trocken.

Nachdem alle nötigen Einleitungen und Anordnungen zum Tanze getroffen waren und die Musik eingesetzt hatte suchte Angelo Bantam Mr. Pickwick wieder auf und führte ihn ins Spielzimmer.

Eben als sie eintraten, umschwebten die verwitwete Lady Snuphanuph und zwei andre Damen von antikem, whistlustigem Aussehen einen unbesetzten Spieltisch, und kaum erblickten sie Mr. Pickwick in Begleitung Mr. Angelo Bantams, wechselten sie bedeutsame Blicke miteinander, in denen sich klar und unverkennbar die Ansicht aussprach, dies sei gerade der Mann, dessen sie bedürften, um ein Spielchen zu machen. „Mein lieber Bantam“, schmeichelte die verwitwete Lady Snuphanuph, „tun Sie uns doch den Gefallen und suchen Sie uns einen passenden Mitspieler.“

Da Mr. Pickwick in diesem Augenblick zufällig nach einer andern Seite sah, winkte Ihre Herrlichkeit mit dem Kopf nach ihm zu und runzelte ausdrucksvoll die Stirn.

„Mylady“, sagte der Badeintendant, den Wink verstehend, „mein Freund, Mr. Pickwick; wird sich unendlich glücklich schätzen. Mr. Pickwick – Lady Snuphanuph – Frau Oberst Wugsby – Miß Bolo.“

Mr. Pickwick verbeugte sich vor jeder der drei Damen, und da er einsah, daß kein Entrinnen war, ergab er sich in sein Schicksal. Er und Miß Bolo spielten gegen Lady Snuphanuph und die Frau Oberst Wugsby.

Eben als die zweite Partie begann und der Trumpf schon auflag, rannten zwei junge Damen ins Zimmer und stellten sich auf beiden Seiten neben dem Stuhl der Frau Oberst „Wugsby auf, wo sie geduldig warteten, bis das Spiel vorüber war.

„Nun, Jane“, sagte die Oberstin, sich an eines der Mädchen wendend, „was gibt’s?“

„Ich möchte dich nur fragen, Mama, ob ich mit dem jüngsten Mr. Crawley tanzen darf“, flüsterte die hübschere und jüngere der beiden Töchter. „Um Gottes willen, Jane, wie kannst du an so etwas denken?“ erwiderte die Mutter entrüstet. „Hast du nicht schon oft gehört, daß sein Vater bloß achthundert Pfund jährlich besitzt, die überdies bei seinem Tode wegfallen? Ich muß wirklich für dich in die Seele hinein schämen. – um keinen Preis.“

Mama“, flüsterte die andre, die viel älter als ihre Schwester und dabei unendlich einfältig und affektiert war, „Lord Mutanhed ist mir vorgestellt worden. Ich habe gesagt, ich sei, glaube ich, noch nicht engagiert, Mama.“

„Du bist mein liebes Kind“, erwiderte die Frau Oberst, mit dem Fächer der Tochter auf die Wange klopfend, „auf dich kann ich mich immer verlassen. Er ist unermeßlich reich, meine Liebe. Gott segne dich.“

Mit diesen Worten küßte sie ihre älteste Tochter aufs zärtlichste, runzelte gegen die andre warnend die Stirn und mischte die Karten. Der arme Mr. Pickwick! Er hatte noch nie mit drei abgebrühten Whistspielerinnen gespielt. Sie waren so verzweifelt aufmerksam, daß ihm angst und bange wurde. Spielte er eine falsche Karte aus, so drohte ihm ein ganzes Arsenal von Dolchen aus den Augen Miß Bolos; besann er sich einen Augenblick, so warf sich Lady Snuphanuph in ihren Stuhl zurück und lächelte mit einem teils ungeduldigen, teils mitleidigen Blick der Frau Oberst Wugsby zu, worauf Frau Oberst Wugsby die Achseln zuckte und hustete, als wollte sie sagen, es werde sie doch wundern, wann er denn endlich beginne. Nach jeder Runde fragte Miß Bolo mit verdrießlichem Gesicht und vorwurfsvollem Seufzen, warum Mr. Pickwick nicht Karo nachgespielt oder Treff angespielt oder Pik gestochen oder Herz gebracht oder das As herausgeholt oder auf den König gespielt habe oder sonst etwas Ähnliches, und auf alle diese schweren Anschuldigungen wußte der Ärmste schlechterdings keine Rechtfertigung vorzubringen, weil er inzwischen das ganze Spiel vergessen hatte. Hauptsächlich aber brachte ihn Angelo Bantam, Esq., aus dem Konzept, der ganz in der Nähe mit den beiden Misses Matinter laut plauderte, die sitzengeblieben waren und deshalb dem Bademarschall huldigten, um durch seine Vermittlung wenigstens hie und da einen damenlosen Tänzer zu ergattern. Alles dies, verbunden mit dem Lärm der Musik und den vielen Unterbrechungen durch das beständige Aufundabgehen von Zuschauern machte, daß Mr. Pickwick ziemlich schlecht spielte. Überdies hatte er kein Glück, und als sie zehn Minuten nach elf Uhr aufhörten, erhob sich Miß Bolo in großer Aufregung vom Tisch und ließ sich unter einer Flut von Tränen in einer Sänfte nach Hause tragen.

Mr. Pickwick kehrte sofort mit seinen Freunden, die samt, lieh versicherten, nicht sobald einen Abend angenehmer zugebracht zu haben, nach dem „Weißen Hirsch“ zurück, und nachdem er seine Gefühle mit einigen warmen Getränken beschwichtigt, ging er zu Bett, um augenblicklich einzuschlafen.