Siebenunddreißigstes Kapitel

Mr. Samuel Weller wird zum Postillion d’amour ernannt und versieht sein Amt als solcher höchst gewissenhaft.

Am ganzen folgenden Tag behielt Sam Mr. Winkle scharf im Auge, und so unangenehm dieser strenge Gewahrsam für Mr. Winkle auch war, so hielt er es doch für besser, sich darein zu fügen, als sich der Gefahr auszusetzen, an Händen und Füßen gebunden nach Bath geschafft zu werden. Zum Glück trat abends um acht Uhr Mr. Pickwick in eigener Person ins Gastzimmer des „Busches“ und sagte, Sam zulächelnd, alles sei in Ordnung und er brauche jetzt nicht länger Schildwache zu stehen.

„Ich hielt es für besser, selbst zu kommen“, fügte er zu Mr. Winkle gewendet hinzu, während ihm Sam seinen Überrock und Reiseschal abnahm, „um mich, bevor ich die Verwendung Sams in dieser Sache zugebe, zu vergewissern, daß es Ihnen mit der jungen Dame auch vollkommen ernst ist.“

„So wahr ich lebe“, beteuerte Mr. Winkle voll Feuer.

„Bedenken Sie wohl“, sagte Mr. Pickwick mit strahlenden Augen, „daß wir sie im Hause unseres vortrefflichen gastlichen Freundes getroffen haben. Es wäre ein schlechter pank, wenn Sie mit der Neigung dieser jungen Dame ein leichtfertiges, unüberlegtes Spiel treiben wollten. Ich würde das nie zugeben, Sir – niemals.“

„Ich habe doch keine solche Absicht“, rief Mr. Winkle mit Wärme. »Ich habe mir die Sache schon lange wohl überlegt und fühle, daß all mein Glück in Arabella beschlossen ist.“

„Dann steckt es in ’nem sehr kleinen Behälter, Sir“, fiel Mr. Weller mit scherzhaftem Lächeln ein.

Mr. Winkle blickte, über diese Unterbrechung gelinde entrüstet, auf, und Mr. Pickwick verwies seinem Bedienten unwillig, mit einem der edelsten Gefühle des Menschenherzens Spott zu treiben.

Mr. Winkle erzählte sodann, was in bezug auf Arabella Wischen ihm und Mr. Ben Allen vorgegangen, erklärte, er Busse unbedingt mit der jungen Dame zusammenkommen, um ihr seine Leidenschaft in aller Form zu gestehen, und drückte seine auf gewisse dunkle Winke und Andeutungen des besagten Ben gegründete Überzeugung aus, sie werde jedenfalls in der Nähe der Dünen eingesperrt gehalten; das sei alles, was er wisse oder vermute.

Mit diesem schwachen Leitfaden ausgerüstet, sollte nun Mr. Weller am nächsten Morgen eine Entdeckungsreise antreten! Es wurde festgesetzt, daß Mr. Pickwick und Mr. Winkle, die kein übertriebenes Vertrauen auf ihre eigenen Kräfte besaßen, einstweilen die Stadt durchwandern und zufällig bei Mr. Bob Sawyer vorsprechen sollten, um dort vielleicht über die junge Dame etwas zu sehen oder zu hören zu bekommen.

Sam Weller ging also am nächsten Morgen auf die Suche, keineswegs eingeschüchtert durch die entmutigenden Aussichten, die vor ihm lagen. Er wandelte eine Straße hinauf und eine hinab – das heißt besser gesagt, einen Hügel hinauf und einen andern hinunter, da bekanntlich in Clifton alles Hügel ist – ohne auf irgend etwas zu stoßen, was das geringste Licht auf den Gegenstand seiner Forschungen gewerfen hätte. Mannigfaltig waren die Zwiegespräche, c];e Sam mit Bedienten einleitete, die Pferde spazierenritten, und mit Kindermädchen, die mit ihren Kindern in den Gassen herumschlenderten; allein er vermochte aus diesen beiden Arten von Menschenkindern nichts herauszulocken, was den mindesten Bezug auf seine so schlau betriebenen Nachforschungen gehabt hätte. Es gab wohl in sehr vielen Häusern sehr viele junge Damen, bei denen die männlichen und weiblichen Dienstboten scharfsichtig genug gemerkt hatten, daß sie in irgend jemand sterblich verliebt oder jedenfalls im Begriff seien, bei der nächsten besten Gelegenheit es zu werden – da aber unter diesen jungen Damen keine Miß Arabella war so blieb Sam so weise wie zuvor. Er arbeitete sich gegen einen starken Seewind die Dünen hindurch, voll Verwunderung, warum es in diesem Teile des Landes nötig sei, mit beiden Händen den Hut festzuhalten, und kam endlich in eine schattige Gegend, wo ihm mehrere kleine Landhäuser von ruhigem, abgeschlossenem Aussehen in die Augen fielen. Am Ende einer langen Sackgasse faulenzte ein Reitknecht in Halblivree, der sich offenbar einbildete, er stehe im Begriff, mit einem Spaten und einem Schiebkarren etwas zu arbeiten.

Sam dachte, er könne mit diesem Reitknecht ebensogut sprechen wie mit irgendeinem andern Menschen, zumal da er etwas müde vom Gehen war und gegenüber von dem Schiebkarren einen recht angenehmen breiten Stein zum Sitzen erblickte. Er schlenderte also das Gäßchen hinab, setzte sich und leitete mit der ihm eigentümlichen Ungezwungenheit ein Gespräch ein.

„Morgen, alter Freund“, begann er. „Nachmittag, wollen Sie wohl sagen“, erwiderte der Stallknecht.

„Sie haben recht, alter Freund“, sagte Sam, „ich wollte Nachmittag sagen. „Wie geht’s Ihnen?“

„Nicht viel besser, weil ich Sie sehe“, erwiderte übelgelaunt der Reitknecht.

„Das is höchst sonderbar“, meinte Sam, „Sie sehen doch so xmgemein lustig aus und scheinen überhaupt so ’n munterer Bursche zu sein, daß es ’ne wahre Lust ist, Ihnen anzusehen.

Der verdrießliche Groom machte ein noch verdrießlicheres Gesicht, jedoch nicht grämlich genug, um irgendeine Wirkung auf Sam hervorzubringen, der sogleich sehr angelegentlich zu fragen begann, ob sein Herr nicht Walker heiße?

„Nein“, antwortete der Groom.

„Oder Brown?“

„Nein.“

„Oder Wilson?“

„Auch nicht.“

„Gut“, erwiderte Sam, „denn habe ich mir ebend geirrt, und er hat nich die Ehre meiner Bekanntschaft; ich dachte schon vorher, daß er die nich hat. Bleiben Sie bloß nich etwa aus Höflichkeit gegen mir hier draußen“, setzte er hinzu, als der Groom den Karren hineinschob und sich anschickte, das Tor zu schließen, „’s geht nichts über die Bequemlichkeit, alter Knabe; ich entschuldige Ihnen gerne.“

„Und ich möchte Ihnen gerne für ’ne halbe Krone den Schädel einschlagen“, brummte der griesgrämige Stallknecht und schloß den eisernen Torflügel.

„Könnte es nich so billig geschehen lassen“, entgegnete Sam. „Würde Ihnen wenigstens ’ne lebenslängliche Verköstigung eintragen und wäre daher zu wohlfeil. Melden Sie im Hause meine Empfehlungen. Sagen Sie Bescheid, sie sollen nich mit dem Essen auf mich warten und auch nichts aufheben; es wird doch bloß kalt, bis ich komme.“

Der Groom schnitt ein falsches Gesicht, murmelte etwas zwischen den Zähnen und schlug ärgerlich die Tür hinter sich zu, der zärtlichen Bittf Sams, ihm wenigstens eine Locke von seinen Haaren zur Erinnerung da zu lassen, nicht die geringste Beachtung schenkend.

Sam blieb auf dem großen Stein sitzen, besann sich, was wohl jetzt am besten zu tun wäre, und wälzte eben in seinem Geist den Plan herum, fünf Meilen im Umkreis von Bristol an alle Türen anzuklopfen, indem er täglich etwa einhundertfünfzig oder zweihundert erledigte, um dadurch Miß Arabella ausfindig zu machen, als ihm der Zufall unerwartet etwas in den Weg warf, was er bei jahrelangem Sitzen auf Stein nicht hätts herausgrübeln können.

Zu beiden Seiten der Gasse, in welcher er saß, sah man mehrere Gartentore, die jeweils zu einem Hause führten. Da diese Gärten groß, lang und dicht mit Bäumen bepflanzt waren, so standen die Häuser nicht bloß ziemlich weit voneinander entfernt, sondern waren auch zum größten Teile beinahe unsichtbar. Sam betrachtete gerade geistesabwesenden Blicks das staubige Tor zunächst demjenigen, durch das der Groom verschwunden, und war in tiefes Nachsinnen über die Schwierigkeiten seines Unternehmens versunken, als das Tor sich öffnete und ein Mädchen auf die Gasse heraustrat, um einige Teppiche auszuschütteln.

Sam war so durchaus mit seinen Gedanken beschäftigt, daß er höchstwahrscheinlich weiter keine Notiz von der jungen Dame genommen, sondern vielleicht nur den Kopf aufgerichtet und bemerkt hätte, sie habe ein recht hübsches Figürchen, wäre nicht seine Galanterie gewaltig durch die Bemerkung erregt worden, daß sie keinen Gehilfen hatte und die Teppiche für ihre schwache Kraft offenbar zu schwer schienen. Mr. Weller war in seiner Art ein höchst galanter Gentleman, und kaum hatte er diesen Umstand gewahrt, als er sich schleunigst von dem breiten Stein erhob und auf die Dame zuschritt.

„Mein liebes Kind“, sagte er mit großer Ehrerbietung, auf sie zuschlendernd, „Sie schaden offenbar Ihrer über alle Maßen schönen Figur, wenn Sie die Teppiche alleine ausschütteln. Werde Ihnen helfen.“

Die junge Dame, die sich züchtig gestellt hatte, als wüßte sie nichts von der Nähe eines Gentleman, drehte sich bei dieser Anrede um – ohne Zweifel, um das Anerbieten eines ihr völlig Unbekannten abzulehnen, aber statt zu sprechen, fuhr sie zurück und stieß einen halbunterdrückten Schrei aus. Sam war nicht viel weniger verblüfft, denn in dem Angesicht der wohlgestalteten jungen Dame erkannte er die wohlbekannten Züge des hübschen Hausmädchens von Mr. Nupkins. „Hoho, Mary, mein Schatz“, rief er. „Sieh einer an, der Mr. Weller“, erwiderte Mary, „wie Sie einen erschrecken können!“

Sam erwiderte nichts, wenigstens nicht mit Worten, denn Mary sagte nach einer kurzen Pause: „Lassen Sie mich, Sie Schlimmer.“ Der Umstand, daß ihm sein Hut wenige Augenblicke zuvor vom Kopfe gefallen war, ließ darauf schließen, daß Küsse und Umarmungen vorgefallen sein mußten. „Aber wie sin Sie denn hierhergekommen?“ fragte Mary, als das Gespräch, das diese Unterbrechung erlitten, wieder seinen Anfang nahm.

„Bloß, um nach Ihnen zu sehen, mein Schätzchen“, erwiderte Mr. Weller, bei dem die Leidenschaft den Sieg über die Wahrheitsliebe davontrug. „Woher haben Sie denn gewußt, daß ich hier bin? Wer kann Ihnen bloß gesagt haben, daß ich in Ipswich zu einer anderen Herrschaft gegangen bin, die dann hierher übergesiedelt ist, Mr. Weller?“

„Das möchten Sie wohl gern wissen“, sagte Sam mit pfiffigem Blick, „das möchten Sie gerne wissen. Wer, meinen Sie wohl, hat’s mir gesagt?“ „Mr. Muzzle vielleicht?“ fragte Mary.

„Nö, nö“, erwiderte Sam mit feierlichem Kopfschütteln, „Muzzle nicht.“

„Dann muß es die Köchin gewesen sein.“

„Versteht sich.“

„So was habe ich meinen Lebtag nicht gehört“, rief Mary aus.

„Ich auch nicht“, sagte Sam. „Aber mein Schatz“ – hier wurden Sams Manieren ungemein zärtlich –, „mein Schatz, ich habe da grade ’n Geschäft, wo äußerst pressant is. Es is da einer von meines Prinzipals Freunden – Mr. Winkle –, Sie erinnern sich doch, was?“

„Der mit dem grünen Rock?“ fragte Mary. „Ja, ja, weiß schon.“

„Na“, fuhr Sam fort, „der is schauderhaft verliebt. Rappelt förmlich.“

„Jessas!“ rief Mary interessiert.

„Wäre alles recht schön, aber was hilft’s, wenn wir das junge Frauenzimmer nich auftreiben können?“ sagte Sam und stattete unter mancherlei Abschweifungen über Marys Schönheit und die unaussprechlichen Qualen, die er ausgestanden, seit er sie zum letztenmal gesehen habe, einen getreuen Bericht über Mr. Winkles derzeitige Lage ab.

„’s is nicht zu glauben“, rief Mary.

„Is es auch nich“, erwiderte Sam, „und ich laufe darum wie der ewige Jude – der Wandersportsmann, wo Se auch wohl schon von gehört haben, mein Schatz, wo immer mit der Zeit um die Wette läuft und nich sterben kann – und suche nach Miß Arabella Allen.“

„Was für eine Miß?“ fragte Mary höchst erstaunt.

„Miß Arabella Allen.“

„Jessas“, rief Mary, nach dem Gartentore deutend, das der griesgrämige Stallknecht hinter sich verschlossen hatte. „Das is ihr Haus dort, und sie is schon seit sechs Wochen hier. Die obere Hausmagd, wo zugleich das Stubenmädchen von der gnä Frau is, hat’s mir neulich zur Waschküche raus gesagt, als die Herrschaft noch geschlafen hat.“

„Sapperlot, also grade neben Ihnen?“ rief Sam.

„Freilich, freilich.“

Mr. Weller war durch diese Nachricht so überwältigt, daß er es für unumgänglich notwendig hielt, mit beiden Armen seine schöne Auskunfterteilerin zu umschlingen, und erst nach verschiedenen kleinen Liebespassagen hatte er sich wieder gehörig gesammelt, um zur Sache zurückkommen zu können.

„Donnerwetter“, sagte er endlich, „wenn das nicht über die Hutschnur geht, denn geht überhaupt nichts mehr drüber, wie der Lordmajor sagte, als der Erste Staatssekretär nach dem Essen die Gesundheit von seiner Frau ausbrachte. – Also grade neben Ihrem Haus? Na, und ich habe eine Botschaft für ihr auszurichten, mit der habe ich mir schon den ganzen Tag abgeschunden.“

„Aber die können Sie jetzt noch nicht ausrichten“, erklärte Mary, „weil sie bloß abends im Garten spazierengeht, und jedesmal bloß ganz kurze Zeit; ausgehen tut sie überhaupt nicht ohne die alte Dame.“

Sam sann einige Augenblicke nach und entwarf folgenden Operationsplan: Er wollte in der Dämmerung, zu der Zeit also, in welcher Arabella täglich ihre Spaziergänge machte, wiederkommen. Mary sollte ihn in den Garten ihrer Herrschaft einlassen, und dann wollte er, geschützt durch die überhängenden Zweige eines großen Birnbaumes, unbemerkt über die Mauer klettern, seinen Auftrag ausrichten und, wenn irgend möglich, für den folgenden Abend zur gleichen Zeit eine Zusammenkunft zwischen dem Fräulein und Mr. Winkle vereinbaren.

Nachdem er diesen Plan mit großer Eile auseinandergesetzt, half er Mary bei ihrem lange hinausgeschobenen Geschäft des Teppichausschütteins. Das Teppichausschütteln ist nicht halb so unschuldig wie es aussieht; das Schütteln selbst zwar mag etwas ganz Harmloses sein, aber das Zusammenlegen ist eine sehr verfängliche Sache. Solange das Schütteln dauert und beide Parteien auf Teppichlänge voneinander getrennt sind, ist es eine so unschuldige Ergötzlichkeit, wie man sich nur eine denken kann; wenn aber das Zusammenlegen beginnt und die Entfernung der Schüttelnden von der Hälfte der früheren Länge zu einem Viertel derselben, sodann zu einem Achtel, endlich zu einem Sechzehntel und, wenn der Teppich lang genug ist, zu einem Zweiunddreißigstel zusammenschrumpft, wird es höchst gefährlich. Wir vermögen nicht genau zu bestimmen, wie viele Teppiche im vorliegenden Falle zusammengelegt wurden, aber das können wir zu behaupten wagen, daß Sam das hübsche Mädchen so viele Male küßte, als Teppiche da waren.

Mr. Weller labte sich mit Maß und Ziel in der nächsten Kneipe, bis es dunkel zu werden anfing, und kehrte sodann in die Sackgasse zurück. Nachdem ihn Mary in den Garten gelassen und ihm mehrfache Ermahnungen in betreffs Haisund Beinbruch erteilt hatte, kletterte er auf den Birnbaum, um Miß Allen zu erwarten.

Er mußte so lange unruhig ausharren, daß er schon glaubte, sie werde nicht mehr kommen, als er auf einmal leichte Fußtritte auf dem Kies vernahm und bald darauf Arabella erblickte, wie sie nachdenklich den Garten herabkam. Als sie in die Nähe des Baumes gelangte, begann Sam, um seine Anwesenheit so zart wie möglich zu erkennen zu geben, allerhand diabolische Töne auszustoßen, wie man sie allenfalls bei jemand natürlich finden könnte, der von frühester Kindheit an fortwährend an Halsentzündung, Krupp und Keuchhusten gelitten hat.

Die junge Dame warf einen hastigen Blick nach der Stelle, von wo die furchtbaren Laute kamen, und ihr anfänglicher Schreck wurde keineswegs dadurch vermindert, daß sie einen Mann zwischen den Zweigen erblickte. Sie wäre sicherlich entflohen und hätte Lärm geschlagen, allein glücklicherweise nahm ihr die Furcht alle Kraft, sich zu rühren, und sie sank auf einen zum Glück dastehenden Gartenstuhl nieder.

„Wird die doch einfach ohnmächtig“, monologisierte Sam in großer Verlegenheit. „Is aber auch ’n dolles Ding, daß diese jungen Frauenzimmer immer mit Gewalt in Ohnmacht fallen wollen, wo es gar nicht angebracht ist. He da, Fräuleinchen, Fräulein Beinsäger, hören Sie denn nich!“

War es nun der Zauber dieses Wortes oder die Kühle der Abendluft oder eine dunkle Erinnerung an Mr. Wellers Stimme, was Arabella wieder zum Leben brachte – jedenfalls erhob sie den Kopf und fragte mit matter Stimme: „Wer ist da, und was wollen Sie?“

„Pst“, warnte Sam, schwang sich auf die Mauer und kauerte sich dort auf einen möglichst kleinen Raum zusammen, „bloß ich bin’s, mein Fräulein, bloß ich.“

„Mr. Pickwicks Bedienter?“ fragte Arabella ernst. „Aufzuwarten, mein Fräulein. Mr. Winkle is hier, und zwar gänzlich meschugge, mein Fräulein.“

„Ah“, sagte Arabella und trat näher an die Mauer. „Ja freilich“, versicherte Sam. „Wir meinten schon gestern nacht, wir müßten ihm ’ne Zwangsjacke anlegen; er rast den ganzen Tag und sagt, wenn er Sie nich vor morgen nacht zu sehen bekommt, ersäuft er sich oder stellt sonst was an.“ „Um Gottes willen!“ rief Arabella und rang die Hände. „Ja, das hat er gesagt, mein Fräulein“, setzte Sam kaltblütig hinzu. „Es is ’n Mann von Wort, und ich bin überzeugt, daß er es tut. Der Beinsäger mit der Brille hat ihm von Ihnen erzählt?“

„Mein Bruder?“ fragte Arabella, der ein Licht aufging. „Ich weiß nich recht, welcher von beiden Ihr Bruder is“, erwiderte Sam. „Is es der Schmutzigere?“

„Jaja, Mr. Weller“, erwiderte Arabella, „aber weiter, weiter; schnell, schnell.“

„Nun gut, mein Fräulein. Er hat also von ihm alles erfahren, und mein Prinzipal meint, wenn er Sie nich sobald wie möglich zu sehen kriegt, würde der Beinsäger so viel Extrablei in den Kopf bekommen, daß die Entwicklung der Organe dadurch beschädigt wird, wenn man se nachher in Spiritus legt.“

„Gott im Himmel, was kann ich denn tun, diesen schrecklichen Streit zu verhindern?“ jammerte Arabella.

„Die Vermutung, daß ’ne frühere Neigung vorliegt, is an der ganzen Geschichte schuld, ’s wäre wirklich das beste, wenn Sie ihn sehen würden, Miß.“

„Aber wie und wo?“ rief Arabella. „Ich darf das Haus nicht allein verlassen. Mein Bruder ist so unfreundlich wie unvernünftig. Ich weiß, wie auffallend Ihnen diese Sprache erscheinen muß, Mr. Weller, aber ich bin sehr, sehr unglücklich –“ und dabei fing die arme Arabella so bitterlich zu weinen an, daß es Sam ganz ritterlich ums Herz wurde.

„Mag es auffallend sein, wie es will, Miß“, rief er feurig, „aber ich kann Ihnen nur sagen, daß ich nich bloß bereit, sondern auch willens bin, alles zu tun, was die Sache zu ’nem guten Ende zu führen vermag. Und wenn man einen von den Beinsägern zum Fenster rauswerfen muß, bin ich der Mann dazu.“

Bei diesen Worten krempelte Sam, um seine Bereitwilligkeit zu bekräftigen, mit augenscheinlicher Gefahr, von der Mauer herabzufallen, seine Ärmel auf.

So schmeichelhaft diese Beweise von gutem Willen auch sein mochten, so weigerte sich doch Arabella zu Sams größter Verwunderung entschieden, davon Gebrauch zu machen. Lange sträubte sie sich mit Entschlossenheit gegen die von Sam so pathetisch verlangte Zusammenkunft mit Mr. Winkle, endlich aber, als die Unterhaltung durch die unwillkommene Ankunft einer dritten Person unterbrochen zu werden drohte, gab sie ihm unter mannigfachen Versicherungen ihrer Dankbarkeit eiligst zu verstehen, es sei doch möglich, daß sie am nächsten Abend um eine Stunde später in den Garten kommen könne. Sam begriff vollkommen, Arabella trippelte, nachdem sie ihn mit ihrem süßesten Lächeln beglückt, anmutig davon und ließ ihn, von Bewunderung ihrer körperlichen und geistigen Vorzüge erfüllt, allein.

Nachdem Mr. Weller sicher von der Mauer herabgeklettert war und nicht vergessen hatte, seinen eigenen Angelegenheiten in diesem Departement einige Augenblicke zu widmen, kehrte er so schnell wie möglich in den „Biisch“ zurück, wo seine lange Abwesenheit bereits großes Kopfzerbrechen und Unruhe erregt hatte.

„Wir müssen bedächtig zu Werke gehen“, meinte Mr. Pickwick, nachdem er Sams Bericht mit Aufmerksamkeit angehört, „nicht um unsrer selbst, sondern um der jungen Dame willen. Wir müssen sehr vorsichtig sein.“

Wir?“ sagte Mr. Winkle mit scharfer Betonung.

Mr. Pickwicks Gesicht verdüsterte sich vor Unwillen über den Ton dieser Bemerkung, nahm jedoch bald wieder den ihm eigentümlichen wohlwollenden Ausdruck an, als er erwiderte: „Allerdings, Sir, wir, denn ich werde Sie begleiten „

„Sie?“

„Allerdings, ich„, entgegnete Mr.Pickwick voll Milde. „Als die Dame Ihnen das Rendezvous bewilligte, hat sie einen vielleicht natürlichen, aber immerhin sehr unklugen Schritt getan. Wenn ich dabei bin, als Ihr beiderseitiger Freund, der alt genug ist, beider Vater sein zu können, dann kann sich die Stimme der Verleumdung später nicht gegen sie erheben.“

Mr. Pickwicks Augen funkelten von gerechtem Entzücken über seine Vorsicht, als er so sprach. Mr. Winkle war durch diesen Beweis zartsinniger Verehrung für die junge Dame tief gerührt und ergriff die Hand des Meisters mit einem Gefühl, das an Ehrfurcht grenzte.

„Ja, Sie müssen mitgehen!“ rief er.

„Natürlich gehe ich mit“, erwiderte Mr. Pickwick. „Sam, halte meinen Überrock und Schal in Bereitschaft und bestelle auf morgen abend, etwas früher als unbedingt notwendig wäre, einen Wagen, damit wir rechtzeitig an Ort und Stelle sind.“

Mr. Weller griff an seinen Hut, um seinen Gehorsam auszudrücken, und entfernte sich, um die nötigen Vorbereitungen zu treffen.

Der Wagen fuhr zur bestimmten Stunde vor, und Mr. Weller nahm, nachdem er Mr. Pickwick und Mr. Winkle pflichtgemäß hineingeholfen, seinen Sitz auf dem Bock neben dem Kutscher ein. Verabredetermaßen stiegen sie etwa eine Viertelmeile vor dem Ort des Stelldicheins ab, befahlen dem Kutscher, ihre Rückkehr zu erwarten, und machten den übrigen Weg zu Fuß.

Zu dieser Höhe war das Unternehmen gediehen,, als Mr. Pickwick unter manchem Lächeln und verschiedenen andern Anzeichen großer Befriedigung aus einer seiner Rocktaschen eine Blendlaterne hervorzog, mit der er sich ausdrücklich für den Fall versehen hatte, sie anzündete und ihre großen mechanischen Vorzüge im Weitergehen zur nicht geringen Verwunderung der paar Leute, die ihnen begegneten, Mr. Winkle erklärte. „Bei meiner letzten nächtlichen Gartenexpedition wäre mir ein solches Ding sehr zustatten gekommen, nicht wahr, Sam?“ sagte er und sah sich mit vergnügtem Lächeln nach seinem Bedienten um, der hinter ihm hertrollte.

„Sehr hübsche Dinger das, Sir, wenn man sie recht gebraucht“, erwiderte Mr. Weller, „aber wenn man nich gesehen sein will, glaube ich, daß sie nützlicher sin, wenn das Licht ausgelöscht is, als wenn es brennt.“

Mr. Pickwick schien Sams Bemerkung einzuleuchten, denn er steckte seine Laterne wieder in die Tasche und ging schweigend weiter.

„Nach da runter“, sagte Sam, „lassen Sie mich den Weg zeigen. Das is die Gasse, Sir.“

Es war bereits ziemlich dunkel, und Mr. Pickwick nahm ein- oder zweimal die Laterne heraus, die einen sehr hellen Lichtkreis, jedoch bloß von einem Fuß im Durchmesser, auf den Weg warf. Es war recht hübsch anzusehen, schien aber die Wirkung zu haben, die Gegenstände in der Umgebung noch dunkler erscheinen zu lassen.

Endlich kamen sie an den großen Stein, und hier empfahl Sam seinem Gebieter und Mr. Winkle, sich zu setzen, indes er rekognoszieren und sich vergewissern wolle, ob Mary noch Warte.

Nach einer Abwesenheit von fünf oder zehn Minuten kam er mit der Nachricht zurück, das Tor sei offen und alles ruhig. Mr. Pickwick und Mr. Winkle schlichen ihm verstohlen nach und befanden sich bald im Garten. Hier sagten alle drei gar manches Mal „Pst“, und keiner schien eine genaue Vorstellung von dem zu haben, was zunächst zu geschehen habe.

„Ist Miß Allen schon im Garten, Mary?“ fragte Mr. Winkle sehr aufgeregt.

„Ich weiß nicht, Sir“, erwiderte das hübsche Hausmädchen „Am besten würde es sein, wenn Mr. Weller Ihnen auf den Baum hilft, und Mr. Pickwick könnte inzwischen so freundlich sein, aufzupassen, ob keiner die Straße entlang kommt. Ich würde inzwischen am andern Ende vom Garten aufpassen. Aber, grundgütiger Himmel, was ist das da?“

„Die verdammte Latüchte wird uns noch alle ins Unglück stürzen“, sagte Sam ärgerlich. „Nehmen Sie sich doch in acht, Herr; Sie werfen doch „n ganz hellen Lichtschein in das Fenster vom hintern Zimmer da.“

„Weiß Gott“, sagte Mr. Pickwick und wandte sich schnell ab, „das habe ich nicht beabsichtigt.“

„Jetzt is ’s im nächsten Hause“, eiferte Sam.

„Donnerwetter“, rief Mr. Pickwick, sich abermals umwendend.

„Jetzt im Stall, und die Leute werden meinen, es brennt drin“, sagte Sam, „machen Sie doch die Klappe zu, Herr, können Sie denn nich?“ „Es ist doch die sonderbarste Laterne, die ich je in meinem Leben gesehen habe“, rief Mr. Pickwick, ganz verblüfft über die Wirkungen, die er so unabsichtlich hervorbrachte. „Ein so starker Reflektor ist mir noch nicht vorgekommen.“

„Er wird wohl zu stark für uns werden, wenn Sie ’n so weiterleuchten lassen“, erwiderte Sam, als Mr. Pickwick nach mehreren vergeblichen Versuchen den Schieber endlich zubrachte. „Da kommt die junge Dame. Also los, Mr. Winkle, schnell hoch!“

„Halt, halt!“ sagte Mr. Pickwick, „ich muß zuerst mit ihr sprechen. Hilf mir hinauf, Sam.“

„Nur sachte“, warnte Sam, seinen Kopf an die Mauer lehnend und machte aus seinem Rücken eine Plattform. „Treten Sie zuerst auf diesen Blumentopf, Sir. Jetzt schnell hinauf.“

„Ich fürchte, ich tue dir weh, Sam“, sagte Mr. Pickwick.

„Sorgen Sie sich nich um mich, Sir. Geben Sie ihm die Hand, Mr. Winkle. Nur feste, Sir; so ist’s richtig.“

Unter Anstrengungen, die bei einem Herrn von seinen Jahren und seinem Gewicht fast übernatürlich zu nennen waren, gelang es endlich Mr. Pickwick, Sams Rücken zu erklimmen; Sam richtete sich allmählich in die Höhe, und Mr. Pickwick hielt sich am Rande der Mauer fest, indes Mr. Winkle seine Beine festhielt, so daß des Meisters Brille gerade noch den Mauerrand überragte.

„Verehrtes Fräulein“, begann Mr. Pickwick, als er über die Mauer schaute und auf der andern Seite Arabella erblickte, „erschrecken Sie nicht, mein Fräulein – ich bin’s.“

„Bitte, bitte, gehen Sie doch, Mr. Pickwick“, erwiderte Arabella. „Sagen Sie ihnen, sie sollen alle fortgehen, ich bin in der tödlichsten Angst. Lieber, lieber Mr. Pickwick, bleiben Sie nicht länger. Sie werden ganz gewiß herunterfallen und nicht mehr aufstehen können.“

„Seien Sie ohne Sorgen, liebes Kind“, beschwichtigte Mr. Pickwick. „Ich versichere Ihnen, es ist nicht die geringste Gefahr vorhanden. – Steh fest, Sam“, setzte er hinzu und blickte unter sich.

„Sehr wohl, Sir“, erwiderte Mr. Weller, „bleiben Sie nur nich länger, als es gerade notwendig is. Sie sind’n bißchen schwer.“

„Nur noch einen Augenblick, Sam. – Ich wünschte Ihnen nur zu sagen, mein Kind, daß ich meinem jungen Freund nicht gestattet haben würde, Sie auf diesem heimlichen Wege zu besuchen, wenn Ihre Verhältnisse ihm einen andern Ausweg übriggelassen hätten. Damit Ihnen nun die Ungebührlichkeit dieses Schrittes keine Unruhe verursache, mein liebes Kind, mag es Ihnen zur Befriedigung dienen, zu wissen, daß ich in der Nähe bin; mehr habe ich nicht zu sagen, meine Liebe.“

„Ich bin Ihnen wirklich sehr verbunden für Ihre rücksichtsvolle Güte, Mr. Pickwick“, schluchzte Arabella, sich mit ihrem Taschentuch die Tränen trocknend.

Sie hätte wahrscheinlich noch mehr gesagt, wenn nicht Mr. Pickwick infolge eines falschen Trittes auf Sams Schulter blitzschnell verschwunden wäre. Er stand jedoch im Augenblick wieder auf, ermahnte Mr. Winkle, sich zu beeilen und die Zusammenkunft nicht zu versäumen, und rannte sofort mit dem Mut und dem Feuer eines Jünglings auf die Gasse, um Schildwache zu stehen. Mr. Winkle, hochbeglückt, war im Nu auf der Mauer, und hielt oben nur inne, um Sam zu sagen, er solle für seinen Herrn Sorge tragen.

„Unbesorgt, Sir“, erwiderte Sam. „Überlassen Sie ihn nur mir.“

„Wo ist er? Was macht er denn jetzt, Sam?“ fragte Mr. Winkle.

„Gott segne seine alten Gamaschen“, erwiderte Sam, mit einem Blick nach der Gartentür. „Dort in der Gasse steht er mit seiner Blendlaterne Schildwache, wie ’n liebenswürdiger Pulververschwörer. Hab mein Lebtag nichts Schöneres gesehen. Der Teufel soll mich holen, wenn sein Herz nicht wenigstens fünfundzwanzig Jahre nach seinem Leibe auf die Welt gekommen is.“

Mr. Winkle nahm sich nicht die Zeit, die Lobrede auf seinen Freund und Meister anzuhören, war schnell die Mauer hinabgesprungen, hatte sich vor Arabella auf die Knie geworfen und setzte ihr die Aufrichtigkeit seiner Neigung mit einer Beredtsamkeit auseinander, die Mr. Pickwicks selbst würdig gewesen wäre.

Während dies im Freien vor sich ging, saß ein ältlicher Herr von großem, wissenschaftlichem Rufe, der zwei oder drei Häuser vom Garten hinweg wohnte, in seinem Studierzimmer und schrieb eine naturwissenschaftlidle Abhandlung, wobei er von Zeit zu Zeit aus einer achtunggebietenden Flasche, die auf dem Tische stand, seine Lippen und seine Arbeit mit einem Glas Bordeaux befeuchtete. Während seiner geistigen Geburtswehen blickte der gelehrte Herr bald auf den Teppich, bald zur Decke empor, bald an die Wand, und wenn ihm weder Teppich noch Dedce, noch Wand den erforderlichen Grad von Begeisterung zu liefern vermoditen, so sah er zum Fenster hinaus.

In einer dieser Pausen starrte er gedankenschwer in d’e dichte Finsternis hinaus, als er zu seiner höchlichen Überraschung ein glänzendes Licht in geringer Entfernung über die Erde hin durch die Luft gleiten und beinahe augenblicklich wieder verschwinden sah. Nach kurzer Zeit wiederholte sich das Phänomen, nicht bloß ein oder zwei, sondern mehrere Male. Der gelehrte Herr legte seine Feder nieder und begann darüber nachzudenken, weldien natürlichen Ursachen diese Erscheinung wohl zuzuschreiben sei.

Meteore konnten es nicht sein, dazu waren sie zu niedrig. Johanniswürmer auch nicht wegen der Höhe. Es waren keine Irrlichter, keine Leuchtkäfer, es war kein Feuerwerk. Was konnte es wohl sein? Irgendein außerordentliches und wunderbares Phänomen, das noch kein Naturforscher vor ihm gesehen – eine Erscheinung, deren Entdeckung ihm allein vorbehalten war und die seinen Namen unsterblidl machen mußte, wenn er sie zu Nutz und Frommen der Nachwelt aufzeichnete. Von dieser Idee begeistert, ergriff der gelehrte Herr seine Feder wieder und brachte verschiedene Bemerkungen über diese unvergleichbare Erscheinung mit Angabe des Tages, der Stunde, der Minute und Sekunde, in der sie sichtbar gewesen, zu Papier – Stoff genug, um ein umfangreiches, von großem Forschungsgeist und tiefer Gelehrsamkeit zeugendes Werk zu schreiben, zum Erstaunen aller atmosphärischen Weisen in sämtlichen Teilen des zivilisierten Erdballes.

Er warf sich in seinen Lehnsessel zurück, ganz durchtränkt von Betrachtungen künftiger Berühmtheit. Das geheimnisvolle Lidit zeigte sich wiederum, und zwar glänzender als zuvor; allem Anschein nach tanzte es die Gasse auf und ab, kreuzte herüber und hinüber und bewegte sich in so exzentrischen Bahnen, wie ein Komet!

Der gelehrte Herr war Hagestolz, hatte daher keine Frau, die er hereinrufen konnte, damit sie sich mit ihm wundere, und läutete deshalb seinem Bedienten.

„Pruffle“, sagte er, „es ist heute abend etwas ganz Außerordentlidies in der Luft. Siehst du es dort?“ fügte er hinzu, zum Fenster hinausdeutend, als das Licht wieder sichtbar wurde.

„Ja, Sir.“

„Was denkst du davon, Pruffle?“

„Was ich davon denke?“

„Nun ja. Du bist auf dem Lande aufgewachsen. Welcher Ursache würdest du diese Lichter zuschreiben?“

Der gelehrte Herr setzte lächelnd voraus, Pruffle werde antworten, er wisse die Ursache dieser Lichter nicht anzugeben. Pruffle sann nach. „Ich denke, es sind Diebe“, sagte er endlich.

„Du bist ein Dümmkopf und kannst dich entfernen“, schrie ihn der gelehrte Herr an.

„Sehr wohl, Sir“, erwiderte Pruffle und ging.

Allein dem gelehrten Herrn ließ der Gedanke keine Ruhe, die scharfsinnige Abhandlung, die er bereits projektiert, möchte für die Welt verlorengehen, was unvermeidlich hätte der Fall sein müssen, wenn die Ansicht des scharfsinnigen Pruffle nicht im Keim erstickt wurde. Er setzte daher den Hut auf und ging schnell in den Garten hinab, entschlossen, der Sache bis auf den Grund nachzuspüren.

Kurz, ehe der gelehrte Herr kam, war Mr. Pickwick so schnell wie möglich die Gasse herabgelaufen und hatte falschen Lärm geschlagen, es komme jemand des Weges, wobei er zufällig die Laterne vor sich hinhielt, um nicht in den Graben zu fallen. Mr. Winkle kletterte flugs wieder über die Mauer, Arabella eilte ins Haus, das Gartentor wurde geschlossen, und die Abenteurer eilten, so schnell sie konnten, die Gasse hinab, als sie auf einmal durch das Erscheinen des gelehrten Herrn erschreckt wurden, der gerade sein Gartentor aufschloß.

„Halt!“ flüsterte Sam, der natürlich voranging, „machen Sie jetzt mal ’ne Sekunde Licht, Herr.“

Mr. Pickwick tat, wie ihm geheißen. Sam, der einen Kopf sehr vorsichtig, bloß ein paar Schritte von ihm entfernt, aus dem Gartentore herausblicken sah, versetzte ihm mit der geballten Faust einen kleinen Schlag, so daß er mit hohlem Klang gegen das Tor flog. Nachdem er mit großer Schnelligkeit und Gewandtheit diese Tat vollführt, nahm er Mr. Pickwick auf den Rücken und folgte Mr. Winkle die Gasse hinab mit einer bei seiner Bürde wahrhaft erstaunlichen Geschwindigkeit.

„Haben Sie sich jetzt wieder erholt, Sir?“ fragte er, als ef das Ende erreicht hatte.

„Vollkommen“, erwiderte Mr. Pickwick.

„Na, dann kommen Sie“, fuhr Sam fort und stellte seinen Herrn wieder auf die Füße. „Gehen Sie zwischen uns beiden, Sir. Wir haben keine halbe Meile mehr zu laufen. Stellen Sie sich vor, es ginge zum Schoppen, Sir. Nur munter vorwärts.“

So ermutigt, machte Mr. Pickwick den möglichst besten Gebrauch von seinen Beinen, und man kann zuversichtlich behaupten, daß nicht leicht ein Paar schwarze Gamaschen je schneller über den Boden hüpften, als die Mr. Pickwicks bei diesem denkwürdigen Anlasse.

Der Wagen wartete, die Pferde waren frisch, die Straßen glatt, der Kutscher voll guten Willens, und die ganze Gesellschaft langte sicher im „Busch“ an, ehe Mr. Pickwick verschnauft hatte.

„Schnell hinein mit Ihnen, Sir“, mahnte Sam, als er seinem Herrn heraushalf. „Nach dem Tempo dürfen Sie keine Sekunde auf der Straße bleiben. Bitte um Verzeihung, Sir“, fuhr er fort, an die Hutkrempe greifend, als Mr. Winkle ausstieg. „Hoffe, ’s war keine frühere Neigung nich vorhanden?“

„Es ist alles in Ordnung“, flüsterte ihm Mr. Winkle ins Ohr, „ganz in Ordnung, lieber Sam“, worauf Mr. Weller sich zum Zeichen des Verständnisses dreimal tüchtig an die Nase schlug, lächelte, blinzelte und mit dem Ausdruck der lebhaftesten Freude im Gesicht die Treppen hinanschritt.

Was den gelehrten Herrn betrifft, so bewies er in einer meisterhaften Abhandlung, die wundervollen Lichter seien Wirkung der Elektrizität, und bewies dies unwiderleglich durch den umständlichen Bericht, wie ihm, als er den Kopf zur Tür hinausgesteckt, ein blitzendes Leuchten vor den Augen getanzt und er gleich darauf einen Schlag erhalten, der ihn eine volle Viertelstunde seiner Sinne beraubt habe. Dieses Traktat versetzte sämtliche gelehrten Gesellschaften in grenzenlose Erregung und sicherte dem Autor als Licht und Zierde der Wissenschaft später großen Ruhm.